Fall into the Sky von Schangia (Soukoku Short Story Collection) ================================================================================ Kapitel 9: Showing every scar as your badge of honor ---------------------------------------------------- Es kam selten vor, dass Dazai sich vor anderen nicht vollständig bekleidet zeigte. Vor Kouyou rollte er manchmal seine Hemdärmel hoch, aber das würde er in Anwesenheit anderer Mitglieder – selbst bei Mori oder Akutagawa – niemals machen. Chuuya hatte nie mit ihm darüber gesprochen, warum das so war, doch er glaubte, dass Dazai niemandem zeigen wollte, welche Schrecken er bereit war seinem Körper anzutun. Es war nicht so, dass sie als Kinder zusammen gebadet hätten oder es sonst sonderlich häufig vorgekommen war, dass sie einander ohne Kleidung gesehen hatten. Aber Chuuya selbst hatte nie ein Problem damit gehabt, sich nach dem Training vor Dazai umzuziehen, und als Dazai noch jünger gewesen war, war es bei ihm nicht anders. Dann hatte er das erste Mal versucht sich umzubringen, und seither sah Chuuya ihn nur noch unbekleidet, wenn er seine Wunden und Narben verband. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und war dazu übergegangen, vor Dazai ebenfalls fast immer vollständig bekleidet aufzutreten. Zum Großteil lag es daran, dass er seine Kleidung gerne zeigte. Er hielt sich selbst für stilbewusst und versuchte, stets mit der Mode zu gehen. Allein seine Schuhe hatten ein kleines Vermögen gekostet, aber Chuuya hatte hart für sein Geld gearbeitet, war stolz auf das was er geleistet hatte, und fand es nur fair, nun damit hausieren zu gehen. Ein kleinerer Teil von ihm wollte aber auch, dass Dazai sich nicht schuldig fühlte. Dass Dazai selbst im Sommer mehrere Lagen langärmliger Kleidung trug, war die Norm. Nur an diesem Abend schien er einen Sinneswandel zu erleben. Es war einer der seltenen Tage, an denen Chuuya all seine Aufgaben bereits am Nachmittag erledigt hatte, also hatte er sich auf sein Zimmer zurückgezogen, Andrea Bocelli aufgelegt, sich für einige Minuten auf sein Bett gelegt und einfach nichts getan. Es war der Himmel auf Erden gewesen, nur leider hatte Dazai schon immer ein Gefühl dafür besessen, wann sein Erscheinen Chuuya am ungelegensten kam. Sein eigener kleiner Himmel existierte für die fünf Minuten und 37 Sekunden die Dazai gebraucht hatte, um zu seinem Zimmer zu gelangen und die Tür mit einem lauten Knall auf und gegen die Zimmerwand zu schlagen. Und dann stand er auch schon im Zimmer, so laut, aufgedreht und betont fröhlich, dass Chuuya sich sofort sicher war, dass etwas nicht stimmte. So verhielt Dazai sich mittlerweile nur noch, wenn irgendetwas falsch lief, und so war Chuuya zwar überrascht, als der andere die Tür wieder schloss und begann, sich zu entkleiden, hinterfragte es aber nicht weiter. Er sagte nichts, saß nur kerzengerade auf seinem Bett und beobachtete mit wachsendem Grauen, wie Dazai seine Anzugjacke zu Boden warf, anschließend sein Hemd aufknöpfte und ebenfalls fallen ließ. Es war nicht das erste Mal, dass Chuuya den komplett einbandagierten Oberkörper seines Freundes sah, doch es war das erste Mal, dass dieser sich selbst daran machte, seine Bandagen zu lösen. Denn er wusste, dass Dazai sie vor allem deshalb trug, um sich vor der Welt zu verstecken – oder sich zumindest gegen sie zu wappnen. Chuuya kämpfte gegen die Übelkeit in seinem Magen an, während Dazai mit leuchtenden Augen und munter plappernd seinen linken Unterarm von dem reinweißen Schutzschild befreite, das er sonst stets mit größter Sorgsam trug. »Schau mal, Chuuya!« Dazai klang wie ein aufgeregtes Kind, und Chuuya versuchte mit aller Macht, an den vor seinen Augen tanzenden Sternchen vorbei zu gucken. »Findest du nicht auch, dass diese Narbe aussieht wie Shikoku?« Er hielt ihm die Narbe auffordernd unter die Nase, mit dieser drängelnden Ungeduld, die ihm schon als Kind eigen gewesen war und von der Chuuya nicht gedacht hatte, sie je wieder zu sehen. Doch alles, was er auf dem blassen Unterarm seines Freundes erkennen konnte, war eine noch blassere, wulstige Erhebung aus frischer, junger Haut. Diese Narbe hatte für ihn nichts mit irgendeiner Insel gemein, sondern war nichts als eine Erinnerung daran, wie der andere vor gut zwei Monaten versucht hatte, mit einer Glasscherbe zu erreichen, wofür ihm Messer mittlerweile zu langweilig waren. Chuuya hasste es, wenn Dazai seine Narben spazieren trug, nur um ihn zu ärgern. Aber das sagte er ihm nicht. Stattdessen schluckte er die Galle in seinem Mund wieder herunter, grinste schief – eine Geste, die genauso leer war wie Dazais Augen – und erwiderte: »Hast du keine Augen im Kopf? Das ist doch ganz klar Hokkaido.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)