Was es heißt, zu siegen von Schangia (Shiratorizawa Girls' Volleyball Club) ================================================================================ Kapitel 1: Chihiro - Middle Blocker (Captain) --------------------------------------------- »Akira!« »Geht es ihr gut?« »Schnell, eine Trage!« »Es tut mir so leid, das wollte ich nicht!« »Jetzt geht doch mal zur Seite!« »Akira, dein Bein...!« Als Chihiro in ihrem zweiten Jahr gewesen war, schied ihr Volleyballteam aus der Inter High, bevor sie die Spiele ums Achtelfinale hatten erreichen können. Nicht, weil sie nicht genügend trainiert hatten oder weil ihre Gegner sehr viel stärker gewesen waren als sie – das waren sie nicht, schließlich hatten sie das erste Set gewonnen und im zweiten fast zehn Punkten vorne gelegen. Es war kein Fehler von ihrer Seite gewesen, sondern nichts als ein dummer Unfall. Aber vielleicht hatte es einfach nicht sein sollten. Mit einem Mal war alles bedeutungslos geworden; jeder Nachmittag, den sie in der Sporthalle verbracht hatten, jede Stunde zusätzlichen Trainings, die sie vor Spielen eingeschoben hatten, jeder Gedanke, den sie an den Sport verschwendet hatten. Das Team hatte sich danach eine längere Pause genommen, ehe sie sich wieder zum Spielen getroffen hatten. Für Chihiro war es so unerträglich gewesen, den anderen unter die Augen zu treten, dass sie der Sporthalle fast einen ganzen Monat lang fernblieb, bevor sie wieder zum Training erschien. Seitdem war sie der Captain der Mannschaft, und obwohl mehr als ein halbes Jahr vergangen war, konnte sie sich immer noch nicht daran gewöhnen. Sie war kein Mensch, der andere führte, und in den letzten Monaten hatte sie gelernt, dass sie das auch niemals würde sein können. Anfangs hatte sie Probleme gehabt, die anderen Mitglieder während des Trainings anzuleiten oder sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Mei und Takako hatten ihr so gut es ging geholfen, doch mit der Zeit waren immer mehr von ihnen gegangen. Das Team brach allmählich auseinander, und Chihiro konnte nichts weiter tun als ihnen dabei zuzusehen, wie sie eine nach der anderen den Club verließen. Bis Akira schließlich kurz vor Beginn des neuen Schuljahres wiedergekommen war. Seither hatten sie wieder regelmäßige Trainingsmatches mit anderen Schulen, um sich auf die bevorstehenden Turniere vorzubereiten. Und auch, wenn sich deutlich weniger Mädchen als die Jahre zuvor für ihren Club bewarben, schafften sie es irgendwie, zu ihrem alten Glanz zurückzufinden. Wäre Chihiro zynischer veranlagt gewesen, hätte sie vermutlich lachen müssen. Alter Glanz – im Grunde war ihnen davon nichts geblieben. Gerade erst hatten sie ein Freundschaftsspiel gegen eine andere Schule verloren. Die meisten von ihnen waren bereits mit hängendem Kopf vom Platz geschlurft, obwohl sie fast mit diesem Ergebnis gerechnet hatten. Nur Mei hatte wie nach jeder Niederlage Tränen in den Augen, und wenn sie es genau bedachte, beneidete Chihiro ihre Freundin darum, dass sie noch so reagieren konnte. Sie atmete einmal tief durch und hob langsam den Blick, gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie ihr Team in ihrer Umkleide verschwand. Das Letzte, was sie von ihnen sah, war das kräftige Lila ihrer Uniform. Unbewusst sog Chihiro beim Anblick der Farbe scharf die Luft ein, kämpfte gegen die aufkommende Übelkeit an. Es war nicht immer so gewesen, vor allem nicht als sie gerade erst nach Shiratorizawa gekommen war. Damals hatte sie noch Stolz empfunden, nicht nur darüber, dass sie und ihre Freunde gut genug dafür waren, die Uniform zu tragen, sondern auch darüber, dass sie die lange Tradition ihrer Schule fortführen durften. Der Farbe Lila haftete etwas Erhabenes, etwas Königliches an. Sie war bestimmt für die Königinnen des Platzes, die von niemandem besiegt werden konnte. Das waren sie einst gewesen, damals, als alles noch in Ordnung gewesen war. Doch mittlerweile schien diese Zeit für Chihiro nichts mehr als ein Traum zu sein, aus dem sie gewaltsam geweckt worden war. Hatte sie ihre Uniform früher erhobenen Hauptes getragen, bedrückte sie jetzt der bloße Anblick. Das Lila ließ ihr keine Flügel mehr wachsen, sondern engte sie ein und verankerte sie fest am Boden. Shiratorizawa genoss den Ruf, das in jedem Sportclub nur die Besten vertreten waren, und die Angst, diesem Anspruch nicht gerecht werden zu können, schulterte ihr mehr Druck auf als alles andere in ihrem Leben. Chihiro hatte nicht bemerkt, wie sich ihre Finger in dem Stoff ihres Trikots verkrampft hatten. Etwas desorientiert blickte sie an sich herab und hätte das Shirt am liebsten zerrissen, als ihr Blick auf die Farbe fiel, die ihr seit Monaten nur noch hämisch entgegenzulachen schien. Das Einzige, das sie davon abhielt zu weinen, war ihr Team, das immer noch auf ihre Rückkehr wartete. Sie war jetzt der neue Captain, auch wenn sie sich noch nicht in ihrer Rolle eingefunden hatte. Sie durfte nicht zögern, durfte nicht weinen und durfte keine Schwäche zeigen. Kein Captain an ihrer Schule durfte das. »Chii? Kommst du?« Takakos Rufen ließ sie aufschrecken. Hastig blinzelte sie das Brennen in ihren Augen weg, atmete erneut tief durch und wandte sich dann zu ihrer Freundin um, die sie mit besorgtem Blick musterte. Chihiro zwang sich zu einem schwachen Lächeln und folgte Takako in die Umkleide. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)