Im Dezember von abranka (HP x BZ) ================================================================================ Kapitel 1: Im Dezember ---------------------- Harry wusste eigentlich gar nicht so recht, wie das alles passiert war. Nach dem Sieg über Lord Voldemort hatten sich die Journalisten um ihn gerissen und die Leute waren immer ausgeflippt, wenn sie ihn gesehen hatten. Dann war er hier und dort und da und wieder hier und dort eingeladen worden, sollte Reden halten, Autogramme geben, lächeln und irgendwelche Dinge eröffnen. Sei es ein neues Geschäft in der Winkelgasse, die Wiedereröffnung der Bank Gringotts – was eine gewisse Ironie besaß, da er ja an deren Zerstörung beteiligt gewesen war –. ein neuer Flügel in St. Mungos und, und, und. Irgendwie hatte er damit Geld verdient, dann war das Ministerium auf ihn zugekommen und hatte ihn zu einem Auror ehrenhalber ernannt und er durfte dort ein- und ausgehen und wurde wieder für irgendetwas bezahlt. Jetzt saß er allein in diesem riesigen Haus. Ein Kobold namens Triphak kümmerte sich um die ganzen Verträge und verwaltete Harrys Geld. Ein Dutzend Hauselfen sorgte für das Haus und für Harry. Wenn er nicht wollte, musste er das Haus kaum noch verlassen. Und meist wollte er auch gar nicht. Es war schon komisch. Immer, wenn es auf Weihnachten zuging, fiel ihm auf, dass er jegliche Bodenhaftung verloren hatte. Teures Zeug umgab ihn, aber mit seinen besten Freunden Ron und Hermione hatte er kaum noch Kontakt. Die Beziehung mit Ginny war ein, zwei Jahre nach dem Krieg auseinander gegangen. Sie wollte sich selbst verwirklichen und irgendwie sagte ihr der goldene Käfig dann doch nicht zu. Jetzt war sie selbst als Quidditchspielerin berühmt, schaffte es aber, mit diesem Ruhm sehr gut umzugehen und sich ein Privatleben zu bewahren. Harry dagegen hatte seines fast völlig eingestellt, nachdem sein erstes Date mit Cho Chang direkt auf der Titelseite des Tagespropheten aufgetaucht war. Der wichtigste Mensch in seinem Leben war sein Patensohn Teddy Lupin, der nach dem Tod seiner Eltern bei seiner Großmutter aufwuchs. Harry bemühte sich, einen Gegenpol zu ihr darzustellen, aber er sah den Jungen einfach viel zu selten – was auch ein wenig an besagter Großmutter und ihrem Misstrauen gegenüber Harrys Lebenswandel lag. Sie schien den Verdacht zu hegen, dass Berühmtheit auch gleich zu unmoralischem Verhalten führen musste. „Harry Potter Sir muss dringend rausgehen“, sagte Esmi, die Hauselfenvorsteherin, streng zu ihrem Boss und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Harry schweifte seit einer guten Stunde durch das Haus, betrat Zimmer, schaute aus den Fenstern, ging weiter, setzte sich mal hin, stand sofort wieder auf und tigerte weiter. „Esmi, ich...“ „Harry Potter Sir, das wird Ihnen gut tun.“ Esmi stemmte die Hände in die Hüften. Sie trug ein schwarzes Dienstmädchenkleid, das sie heiß und innig liebte. Wie die anderen Hauselfen in Harrys Diensten war auch sie eine freie Elfe. Im Gegensatz zu den anderen legte sie aber wert auf eher gesetztere Kleidung, während der Rest eher quietschbunt durch das Haus fegte. „Bitte, Esmi...“ „Es ist einen Monat her, dass Sie das letzte Mal im Ministerium waren. Meister Shaklebolt wird sich ebenso freuen Sie zu sehen wie Misses Hermione und Meister Ron.“ „Na gut.“ Harry gab auf. Esmi hatte eigentlich immer recht mit allem, was sie ihm nahelegte. Und wenn sie sagte, dass es ihm gut tun würde, dann war dem auch so. „Ich lasse Ihnen die entsprechende Kleidung zurechtlegen, Harry Potter Sir.“ „Nichts Übertriebenes“, sagte Harry und schnitt eine Grimasse. „Jeans reichen.“ „Aye, Sir.“ Esmi salutierte und lächelte schelmisch. Das brachte Harry wiederum ebenfalls zum Lächeln, denn er mochte es, wenn die sonst so extrem ernsthafte Hauselfe auch mal ihre humorvolle Seite zeigte. Erfreulicherweise hatte Esmi ihm wirklich Jeans rauslegen lassen. Dazu kamen ein dunkler Pullover und ein Hemd mit rot-goldenem Kragen, der einen netten Farbtupfer setzte. Er warf sich einen schwarzen Umhang über und fuhr sich durch die Haare. Mit genügend Magie waren sie mittlerweile bei seinen öffentlichen Auftritten immer ausgezeichnet gebändigt. Jetzt allerdings standen sie wild in alle Richtungen ab. Er schnitt eine Grimasse, als er einen prüfenden Blick in den Spiegel warf. Außerhalb seiner offiziellen Auftritte trug er mittlerweile lieber eine randlose Brille. Die runden Gläser gehörten zu dem jungen Helden-Harry, der er im Alltag wirklich nicht war. So fühlte er sich zumindest ein kleines bisschen inkognito, auch wenn das nicht oft half. Insbesondere nicht, da letztes Jahr die ganzen Zehnjahresfeiern stattgefunden hatten und sein Gesicht viel zu viele Zeitungscover geziert hatte. Dabei war es vorher endlich etwas ruhiger geworden. So aber... Nun ja – glücklicherweise hatte er sich vor Jahren angewöhnt, auf Autogramme einen schicken Schnörkel statt seines kompletten Namen zu schreiben. Jetzt aber führte ihn sein Weg zu dem Kamin in der Eingangshalle, der an das Flohnetzwerk angeschlossen war. Natürlich gab es hier Sicherungen, damit nicht einfach irgendjemand diesen Kamin nutzen konnte, um in das Haus einzudringen. Seine Tarnung schien halbwegs zu funktionieren, denn zumindest blieben die Leute im Zaubereiministerium nicht ständig stehen und drehten sich nach ihm um und flüsterten vor sich hin. Das war üblicherweise immer die Ruhe vor dem Sturm, der dann aus lauten Rufen, Forderungen nach Autogrammen, Fotos und persönlichen Fragen bestand. Nein, einige Leute schauten kurz irritiert, als ob er ihnen bekannt vorkäme, aber dann war auch schon an ihnen vorbei. „Harry!“ Percy Weasley, noch immer die rechte Hand des Zaubereiministers, sprang von seinem Schreibtisch im Vorzimmer des Büros des Anführers der Zauberergesellschaft auf. „Welch eine Überraschung.“ „Hi Percy.“ Harry grinste freundlich. „Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.“ „Du doch nicht.“ Percy umarmte ihn freundschaftlich. Sie hatten sich lange nicht gesehen. Viel zu lange. Genauer gesagt ging er der Familie Weasley meist aus dem Weg, weil ihre Lebhaftigkeit und Herzlichkeit manchmal einfach zuviel für ihn war. Denn sie erinnerte ihn immer an das, was er nicht in seinem Leben hatte. „Mum würde sich sehr freuen, dich mal wieder zu sehen. Sie vermisst dich. Dad auch.“ Percy brach ab und lächelte verlegen. „Ich werde sie besuchen.“ Harry bemühte sich um ein warmes Lächeln. Er war es ihnen schuldig, wo sie doch so oft so viel für ihn getan hatten. Außerdem würde er spätestens an Weihnachten wieder bei ihnen sein, denn der Weasley'sche Tumult war dann ein sehr wichtiger Gegenpol zu einem leeren Haus. „Zum Adventskaffee wäre toll. Mum würde vor Freude ausflippen.“ Percy schwieg einen Moment, dann besann er sich wieder auf seine Arbeit. „Willst du zu Kingsley?“ „Falls er Zeit für mich hat.“ Harry zuckte die Schultern. „Ich bin ja vollkommen unangekündigt hier.“ „Ich schaue kurz nach. Warte einen Moment.“ Der Rotschopf verschwand durch die riesige Tür, hinter der sich das Büro des Zaubereiministers verbarg. Nur einen kurzen Moment später flog eben diese Tür auf und Kingsley Shaklebolt kam heraus. „Harry!“ Seine dunkle Stimme dröhnte durch den Raum und Harry war froh, dass hier oben nur sehr vertrauenswürdige und zuverlässige Leute arbeiteten. Ansonsten wüsste bereits jetzt jeder in dem ganzen Gebäude, dass er hier war. Einen Wimpernschlag später fand er sich in einer kräftigen Umarmung wieder. „Kingsley.“ Dieses Mal fiel ihm das warme Lächeln nicht schwer. „Komm doch herein. Percy, bring uns bitte einen Tee. Für mich Earl Grey. Und für Harry wie immer einen grünen Tee. Du weißt doch, die Spezialmischung.“ Percy nickte dienstbeflissen und schaute den beiden kurz nach, wie sie in dem Büro verschwanden. Harry hatte eine gute Stunde bei Kingsley verbracht, ehe ihn der Zaubereiminister wegen dringender anderer Termine wegschicken musste. Jetzt machte er sich auf den Weg zur Aurorenzentrale, die sich ein Stockwerk tiefer befand. Ron würde sich freuen, wenn er ihn bei der Arbeit überraschte. Kurz zog er die Schultern hoch, als er die Aurorenzentrale betrat, aber dann straffte er sie und richtete den Blick feste geradeaus. Zielgerichtetheit sorgte üblicherweise dafür, dass man nicht gefragt wurde, was man hier eigentlich machte. Zumindest vorläufig ging dieser Plan auf und er fand Rons Büro relativ schnell. Er klopfte an und öffnete die Tür vorsichtig. „Hallo...“, sagte er und seine Stimme verriet seine Überraschung, denn Ron war nicht da. Stattdessen saß in dem Doppelbüro nur sein Kollege. Ein Kollege, von dem Harry gar nicht gewusst hatte, dass Ron mittlerweile mit ihm das Büro teilte. Der dunkelhäutige Mann mit den kurzen lockigen schwarzen Haaren und den warmen braunen Augen blickte Harry neugierig an. Soweit er sich erinnerte, hatte er diesen Mann zuletzt irgendwann in Hogwarts gesehen. Vermutlich bei einer der vielen Gedenkfeiern. Es handelte sich um Blaise Zabini, jemanden, der während ihrer gemeinsamen Schulzeit mit Harrys persönlicher Nemesis Draco Malfoy ziemlich eng befreundet gewesen war. „Potter... Hallo.“ Zabini zog die Augenbrauen hoch. „Hi“, wiederholte Harry und runzelte die Stirn. Er war ein wenig zu perplex um noch etwas zu sagen. „Ich schätze, du willst zu Ron, nicht wahr? Der ist gerade zu Tisch und direkt danach muss er zu einer Besprechung außerhalb.“ „Okay... Danke.“ Harry machte einen Schritt zurück und wollte die Tür wieder schließen, doch da hörte er das Gemurmel. „Doch, das war er!“ „Kann nicht sein!“ „Doch! Wenn ich es dir sage!“ „Ich habe ihn auch gesehen!“ „Harry Potter ist hier!“ „Oh, Mann, ein Autogramm würde meinen Sohn überglücklich machen!“ Fußgetrappel setzte ein und es konnte nur Sekunden dauern, bis die Stimmen zu Personen wurden, die um die Ecke bogen und ihn hier stehen sahen. Flucht war auch keine Option. Sie waren zu schnell und er würde ganz sicher nicht hektisch durch die Flure rennen. Er warf Blaise Zabini einen panischen Blick zu. Dieser lauschte kurz und sagte dann nur knapp: „Rein und unter den Tisch.“ Zabini deutete auf Rons Schreibtisch, der seinem direkt gegenüber stand. Von der Tür aus konnte man nicht drunter schauen. Harry zögerte einen winzigen Augenblick, dann sprang er in das Büro, schob die Tür möglichst schnell, aber leise zu und krabbelte unter den Schreibtisch. Wenn irgendwer ihn hier vorfand, würde das peinlich werden. Nicht so peinlich, wie die schlimmsten Dinge, die er schon über sich hatte lesen dürfen, aber für die Top 10 würde diese Situation wohl schon reichen. Unwillkürlich hielt er die Luft an, als die Tür hektisch aufgestoßen wurde. „Was ist?“, fragte Zabini gelassen und wandte sich offenbar den Leuten vor der Tür zu. Sehen konnte Harry das nicht, er erahnte es nur anhand der Bewegung, die Zabinis Drehstuhl und seine Beine machten. Er hatte knallgelbe Socken mit roten Punkten an, wie Harry auffiel. Das brachte ihn zum Grinsen und machte ihm Zabini irgendwie sympathisch. Nicht, dass bunte Socken irgendetwas über die Persönlichkeit eines Menschen aussagen könnten. „Harry Potter?“ Zabini klang spöttisch. „Klar, sicher, ich verstecke ihn unter meinem Schreibtisch. Wo auch sonst?“ Harry zuckte zusammen. War ja klar, einem Slytherin konnte man auch elf Jahre nach dem Abschluss nicht trauen. Innerlich wappnete er sich, dass gleich irgendwer den Kopf in sein Versteck recken und ihn anstarren und auslachen würde. „Boah, Zabini, du bist echt...“ Das Schimpfwort verstand er nicht richtig, da die Tür bereits genervt zugeschlagen wurde. Überrascht richtete sich Harry auf und knallte mit dem Kopf gegen die Tischplatte. „Moment noch“, zischte Zabini ihm zu. Harry hielt abrupt inne und rieb sich den Kopf. „Okay, sie sind weg. Jetzt kannst du rauskommen.“ Leise fluchend krabbelte Harry unter dem Tisch hervor. „Tut's weh?“, fragte Zabini überraschend einfühlsam. Sein Gegenüber winkte nur ab. „Eigene Blödheit. Danke für deine Hilfe.“ Mit seinen grünen Augen blickte er Zabini prüfend an. „Warum hast du das getan?“ Dieser hob die Schultern. „Warum nicht? Ich habe nichts davon, wenn sie über dich herfallen. Außerdem geht Ron mir dann an die Kehle. Und eigentlich kann man sonst mit ihm ziemlich gut zusammenarbeiten.“ Harry lehnte sich gegen den Schreibtisch und sein Blick wurde ein wenig weicher. „Das kann man tatsächlich.“ „Yeah. Du hast ja mit ihm gegen den Dunklen Lord gekämpft. Du weißt das aus erster Hand.“ Harry nickte. „Auch wenn irgendwie alle Welt gerne vergisst, dass Ron dabei war.“ „Oh, das ist ihm kaum unrecht.“ Zabini grinste. „Du hast noch nicht gehört, wie er dich für deinen Heldenstatus bedauert.“ „Das hätte ihm mal jemand vor fünfzehn Jahren sagen sollen, als er mich noch dauernd beneidet hat.“ Harry rollte mit den Augen. Jetzt lachte Zabini und das war ein überraschend angenehmes Geräusch. „Du bist also Auror geworden.“ Es war keine richtige Frage, die er äußerte, vielmehr eine Feststellung. Schließlich befanden sie sich hier ja in der Aurorenzentrale. „Exakt. Ich habe zwei Jahre nach Ron angefangen, aber ja. Ich bin auch Auror. Und ich wette, das überrascht dich. Als ehemaliger Slytherin und so.“ Zabini lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es ist ja bekannt, dass du mit uns Slytherins immer so deine Probleme hattest. Und wie ich gelernt habe, bleiben manche Vorurteile auch über die Jahre bestehen. Ron war schließlich genauso.“ Harry fühlte sich unangenehm ertappt. Schließlich war ihm dieser Gedanke gerade erst durch den Kopf geschossen. „Aber vermutlich hast du es auch nicht gerade leicht damit, Leuten zu vertrauen.“ Damit legte Zabini den Finger zielsicher in eine sehr tiefe Wunde. In den letzten Jahren hatten die meisten Menschen, die Harry gekannt und gemocht und denen er vertraut hatte, Geschichten über und Erlebnisse mit ihm an die Presse verkauft. Selbst ehemalige Geschenke von ihm waren meistbietend verkauft worden. Es war demütigend und deprimierend. „Du bist gut.“ Harry nickte und verschränkte ebenfalls die Arme. Er fühlte sich unangenehm durchschaut und verletzlich. „Werde ich diese Geschichte auch in Kürze im Tagespropheten lesen dürfen? Oder doch in der Hexenwoche?“ „Wer von beiden zahlt besser?“, konterte Zabini und Harry spürte, wie er blass wurde. „Mensch, Potter, das war ein Scherz!“, schob dieser sofort hinterher. „Du verträgst echt nichts mehr, oder?“ „Überrascht dich das?“ Harry biss die Zähne zusammen. „Nein, eigentlich nicht.“ Zabinis Blick wurde nachdenklich, dann sah er zur Tür. „Wenn du willst, kannst du jetzt gehen. Sie dürften weg sein und auf irgendeiner anderen Etage herumrennen. Ich kann dir unseren Notfallkamin zeigen. Dann läufst du niemandem mehr über den Weg.“ Ein Seufzer entfuhr Harry. „Ich weiß nur nicht, wo ich hin soll.“ Er fühlte sich kläglich. „Wenn ich jetzt bereits nach Hause komme, kann ich mir von Esmi etwas anhören und glaub mir, das gehört zu den Dingen, die nicht erstrebenswert sind. Ich sollte vor heute Abend nicht daheim auftauchen.“ „Okay...“ Nun war es an Zabini überrascht zu sein. Nachdenklich legte dieser die Stirn in Falten. „Lust auf ein Abenteuer?“ „Was?“ „Lust auf ein Abenteuer, Potter? Jetzt, sofort, in meiner umwerfenden und unberechenbaren Begleitung?“ Skeptisch betrachtete Harry den anderen Mann. Was wusste er schon über Zabini? So gut wie gar nichts. Außerdem war dieses wie aus Ebenholz geschnitzte Gesicht für ihn ein Rätsel. Sicher, Zabini hatte eine lebendige und äußerst ausdrucksstarke Mimik und doch hatte Haryy keine Ahnung, was hinter dieser Stirn eigentlich vor sich ging. „In Ordnung.“ Er war von sich selbst überrascht, als er seine Zustimmung gab. Er hatte keine Ahnung, was Zabini vorhaben könnte, aber es war alles besser, als sich eine Standpauke von Esmi anhören zu müssen. Einen kurzen Moment lang hatten sie noch abgewartet, ob wirklich alle Neugierigen verschwunden waren. In der Zeit hatte Zabini ihm eine dicke Daunenjacke in die Hand gedrückt und was von „Ersatzjacke, stör dich nicht am Drachensabber“ gemurmelt, dann hatte Zabini Harry zu besagtem Notfallkamin geführt und sie waren in einem leeren Ladenlokal am Rande der Winkelgasse rausgekommen. Dort hatte Zabini ihn dann aber auch nur direkt nach draußen gebracht und jetzt standen sie in Muggel-London. Harry schaute sich um. Er konnte sich kaum erinnern, wann er das letzte Mal in dem Muggel-Teil der Stadt gewesen war. Zwischendurch hatte er sich tatsächlich mal hier bewegt und sich frei und unbeobachtet gefühlt. Aber irgendwann waren Einsamkeit und Unwohlsein dazu gekommen, also hatte er es dann gelassen. Mit Muggeln befreundet zu sein schien im Angesicht des Durcheinanders seines Lebens auch keine gute Idee zu sein. Jetzt schaute er sich um und bemerkte die Hektik der Londoner. Sicher, es war Dezember. Das Weihnachtsgeschäft lief auf Hochtouren und sie alle waren unterwegs, um Geschenke für ihre Lieben zu besorgen. Er dachte an die Weasleys, die ihn gerne zum Fest um sich haben wollten. Dann dachte er unwillkürlich an die Einsamkeit, die ihn manchmal zu ersticken drohte. Er musste wirklich etwas dagegen tun. „Okay, warst du schon mal im Winter Wonderland?“, fragte Zabini. „Wo?“ „Eindeutig nicht.“ Zabini grinste breit und offenbar sehr zufrieden. „Wunderbar.“ Sie nahmen die U-Bahn bis zur Station Maple Arch, von dort war es nur noch ein nicht allzu langer Fußweg durch den winterlichen Hyde Park bis zu dem berühmten Winter Wonderland. Eine große Menschenmenge drängte auf den Eingang zu und Harry war für eine kurze Zeit unbehaglich. Dann ging ihm auf, dass sich absolut niemand hier für ihn interessierte, und langsam entspannte er sich. Hier war er einfach nur irgendjemand. Und das fühlte sich unbeschreiblich gut an. Staunend betrat Harry das Wunderland und sah sich mit großen Augen um. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass es so etwas in der Muggelwelt gab. Wenn er das gewusst hätte, wäre er schon vorher hierher gekommen. Obwohl es noch hell war, glitzerten überall Lichter an den teilweise schon fast überladen dekorierten Attraktionen. Hier war ein Karussell, dort ein Riesenrad, da eine Achterbahn. Es gab Buden für Kinkerlitzchen sowie Essen und Getränke. Die Gerüche mischten sich zu einem ganz eigenen Duft. Dann ging Harry auf, dass er stehen geblieben war und sich mit offenem Mund umschaute. Die Muggel strömten an ihnen vorbei und einigen Kindern ging es ähnlich wie Harry. Auf einmal erinnerte er sich, dass Zabini neben ihm stand. Ihm wurde heiß und mit brennenden Wangen sah er sich zu dem Auror um. Doch dieser grinste nicht spöttisch, sondern lächelte stattdesse sehr zufrieden. „Willkommen im Winter Wonderland“, sagte Zabini und drehte sich mit ausgebreiteten Armen einmal um sich selbst. Schlagartig fühlte sich Harry weniger verlegen. „Ich bin dafür, dass wir mit dem Christmas Market anfangen. Denn wenn du noch nie hier warst, musst du den unbedingt einmal gesehen haben“, schlug der andere auch schon vor. „Okay.“ Harry hob die Schultern und ließ sich von Zabini in die richtige Richtung schieben. Durch ein weiteres Tor ging es, dann betraten sie Angels Christmas Market und verschiedene kleine Holzbuden, die weihnachtlich geschmückt und beleuchtet waren und in denen die unterschiedlichsten Dinge verkauft wurden, umgaben sie. Er ließ sich von der Flut an Weihnachtsdekoration, Lichtern, den verschiedenen Düften, den ganzen verschiedenen Dingen, die es zu bestaunen gab, einfach mitreißen und von Zabini durch das Gedränge führen. Ihm war schon klar, dass er diesem auf einmal blind vertraute, aber er fühlte sich gerade einfach vollkommen überwältigt. Schließlich hielten sie vor einer ganz klassischen Pommesbude inne. „Ich finde, jetzt ist es Zeit für etwas zu essen“, erklärte Zabini und stellte sich an. Harry gesellte sich zu ihm und meinte plötzlich: „Ich habe kein Muggelgeld.“ „Ich aber.“ Zabinis Seitenblick schien Bände zu sprechen, aber Harry hatte keine Ahnung, was er ihm damit sagen wollte. „Ich geb's dir wieder.“ „Brauchst du nicht. Betrachte dich einfach als eingeladen.“ Ein wenig zu schnell sah Zabini nach vorne, gab ihre Bestellung auf und zahlte direkt. Harry stutzte. Was mochte Zabini für Hintergedanken haben? Würde er ihn doch an die Hexenwoche verkaufen? Aber als dieser ihn mit den zwei Papptellern Pommes in den Händen zu einem freien Stehtisch lotste und dort genüsslich in die ersten Pommes biss, schob Harry diesen Gedanken bei Seite. Was es auch war, er hatte keine Lust, sich seinen ersten freien Tag durch finstere Gedanken verderben zu lassen. Was auch immer das hier war und für Konsequenzen hatte, er würde es akzeptieren. „Okay, Zabini, was soll das hier?“, fragte Harry schließlich, nachdem sie aufgegessen hatten. „Was meinst du?“ „Das alles hier. Warum bringst du mich hierher? Und wieso kannst du das während deiner Arbeitszeit überhaupt?“ Harry besann sich auf die halbwegs logischen Schlussfolgerungen, die ihm während seiner Schulzeit ständig das Leben gerettet hatten. „Das ist einfach ein Notfall.“ Zabini schob die Unterlippe vor. „Stimmt doch auch, oder? Der Notfall ist, dass der große Held der Zauberergeschichte sich nicht nach Hause traut, weil er dort sonst die Ohren langgezogen bekommt.“ Ein freches Grinsen huschte über sein Gesicht. „Weißt du, ich kann auch einfach gehen.“ Harry verschränkte die Arme vor der Brust. „Könntest du, willst du aber gar nicht.“ Zabini beugte sich vor und ein herausforderndes Funkeln stand in seinen tiefbraunen Augen. „Und weißt du warum? Weil du in deinem selbst gewählten Exil eingehst. Weil du dringend etwas Ablenkung brauchst. Und weil ich dir Nervenkitzel verschaffe. Weil du mit mir unterwegs bist und du keine Ahnung hast, was ich vorhabe. Das macht dich nervös und das gefällt dir. Und weil du etwas Neues siehst und davon gar nicht mehr genug bekommen kannst.“ Stirnrunzelnd erwiderte Harry den noch immer durchdringenden Blick des anderen. „Was macht dich da so sicher?“ „Du bist immer noch hier.“ Zabini grinste breit und richtete sich wieder auf. „Also, hast du Lust Ausschau nach Weihnachtsgeschenken zu halten? Ich könnte Hilfe bei dem für meine Mutter gebrauchen.“ Einen Augenblick lang zögerte Harry noch, dann hob er die Schultern. „Okay. Vielleicht sehen wir ja was Nettes für Teddy, mein Patenkind.“ „Mit Sicherheit.“ Zabini lächelte ein sehr breites Lächeln, bei dem perlweiße Zähne blitzten. Dieses Mal schlenderten sie zielgerichteter los und bereits zwei Stände weiter hatte Harry für Ginny und Hermione jeweils einen schönen Schal und für Ron eine Mütze erstanden. Zabini bezahlte für ihn, da Harry ja immer noch das Muggelgeld fehlte. Harry drückte diesem daraufhin die entsprechende Menge an Galleonen in die Hand. Sich zum Essen einladen zu lassen war etwas anderes als seine Weihnachtsgeschenke von jemand anderem bezahlen zu lassen. Mit einem kurzen Nicken nahm Zabini diese an und besiegelte damit ihren Deal. Danach gingen sie weiter und blieben regelmäßig bei den verschiedenen Ständen stehen. Während Harry schnell ein aufziehbares Modellauto für Mr. Weasley und eine schöne Kette mit bunten Steinen für Mrs. Weasley gefunden hatte, schaute Zabini bei jedem Stand abwägend über die Auslage und schüttelte dann doch den Kopf. „Okay, was würde deiner Mutter denn gefallen?“, fragte Harry schließlich. „Ein neuer Ehemann“, entgegnete Zabini trocken und fuhr fort, als sein Gegenüber ihn nur fragend ansah: „Meine Mutter ist mittlerweile zum neunten Mal verheiratet. Achtmal ist sie schon Witwe geworden. Frag nicht. Keine Ahnung, wie es mit Nummer neun momentan läuft. Aber nach meinem Gefühl ist das nicht für die Ewigkeit. Ich weiß nicht, ob irgendetwas bei ihr für Dauer ist – außer mir. Keine Ahnung, wie ich überhaupt entstanden bin.“ „Weißt du nicht, wer dein Vater ist?“ „Doch. Aber was bringt das, wenn ich mich eh nicht an ihn erinnern kann? Er ist gestorben, als ich zwei war. Danach habe ich sechs Stiefväter kennengelernt. Die ersten habe ich noch Dad genannt, die nächsten waren mir dann auch egal.“ „Scheint, als wenn deine Mum sehr lebensbejahend ist und sich immer wieder nach solch schlimmen Erfahrungen aufrappelt. Vielleicht ist sie auch unbeständig. Aber sie muss eine sehr starke Frau sein, wenn sie immer wieder neu anfangen kann.“ Nachdenklich schaute Zabini Harry an. „Ja, vielleicht. Sie ist warmherzig. Und ich weiß, dass sie mich liebt und dass ich ihr ein und alles bin.“ Ein schiefes Lächeln glitt über sein Gesicht. „Das ist doch großartig.“ Harrys Lächeln besaß eine gewisse Wehmut. „Sorry. Ich jammere über meine Mutter und du...“ „Schon gut. Es ist lange her und mir geht es gut. Sieh mal da. Was meinst du zu diesen Spieluhren?“, lenkte Harry ab, fasste Zabini am Arm und zog ihn zu einem Stand. Dort angekommen bemerkte er verlegen, dass seine Hand noch immer auf Zabinis Arm lag und ließ ihn schnell los. Zabini zog die Augenbrauen hoch und lächelte undeutbar. „Ja... Die sind schön.“ Als es längst dunkel geworden war, ließen sie den Tag bei einer Tasse heißer Schokolade in einem kleinen Café ausklingen. Neben ihnen standen Tüten voller Weihnachtsgeschenke, denn beide waren sie schließlich auf dem Weihnachtsmarkt in dieser Hinsicht sehr erfolgreich gewesen. Harry musste zugeben, dass er sich schon lange nicht mehr so amüsiert hatte. Außerdem hatte er sich endlich mal wieder wohl in seiner Haut gefühlt. Das war schön. „Oh, bei Merlin, ich liebe heiße Schokolade.“ Blaise – irgendwann im Laufe dieses Tages war aus Zabini Blaise für ihn geworden – pustete in die heiße Flüssigkeit. Dann holte er aus seiner Jackentasche eine kleine Flasche heraus. „Und am besten ist sie immer mit einem Schuss Feuerwhisky.“ Er bot auch Harry die Flasche an und dieser nickte. Einträchtig tranken sie aus ihren Tassen und ein Gefühl von wohliger Wärme breitete sich in Harry aus. „Ich würde eigentlich gerne irgendwann mal Eislaufen gehen“, sagte Harry schließlich. Für heute war er dazu zu müde, aber dafür würde er garantiert noch mal hierher kommen. „Aber nicht mehr heute, oder?“, vergewisserte sich Blaise. „Meine Füße tun weh.“ „Nein.“ Harry winkte ab. „Du musst auch nicht mitkommen. Sicher hast du viel zu tun. Ganz im Gegensatz zu mir.“ Ein schiefes Lächeln glitt über sein Gesicht. „Oh, ich hätte aber nichts dagegen.“ Blaise lächelte. Dann schaute er auf seine Uhr und sein Gesicht wurde ernst. „Ich muss leider los. Da ist noch ein Bericht, den ich schreiben muss. Wenn er nicht morgen früh fertig bei meinem Boss auf dem Tisch liegt, gibt das Ärger.“ Er erhob sich. „Es hat mich gefreut, Harry. Erwarte meine Eule.“ Er schenkte Harry noch ein warmes Lächeln, berührte diesen beiläufig an der Schulter und war schon aus dem Café. Zwei Tage später schickte Harry ein Flohfeuertelegramm an seine beste Freunde Ron Weasley und Hermione Granger Weasley. Keine fünf Minuten später kam die Antwort mit einer spontanen Einladung zum Abendessen. Harry streckte seiner Hauselfe Esmi die Zunge raus, als er sich vor dem Kamin bereit machte, das Flohnetzwerk zu nutzen, denn er hatte ihr zufriedenes Lächeln gesehen. Vermutlich wollte sie ihn jetzt schon am liebsten mit Blaise verheiraten, denn dieser hatte es irgendwie geschafft, ihn aus seiner Lethargie zu reißen. Er hing nicht mehr nur Zuhause herum, sondern entdeckte den Muggelteil von London für sich als seinen persönlichen Zufluchtsort. Und er fragte sich, warum er das nicht schon längst getan hatte. Die Muggelwelt war so groß und bis zu seinem elften Geburtstag seine einzige Welt gewesen. Warum nur hatte er sie vergessen? Natürlich – die Magie hatte ihn gereizt und war von Anfang an das gewesen, was ihn fasziniert hatte. Die Magie in all ihren Facetten war etwas, was er abgöttisch liebte und was ihn immer noch in Erstaunen versetzen konnte. Aber in dieser Welt war er nun einmal ein Held seit er siebzehn war und kein kleiner Junge mehr, der sprachlos vor einem Drachen, einem Einhorn oder Kelpie stehen bleiben durfte. Ron umarmte ihn freundschaftlich, als er ankam, und Hermione drückte ihn herzlich. „Harry, wie schön!“, rief sie aus. „Störe ich auch nicht?“, erkundigte Harry sich. Er wusste ja, wie ihre Arbeitstage üblicherweise aussahen. Als Vorsitzende des Zauberergamots machte Hermione eigentlich jeden Tag Überstunden und auch Rons Arbeitstag als Auror gehorchte nicht immer den Gesetzen eines gemütliche 9-to-5-Jobs. Dazu kam, dass die beiden noch kein Jahr verheiratet waren und sicherlich auch ihre Zweisamkeit als junges Ehepaar genießen wollten. „Quatsch.“ Ron winkte betont lässig ab, während Hermione Harry einen Klaps auf den Arm gab. „Nach all dem, was wir durchgestanden haben, Harry? Niemals.“ Sie lächelte breit. Es war nicht zu übersehen, dass beide eine wunderbare Gelassenheit umgab. Diese sorgte dafür, dass Harry sich allmählich entspannte und sich somit ganz gelassen in das gemütliche Sofa ihres kleinen Hauses in Godric's Hollow fallen ließ. „Hast du Lust auf Spaghetti? Ich muss nur noch das Nudelwasser anstellen“, erkundigte sich Ron. „Du kochst?“ Harry zog die Augenbrauen hoch. Sein bester Freund lief rot an und seine Gesichtsfarbe machte binnen Sekundenbruchteilen seinen Haaren Konkurrenz. „Wir wechseln uns ab. Und ich kann nur Spaghetti richtig gut. Sei froh, dass du nicht am Auflauftag gekommen bist. Ich übe noch.“ Hermione kicherte und auch Harry musste unwillkürlich loslachen. Nach einem kurzen Moment des Schmollens stimmte Ron mit ein. Die Spaghetti waren auch tatsächlich lecker. Nach dem Essen ging es mit selbstgemachter Limonade und Schokoladeneis auf die Couch. „Also, erzähl, Harry. Wie geht es dir?“, fragte Hermione und schaute den langjährigen Freund prüfend an. „Du meldest dich so selten und auf einmal eine dringende Nachricht von dir? Das macht neugierig.“ Ron schaute seine Frau an, als wenn sie den Verstand verloren hätte, dann war auf seinem Gesicht mehr als deutlich abzulesen, wie ihre Worte bei ihm ankamen und auch bei ihm den Denkprozess anstießen. Dann sah auch er Harry fragend an. „Mione, du bist schrecklich.“ Harry rang sich ein Lächeln ab. „Ich... Keine Ahnung. Ich versuche aus meinem Elfenbeinturm rauszukommen. Nachdem ich neulich im Ministerium war und dort in der Aurorenzentrale vor Fans flüchten musste, bin ich über deinen Kollegen Blaise Zabini gestolpert.“ Er nickte Ron zu. „Ah, Blaise ist cool.“ Der Rotschopf grinste breit. „Der beste Büropartner, den man haben kann. Hat mir mit ein paar Schockzaubern schon den Hals gerettet und ich ihm umgekehrt. Neulich waren wir in Westminster und...“ „Ron, Schätzchen...“ Hermione tätschelte ihm die Hand. „Das darfst du nachher erzählen. Jetzt möchte ich gerade wissen, was Harry mit dem guten Blaise noch so unternommen hat, dass er auf einmal wieder so lebhaft ist wie zu unserer Schulzeit.“ Ron klappte den Mund auf, um zu protestieren und schloss ihn wieder. „Genau. Schieß los“, forderte er Harry auf. Dieser musste sich mit Mühe ein Lachen verkneifen. Bei Merlin, er hatte die beiden vermisst. „Blaise hat mich versteckt und ist danach mit mir in den Hyde Park ins Winter Wonderland gegangen.“ „Cool“, sagte Ron. „Ist da wirklich ein Riesenrad?“ „Ja, aber das haben wir nicht benutzt. Wir sind über den Weihnachtsmarkt gegangen, haben uns unterhalten und die Zeit ist verflogen.“ Harry lächelte versonnen. Als er seine Freunde wieder anschaute, stand auf Hermiones Gesicht ein breites Grinsen, während Ron laut zu überlegen begann, ob das Riesenrad nicht doch einen Besuch wert sein könnte. „Was?“ Skeptisch legte Harry das Gesicht in Falten. „Du magst ihn. Auf welche Art auch immer. Aber du magst ihn.“ Hermiones Grinsen hielt sich. Jetzt begriff auch Ron. „So, so, so... Ein Slytherin, hm? Du stehst auf Abenteuer.“ „Ich steh auf gar nichts.“ Harry warf sich unwirsch zurück gegen die Lehne der Couch. „Es war nur ein Nachmittag. Als Kumpels. Nichts anderes.“ „Wer weiß.“ Beschwichtigend strich Hermione ihm über das Knie. „Aber du solltest vielleicht rausfinden, was für ein Potenzial da drin steckt.“ „Jo“, lautete Rons konstruktiver Beitrag. „Er hatte mir eine Eule versprochen und heute kam sie.“ Harry zog den knappen Brief aus der Hosentasche. Er war kur 'Mittwochabend Eislaufen? Passt dir um sechs vorm Wonderland? Würde mich freuen. Blaise.' „Harry, das ist gerade die Grenze zum Date“, erklärte Hermione, nachdem sie den Brief gelesen hatte. „Gut geschrieben. Auffordernd, nett, aber unverbindlich genug. Und trotzdem sagt er direkt genug, dass er dich gern sehen würde.“ „Das kannst du darin alles lesen?“, fragte Ron verblüfft und erntete dafür einen belustigten Seitenblick. „Hast du eine Ahnung, mein Lieber.“ „Was liest du denn dann darin, wenn ich dir Frühstück mache?“ „Dass du mich liebst.“ Hermione gab ihrem Mann einen liebevollen Kuss. „Yeah, das könnte ein Date sein“, brachte Harry die Aufmerksamkeit auf das Thema wieder zurück. „Und ich hab keine Ahnung, ob ich eins will.“ „Hey, du entscheidest mit“, warf jetzt Ron ein. „Wenn du kein Date willst, dann triffst du dich einfach mit einem Kumpel. Mach einfach nichts, was eine Andeutung sein könnte.“ „Ganz genau.“ Jetzt warf Hermione Ron einen beinahe schon bewundernden Seitenblick zu. „Sag zu und tu nur, was sich gut anfühlt. Das wird dann schon.“ „Yeah...“ Harry steckte den kurzen Brief wieder ein und war sich noch immer nicht sicher, ob er zusagen sollte. „Begeisterung sieht anders aus“, stellte Hermione trocken fest. „Hey, das ist jetzt ein Jungsding“, warf Ron ein. „Das mit dem Öffnen und Aufgeschlossen sein ist nicht immer so einfach. Das mit dem Reden auch nicht. Und versetz dich mal in Harrys Lage. Er ist der berühmteste lebende Zauberer des Landes. Sein letztes Date ist auf der Titelseite des Tagespropheten, der Hexenwoche und noch sonst wo gelandet. Die meisten Leute finden ihn toll, weil er Harry Potter ist. Und nicht, weil er einfach nur Harry ist. Also darf er skeptisch sein. Und also darf er auch überlegen, ob er sich überhaupt auf solch ein Abenteuer einlassen will. Er muss nicht sofort mit Blaise zum Happy End in den Sonnenuntergang segeln.“ Ron schnappte nach Luft und fuhr fort: „Ich weiß, du kannst das schon sehen, Mione. Aber das ist die Jungssicht. Und die sagt: Schau erst mal und warte ab. Und wenn dann der Moment kommt, wo du wirklich die Vorsicht über Bord werfen willst und dir sagst: Ok, mit diesem Menschen will ich echt soviel Zeit verbringen, wie es nur geht. Dann funkt es und dann bist du auch soweit. Nicht vorher.“ Harry musste unwillkürlich grinsen. „Und falls Zabini ein falsches Spiel spielt, dann wird Harry ihm ganz schön kräftig in den Hintern treten.“ Ron grinste breit. „Stimmt's?“ „Stimmt.“ Mindestens genauso breit erwiderte Harry dieses Grinsen. Hermione dagegen verdrehte die Augen. „Nun, so oder so solltest du dich dann auf dieses Möglicherweise-Date einlassen.“ „Hast du eine Feder?“ Einen kurzen Augenblick später hatte Harry eine Antwort auf die Rückseite von Blaises Nachricht geschrieben und schickte sie mittels der Expresseule seiner Freunde ab. Der Mittwoch kam schneller als gedacht. Harry wusste noch immer nicht so wirklich, was er über diese Verabredung denken sollte. Er wusste nur, dass er sich tatsächlich darauf freute und recht nervös war. Er hatte Blaise gebeten, ihn Zuhause abzuholen. Zum einen wollte er nicht noch mal das Ministerium aufsuchen und ihn auch nicht irgendwo draußen treffen und zum anderen wollte er die Gelegenheit nutzen, dass seine geschickten Hauselfen Blaise einmal durchcheckten. Esmi und ihr Team waren in dieser Hinsicht ausgezeichnet. Für den Untersuchten bedeutet das Ganze nur einen kurzen Augenblick des Unwohlseins, danach war es schon vorbei. Und Harry musste zugeben, dass er das in diesem Fall durchaus zumutbar fand. Er hörte die Türglocke und straffte sich. Er hatte sich für Jeans und einen warmen Wollpulli entschieden. Außerdem hatte er Schal, Handschuhe und die Jacke bereitgelegt, die ihm Blaise das letzte Mal geliehen hatte. Er hatte sie ihm noch nicht zurückgegeben, auch wenn er nicht so genau wusste warum. „Harry Potter Sir, er ist sauber.“ Esmi war quasi aus dem Nichts hinter ihm erschienen. „Snoffi begrüßt ihn gerade.“ „Danke, Esmi.“ Harry nickte und fühlte eine eigentümliche Erleichterung. „Keine Aufzeichnungszauber, keine Überwachungszauber, keine Muggelgeräte zur Aufzeichnung oder Ähnliches“, sprach sie eifrig weiter. „Danke.“ Er rollte mit den Schulter, um einige nervöse Verspannungen zu lösen. „Harry Potter Sir mag diesen Mann.“ Abrupt schaute Harry die Hauselfe an. „Es ist nicht zu übersehen“, sagte sie sanft. „Na wunderbar.“ Harry fuhr sich durch die Haare. „Das ist gut, Sir.“ Esmi lächelte und ihre spitzen Ohren zuckten vor Begeisterung. „Sie sind schon viel zu lange alleine.“ „Du brauchst mich nicht zu verkuppeln, Esmi.“ Mit einem schwachen Lächeln klopfte er der Hauselfe auf die Schulter. „Aber ich weiß zu schätzen, dass du dir Sorgen machst.“ Harry zog die Jacke über und schnappte sich Schal und Handschuhe. „Viel Spaß, Sir.“ Harry schnitt eine kurze Grimasse und ging dann die Treppe hinunter, um Blaise in der Eingangshalle zu begrüßen. „Hübsches Haus“, sagte dieser und schaute sich neugierig um. Die Eingangshalle war einfach gestaltet. Ein paar hölzerne Stühle, ein Tischchen, der Besucherkamin, eine Garderobe und ein großes Bild, das einen Hippogreif über einem See zeigte. „Und eine gute Idee außerhalb der Stadt zu wohnen.“ „Bislang habe ich es zumindest noch nicht bereut“, sagte Harry trocken. Sein Haus lag am Rande der Cotswolds. Nah genug an Muggeln, weit genug weg von Hexen und Zauberern. Aus dem Haus am Grimmauld Place war er nach der Trennung von Ginny ausgezogen und nachdem es eine Weile leer gestanden hatte, hatte er es für eine Stiftung zur Verfügung gestellt, die er auf Anraten von Professor McGonagall ins Leben gerufen hatte. Sie hieß Friendly Freedom und setzte sich für die Verständigung zwischen Muggeln, Hexen und Zauberern und dem Abbau von Vorurteilen ein. Er hatte dort schon viel zu lange nicht mehr vorbeigeschaut und nur noch auf dem Papier an den Aktivitäten teilgenommen. Blaise lächelte und ließ seine weißen Zähne blitzen. „Gefällt dir die Jacke?“ Als Antwort hob Harry die Schultern. „Ich habe noch keine neue gekauft. Wenn du sie wiederhaben willst, sag Bescheid.“ „Nein. Ich mag die Vorstellung, dass du meine Jacke trägst.“ Jetzt wurde Blaises Lächeln nur noch breiter. Sie nahmen nicht die Eisbahn im Hyde Park, sondern die am Tower of London. Allein die Kulisse mit der gewaltigen Burg war schon atemberaubend. Die Lichter waren zwar ein wenig übertrieben und leicht kitschig, aber andererseits war Weihnachten die Zeit des Jahres, in der so etwas in Ordnung war. Weihnachten durfte kitschig sein und die Vorweihnachtszeit genauso. Sie kauften Karten und liehen sich dann Schlittschuhe aus. „Bist du schon mal gefahren?“, erkundigte sich Blaise, während er seine Schlittschuhe anzog. „Es ist ein paar Jahre her und ich war nicht besonders gut.“ Harry hob die Schultern. „Es wird also eher interessant.“ „Ich kenne einen guten Zauber gegen blaue Flecken.“ Die dunklen Augen funkelten Harry auf eine Art an, die dieser schwer zuordnen konnte. Er meinte darin nicht nur Belustigung zu sehen. „Ich komme eventuell darauf zurück.“ Ein wenig wackelig richtete sich Harry auf den Kufen auf. Seine ersten Schritte auf dem Eis waren tatsächlich eher unsicher. Dass Blaise neben ihm locker daher glitt und keine sichtbare Mühe hatte, kratzte ein wenig an Harrys Ego. Ein wenig half ihm seine Quidditcherfahrung, denn diese bedeutete zumindest, dass er ein ganz gutes Gleichgewicht hatte. So wurde es allmählich besser und er schaffte es, einigermaßen schwungvoll an den Anfängern, die sich am Rande der Bahn an das Geländer und Laufhilfen wie hölzerne Pinguine klammerten, vorbeizugleiten. „Wettrennen?“, forderte Blaise ihn plötzlich heraus. „Immer.“ Harry grinste. Einem Wettkampf hatte er noch nie widerstehen können. Außerdem fühlte er sich mittlerweile sicher genug, um sich auf die Herausforderung einzulassen. Natürlich war Blaise viel sicherer auf den Kufen unterwegs und blieb vorne, doch Harry ließ sich nicht einfach so abhängen. Auf der zweiten Runde jedoch war er einmal den Wimpernschlag zu langsam, um einem anderen Läufer auszuweichen. Um nicht mit dem Fremden zusammenzuprallen, entschied er sich für das effektive Fallenlassen. Harry schlidderte über das Eis und bremste recht unelegant an der Bande. „Alles okay?“ Er rappelte sich gerade auf, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte und bemerkte, dass ihm diese Stimme bekannt vorkam. „Ja, geht schon.“ Als er hochschaute, erkannte er den anderen. „Dean. Hallo.“ „Hey, Harry.“ Dean Thomas grinste ihn breit an. Der ehemalige Klassenkamerad war – genau wie er selbst – zwar durchaus gealtert –, hatte sich aber auf den ersten Blick kaum verändert. Harry ließ sich auf die Beine ziehen, als eine hübsche junge Frau mit dicken braunen Locken zu ihnen kam. „Dean, alles in Ordnung?“ „Ja, Libby.“ Dean strahlte die Frau an. „Das ist Harry. Mein ehemaliger Klassenkamerad.“ „Hi.“ Libby lächelte Harry freundlich an. „Hallo.“ Harry lehnte sich gegen das Geländer und spürte erst jetzt, dass die Landung auf dem Eis doch etwas weh getan hatte. Wo Blaise wohl war? „Libby ist meine Frau.“ Dean legte ihr den Arm um die Hüfte und sein Lächeln wuchs nur noch mehr in die Breite. „Wir feiern unseren Hochzeitstag hier.“ „Herzlichen Glückwunsch.“ Harry fühlte sich seltsam steif und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Immerhin kannte Dean ihn schon aus der Zeit vor seinem heldenhaften Sieg über Voldemort. Sie hatten sich den Schlafsaal im Gryffindorturm geteilt und somit gehörte Dean zu denjenigen, die Harry auch einfach als normales Kind und als normalen Teenager erlebt hatten. „Und du genießt die Zeit fernab des Trubels?“, erkundigte sich Dean. „Ja... Du weißt schon. Berühmt sein und so.“ Harry hob die Schultern. „Nach allem, was ich mitbekommen habe, muss das echt ätzend sein. Ich hoffe, du hast hier deine Ruhe.“ Dean verstummte. „Und ich hoffe, wir nerven dich jetzt nicht.“ Sein Lächeln wurde verlegen. „Dean, du niemals.“ Harry lächelte und klopfte dem Schulfreund auf die Schulter. Dean gehörte zu den wenigen, die wirklich nichts über ihn in irgendwelchen Interviews erzählt hatten. Da Libby bislang noch nichts gesagt hatte, vermutete er, dass sie entweder ein Muggel war und einfach nur sehr höflich. So oder so war er dankbar dafür, dass sie nicht in die übliche Fan-Starre verfiel, die ihm so oft begegnete. Jetzt musste Dean lachen. „Wer gemeinsam Snape ausgehalten und die Slytherins bekämpft hat, steht immer zusammen, nicht wahr?“ „Ganz genau.“ Harry grinste breit. „Was machst du jetzt?“ „Sportkorrespondent für den Tagespropheten. Ziemlich cool. Ich berichte nicht nur über Quidditch, sondern darf auch Fußballberichte abliefern.“ „Das ist für dich ja perfekt.“ Deans Fußballbegeisterung war etwas, an das Harry sich sehr gut erinnerte. Und an die Diskussionen zwischen Dean und Ron über die Vorzüge von Fußball gegenüber Quidditch und umgekehrt. Auch wenn ihn die Erwähnung der größten magischen Tageszeitung schon wieder leicht nervös machte. „Was machst du, Harry?“, erkundigte sich Dean. Libby hörte aufmerksam zu, beteiligte sich aber nicht aktiv. Es war unübersehbar, dass sie Harry nicht erkannte. „Nichts Konkretes. Ein Held zu sein hat zumindest finanzielle Vorteile. Ich muss mir über nichts Gedanken machen. Ich möchte im neuen Jahr wieder mehr Zeit in meine Stiftung Friendly Freedom investieren. Vielleicht hast du ja mal Lust einen Vortrag über verschiedene Sportarten zu halten.“ Diese Idee kam ihm spontan. „Immerhin geht es ja um die Verbesserung der Beziehungen zwischen Zauberern und Muggeln.“ „Um zu verhindern, das noch mal so etwas passiert wie damals?“, führte Dean den Gedanken üver die Tätigkeit der Stiftung weiter und Harry nickte nur. „Sehr gerne. Schick mir einfach deine Eule, dann machen wir was aus.“ „Harry! Verdammt!“ Blaise kam auf sie zugelaufen. Er sah erhitzt und etwas besorgt aus. „Du warst auf einmal weg und ich habe dich überall gesucht! Was...“ Er brach ab, als er die beiden Personen bei Harry sah. „Hallo.“ Seine Augenbrauen wanderten nach oben. „Blaise Zabini.“ Dean begrüßte Blaise freundlich, aber distanziert, und stellte dann seine Frau knapp vor. „Ihr seid zusammen unterwegs?“, erkundigte er sich dann neugierig. „Ja.“ Harry nickte, weil Blaise keine Anstalten machte, etwas zu sagen, sondern nur mit vor der Brust verschränkten Armen daneben stand. Er wirkte einerseits abwartend, als wenn er Harry überlassen wollte zu entscheiden, was er sagen wollte, aber andererseits auch etwas ablehnend, als wenn er etwas gegen diese Störung einzuwenden hätte. „Blaise hat mich aus meinem Elfenbeinturm geholt und mich daran erinnert, dass es auch noch eine Welt gibt, in der nicht alle Leute wegen mir ausflippen.“ Harry bedachte Blaise mit einem warmen Lächeln. „Und Eislaufen war mein Wunsch. Also sind wir hier.“ „Cool.“ Dean nickte. „Hier habe ich vor drei Jahren Libby den Antrag gemacht. Das ist also ein guter Ort.“ „Ein sehr guter sogar.“ Libby gab Dean einen kurzen Kuss auf die Wange und dieser lächelte selig. „Aber jetzt müssen wir langsam weiter. Der Babysitter ist nur bis acht da.“ „Oh, ja.“ Dean grinste. „Macht es gut und viel Spaß noch.“ „Bis dann. Ich meld mich.“ Harry winkte den beiden nach, dann schaute er Blaise fragend an. „Was ist?“ „Ich wollte dich nur reden lassen.“ Blaise zuckte mit den Schultern. „Ich wusste nicht, was du sagen willst. Du bist ja ziemlich auf deine Privatsphäre bedacht. Sonst hätten mich deine Hauselfen heute nicht durchgecheckt.“ Harry lief knallrot an. „Das hast du gemerkt?“ „Harry, ich bin Auror. Natürlich habe ich das gemerkt.“ Blaise schüttelte den Kopf. „Und ich finde es okay. Es wäre eher seltsam gewesen, wenn du nichts dergleichen gemacht hättest.“ Dann glitt ein freches Lächeln über sein Gesicht. „Dir ist schon klar, dass die beiden gerade glauben, dass wir ein Date hätten, oder?“ Jetzt war es Harry, der die Arme vor der Brust verschränkte. „Und?“ „Nichts dagegen?“ „Sollte ich?“ „Ich weiß ja nicht...“ Erneut zuckte Blaise mit den Schultern. „Nö.“ Harry machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: „Ist das hier denn ein Date?“ Einen Moment lang sah Blaise Harry nur an, dann verzog sich sein Mund langsam zu einem breiten Lächeln. „Ich denke, das ist es. Denn du möchtest das offenbar genauso wie ich.“ Er trat einen Schritt auf Harry zu und drängte diesen beinahe gegen das Geländer. Harry erwiderte den direkten Blick ungerührt und seine grünen Augen blitzten. Sie waren beinahe exakt gleich groß. Nur ein, zwei Zentimeter mochten sie trennen. „Und was möchtest du noch?“, fragte er leise. „Du führst mich gerade echt in Versuchung.“ Blaise schüttelte den Kopf und lehnte diesen für einen Augenblick an Harrys Schulter. Kurz und ein wenig scheu fuhr Harry ihm durch die Haare. Dann zog er die Hand zurück. „Und jetzt?“ „Jetzt will ich eine heiße Schokolade, denn meine Beine sind eingefroren.“ Harry meinte kurz Blaises Atem auf seinem Gesicht zu spüren, ehe der andere sich wieder von ihm entfernte. Sie entschieden sich, zum Trafalgar Square zu fahren, um dort den Weihnachtsbaum zu bewundern. Dort gab es auch die heiße Schokolade, die sich Blaise gewünscht hatte, und mit den Bechern in der Hand betrachteten sie den Baum und genossen die Atmosphäre. Der Weihnachtsbaum wurde jedes Jahr aus Norwegen importiert und war sicherlich stolze 30 Meter hoch und festlich geschmückt. Die Lichter glänzten und verbreiteten ihren ganz eigenen Zauber. Irgendeine Muggel-Wohltätigkeitsorganisation sang unter dem Baum und sammelte Geld für einen guten Zweck. Harry erinnerten die Muggel-Lieder an seine Kindheit, in der Weihnachten eine eher traurige Angelegenheit gewesen war, weil sein Onkel und seine Tante nie einen Hehl daraus gemacht hatten, dass sie ihren Neffen eigentlich nicht bei sich hatten haben wollen und stattdessen ihren einzigen Sohn übermäßig verwöhnt hatten. Weihnachten war erst mit seinem Schulbeginn in Hogwarts zu etwas geworden, das er gemocht hatte. Er musste unwillkürlich lächeln, als er sich daran erinnerte. „Woran denkst du gerade?“, fragte Blaise neugierig. Harrys versonnenes Lächeln war ihm nicht entgangen. „An mein erstes Weihnachten in Hogwarts. Das war das erste schöne Weihnachtsfest, das ich erlebt habe. Als Ron mir gesagt hat, dass ich auch Geschenke bekomme... Ich hatte das Gefühl, als wenn mein Herz gleich explodieren würde, so aufgeregt war ich. Ich habe vorher noch nie großartig Geschenke bekommen.“ Er stockte. „Mein Onkel und meine Tante wollten mich nicht, sahen es aber als ihre Pflicht an, mich aufzuziehen. Sie haben mich ihre Ablehnung die ganze Zeit über spüren lassen und solche Dinge geschenkt wie alte löchrige Socken oder eine gebrauchte Zahnbürste.“ „Uh.“ Blaise verzog das Gesicht. „Das klingt nach nicht besonders netten Leuten.“ Harry zuckte mit den Schultern. „Sie sind, wer sie sind. Mittlerweile kommen wir besser zurecht. Viel hatte einfach damit zu tun, dass meine Tante auf meine Mutter – die Hexe – eifersüchtig war. Und damit, dass mein Onkel wiederum vor all dem magischen Zeug Angst hatte. Sie hatten vor mir Angst und vor dem, was ich sein könnte.“ „Ich weiß nicht, ob ich so nachsichtig sein könnte.“ Blaises Blick glitt von Harry zu dem Baum und wieder zurück. „Ich kann meiner Mutter noch immer nicht so recht verzeihen, dass ich so oft Weihnachten mit irgendwelchen Stiefvätern feiern musste, die ich nicht mochte... Am besten war das eine Jahr, als nur wir beide da waren. Das hat mir am besten gefallen.“ Er seufzte leise. „Am liebsten möchte ich Weihnachten eigentlich nur mit den Menschen verbringen, die mir wichtig sind.“ Er hob den Kopf und schaute Harry direkt in die Augen. „Und am allerliebsten mit diesem einen Menschen, der mir am meisten von allen bedeuten könnte.“ Harry erwiderte diesen intensiven Blick aus den dunklen Augen schweigend, während er das Gefühl hatte, dass er einmal vollkommen durchdrungen wurde. Beinahe gleichzeitig blickten sie beide wieder auf den Baum und Harry verspürte ein angenehmes Kribbeln im Bauch. Stumm lauschten sie, wie die Gruppe unter dem Baum das Lied 'O Come All Ye Faithful' anstimmte. Ein angenehme Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus und ohne groß darüber nachzudenken griff er nach Blaises Hand. Dieser drückte sie einfach nur und ganz von allein verflochten sich ihre Finger miteinander. „Okay, Harry, was zum Merlin hast du mit Blaise gemacht?“ Ron hatte Harry überraschend angefloht und jetzt blickte Harry an diesem Freitagabend reichlich verwirrt in die Flammen seines Kamins. „Was meinst du, Ron?“ „Der ist ja nicht mehr zurechnungsfähig. Ich musste ihm heute den Hals retten, als wir eine Razzia in der Nokturngasse durchgeführt haben. Er hat sich so durch die Gegend geträumt und das wäre fast schief gegangen. Das ist noch nie vorgekommen! Also, was hast du gemacht?“ Rons Stimme überschlug sich beinahe. „Gar nichts.“ Harry hob die Schulter. „Ehrlich. Eigentlich... ist nicht groß etwas passiert.“ Das war es auch nicht. Sie waren an diesem Mittwoch noch Hand in Hand durch die Innenstadt Londons gebummelt, waren zu Harrys Haus appariert und hatten sich ein bisschen zögerlich mit einer Umarmung von einander verabschiedet. Rein objektiv war gar nichts geschehen. Subjektiv und emotional dagegen hatte Harry das Gefühl, als wenn ihn ein Erdbeben umgerissen hätte. „Harry!“ Ron schrie beinahe. „Mein Partner hat sich da heute fast umgebracht! Also bitte, klär das mit ihm und hol seinen Kopf aus dieser rosaroten Watte raus!“ „Ron... Wie denn?“ Harry starrte vor sich hin und versuchte die Horde an Schmetterlingen zu ignorieren, die sich in seinem Bauch ausbreiteten. „Boah, echt jetzt? Magst du ihn? Bist du verknallt? Willst du ihn? Dann streck die Hand aus. Der ist sowas von in dich verknallt, dass sogar mir das ins Gesicht springt.“ „Ron, du...“, aber weiter kam Harry gar nicht mehr. Ron polterte schon weiter. „Bitte. Kümmere dich darum. Ich weiß, du bist skeptisch. Aber ehrlich: Der Kerl meint es absolut ernst mit dir. Und er tut dir gut! Versuch es. Du hast ganz viel zu gewinnen und so gut wie nichts zu verlieren.“ „Ron?“ Harry hörte im Hintergrund Hermiones Stimme. „Ich muss Schluss machen. Harry, bitte!“, rief Ron noch einmal, dann brach die Verbindung zusammen. Harry starrte in die nun regelrecht leeren Flammen. Dann breitete sich langsam ein breites Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Harry Potter Sir?“ Esmi tauchte auf dem Nichts neben ihm auf. „Benötigen Sie die Expresseule?“ „Ganz genau, Esmi.“ Er blickte seine Hauselfe an. Eigentlich hätte er sich darüber aufregen müssen, dass sie offenbar das Gespräch mitgehört hatte und sich jetzt so aktiv einmischte. Aber gleichzeitig wusste er auch, dass sie nur das Beste für ihn wollte. „Kommt sofort, Sir.“ Esmi salutierte glücklich und verschwand, nur um einen Augenblick später mit der winzigen Expresseule Aelfwine zurück. Schreibzeug stand auf dem Tisch neben dem Kamin. Harry griff danach und kritzelte zwei Zeilen auf den Brief, dann gab er diesen Aelfwine und streichelte ihr kurz über den Kopf. Esmi stand bereits am Fenster und öffnete dieses auf Harrys Nicken hin. Aelfwine streckte kurz die Flügel und sauste dann davon. Irgendwie gefiel Harry eine Expresseule besser als Flohfeuertelegramme. Es war persönlicher. Und während das Telegramm immer nur zu einem bestimmten Kamin geliefert werden konnte, fand die Eule den Empfänger wo auch immer er gerade war. Und sie wartete immer bis zu 24 Stunden, um eine Antwort mitnehmen zu können. So lange dauerte es aber nicht. Keine halbe Stunde später flatterte Aelfwine vollkommen erschöpfte in Harrys Schlafzimmer und brachte einen Brief von Blaise. Es stand nur ein Wort darin: Ja. Am nächsten Tag, Samstag, den 20. Dezember, klingelte es pünktlich abends um sieben Uhr. Harry öffnete selbst die Tür. Seinen Hauselfen hatte er für den Abend frei gegeben. Nur Esmi hatte darauf bestanden, weiterhin für ihn bereit zu stehen, aber versprochen, sich dabei im Hintergrund zu halten. Blaise hatte sich erkennbar extra zurecht gemacht. Ein wenig Gel glänzte in den Haaren, was bei ihren letzten Begegnungen nicht der Fall gewesen war. Aber Harry selbst war es nicht anders gegangen. Auch er hatte viel Zeit vor dem Spiegel und mit der Auswahl seiner Klamotten gebracht – und war am Ende doch bei Jeans und einem simplen Pullover gelandet. „Hey.“ „Hallo. Komm rein.“ Harry trat bei Seite und nahm seinem Gast die Jacke ab. Die Zeitung, die Blaise unter dem Arm klemmen hatte, behielt dieser bei sich. Dann gingen sie ins Kaminzimmer. Dort hatten die Hauselfen den Tisch bereits für ein gemütliches Abendessen gedeckt und das Essen auf magischen Warmhalteplatten auf der Anrichte warmgestellt. Im Kamin flackerte ein gemütliches Feuer und die Couch davor lud zu einem späteren Zusammensitzen ein. „Hübsch.“ Blaise schaute sich aufmerksam um und Harry bemühte sich, den Raum mit fremden Augen zu sehen. Die Farben waren warm und erinnerten ein bisschen an den Gryffindor-Gemeinschaftsraum. Der Gryffindor-Turm war für Harry immer ein Ort gewesen, an dem er besonders glücklich und zufrieden gewesen war. Dieses Gefühl hatte er auch in sein Haus bringen wollen. Das große Bild über dem Kamin zeigte eine Quidditchszene und im Raum verteilt hingen Fotos von seinen Eltern, Sirius, dem Orden des Phönix sowie Harry und seinen Freunden. „Und sehr gemütlich.“ Blaise lächelte. „Setz dich.“ Harry deutete auf den Tisch und machte einen Schritt in die Richtung, doch Blaise hielt ihn am Arm fest. „Gleich. Vorher solltest du das hier sehen.“ Er reichte ihm die Zeitung. Es war eine Muggelzeitung, der Evening Standard. Auf der Titelseite prangte ein Fotos des Weihnachtsbaums vom Trafalgar Square. Aber das Foto zeigte nicht nur den Baum, sondern im Zentrum stand zwei Menschen, die einander an den Händen halten. Zwei Menschen, in denen Harry sofort sich und Blaise erkannte. Tatsächlich konnte man objektiv kaum erkennen, ob es sich um Männer oder Frauen handelte – den dicken Wintersachen und den Lichtverhältnissen sei Dank –, aber sein Sturz auf der Eisbahn hatte deutliche Spuren auf seiner Hose hinterlassen und diese erkannte er sofort. Er spürte, wie Panik in seinem Bauch hochkochte und ihn zu überwältigen suchte. Wenn die Muggel ihn fotografierten und in die Zeitung packten, dann würden die Zaubererzeitungen damit auch bald wieder anfangen. Die Reporter des Tagespropheten und der Hexenwoche waren gut und schauten sich immer auch die Muggelblätter an. Es musste nur irgendein Zauber anschlagen und verraten, dass er das dort war. Seine Gedanken rotierten. Wie konnte er sich wohl am besten davor schützen? Wie konnte er verhindern, dass... Harry schaute auf und sah die Sorge in Blaises Gesicht. Und er sah die Hoffnung darin, die jetzt langsam verschwand und von der Besorgnis überlagert wurde. Dann meinte er nur noch Enttäuschung und Traurigkeit zu sehen. Nein. Nein, er würde sich davon nicht unterkriegen lassen. Es würde irgendeinen Weg geben. „Hübsches Foto“, sagte er schließlich. Seine Stimme zitterte nur minimal und er spürte, wie die Panik langsam wieder verschwand. „Ob die Redaktion uns Abzüge macht, wenn ich sie darum bitte?“ „Vielleicht.“ Blaise hob betont lässig die Schultern. „Was willst du tun?“ Harry legte die Zeitung bei Seite. „Das hier.“ Er machte einen Schritt, beugte sich vor und küsste Blaise unvermittelt direkt auf den Mund. Ganz offenkundig vollkommen perplex tat Blaise im ersten Moment gar nichts. Aber als Harry seine Arme um ihn schlang, konnte er spüren, wie Blaise den Kuss erwiderte. Schließlich lösten sie sich ein wenig atemlos voneinander und Harry lehnte seine Stirn gegen Blaises. „Das war überraschend“, murmelte dieser leise und strich Harry sanft durch die Haare. „Nicht wirklich, oder?“ Harry grinste verschmitzt und blickte Blaise aus nächster Nähe direkt in die Augen. „Ja und nein.“ Blaise seufzte leise. „Nein, weil ich gemerkt habe, dass es zwischen uns funkt. Und ja, weil ich dachte, dass du dich jetzt wieder zurückziehen willst. Weil du die ganze Aufregung um dich nicht magst und du die berechtigte Befürchtung hast, dass dieses Foto auch unsere Zeitungen wieder auf dich ansetzen wird.“ Er stockte. „Willst du dich wieder zurückziehen? Soll ich aus deinem Leben wieder verschwinden?“ „Nein“, entgegnete Harry entschieden. „Ich gebe zu, ich habe es mir überlegt. Aber du hast mir gezeigt, dass ich mich viel zu sehr habe einschränken lassen – und mich selbst eingeschränkt habe. Ich habe mich ja fast eingesperrt. So will ich nicht weiterleben.“ Er schüttelte den Kopf. Dann schaute er Blaise wieder direkt an. „Und ich will nicht länger allein sein.“ Er griff nach Blaises Hand und drückte sie sanft. Blaise erwiderte den Druck. „Ich finde, das klingt schon mal gut.“ „Ich auch.“ Harry lächelte. „Und jetzt ist es Zeit für das Abendessen. Ich bin mir sicher, dass wir die Energie heute noch brauchen werden.“ Er ließ seine Fingerspitzen Blaises Arm entlang wandern und dieser erschauderte unwillkürlich. „Ist das ein Versprechen?“, neckte Blaise ihn. „Vielleicht. Oh... eine Frage noch: Wie schlimm findest du die Vorstellung, wenn du einen der Weihnachtstage mit mir bei den Weasleys verbringst?“ Blaises Kuss war für Harry Antwort genug. Und so bekam er gar nicht mit, wie Esmi zufrieden lächelte und eine Flasche Champagner auf den Tisch stellte. Diese würde der Hausherr mit Sicherheit gleich noch brauchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)