Der Junge im Bus von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 15: Somewhere beyond the sea ------------------------------------ Stiles erwachte mit klappernden Zähnen und in beinahe vollkommener Dunkelheit, abgesehen von zwei winzigen Lämpchen, die von der Stereoanlage herüber glommen, wie die Augen eines dämonischen Raubtiers und der beinahe verloschenen Glut im Kamin. Er konnte nicht einmal die Umrisse, des Raumes erkennen, in welchem er sich befand und brauchte einen kleinen Moment, um sich darüber klar zu werden, wo er überhaupt war. Erst nach und nach fiel der Groschen: Derek, das Meer und das Strandhaus! Im Dunkeln fischte er blind nach der Wolldecke und dem Sweatshirt, von welchen er sich zuvor befreit hatte, weil es ihm vor dem Kamin zu warm geworden war. Als er beides endlich gefunden hatte, schlüpfte er dankbar in den Pulli und wickelte sich ein, bis zur Stupsnase, auch wenn es nicht wirklich viel half, denn der riesige Raum war gründlich ausgekühlt. Und außerdem irgendwie unheimlich! In dieser Finsternis sah Stiles keine Chance, heil in eines der Schlafzimmer zu finden und er hatte sich leider auch nicht gemerkt, wo die Lichtschalter saßen. `Wieso hatte Derek ihn denn nicht geweckt, sondern einfach hier liegen lassen?´, dachte er ärgerlich? Unschlüssig lauschte Stiles in die furchteinflößende Finsternis hinein. Und da hörte er es plötzlich; das leise Atmen an seiner Seite. Das konnte nun entweder Derek sein, oder irgendetwas, was in unmittelbarer Nähe auf ihn lauerte, um ihm die Kehle durchzubeißen. Sein schlaftrunkenes Nachtbewusstsein war sich zunächst nicht ganz darüber im Klaren, welche Variante wohl zutraf und sein gesunder Menschenverstand brauchte einen kleinen Moment, um sich dazuzuschalten und darauf hinzuweisen, dass es Monster, Werwölfe und Vampire nicht gab. Erst da traute er sich, sich seinem Nachbarn ein wenig nähern: „Derek!“ flüsterte er: „Derek, wach auf! Wir sind eingeschlafen! Wir sollten ins Bett gehen!“ Ein wohlvertrautes Knurren ertönte und so versuchte Stiles es erneut: „Lass´ uns zu Bett gehen Derek! Es ist so kalt hier!“ Es antwortete ihm lediglich ein schnarchender Laut, also begann Stiles nun vorsichtig damit, an Dereks Schulter zu rütteln: „DUNERVSTMANNLASSMICHSCHLAFENVERFLUCHT!“ bellte es nun verschlafen aus der Dunkelheit. Doch dann hob Derek kurzerhand seine Decke und zog Stiles zu sich heran. Der Junge dachte kurz über Protest nach, aber andererseits konnte er an seinem Atem hören, dass Derek ohnehin schon wieder fest eingeschlafen war. Und außerdem war es so wunderbar warm in der Umarmung des Älteren, dass er gar nicht anders konnte, als auch selbst zufrieden die Augen zu schließen. Er hätte nicht gedacht, dass Derek und er sich schon so bald wieder körperlich so nah kommen würden. Eigentlich hatte er sogar den festen Vorsatz gehabt, dass es NIE WIEDER dazu kommen würde. So viel dazu! Stiles rückte sich noch ein kleines bisschen bequemer in Dereks Armen zurecht und schlief darauf auch selbst sehr rasch wieder ein. Als Derek am nächsten Morgen erwachte, stellte er fest, dass Stiles und er komplett ineinander verschlungen waren. Der Kopf des Jungen war in seine Halsbeuge gekuschelt, sie hatten die Arme umeinander geschlungen, Dereks Oberschenkel befand sich zwischen Stiles Beinen und darum spürte er auch ganz genau, wie dieser ihm in seiner schlafenden Sorglosigkeit seine Morgenlatte entgegen presste. Na Großartig! Wenn Stiles jetzt aufwachte und dieser Situation gewahr wurde, würde er das vollkommen falsch verstehen und sie hätten gleich das nächste Gefühlschaos am Wickel, mit dem sie dann umgehen müssten. Derek musste schleunigst etwas unternehmen. Und die Frage, die sich ihm nun stellte, war dieselbe wie beim Pflaster abziehen: Mit einem Ruck oder schön langsam und Stück für Stück? Derek entschied sich für die Zimperliesen-Methode! Als Erstes und Wichtigstes würde er mal sein Bein in Sicherheit bringen und so zog er es hübsch vorsichtig zentimeterweise zwischen jenen von Stiles hervor. Dann löste er sich behutsam aus der Klammeraffenumarmung des Jungen, hielt inne, wenn dieser drohte, aufzuwachen und als endlich alle Verschränkungen und Verbindungen aufgehoben waren, rückte Derek blitzschnell ab und schwang sich auf die Füße. Er warf noch einen letzten Blick auf den schlafenden Stiles, rückte fürsorglich dessen Decke wieder zurecht, damit er nicht fror und verschwand dann in der Küche. Er fragte sich lieber nicht, wie es zu der Schmuserei zwischen Stiles und ihm im Schlaf gekommen war, denn er wusste, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde. Es war sicher wieder so eine Wolf-Sache! Er hatte das nie zu verstehen oder zu kontrollieren gelernt und hasste es im Grunde, weil es ihm nie etwas anderes als Schwierigkeiten eingebracht hatte. Er setzte stattdessen einen Kaffee auf und formte mit ungeschickten Fingern etwas croissantähnliches aus Fertigblätterteig. Stiles hätte das ohne Zweifel besser hinbekommen! Als das Backwerk im Ofen war, sprang Derek rasch unter die Dusche. Als er in die Küche zurückkehrte, saß dort Stiles, verfroren in zwei Wolldecken gewickelt, verschlafen, zerknautscht und mit zerzausten Haaren. Derek grinste kopfschüttelnd: „Willst du schnell unter die Dusche gehen? Dann mache ich inzwischen das Feuer wieder an und wir können frühstücken.“ schlug er vor. Nachdem sie sich die warmen Croissants mit Erdbeerkonfitüre und Milchkaffee einverleibt hatten, fragten sich die beiden Männer, was sie nun mit diesem neuen Tag anstellen wollten, doch da die Gegend nicht allzu viel Abwechslung bot und weil sonnenbaden und im Meer planschen jahreszeitenbedingt ausfiel, lief es auf einen weiteren Spaziergang hinaus. Zunächst war es auch recht schön, gelegentlich brach die Sonne durch und Stiles sammelte Steine und Muscheln, doch nach und nach zog es sich immer mehr zu und ein heftiger Sturm zog herauf. Zwar befanden sie sich bereits auf dem Rückweg, doch es war zu spät! Ein unerbittlicher Regenguss brach von einer Sekunde auf die andere auf sie hernieder und schien irgendwie immer genau von vorn zu kommen, ganz gleich, in welche Richtung Stiles sich auch wendete. Doch es wurde schlimmer! Es dauerte nicht lange und dann wurden aus den Tropfen dicke Hagelkörner, einige so groß wie Golfbälle und sie schlugen um die beiden herum ein, wie kleine Geschosse. Und als dann auch noch Blitze anfingen, bedrohlich um sie herum zu zucken, bekam Stiles es endgültig mit der Angst zu tun. Derek packte ihn am Arm, zog ihn vom Strand weg, die Felsen hinauf in den Wald und von dort aus rannten sie nun zurück zum Haus, bis ihnen die Lungen brannten. Kaum waren sie jedoch dort angekommen, war der Spuk schlagartig vorbei, der Himmel brach auf und die liebe Sonne grinste harmlos und unschuldig auf sie hinab: „Sehr witzig!“ knurrte Stiles gen Himmel: „Wenn du jetzt anfängst, das Wetter persönlich zu nehmen, dann machst du es dir unnötig schwer, Stiles! Solche Wetterumschwünge stehen hier draußen an der Tagesordnung! “ erwiderte Derek: „Wie sieht´s aus? Hast du jetzt vielleicht Lust, schwimmen zu gehen?“ Stiles schaute ihn an, als hätte er nun restlos den Verstand verloren: „Sag´ mal, verarschst du mich? Ich bin nass bis auf die Haut und zum Eiszapfen erstarrt. Da spring´ ich doch jetzt nicht ins kalte Wasser!“ „Der Pool ist beheizbar, Stiles.“ erwiderte Derek geduldig: „Und bis das Wasser warm genug ist, könnten wir ja zum Aufwärmen noch einmal in den Yakuzi steigen. Was meinst du?“ „Klingt gar nicht mal so übel!“ gestand Stiles zu: „Auch wenn es eigentlich ökologisch absolut unvertretbar ist, bloß für uns zwei Figuren einen ganzen Pool aufzuwärmen.“ „Ökologisch unvertretbar!“ äffte Derek ihn mit verstellter Stimme nach, schnappte ihn beim Arm und zerrte ihn hinter sich her, in den Garten. Zuerst stellte er dort den Yakuzi an und ließ dann vollautomatisch die Plane über dem Pool zurückfahren. Stiles stand indes immer noch regungslos da und schaute ihm zu: „Was ist los? Willst du da festfrieren? Raus aus den nassen Klamotten und rein in den Yakuzi, sonst erkältest du dich noch! Und ich habe keine Lust, dich schon wieder aufzupäppeln, also sieh´ zu!“ Überrumpelt ließ Stiles die klammen Hüllen fallen und kletterte blitzschnell in den warmen Bassin. Es tat so unendlich wohl zu spüren, wie das Leben in seine Zehen, Fingerspitzen und Ohrläppchen zurückkehrte. Er schloss ganz einfach die Augen, ließ sich vom Wasser tragen und von den aufsteigenden Blubberblasen hin und her treiben, wie ein Blatt im Wind. Es war ganz einfach DER HIMMEL und Stiles fasste den Beschluss, hier erst wieder herauszukommen, wenn ihm Schwimmhäute gewachsen waren. Doch da hatte er die Rechnung ohne Derek gemacht, der sich irgendwann einfach seinen Fuß schnappte und versuchte, ihn aus der Wanne zu ziehen: „Komm´ du Faulpelz! Der Pool ist nun warm genug! Es wird Zeit, sich die Croissants wieder abzutrainieren!“ „Deshalb habe ich doch heute morgen schon ein Spaziergang am idyllischen Polarkreis unternommen!“ maulte Stiles unzufrieden. Aber dann fügte er sich doch in sein Schicksal, erhob sich, stieg aus dem Yakuzi, fing sofort wieder an, vor Kälte zu klappern, also rannte er hinüber zum Pool und hechtete mit einem Kopfsprung hinein. `Unfair!´, dachte er beim Eintauchen noch. `Derek schien absolut nie zu frieren! Er fühlte sich immer an, als ob er von innen her beheizt würde! Aber DIESEM Geheimnis käme er auch noch auf die Spur!´, nahm Stiles sich vor. `Wahrscheinlich war es einfach bloß diese unverschämte Masse an Muskeln, die solch einen Überschuss an Energie produzierte, dass es Derek gar nicht kalt werden KONNTE.´ Natürlich war Derek auch ein großartiger Schwimmer, stellte Stiles zu gleichen Teilen erregt und maulig fest. Sein Freund und Gastgeber durchpflügte den Pool im Delphin-Stil wie ein Profi, zog seine Bahnen, ohne dabei die geringsten Spuren von Ermüdung zu zeigen, während Stiles selbst sich gemütlich brustschwimmend fortbewegte, als sei er sein eigener Großvater. Es fehlte eigentlich nur noch eine drollige Badekappe! `Nicht auszudenken, was Derek mit dieser Kraft wohl im Schlafzimmer mit ihm anstellen könnte!´ rechnete Stiles sich aus und ein heiß-kalter Schauer überlief ihn. Zum Mittagessen bereitete Stiles heute grüne Bandnudeln mit Lachs in einer Dill–Weißwein-Sahnesauce zu. Derek sah so aus, als wolle er ein Bad darin nehmen, wie der Koch zufrieden registrierte. Und weil es nach dem Essen schon wieder in Strömen regnete, schlug Derek einen faulen Video-Nachmittag vor. Etwas, dass sich im Salon als Schrank getarnt hatte, entpuppte sich als Versteck für einen großen Fernseher, einen Videorecorder und grob geschätzt einhundert Kassetten. `Ein Videorecorder!´, dachte Stiles belustigt. So etwas hatte er ja schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Sie hatten Tee, Kekse und Wolldecken und machten es sich auf einem der Sofas gemütlich, während der Sturm durch alle Ritzen des Hauses pfiff und fette Regentropfen geräuschvoll an den Fensterscheiben zerschellten. Bei der Filmauswahl dachte Stiles, innerlich mit dem Kopf schüttelnd: `Straight, my ass!´, denn das, was ihm da geboten wurde, war selbst IHM zu schwul! Es gab: `Was geschah wirklich mit Baby Jane´ und danach `Der Zauberer von Oz´. Erst Joan Crawford und Bette Davis im allerschönsten Zickenkrieg und dann die kleine Dorothy die sich durch das technicolorbunte, wunderbare Land von Oz tanzte und sang. Stiles enthielt sich jeglichem Kommentars, aber er fragte sich ernsthaft, warum einem Kerl wie Derek so etwas gefiel. Und das war nicht das einzig merkwürdige, was sich während dieses Doublefeatures ereignete. Derek kroch nämlich klammheimlich immer näher an Stiles heran und legte schließlich seinen Kopf auf dessen Schulter ab. Stiles hatte das Gefühl, dies war wohl einer dieser seltenen, magischen und im Grunde undenkbaren Momente im Leben. So als wenn unmittelbar vor einem auf einer Lichtung im Wald plötzlich ein Reh erschien und ganz friedlich weiter äste. Oder als wenn einem ein Schmetterling auf der Nase landete und einfach dort sitzen blieb. Es war ein Moment, in welchem man einfach andächtig still hielt, damit der Zauber noch ein klein wenig länger währte. Und wenn Stiles auf dieser Welt auch etwas zu sagen hätte, dann dürfte dieser kleine Kurzurlaub nie zu Ende gehen, denn er war ganz einfach richtig glücklich. Und NEIN, das lag nicht daran, dass er gerade etwa zweihundert Gramm Schokokekse mit gesüßtem Tee heruntergespült hatte und seine Bauchspeicheldrüse kurz vor dem Exitus stand. Ihr Abendbrot nahmen Derek und Stiles ein weiteres Mal auf dem Lotterbett vor dem Kamin bei Kerzenschein ein, doch diesmal würden sie nicht hier einschlafen, wenn es in diesem Haus doch genug echte Betten für eine ganze Kompanie gab, beschloss Stiles. Allerdings wurde er gerade schon wieder verdächtig müde. Die Seeluft schaffte ihn und das hypnotische Zucken der Flammen und das Knistern der brennende Scheite im Kamin gaben ihm darüber hinaus nun beinahe den Rest. Eigentlich nur um sich wach zu halten fragte er: „Das Feuer, dass deine Familie getötet hat; ist das ein Unfall gewesen?“ „Nein!“ erwiderte Derek bloß und klang dabei ein wenig lauter und frostiger, als nötig. Blitzartig war Stiles wieder hellwach, als er sich klar machte, was das bedeutete: „Aber wenn es kein Unfall war, dann war es...!“ Er traute sich nicht weiterzusprechen, doch das erledigte Derek für ihn: „Mord, Stiles! Es war Mord!“ Dereks Tonfall riet ihm zwar, nicht weiter nachzufragen, doch so war Stiles nun einmal nicht programmiert: „Hat man die Täter je gekriegt? Ich hoffe sie verrotten lebenslang im schlimmsten Knast der Vereinigten Staaten!“ rief er böse. „SIE hat ihre Strafe erhalten!“ gab Derek sehr leise zurück: „Eine Frau hat das getan?“ fragte Stiles verblüfft: „Wer war sie? Warum hat sie das gemacht?“ „Sie war jemand, dem ich vertraut habe. Diesen Fehler werde ich vermutlich nie wieder machen, obwohl es nun ja ohnehin egal ist, denn sie sind alle weg. Und wenn du nach ihren Motiven fragst: Ich habe keine Ahnung! Ich schätze, sie war einfach eine Soziopathin; ohne Mitgefühl und ohne Reue.“ erwiderte Derek bitter. „`War´?“ fragte Stiles: „Ist sie tot?“ „Ja!“ kam es zurück, mit einem implizierten `Frag jetzt bloß nicht weiter!´ Stiles hörte es und ging dennoch darüber hinweg: „Hast DU sie getötet?“ „Nein, Stiles!“ erwiderte Derek, um Gelassenheit bemüht. „Ehrlich nicht?“ bohrte Stiles weiter: „Meine Familie, das sind mein Dad, Scott und dessen Mutter Melissa. Wenn jemand ihnen etwas antun würde, dann würde ich mich auf die Suche nach ihm machen, ihn jagen und töten!“ „Das sagst du nur, weil du nicht weißt, was es bedeutet, tatsächlich ein Leben zu nehmen!“ entgegnete Derek mit Schärfe in der Stimme: „Und noch einmal: Ich habe Kate nicht getötet!“ Stiles stutzte kurz. Dann sagte er: „Dann war es Peter! Er hat sie getötet, richtig?“ „ICH WILL DARÜBER JETZT NICHT MEHR SPRECHEN, STILES!“ knurrte Derek. Der Junge zuckte ein wenig zusammen und hielt sich vorerst an das verordnete Schweigen. Wenn Derek richtig sauer wurde, dann mischte sich immer so ein gebieterisches Donnern in seine Stimme. Stiles blickte den Freund eine Weile lang einfach bloß prüfend an. Dann wollte er wissen: „Darf ich dir eine Frage stellen?“ „`Darf ich dir eine Frage stellen?´ ist doch bereits eine Frage.“ bellte Derek. „Huh?“ machte Stiles zunächst begriffsstutzig und sagte dann: „Nein, eine andere Frage!“ „Nein!“ erwiderte Derek Doch als hätte er überhaupt nichts gesagt, fragte Stiles dennoch: „Erzählst du mir etwas über deine Familie?“ Erneut ertönte ein unmissverständliches: „Nein!“ „Dann halt nicht.“ erwiderte Stiles: „Dann erzähle ich dir eben von MEINER Mom!“ Derek rollte mit den Augen. Stiles begann dennoch: „Ihr Haar war blond und hat immer irgendwie nach Honig gerochen. Es fühlte sich weich in meinem Gesicht an, wenn sie mir meinen Gute-Nacht-Kuss gegeben hat. Nach ihrem Tod hat mein Vater nie wieder eine ernsthafte Beziehung begonnen. Ich schätze, er vermisst sie noch immer. Ich auch! Die Krankheit, an der sie gestorben ist heißt frontotemporale Demenz. Sie ist erblich, also ist es möglich, dass ich sie auch eines Tages bekomme. Es geschah alles ganz langsam und schleichend. Dad und ich haben es zunächst gar nicht richtig mitbekommen. Sie hat sich anfänglich nur manchmal ein bisschen eigenartig benommen, hat komische Sachen gemacht, wie mir zum Mittagessen bloß Schokolade zu geben, oder so, doch nach und nach veränderte sich ihre ganze Persönlichkeit und schließlich fing sie an, richtig gemeine Sachen zu Dad und mir zu sagen. Am Ende konnte sie nicht einmal mehr sprechen. Mein Vater war im Dienst, als sie starb. Aber ich war bei ihr. Bis zum Schluss und ich habe ihre Hand gehalten. Damals war ich neun.“ Stiles hatte gar nicht gemerkt, dass er zu weinen begonnen hatte. Erst, als Derek ihn in seine Arme zog, wurde ihm das bewusst. Doch was machte das schon? Es war schließlich nicht das erste Mal, dass der Ältere ihn heulen sah! Egal! Sollte er ihn doch für einen Waschlappen halten! Er kuschelte sich gegen Dereks Brust und saute ihm hemmungslos sein Shirt mit Rotz und Tränen voll. Irgendwann erhob sich Derek und Stiles glaubte er wolle nun zu Bett gehen, doch in Wirklichkeit legte er lediglich zwei weitere Scheite in den Kamin. Und dann begann er zu sprechen: „Ich hatte zwei jüngere Schwestern; Cora und Laura. Die zwei haben sich stets einen Sport daraus gemacht, mich zu quälen, aber das ist wohl das Schicksal eines großen Bruders und ich habe sie trotzdem abgöttisch geliebt. Laura ähnelte in ihrem Wesen dir, Stiles. Sie war lustig, wahnsinnig clever, mit einer spitzen Zunge und sie war irgendwie zäh und mutig, auf eine leichtsinnige Art und Weise. Cora dagegen war ein bisschen so wie ich: Einsilbig, stoisch, dickköpfig und ein bisschen... impulsiv!“ Stiles fand es interessant, wie der Ältere über ihn dachte. Und auch über sich selbst Derek fuhr fort: „Meine Mutter war… eine geborene Anführerin. Sie hatte fünf Geschwister und außer Peter hatten diese allesamt selber Kinder. Peter war der jüngste im Wurf… ähm… ich meine, in der Geschwisterfolge. Ich vermisse meine Mutter sehr. Am meisten vermisse ich ihren Rat, denn sie wusste immer, was zu tun ist. Doch nun habe ich den größten Teil der Zeit das Gefühl, ich treibe einfach nur so haltlos vor mich hin!“ Derek sah unbehaglich aus, so als habe er bereits viel mehr erzählt, als er eigentlich gewollt hatte. Stiles hatte das Bedürfnis, irgendetwas zu tun, damit der große starke Kerl sich nicht mehr so entblößt vorkam: „Das ist Blödsinn, Derek!“ versicherte er also: „Wenn du wirklich so furchtbar haltlos wärst, könntest du mir nicht dieses Gefühl geben, dass ich in deiner Nähe immer habe. Ich fühle mich immer absolut sicher bei dir. Das, was du alles für mich getan hast, ist der Wahnsinn und ich werde es nie wieder gut machen können. ICH war haltlos und außerdem völlig am Ende, bevor ich dich getroffen habe, aber du hast alles wieder gut gemach! Du bist mein Fels!“ Derek rollte die Augen und nannte Stiles einen „Spinner“, doch in Wirklichkeit liebte er es wohl, so von ihm gesehen zu werden. Dies wurde zu einer weiteren Nacht, in der die beiden nicht ins Bett fanden, sondern gemeinsam vor dem Kamin einschliefen. Die kommenden beiden Tage vergingen wie im Flug, mit gutem Essen, uralten Hollywoodstreifen, Spaziergängen und Gesprächen, doch auch der schönste Urlaub ging einmal zu Ende. Stiles wusste irgendwie, wenn sie nun heimkehrten, wäre dieser kleine Abstecher in seinen persönlichen, sexlosen siebten Himmel vorbei. Und wie auf´s Stichwort, kaum dass sie im Auto saßen, um die Rückfahrt anzutreten, erhielt Derek eine Kurzmitteilung auf seinem Handy. Er las sie und Stiles musste nicht fragen, wer ihm da geschrieben hatte, denn sein Freund hatte dieses Grinsen auf dem Gesicht, das bedeutete: `Ich bekomme Sex!´ Ganz offensichtlich hatte Braeden sich angekündigt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)