Alice hinter den Spiegeln - Die tiefgründigste Fortsetzung ever von Drachenprinz ================================================================================ Prolog: Prolog - Dragontown --------------------------- Disclaimer: Alice Cooper und die anderen hier vorkommenden bekannten Musiker gehören immer noch nicht mir, genauso wenig wie die Grund-Idee des Wunderlandes (ein Hoch auf Lewis Carrol!). Alle anderen Charaktere stammen allerdings entweder tatsächlich von mir oder sind an ausgedachte Figuren aus bestimmten Songtexten angelehnt. -------------------------------------------------------------------- Ein eindrucksvoller Nebel breitete sich über der Bühne aus, und die Menge verfiel in ein ekstatisches Jubeln, als nach einem kurzen Moment der Stille das erste Gitarrenriff des Liedes ertönte, das sie alle heute Abend hierhergeführt hatte. Es war erst wenige Tage her, dass der Sommer begonnen hatte, und trotzdem war es bereits so warm, als befänden sie sich mitten im August. Alice trat ein paar Schritte nach vorn, wobei der ausladende rote Mantel, der bedauerlicherweise Teil der Show war, über den Boden schleifte, und bemühte sich so gut er konnte, sich dem Publikum gegenüber nichts anmerken zu lassen. Wie zur Hölle war er bloß auf die dämliche Idee gekommen, an einem heißen Tag wie diesem ein derartiges Bühnen-Outfit zu tragen? Ob irgendjemand etwas dagegen hatte, wenn er die lästigen Klamotten während des Songs einfach der Reihe nach wegschmiss? Ein Jahr war es nun her. Seine letzte Tour, Brutal Planet... und die zweifelhaften Ereignisse im Nightliner. Ein Jahr. Und jetzt war er wieder hier, in der 'Normalität', wie er es gedanklich manchmal nannte – obwohl dieser Ausdruck ihm, wenn er darüber nachdachte, alles andere als passend erschien. Nichts war mehr normal seit diesem Tag. Seit dem Tag, an dem er festgestellt hatte, dass er verrückt war. „Well, here you are“, begann er ein wenig zu abwesend mit der ersten Zeile des Liedes. Beinahe hätte er seinen Einsatz verpasst, ohne wirklich zu wissen, weshalb. „Lying bleedin' on a grimy street...“ Dragontown. Der Titeltrack seines neuen Werkes. „See the broken glass... sparkling darkly as it cuts your feet.“ Warum war er überhaupt hier, wenn er solche Schwierigkeiten damit hatte, sich zu konzentrieren? Ach ja – weil dieser Auftritt zu seiner Tour gehörte und er nicht jedes Konzert mit der Begründung absagen konnte, dass er sich fehl am Platze fühlte. Man würde ihn irgendwo einweisen lassen, und das konnte er erst recht nicht gebrauchen. War es wirklich ein ganzes Jahr her, dass er dort gewesen war? Hatte er es seitdem wirklich geschafft, so viel Zeit in der schnöden Realität zu verbringen? 'Realität', dachte er sarkastisch, während er nacheinander einen Blick auf jedes seiner Bandmitglieder warf. Woher sollte er wissen, dass es sich hierbei um die Realität handelte? Dass es sich bei den Leuten seiner Crew, die ihm in letzter Zeit immer häufiger mit sichtlich skeptischen Gesichtern begegneten, nicht bloß um fiktive Figuren handelte? Figuren, die ihn in seiner fälschlichen Annahme, verrückt zu sein, mit allen Mitteln versuchten zu bestärken? Vielleicht war das hier nichts als ein seltsamer Traum. Nicht das Wunderland. Das hier. „Alice...!“, hörte er jemanden flüstern und schaute reflexartig zu Ryan, der jedoch voll und ganz in sein Gitarrenspiel vertieft war und ihm keinerlei Beachtung schenkte. Dabei hätte er schwören können, dass die Stimme aus dessen Richtung gekommen war. Allerdings war es ohnehin eigenartig, dass er bei dieser Lautstärke irgendjemanden flüstern hören konnte. Hatte er es sich eingebildet? Nein... Jetzt war nicht der richtige Augenblick für unheimliche Halluzinationen oder verdächtige Stimmen, die seinen Namen riefen. Er befand sich mitten auf einem Konzert, verdammt! Und nicht als Zuschauer sondern als Hauptattraktion! Ohne ihn lief hier absolut nichts, also hatte er sich gefälligst zusammenzureißen – was alles andere als einfach war. Denn er hörte es schon wieder. „COME ON! I've got something to show you! COME ON! You thought that it was over!“ Einfach ignorieren, das war das Beste. Ignorieren und weitersingen. „Alice...!“ Ein Zischen. „Komm hierher, Alice!“ Nur nicht rausbringen lassen. Da war niemand. Kein Geist oder Freak, der sich einen Scherz mit ihm erlaubte, oder- Nein, unmöglich. Da war niemand. „We can bring you back home, deep in the ground...“ Falscher Text. Aber daran störte sich ohnehin keiner. „Welcome your soul... down in Dragontown!“ Plötzlich registrierte er etwas aus dem Augenwinkel. Eine Bewegung. Ryan...? Alice drehte sich um – im Takt und auf eine Art und Weise, die vortäuschte, dass alles zur Show gehörte, schließlich legte er es nicht darauf an, seine Fans mit einem akuten Anflug von Wahnsinn zu vergraulen. Das Problem an der Sache war nur, dass sein eigenartiges Gefühl, von jemandem verfolgt zu werden, sich in dem Moment, in dem er hinter sich schaute, bestätigte anstatt sich in Luft aufzulösen. Es war nicht sein Gitarrist, der nach ihm gerufen hatte; und es war auch kein anderes seiner Bandmitglieder. Für den Bruchteil einer Sekunde nur war es zu sehen gewesen, aber es war ihm nicht entgangen – der Schatten der beiden Gestalten, die heimlich hinter dem Vorhang verschwunden waren. „Das ist... nicht wahr, oder?“, entwich es ihm, während er den Blick nicht von der Stelle abwenden konnte, an der die winzige und doch so bedeutsame Bewegung seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Er war sich nahezu sicher. Sie waren es. „Alice!“, zischte es nun tatsächlich seitens Ryan, ohne dass dieser sein Gitarrenspiel unterbrach. „Was ist los mit dir? Hab ich irgendwas nicht mitgekriegt, oder wieso stehst du da rum wie 'ne Statue?“ „Ich...“ Es war kein Hirngespinst, dachte er, mit einem Mal überzeugt. Und es war auch niemals eines gewesen. Die andere Welt, von der er inzwischen so oft geträumt hatte, ohne sie wirklich noch einmal erreichen zu können; die Welt abseits aller irdischen Dimensionen und Vorstellungskräfte... Sie existierte wirklich. Das Wunderland war real. „Es... Es ist alles bestens, Ryan. Aber ich fürchte, ich habe noch etwas zu erledigen. Ihr müsst wohl ohne mich weitermachen.“ Noch immer hörten die anderen nicht damit auf, ihre Instrumente zu spielen, so als verliefe alles ganz nach Plan. Ryan starrte ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der sich nicht in Worte fassen ließ. „Wie meinst du das, 'ohne dich weitermachen'? Du kannst doch jetzt nicht-“ „Sag ihnen, ich wurde von Aliens entführt. Das zieht immer“, gab Alice zuversichtlich zurück, ehe er seinem Gegenüber lächelnd das Mikro in die Hand drückte, seinen lästigen Mantel endlich abstreifte und, nachdem er das Teil in die Menge des kreischenden Publikums geworfen hatte, an seiner Band vorbeischritt. „The show must go on!“ In den ersten paar Sekunden unsicher, ob er sich nicht doch etwas zusammengesponnen hatte, blieb Alice in dem Bereich hinter der Bühne stehen und hielt Ausschau nach einem Anzeichen dafür, dass das, was er gesehen hatte, nicht bloß seiner Fantasie entsprang. Nichts. Hier gab es nichts zu entdecken. Nichts und niemanden. Andererseits... War nicht gerade das ziemlich ungewöhnlich? Normalerweise hätte doch zumindest irgendein Backstage-Arbeiter anwesend sein müssen – aber hier herrschte vollkommene Leere. „Komisch.“ Noch bevor er darüber nachdenken konnte, wo seine Crew abgeblieben war, fiel ihm auf, dass die Musik beinahe verstummt war. Stattdessen war dort etwas anderes, irgendetwas nicht Greifbares, das mit einem Mal in der Luft lag und seine Unsicherheit gänzlich beiseitewischte. Es war mehr als klar, dass heute etwas Sonderbares vor sich ging. „Hallo?“, rief er ein wenig verhalten, doch laut genug, um gehört zu werden, falls sich hier jemand versteckte. „Ich weiß, dass irgendwer hier ist! Kommt raus und zeigt euch, bevor ich es mir anders überlege und auf die Bühne zurückgehe... Das ist mein Ernst!“ Keine Antwort. Entweder zog wieder einmal jemand einen richtig üblen Streich mit ihm ab oder sein Verstand hatte wirklich beträchtlichen Schaden genommen. „Okay... gut! Selbst schuld, wenn ihr nicht mit mir reden wollt!“, sagte er schließlich und kam sich dabei reichlich schizophren vor, ehe er sich wieder in Richtung Vorhang wandte und fast zu Tode erschrak, als sich aus heiterem Himmel zwei wohlbekannte Gesichter unmittelbar vor ihm befanden und ihm grinsend entgegenblickten. Große Güte, sie waren es tatsächlich! Unverkennbar und seit ihrer letzten Begegnung kein bisschen verändert... Die verfluchten Zwillinge. „Ihr- Oh mein Gott, wollt ihr mich umbringen?!“ Die zwei Irren lachten bloß. „Das ist aber keine sehr freundliche Art, uns zu begrüßen, Auserwählter!“, entgegnete der, der sich 'The Starchild' nannte, und fügte, untermalt von einer tiefen Verbeugung, hinzu: „Oder sollte ich sagen... 'Eure Majestät'?“ Alice trat irritiert einen Schritt zurück, als der Andere – The Spaceman – es seinem Bruder gleichtat und sich demütig vor ihm auf den Boden beugte. „Es ist uns eine Ehre, Euch wiederzusehen, Majestät!“, wisperte er voller Ehrfurcht. The Starchild nickte zustimmend. „Eine große Ehre“, ergänzte er und setzte eine erwartungsvolle Miene auf – zumindest vermutete Alice, dass sie erwartungsvoll sein sollte. Unter dem dicken schwarzweißen Make up war das nicht immer ganz leicht zu erkennen. „Allerdings gibt es ein wichtiges Anliegen, über das wir mit Euch sprechen müssen. Unverzüglich.“ „Schießt los!“, sagte Alice, selbst überrascht darüber, wie wenig es ihn erstaunte, die Zwei hier, hinter der Bühne, anzutreffen. Trotzdem fragte er sich, was sie gerade jetzt zu ihm führte, und hoffte, es so schnell wie möglich herauszufinden. Immerhin würde es wahrscheinlich einige Fragen aufwerfen, wenn man ihn hier mit den Beiden sah. „Nun...“, begann The Starchild, „... uns interessiert selbstverständlich der Grund für Euer überstürztes Verschwinden damals. Wie es scheint, ist nach irdischen Maßstäben ein Jahr seit Eurer Krönung ins Land gezogen. Wir alle waren an diesem Tag sehr bestürzt, dass Ihr entschieden habt, uns zu verlassen. Hat der Gedanke, das Wunderland zu regieren, Euch so sehr missfallen, Hoheit?“ „Moment mal...“ Alice dachte an besagten Tag zurück, konnte sich jedoch nicht erinnern, eine solche Entscheidung getroffen zu haben. Nicht einmal an seine angebliche Krönung hatte er sonderlich lebhafte Erinnerungen. Was genau war vor einem Jahr eigentlich passiert? „Ich... weiß nicht, wieso ich damals auf einmal wieder in dieser Welt gelandet bin. Ich war einfach von einer Sekunde auf die nächste hier...! Das habe ich mir, ehrlich gesagt, nicht ausgesucht. Aber... was habe ich überhaupt getan, kurz bevor ich weg war? Ich erinnere mich nicht mehr...“ „Oh, aber Majestät!“, platzte es übertrieben entsetzt aus Sternchen heraus. „Das könnt Ihr doch nicht vergessen haben! Das kann er doch nicht vergessen haben, nicht wahr, Bruder?“ „Das kann er nie und nimmer vergessen haben, Brüderchen, ganz bestimmt nicht“, kam es voller Überzeugung von dessen Zwilling zurück. Alice starrte beide fassungslos an. „Wollt ihr mich auf den Arm nehmen? Was kann ich nicht vergessen haben? Raus damit!“ „Tja, wisst Ihr...“, sagten die Pseudo-Brüder gleichzeitig, „... Ihr seid, nur einen Augenblick bevor Ihr verschwunden wart, im Begriff gewesen, der Königin das Ja-Wort zu geben!“ Ein grotesker Moment des Schweigens verging, weil die beiden Freaks offenbar davon ausgingen, dass er etwas dazu sagen würde. Dumm nur, dass ihm nichts, aber auch rein gar nichts Konstruktives dazu einfallen wollte. „Oh“, brachte er nach einer Weile immerhin hervor. „Das... wow... Das muss ich wohl verdrängt haben.“ Und das Schlimmste war, dass das nicht einmal der Wahrheit entsprach. Jetzt, wo sie es ansprachen, war es, als habe die Zeitspanne in dieser Dimension niemals stattgefunden. Er wusste es wieder, als sei er nie weg gewesen. Nicht nur die jüngsten Ereignisse, die er dort, in der Welt des Wahnsinns, mitbekommen hatte – alles. Der Ball, ihr gemeinsamer Kampf gegen das Böse, die erste und zweite Bevölkerung... Marilyn. Ja, es stimmte. Marilyn hatte ihn zu seinem König gemacht. Oder hatte es zumindest vorgehabt – kurz bevor diese unerklärliche Sache geschehen war. „Nun, wie Ihr Euch sicher denken könnt, Majestät, sind wir nicht hergekommen, um auf der Bühne einen Gastauftritt abzuliefern“, unterbrach The Starchild seine Gedanken, bevor er länger in Erinnerungen schwelgen konnte. „Die Königin wartet noch immer auf eine Antwort von Euch. Übrigens befindet sich auch das Tagebuch unseres dämonischen Bruders noch in Eurem Besitz. Ihr seid dazu verpflichtet, es ihm zurückzugeben!“ „Das Tagebuch...“, murmelte Alice. Richtig. Da war etwas gewesen. „Aber... das habe ich nicht mehr!“, erklärte er, als ihm das gesamte Szenario schlussendlich wieder einfiel. „Ich hatte es in einer Tasche des Anzuges verstaut, den ich auf eurem Ball getragen habe...“ „Und genau deshalb müsst Ihr mit uns mitkommen!“, schloss The Starchild unbeirrt, während The Spaceman ein Stück weiter in die Mitte des Raumes hineintrat und eine ausschweifende Armbewegung vollführte. Alice seufzte, zum Teil erschöpft und zu einem größeren Teil auf eine eigenartige Weise zufrieden. Wie er diese Unlogik doch vermisst hatte. „Also dann, Auserwählter“, rief Sternchen feierlich, als wenige Zentimeter vor seinem Bruder eine Tür aus dem Nichts erschienen war. „Es ist an der Zeit, nach Hause zurückzukehren! Folgt uns durch das Portal!“ „Was bleibt mir anderes übrig?“, entgegnete Alice, während er auf die magische Tür zuschritt, die The Spaceman bereits schwungvoll für ihn geöffnet hatte. „Das Wunderland braucht seinen König!“ Die Zwillinge warfen sich einen triumphierenden Blick zu, und kurz darauf waren sie mit ihm in dem grellen Farbenmeer versunken, das hinter der Tür lag und nicht nur aus dem Backstage-Bereich hinausführte – sondern aus allem, was bis eben noch die scheinbare Gegenwart gewesen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)