True Love? von Deathsymphonie ================================================================================ Kapitel 1: Der klischeehafte Umzug in eine neue Stadt ----------------------------------------------------- Es fing alles mit dem typischen Klischee an, dass mein Dad einen anderen Arbeitsplatz bekommen hatte, wir dadurch umziehen mussten und ich auf einen neue Schule gehen sollte. Natürlich kannte ich dort niemanden und es war mitten im Schuljahr, als ich wechselte. Aber was war dieses Klischee ohne den tränenreichen und herzzerreißenden Abschied von den besten Freunden, die man bestenfalls seit dem Kindergarten kannte? So ähnlich war es jedenfalls bei Laeti und mir. Wir beide waren wie ein Herz und eine Seele, trotz ihrer kleinen Macken. Sie verliebte sich nämlich in wenigen Sekunden von einem hübschen Jungen in den nächsten. Aber wie schon gesagt, wenn man dies mal außer Acht ließ, war sie die beste, hilfsbereiteste und verständnisvollste Freundin, die man sich nur wünschen konnte und ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit kannte. „Lulu, hilf doch mal bitte beim Hereintragen der Kisten!“, riss mich meine Mom aus den Gedanken. Sie trug gerade einen kleinen, aber nicht gerade leichtwirkenden Karton in unser neues Haus. Meine Eltern hatten sich ein Haus gekauft, da sie wussten, dass der Aufenthalt hier in der Stadt von Dauer sein würde. Ich seufzte, stand von der kleinen Bank vor dem Haus auf und ging zu meinem Dad am Umzugswagen, welcher mich schon erwartet hatte und mir deswegen einen etwas größeren, schmalen, aber trotzdem recht leichten Karton in die Hände drückte. Er rief mir noch hinterher, dass ich ja vorsichtig damit sein sollte, als ich den Weg und die Stufen hinein eher wankend erriet als sicher wusste, da mir der schöne große Karton die Sicht zu meinen Füßen versperrte. Da ein kleiner Teil meines Gehirns sich auf das Erraten des Weges konzentrierte, konnte sich der andere Teil fragen, was wohl in diesem Karton drin war. Ich bemerkte zudem auch noch, dass ich niemals fett beziehungsweise so fett werden wollte, dass ich meine eigenen Füße nicht mehr sehen konnte, denn es war schon einmalig mit einem großen Karton schwierig genug den Weg zu finden, wie sollte das also bei einer größeren Körpermasse funktionieren? Jedenfalls war ich noch in meinen Grübeleien, was da nun endlich verpackt war, versunken, als ich das Wohnzimmer betrat und Mom aufgeregt und erleichtert rief: „Also hab ich sie doch mitgenommen! Ich hab es Papa ja gesagt! Aber…was steht denn dann noch im Keller…?“ In diesem Moment kam mein Dad mit zwei Umzugshelfern herein. Dad hatte einen großen und scheinbar schweren Karton in den Händen, währenddessen die beiden anderen jeweils zwei auch nicht gerade leicht wirkende Kisten trugen. Es waren also alle Kisten und Kartons aus dem Umzugswagen heraus und schon im Haus. Das ging aber schnell… Naja, die größte Zeit hatte ich auch auf der Bank gesessen und auf meiner Konsole gezockt. Da bekam man die Zeit nicht so mit. Der Inhalt meines Kartons war in dem Moment als Mom erfreulich ausrief, eindeutig. Es waren ihre Staffelleien gewesen. Sie ist nämlich in ihrer Freizeit Künstlerin, da ihr damals das Geld für ein Kunststudium fehlte. Deswegen zeichnet und malt sie meist abends, wenn sie von der Arbeit kommt einige Stunden lang und früher wie heute sitze ich liebend gern unten vor ihrer Leinwand, um zu bewundern, wie sie aus der weißen Oberfläche und einigen farbigen Pinselstrichen, ein Kunstwerk fertigstellt. Mich hat das schon immer irgendwie fasziniert und erstaunt. Mom half mir beim Hinstellen des Kartons. Wobei ich die leise Vermutung hatte, sie machte dies größten Teils wegen ihren Staffeleien, als wegen mir, was aber nicht heißen sollte, dass sie sich keine Gedanken über mich machte, sondern nur ein ganz kleiner Teil überragte, also 49 Prozent gegen 51 Prozent. „Was soll denn mit den Kisten im Keller sein?“, fragte mein Dad Mom. Er hatte anscheinend den letzten Teil von Moms Satz mitbekommen. Aber auch mir stellte sich nun die Frage, was eigentlich noch im Keller stand, während ich zu meinen Kartons ging und alle durchsah, da mich eine üble Vorahnung beschlich. „Du warst doch der Meinung, wir hätten meine Malutensilien und Staffeleien nicht mit eingepackt, sondern dort stehen gelassen. Aber Lulu hat mir gerade die Staffeleien hereingetragen und die netten Umzugshelfer die Malutensilien. Was ste-“ „Meine Spiele und Bücher…“, unterbrach ich meine Mom. Sie hatten doch nicht wirklich meine Bücher und Spielesammlung im Keller unserer alten Wohnung stehen gelassen, oder? Hinzukam noch, dass in einer dieser Kisten das Ladekabel meiner Konsole war und der Akku fast schlapp machte. Ich hatte es deswegen nicht mitgenommen, da ich mir sicher war, dass meine Eltern meine Sachen alle mitnehmen würden (das klang eingebildet, ich weiß). Mit hängenden Schultern nahm ich die Kiste, in welcher zu einhundert Prozent meine Badezimmersachen waren und ging die Treppen in mein neues Zimmer hinauf. Dann musste ich -wohl oder übel- für den Rest des Wochenendes nach draußen gehen und dort die Gegend erkunden. Eine gute Sache hatte das Vergessen meiner Medien schon, ich konnte die neue Stadt kennenlernen und vielleicht traf ich dort nette Leute. Man konnte ja nie wissen… ~.~.~ Nachdem ich bettfertig war und sogar schon im Bett schlafbereit lag, kam meine Mom nochmal hinein. Sie setzte sich auf den Rand meines Bettes, so wie sie es auch früher schon gemacht hatte, und meinte mit ihrer typischen Es¬-wird-alles-wieder-gut-Stimme: „Lulu Schatz, ich kann ja morgen noch einmal zurück fahren und deine Sachen holen, denn ich habe bemerkt, dass auch noch ein anderer Karton fehlt. Es dauert halt nur ein bisschen, da ich bei Oma und Opa bin und außerdem noch alles wegen deiner Abmeldung bei deiner alten Schule und der Anmeldung bei dem Gymnasium Sweet Amoris einiges erledigen muss.“ „Kann Papa das nicht machen?“, wollte ich wissen, obwohl schon von vornherein klar war, dass er es nicht konnte. „Nein“, antwortete sie, „er hat noch etwas bei seiner alten Arbeitsstelle zu regeln. Wie dem auch sein, träum was Schönes Lulu. Du hast morgen einen großen Tag vor dir.“ Sie stand auf und ging zur Tür. „Gute Nacht, Mama…“ Und als die Tür ins Schloss fiel, war ich auch schon im Reich der Träume. Kapitel 2: Eine unerwartete Überraschung an der Sweet Amoris ------------------------------------------------------------ Das Weckerkingeln riss mich aus meinem wohligen Schlaf. Gott wie ich diesen Wecker hasste. Es gab für mich nichts Schlimmeres, als gewaltsam aus seinen Träumen heraus gerissen zu werden, was besonders für den ersten Schultag an einer neuen Schule galt. Neue Schule. Dieser Gedanke löste in mir eine Art Mischung aus Nervosität und Aufregung in mir aus, sodass ich nicht mehr ans müde sein denken konnte, sondern stattdessen die Decke zu Boden schmiss und aus dem Bett sprang (im wahrsten Sinne des Wortes wohl gemerkt). Schnell machte ich mich für die Schule bereit. Ich zog mir ein dunkles T-Shirt mit einem hellen Aufdruck an, dazu eine pinke, kurze Hose, unter der ich eine schwarze (oder eben dunkelgraue), glatte Strumpfhose zog, die nicht allzu dick war, und später noch meine schwarzen Chucks. In meine kurzen, pink gefärbten Haare klemmte ich mir noch eine pinke Haarspange in Form eines Sterns. Zu guter Letzt setzte ich mir noch die violetten Kontaktlinsen ein. Diesen „Look“ hatte ich schon eine ganze Weile. Mir wurden meine schokobraunen, glatten Haare und smaragdgrünen Augen langsam zu eintönig und so entschied ich mich für etwas Ausgefallenes. Ich hatte das Glück, dass das meine Eltern mir erlaubten, auch wenn mein Dad etwas misstrauisch war und es mir zuerst nicht erlauben wollte. Gott sei Dank, dass Mom so gut überzeugen konnte. Als ich fertig war, ging ich hinunter in die Küche, in der mich meine Eltern auch schon erwarteten. Sie saßen am Tisch und frühstückten bereits. Flott setzte ich mich hin und tat es ihnen nach. „Lulu, ich fahre dich dann heute zur Schule, damit du weißt wo du lang gehen musst. Zwar ist es nicht sehr weit von hier weg, aber heute ist ja dein erster Schultag auf Sweet Amoris“, gab mir Mom bescheid. Ungläubig sah ich sie an. Meinte sie das wirklich ernst? „Jetzt guck nicht so, ich meine das wirklich ernst. Es liegt gleich auf meiner Strecke, aber trotzdem musst du dann ein bisschen hinlaufen. Wenn du später dann nach Hause gehst, musst du einfach nur an dem Café vorbei und dann kannst du entscheiden, ob du durch den Park gehst oder aber am Park vorbei an den Geschäften entlang. Hinzu ist es natürlich rückwärts.“ „Mom“, begann ich, „woher weißt du wo ich hingehen muss?“ Jetzt mischte sich mein Dad ein: „Während du das ganze Wochenende im Haus vor deinem PC verbracht hattest, haben wir die Umgebung erkundet und dabei zufällig einen Weg zu deiner Schule gefunden. Ich muss jetzt los.“ ~.~.~ Und so stand ich nun dort. Vor dem Schultor, auf der anderen Seite der Straße und beobachtete einzelne Grüppchen von Schülern, welche durch das Tor gingen, über den Schulhof -wie ich vermutete- und dann in den Vordereingang hinein in die Schule. Sie kannten sich schon alle und wussten genau, wer wie tickt. Leider hatte ich nicht das Glück, zusammen mit einer Person, die ich kannte und eigentlich auch mochte, neu auf dieser Schule zu sein. Ich holte tief Luft und wappnete mich Innerlich auf alles, was kommen könnte, von Beleidigungen bis hin zu einer freundlichen Begrüßung. Alles war dabei, also ging ich mit meinem neugewonnenen Mut über die Straße und schließlich ins Schulgebäude hinein. Sie war riesig. Naja, auf jeden Fall größer als meine alte Schule. Der Flur war groß, breit und an den Wänden waren Spinde aufgestellt. Alle paar Meter säumte eine blaue Tür mit einem kleinen Schild die Wand und durchbrach so gesehen die „Mauern“ aus Spinden. Auf meiner suche nach dem Sekretariat, orientierte ich mich an den Schildern neben den Türen. Geografieraum, Musikraum, Englischraum…, las ich. Nirgends fand ich Schulverwaltung oder aber Sekretariat. Da es mir langsam zu bunt wurde, wendete ich mich an eine Dreiergruppe von Mädchen, die sich im Flur unterhielten. Ein Mädchen mit langen blonden Haaren und einem anscheinend „modisch“ orientierten Modegeschmack, war umgeben von einer brünetten Unscheinbaren und einer Schwarzhaarigen mit leicht asiatischen Zügen. „Ähm, Entschuldigung, wisst ihr zufällig wo das Sekretariat ist?“, fragte ich sie höflich. Man konnte also nicht behaupten, ich hätte irgendeinen Streit vom Zaun gerissen. Das blonde Mädchen in der Mitte drehte sich langsam zu mir um und musterte mich mit diesem typischen arroganten Was-willst-du-Loser-jetzt-von-mir-?!-Blick von oben bis unten, dass ich es schon -bevor sie überhaupt etwas gesagt hatte- bereute, sie um Rat gefragt zu haben. „Natürlich wissen wir das, aber für Frischlinge kostet das extra. Der Hinweis auf ihren Platz in der Rangordnung hier, ist dagegen umsonst“, erkläre sie mir. Solche Leute waren das also. Genau die Sorte von Menschen, welche ich so liebte. „Ach“, meinte ich, „das ist aber nett von dir. Du zeigst den Ranghöheren also, vor welchen idiotischen Tussen sie sich besser in Acht nehmen sollten. Sehr hilfsbereit. Danke schön!“ „Na warte-“, setzte sie an, bis eine Jungenstimme irgendwo hinter mir sie unterbrach. „Amber!“ Sofort drehte sich die Angesprochene zum Ursprung meines vorzeitigen Retters um. Ich tat es ihr nach und erblickte den wahrgewordenen Traum eines gutaussehendes Strebers jedes Mädchens, mich -und scheinbar diese Mädchen- jedoch ausgeschlossen. Er stellte sich links neben uns, zwischen Amber und mir, hin und blickte mir direkt in die Augen. „Hallo, mein Name ist Nathaniel. Ich bin hier der Schülersprecher. Du musst dann wohl Lucy sein, nicht wahr? Freut mich dich kennenzulernen“, stellte er sich vor. Ich nickte nur bei seiner Frage nach meiner Identität. Nathaniel wandte sich nun zu Amber und ihrem Gefolge um. „Amber, Lee, Charlotte begebt euch bitte in euren Klassenraum, der Unterricht fängt bald an. Ich kann mich sehr gut allein um dieses neue Mädchen kümmern, also geht jetzt besser.“ Amber warf ihre Haare nach hinten, reckte ihr Kinn in die Luft und erwiderte: „Wir wollte sowieso gerade gehen, Nathaniel. Charlotte, Lee? Folgt mir!“ Mit diesen Worten entfernte sich das Trio und hinterließ mir einen kopfschüttelnden Schulsprecher namens Nathaniel. Er seufzte und erklärte: „Ich muss mich für meine Schwester bei dir entschuldigen. Bei den anderen benimmt sie sich sonst eigentlich auch ganz normal und nicht so wie du das gerade erfahren musstest. Anscheinend ist heute nicht ihr Tag, denn sie hat auch schon den anderen neuen Schüler nicht gerade freundlich begrüßt…“ „Den anderen neuen Schüler? Wer ist es denn?“, wollte ich, nun hellhörig geworden, von ihm wissen. Meine Neugier war erwacht. Also war ich doch nicht die einzige Neue hier an Sweet Amoris! „Das wirst du noch früh genug erfahren, weil er in die gleiche Klasse wie du gehen wird. Er müsste eigentlich noch im Sekretariat sein. Da wolltest du doch sicher auch hin, oder? Gut, dann folge mir bitte.“ ~.~.~ „So, da wären wir. Ich kann ja gleich mit rein kommen, da ich noch deine Anmeldeformulare überprüfen muss“, erzählte mir und öffnete die Tür. Vor Überraschung, Verwirrung und einer leichten Brise Freude, blieb ich wie angewurzelt stehen. „Lucy? Ist bei dir alles in Ordnung?“, fragte Nathaniel besorgt nach, doch ich hörte ihm kaum zu, denn nur wenige Schritte vor mir stand ein etwas schmächtiger und kleinerer Junge, mit einem grünen Pullover auf welchem ein brauner Streifen auf Brusthöhe war, dazu eine blaue Jeans trug und eine große runde Brille, durch die man die grünen Augen des Jungen nicht sehen konnte. Sein brauner Haarschopf drehte sich bei meinem Namen in meine Richtung und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Lulu! Da bist du ja endlich! Ich habe schon gedacht, meine Eltern hätten mich auf der falschen Schule angemeldet und ich wäre nun ganz allein hier! Als ich von deinem Umzug und Schulwechsel erfahren hatte, habe ich meine Eltern dazu überredet, mich ebenfalls hier einzuschreiben. Sie waren damit einverstanden, weil ich dann nicht mehr von meiner Mom zur Schule gefahren werden musste“, sprudelte es -aufgeregt wie er war- aus ihm heraus. Kentin oder -wie wir ihn auf der alten Schule nannten- Ken, war eigentlich sehr hilfsbereit, freundlich und nett, aber auf die Dauer konnte seine Anhänglichkeit zu mir -so süß es manchmal auch war-, einfach nur etwas nervig sein. Erst jetzt im Nachhinein, da er es erwähnte, fiel mir wieder ein, dass er mir irgendwann mal erzählt hatte wo er wohnte. Zufälligerweise war dies die Stadt gewesen, in der er wohnte. Nathaniel schien überrascht: „Oh, ihr kennt euch schon?“ „Ja“, antwortete ich an Kens Stelle, „wir gingen vorher zusammen auf die selbe Schule und in die gleiche Klasse. Scheinbar führen wir dies hier fort, nicht wahr Kentin?“ „Hahaha, stimmt, du hast recht“, antwortete er und musste grinsen. Es war schon erleichternd, dass ich nun jemanden hatte, den ich etwas kannte. Somit hatte ich nicht mehr eine so große Angst vor der neuen Klasse, denn Kentin hatte ich irgendwie ganz gern und zusammen würden wir es schon durchstehen. „Ach so, ich verstehe schon“, meinte Nathaniel mit einem leichten Lächeln, sodass ich mir die Frage stellte, was er denn nun genau verstand beziehungsweise warum er denn so lächelte. Er sah Ken an und sagte: „Kentin, da deine Anmeldung schon abgeschlossen ist, kannst du ja schon mal zu deinem neuen Klassenlehrer Mr. Faraize gehen und ihm bescheid geben, dass Lucy noch nachkommt mit mir, weil wir noch ihre Anmeldung regeln. Er wird euch dann der Klasse vorstellen.“ Ken schien etwas verzweifelt, als Nathaniel ihm sagte, er solle schon mal vorgehen und bescheid geben, aber er nickte tapfer und verließ das Sekretariat. Gleich danach sprach Nathaniel mit der Sekretärin, welche in das Büro der Direktorin ging und kurz danach wieder mit ihr erschien. „Ah! Tut mir leid, dass ich dich und diesen kleinen Jungen nicht schon vorher persönlich begrüßt hatte. Du musst wissen, als Schulleiter hat man nie Langeweile oder Zeit. Jedenfalls herzlich Willkommen auf dem Gymnasium Sweet Amoris! Ich wünsche dir einen guten Start in das Schulleben hier und hoffe, dass ich nicht allzu oft von dir höre, außer es ist was Gutes“, begrüßte sie mich freundlich, doch irgendetwas gab mir das Gefühl, dass sie nicht immer so ruhig und gelassen ist. „Vielen Dank, Frau Direktorin“, bedankte ich mich höflicher Weise bei ihr. „Ich muss dann auch wieder los“, sie sah auf ihre Uhr, „Nathaniel wird sich um den Rest dann kümmern und so wie ich ihn kenne, wird er sehr zuverlässig sein.“ ~.~.~ Nachdem die Schule endlich zu Ende war, fragte Ken mich etwas schüchtern, ob ich mit ihm nicht die Schule besichtigen wollte. Natürlich stimme ich ihm zu und so schlenderten wir gemütlich die nun leeren Flure entlang. Der Tag war bisher ganz okay gewesen, bis auf den Vorfall am Morgen mit Amber und ihrem Gefolge und der Tatsache, dass wir zusammen in eine Klassen gingen. In der neuen Klasse hatte ich mich schon mit ein paar der Mädchen gut verstanden, sowie Iris, Rosalia, der stillen Viola und Kim. „Du, Lulu?“, riss Kentin mich aus meinen Gedanken, „glaubst du, dass unsere Klassenkameraden nett zu uns sein werden?“ „Wenn man mal von Amber und so absah, glaube -nein hoffe- ich, dass sie nett sein werden“, antwortete ich ihm. Nach einer Weile bemerkten wir, dass wir nicht mehr wussten wo es lang ging und irrten auf der Suche nach dem Ausgang durch das Gebäude hindurch. Nach gefühlten drei Stunden, fanden wir ihn endlich und machten es uns noch etwas auf der Treppe bequem. Zusammen genossen wir die Lieblingskekse von Ken und ließen den Tag ausklingen. So schlimm wie ich zuerst gedacht hatte, war der erste Tag an der neuen Schule nun doch nicht geworden, worüber ich mich freute. Ich konnte von Glück reden, dass ich mich schon jetzt mit einem aus meiner neuen Klasse gut verstand und ihn halbwegs kannte. Kapitel 3: Der tränenreiche Abschied von Kentin ----------------------------------------------- Am nächsten Tag auf dem Weg zur Schule, ließ ich den vorherigen Nachmittag Revue passieren. Ken und ich sind nach unserer kleinen Schulbesichtigung und dem „Picknick“ zusammen nach Hause gegangen. Als uns unsere Wege dann nun trennten, verabschiedeten wir uns voneinander und so lief ich den winzigen Rest meines Weges allein nach Haus. Dort angekommen, erzählte ich meinen Eltern von dieser Überraschung und mein Dad meinte, dass Ken mich wirklich gern hätte, wenn er sogar nur wegen mir die Schule wechselte. Er fügte außerdem hinzu, dass er wahrscheinlich mal ein sehr anständiger Typ werden würde und ich mich ranhalten solle, bevor er weg wäre. Bei dieser Aussage wurde ich rot und sagte nur, dass er das doch gar nicht wissen könnte und stand schließlich auf. Wieder daran zurückerinnernd errötete ich ein wenig, schüttelte dann aber mit dem Kopf und redete mir ein, dass Ken immer Ken bleiben würde, ein kleiner, keksversessener Junge mit grünem Pullover, seiner speziellen Frisur und der komischen Brille, welcher mit seiner Anhänglichkeit und Hilfsbereitschaft manchmal etwas nerven konnte. Ich konzentrierte mich wieder auf den Weg der vor mir lag und bog in Richtung Schule ab. Auf dem Schulhof spielte sich eine schreckliche Szene ab. Kentin wurde von Amber und ihren Kumpanen in die Mangel genommen und scheinbar bedroht oder erpresst. Schnell lief ich zu dem Geschehen und hörte beim Näherkommen Amber sagen: „Gib uns das Geld freiwillig, dann geschied dir und deiner ach so geliebten Lulu nichts! Solltest du dich aber weigern, sodass wir es uns einfach nehmen müssen, dann-“ „Das reicht, Amber!“, rief ich laut und die Angesprochene drehte sich um. Scheinbar war ich noch rechtzeitig gekommen, denn Ken lächelte mich erleichtert an als er mich sah. „Ach“, meinte sie, „wen haben wir denn da? Wenn das nicht die kleine Lulu ist… Du kommst gerade richtig, denn ich wollte mir gerade etwas Geld von der Brillenschlange hier leihen, aber da du jetzt hier bist, kann ich ja dich gleich fragen: Wir wollen heute Mittag etwas Essen gehen, leider hat Charlotte aber ihr Portemonnaie zu Hause vergessen, wärst du also so nett und gibst uns etwas?“ „Dann hat Charlotte -und damit auch ihr beide- einfach Pech gehabt! Von mir bekommt ihr keinen einzigen Cent! Und lasst gefälligst Kentin in Ruhe!“, erwiderte ich. Das hätte ich zwar nicht machen sollen, weil ich im nächsten Moment zu Boden geworfen wurde und meine Tasche durchwühlt wurde, aber das war mir egal. Ich hatte ihnen meine Meinung gesagt. Trotzdem war der Preis hoch. Sie hatten mir 30 Euro geklaut und außer den blauen Flecken, kamen Kentin und ich auch noch zu spät zum Unterricht. Bei Amber war das wohl Standard, denn der Lehrer kümmerte sich nicht weiter darum. Als Erklärung für das Zuspätkommen, sagte ich einfach nur, dass wir auf dem Weg hierher aufgehalten wurden, was ja eigentlich auch stimmte. Nachdem der Lehrer es im Klassenbuch notiert hatte und wir uns an unsere Plätze gesetzt haben, bedankte er sich bei mir, doch ich erklärte ihm, dass Freunde einander halfen, worüber er scheinbar er froh zu sein schien. Nach dem Unterricht kam ein Mädchen mit langen, weißen Haaren und gelben Augen an unseren Tisch. Soweit ich das noch im Gedächtnis hatte, hieß sie Rosalia und mit ihr hatte ich mich schon recht gut verstanden. „Du, Lucy? Hat Amber euch aufgehalten?“, fragte sie Ken und mich gleich direkt. Wow, das meinte Iris gestern damit, dass Rosalia sehr direkt sein konnte. „Ähm, woher willst du das wissen? Du kannst mich übrigens Luce oder Lulu nennen, ganz wie du willst.“ „Weil Amber immer zu Neuen ist, vor allem wenn sie glaubt, dass der- beziehungsweise diejenige ihr ihren Status und angebliches Ansehen gefährden könnte. Das hat sie mit fast allen hier gemacht und gelernt, mit welchen Leuten sie sich besser nicht anlegen sollte… Okay, Lulu! Du kannst mich ruhig Rosa nennen.“ Aus dem Gefühl heraus, dass ich Rosa vertrauen konnte, erzählte ich ihr den Vorfall am Morgen, aber nicht ohne Kentin um Erlaubnis zu fragen, denn er war ja auch ein Teil und Opfer vom Geschehen. Sie hörte aufmerksam zu und erzählte mir danach: „Wenn du sie ärgern willst, musst du entweder ihren Kleidungsstil imitieren, wovon ich dir abrate, da dir ihre Klamotten nicht stehen werden -so wie ihr-, oder du redest mit Castiel. Wenn du das aber machst, musst du dich auf die eifersüchtigen Rachepläne einer abgewiesenen Tussi gefasst machen. Sie liebt ihn nämlich abgöttisch, aber er will auch nichts mit ihr zu tun haben.“ Ich sah sie mit gerunzelter Stirn an und nickte dann langsam, fast so, als würde ich sie für eine Irre halten. Die Info würde ich mir wahrscheinlich eh nicht merken, da ich Castiel nicht kannte. „Und wer soll dieser Castiel sein?“, wollte ich mit desinteressierter Stimme von ihr wissen, was klarmachen sollte, dass ich nicht an ihm interessiert war, schrak aber im nächsten Moment heftig wegen einer -eindeutig männlichen- Stimme, die direkt von hinter mir kam, zusammen. „Ich bin Castiel.“ Vorsichtig drehte ich mich um und erblickte einen großen, rothaarigen Jungen mit einer schwarzen Lederjacke, einer dunklen Hose und einem roten T-Shirt, der mit verschränkten Armen, mürrisch auf mich herabblickte. Ihn hatte ich noch nicht weiter gesehen. Er musste also gestern entweder entschuldigt oder unentschuldigt gefehlt haben, wobei ich bei seinem Aussehen -was eigentlich sehr gemein von mir war, nur nach seinem Äußeren zu urteilen- eher auf Letzteres tippte. „Soweit ich mich erinnern kann, warst du gestern nicht da“, äußerte ich meine Gedankengänge laut. Der Rotschopf schnaubte, bevor er antwortete. „Und soweit ich mich erinnern kann, habe ich dich noch nie hier gesehen, Pinky“, kam es als Antwort von ihm. Bei meinem neuen „Spitznamen“ verkniff ich meine Augen und warnte ihn: „Mach nur weiter so, Rotkäppchen…“ Von ihm kam nur noch ein abwertendes „Tze…“, bevor er sich auf den freien Platz neben Lysander setzte. Lysander war ein recht ruhiger Junge und Schüler -soweit ich das nach einem Tag schon beurteilen konnte-, welcher seine weißen Haare auf der einen Seite an den Spitzen schwarz gefärbt hatte. Das Außergewöhnlichste an ihm waren weder seine Haare, noch sein eigener Kleidungstil aus der viktorianischen Zeit, sondern seine zweifarbigen Augen, ein Gelbes und ein Grünes. „Aha“, kam es von Rosa, „schon den nächsten ausgesucht? Lysander ist ein toller Typ und verdient es, aufrichtig geliebt zu werden.“ Ich lief wahrscheinlich so rot an, wie eine Tomate und brachte zu meiner Verteidigung nur die Frage heraus, woher sie das denn alles wissen wollte. Sie erzählte mir dann, dass sie mit dem Verkäufer aus dem Modegeschäft, welches ganz in der Nähe war, zusammen war und Light -so hieß er- der Bruder von Lysander wäre, und sie ihn deshalb sehr gut kannte, fast schon wie ein eigener Bruder, was ich im Laufe des restlichen -und zum Glück ruhigen- Tages selbst feststellen konnte. ~.~.~ Am nächsten Tag in der Schule, lief ein tränenüberströmter Kentin in mich hinein und umarmte mich. Nachdem er sich nach gefühlten 30 Minuten etwas beruhigt hatte, konnte er mir seinen emotionalen Ausbruch erklären. „Lulu, m-mein Vater will mich auf eine M-militärschule schicken, da ich ihm von dem Vorfall von gestern erzählte. Er nutzte seine engen Freunde und Bekannte vom Militär, um mich sofort bei einer solchen Schule a-anzumelden. Ich darf erst dann wieder hierher zurückwechseln, w-wenn ich gelernt hätte, wie sich ein Mann r-richtig verteidigt. Da schon alles mit der Direktorin abgesprochen ist, bin ich heute nur hier, weil i-ich mich von dir verabschieden wollte. D-das ist übrigens für dich.“ Schnell wischte er sich eine letzte Träne weg und übergab mir eine kleine Geschenktüte. Ich sah hinein und erblickte einen süßen, kleinen braunen Teddybären mit einem T-Shirt an, der schon sehr weich und knuddelig aussah. Als ich mich bei ihm für dieses schöne Geschenk bedanken wollte und aufsah, musste ich feststellen, dass er nicht mehr da war. Schade…dabei wollte ich mich bei ihm auch noch verabschieden, denn ich hatte ja keine Ahnung, ob und wann er wieder kam… „Ach, wen haben wir denn da…?“, fragte eine verhasste weibliche Stimme hinter mir scheinheilig und bittersüß. Wütend drehte ich mich zu ihr um. Es war doch alles nur ihre Schuld gewesen! Hätte sie Ken nicht so geärgert, wäre er noch hier! „Mir ist zu Ohren gekommen, dass deine kleine Brillenschlange namens Ken nicht mehr an der Schule sein soll, kleine Lulu. Jetzt bist nur noch du ganz allein hier, ohne Freunde, die dir helfen könnten, wenn wir uns von dir unser Essensgeld borgen…“, meinte Amber zu mir und ich schäumte vor Wut. Würden Blicke töten können, wäre sie die Allererste, die reglos umgefallen wäre. Aufgewühlt warf ich ihr vor: „Ihr drei -vor allem du Amber- seid schuld daran! Wenn ihr ihn nicht herum geschubst und bestohlen hättet, hätte er nicht gehen müssen! Selbst wenn er noch hier wäre, würdet ihr keinen einzigen Cent von uns sehen. Weder von mir, noch von ihm!“ „Bloß gut, dass uns deine Meinung überhaupt interessiert“, erwiderte die Blondine gelangweilt zu meinem kleinen Wutausbruch. Gerade als die drei sich auf mich stürzen wollten, erklang eine ruhige, aber doch rettende Stimme hinter mir. „Was hast du vor Amber?“ Die Angesprochene sah auf und ich drehte mich um. Nur wenige Meter von mir entfernt, kam Lysander auf uns zu. Er sah sich das Schauspiel skeptisch an, wobei sich eine kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen bildete. Es war scheinbar eine Skepsisfalte. „Oh, Lysander! Ich wollte Lucy nur trösten, da mir zu Ohren gekommen ist, dass ihr kleiner Lover leider die Schule verlassen musste“, log Amber ihm ohne rot zu werden ins Gesicht. Die Falte auf seiner Stirn schien sich zu vertiefen, als er scheinbar merkte, dass das irgendwie nicht stimmen konnte. Zu meinem Erstaunen sagte er nichts weiter dazu, sondern sah mich nur an und meinte: „Lucy, Rosa sucht dich. Sie wartet bestimmt schon auf uns.“ „…Okay, und wo ist sie denn?“ „Bestimmt im Klassenraum oder davor, je nachdem. Folge mir einfach, ich bring dich hin. Nicht, dass du nochmal in Schwierigkeiten gerätst“, antwortete er und sah bei seinem letzten Satz direkt Amber ins Gesicht. Zur Bestätigung nickte ich nur und folgte ihm dann. Als wir einige Meter von ihnen entfernt waren und wir uns sicher sein konnten, dass wir nicht belauscht werden würden, wollte Lysander von mir wissen: „Stimmt das wirklich, was Amber gesagt hatte? Also dass dein kleiner Freund nicht mehr auf der Schule ist?“ Betrübt ließ ich meinen Kopf hängen, wobei mein Blick auf die kleine Geschenktüte fiel und ich mich wieder daran erinnerte, dass ich mich nicht einmal von ihm verabschieden konnte. Genau in diesem Augenblick nahm ich mir vor, dass dieser süße, kleine Teddybär einen Ehrenplatz auf meiner Kommode verdiente. „Du meinst wohl Kentin…“, begann ich, „ja, es stimmt, dass er weg musste, aber nur deswegen, weil Amber ihn geärgert und bestohlen hatte. Wer konnte denn schon wissen, dass sein Vater so extrem darauf reagierte und ihn sofort auf eine Militärschule schickt, auf der er ein ‚richtiger‘ Mann werden soll…“ „Als was arbeitet denn sein Vater, wenn er so reagiert?“ Bevor ich ihm antworten konnte, kam eine aufgedrehte Rosalia auf uns zu und erdrückte mich halb zur Begrüßung. Etwas überrascht erwiderte ich ihre Umarmung, jedoch nicht mit derselben Intensität wie sie. „Da seid ihr ja endlich!“, rief sie uns zu, „Lysander, dich kann man wirklich nicht allein losschicken um jemanden zu suchen, weil du dich ja selbst noch verirrst! Naja, zum Glück hast du Lulu gefunden. Ich wollte dich nämlich fragen, ob du am Wochenende bei mir übernachten willst.“ Kapitel 4: Die etwas andere Übernachtung bei Rosalia ---------------------------------------------------- Der Rest der Woche verlief unerwartet ruhig. Für meinen Geschmack zu ruhig, denn ich glaubte Amber gut genug zu kennen, um zu wissen, dass diese Stille ihrerseits nichts Gutes zu bedeuten hatte. Im Gegensatz zu ihr, war ich das am Freitag nicht, denn den gesamten Schultag saß ich unruhig und leicht nervös auf meinem Stuhl. Dabei ließ meinen Blick immer wieder durch den Raum schweifen, bis er wieder einmal an der Uhr hingen blieb, deren Zeiger sich scheinbar einfach nicht bewegen wollten. Meine innere Unruhe blieb jedoch nicht unbemerkt. Scheinbar hatten sich die Lehrer über Nacht gegen mich verschworen, denn sie forderten mich öfter auf, als an den anderen Tagen der bisher vergangenen Woche und da ich ihrem Unterricht nicht weiter folgte, hatte ich auch dementsprechende Antworten parat. Aber nicht nur die Lehrer bekamen es mit. Auch Lysander tat es. Als mein Blick nämlich auf ihn fiel, grinste er mich amüsiert an. Leicht verlegen sah wieder zu meinem „Lieblingsobjekt“ an der Wand. Es waren nur noch fünf Minuten bis zum Unterrichtsende der letzten Stunde und da es Freitagnachmittag war, wurden nun auch die anderen Schüler immer nervöser. Auch sie konnten es kaum noch erwarten, endlich ins Wochenende zu gehen. Dies ging so weit, dass der Lehrer, welcher vor der Klasse stand, drei Minuten früher den Unterricht beenden musste, weil ihm keiner mehr zuhörte. Natürlich war ich eine der Ersten, die regelrecht aus dem Raum rannten, und lief eilig zu meinem Schließfach, indem ich am Morgen meine Sachen für den Aufenthalt bei Rosa untergebracht hatte. Zwar wohnte sie in der Nähe von mir, aber ich hatte noch keinen Schlüssel für unsere neue Haustür und meine Eltern wollten an diesem Tag etwas länger arbeiten, was bedeutete, sie würden erst spät am Abend wieder daheim sein. Ich nahm die besagte Tasche heraus, schloss meinen Spind und zuckte erschrocken zusammen, als ein Schatten neben mir auftauchte. Es waren jedoch nicht Amber und ihre Clique, die -wie ich zuerst annahm- dort standen, sondern lediglich Lysander. „Ich wollte euch beiden noch viel Spaß für heute wünschen“, meinte er nur und ging dann -ohne ein weiteres Wort- aus dem Schulgebäude hinaus, wobei ich ihm verwirrt hinterher sah. Eine Hand auf meiner Schulter ließ mich erneut zusammenfahren. Es war jedoch nur Rosalia, wie ich kurz danach mit einem Blick zur Seite feststellen konnte. „War das gerade Lys?“, wollte sie mit einer -mir unbekannten- Neugier in ihren Augen von mir wissen. Als Antwort nickte ich und sagte: „Ja, er hat uns noch viel Spaß für heute gewünscht.“ „Ach so“, meinte sie nur geheimnisvoll, bevor sie mich an der Hand nahm und mit den Worten: „Na dann lass uns losgehen, wir haben viel vor!“, zu sich nach Hause schleifte. ~.~.~ Zuerst dachte ich, dass Rosalia ihre letzten Worte, bevor wir zu ihr gingen, nur so allgemein gesagt hätte, aber wie ich schnell feststellen musste, hatte ich meine neue Freundin unterschätzt. Bei ihr angekommen, ließen wir unsere Schulsachen, sowie meine Sachen für die Übernachtung dort stehen, bevor wir mit dem Bus zum Kaufhaus in die Stadt fuhren. Während der Busfahrt fragte sie mich, wie es mir bisher auf Sweet Amoris gefiel und ich sagte ihr, dass ich es -von Amber und Co. Mal abgesehen- besser finde als auf meiner alten Schule. Danach wollte sie jedoch wissen, ob mir schon ein Junge gefiele. Dies verneinte ich aber, woraufhin sie nachdenklich aus dem Fenster sah. Auf meine Frage, was wir alles machen würden, grinste sie nur mysteriös und antwortete: „Das wirst du noch früh genug erfahren.“ Als wir dann endlich ankamen, schleppte sie mich sofort in unzählige Läden. Von Klamotten über die passende Kette, bis hin zu den Schuhen war alles dabei. Ich hatte -vor diesem Tag- noch nie in meinem bisherigen Leben so viel Geld für Kleidung auf einmal ausgegeben. Mein Taschengeld floss nur so dahin. Nachdem wir unzählige Läden abgeklappert hatten, machten wir es uns vor einem Café gemütlich. An meinem Kaffee schlürfend, hielt ich den Glauben aufrecht, nun endlich wieder zurückfahren zu können. Ich war nämlich mit Tüten nur so überhäuft und hatte das Gefühl, dass ich keine weitere mehr tragen konnte. Diese Überzeugung ließ Rosa aber mit nur einem Satz in sich zusammenfallen: „Und jetzt sind die Unterwäscheläden dran!“ Ich verschluckte mich beinahe ein meinem heißen Getränk und schaute meine Freundin entgeistert an. „Wie meinst du das, Rosa?“, wollte ich hustend von ihr wissen. Es war nämlich nicht so, dass ich keine weiter besaß und ich deswegen neue brauchte. „Na, so wie ich es gesagt habe“, antwortete sie mir, „du hast nämlich scheinbar nur -wie ich beim Sportunterricht in den Umkleiden beobachten konnte- ganz einfache Unterwäsche und nichts ausgefallenes, was du aber besser haben solltest, wenn du dir einen Jungen schnappen willst.“ Mein Gesicht wurde in diesem Moment wahrscheinlich so rot wie eine Tomate, während ich nur stotternd fragte: „A-aber woher willst du wissen, ob ich einen festen Freund haben will oder nicht?“ „Weibliche Intuition mit einer großen Portion deine Freundin zu sein, aber darüber reden wir später genauer, wenn wir wieder bei mir sind!“ Mit diesen Worten schleppte sie mich auch schon in einen der besagten Unterwäscheläden. ~.~.~ „Sieh mal, Lulu! Der würde dir bestimmt passen!“, rief Rosa durch den halben Laden und einige Kundinninen reckten scheinbar neugierig die Köpfe in ihre Richtung. Sie hatte einen hellblauen BH, welcher mit schwarzen Bändchen und Spitze verziert war, in die Luft gehoben, damit ich ihn auch ja sehen konnte. „Oh man, Rosa…“, murmelte ich kopfschüttelnd und mit hochrotem Kopf, „ich geh nie wieder mit dir Klamotten kaufen!“ „Waaas?“, kam es von hinter mir und -mal wieder- zuckte ich erschrocken zusammen. Wie hieß es so schön? Aller Guten Dinge ist drei? Ich drehte mich zum Ursprung meines Schreckens um, was meine Situation auch nicht gerade verbesserte. Ein Blick genügte nämlich, dass ich sofort versteinerte und nur noch heraus brachte: „Die probiere ich sicherlich nicht an!“ Rosa hatte sich selbst übertroffen. Mit mehreren Büstenhaltern und den dazugehörigen Höschen stand sie vor mir, aber als würde das noch nicht reichen, hatte sie auch noch ein paar Dessous herausgesucht. Das ging definitiv zu weit! Eigentlich hatte ich gehofft, einen neuen Bikini für den Sommer zu finden, aber doch keine Dessous! „Ach komm schon Lulu…“, versuchte sie mich zu überreden und zog sogar einen Schmollmund. War das wirklich ihr Ernst? Ich schloss meine Augen und musste erst einmal tief durchatmen, bevor ich Rosalia wieder ansehen konnte und meinte: „Na gut, wie du willst! Aber ich ziehe keins von diesen Verführern an!“ Sofort stahl sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht und sie überreichte mir die restliche Unterwäsche. Auf dem Weg zu Umkleidekabine und auch noch während des Anprobierens, beschlich mich das flaue Gefühl, sie hatte die Dessous nur rausgesucht, damit ich die anderen anprobierte. Ich schüttelte den Kopf und verwarf diesen Gedanken. Das würde sie doch nicht machen…oder doch? ~.~.~ „Puh, bin ich fertig!“, seufzte ich, als wir wieder bei Rosa zu Hause waren. Sofort hatte ich die ganzen Tüten neben meine anderen Sachen gestellt und mich -fertig wie ich war- einfach daneben gesetzt. Ich hätte nie gedacht, dass shoppen so anstrengend sein kann. Zwar war ich davor auch schon öfter mal Klamotten und so einkaufen gewesen, aber ich hatte mich in meinem Leben noch nie so erledigt gefühlt! „Du siehst aber ganz schön erschöpft aus, Lulu! Am besten hole ich uns etwas zu Essen und Trinken hoch“, schlug sie vor und verschwand auch schon die Treppe hinunter. Währenddessen schloss ich meine Augen, lehnte den Kopf gegen die Wand und atmete tief durch. Bisher war der Tag relativ gut verlaufen und ich freute mich schon auf den eigentlichen Abend. Als wir aus dem Kaufhaus nämlich heraus kamen, war es schon spät geworden. Meine Gedanken schweiften zu Kentin. Wie es ihm wohl ging? Meine Kenntnisse über Militärschulen waren nämlich gleich null und wenn ich den Filmen und Serien Glauben schenkten konnte, dann waren das Schulen, an denen Disziplin und Ordnung ganz oben standen. Verstöße jeglicher Art werden hart bestraft. Deswegen hoffte ich, dass es ihm dort besser ging als hier, hinsichtlich Amber und ihrer Clique wohlgemerkt. „Nicht schlafen, Lulu!“, ertönte Rosalias Stimme direkt neben mir, woraufhin ich erschrocken zusammen zuckte und die Augen aufriss. Wollte sie mich etwa töten?! „Oh Gott, Rosa!“, rief ich entsetzt aus, „willst du mich umbringen?! Ich hätte einen halben Herzinfarkt bekommen können!“ Sie grinste nur, hielt mir ein Teller mit Sandwichs hin und meinte: „Ach, Quatsch! Rede nicht so ein Stuss, Lulu. Derjenige, der einen Herzinfarkt erleiden wird, ist Lysander, wenn er dich in einen deiner neuen BHs und dem dazugehörigen Höschen sieht!“ Der Bissen von meinem Salamisandwich blieb mir im Hals stecken, woraufhin ich heftig anfangen musste zu Husten, um dieses Stückchen auf den richtigen Weg zu bringen. Röchelnd und halb erstickt wollte ich von ihr wissen: „Wie bitte, was? Woher willst du das denn wissen? Ich habe nämlich nicht vor, nächste Woche nur in Unterwäsche in die Schule zu kommen!“ „Mensch, Lulu!“, beschwerte sie sich seufzend, nachdem ich wieder normal atmen konnte, „Du bist ja wirklich so blind, wie Alexy es mir gesagt hat! Hast du noch nie bemerkt, wie Lysander oder Kentin dich angesehen und angelächelt haben? Die zwei stehen auf dich! Das sieht sogar ein Blinder mit einem Krückstock! Zwar ist Ken jetzt weg, aber nun ist die Bahn frei für Lysander!“ „Stopp! Das wird nun wirklich zu viel für mich. Erst schleifst du mich in einen Dessousladen und dann behauptest du, die beiden würden auf mich stehen, was aber nicht stimmt!“ „Wie du meinst… Aber solltest du Hilfe brauchen, sag mir bescheid! Ich helfe gerne dabei, wenn du dir Lys schnappen willst!“, rief sie optimistisch. Wenn sie so weiter machte, würde ich am Ende auch noch glauben, dass ich mit Lysander zusammen kommen würde. „Wer ist eigentlich Alexy?“, fragte ich nachdem wir aufgegessen hatten. Rosa schien sich gut mit ihm zu verstehen, wie ich aus ihren Worten schließen konnte, als sie mich blind nannte. „Alexy ist der Typ mit den blauen Haaren, der manchmal bei mir ist. Er ist unteranderem auch der Zwillingsbruder von Armin.“ „Und wer war Armin nochmal?“ „Armin ist der Schwarzhaarige, der entweder im Unterricht schläft oder aber zockt“, erklärte sie mir. Nun wurde mir auch klar, warum die beiden fast immer zusammenhingen und sich recht ähnlich sahen. ~.~.~ Wenn man von dem Vorfall mit der Unterwäsche und dem Thema mit Kentin und Lysander absah, war es eine sehr tolle Übernachtung gewesen. Nachdem wir uns zum Schlafen gehen umgezogen hatten, schauten wir uns noch Filme an, die wir schon immer mal sehen wollten. Darunter waren einige Fantasy-, Action-, aber auch Kinderfilme wie Peter Pan oder König der Löwen gewesen. Etwas später waren dann auch noch die Horrorfilme dran. Wir gruselten uns schon bei einfachen Dingen und schrieen fast gleichzeitig auf, wenn wir uns erschreckt hatten. Als wir dann so langsam schlafen gehen wollten, lagen wir noch eine ganze Weile wach, weil uns noch die ganzen Monster und Horrorgestalten in den Knochen saßen. Um die Angst zu vertreiben, redete über irgendwelche Dinge aus unserem Alltag -wie beispielsweise die plötzliche Stille um Amber- bis wir einschlafen konnten. Kapitel 5: Nachsitzen Dank Amber -------------------------------- Am Montag nach dem Wochenende fühlte ich mich wie gerädert, was sicherlich von den Horrorfilmen und dem damit verbundenen Schlafentzug kam. Wahrscheinlich konnte ich mit meinem Aussehen gleich selbst in einem mitspielen. Als Rosa mich am Morgen für Schule abholte, starrte sie mich für einen kurzen Moment entgeistert an, was meinen Verdacht, selbst wie ein Zombie zu wirken, verstärkte. Mit Sicherheit lief ich sogar wie einer, denn Rosalia bewahrte mich -mehr als einmal- davor, gegen etwas zu laufen. Sie schliff mich, ohne groß rumzutrödeln, auf die Mädchentoilette und versuchte dort, noch etwas von mir zu retten. Ein Blick danach in den Spiegel verriet, dass Rosa wahrlich ein Talent für’s Schminken besaß. Sie hatte zwar sehr viel Make-up benutzt, aber trotzdem sah es so aus, als wäre ich nur dezent geschminkt. Ich mochte es eigentlich nicht, aber in solchen Ausnahmesituationen, beziehungsweise Notfällen, sah ich darüber hinweg. Besonders wenn man mit einer solch begabten Freundin gesegnet war. „Danke Rosa. Ich glaube, du hast mir damit den Tag gerettet“, nuschelte ich, noch immer leicht verschlafen und sah sie dankbar an. Dass ich dabei wahrscheinlich eher eine groteske Grimasse zog, interessierte mich im Moment herzlich wenig. Sie lächelte begeistert und meinte: „Keine Ursache, Lulu. Das ist eine meiner leichtesten Übungen! Wir sollten uns aber beeilen, sonst kommen wir noch zu spät zur ersten Stunde! Du weißt ja noch gar nicht, wie biestig unsere nette Biolehrerin ist…“ ~.~.~ Rosa sollte Recht behalten, was unsere Biolehrerin anging. Letzte Woche war sie nicht da gewesen, weshalb wir an diesem Tag Vertretung hatten und ich diese -wie meine liebe Freundin schon erwähnt hatte- außerordentlich nette und freundliche Lehrerin leider erst an diesem Montag kennenlernen durfte. Das Gruseligste an dieser ganzen Sache war, dass sie scheinbar mehr über mich wusste, als ich über sie. Dies bewies sie mit einem Kommentar ihrerseits, nachdem ich eine Antwort auf ihre -an mich gerichtete Frage- regelrecht verpeilt hatte. „Lucy, ich bin sehr enttäuscht von dir… Letzte Woche hat es doch noch so gut geklappt! Entweder besitzt du einfach keine ausdauernde Konzentration…oder, liegt es etwa an deinem kleinen Freund, der die Schule leider wieder verlassen musste?“ Ich hatte zwar keine Ahnung, woher sie von Kentin und mir wusste, aber in dem Moment wurde ich urplötzlich so wütend, dass ich einfach geradeheraus erwiderte: „Naja, wenn Sie mir schon die Wahl lassen, dann muss es wohl der Mangel an ˈausdauernde Konzentrationˈ liegen. Alles andere hat Sie ja nichts anzugehen, nicht wahr?“ Ihrem giftigen Blick nach zu urteilen, hätte ich meinen Mund lieber nicht so weit aufreißen sollen. Natürlich musste sie es mir im Laufe des weiteren Unterrichts demonstrierten. Dies ließ sie in Form einer mündlichen Leistungskontrolle, einer Stundennote, sowie weiteren Aufforderungen und der Abgabe des Unterrichtstoffes geschehen. Doch trotz meiner Müdigkeit und der damit verbundenen schlechten Laune, schlug ich mich tapfer und bot ihr die Stirn. Wenn ich schon unterging, dann sicherlich nicht kampflos! Am Ende der Stunde rief sie mich zu ihr und nörgelte: „Wie ich es dir ja bereits schon sagte, bin ich sehr unzufrieden mit deiner Leistung im Unterricht. Solltest du mir nochmals so negativ auffallen, wird das Konsequenzen, in Form von Nachsitzen, nach sich ziehen! Normalerweise greife ich nicht zu solch drastischen Maßnahmen, aber du lässt mir ja keine andere Wahl. Und jetzt beeil dich, um in deinen nächsten Unterricht zu kommen! Du willst dir doch nicht noch mehr Ärger einheimsen…“ „O-okay…“, brachte ich nur heraus und wandte mich ab. Sie sollte nicht wissen, wie sich Wut, Verwirrung und eine kleine Brise Hass auf ihre hochnäsige und überhebliche Art, in meinem Gesicht widerspiegelten. Welcher Lehrer, abgesehen von ihr natürlich, ließ einen Schüler wegen einmaliger Unaufmerksamkeit, nachsitzen? Naja, bestimmt verstand sie sich blendend mit Fräulein Nimmerschön, alias Amber. Draußen, auf dem Gang, wartete Rosalia mit einer kleinen Gruppe von Mädchen. Ich erkannte Kim, Viola, Iris und Peggy. Sofort stürzte Peggy auf mich zu und wollte haargenau wissen, was mir unsere Biolehrerin erzählt hat. „Das wird einer super Schlagzeile abgeben!“, rief sie begeistert, „ˈMrs. Martins vs. Lucy, die Revolution der Schülerˈ! Verstehst du nun warum ich das alles wissen will, Lucy? Du wirst der Star in der Schule sein! Es hat sich nämlich noch niemand getraut, sich mit ihr anzulegen. Alle, außer du!“ „Peggy, das reicht. Lass sie lieber in Ruhe! Die Kleine hat auch ohne dich schon so genug Probleme, da brauch sie nicht noch mehr Lehrer und Schüler, die sich gegen sie stellen“, mischte Kim sich mit ein, worüber ich ihr sehr dankbar war. Jedoch war ich nicht einer Meinung mit ihr, was meine Körpergröße betraf. Leicht verärgert, die Geschichte ihres Lebens gehen zu lassen, lief Peggy den Flur entlang in Richtung Kunstraum. Sie war manchmal wirklich eigenartig… ~.~.~ Es war mittlerweise schon Mittag und die zweite große Pause, beziehungsweise die Mittagspause, voll im Gange. Auf dem Weg zu meinem Schließfach schlenderte ich, etwas in meinen Gedanken versunken, gemächlich Schulflure entlang. Ich bemerkte deswegen auch nicht Amber, die sich an meinem Schießfach zu schaffen machte, bis ich gegen sie stieß. Erschrocken wichen wir beide jeweils einen halben Meter voneinander zurück und starrten uns mit vor Schreck geweiteten Augen an. Kaum zu glauben, dass ich einmal diesen Augenblick erleben durfte, in welchem Amber mich mit einem überraschten Gesichtsausdruck ansah. Leider hielt sich dieser nicht lange, denn sobald sich der erste Schrecken gelegt hatte, schaute sie mich mit ihrem typisch arroganten Blick an. „Was machst du denn hier?! Es ist Pause, also hast du gefälligst nicht auf den Gängen herumzuschnüffeln!“, tadelte sie mich und warf demonstrativ ihre blonde Mähne nach hinten. Zum Glück, ich hatte meine Haare damals abgeschnitten… „Wie bitte?!“, erwiderte ich entrüstet, „du bist doch hier diejenige, welche auf den Fluren herum gaunert! Scheinbar vorzugsweise vor meinem Schließfach! Was hattest du da eigentlich zu schaffen?!“ Sie schnaubte: „Als würde ich an deinen Sachen interessiert sein! Schulsachen habe ich selber und an dem, was du da sonst noch drin gelagert hast, hege ich ebenfalls kein Interesse! Wenn du es unbedingt wissen willst; ich bin nur zufällig hier, weil ich auf diesem Weg auf den Pausenhof wollte.“ „Und zufällig hast du meine Hausaufgaben auf dem Boden liegen sehen. So hilfsbereit wie du bist, wolltest du sie bestimmt aufheben und mir dann später wieder zurückgeben, nicht wahr?“, wollte ich von hier wissen. Ein kurzer Blick auf ihre Hände verriet sie, denn sie hatte mehrere linierte Blätter bei sich und davor war sie auch noch an meinem Spind gewesen. Am Morgen hatte ich nämlich dort meine Hausaufgaben für Geschichte deponiert. „Was bildest du dir bitte ein?! Das sind meine und nicht deine! Wenn du deine zu Hause vergisst, ist das dein Problem und nicht meins! Jetzt lass mich gefälligst in Ruhe!“ „Was ist denn hier los?!“ Während Amber zum Ursprung der Stimme blickte, fluchte ich innerlich. Denn diese Stimme -die ich an diesem Tag zum ersten Mal vernehmen durfte- hatte sich schon beim ersten Wort, das sie aussprach, tief in mein Gedächtnis gebrannt. Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich diese Person erst in der nächsten Woche wiedersehe, aber scheinbar war mir das Glück nicht hold. „Ah, Sie sind es, Mrs. Martin! Sie kommen gerade rechtzeitig!“, rief Amber der Biolehrerin zu, „Lucy hat mich beschuldigt, dass ich mich an ihrem Schließfach vergriffen hätte, um ihre Hausaufgaben zu klauen! Dabei habe ich nur gerade meine eigenen geholt! Ich kann ja nichts dafür, dass sie einen Spind in meiner Nähe hat. Es ist aber eine Unverschämtheit, mich eines Verbrechens zu beschuldigen, welches ich nicht begangen habe, nur um selbst an die Hausaufgaben zu kommen, die sie nicht gemacht hat!“ „Wie bitte?!“, entkam es mir bestürzt. Was konnte ja wohl nicht wahr sein! Sie log sie einfach, ohne mit der Wimper zu zucken, an! Dieses unverschämte Verhalten, mich einfach eines angeblich versuchten Diebstahls zu beschuldigen, ließ ich nicht auf mir sitzen: „Du lügst ja wie gedruckt, Amber! Als würde ich mich dazu herablassen, von jemanden -vor allem nicht dir- irgendwelche Hausarbeiten zu stehlen! Außerdem-„ „Sei still, Lucy! Ich hatte dich gewarnt, dass du, solltest du mir nochmals negativ auffallen, nachsitzen wirst. Eigentlich habe ich dich für klüger gehalten, aber gut, da kann man wohl nichts machen… Ich werde jedenfalls einen Brief an deine Eltern schicken, dass du beim nächsten Mal eine Strafarbeit erledigen wirst! Morgen Nachmittag will ich dich beim Nachsitzen vorfinden, sonst droht dir wie gesagt mehr als nur das. Außerdem gebe ich auch Mr. Faraize Bescheid, dass du deine Aufgaben nicht erledigt hast und sie stattdessen von einer Mitschülerin klauen wolltest!“, donnerte Mrs. Martins und in mir begann es zu brodeln. Dieses Mädchen und diese Frau waren einfach nur unmöglich! Kaum zu glauben, dass sie die Geschichte von Amber glaubte! Es klingelte zum Ende der Pause und unsere Biolehrerin ging mit den Worten: „Komm nicht zu spät zum Unterricht!“ wieder weg. Amber folgte ihr und grinste mir noch hämisch und siegesgewiss hinterher. Als sie außer Sichtweite waren, ließ ich meine Schultern sinken, öffnete mein Schließfach und suchte nach den Hausaufgaben. Natürlich fand ich sie nicht und machte mich auf zum Geschichtsraum. ~.~.~ Der Tag verlief aber auch weiterhin so prickelnd. Da Mr. Faraize scheinbar nicht sehr gut gelaunt war, durfte ich am morgigen beim Nachsitzen die Aufgaben nachholen. Und als wäre das nicht schon genug, wollte er mich nach der Stunde nochmals sprechen, wobei er mir eine Standpauke hielt und mir ebenfalls nochmal erklärte, dass ich bei einer weiteren Auffälligkeit, einen Strafdienst ausführen durfte. Aber am besten war die Reaktion meiner Eltern, als sie vom Nachsitzen und den weiteren Maßnahmen erfuhren. Mein Dad wurde sehr wütend und gab mir eine Woche lang Hausarrest, während meine Mom enttäuscht von mir war. Wütend und gedemütigt, zu Unrecht bestraft geworden zu sein, schmiss ich mich aufs Bett, drückte mir ein Kopfkissen ins Gesicht und wollte alles einfach nur noch vergessen… Warum musste die Welt manchmal so ungerecht sein…? Kapitel 6: Ein Notizbuch kommt nur selten allein ------------------------------------------------ Am nächsten Tag sah es auch nicht viel besser aus. Rosa wartete wie üblich vor unserem Haus, damit wir zusammen zur Schule laufen konnten. Bevor ich jedoch zu ihr herunter lief, erinnerte ich meine Mom nochmals daran, dass ich -Dank des Nachsitzens- später als sonst nach Hause käme. Sie meinte nur trocken, dass sie noch kein Alzheimer hätte und ich sie nicht daran erinnern bräuchte. Etwas angeknackst von ihrer Antwort, schnappte ich mir meine Schulsachen und stürmte regelrecht die Treppen hinunter. Ich wollte nur noch weg von meiner Mom und dieser ganzen miesen Stimmung. Aber in der Schule würde es nicht allzu anders aussehen. Auch da würde es dicke Luft geben, sowie die Urheber meiner Misslage. „Hey Lulu! Tut mir leid wegen gestern, aber ich musste von meinen Eltern aus auf die Geburtstagsfeier von meiner Großmutter Gisela und…“, brach sie ab, als sie meine -nicht gerade florierende- Stimmung bemerke. Sofort fragte sie besorgt nach: „Was ist denn los? Ist dir wieder Mrs. Martins auf die Nerven gegangen oder hat Amber wieder etwas auf deine Kosten angestellt? Wenn ja, dann werde ich diesem arroganten Mädchen zeigen wo der Hase langläuft! Es kann einfach nicht sein, dass sie dich immer wieder versucht fertigzumachen!“ „Rosa, bitte beruhige dich erst einmal“, bat ich meine Freundin, obwohl es in mir selber auch wieder anfing zu brodeln, als ich mir an die Geschehnisse vom vorherigen Tag ins Gedächtnis rief. Man merkte, wie sie widerwillig meiner Bitte nachkam. Als ich mir sicher war, dass Rosa auf Normaltemperatur herunter gekühlt war, lief ich los und begann zu erzählen: „Du hast leider den Nagel auf den Kopf getroffen. In der großen Pause ging ich zu meinem Schließfach, um meine Geschichtshausaufgaben für die nächste Stunde zu holen. Da ich zu sehr mit meinen eigenen Gedankengängen beschäftigt war, bemerkte ich Amber erst, als ich gegen sie stieß. Wir wichen erschrocken zurück, aber als wir uns von diesem Schock erholt hatten, entdeckte ich in ihrer Hand einen kleinen Stapel Zettel. Diese hatte sie scheinbar aus meinem Spind geklaut, da sie vor ein paar Sekunden noch genau davor stand. Natürlich beschuldigte ich sie und sie hielt wie erwartet dagegen. Also stritten wir uns lautstark im Flur, bis Mrs. Martins kam, und wissen wollte, was los sei. Amber hatte dann ihre Version der Geschichte erzählt und mich als Dieb ˈihrerˈ Hausaufgaben dastehen lassen. Als ich versuchte mich zu verteidigen, unterbrach mich unsere herzallerliebste Lehrerin und brummte mir Nachsitzen für heute auf. Aber als wäre das nicht schon genug, drohte sie mir mit Strafarbeit und gab die ganze Lügengeschichte von Amber an Mr. Faraize weiter. Dieser hielt mir ebenfalls eine Standpauke und als meine Eltern davon erfuhren, waren sie wütend und enttäuscht von mir, weswegen sie mir eine Woche Hausarrest auferlegten.“ Wir liefen ein kleines Stück schweigend den Weg entlang, denn Rosalia dachte nach, was sie mir antworten sollte. Oder aber sie schmiedete bereits irgendwelche Pläne. Ich hoffte, sie grübelte nur nach einer passenden Antwort. „Okay“, meinte sie, kurz vor unserem Ziel, „bei Mrs. Martins ist schon alles hoffungslos verloren, aber ich bin mir sicher, dass man Mr. Faraize gut zureden kann. Am besten suchen wir ihn in einer der großen Pausen auf und versuchen ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Und für Amber lasse ich mir noch etwas einfallen wenn du möchtest.“ Sie sah mich erwartungsvoll an und ich seufzte: „Na gut, das mit Mr. Faraize können wir ja mal probieren. Die Rache für Amber muss aber noch etwas warten, denn sonst biegt sie es wieder so hin, dass ich der Sündenbock bin und alles ausbaden darf…“ „Abgemacht! Das wird schon wieder“, sprach sie mir zu und lächelte mich aufmunternd an. Zum Glück hatte ich Rosa. Nicht zum ersten Mal war ich froh darüber, mit einer so tollen Freundin gesegnet zu sein und mit nun hoffnungsvollen Schritten überquerte ich zusammen mit Rosalia die Straße in Richtung Schule. ~.~.~ Mr. Faraize zu finden war ein Kinderspiel, ihn aber von der Wahrheit zu überzeugen, stellte sich als schwieriger heraus als gedacht. Er war nämlich felsenfest davon überzeugt, dass Mrs. Martins ihn niemals anlügen würde und wir mehr Respekt ihr gegenüber zeigen sollten. Das Ganze zog sich solange hin, bis er rief: „Lucy, du wirst beim Nachsitzen heute nicht nur die Aufgaben von gestern nachholen, sondern auch noch extra Aufgaben! Und du, Rosalia, gesellst dich gleich auch noch zu ihr, wenn du nicht sofort aufhörst. Ich bin eigentlich kein Lehrer, der gern solche Maßnahmen verordnet, aber ihr zwingt mich ja regelrecht dazu!“ „Ich hätte nichts dagegen, mit Lulu zusammen nachzusitzen“, erklärte Rosa Mr. Faraize ihren Standpunkt und ihre Meinung, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. In diesem Moment nahm ich mir vor, ihr, egal wie tief die in irgendwelchem Mist stecken würde, entgegenzukommen und zu helfen, sollte sie mal in irgendwelchen Schwierigkeiten steckten, beziehungsweise meine Hilfe benötigte. Mich beschlich das ungute Gefühl, dass ich Rosa noch sehr oft an meiner Seite bräuchte. Die letzten Worte von unserem Geschichtslehrer hallten in meinem Kopf nach. Sie kamen mir nur allzu bekannt vor, und im nächsten Moment wusste ich wieder, von wem sie eigentlich stammten. Besagte Person tauchte nämlich hinter ihm auf und gesellte sich neben ihn. „Gibt es irgendein Problem hier, Mr. Faraize? Bereitet Lucy Ihnen wieder Schwierigkeiten?“, wollte Mrs. Martins von unserem Klassenlehrer wissen. Irgendwie überkam mich das Gefühl, dass diese Frau -wie eine Motte vom Licht- von Streit und Ärger angezogen wurde. Konnte sie ihre Nase nicht ein einziges Mal aus den Angelegenheiten anderer Menschen heraushalten?! Gerade als Mr. Faraize zu einer Antwort ansetzen wollte, schnitt ihm Rosa das Wort ab und erwiderte: „Nein, es ist alles in Ordnung, Mrs. Martins. Sie brauchen sich keine Sorgen machen, dass Lulu etwas anstellt, denn sie ist eine sehr zuverlässige und strebsame Schülerin!“ Nach einem kurzen Blick auf die Uhr an der Wand im Gang, fügte sie hinzu: „Wir müssen nun zu unserem nächsten Unterricht. Einen schönen Tag Ihnen beiden noch!“ Genau in diesem Moment klingelte es zum Ende der Pause und Rosa zog mich hinter sich her in Richtung Geografieraum. Das war gerade nochmal relativ gut ausgegangen… ~.~.~ Kaum war die Pause zu Ende, war auch schon der Tag größtenteils vorbei. Was hieß, dass die Schule beendet war und alle Schüler nach Hause gehen durften…naja, fast alle. Ich war leider eine der Unglücklichen, welche noch nach dem Unterricht im Schulgebäude bleiben mussten. Wie es der Zufall so wollte, wusste ich, in welchem Raum das Nachsitzen immer stattfand. Nun wartete ich nur noch, bis alle rausgegangen waren, damit ich in Ruhe den Raum aufsuchen konnte. Es musste ja nicht sofort die ganze Schule erfahren, dass die „Neue“ gleich in ihrer zweiten Woche an dieser Schule schon zum Nachsitzen musste… Das Klassenzimmer und der Flur draußen waren nun verlassen und ich hielt es für den richtigen Zeitpunkt, mich zu meiner nicht verdienten Strafe aufzumachen. Ich schulterte meine Tasche und wollte gerade losgehen, als ein Gegenstand in meinem Augenwinkel, meine Aufmerksamkeit erregte. Als ich mich dem Tisch näherte, erkannte ich, was es eigentlich war. Es war ein Notizbuch und es lag sogar noch aufgeschlagen auf dem Sitzplatz. Aus Respekt für das Gedankengut des Verfassers, schlug ich es zu, ohne einen genaueren Blick auf den Inhalt zu werfen und nahm es an mich. Ein Blick zur Uhr verriet mir, dass ich mich langsam mal beeilen sollte, den Raum des Nachsitzens aufzusuchen. Da ich mir fest vornahm, das Büchlein beim Sekretariat abzugeben, packte ich es schnell in meine Tasche und flitzte geschwind zu besagtem Raum. Dort angekommen, blieb ich überrascht im Türrahmen stehen. Mr. Faraize war noch gar nicht da und auch sonst war keine Menschenseele weiter anzutreffen. Hatte ich mich etwa im Raum geirrt oder mich gänzlich verirrt? Dabei war ich mir doch so sicher gewesen, dass es genau hier war. „Keine Sorge, du bist richtig“, ertönte es hinter mir und ich zuckte erschrocken zusammen. Herrje war ich schreckhaft! Früher war das eigentlich nicht der Fall gewesen. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass ich jeder Sekunde einen Angriff von Amber erwartete. Wie ich anhand der Stimme und einem Blick zur Seite feststellen konnte, war es mein Klassenlehrer, welcher den Flur entlang geeilt kam. Ich fragte mich, warum er erst jetzt kam, denn eigentlich kam er immer pünktlich zu seinem Unterricht. „Wo waren Sie denn?“, fragte ich nach. Klar, man stellte solche Fragen normalerweise nicht, aber ich war halt eine sehr neugierige und wissbegierige Person. Dagegen konnte man nichts machen. Das war einfach so. „Ich…wurde etwas aufgehalten. Aber jetzt geh ruhig rein und suche dir einen Platz aus. Ich komme gleich nach“, erklärte er nur flüchtig, wechselte das Thema, schloss schnell die Tür auf und ging weiter in Richtung Vorbereitungsraum. Etwas verwirrt über seine Antwort, tat ich wie geheißen und suchte mir einen Platz im Klassenzimmer. Da es wenig Sinn hatte, sich irgendwo ganz hinten hinzusetzen, nahm ich einen Platz in den vorderen Reihen, in der Nähe des Lehrertisches und kramte meinen Block und meine Federtasche heraus. Mehr würde ich ja wohl nicht brauchen. Mr. Faraize ließ nicht lange auf sich warten. Mit einigen Blättern in der Hand kam er zurück und gab sie mir. Es waren Arbeitsblätter, auf denen das Thema der Hausaufgabe vom letzten Mal abgefragt wurde, sowie etwas aus der letzten Stunde. Ich ließ meinen Blick über die Blätter schweifen. Dabei bemerkte ich, dass wenn man sich mit dem Thema beschäftigt hatte, alles ohne weiteres lösen konnte. Für eine bestimmte Hälfte der Schülerschaft sah das etwas anders aus... Aber weil ich ja die Aufgaben eigentlich erledigt hatte und im Unterricht gut aufgepasst hatte, wusste ich dementsprechend alles und fing eifrig an, die Arbeitsblätter auszufüllen. ~.~.~ In Gedanken verloren schlenderte ich die Gänge entlang. Nachdem ich fertig und das Nachsitzen beendet war, machte ich mich auf den Weg ins Sekretariat. Zu meinem Pech hatte es aber bereits schon geschlossen. Ich musste also auf den morgigen Tag warten, um das Notizbuch abgeben zu können. Als ich so vor mich hin lief, schweiften meine Gedanken -wie so oft in letzter Zeit wenn ich allein war- zu Kentin. Wieder und wieder stellte ich mir dieselben Fragen und grübelte darüber, ob es ihm gut ging, was er so alles wohl machte, ob er schon Freunde gefunden hatte und ob er mich vermisste. Auf der einen Seite war ich froh, dass er den ganzen Stress mit Amber nicht mehr hatte und damit wahrscheinlich auch keinen mit Mrs. Martins, aber auf der anderen Seite fehlte er mir doch irgendwie. Zwar hatte er mir einen kleinen Teddy zum Abschied geschenkt, und klar, seine fröhliche und offene Art konnte manchmal nervig werden, aber trotzdem hatte ich ihn doch gerne um mich gehabt. Desweiteren- Plötzlich stieß ich mit jemand zusammen und war sofort wieder in der Realität. Das Licht der schon untergehenden Sonne offenbarte mir, in wen ich da gerade hineingelaufen war. Mit seinen, an den Spitzen schwarzgefärbten, weißen Haaren, seinen zweifarbigen Augen und seinem auffälligen Kleiderstil, blieb Lysander nicht unentdeckt. „Oh, tut mir leid, ich hab dich nicht kommen hören. Scheinbar war ich zu sehr in meinen Gedankengängen vertieft“, entschuldigte ich mich bei ihm. Er schenkte mir ein Lächeln und scherzte dann: „Scheinbar sind wir beide manchmal mir unseren Gedanken ganz woanders. Aber ich muss mich auch bei dir entschuldigen. Schließlich war es auch meine Schuld, dass ich in dich reingelaufen bin.“ „Schon gut“, meinte ich und lächelte zaghaft zurück, „apropos, was machst du eigentlich noch so spät in der Schule? Der Unterricht ist doch schon lange zu Ende.“ „Naja, weißt du, ich bin ganz normal, wie jeden Tag, nach Hause gegangen. Als ich dort ankam, rief mich Castiel an, dass wir heute wieder Proben wollten und er erinnerte mich daran, ja mein Notizbuch mitzunehmen. In diesem Moment fiel mir aber auf, dass ich es nicht mehr hatte und suchte mit meinem Bruder zusammen unsere Wohnung ab. Wir kamen schnell zu dem Ergebnis, dass es nicht dort war und so machte ich mich wieder auf den Weg in die Schule. Du musst wissen, ich verliere es sehr oft hier. Jedenfalls habe ich es in dem Raum gesucht, in welchem wir zuletzt Unterricht hatten, aber dort lag es auch nicht und so lief ich in Richtung Sekretariat und dachte darüber nach, ob es denn noch offen hätte.“ „Oooh!“, entkam es mir und nun wurde mir so einiges klar. Es war also Lysanders Notizbuch gewesen, welches ich auf dem Tisch gefunden hatte! Schnell kramte ich, auf der Suche nach besagtem Notizbüchlein, in meiner Mappe herum, ohne den verwunderte Blick Lysanders zu beachten. Meine Finger stießen auf den Einband des Buches und ich zog es mit einem, „Da ist es!“, heraus. Überrascht musterte er das Notizheft in meiner Hand. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass jemand es mitnahm. „Ich hatte es auf einem der Plätze gefunden und wollte es nach dem Nachsitzen abgeben, aber das Sekretariat war bereits zu, also beschloss ich es mitzunehmen und morgen abzugeben“, klärte ich ihn schnell auf, doch er sah mich stirnrunzelnd an. „Hast du gelesen was drinsteht? Und warum musstest du Nachsitzen?“ „Nein, das habe ich nicht“, gab ich ehrlich zu und schüttelte mit dem Kopf, „ich fände es nicht richtig, in den Sachen von anderen herumzuschnüffeln. Sicher, ich war neugierig was drinsteht, aber ich würde es auch nicht mögen, wenn jemand in meinen geheimen Gedanken lesen würde. Das mit dem Nachsitzen ist jedoch eine längere Geschichte.“ Als er meine Antwort auf seine erste Frage hörte, wirkte er erleichtert. Scheinbar hatte ich ihm einen schweren Stein vom Herzen genommen. Bei der Antwort auf das Thema Nachsitzen, wirkte er wieder so, als würde er über etwas Wichtiges nachdenken, bevor er dann meinte: „Das kannst du mir ja dann auf dem Weg zu dir nach Hause erklären.“ Völlig verdattert sah ich ihn an. Was hatte er gerade gesagt? Mein Blick entlockte ihm ein Lachen und er klärte mich auf: „Ich werde dich nach Hause begleiten. Es ist schon spät geworden und einem Mädchen, das abends allein die Straßen entlang läuft, kann vieles passieren.“ „Ach so“, brachte ich nur zustande, gab Lysander sein Notizbuch wieder und lief neben ihm her, während ich die ganze Geschichte zu erzählen begann. Angefangen beim gestrigen Tag, bis kurz vor dem Zeitpunkt, als ich in ihn gelaufen war und er ihn mich. Als es mich fragte, was denn die Ursache für meine geistige Abwesenheit gewesen war, zögerte ich ein wenig, bis ich es ihm erzählte. Ich ließ aber aus, wie sehr ich Kentin vermisste. Als wir bei mir ankamen, munterte er mich mit den Worten, „Es wird ihm bestimmt gut gehen“, auf, bevor er mir noch einen schönen Abend wünschte und weiter ging. Erst in diesem Moment fragte ich mich, warum ich ihm eigentlich meine Gedanken über Kentin anvertraut hatte. Das Meiste wusste gerademal nur Rosa. Immer noch grübelnd ging ich ins Haus und sah bereits meine Eltern mit erwartungsvollen Blicken im Flur stehen. Der forschende Blick meines Vaters und das verräterische Glitzern in den Augen meiner Mom sagten mehr als tausend Worte. Scheinbar waren die Tatsachen, dass ich später als abgemacht nach Hause kam und mich ein Junge zur Haustür gebracht hatte, genug Gründe, um die kleine Auseinandersetzung vom Vortag zu vergessen. Ich konnte mir schon regelrecht vorstellen, wie sie mich beim Abendessen „unauffällig“ nach Lysander ausfragen würden und nach dem Grund meines Zuspätkommens. Bereits bei diesen Gedankengängen wünschte ich mir eine schnelle und gute Fluchtmöglichkeit. Das ganze konnte ja noch heiter werden… Kapitel 7: Unerwartete Wendungen -------------------------------- Kaum hatte ich die Tür hinter mir ins Schloss gezogen, überhäufte mich meine Mom auch schon mit den typischen „Wer war der Junge? Ist das dein Freund?“-Fragen. Sie war schon immer sehr direkt wenn sie etwas in Erfahrung bringen wollte. Fast schon wie Rosalia, die auch recht offen über so einiges redete. Bevor Moms Gedankengänge jedoch in mir unbekannte Richtungen ausarten konnten, erklärte ich den beiden alles kurz und knapp: „Lysander ist nur ein Klassenkamerad und ich habe ihn zufällig getroffen, als er nach seinem Notizbuch suchte. Weil es schon recht spät ist, bestand er darauf, mich nach Hause zu begleiten.“ Als ich endete, sah ich wieder das nur allzu bekannte Glitzern in Moms Augen. Ihre nächsten Worte bestätigten meinen Verdacht: „Was für ein Gentleman, Lulu. Du musst dich ranhalten, sonst schnappt ihn dir eine Andere weg.“ Zwar versuchte ich ihr klarzumachen, dass ich nichts von ihm wollte und wir aller höchstens Freunde waren, aber sie schien es mir nicht wirklich abnehmen zu wollen. Ich fragte mich, warum sie es nicht tat. Wahrscheinlich lag es an den Geschichten, die sie mir manchmal aus ihrer Jugend erzählte. Sie hatte mir einmal gesagt, dass ihre Eltern (meine Großeltern) nie wussten, ob sie einen Freund hatte oder nicht. Wenn sie dann doch mit einem Jungen „erwischt“ worden war, hatte sie immer gemeint, dass es nur ein Teampartner für ein Schulprojekt gewesen wäre. Als noch weitere Fragen mich zu überfluten drohten, verschwand ich mit der Ausrede auf mein Zimmer, es ginge mir nicht so gut und würde deswegen auch nicht zum Abendessen auftauchen. Meine Eltern ließen mich ziehen. Zum Glück, ohne nochmal nachzufragen! ~.~.~ Wie üblich wartete Rosa auf mich früh morgens, damit wir unseren Schulweg gemeinsam antreten konnten. Unüblich war allerdings, dass sie zusammen mit Lysander vor meinem Haus wartete. Zuerst dachte ich, er würde nur etwas mit ihr plaudern wollen, aber als er mich mit den Worten: „Guten Morgen, Lucy. Wir haben schon auf dich gewartet“, begrüßte, blieb mir jegliches Wort im Halse stecken. „Ähm…Guten Morgen zurück“, konnte ich nur herausbringen, da ich viel zu beschäftigt damit war, ihn entgeistert anzuschauen. Hatte er wirklich mit meiner besten Freundin zusammen auf mich gewartet? Wenn ja, dann stellte sich mir die Frage, warum er dies tat. Eigentlich lief er doch mit Castiel zusammen, oder nicht? Eine wedelnde Hand vor meinem Gesicht und Rosas Stimme brachten mich wieder zurück in die Realität: „He, ist jemand zu Hause? Wir müssten nämlich so langsam los. Außerdem ist es nichts Besonderes, wenn ein Junge mit uns läuft. Er ist nicht von einem anderen Stern, Lulu. Du kannst also aufhören, Lys so anzustarren als wäre er ein Alien.“ Mir schoss in Rekordzeit die Schamesröte ins Gesicht und schnell blickte ich zu meiner recht offenen Freundin. Lysander selbst schien es gelassen zu sehen, denn er lächelte nur amüsiert, bevor er mich verteidigte: „Ich kann Lucys Reaktion ganz gut nachvollziehen, denn auch ich wäre im ersten Moment verwundert, wenn beispielsweise Nathaniel morgens mit mir zur Schule laufen würde.“ Um dieser peinlichen Situation zu entkommen, lief ich mit den Worten, „Wir kommen noch zu spät zum Unterricht“, voraus. Lange hielt dieses Ausweichmanöver jedoch leider nicht, denn nur kurze Zeit später hatten mich die beiden auch schon wieder eingeholt. „Jetzt renn doch nicht so, Lulu!“, tadelte Rosa mich, als sie mich -etwas aus der Puste- endlich erreicht hatte. Sie hielt mich an der Schulter fest, damit ich nicht mehr so leicht abhauen konnte. Erst jetzt wurde mir klar, wie sehr ich doch überreagiert hatte. Was sollte das? Warum hatte ich mich so kindisch benommen? Lag es etwa an Lysander? Aber wenn ja, warum? …Nein, es war einfach nicht mein Tag und meine Woche, beschloss ich. Anderes zog ich erst gar nicht in Betracht. „Tut mir leid, ihr beide“, entschuldigte ich mich, „es liegt wahrscheinlich am ganzen Stress der vorherigen Tagen, dass ich so reagiert habe. Selbst meine Eltern schienen sauer auf mich zu sein, obwohl ich ja eigentlich gar nichts gemacht hatte!“ Rosa sah mich mitfühlend an. Sie kam auf mich zu, umarmte mich und meinte: „Das wird schon wieder alles! Glaub mir ruhig. Spätestens wenn Mr. Faraize deine Strafarbeit und die anderen kontrolliert, müsste ihm auffallen, dass Amber und du dieselbe Schrift haben. Solche Zufälle gibt es auch eigentlich nicht!“ „Da muss ich Rosalia Recht geben. Soweit ich weiß, gibt es keine zwei Menschen, die ein und dieselbe Schriftart haben. Außerdem wird er sich dann daran erinnern, dass du versucht hast, Mrs. Martins die Wahrheit zu erzählen, aber sie Ambers Geschichte Glauben schenkte. Du brauchst dir also keine Sorgen machen. Es legt sich schon wieder alles“, mischte sich auch nun Lysander ein. Ich war so davon gerührt, wie sie versuchten mich aufzumuntern, dass ich den Tränen nah war. Ihre Mühen waren auch nicht vergeblich, denn sofort fühlte ich mich besser und blickte hoffnungsvoll dem Tag entgegen. „Danke, dass ihr mich so gut aufbaut“, bedankte ich mich ehrlich bei den beiden, „jetzt habe ich kein allzu großes mulmiges Gefühl, in die Schule zu gehen. Zum Glück, habe ich noch euch!“ Rosalia ließ mich los und sah mich zusammen mit Lysander freudestrahlend an. Nicht zum ersten Mal machte ich mir Gedanken, was ich nur ohne Freunde auf der Sweet Amoris bloß machen würde… „Wir müssen aber nun wirklich los“, erinnerte uns Lysander, nach einem Blick auf seine Uhr. Und so machten wir uns auf den Schulweg. ~.~.~ Kaum in der Schule angekommen, rannte ein nervös wirkender Mr. Faraize auf mich zu. Es war schon echt gruselig, als er mir entschuldigend erzählte: „Ich muss mich bei dir sehr entschuldigen, Lucy. Als ich deine Arbeit von gestern beim Nachschreiben kontrollierte, fiel mir auf, dass ich diese Handschrift schon mal irgendwo gesehen hatte. Sofort dachte ich an die Worte deiner Klassenkameradin Rosalia, die mir geraten hatte, diese Arbeit mit der, die Amber abgegeben hatte, zu vergleichen. Tatsächlich stimmten beide Schriften überein und weil es sehr unwahrscheinlich war, dass du irgendein Blatt von Amber hast mitgehen lassen, musste an der Geschichte, welche Mrs. Martin mir erzählt hatte, etwas nicht stimmen. Wie gesagt, es tut mir außerordentlich leid, dich dieses Diebstahls beschuldigt zu haben und ich werde dir auch ein Schreiben für deine Eltern mitgeben lassen, worin alles nochmals erklärt steht.“ Mal wieder sprachlos, stammelte ich nur: „Oh, ähm, danke Mr. Faraize. Wie-“ „Bedanke dich nicht bei mir, sondern bei deiner Klassenkameradin Rosalia. Wenn sie mich nicht darauf aufmerksam gemacht hätte, wäre mir die Ähnlichkeit wahrscheinlich nicht aufgefallen. Aber entschuldige mich, ich muss noch etwas vorbereiten“, unterbrach er mich und zog mit diesen Worten von Dannen. Erst nach einigen Sekunden konnte ich das Gehörte weiterverarbeiten, denn ich war mir erst nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte oder aber nicht. Als mir dann endlich ein Ergebnis vorlag, drehte ich mich mit großen ungläubigen Augen zu Rosa um. Daher wehte also der Wind. Meine Retterin stand mit Lysander etwas abseits von mir, gleich vor den Schließfächern. Scheinbar hatten sie sich dorthin gestellt, damit Mr. Faraize in Ruhe mit mir reden und die ganze Situation aufklären konnte. Freudestrahlend umarmte ich meine beste Freundin und bedankte mich bei ihr: „Mensch, Rosa! Ich wusste ja gar nicht, dass du gestern nach der Schule nochmals bei ihm warst! Du bist einfach die Beste! Vielen Dank!“ „Ich weiß, dafür bin ich doch da, Lulu. Wann immer du irgendwelche Schwierigkeiten hast, ich bin immer für dich da, um dir zu helfen und beizustehen“, erwiderte sie ebenfalls glücklich und umarmte mich auch sehr kräftig zurück. „Du glaubst gar nicht, wie leicht es eigentlich war, Mr. Faraize zu überzeugen“, begann sie zu erzählen und ließ mich los, damit ich ihr besser zuhören konnte, „am Anfang hatte er alles abgestritten und wieder dieselben Worte wiederholt, welche er schon auf der Pause zu uns gesagt hatte, dass die Hexe ihn niemals anlügen würde und blah, blah, blah… Den Mist meine ich. Jedenfalls machte ich ihm klar, dass ich gar nicht davon ausging -natürlich eine Lüge-, sondern viel eher daran glaubte, dass Amber die Kräuterhexe angelogen hätte -was ja gar nicht weit hergeholt war. Er blieb still und dachte nach. Als er mir gerade antworten wollte, kam ich ihm zuvor und machte ihn darauf aufmerksam, sich gut zu erinnern, wann Amber das letzte Mal ihre Hausaufgaben hatte, und dann noch in einer solchen Ausführung und auf solch einem Niveau. Außerdem wies ich ihn darauf hin, er sollte doch mal die beiden Handschriften von ˈAmbersˈ Arbeit und der, die du dann später beim Nachschreiben erledigt hättest, zu vergleichen. Gerade als ich dachte, ich hätte ihn überzeugt, meinte er nur, dass sich auch schlechte Schüler bessern können und ich nicht so gemein sein solle. Danach ging er einfach los zum Nachsitzen. Aber ich bin froh, dass ich ihm doch noch die Augen öffnen konnte.“ Das Schulklingeln riss uns aus unserer frohen Stimmung. „Mist, das war das Stundenklingeln!“, bemerkte ich unnötiger Weise, da es jedem von uns klar war. So schnell ich konnte, ging ich den Stundenplan im Geiste ab. Es war Mittwoch und in der ersten Stunde hatten wir… „Chemie bei Mrs. Delanay…“ Mrs. Delanay war auch so eine hervorragende Lehrerin wie Mrs. Martins. Zwar nicht unbedingt so unausstehlich, aber genauso streng. Sie legte außerdem sehr viel Wert auf die Pünktlichkeit der Schüler, was bedeutete, dass wir so schnell wir nur konnten, zum Chemie- sowie Bioraum flitzten. Dort angekommen, blickten wir uns alle fragend an, wer es übernahm, an die Tür zu klopfen und Mrs. Delanay zu erklären, warum wir erst so spät zum Chemieunterricht erschienen. Bevor einer der beiden etwas machen konnte, fasste ich meinen Mut zusammen und klopfte an die Tür. Eine Weile schien es ruhig zu sein -ja fast schon zu ruhig-, bis wir Schritte hörten, die sich hinter der Tür uns näherten. Als die Tür auf ging, stand nicht wie erwartet Mrs. Delanay vor uns, sondern Mrs. Martins. Wir sahen sie alle mit einem Blick, gemischt aus Verwirrung und Schreck, an. Was machte sie denn ausgerechnet hier?! Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass scheinbar nicht nur mir diese Frage durch den Kopf schwirrte. Mrs. Martins sah uns auch zuerst überrascht an, bevor sich ein wissendes Grinsen in ihrem Gesicht festsaß. Lysander war der Erste, welcher seine Fassung wiedererlangte und ganz neutral fragte: „Mrs. Martins, wo ist denn Mrs. Delanay?“ „Sie ist bei einem sehr wichtigen Termin und hat euch Arbeitsblätter hinterlassen, die ihr als Stundenarbeit später abgeben sollt. Ich bin hier, um aufzupassen, dass jeder seine Aufgaben korrekt erledigt“, beim letzten Teil ihres Satzes sah sie mir direkt in die Augen. Ich widerstand ihrem Blick, denn ich erfüllte meine Aufgaben schließlich immer so gut ich nur konnte. Nach einigen Sekunden Stille, fragte sie dann Rosa: „Und? Warum seid ihr drei zu spät zum Unterricht gekommen?“ „Mr. Faraize wollte sich bei mir für die Missverständnisse der letzten Tage bei mir entschuldigen und sich bei Rosa bedanken, dass sie ihm einen Tipp gegeben hatte, damit diese aufgeklärt werden konnten. Er wird es Ihnen sicher bestätigen können“, antwortete ich ihr, anstatt Rosa und betonte dabei das Wort Missverständnisse absichtlich. Sie musterte mich mit einem mir undefinierbaren Blick, bevor sie dann meinte: „Was das angeht, werde ich Mr. Faraize später persönlich danach fragen. Bis dahin werde ich euer Zuspätkommen im Klassenbuch vermerken. Wenn ich mich von der Wahrheit eurer Aussage überzeugt habe, werde ich den Eintrag natürlich wieder streichen. Steht nicht unnötig hier rum, sondern kommt rein und setzt euch auf eure Plätze! Die Aufgaben liegen dort bereit.“ Erneut kochte ich innerlich vor Wut. Es mag ja eine Sache sein, mir ständig etwas anhängen zu wollen, aber dass sie jetzt sogar so weit ging und meine Freunde mit hineinzog, war einfach unerhört! Wie konnte eine so boshafte Person immer noch Lehrerin sein?! Doch bevor jemand etwas dazu erwidern konnte, drehte sich Mrs. Martins um, und stöckelte regelrecht zum Lehrertisch zurück. Dort nahm sie sich das Klassenbuch, sowie einen Stift und machte sich daran, einen sehr lang wirkenden Text hinein zuschreiben. Ich merkte wie jemand meinen Arm nahm und mich in den Raum hinein zog. Es war Rosalia. Auch sie schien sehr verärgert über die Umstände zu sein und es war ein Wunder, dass sie noch nichts dazu gesagt hatte. Aber ich konnte mir denken, dass sie ihren Frust spätestens in der Pause herauslassen würde. Wir setzten uns an eine freie Bank ganz hinten am Fenster. Lysander folgte uns und sah mit gerunzelter Stirn nachdenklich nach unten. Über was er grübelte konnte ich nur spekulieren, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es etwas mit unserer liebenswürdigen Biolehrerin zu tun hatte. Um mich von meinen eigenen negativen Gedankengängen abzulenken, widmete ich mich dem Arbeitsblatt, das uns Mrs. Delanay als Stundenarbeit dagelassen hatte. Doch als ich mir die Aufgaben genauer ansah, sackte ich innerlich zusammen. Das konnte eine sehr lange Stunde werden… Kapitel 8: Ärger im Paradies? Teil 1 ------------------------------------ „So eine miese-“, ein ganzer Schwall Verwünschungen und Schimpfworte bahnten sich ihren Weg aus Rosas Mund hinaus. Wie vorher richtig vermutet hatte, ließ sie sich nun in der Pause lang und breit über die Biohexe aus. Aber ich konnte es ihr nicht verübeln, denn auch in mir hatte sich ein -nicht gerade kleiner- Vulkan in Bezug auf Mrs. Martins gebildet, der nur darauf wartete auszubrechen… Zwar war die Stunde -glücklicherweise entspannter als erwartet- geworden, doch die stechenden Blicke, welche eindeutig an mich gerichtet waren, ließen sich nicht so einfach ignorieren. Trotz dieser „Einschüchterungsversuche“ von Mrs. Martins, konnte ich, zusammen mit Rosalia und Lysander, die Aufgaben ohne größere Probleme lösen. Apropos Lysander: Seit dem Vorfall mit dem Vertretungsmonster schien er etwas verstimmt zu sein. Ich hatte eigentlich vorgehabt, ihn darauf anzusprechen und mich dafür zu entschuldigen, dass er sich nun -dank mir (und Rosa)- der negativen Aufmerksamkeit von ihr sicher sein konnte. Ich hielt ihn eigentlich nicht für die Art von Personen, die deshalb sauer auf ihre Freunde war, dennoch wusste ich nicht sehr viel über ihn. Wir kannten uns bestenfalls gerade einmal eine Woche, wenn es hochkam und man es überhaupt „kennen“ nennen konnte. Doch bevor ich mich am Stundenende auch nur zu ansatzweise zu ihm umdrehen konnte, wurde er fast augenblicklich von Castiel in Beschlag genommen. Nun standen beide in der Nähe der Bänke. Von unserem Standpunkt aus konnte ich Lysanders Rücken sehen. Sein Gesicht war vor mir verborgen und meine Fähigkeiten im Lesen der sonstigen Körpersprache, waren leider nicht gerade sehr ausgeprägt. Eine Hand erschien winkend vor meinem Gesicht und riss mich aus meinen Grübeleien. Es war Rosa und ein Blick zu ihr genügte, um mir zu zeigen, dass ich nicht nur gerade einer erneuten Schimpftriade gegen Mrs. Martins entkommen war, sondern auch etwas Wichtiges verpasst hatte, das sie soeben gesagt hatte. Aber als sie bemerkte wem meine Aufmerksamkeit vorher galt, stahl sich ein erfreutes Lächeln auf ihre Lippen und wollte von mir wissen: „Na? Hast du dich doch endlich für Liebestipps à la Rosalia entschieden?“ Ich merkte wie ich rot anlief und schüttelte (wahrscheinlich zu doll) den Kopf. Herrje, ich hatte doch nicht aus diesem Grund zu ihm geschaut! Klar, er war schön anzusehen mit seinen zweifarbigen Augen, dem weißen Haar und seinem außergewöhnlichen Kleidungsstil…und er schien auch recht gut gebaut zu sein… Jedoch kannten wir uns, wie bereits erwähnt, erst seit kurzer Zeit! Da kann man doch noch nicht sagen, beziehungsweise einschätzen, ob diese Person in Frage käme, mit ihr mehr anzufangen als nur Freundschaft. „E-es ist nicht so wie du denkst, Rosa. Ich hab über etwas ganz anderes nachgedacht“, entgegnete ich ihr und sie zog ungläubig eine Augenbraue hoch. Sie wollte es mir sichtlich nicht abkaufen. Doch ehe sie eine weitere Frage stellen konnte, klingelte es zum Pausenende. „Nach der Schule!“, warf sie mir noch zu, bevor wir uns dem Strom der Schüler anschlossen, der in die Richtung des Schulgebäudes verlief. ~.~.~ Als der Unterricht sein Ende fand, machte ich mich auf den Weg zum Schultor. Dort hatten Rosa und ich uns, nach dem angeblichen „Anhimmel-Versuch“ meinerseits, in der darauffolgenden Stunde verabredet. Die letzte Stunde am Mittwoch fand -warum auch immer- in getrennten Gruppen statt. Zu meinem Pech waren Rosa, Lysander, sowie Kim, Iris und Viola in der anderen Gruppe. Genau die Personen, mit denen ich mich, meines Erachtens, relativ gut verstand. Aber diese Tatsache wäre noch ertragbar gewesen, wenn ich nicht den Hexenkult, alias Amber, Charlotte und Li mit ihrem kleinen Spitzel namens Carla, an meiner Seite hätte. Doch es gab auch zwei kleine Lichtblicke in der Gruppe. Sie hießen Armin und Castiel. Klein waren sie deshalb, weil ich mich mit Armin zwar über meine kleine Leidenschaft des Zockens unterhalten konnte, aber sonst keine weiteren Übereinstimmungen gefunden hatte. Und was Castiel anging…er war eben Castiel. Außer dem kurzen „Gespräch“ an meinem zweiten Schultag, hatten wir nicht sehr sonderlich viel miteinander zu tun, weshalb ich mir noch kein genaueres Bild von ihm machen konnte und ob seine Anwesenheit in diesem Kurs eher positiv oder negativ war, sofern er überhaupt auftauchte… Ein anderes Mitglied im Kurs, das mit seiner Abwesenheit glänzte, war Kentin. Mit ihm als Gesellschaft wäre die miese Stimmung, die Amber und Co. verbreiteten, noch recht ertragbar gewesen, aber wurde bereits einen Tag zuvor von seinem Vater auf die Militärschule geschickt. „Hey Pinky! Dein Angebeteter kommt noch, also kein Grund so zu schauen!“, riss mich eine männliche Stimme aus meinen Gedanken und überrascht sah ich auf. Natürlich war es niemand anderes als Castiel. Aber ich hatte nicht den blassesten Schimmer, von wem er sprach. Außer er konnte plötzlich Gedanken lesen und hielt Kentin für meinen „Abgebeteten“. Weil das aber nicht sehr wahrscheinlich war, nutze ich den üblichen Kommunikationsweg, indem ich ihn einfach fragte: „Ach ja? Wer sollte das denn bitte sein und woher willst du das wissen, Castiel?“ Er grinste frech. „Tja, es gibt nur eine Person, die du fast die gesamte Pause interessiert angestarrt hast und weil ich schon dachte, dieser Blick würde mir gelten, hab ich deine heimlichen Schwärmereien entdeckt“, mit diesen Worten drehte er sich einfach um und ging los. Verdutzt sah ich ihm nach, doch bereits im nächsten Moment war ich leicht verärgert über die Tatsache, dass er nun ebenfalls mit dem Thema anfing. Rosa mit ihrer Theorie reichten mir schon völlig aus. Apropos weißhaarige beste Freundin namens Rosalia: Wo bliebt sie nur? Die anderen aus ihrer Gruppe mischten sich bereits in den Strom der nach Hause eilenden Schüler, aber weder sie, noch Lysander konnte ich in diesem Getümmel entdecken. Als hätte ich plötzlich vom Teufel höchstpersönlich gesprochen, machte sich plötzlich mein Handy bemerkbar. Nach einem kurzen Kampf mit der Tastensperre, offenbarte mir dieses Wunder der modernen Technik den Grund für Rosas Abwesenheit. Sie entschuldigte sich bei mir, dass wir nicht miteinander laufen könnten, weil ihr Freund sie überraschenderweise abgeholt und sie auf ein spontanes, gemeinsames Essen am Abend eingeladen hatte. Davor wollten sie jedoch noch etwas in der Stadt unternehmen. Zudem schrieb sie, dass ich ihr ja gut nach Hause kommen sollte und wir am nächsten Tag ausführlich über das Pausenthema sprechen werden würden. Seufzend verstaute ich das Mobiltelefon wieder in meine Jackentasche. Wenigstens würde ich mit Lysander laufen können -sofern er dies auch wollte. Castiel hatte vorhin ja nur allzu deutlich gesagt, dass er auch noch auftauchen würde. Doch seitdem waren bereits einige Minuten verstrichen und der Strom der nach Hause gehenden Schüler war bereits zu einigen Individuen pro Minuten abgeflaut. Ich beschloss noch ein wenig zu warten. Bei Lysander konnte man nicht wissen, ob er entweder etwas suchte oder sich im Schulhaus verirrt hatte. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln. Er war schon eine außergewöhnliche Person und das nicht nur vom Aussehen her. „An was denkst du Schönes?“, wollte plötzlich eine tiefe, sanfte -und eindeutig männliche!- Stimme direkt neben mir. Erschrocken zuckte ich zusammen und drehte mich zum Übeltäter um, welcher sich als die Person entpuppte, welche bis vor wenigen Sekunden noch mein innerliches Gesprächsthema war. Sofort lief ich rot an. Ich konnte ihm ja schlecht antworten, dass er dieses ˈSchöneˈ war, an das ich bis eben gedacht hatte. Das konnte man nämlich ganz schön falsch verstehen und weil ich natürlich noch überrumpelt war, brachte ich nur ein unkreatives: „I-ich… ähm…“, hervor. Na toll… das war auch gar nicht auffällig oder so. Doch entgegen meiner Erwartungen, entschuldigte sich Lysander bei mir: „Tut mir leid, das war eigentlich nur eine Art rhetorische Frage gewesen. Ich wollte dich damit nicht in Verlegenheit bringen. Eigentlich wollte ich nur fragen, warum du noch hier bist.“ Dankbar sah ich ihn an. Er wusste genau, wann man lieber nicht nachbohren sollte und wann es angemessen war -eine Eigenschaft, die nicht mehr so oft anzutreffen war. Schnell fasste ich mich wieder und erklärte ihm kurzerhand, warum ich noch nicht nach Hause gegangen war. Als alles soweit geklärt war, meinte ich zu ihm: „Dann können wir ja jetzt endlich los.“ ~.~.~ Als ich die Wohnung betrat, steckte meine Mom ihren Kopf aus der Badezimmertür und sah mich mit ihrem typischen „Ich weiß alles“-Blick an. Das machte sie immer dann, wenn sie mich entweder mit einem Jungen sah oder ich etwas ausgefressen hatte. Bei Letzterem lag sie mit ihren Vermutungen natürlich immer richtig, aber bei dem anderen eher weniger… „Lulu Schatz, du kannst mir gerne sagen, wenn du mit einem Jungen zusammen bist. Vor allem wenn es dieser Gentleman ist. Das ist nämlich bereits das zweite Mal, dass er dich allein nach Hause bringt“, begann sie bereits mit ihrer Fehldeutung. „Mom…“, entkam es mir genervt, „ich kenne Lysander doch erst seit einer Woche - wenn überhaupt. Nur weil du zweimal gesehen hast, wie wir gemeinsam von der Schule kamen, heißt das noch lange nicht, dass wir zusammen sind. Wir sind nur Freunde.“ „Naja, genau genommen hab ich euch nicht von der Schule bis hierher laufen gesehen, also-“ Ich musste sie endgültig und so schnell wie möglich von diesem Gedanken abbringen: „Mom, ich bitte dich! Wenn da was wäre, würde ich mir ganz sicher was anderes einfallen lassen, als so zu tun, dass wir von der ˈSchuleˈ kommen.“ Sie warf mir einen warnenden Blick zu, doch ich rollte nur mit den Augen und lief an ihr vorbei, in Richtung meines Zimmers. Doch ehe ich auch nur ansatzweise die Tür erreicht hatte, warf sie mir eine Frage hinterher: „Was ist eigentlich mit dem kleinen braunhaarigen Jungen und der großen Brille? Er schien dich ebenfalls sehr gern zu haben, warum läufst du nicht mehr mit ihm zur Schule und zurück?“ Das brachte eine Wut wieder zum Vorschein, die ich seit der Übernachtung bei Rosa ganz verdrängt hatte. Doch ich hatte in diesem Moment weder Lust, noch das Bedürfnis, meiner Mom die ganze Geschichte ebenfalls zu erzählen. Darum ging ich einfach wortlos in mein Zimmer und schloss hinter mir die Tür mit einer eindeutigen Botschaft. ~.~.~ Als ich am nächsten Tag vor die Tür trat, hielt ich es für einen schlechten Scherz des Schicksals, als ich Lysander allein antraf. Doch nach dem Austausch von Morgengrüßen, brachte ich in Erfahrung, dass auch er keine Ahnung hatte, warum Rosa nicht erschienen war. Es war generell erstaunlich, dass er ohne sie zu mir gefunden hatte. Doch ich hob mir dieses Rätsel für später auf und machte mich lieber mit Lysander auf den Weg zur Schule. Währenddessen ging ich alle möglichen Theorien für Rosalias Abwesenheit durch. Lysander hingegen blieb bei den üblichen Ursachen, aber die Wahrheit sollten wir schon bald in Erfahrung bringen. Denn kurz bevor wir den Schulhof erreichten, fiel mir ein schwarzhaarigen Jungen mit einem recht ausgefallenen Stil, der mich leicht an Lysanders Garderobenauswahl erinnerte, ins Auge. Er war nicht sehr viel älter als Lysander oder ich und schien nervös am Schultor auf jemanden zu warten. In beinahe regelmäßigen Abständen zog er nämlich eine Taschenuhr aus seinem Jackett heraus, las die Uhrzeit und sah sich in der Gegend um, als suche er jemanden, der sich bis jetzt verspätete. Ich fragte mich, wer das sein könnte, denn ich hatte ihn hier noch nie zuvor gesehen. Er sah auch nicht wirklich nach einem Schüler aus, sondern eher wie ein junger Erwachsener, der vor nicht allzu langer Zeit ins Berufsleben eingetaucht war. Wer weiß warum er hier war? Mit einem unauffälligen Blick zu Lysander versuchte ich herauszufinden, ob er den jungen Mann eventuell kannte. Aber Lysander war nicht umsonst der, der er war. Wie so oft hatte er sein Minenspiel perfekt unter Kontrolle, sodass man rein gar nichts davon ablesen konnte. Das reinste Pokerface… Als der Junge Lysander erblicke, erhellte sich sofort sein Gesicht und er kam Freude strahlend auf uns zu. Erneut wagte ich einen Seitenblick zu dem Weißhaarigen und ich meinte eine leichte Veränderung auf seiner Mine ablesen zu können. Aber wahrscheinlich war das nur eine Einbildung. „Oh Lys! Gut, dass ich dich doch noch gefunden habe! Du müsstest mir bei einer bestimmten Sache aus der Klemme helfen“, platzte der schwarzhaarige Junge leicht durcheinander heraus, als er bei uns ankam. Also kannten sich die beiden doch! Bereits der auffällige Kleidungsstil, kam mir als kleiner Hinweis vor. Jedoch wusste ich immer noch nicht, wer er überhaupt war. „Du, Lysander? Wer ist das eigentlich?“, fragte ich ihn, nachdem sich die zwei kurz begrüßt hatten. Sie schienen sich sogar sehr gut zu verstehen. Der Blick von Lysanders scheinbaren „Freund“ fiel auf mich und er meinte entzückt: „Oh, Guten Tag junge Dame. Ich glaube wir haben uns noch nicht kennengelernt?“ „Stimmt ja, du kennst meinen Bruder ja noch nicht. Lucy, ist das Leigh. Er ist der Besitzer der Boutique in der Stadt. Leigh, das ist Lucy, eine Klassenkameradin von mir, die erst seit einigen Wochen die Sweet Amoris besucht“, stellte Lys uns kurzerhand gegenseitig vor. Wow, sie waren also Brüder, und nicht Freunde! „Hi Lucy, freut mich dich endlich kennenzulernen. Rosa hat schon viel von dir berichtet“, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen zu mir, als wir uns die Hände gaben. Für einen kleinen Moment war ich verwirrt, bis sich die kleinen Rädchen in meinem Kopf langsam in Bewegung kamen. Daher kam mir also sein Name bekannt vor! Rosa hatte mir bereits in der ersten Woche von ihrem Freund Leigh erzählt, der nicht nur der Inhaber des hiesigen Modegeschäfts war, sondern auch der Bruder von Lysander war. „Freut mich auch dich kennenzulernen, Leigh“, antwortete ich und erwiderte sein Lächeln leicht. Obwohl mir klar war, dass es nur einen Leigh in der Stadt gab, der Besitzer einer eigenen Boutique und gleichzeitig Lys‘ Bruder war, konnte ich nicht umhin, ihm die Frage zu stellen: „Und du bist dann der Freund von Rosalia?“ Er verzog leicht gequält das Gesicht und erklärte dann: „Du triffst den Nagel auf den Kopf, Lucy. Rosa ist auch der Grund, weshalb ich hier bin. Heute Morgen kam es nämlich zwischen uns zu einer kleinen Auseinandersetzung und sie ist dann einfach losgegangen. Ich bin so schnell ich konnte hierhergekommen, weil ich gehofft hatte, sie noch einmal anzutreffen.“ „Und ab da kommen wir ins Spiel, habe ich Recht?“, beteiligte sich auch nun Lysander selbst an dem Gespräch. Zuvor stand er nämlich ganz lysandertypisch neben uns und schien das Geschehen zu analysieren. Sein Bruder nickte, als hätte er diese Frage von ihm erwartet. „Ganz genau“, stimmte der Schwarzhaarige ihm zu, „weil ich kein Schüler dieses Gymnasiums bin, darf ich es auch nicht betreten. Noch nicht einmal den Schulhof. Deswegen habe ich auf dich gewartet, Lys. Ich dich fragen wollte, ob du mir bei der Versöhnung mit Rosa helfen könntest. Aber ich möchte weder dir, noch Lucy irgendwelche Umstände bereiten.“ Dann geschah etwas Erstaunliches. Lysander sah zu mir, lächelte leicht und meinte zu Leigh: „Ich glaube nicht, dass du Lucy oder mir damit Umstände bereitest. Wie ich sie nämlich einschätze, würde sie alles unternehmen, damit ihre beste Freundin glücklich ist. Und mir ergeht mit Rosa und dir es so ähnlich.“ Etwas überrascht von seiner Einschätzung von mir -teils weil sie stimmte und teils auch erfreut, von ihm etwas Nettes über mich zu hören- erhielten meine Wangen höchstwahrscheinlich eine leichte Färbung. Es war erstaunlich, wie gut er mich einschätzen konnte. Ohne lange darüber nachzudenken, meinte ich: „Es wäre kein Problem für mich, dir dabei zu helfen, Rosa zurückzugewinnen. Ich würde es sogar gerne machen.“ Endlich bot sich mir eine Gelegenheit an, Rosalia einen Freundschaftsdienst zu erweisen und mich indirekt nochmal für all die anderen Male zu bedanken, bei denen sie mir bereits aus der Patsche geholfen hatte. Und was war süßer, als der eigenen Freundin zu erneutem Glück in der Liebe zu verhelfen? „Es würde euch wirklich nichts ausmachen?“, fragte Leigh erfreut nach. Sie schien ihm wirklich sehr am Herzen zu liegen und deshalb war es für mich umso wichtiger, die beiden wieder zusammenzubringen. „Könntet ihr zunächst Rosa für mich aufsuchen und sie bitten, sich wieder mit mir zu vertragen?“, bot er uns den ersten Auftrag an. Er wollte ein Mädchen wie Rosa mit einfachen Worten überzeugen?! Oh je, das Ganze konnte ja noch ziemlich interessant werden… Ich hatte irgendeine raffinierte Taktik erwartet, um seine große Liebe wieder für sich zu gewinnen, aber sich mit seinem begehrten Mädchen, allein mit den Worten: „Wollen wir uns wieder vertragen?“, versöhnen zu wollen, fand ich doch etwas… plump. Doch obwohl Leigh scheinbar ein kleines Handicap in diesem Bereich hatte, urteilte ich nicht schlechter über ihn. Es war sogar das Gegenteil der Fall: es ließ ihn liebenswürdiger da stehen und ich verstand teilweise, warum Rosa ihn als Freund hatte. „Ja, ich weiß, dass es nicht die beste Lösung ist“, erwiderte Leigh auf meinen -scheinbar- entglittenen Gesichtsausdruck, „aber ich bin nicht sehr gut in diesen Liebesdingen. Das ist ein anderer Grund, weshalb ich die Hilfe von jemand anderen benötige. Sollten aber euch noch andere Ideen kommen, könnt ihr sie mir gerne mitteilen und umsetzen. Ich bin für jeden noch so kleinen Vorschlag dankbar, der meine Rosa wieder zu mir bringt.“ Plötzlich klingelte die Schulglocke und unterbrach unser Gespräch. Ein kurzer Blick auf meine Handyuhr bestätigte mir, dass es bereits Vorbereitungszeit war und für einen kleinen Moment überlegte ich panisch, welchen Unterricht wir in der ersten Stunde hatten. Doch bereits im nächsten Moment beruhigten sich meine Nerven, als mir wieder einfiel, dass es nur Geschichte bei Mr. Faraize war. Weil ich meine beste Freundin unbedingt noch vor dem Unterricht sprechen wollte, nutzte ich diese kleine Unterbrechung, um mich vorzeitig von Leigh verabschieden zu können und Lysander mit gutem Gewissen bei seinem Bruder stehen lassen konnte. Nachdem das getan war, machte ich mich ins Innere der Schule auf, in der sich an diesem Tag ein kleines Liebesdrama abspielen würde, welches definitiv anders als die großen Klassiker wie „Romeo und Julia“ oder „Kabale und Liebe“ enden würde. Das hoffte ich zumindest… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)