Fliegenfang von Yosephia (Womit Väter es so zu tun haben) ================================================================================ Kapitel 1: Die Sache mit dem Bestrafen -------------------------------------- Als Rogue in den Direktionsflügel der Schule einbog, saß sein Sohn mit trotziger Miene auf einer Bank im Flur. Er hatte eine Schramme an der linken Wange und sein T-Shirt mit einem Aufdruck der Basket Dragons wies einen langen Riss am Bauch auf. Neben dem Jungen stand ein knochiger Lehrer, der so aussah, als müsste er schon längst in Rente sein. Seine weit aufgerissenen Augen und die gräuliche Haut mit den Altersflecken hatten etwas Gespenstisches, aber die Missbilligung stand ihm offen ins Gesicht geschrieben. Rogue ignorierte den Pädagogen, auf dessen Namensschild Mr. Yuri stand, und ging vor seinem Sohn in die Knie, um dessen Kinn anzuheben und das Gesicht vorsichtig hin und her zu drehen. Die Schramme schien zum Glück nur oberflächlich zu sein, aber es klebte noch Sand daran. „Wieso wurde mein Sohn nicht vernünftig versorgt?“, wandte Rogue sich an den Lehrer und er hatte dabei Mühe, nicht zu viel Schärfe in seine Stimme zu legen. „Das muss desinfiziert werden!“ „Ich will nicht, dass die mich anfassen“, knurrte Lector und stand auf, um sich dicht neben seinen Vater zu stellen. „Er hat sich äußerst ungebührlich verhalten“, keuchte der alte Lehrer mit einer Raspelstimme, die aus ihm in Rogues Vorstellung einen Poltergeist machte – er hatte eindeutig zu viele Horrorfilme mit Sting und Yukino gesehen. „Ein Prügelknabe ist an dieser Schule im höchsten Maße unakzeptabel!“ Rogue unterdrückte ein Augenrollen. Ihm war schon am Telefon von der Schulsekretärin erklärt worden, dass Lector einen anderen Jungen vom Klettergerüst geschubst und sich mit ihm geprügelt hätte. Das war nicht in Ordnung, ja, aber Rogue ärgerte sich, dass sein Sohn hier wie ein Schwerverbrecher behandelt wurde. Für Rogue stand außer Frage, dass Lector einen guten Grund gehabt haben musste – auch wenn das eine Prügelei immer noch nicht rechtfertigte. „Darf ich Lector jetzt mitnehmen?“, fragte er ruhig und legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Wir bitten darum“, hauchte Yuri und warf einen empörten Blick auf den Jungen hinunter. „Lector ist für eine Woche von der Schule suspendiert und sein Betragen wurde in der Akte notiert. Sollte so etwas häufiger vorkommen, wird er für diese Schule womöglich untragbar.“ Für einen Moment ging Rogue durch den Kopf, dass es eher diese Schule war, die für ihn untragbar würde, wenn man seine Kinder hier immer so behandeln sollte. Aber er schluckte eine scharfe Erwiderung herunter und bedeutete seinen Sohn, schon mal vor zu gehen. Als Lector ein paar Meter entfernt war, senkte er seine Stimme. „Wenn ich erfahren sollte, dass mein Sohn deswegen ungerecht behandelt wird, wende ich mich ans Jugendamt", erklärte er und starrte dem Lehrer eindringlich in die Augen. "Lector hat einen Fehler gemacht, aber er ist noch ein Kind und er verdient es, dass man ihn mit Respekt behandelt.“ Yuri schnappte empört nach Luft, aber Rogue wartete gar nicht ab, was er zu erwidern hatte, sondern ging an dem Pädagogen vorbei zu seinem Sohn, der an der Ecke auf ihn wartete. „An dieser Schule herrschen Zucht und Ordnung!“, krächzte Yuri ihnen hinterher, aber Rogue ignorierte ihn. Beinahe war er froh, dass sein Mann gerade wieder im Reservistentraining steckte. Sting hätte sich wahrscheinlich noch viel offensiver mit dem Pädagogen angelegt und dabei mit seiner – garantiert wenig schmeichelhaften – Meinung nicht hinterm Berg gehalten. Vielleicht wäre das sogar die richtige Art, um mit einem Fossil wie Yuri umzugehen, aber Rogue hatte eigentlich keine Lust, die ganze Sache zum Skandal aufzublasen. Das half Lector letztendlich auch nicht - und es brachte ihm auch nichts über Richtig und Falsch bei. Schweigend gingen Vater und Sohn durch die Straßen. Es war nur ein strammer Fußmarsch von fünfzehn Minuten bis zur Wohnung und bedeutete für Rogue, wenn er seinen Sohn morgens zur Schule brachte, nur einen minimalen Umweg. Zwar war Lector schon sieben Jahre alt und kannte den Weg alleine, aber Sting und Rogue waren sich einig, dass ein Siebenjähriger nicht alleine durch eine überfüllte Stadt laufen sollte – und so gerne Lector auch den starken Mann markierte, er fügte sich doch ausgesprochen willig in diese Entscheidung. Als Lector den kurzen Schlenker zum Tarte au Stellar einschlagen wollte, schüttelte Rogue den Kopf. „Frosch kann noch eine Weile bei Yukino bleiben. Wir Beide müssen Zuhause in Ruhe miteinander reden.“ Der Junge schrumpfte in sich zusammen und beinahe tat es Rogue leid, dass er so streng sein musste. Eigentlich wusste er ja, dass sein Sohn einen guten Grund für sein Handeln gehabt hatte, aber er wusste leider auch, dass er ihn nicht einfach so davon kommen lassen durfte. Lector musste lernen, dass Gewalt keine Lösung war. Auch dann nicht, wenn man provoziert wurde. In der Wohnung wurden sie von einer Schwanz wedelnden Minnie begrüßt, was Rogue daran erinnerte, dass er auch noch mit ihr Gassi gehen musste. Er würde das nachher damit kombinieren, wenn er Frosch abholen ging, entschied er gedanklich und schob die Hündin von seinem Sohn weg, damit sie nicht über die Schramme an der Wange leckte. „Geh’ schon mal ins Badezimmer und zieh’ das T-Shirt aus“, ordnete er an. Lector nickte nur zerknirscht und schlurfte in die angewiesene Richtung, nachdem er seine Schuhe ordentlich auf die dafür vorgesehene Ablage gestellt hatte. Sein eigenes Zimmer mochte oft wie ein Schlachtfeld aussehen, aber im Rest der Wohnung hielt Lector sich artig an die vorgegebene Ordnung – und solange es nicht überhand nahm, ließ Rogue seinen Sohn in dessen eigenem Zimmer in Ruhe. Von Zeit zu Zeit bemerkte Lector dann doch wieder, dass es eigentlich ziemlich unbequem war, wenn man im Zimmer nicht richtig treten konnte, und dann räumte er schon von alleine auf. Damit Minnie erst einmal beschäftigt war, gab Rogue ihr einen der Kauknochen, mit dem sie sich auch sofort in ihren Korb verzog, der extra in einer ruhigen Ecke im Wohnzimmer stand, damit sie auch einen Rückzugsort hatte. Danach ging Rogue in Lectors Zimmer und suchte ein sauberes T-Shirt aus dem Schrank heraus. Dieses Mal eines mit einem aufgedruckten Zauberwürfel. Lector hatte lauter solche Oberteile mit Aufdrucken. Das war eine seiner vielen Marotten, aber derer hatte in dieser Familie jeder so einige. So bewaffnet ging Rogue ins Badezimmer. Sein Sohn hockte auf dem Klodeckel und ließ mit verdrießlicher Miene die Beine baumeln, womit er jedoch sofort aufhörte, als er seinen Vater bemerkte. Dieser holte den kleinen Korb mit Desinfektionsmittel und Pflastern aus dem Badezimmerschrank und kniete sich vor seinen Sohn. Sorgsam untersuchte er dessen Oberkörper und die Arme, konnte aber zum Glück keine weiteren Blessuren entdecken, weshalb er sich endlich um die Schramme an der Wange kümmerte. Vorsichtig tupfte er den Dreck mit einem sauberen Waschlappen und warmen Wasser ab, ehe er die Wange vorsichtig abtrocknete, desinfizierte und schließlich ein großes Pflaster darauf klebte. Lector zuckte währenddessen mehrmals zusammen, aber er erhob keinerlei Protest und ganz unwillkürlich war Rogue stolz auf seinen tapferen Sohn. „Und du hast sonst wirklich keine Schmerzen, ja?“, fragte er noch einmal forschend nach und reichte dem Jungen das saubere T-Shirt, welches dieser ohne Proteste sofort anzog. „Mir geht es gut“, nuschelte Lector und starrte zu Boden. Er schien zu wissen, was jetzt kommen musste. Seufzend räumte Rogue zunächst den Korb mit den Pflastern weg, um ihnen noch etwas Zeit zu verschaffen, aber schließlich musste er sich doch wieder zu seinem Sohn herum drehen. Verdammt noch mal, dieser Part des Vaterseins war wirklich unangenehm! „Lector, warum hast du den anderen Jungen geschlagen?“ „Er hat’s verdient“, brummte der Junge, ohne den Blick zu heben. „Vielleicht hat er das wirklich, aber das heißt noch lange nicht, dass es richtig war, ihn zu schlagen“, erklärte Rogue ruhig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Solange du mir nicht erklärst, warum du ihn geschlagen hast, muss ich davon ausgehen, dass du nicht darüber nachgedacht hast. Also?“ Eine Weile herrschte Schweigen und Rogue fürchtete bereits, dass er seinen Sohn tatsächlich in sein Zimmer schicken musste, aber schließlich schielte Lector zu ihm hoch. In seinen dunklen Augen loderte eine Wut auf, die Rogue schon lange nicht mehr darin gesehen hatte. „Er hat euch beleidigt.“ „Uns?“ „Dich und Papa… Er hat behauptet, ihr wärt gar keine richtigen Väter, weil ihr…“ Lector schien mit sich zu hadern und Rogue ging wieder vor ihm in die Knie, um nicht so gebieterisch über ihm aufzuragen. „Weil ihr Schwuchteln wärt“, endete Lector zähneknirschend. Betroffen musterte Rogue die wütende Miene seines Sohnes. Für ihn und Sting war es nichts Neues, mit Homophobie konfrontiert zu werden, aber er musste zugeben, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass seine Sexualität für Anfeindungen gegenüber seinen Kindern sorgen könnte. Vor allem nicht in diesem Alter. „Und deshalb hast du ihn geschlagen?“ „Nein, ich habe ihm gesagt, dass er blöd ist und dass man so etwas nicht sagen darf und dass… dass ihr tolle Väter seid…“ Jetzt musste Rogue aufpassen, dass er nicht weich wurde. Am liebsten hätte er Lector einfach an sich gezogen und ihm gesagt, dass er diesen Idioten einfach vergessen sollte. Wie sehr er seine Kinder doch liebte…! „Und dann hat er gesagt, dass ihr weg gesperrt gehört, weil ihr krank und eklig seid… Ich war einfach wütend…“ Hilflos senkte Lector den Blick auf seine zitternden Fäuste und biss sich auf die Unterlippe. In seinen Augen schimmerten Tränen, gegen die er verzweifelt anzukämpfen versuchte. Rogue warf seine Bedenken über Bord und zog den Jungen nun doch an sich. Sofort schlang Lector die Arme um seinen Bauch und drückte sein Gesicht in seine Brust. Sanft strich Rogue durch die rotbraunen Haare und wartete ab, bis der kleine Körper nicht mehr zitterte. Es war ihm vollkommen egal, was irgendein kleiner Hosenscheißer von seinen zurückgebliebenen Eltern nachgeplappert hatte. Aber wenn er ehrlich war, war er sehr stolz darauf, dass sein Sohn sich so sehr für ihn und Sting einsetzte. Lector hatte das Herz am rechten Fleck und er hatte sogar zuerst versucht, es mit Worten zu klären. Von wegen Prügelknabe! Als Lector sich etwas beruhigt hatte, brachte Rogue ihn ins Wohnzimmer und ließ ihn dort auf dem Sofa warten, um in der Küche Kakao anzurühren. Mit der großen Tasse kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Lector hing dort mehr auf der Couch, als dass er saß, seine Augen noch immer gerötet. Rogue setzte sich neben ihn, drückte ihm die Tasse in die Hände und legte dann einen Arm um ihn. Mit einem gemurmelten Dank schlürfte Lector den Kakao, nachdem er näher an seinen Vater gerutscht war. Minnie kam zu ihnen und legte Rogue die Schnauze aufs Knie, um gutmütig zu ihm aufzublicken. Mit der freien Hand kraulte er sie hinterm Ohr, woraufhin sie mit der Rute wedelte. „Weißt du, Lector“, begann Rogue schließlich, als sein Sohn ausgetrunken, die Tasse auf den Couchtisch gestellt und sich an ihn gekuschelt hatte, „es gibt Leute, die ein Problem damit haben, wenn Männer sich lieben. Oder Frauen. Sting und ich kennen das schon. Das kommt leider immer mal wieder vor.“ „Aber warum? Ihr seid doch ganz normale Männer.“ Verständnislos schüttelte Lector den Kopf. Schmunzelnd stupste Rogue die Nase seines Sohnes an. „Natürlich sind wir das, aber es gibt da draußen echte Idioten. Und der Junge hat wahrscheinlich solche Idioten als Eltern, die ein Problem mit uns haben. Der Junge hat einfach nachgeplappert, was er Zuhause gehört hat… Natürlich war das dumm und falsch und ich bin sehr stolz, dass du uns verteidigen wolltest, aber es war dennoch nicht in Ordnung, den Jungen zu schlagen. Verstehst du das?“ „Aber was soll ich denn machen, wenn er so etwas noch mal sagt? Oder ein anderer?“, fragte der Junge verunsichert. „Ignoriere sie einfach. Geh woanders hin. Der Junge wollte dich provozieren. Indem du ihn geschlagen hast, hast du getan, was er wollte.“ „Wirklich? Er hat ziemlich schlimm geblutet.“ Tadelnd zerzauste Rogue die Haare seines Sohnes. „Schlag’ ihn einfach nicht noch mal, okay?“ „Und wenn er mich schlägt?“ „Dann verteidigst du dich und rufst sofort einen von uns an. Oder Minerva oder Yukino, wenn du uns nicht erreichen kannst. Wenn dir dort jemand weh tut, sorgen wir dafür, dass er aufhört, versprochen“, erklärte Rogue und er meinte es bitterernst. Wenn es nötig wäre, würde er für so etwas sogar vor Gericht gehen, aber auf keinem Fall würde er es hinnehmen, dass sein Sohn geschlagen wurde! „Und wenn mir die Lehrer nicht glauben?“ „Wir werden dir immer glauben und wir werden dich immer verteidigen“, versprach Rogue und schlang beide Arme um Lectors schlaksigen Körper. Inbrünstig erwiderte der Junge die Umarmung und schmiegte sein Gesicht erneut in Rogues Brust. Dankbar drückte Rogue sein Gesicht in den rotbraunen Haarschopf und schloss die Augen. Nach einer Weile hielt er Lector jedoch von sich und blickte ihm streng in die Augen. „Aber es war dennoch nicht in Ordnung, dass du ihn geschlagen hast, und dafür muss ich dir für die Zeit, in der du nicht zur Schule darfst, Hausarrest geben, verstehst du?“ Lector verzog enttäuscht das Gesicht, nickte jedoch resigniert. „Aber kümmerst du dich dann ganz alleine um Minnie?“, fragte er jedoch gleich darauf mit einem Stirnrunzeln. „Du darfst einmal am Tag mit ihr raus“, ließ Rogue sich erweichen, weil es ihm so zu Herzen ging, dass Lector seine Sorgfaltspflicht gegenüber der Hündin so ernst nahm. „Aber du machst alle Schulübungen, die ich dir besorge. Wenn du etwas nicht verstehst, kannst du mich jederzeit fragen. Und der Fernseher bleibt aus.“ „Und das Spiel morgen?“ Anscheinend hatte Lector sich von seinem Großvater die Begeisterung für Basketball abgeguckt. Er war erstaunlich ausdauernd dabei, alle Spiele der Basket Dragons zu verfolgen. Im Gedanken machte Rogue sich eine Notiz, dass er sich endlich nach einem guten Kinderbasketballverein umhören musste. „Ich nehme es dir auf und du darfst es gucken, wenn die Strafzeit vorbei ist.“ „Danke“, nuschelte Lector und kuschelte sich wieder an ihn. Lächelnd schlang Rogue erneut die Arme um sein Kind und schloss entspannt die Augen. Es war wirklich nicht leicht, so streng zu sein, wenn er doch eigentlich so stolz auf seinen Sohn war, aber Lector schien es zum Glück begriffen zu haben. Dennoch war Rogue sich sicher, dass das nicht das letzte Mal gewesen sein würde, da er wegen seines Sohns zur Schule gerufen wurde. Lector gehörte einfach nicht zu den Menschen, die sich zurückhalten konnten, wenn sie der Meinung waren, dass etwas Unrechtes geschah oder gesagt wurde. Aber das war einer von vielen Punkten, auf die Rogue bei seinem Sohn so stolz war, das waren die Extrawege zur Schule allemal wert! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)