Der Junge im Bus von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 2: Ein Pyjama für Zwei ------------------------------ Vorwort: Eigentlich sollte das hier ja bloß ein klitzekleiner One-Shot werden, aber nun habe ich mich in die Idee verliebt und es wird doch was Längeres mit uns beiden. ;-) Und eigentlich wollte ich endlich mal eine Peter-freie Sterek-Geschichte schreiben, doch dann fehlte mir der Mistkerl und voilá: Da ist er wieder! Ich hoffe, ihr habt Spaß! Liebe Grüße Ginger _______________________________________________________ Dereks Apartment war zu einhundert Prozent auf die Bedürfnisse eines Singles zugeschnitten. Man trat durch die Tür und stand sofort in einem großen Wohnzimmer mit offener Küche hinter einem Tresen. Hiervon gingen zwei weitere, im Augenblick verschlossene Türen ab; Schlaf- und Badezimmer, wie Stiles vermutete. Außerdem gehörte zum Wohnzimmer auch noch ein großzügiger Balkon, der im Augenblick im Dunkeln lag. Ein paar Dinge fielen Stiles sofort an Dereks Zuhause in Auge: Zum Ersten war alles wahnsinnig sauber und ordentlich. Die Einrichtung war minimalistisch und beinahe steril in ihrer Nüchternheit. Außerdem war alles in weiß und hellgrau gehalten und die Möbel waren allesamt modern, edel und sahen teuer aus. Derek hatte inzwischen Kissen und Decke besorgt und drückte dem Jungen beides mit den Worten in den Arm: „Da steht das Sofa. Mach´s dir bequem! Wenn du etwas brauchst, darfst du gern an den Kühlschrank gehen. Und ein Wort der Warnung: Wenn ich morgen früh aufwache und du bist zusammen mit meinem Laptop und meiner Brieftasche verschwunden, dann werde ich mich an deine Fährte heften, dich finden und fertig machen, Capisce?“ Stiles blickte den Älteren mit großen Augen an und antwortete erschrocken: „Hey! Ich bin kein Dieb!“ „Wir werden sehen!“ gab Derek schulterzuckend zurück: „Schlaf´ gut!“ Stiles jedoch rührte sich nicht vom Fleck und wirkte unbehaglich und so fragte Derek genervt: „Was ist denn noch? Wartest du auf einen Gute-Nacht-Kuss, oder was?“ „Ich...“ Stiles schluckte und fuhr beinahe flüsternd fort: „Also, ich würde gern duschen, wenn ich darf.“ Er kam sich unverschämt vor, überhaupt zu fragen. Derek grinste: „DAS ist alles? Na, dann geh´ doch! Das Badezimmer ist dort drüben.“ Er deutete auf eine der Türen: „Nimm´ dir ein Handtuch vom Regal.“ Stiles nickte schüchtern und verschwand im Bad. Derek blickte ihm kopfschüttelnd hinterher und machte sich eine Tasse Tee als Schlummertrunk. Das Badezimmer war von oben bis unten weiß gefliest und auch hier war alles peinlich sauber. Das einzig Schmutzige in diesem Raum war Stiles selbst. Er legte seine dreckstarrenden Kleider ab und betrachtete sich in dem großen Spiegel über dem Waschbecken. Er stellte erschrocken fest, dass er tüchtig abgenommen hatte. Er war immer schon schlank gewesen, doch das was ihm da gerade im Spiegel entgegenblickte, sah erbärmlich aus. Eine Überraschung war dies natürlich nicht, denn seit drei Wochen war er permanent auf den Beinen gewesen, hatte wenig zu essen gehabt, weil er mit dem Taschengeld, dass er bei seiner Flucht dabei gehabt hatte, sehr sparsam umgegangen war. Und dennoch war sein Erspartes nun bereits seit zwei Tagen aufgebraucht gewesen. Wenn dieser Derek ihn heute nicht zum Essen eingeladen hätte, hätte er nicht gewusst, was er tun sollte. Er hatte schon so kurz davor gestanden, sich aus dem Müll zu ernähren. Stiles trat in die Dusche, schloss die Glaskabine hinter sich und stellte das Wasser an. Und als er schließlich umhüllt war von Wasserdampf und dem Duft des Duschgels und als die warmen Wassertropfen ihn streichelten, dachte er plötzlich an zuhause und begann zu weinen. Eine heiße Dusche war ihm in seinem bisherigen Leben stets so selbstverständlich vorgekommen, doch nach den Erfahrungen der letzten Wochen erschien sie ihm nun wie der reinste Luxus. Derek hockte mit seinem Tee am Küchentresen, hörte dem Kleinen im Bad beim Heulen zu und schüttelte den Kopf über ihn. Was hatte dieser Stiles sich bloß dabei gedacht, einfach so von zuhause abzuhauen und in eine wildfremde Stadt zu kommen? Es war doch mehr als offensichtlich, dass er für das Leben auf der Straße überhaupt nicht geschaffen war und hier untergehen würde! Einen Moment später kam Stiles mit einem Handtuch um die Hüften aus dem Bad zurück. Derek verdrehte die Augen, als er die magere, blasse Gestalt erblickte. Der Junge begann, in seinem Rucksack herumzukramen und nun sah Derek auch endlich, welche unglaublichen Schätze sich unter anderem darin verbargen. Es handelte sich um saubere Kleidung! Stiles zog ein T-Shirt und eine Boxershorts hervor und vergewisserte sich, dass Derek gerade nicht hinsah, ehe er sein Handtuch ablegte und sich anzog. Er zuckte zusammen, als Derek ihn unvermittelt ansprach: „Was hältst du davon, wenn wir das Zeug, dass du heute anhattest in die Waschmaschine stecken? Dann kommt es morgen früh in den Trockner und du kannst es wieder mitnehmen?“ Stiles blickte den Älteren an, unsicher, ob er das Angebot annehmen durfte, doch schließlich nickte er. Als er sich schließlich auf der, mit festem, hellgrauen Baumwollstoff bezogenen, erstaunlich bequemen Couch eingerichtet hatte und Derek im Begriff war, ins Bett zu gehen, murmelte Stiles noch: „Ich bin dir wirklich wahnsinnig dankbar! Seit ich hier in San Francisco angekommen bin, habe ich kaum einen freundlichen Menschen getroffen. Ich...“ Stiles kämpfte schon wieder mit den Tränen. Scheinbar machte ihn diese ganze `Mutterseelenallein-in-der-Großstadt´-Erfahrung nicht härter, sondern weicher. Es war ihm vor Derek wahnsinnig peinlich loszuheulen, wie ein Baby, also murmelte er bloß noch rasch ein: „Danke!“ streckte sich dann auf dem Sofa aus und kehrte Derek den Rücken zu: „Keine große Sache!“ behauptete Derek darauf: „Schlaf gut, Kleiner!“ Mit diesen Worten zog er sich in sein Schlafzimmer zurück. Stiles fiel beinahe augenblicklich in tiefen Schlaf. Er erwachte erst am nächsten Morgen wieder, erfreulicherweise mit intakter Jungfräulichkeit und ohne, dass man seinen Kopf mit einer Axt von seinem Rumpf getrennt hatte. Und er hörte, dass jemand in der Küche hantierte. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte, dass es bereits nach zehn Uhr war. Stiles schreckte hektisch auf, tapste barfuß hinüber in die Küche und murmelte ein verlegenes: „Guten Morgen!“ „Morgen, Kleiner.“ Erwiderte Derek säuerlich: „Ich dachte schon, du wachst überhaupt nicht mehr auf! Als nächstes hätte ich deinen Puls gefühlt. Ich muss wohl nicht fragen, wie du geschlafen hast, oder? Die Antwort lautet wohl: Wie ein Stein!“ „Entschuldige dass ich so ewig gepennt habe, aber ich war wirklich wahnsinnig müde.“ erwiderte Stiles kleinlaut: „Danke, dass ich hier bei dir schlafen durfte! Wirklich! Vielen Dank!“ „Du musst echt aufhören, dich alle fünf Minuten für jede Kleinigkeit zu bedanken. Du fängst nämlich an, mich zu nerven!“ brummte Derek. `O.K., dieser Derek war definitiv kein Morgenmensch!´ dachte Stiles bei sich und nickte. „Frühstück?“ wollte Derek wissen. Statt eine Antwort trat Stiles unsicher von einem Fuß auf den anderen. Derek stöhnte: „Jetzt hör auf, dich zu zieren!“ verlangte er und schob einen Teller mit Rührei und Schinken und einen Becher Kaffee zu Stiles hinüber: „Danke!“ wisperte dieser schüchtern: „Was habe ich dir denn gerade gesagt?“ knurrte Derek: „Du sollst damit aufhören!“ Nein, definitiv kein Morgenmensch! Stiles blickte zwischen zwei Bissen unsicher zu dem Älteren auf: „Entschuldige!“ murmelte er. Als die beiden Männer nebeneinander saßen und sich ihr Frühstück einverleibten, erkundigte sich Derek, wie Stiles gedachte, den weiteren Tag zu verbringen. „Ich werde das tun, was ich jeden Tag mache.“ Erwiderte dieser niedergeschlagen: „Versuchen, irgendwo einen Job zu finden, damit ich Geld für eine Bleibe habe.“ Nach dem Essen verschwand Stiles, immer noch in seinem Schlafgewand, mit seiner Zahnbürste im Bad. Als er zurückkam, hatte Derek unterdessen offenbar Besuch gekommen. Ein attraktiver Fremder saß nun auf dem Sofa, auf welchem Stiles die vergangene Nacht verbracht hatte. Der Typ hatte dunkelblondes Haar, strahlend blaue Augen, trug Jeans und ein unverschämt weit ausgeschnittenes V-Shirt, welches eine ausgesprochen gut definierte Brust erahnen ließ. Als der Unbekannte Stiles erblickte, erhob er sich, trat ungemütlich nah an ihn heran und kommentierte: „Süß!“ Von Derek wollte er wissen: „Wer ist der Kleine, Neffe? Ein Stricher, den du über Nacht hier hattest. Ich wusste gar nicht, dass du auf solche Sachen stehst. Ich habe dich für einen notorischen Spaßverweigerer gehalten!“ Der fremde Kerl legte übergriffig einen Arm um Stiles Hüfte und wollte wissen: „Und? Hast du eine Karte, oder ´ne Telefonnummer für mich? Vielleicht kommst du ja auch mal zu mir? Was meinst du dazu, Süßer?“ Stiles blickte Derek mit ängstlich aufgerissenen Augen an und dieser schimpfte: „Lass den Jungen in Ruhe, Peter und hör´ auf, dich als Kinderschreck aufzuführen. Der Kleine steht nicht zum Verkauf, also lass´ ihn los. Was willst du überhaupt hier? Hast du mir das schon verraten?“ „Mein Kaffee war alle!“ gab der Fremde zurück, der mittlerweile von Stiles abgelassen und sich in der Küche eine Tasse aus dem Schrank genommen hatte: „Außerdem wollte ich meinen Lieblingsneffen sehen. Das ist doch kein Verbrechen, oder? Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du morgens noch unausstehlicher bist, als gewöhnlich?“ Derek schnaubte: „Also erstens kannst du in dieser Stadt nicht ausspucken, ohne einen Coffee-Shop zu treffen, darum musst du nicht kommen, um mir meinen Kaffee wegzutrinken und zweitens ist es nicht schwer, jemandes Lieblingsneffe zu sein, wenn der ganze Rest der Familie tot ist, oder? Also warum bist du wirklich hier, Peter?“ Dereks Onkel grinste schief: „Dir kann man wirklich nichts vormachen, wie!“ kommentierte er: „Du hast natürlich recht! Ich will noch etwas anderes als Kaffee von dir, mein Lieber und zwar die Schlüssel zu deinem Strandhaus. Ich möchte da nächstes Wochenende mal wieder eine Party feiern.“ Stiles, der die Szene zwischen Onkel und Neffe still beobachtete, während er sich eine frische Jeans überzog, konnte sehen, wie sich Derek Gesicht zu einer Gewitterfront verdunkelte. Und tatsächlich polterte dieser im gleichen Moment los: „SCHON WIEDER? Das letzte Mal, als ich dir das Strandhaus überlassen habe, sah es da hinterher aus, wie die letzten Tage von Rom! Die Nachbarn haben sich bei mir beschwert, weil es offenbar geklungen habe, wie zur Paarungszeit im Wildgehege. Und ich habe dort nachher die unglaublichsten Dinge vorgefunden; unter anderem ein benutztes Kondom IN MEINEM ZUCKERTOPF! Wie ist so etwas überhaupt möglich, frage ich dich? Und ich will gar nicht wissen, was ich alles sehen würde, wenn ich mein Haus einmal gründlich mit Schwarzlicht untersuchen würde. Vermutlich fände ich dort mehr DNA an Wänden und Möbeln, als am Schauplatz eines Schwerverbrechens. Das ist wirklich widerlich, Peter!“ Der Angesprochene zeigte nicht die geringste Spur von Scham oder Reue, stellte Stiles verwundert fest. Im Gegenteil! Dereks Onkel lachte: „Jetzt sei doch nicht immer so ein verkniffener Langweiler, Junge! Ich verspreche auch, dass ich dafür sorge, dass es nicht wieder so ausartet und ich hinterher einen Trupp Tatortreiniger durch´s Haus schicke, die alles wieder blitzsauber schrubben. Und wenn du willst, kannst du auch kommen. Bring´ dein Boytoy hier ruhig mit!“ Er deutete auf Stiles. Derek sah mittlerweile aus, als stünde er kurz vor der Explosion: „WAA...NEIN! Stiles ist nicht mein...VERDAMMT PETER, WAS STIMMT BLOß NICHT MIT DIR!“ brüllte er: „Du gehst auf die Vierzig zu und benimmst dich immer noch wie ein aufgekratzter Teenager!“ „Ich bin Mitte dreißig!“ behauptete Dereks Onkel entrüstet: „Und du bist bloß neidisch auf meinen...aktiven Lebensstil, weil bei dir seit einer Ewigkeit nichts mehr gelaufen ist. Also was ist nun? Kriege ich deine Hütte?“ „Versprichst du, endlich zu verschwinden, wenn ich `Ja´ sage?“ fragte Derek grollend: „Versprochen!“ Gab Peter zurück. Derek griff in eine Schublade, zog ein Schlüsselbund daraus hervor und warf es seinem Onkel zu. Dieser fing es grinsend auf und sagte: „Danke, Junge! Du hast etwas gut bei mir! Und wenn du nächsten Samstag noch nichts vorhast, komm´ vorbei! Ich sorg´ schon dafür, dass du ein bisschen lockerer wirst. Bring´ ne Badehose mit. Oder auch nicht, denn die meisten werden ohnehin nackt baden, nehme ich an.“ Mit diesen Worten wendete sich Dereks Onkel zum Gehen und Derek rief ihm noch angewidert hinterher: „Sorg´ nach deiner Orgie auch dafür, dass das Wasser im Pool gewechselt wird.“ Peter lachte, winkte über seine Schulter, ohne ein weiteres Wort oder sich noch einmal umzuwenden und dann war er verschwunden. „Dein Onkel ist...interessant!“ kommentierte Stiles verunsichert: „Ist er schwul?“ „Eher polymorph pervers, würde ich sagen!“ erwiderte Derek mit einem mürrischen Blick zur Tür, durch welche Peter gerade verschwunden war: „Was bedeutet das?“ fragte Stiles ratlos: „In Peters Fall bedeutet es, dass er absolut alles flachlegt, was ihm vor die Flinte kommt und nicht bei drei auf den Bäumen ist. Tut mir übrigens leid, dass er dich angemacht hat.“ Stiles zuckte mit den Schultern: „Er hat mich für eine Hure gehalten! MICH, die letzte lebende Jungfrau!“ Sagte er fassungslos: „Ich war bloß froh, dass du in der Nähe warst. Ich bin nämlich nicht so schnell im Bäume hinaufklettern.“ Derek grinste. Stiles war mittlerweile zum Aufbruch bereit, hatte seinen Rucksack gepackt und seine Turnschuhe und Jacke angezogen: „Ich werde dann mal verschwinden!“ verkündete er. Und dann umarmte er Derek zum Abschied, welcher unter der Berührung zum Eiszapfen erstarrte. Schließlich sagte der Jüngere mit einem schiefen Grinsen: „Auch, wenn du es nicht hören magst, sage ich es trotzdem noch einmal: Danke für alles!“ Derek gab einen knurrenden Laut von sich, aber dann rang er sich scheinbar doch noch ein klitzekleines Lächeln ab. (Es konnte sich dabei aber auch allein um Stiles Wunschdenken oder eine Täuschung durch günstiges Licht gehandelt haben.) „Pass´ auf dich auf, Kleiner!“ murmelte Derek. Dann regte sich etwas in seiner Brust; vielleicht war es Besorgnis, vielleicht auch irgendetwas anderes; jedenfalls rief Derek Stiles noch hinterher, als dieser schon beinahe aus der Tür war : „Wenn du willst, kannst du heute Abend wiederkommen! Ab acht müsste ich zuhause sein.“ Stiles warf einen unsicheren Blick zurück und weil er nicht wusste, was er dazu sagen sollte, nickte er einfach nur. Er hatte allerdings nicht die Absicht, auf das Angebot einzugehen, denn schließlich wollte er niemandem zur Last fallen. Draußen regnete es und es schien über Nacht sogar noch kälter geworden zu sein. Stiles knöpfte seine Jeansjacke zu, schlug den Kragen hoch und machte sich auf den Weg in einen weiteren ungewissen Tag. Obwohl er endlich wieder einmal eine ganze Nacht durchgeschlafen und etwas im Bauch hatte, fühlte Stiles sich heute dennoch erschöpfter, als in den vergangenen Tagen. Er schob es darauf, dass es wieder einmal in jedem Diner und in jeder Burgerbude, nur Absagen hagelte. Es war frustrierend! Er war der Zweitbeste seines Jahrgangs gewesen; der Zweitbeste nach Lydia Martin und das war nun wahrlich keine Schande, denn dieses Mädchen war ein heimliches Genie. Wieso also war es da bloß so verflucht schwer, einen ganz simplen Aushilfsjob zu ergattern? Überall, wo er sich bewarb, fragte man ihn nach Vorkenntnissen, doch Stiles hatte noch nie in seinem Leben auch nur einen einzigen Tag gearbeitet. Sein Dad war der Sheriff der Stadt und sie waren auch so immer über die Runden gekommen. Und John Stilinski hatte nicht gewollt, dass Stiles jobbte, denn er sollte sich voll und ganz auf die Schule konzentrieren. Nun war er ein Einser-Schüler, der demnächst verhungern würde. Stiles hatte zwar kein Geld mehr, aber immerhin sein Monatsticket für den Bus. Und das nutzte er, um am Nachmittag hinaus zum Bakers-Beach zu fahren, um auf´s Meer und die Golden-Gate-Bridge zu blicken. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen, aber dafür blies hier am Wasser ein kräftiger, kalter Wind, der ohne Schwierigkeiten durch Stiles nasse Kleider, bis auf seine Haut kroch. Der Junge saß am Pier und rollte sich gegen die Kälte zusammen, wie ein ängstlicher Igel. Nach einer Weile wäre er beinahe eingeschlafen. Nun wurde es wirklich höchste Zeit, sich in Bewegung zu setzen, machte er sich klar, denn sonst würde der Hunger keine Chance erhalten, ihn zu töten. Dann würde er an Unterkühlung sterben. Er musste weg von hier; irgendwohin, wo es warm war, die Frage war nur, wo das sein sollte? Gerade war er sogar so weit, dass er nachhause zu seinem Dad gefahren wäre, wenn er noch das Geld für ein Ticket gehabt hätte. Doch diese Möglichkeit fiel ja nun aus. Damit blieben noch zwei weitere Optionen: Er konnte sich entweder irgendwo eine Brücke oder einen warmen Hauseingang zum Übernachten suchen, wo die Wahrscheinlichkeit groß war, überfallen, ausgeraubt, vergewaltigt oder abgemurkst zu werden, oder er konnte noch einmal an die Tür von Derek klopfen und hoffen, dass dieser sein Angebot heute Morgen nicht nur aus einer Laune heraus gemacht hatte. Er hatte seine Entscheidung noch nicht getroffen! Derek hatte heute einige Erledigungen zu machen gehabt. Zuallererst musste er sich natürlich darum kümmern, dass sein Baby, welches die Nacht tatsächlich ohne Einbruch und Sachbeschädigung überlebt hatte, in die Werkstatt kam und dann gab es noch ein paar geschäftliche Dinge, die er erledigen musste. Seltsamerweise dachte er über den Tag immer mal wieder an den jungen Mann, den er gestern kennengelernt hatte. Er fragte sich, ob er Stiles wohl wiedersehen würde und wie es ihm heute ergangen war. Die Antwort auf beide Fragen erhielt er, als er am Abend heimkehrte, denn da hockte der Junge in seinem Hauseingang; blass und schlafend. Derek legte Stiles eine Hand an die Wange, um ihn zu wecken und obwohl es heute saukalt war, glühte das Gesicht des Jungen: „Fuck!“ rief Derek aus und begann nun Stiles wachzurütteln: „Hey, Kleiner! Was ist mit dir?“ Widerwillig öffnete Stiles die Augen, blinzelte und versuchte sich zu orientieren, wo er war und was gerade mit ihm geschah. Als er Derek sah, murmelte er ein dümmliches: „Hi!“ „Selber `Hi´!“ knurrte Derek: „Was machst du denn hier draußen? Willst du dir den Tod holen? Du hast Fieber, Mann! Ich werde jetzt einen Krankenwagen rufen!“ Stiles schüttelte heftig den Kopf: „Kein Krankenwagen! Dass kann ich mir nicht leisten. Es ist bestimmt nur ein kleiner Schnupfen, oder so. Dürfte ich heute Nacht vielleicht noch einmal auf deinem Sofa schlafen? Morgen früh bin ich bestimmt schon wieder O.K. und du bist mich wieder los.“ Derek zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. So wie Stiles aussah und sich anfühlte, war das hier weit mehr als bloß ein harmloser Schnupfen und seine Planung für den Abend hatte wirklich etwas anderes vorgesehen, als Krankenschwesternpflichten. Vielmehr hatte er an Essen vom `Panda-Express´ und einen alten Film aus seiner DVD-Kollektion gedacht. Na ja, vielleicht ging ja beides: „Na dann komm´!“ sagte Derek und ergab sich in sein Schicksal. Stiles erhob sich mit wackligen Beinen: „Geht schon!“ sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, als Derek ihm hilfreich einen Arm anbot. Oben im Apartment ließ Stiles sich direkt auf das Sofa sinken: „Hast du schon gegessen?“ Wollte Derek wissen. Anstatt einer Antwort blickte Stiles ihn nur mit großen Augen an. Derek seufzte und griff nach der Speisekarte des Take-Away-Service: „Ich nehme die `Vier Kostbarkeiten´. Was willst du?“ fragte er seinen Patienten: „Ich...ich kann mir das nicht...“ Ungehalten wurde Stiles von Derek unterbrochen: „Ich weiß, dass du kein Geld hast, du kleiner Spinner! Danach habe ich dich auch nicht gefragt. Ich will wissen, was du essen möchtest. Also? Raus mit der Sprache!“ Stiles zuckte bei der barschen Ansprache ein wenig zusammen und erwiderte schließlich kleinlaut: „Scharfe Hühnersuppe mit Glasnudeln.“ Derek nickte zufrieden: „Klingt nach einer guten Wahl in deinem Zustand.“ Er setzte seine Bestellung ab und wollte danach wissen: „Lust auf eine DVD oder willst du bald zu Bett?“ „Film!“ murmelte Stiles matt. Seine Augen waren blank vom Fieber. Derek nickte: „Such´ ruhig schon einen aus. Ich bin gleich wieder da!“ verkündete er und verschwand in der Küche, wo er Tee aufsetzte und ein paar Zitrusfrüchte mit dem Entsafter bekannt machte. Wenig später kehrte er zu Stiles zurück und erklärte: „Du brauchst Vitamine und musst viel trinken. In der Kanne ist Ingwer-Tee!“ Stiles machte Kulleraugen wie ein Vierjähriger und murmelte ein überwältigtes: „Danke!“ Derek knurrte drohend und Stiles hielt es für angezeigt, nun brav zu gehorchen; schenkte sich Tee in eine Tasse und trank seinen Saft in großen Schlucken: „Welchen Film hast du ausgesucht?“ Wollte Derek wissen: „Ehrlich gesagt kannte ich keinen dieser alten Schinken!“ gab Stiles kleinlaut zu: „Ich habe diesen genommen, weil mein Vater einmal gesagt hat, dass er ihn mit meiner Mutter angeschaut habe, als sie noch ein junges Paar gewesen sind.“ Es war `Ein Pyjama für Zwei´ mit Doris Day und Rock Hudson in den Hauptrollen: „Eine gute Wahl!“ kommentierte Derek schmunzelnd, legte die Silberne Scheibe in den DVD-Spieler und ließ eine Leinwand von der Decke herunterfahren. Wenig später kam ihre Lieferung und obwohl Stiles sogar Mühe hatte, seinen Löffel zu halten, aß er tapfer seine Suppe auf. Nach dem Essen saßen die beiden Männer schweigend nebeneinander auf dem Sofa und schauten den Film. Nach einer Weile registrierte Derek, dass Stiles seinen Kopf auf seiner Schulter abgelegt hatte. Derek knurrte leise und warf einen empörten Blick zur Seite, doch Stiles reagierte nicht, denn er war mittlerweile eingeschlafen. Natürlich hätte Derek Stiles nun von sich schieben können, doch das tat er nicht. Er ließ ihn gewähren und nutzte die Gelegenheit stattdessen, das Gesicht in diesem unbeobachteten Moment eingehend zu studieren: blasse Haut, die Wangen vom Fieber ein wenig gerötet, ein paar Leberflecken, eine wirklich nette, kleine Stupsnase, ein schmaler, herzförmiger Mund und lange, dichte, dunkle Wimpern, welche die, momentan geschlossenen hellbraunen Augen kränzten. Ganz und gar kein hässlicher Kerl, auch wenn dieser Junge das ganz offenbar von sich selbst dachte. Derek schüttelte über sich selbst ein kleines bisschen erschrocken den Kopf und wendete seine Aufmerksamkeit lieber wieder ganz schnell dem Film zu. Als dieser vorüber war fragte er sich, was er nun wohl mit dem Fremden anstellen sollte. Wenn er diesen hier im Wohnzimmer schlafen ließe, dann würde er sich in der nächsten Zeit in seiner eigenen Wohnung nicht mehr frei bewegen können, denn wer wusste schon, wie lange diese Erkältung anhalten würde? Eines war jedenfalls gewiss: Stiles würde morgen früh nicht aus dem Bett springen, wie eine neugeborene Gazelle! Dies hier war eine längerfristige Sache. Was hatte er sich da bloß aufgehalst, fragte Derek sich selbst genervt? Eigentlich hatte er sich in seinem Leben doch so wunderbar gemütlich eingerichtet: Keine Freunde, die ständig irgendetwas von einem wollten; seit einer Ewigkeit keine Gefährtin mehr, nur hin und wieder ein One-Night-Stand, wenn die Not zu groß wurde; nein, er kannte ja nicht einmal seine Nachbarn! Es war im Grunde herrlich! Und da war ja auch keine Familie mehr, um die man sich sorgen musste; einmal abgesehen von Peter, der hin und wieder hereinschneite, um ihm auf den Wecker zu gehen. Aber der passte schon auf sich selbst auf! Und genau so wollte Derek es! Niemand, der etwas von ihm verlangte. Er war ganz und gar unabhängig. Ein einsamer Wolf! Er bedauerte die vielen anderen Leute, die sich ständig in die Abhängigkeit ihrer Mitmenschen begaben, bloß um nicht allein zu sein. Derek selbst hatte überhaupt nichts gegen das Alleinsein. Er war sich selbst genug! Außerdem hatte man auf diese Weise nichts zu verlieren! Derek warf einen weiteren Blick auf den schlafenden Jungen, der an seiner Schulter lehnte. Er würde ihn jetzt wecken, damit Stiles hinüber ins Schlafzimmer ging, um sich dort ins Bett zu legen, beschloss er. Nur, dass er nicht das Herz hatte, den armen, kranken Burschen zu wecken. Und so erhob er sehr vorsichtig und trug Stiles hinüber, wobei er mit erschrecken feststellte, dass dieser mittlerweile beinahe glühte. Derek legte den Jüngeren in sein Bett und nahm ihm Pullover und Jeans ab, ohne ihn zu wecken. Stiles war mittlerweile wirklich vollkommen weggetreten, dachte er besorgt. Er ging ins Badezimmer, kramte dort ein wenig in den Schubladen und fand schließlich das Gewünschte; ein Fieberthermometer, dass eine frühere Liebhaberin bei ihm zurückgelassen hatte. Er steckte es in das Ohr seines Patienten und nach dem Piepton stellte er fest, dass Stiles Temperatur bei neununddreißig sechs lag. So weit er wusste, war das ziemlich hoch für einen Menschen. Derek selbst kannte sich nicht gut aus mit menschlichen Krankheiten, denn er selbst blieb davon ja verschont. Seine einzige Erfahrung, auf die er hier zurückgreifen konnte, war eine Infektion mit mutierten Staupe-Erregern im Jahr 2006. Damals hatte er gedacht, er würde sterben. Er hatte sich hundeelend gefühlt: Hohes Fieber, Übelkeit, Schnupfen und Husten! Und anstatt ihn liebevoll zu pflegen, hatte Peter sich damals bloß über ihn lustig gemacht. Aber er hatte sich gerächt, erinnerte Derek sich grinsend, indem er den Mistkerl angeniest und damit angesteckt hatte. Derek wickelte den schlafenden Stiles in zwei dicke Decken, die er ihm um den Körper stopfte und hatte dann eigentlich vor, selbst einmal auszuprobieren, wie gut seine Couch zum Schlafen geeignet war. Dann stellte er sich die bange Frage, was wäre, falls Stiles ihn in der Nacht brauchen sollte. Er könnte sich auch einfach neben den Jungen legen, denn sein Zweimeter-Bett war immerhin groß genug hierfür, schoss es ihm durch den Kopf, doch ebenso schnell verwarf er diesen abwegigen Gedanken wieder. Das kam nun wirklich nicht in Frage! Schließlich kannten er und der Junge sich kaum. Stattdessen zog Derek sich also einen Schlafsessel ans Bett und machte es sich in diesem bequem. Oder zumindest so bequem, wie es eben möglich war: „Schlaf gut Kleiner und werd´ gesund!“ flüsterte er seinem Patienten noch zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)