Konvergenzstreben von Valenfield ================================================================================ Kapitel 3: #11|12|13 - Von Eigenheiten, Eulen und Erinnerungen -------------------------------------------------------------- #11 – Alte Angewohnheiten ansprechen   Es war Mittwochvormittag, als Keiji endgültig beschloss, seine 'Zwei-Tage-Regel' über Bord zu werfen. Für gewöhnlich war er ein sehr geduldiger Mensch, andererseits war es derart normal für ihn geworden, außerhalb von Unterrichts- und Schlafenszeit keine ruhige Minute zu bekommen, dass es inzwischen beinahe unangenehm für ihn war, wenn zu lange niemand da war, der mit ihm redete. Alles in allem kam er dadurch zu dem Schluss, dass es sicherlich in Ordnung wäre, sich einmal täglich zu melden, zumal es hierbei um Bokuto ging, der wahrscheinlich wenige Minuten nach Nachrichteneingang schon wieder vergessen würde, eine bekommen zu haben.   Du solltest dir notieren, dass wir uns nächstes Wochenende treffen.   „Das kann ich mir problemlos merken!“   Du kannst dir gerade so deinen eigenen Geburtstag merken, Bokuto-san.   „Den muss ich mir nicht merken, schließlich erinnerst du mich daran, hey, hey, hey!!“   Das war auf der einen Seite zwar eine ziemlich dümmliche Aussage, entsprach andererseits aber der Wahrheit und erinnerte Keiji daran, dass Konoha einmal völlig fassungslos festgestellt hatte, dass Bokutos Dummheit, wenn man sie einfach nur aus einem anderen Blickwinkel betrachtete, manchmal ziemlich genial und clever war. Er gluckste kaum hörbar, bevor er antwortete.   Ich habe es mir auch notiert.   „Die Menge deiner Notizbücher reicht für eine Lebzeit, Akaashi!“   Da du täglich mindestens eines verlegen würdest, bezweifle ich das, Bokuto-san.   „Akaashi!! ...Das kannst du überhaupt nicht beweisen!“   In Wahrheit könnte er das sehr wohl, indem er Bokuto einfach ein Notizbuch zum Geburtstag schenkte und sich am nächsten Tag danach erkundigte, aber er sparte sich den Aufwand, weil es keinen sonderlichen Zweck erfüllte. Stattdessen beschloss er, es für den Moment dabei zu lassen und sich auf den Rückweg zu seinem Klassenraum zu machen. In spätestens anderthalb Wochen, wenn sie sich sahen, würde Keiji dieses Desaster aufklären. Zwar hoffte er immer noch, dass Bokuto vorher begriff, jedoch packten ihn so langsam aber sicher die ersten Zweifel darüber. Sich nicht über die Flut an Nachrichten – und das war es, wenn man überlegte, dass sie von Keiji kamen – zu wundern, grenzte an ein Ding der Unmöglichkeit, und jeder andere hätte sich längst erkundigt, ob bei ihm alles in Ordnung war. Anderthalb Wochen, bis selbst dieser naive Dorftrottel verstehen musste, was hier vorging. Oder, wie Keiji seufzend feststellte, auch nicht. Schließlich ging es hier um Bokuto.   #12 – Schein-Komplimente machen   Es war bereits später Abend, als Keiji sich am Donnerstag mit einem Snack in den Händen auf den Heimweg machte. Die ältere Dame im Laden hatte beinahe enttäuscht ausgesehen, dass er alleine unterwegs gewesen war, und vielleicht noch enttäuschter, dass er sich fast zwei Monate lang nicht mehr bei ihr hatte blicken lassen, um eines seiner Lieblings-Onigiri zu verspeisen. Aber irgendwie war es Keiji ohne Bokuto bisher nicht in den Sinn gekommen, sich die Mühe zu machen, irgendwo anzuhalten, statt gleich zuhause zu essen.   Die ältere Frau im Eckladen hat gefragt, wo ich meine Eule verloren habe.   „Woah, du hast eine Eule, Akaashi? Das hast du mir nie erzählt!“   Sie meinte dich.   Eine längere Pause trat an, als überlege Bokuto, wie er darauf antworten könnte, ohne sich Blöße geben zu müssen. Keiji war überzeugt davon, dass ihm nichts einfallen würde.   „Sie weiß wenigstens, was sie an mir hatte. Hey, hey hey!!“   Ein paar hundert Yen alle paar Tage? Beeindruckend, Bokuto-san.   „So ist es, Akaashi! Ich bin eben einfach der Beste!“   Ja, genau das musste es sein, dachte Keiji sich und ließ sein Handy wieder in seine Schultasche fallen. Wie sonst würde sich auch erklären, dass seine Zeit derart dominant davon beherrscht wurde, diesem aufgedrehten Idioten klarzumachen, dass… Vielleicht sollte Keiji sich einfach nur deutlicher darüber ausdrücken, dass er ihre gemeinsame Zeit vermisste. Das wäre idiotensicher.   #13 – In Erinnerungen schwelgen   Als Keiji am Freitag nach dem Training sein Handy in der Hand drehte, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass er nun schon fast zwei Wochen völlig erfolglos damit verbracht hatte, irgendwie zu versuchen, halbwegs eindeutig, aber nicht zu verzweifelt zu Bokuto durchzudringen. Offen gesagt hatte er sich das Ganze doch etwas einfacher vorgestellt, und so langsam gingen ihm die Anhaltspunkte auf seinem Notizzettel aus. Erneut, als würde es sich bald in eine Art Ritual verwandeln, saß er in der Sporthalle und starrte förmlich Löcher in die Wände. Einige der Erstklässler hatten ihn gefragt, ob alles in Ordnung sei, als er abgewinkt hatte, sich auf den Heimweg zu machen, aber niemand hatte darauf bestanden, mit ihm zu bleiben.   Früher war alles hier lebendiger, Bokuto-san.   Technisch gesehen hatte er das schon einmal geschrieben, wenn auch in anderen Worten, aber das würde Bokuto ohnehin schon wieder vergessen haben. Davon abgesehen war es eine derart prominente Feststellung, dass er es als durchaus für mehrfach erwähnenswert hielt.   „Es war immer zu lebendig, huh?“   Es traf ihn wie ein unangenehmer Stich im Herzen, den er nicht beschreiben konnte. Bokuto war schlecht drauf, und auch wenn Keiji nicht wusste, woran das lag, ging er unverzüglich seine memorierte Schwächenliste durch und überlegte, was wohl vorgefallen sein könnte. Im Endeffekt empfand er es ausnahmsweise für sinnvoller, einfach nachzufragen, da zu raten ungefähr so schwierig wäre, wie eine Nadel im Heuhaufen zu finden.   Ist alles in Ordnung, Bokuto-san?   „Volleyball macht keinen Spaß mehr! Aber wenigstens seid ihr mich jetzt los!“   Das grenzte die Möglichkeiten ein, und Keiji ignorierte geflissentlich die negativen Emotionen, die ihm gegenüber Bokutos Teammitgliedern hochkommen wollten. Er wusste es besser; Bokuto war der anstrengendste Volleyballspieler, den er je kennengelernt hatte – abgesehen von Bokuto im Doppelpack mit Kuroo – aber in Topform eben auch einer der Besten. Man musste nur wissen, wie man ihn zu handeln hatte.   Bokuto-san, das stimmt doch gar nicht. Die Erstklässler waren schon ganz enttäuscht, nicht mit dem 'großen Bokuto' zusammenspielen zu können.   Eine lange Pause entstand, welche Keiji als Erfolg verbuchte, dann:   „Wirklich wahr? Haha, natürlich, schließlich bin ich ja der Beste!“   Das war erstaunlich unproblematisch gewesen, dachte er sich. So betrachtet stimmte es wahrscheinlich, dass niemand so gut mit Bokuto umzugehen wusste wie Keiji selbst, und er wusste, dass besonders die Zweit- und Drittklässler ihn schon damals, als er Teil des Teams geworden war, dafür respektiert hatten. Eine weitere Nachricht riss ihn jedoch aus seinen Gedanken.   „Ohne dich macht es trotzdem keinen Spaß, Akaashi! Wann spielen wir wieder zusammen?“   Eigentlich hatte er vorgehabt, erneut zu antworten, dass sie das dann tun würden, wenn es die Zeit zuließ – genau genommen also wohl nächstes Wochenende. Stattdessen saß er einfach nur da und blickte sich in der Sporthalle um. Sie hatten in den letzten Wochen jeden Schultag trainiert, bis auf einen Montag, aber ehrlich gesagt hatte er sich nicht wirklich die Mühe gemacht, darüber nachzudenken, ob es Spaß machte. Es war eben etwas, was dazugehörte. Nun, da Bokuto es so ansprach, konnte er nicht leugnen, diese Gedanken nachvollziehen zu können. Auch wenn Keiji es definitiv nicht vermisste, mitten in wichtigen Spielen auf einmal Babysitter spielen und neben seiner Konzentration für das Spiel auch noch Bokutos Schwächenliste durchzugehen, analysieren und korrekt behandeln zu müssen, so war auch schon ihren Gegnern oftmals aufgefallen, dass Bokuto einfach ein Spieler war, der den Sport zu einer Leidenschaft werden ließ. Wie ein roter Faden, der sich durch beide Teams zog und ihnen allen den Antrieb gab, weiterzumachen. Würden sie jemals wieder ernsthaft zusammenspielen? Als ein Team, und nicht in einer nebensächlichen Runde Beachvolleyball gegen ein paar andere Strandbesucher, die sicherlich keine Chance gegen sie beide hätten? Ernüchtert stellte er fest, dass das eher unwahrscheinlich war. Sicher, sie spielten beide gerne, und es war ein signifikanter Teil ihres Lebens, aber sie hatten schließlich beide eine Zukunft vor sich, die Verpflichtungen mit sich brachte. Es war nicht einmal gesagt, ob sie irgendwann wieder die Zeit haben würden, sie regelmäßig miteinander zu verbringen, von irgendwelchen Sportleidenschaften ganz abgesehen. Keiji schluckte einen Anflug von Bitterkeit herunter, bevor er die Sporthalle verließ und sich auf den Heimweg machte. Erst, als er mehrere Stunden später im Bett lag, nahm er sich die Zeit, zu antworten.   Ich weiß es nicht, Bokuto-san.   „Akaashi!! Du weißt immer alles. Wenn du es nicht weißt, wer dann?!“   Ich sage es dir, sobald ich eine Antwort habe.   Damit ließ er das Handy auf seinen Nachttisch sinken und würdigte es keines Blickes mehr, auch nicht, als es wenige Sekunden später wieder aufblinkte. Er hatte bereits vor Monaten gewusst, welche Veränderungen und Folgen Bokutos Abschluss mit sich ziehen würde, aber irgendwie hatte er sich nie genügend Gedanken darüber gemacht, was das eigentlich bedeutete. Es war nicht einfach so, dass er einen begnadeten Spieler und guten Freund verloren hatte. Vielmehr war es ein konstanter Teil seines Lebens, den er als Selbstverständlichkeit empfunden hatte, und der in dieser Form höchstwahrscheinlich nie wieder zu ihm zurückkehren würde. Unzufrieden schnaubend zog er sich seine Decke bis unter die Nase. Er hatte sein Bestes gegeben, Bokuto wissen zu lassen, wie er sich fühlte, ohne sich dessen selbst auch nur ansatzweise bewusst zu sein. Zum ersten Mal im Leben glaubte er, zu wissen, was Einsamkeit bedeutete. Und es war unerträglich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)