Der unsichtbare Freund von Alaiya (A Hare Amoung Wolves [Pilot]) ================================================================================ Epilog: Der blasse Mann ----------------------- Der Mann tauchte nicht mehr auf – sehr zu Kyras Erleichterung. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, nachdem sie an dem Pub angekommen waren, bis dass ein Krankenwagen, die Polizei und Coles Eltern da waren. In der Zeit hatte Kyra eine Kleinigkeit zu Essen und etwas zu trinken für sich und Cole bestellt, nicht zuletzt, da der Junge halb verdurstet zu sein schien. Auch über das Essen – ein paar belegte Brote mit Bacon, Ei und Bohnen – machte er sich gierig her. Der Wirt war außerdem nett genug gewesen einen Erste Hilfe Koffer herauszuholen, um Kyras Hand und ihr Bein, an dem sie drei einige Millimeter tiefe Einschnitte gefunden hatte, offenbar von den Fingernägeln des Manns, etwas zu versorgen. Nun saß sie an einem Tisch mit einem der Polizisten, einem blonden Mann um die dreißig, der sich als Officer Atwood vorgestellt hatte. Neben ihr auf dem Boden saß Watson, den der Wirt erlaubt hatte, nachdem Kyra ihn nicht allein draußen zurücklassen wollte – nicht ohne zu wissen, ob der blasse Mann noch einmal nach ihnen suchen würde. Nun hatte der Hund seinen Kopf in ihren Schoß gelegt und sah wehmütig zu ihrem Gesicht hinauf, während sie mit Atwood sprach. „Sie wurden also beauftragt Cole zu finden“, meinte der Polizist, während er selbst auf einem Formular die Dinge mitschrieb. „Ja.“ Kyra wusste, dass sie diese Aussage würde noch mindestens einmal auf dem Präsidium wiederholen müssen. „Und ihr Hund hat sie zu ihm geführt?“ Atwood hob eine Augenbraue und sah auf Watson, der ihn komplett ignorierte. Sie streichelte den Kopf des Hundes. „Ja. Er hat eine gute Spürnase.“ Dann fügte sie hinzu: „Ich habe versucht ihn selbst etwas zu trainieren.“ Meistens war er nur nicht ganz so zielstrebig. „Er hat aber kein professionelles Training erhalten.“ Sie wusste, dass diese Frage als nächstes gekommen wäre. „Also ein Naturtalent?“, fragte Atwood mit einem matten Lächeln. „Kann man so sagen“, erwiderte Kyra. Cole war draußen im Krankenwagen. Der Notarzt, der hergekommen war, hatte ihn noch einmal untersuchen wollen. Es würde Kyra nicht überraschen, wenn sie ihn über Nacht mit ins Krankenhaus nehmen würden, um ihn unter Beobachtung zu halten. Erst einmal durfte sie jedoch ausführlich berichten, wie sie Cole gefunden hatte, was er ihr gesagt hatte und dergleichen, sowie auch von der Verfolgung durch den blassen Mann. „Sie kannten den Mann nicht?“, fragte Atwood. „Nein, natürlich nicht“, erwiderte Kyra. Die Frage überraschte sie nicht. Es war eine Standardfrage. „Wissen Sie, ob er Ihnen gefolgt ist, als sie nach Cole gesucht haben?“ „Nicht, dass ich es bemerkt hätte“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Zwar war sie sich relativ sicher, dass Watson sie gewarnt hätte, wäre der Mann ihr vorher gefolgt, doch das behielt sie für sich. „Sie hatten aber das Gefühl, dass er Ihnen und dem Jungen schaden wollte?“, fragte der Polizist weiter. Zugegebener Maßen hatte Kyra zumindest den Teil aus ihrer Erzählung ausgelassen, in dem sie die Stühle umgeworfen hatte. Man musste sich nicht selbst belasten. „Ja“, erwiderte sie nur. „Der Mann hat deutlich nach Cole gesucht. Er hat nicht versucht mit uns zu reden und hat mich festgehalten, als ich versucht habe aus dem Dach zu klettern.“ Sie hatte Atwood bereits die Kratzer an ihrem Bein gezeigt. Daraufhin nickte der Polizist nur. „Sie haben gesagt, der Mann war sehr groß. Wie groß würden Sie ihn etwa schätzen?“ „Ein Meter neunzig, vielleicht zwei Meter“, erwiderte sie. Auch wenn sie gewettet hätte, dass er größer gewesen war – wahrscheinlich hatte ihre Wahrnehmung ihr in ihrer Panik nur einen Streich gespielt. So ging es noch für ein paar Minuten weiter. Kyra wusste, dass es darum ging, direkt Zeugenaussagen aufzunehmen, bevor sich die Erinnerung mit der Zeit veränderte. Dennoch konnte sie es kaum erwarten, endlich entlassen zu werden, da sie wirklich, wirklich duschen wollte. Ihre Kleidung war dreckig und sie hatte das Gefühl, dass auch ihre Haut unter einer dicken Staubschicht begraben war. Endlich machte sich die letzten Notizen und bat sie um eine Unterschrift. „Wir werden Sie in den kommenden Tagen noch einmal kontaktieren.“ „Ich weiß“, murmelte sie. Immerhin brachte die Arbeit als Privatdetektiv Kontakt mit der Polizei immer einmal wieder mit sich – wenngleich eben nicht so oft, wie es Fernsehserien einem weiß machen wollten. Er lächelte. „Natürlich.“ Sie stand auf. Auch Watson richtete sich auf und gemeinsam verließen sie den Pub. Hier gab es nichts mehr für sie zu tun. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden und sie war alles andere als begeistert von der Vorstellung davon, nun durch die verlassenen Straßen zurück zu diesem Spielplatz zu laufen. Ihre kleine Verfolgung mit dem seltsamen Mann war definitiv zu knapp für ihren Geschmack gewesen. Gerade als sie den Pub verließ und feststellte, dass der Krankenwagen bereits gefahren war, kam ein Mann auf sie zu. Sie erkannte ihn als Mr. MacConnery, Coles Vater. „Ist Ihre Frau mit Cole ins Krankenhaus gefahren?“, vermutete Kyra. Der kräftige Mann, dessen Haare bereits von Grau durchsetzt waren, nickte. Etwas an seiner Haltung sagte deutlich „Soldat“ – vielleicht war es auch nur, weil sich Kyra an ihren eigenen Vater erinnert fühlte. „Ja. Genau. Aber der Arzt hat gesagt, dass es ihm wahrscheinlich gut geht.“ „Das freut mich zu hören“, meinte Kyra mit einem matten Lächeln. „Ich wollte mich noch einmal bei Ihnen bedanken“, sagte Mr. MacConnery und streckte ihr die Hand entgegen. Sie schüttelte seine Hand. „Ich habe meinen Job gemacht. Sie haben mich engagiert Ihren Sohn zu finden, also...“ Sie zuckte mit den Schultern und bemühte sich um ein professionelles Lächeln. Sein Gesichtsausdruck sagte ihr, dass er genau wusste, dass sie bemühte professionell zu wirken. „Das hätte jedoch nicht zwangsweise beinhaltet, ihn aus dieser Fabrik rauszubringen. Schon gar nicht mit einem Verfolger.“ Er lächelte und drückte ihre Hand noch mal, ehe er losließ. Daraufhin seufzte Kyra nur. „Keine Ursache.“ Es folgte ein kurzer Moment der Stille, ehe Mr. MacConnery sich umsah. „Wie sind Sie hergekommen?“ „Ich habe beim Auto am Spielplatz abgestellt“, erwiderte sie. „Von da aus hat Watson mich geführt.“ „Soll ich Sie zu Ihrem Auto zurückbringen, ehe ich zum Krankenhaus fahre?“, bot er an. Kyra hielt inne. Sie war wirklich nicht scharf darauf, zu Fuß zurück zu laufen, doch dann war da noch ihr Hund. „Wenn Sie kein Problem damit haben, dass Watson Ihnen den Rücksitz vollsabbert....“ „Wir haben Schutzbezüge drauf“, erwiderte er. „Kinder können Rücksitze auch ziemlich zuschmieren, glauben Sie mir.“ „Dann gern.“ Sie war tatsächlich erleichtert. Am Ende saß sie auf dem Rücksitz des schwarzen BMW, so dass Watson seinen Kopf hatte wieder in ihren Schoß legen können. Fremde Autos waren ihm nie so ganz geheuer. „Wo haben Sie Ihr Auto genau abgestellt?“, fragte Mr. MacConnery, als sie in der Straße zum Spielplatz einfuhren. „Hinter dem Pub.“ Kyra zeigte auf das Pub, das bereits in Sicht kam. Ihr Fahrer nickte und hielt vor der kleinen Imbiss-Bar. Er zögerte und drehte sich dann zu ihr um. „Wie ist es mit der Rechnung?“ „Ich werde sie Ihnen morgen zuschicken“, erwiderte sie. „Eine Kopie via Email, eine über die Post. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie so schnell wie möglich zahlen.“ Denn letzten Endes war der Monat nicht mehr lang und das Geld für die Miete fehlte eindeutig. „Natürlich“, antwortete MacConnery mit einem Lächeln. „Vielen Dank noch einmal.“ „Kein Problem.“ Kyra öffnete die Tür und kletterte aus dem Wagen heraus. „Und vielen Dank für das Fahren.“ Er nickte nur. „Schon gut.“ Kurz wartete Kyra noch, damit Watson ebenfalls aus dem Wagen springen konnte, dann schlug sie die Tür zu. Nur zu glücklich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, wedelte der Hund mit dem Schwanz. Für einen Moment hob Kyra die Hand zum Abschiedsgruß, während Mr. MacConnery davonfuhr. „Lass uns nach Hause gehen, Watson“, murmelte Kyra. Watson bellte und lief schwanzwedelnd neben ihr her. Nun, vielleicht sollte sie es dem Hund kurz erlauben, sein Abendgeschäft zu verrichten, ehe sie nach Hause fuhr. Dann konnte sie sich daheim ganz auf das Ausspannen konzentrieren. „Komm, Watson“, meinte sie. „Gassi.“ Sofort sah er sie aufmerksam an und schien noch begeisterter zu sein als vorher. Er bellte aufgeregt. Also machte sie eine kleine Runde durch den Park, wohl darauf bedacht immer im Licht der Lampen zu bleiben. Noch immer konnte sie das Gefühl abschütteln beobachtet zu werden. Es war nur in ihrem Kopf. Sie war ein bisschen schreckhaft, nicht mehr. Nachdem Watson endlich sein Geschäft verrichtet hatte und offenbar zufrieden war, sammelte sie seine Hinterlassenschaft mit einer Plastiktüte ein und machte sich auf dem Weg zurück zum Pub, die Tüte auf dem Weg in einen Mülleimer werfen. Etwas raschelte hinter ihr. Es ist nur der Wind, sagte sie sich und schaute sich nicht um. Als sie endlich ihren Wagen erreichte, kam sie nicht umher erleichtert aufzuatmen. Sie schloss den Wagen auf und ließ Watson einsteigen. Jetzt sah sie sich um, doch natürlich war nichts da. Doch gerade, als sie die Tür schloss, begann Watson zu knurren. „Was?“, fragte sie und sah sich verwirrt um. Dann sah sie es. Erst war es nur etwas, dass sie aus den Augenwinkeln um Rückspiegel sah, doch als sie sich umsah erkannte sie, dass es keine optische Täuschung gewesen war. Da stand er. Der blasse Mann. Auf dem Parkplatz hinter ihrem Wagen. „Verdammt“, murmelte sie. Ohne drüber nachzudenken, drückte sie aufs Gaspedal und fuhr von dem Parkplatz herunter. Noch einmal sah sie in den Rückspiegel. Natürlich sah sie niemanden mehr. Hatte sie es sich nur eingebildet? „Lass uns nach Hause fahren“, sagte sie leise zu Watson. Zumindest eine Sache wusste sie sicher: Sie würde in dieser Nacht mit dem Licht an schlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)