Fall into the Sky von Schangia (Soukoku Short Story Collection) ================================================================================ Kapitel 17: So hear my voice remind you not to bleed ---------------------------------------------------- Es war bereits ein Monat vergangen, seit Dazai der Mafia den Rücken gekehrt hatte. Sein Eintritt in die Detektei war reibungslos verlaufen, völlig ohne Schwierigkeiten; so zumindest redete er es sich ein. Ihm war bewusst, dass die meisten Mitglieder ihm noch nicht vollständig vertrauten, was auf der einen Seite unerwartet klug von ihnen war und auf der anderen Seite wohl daran lag, dass er seit jeher nie den Eindruck gemacht hatte, als wäre es ratsam, ihm etwas von Bedeutung anzuvertrauen. Noch hatte Dazai keine Versuche gestartet, ihr Bild von ihm aktiv zu verbessern, und vermutlich würde er das auch nicht. Zu frisch war der Verrat, den er begangen hatte und der ihm immer noch die Kehle zuschnürte, auch wenn er wusste, dass es unvermeidbar gewesen war. Er wusste nicht, wie lange er schon wie gelähmt auf seinem Bett saß. Die Vorhänge, die der Außenwelt einen Blick in sein kleines Schlafzimmer verwehrten, hatte er schon lange zugezogen, und auch das Licht hatte er gelöscht. Seit er den ersten Schritt in seine neue Wohnung getan hatte, saß er nach seiner täglichen Rückkehr im Dunkeln, denn er konnte sich momentan nur im Dunkeln ertragen. Mit leerem Blick starrte Dazai auf seine Unterarme, die er auf die Oberschenkel gebettet hatte. Mittlerweile hatten sich seine Augen so sehr an die Dunkelheit gewöhnt, dass er die Bandagen klar erkennen konnte, die sich sauber um seine Arme wanden. Seit er aus den Schatten der Mafia getreten war, trug er nicht nur über seinen Wunden und Narben solche Bandagen, sondern am ganzen Körper. Nur so hatte er das Gefühl, sich vor der Welt schützen zu können; vor einer Welt, die ihm viel zu hell und viel zu strahlend vorkam, als dass ein Wesen der Schatten, so wie er es war, sich darin wohlfühlen konnte. Wenn er gedacht hatte, der Drang sich das Leben zu nehmen wäre in seinen letzten Wochen bei der Hafenmafia stark gewesen, war er seit seinem Austritt beinahe unerträglich. Bisher war es nur die Dunkelheit seines Schlafzimmers gewesen, die ihn nach stundenlangem, gemeinsamen Schweigen endlich trösten konnte, doch diese Nacht war anders. Ohne seinen Blick von den Bandagen seines linken Arms abzuwenden, griff er mit der rechten Hand vorsichtig nach dem Messer, das er schon vor Stunden neben sich aufs Bett gelegt hatte. Als er mit seinem Finger an der kühlen Klinge entlangfuhr, wurde ihm ein wenig leichter ums Herz. Seine Hand schloss sich fest um den Griff, ehe er die Klinge beinahe behutsam an seinen anderen Arm führte. Kurz überlegte Dazai, ob es nicht sinnvoller wäre, die Bandagen vorher zu entfernen, doch den Gedanken verwarf er schnell. Er konnte es nicht ertragen, die Narben gescheiterter Versuche darunter zu sehen. Er atmete einmal tief durch, setzte die Klinge an und— Dazai. Erschrocken hielt er inne, zu überrumpelt, um dem Drang zu erliegen, sich wild suchend in dem dunklen Raum nach dem Ursprung der Stimme umzublicken. Oi, Dazai! Ein zweites Mal hörte er ihn seinen Namen rufen, drängender diesmal, flehender. Ein so untypischer Tonfall, den Dazai immer nur dann zu hören bekommen hatte, wenn er etwas Dummes angestellt hatte. »Das ist doch ein schlechter Scherz«, flüsterte er leise, versuchte sich zu beruhigen, doch es half nichts. Es war eindeutig Chuuyas Stimme, die er hörte, aber das konnte, durfte nicht sein. Nicht jetzt. Nicht nach seinem Verrat. Erneut versuchte er, die Klinge in seinen Unterarm fahren zu lassen. Wie erwartet stoppte die Stimme ihn im letzten Moment. Hör auf mit dem Scheiß, verstanden? Dazai wusste nicht, was ihm mehr zu schaffen machte: Chuuyas Stimme in seinem Kopf zu hören, so als würde er direkt vor ihm sitzen und zurechtweisen, oder dass er genau wusste, was er als Nächstes sagen würde. Er erinnerte sich zu gut an das erste Mal, als er genau diese Worte gehört hatte. Was soll denn aus dir werden, falls ich mal nicht da bin? Chuuyas Stimme klang genauso hilflos wie das erste Mal, als er diesen Satz gehört hatte, und er fühlte sich genauso schuldig und schrecklich wie einst. ›Dann ist es endlich vorbei‹, hatte er damals gesagt, wehmütig und hoffend zugleich, und er hatte wirklich geglaubt, dass er Abschied von dieser Welt würde nehmen können, sobald Chuuya aus seinem Leben verschwunden war. Doch als das Messer klirrend aus seiner zitternden Hand fiel und er erkannte, dass die verzweifelten Schreie die er hörte aus seiner eigenen Kehle stammten, ahnte er, dass er den bisher größten Fehler seines Lebens begangen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)