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SHaRKY SCaM

SouRin
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo alle zusammen!

Schön, dass ihr euch bei meiner neuen AU FF eingefunden habt x3
Ich möchte dieses Kapitel nutzen, um die Entstehungsgeschichte zur Idee festzuhalten^^

Die Idee ist folgendermaßen entstanden:
Eines Tages im Jahr 2016 schaute ich ein LP von Gronkh zu 'Town of Light', in dem es um eine Anstalt für psychisch Kranke geht. Das Thema hat mir sehr zugesagt, da ich auch einmal vorhatte, in der psychologischen Richtung tätig zu werden, woraufhin ich weiter recherchiert habe.
Mir ist dabei aufgefallen, dass heutzutage einige dieser schrecklichen Methoden zur Therapie von Patienten nach wie vor verwendet werden (also jetzt schonmal eine Trigger Warnung: Es wird manchmal ein bisschen eklig XD).
Außerdem hatte ich gleich ein paar Bilder zu meinen Babys Sousuke und Rin im Kopf, wie sie sich in so einer Anstalt kennen lernen...die Originalidee war ganz anders das, was die Geschichte nun beinhaltet, aber ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden ^^
Die Ff wird etwas anspruchsvoller als meine letzte, aber das sollte doch hoffentlich keinen vom Lesen abhalten XD
So und jetzt viel Spaß beim Stöbern durch die sehr (absichtlich) unvollständigen Steckbriefe :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Was ich von der ganzen Komemntarsituation auf animexx halte, könnt ihr gerne auf meinem Weblog nachlesen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Danke für die Kommentare, macht mich wirklich glücklich eine Rückmeldung von euch zu bekommen ^^

Auf meinem Weblog ist nachzulesen, was ich von der allgemeinen Kommentarsituation halte :D

(Die Leute, die regelmäßig kommentieren, sollen sich bitte nicht angesprochen fühlen ^^) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Danke an Cesia und NaschKatzi für die Kommentare <3

Was ich von der ganzen Komemntarsituation auf animexx halte, könnt ihr gerne auf meinem Weblog nachlesen.

Vielen Dank für eure Unterstützung, die Kommentare freuen mich sehr und motivieren mich~

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank für eure Kommentare und viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo alle zusammen und vielen dank für die Kommentare und Favoriten!

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Frohe Weihnachten und viel Spaß damit! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein Frohes Neues an alle meine treuen Lesen ^-^ Komplett anzeigen

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Wenn deine Welt auseinander fällt

Da war ein Klopfen. Es war leise, wurde immer lauter. Ganz viele kleine Hände schienen gegen etwas zu hämmern; unablässig, in schnellen, undefinierbaren Rhythmen. Die roten Augen öffneten sich langsam, noch immer benebelt von den Drogen, die sie ihm eingeflößt hatten, dass er auch bloß keinen Ton von sich gab. Und das alles nur, weil er der war, der er war. War es eine so große Sünde, überhaupt zu exilierten? War er so obszön für sie, dass sie ihn loswerden wollten?

Hätte Rin die Kraft gehabt, hätte er sich weiter diese und ähnliche Fragen gestellt, doch momentan bereitete es ihm große Mühe, überhaupt wach zu bleiben. Seine Sicht war noch verschwommen und er konnte kaum die Augen aufhalten - so schwer fühlten sich seine Lider an.

Es regnete anscheinend, der Geräuschkulisse nach zu urteilen. Die kleinen Tropfen trommelten auf die Autoscheiben um ihn herum. Er nahm zwei Männerstimmen wahr, die sich ganz in seiner Nähe unterhielten; was sie allerdings sagten, verstand er nicht. In seinem derzeitigen Zustand konnte er nicht ausmachen, ob es Japanisch, oder eine andere Sprache war, die er nicht kannte.
 

Nach einiger Zeit schienen die Drogen langsam nachzulassen, sodass Rin nun zumindest sagen konnte, dass sie kein Japanisch sprachen. Das bestärkte das beklemmende Gefühl von Angst in seiner Brust zusätzlich. Er hatte großen Durst, aber gerade ganz andere Sorgen: Wohin wurde er gebracht? Wer waren die Leute auf den Vordersitzen? Was würde man mit ihm anstellen…? Sie wollten ihn doch nicht etwa-

Nein, das konnten sie nicht! Das durften sie nicht!
 

Rin spürte, dass er langsam in Panik geriet und wusste sich nicht zu helfen, um das zu verhindern. Sein Atem ging jetzt schon viel zu schnell und heftig, sodass er Angst hatte, sie könnten bemerken, dass er wach war.

Das war alles nicht real! Er hatte einfach nur einen schlechten Traum und bald würde er schweißgebadet in seinem Bett erwachen und sich dann ins Zimmer seiner Mutter schleichen, sodass sie ihm eine warme Milch machen konnte. Aber Rin war keine acht mehr und das war auch kein Traum.

Er saß gerade wirklich in einem kleinen Auto, das nachts irgendwo im Nichts bei strömendem Regen eine unebene Straße in gemächlichem Tempo fuhr und ihn weiß Gott wo hin brachte!
 

Zu allem Überfluss fehlten Rin jegliche Erinnerungen daran, wie er in diese missliche Lage gekommen war. Das Letze, an das er sich erinnerte, war dass er sein Elternhaus am frühen Abend verlassen hatte, weil er auf eine Party hatte gehen wollen. Danach war einfach nichts mehr.

Dass er sich zu erinnern versuchte, half gegen seine Panik, sodass seine Brust sich wieder in normalem Tempo hob und senkte.

Rin konzentrierte sich jetzt darauf herauszufinden, wo er war, indem er aus dem Fenster sah. Seine Augen waren noch immer müde, doch gehorchten sie ihm wieder. Das half aber auch nichts, denn draußen war schwarze Nacht, die von keiner Straßenlaterne, oder sonstigen Lichtquelle, erhellt wurde.

Das einzige, das er sah, waren die Regentropfen, die an die Scheibe knallten und diese hinabliefen.
 

Schon sank er im Sitz zusammen und mit ihm seine Hoffnungen auf Rettung, oder eine Fluchtmöglichkeit, denn auch wenn er nicht angebunden war, so konnte er schlecht aus dem fahrenden Wagen springen. Was würde ihm das mitten im Nirgendwo, ohne Taschenlampe, Karte, oder Fluchtplan nützen? Sie würden ihn sofort wieder einfangen und ihm vielleicht sogar weh tun – wenn sie das nicht schon längst getan hatten. Dieses Risiko wollte Rin nicht eingehen.

Als ein Lichtschein in sein Blickfeld trat und ihn blendete, blitzte der Funke der Hoffnung wieder in ihm auf und er richtete sich im Sitz auf, um dessen Ursprung ausmachen zu können. Er glaubte die Umrisse eines großen Gebäudes erkennen zu können; wenn er sich anstrengte und die Augen zusammenkniff sogar ein paar Fenster, in denen teilweise Licht brannte.

Als sie näher kamen, wurde dem Rothaarigen bewusst, dass das Gebäude von einer hohen Mauer umzäunt war, die man durch ein Tor passieren konnte, das geschlossen war und auf das sie zuhielten.

Rins Herz rutschte in die Hose und sein Magen begann sich schmerzhaft zu melden, dass dieses Gebäude keine gute Entwicklung seiner Lage zu verheißen hatte; von Hoffnung ganz zu schweigen. Die war längst dahin.
 

Der Wagen hielt und ein Mann trat an die Fahrerseite. Der Fahrer wiederum ließ die Scheibe herunter und steckte dem anderen irgendetwas zu, woraufhin sich dieser entfernte. Keine zwei Minuten später öffnete sich das automatische Tor und sie fuhren hindurch, in das eingezäunte Gelände, das das unheimliche Gebäude umringte. Spätestens in diesem Moment war Rin klar, dass er so schnell wohl nicht mehr nach Hause kommen würde…
 

Der Wagen hielt und ehe Rin sich versah, wurde die Seitentür aufgerissen. Eine starke Hand packte ihn fest am Oberarm und zerrte ihn aus dem Wagen. Die Stelle, an der er festgehalten wurde, fing an weh zu tun. Der Fahrer stieg nicht aus, dafür tat es der Beifahrer und ging wortlos voran.

Der Rothaarige stand so unter Schock, dass ihm kein Ton über die Lippen kommen wollte und er auch kaum protestierte. Seine Augen waren erschrocken geweitet, als man ihn in Richtung des Gebäudes schleife, das eine größere Schiebetür vorne hatte. Sie steuerten allerdings auf einen kleineren Nebeneingang zu, der der aus einer schweren Metalltür bestand.
 

„Hey, was-“, meldete sich Rins Stimme brüchig zu Wort, als der eine Mann die Tür öffnete und er vom anderen hineingezerrt wurde.
 

„Shut up“, kam es von dem Kerl, der ihn am Arm festhielt und ein gutes Stück größer war als er. Nicht unbedingt ein Muskelprotz, aber schwer war er und besaß unter der Masse offenbar doch viel Kraft.

Irritiert davon, dass man ihm auf Englisch antwortete, blieb Rin auch erstmal still, wehrte sich aber nun körperlich, indem er versuchte stehen zu bleiben, daraufhin aber brutaler zum Weitergehen gebracht wurde. Es half alles nichts. Sein Körper war viel zu schwach, als dass er sich hätte wehren, geschweige denn fliehen können. Die Wirkung der Drogen war noch nicht gänzlich abgeklungen. Außerdem hatte er keine Ahnung wie lange es her war, dass er etwas gegessen hatte.

Man brachte ihn in einen kleinen, steril aussehenden Raum mit weißen Kacheln und einer Liege, sowie einem Stuhl und einem kleinen Schreibtisch mit PC. Es sah wie ein kleines Behandlungszimmer beim Arzt aus, nur irgendwie beängstigender. Der massige Kerl ließ ihn nun los und schupste ihn in Richtung Liege.
 

„Stay“, wies er ihn an, als wäre er ein Hund; ein wild gewordenes Tier. Danach drehte er ihm den breiten Rücken zu, der in einem weißen Pflegerkittel steckte und verließ den Raum. Die Tür schloss sich lautlos hinter ihm. Der andere Kerl stellte sich neben die Tür und beobachtete ihn aus emotionslosen Augen. Rin traute sich keinen Muskel zu regen und stand unschlüssig neben der Liege. Da ihm aber nichts anderes gesagt wurde, verharrte er in seiner Position. Das Blut in seinen Ohren rauschte und er hatte das Gefühl jeden Moment umzukippen; seine Beine fühlten sich schwach an. Er war kaum fähig zu denken, so von Angst durchzogen war jede Faser seines Körpers.
 

Die Tür öffnete sich wieder und der Pfleger trat wieder ein, diesmal in Begleitung eines Mannes, der wie ein Arzt gekleidet war. Rin hätte aber nicht sagen können, wie viel Zeit seit dem vergangen war. Es hätten fünf Minuten oder eine halbe Stunde sein können, es machte keinen Unterschied.
 

„You’re Japanese, right?“, fragte der Mann in Arztkleidung, woraufhin Rin mechanisch nickte und ihn starr anblickte.
 

„At least you understand what I’m saying…“, sprach er nun mehr zu sich selbst als zu dem Rothaarigen und trat an den Schreibtisch heran.
 

Im Stehen tippte er auf der Tastatur herum und musterte den Bildschirm eindringlich, ehe er sich wieder zu Rin umwandte.
 

„So you’re Rin Matsuoka“, lächelte die Weißrobe nun, doch das Lächeln erreichte seine kalten, blauen Augen nicht. Rin bemerkte das in seinem tranceartigen Zustand allerdings nicht, sondern nickte wieder. Dass das vielleicht keine so gute Idee war, und er damit seine Identität bestätigte, darüber machte er sich gerade keine Sorgen.
 

„Do we have any free rooms left?“, unterhielt sich der Mann im Arztkittel mit dem Pfleger, welcher einen Akzent hatte.

„We should have…there should be some free space on the second floor…in a two person room. Just check.“
 

Nachdem sie im Computer nachgesehen hatten, wo sie Rin unterbringen konnten, wurde diesem die Aufmerksamkeit wieder zu teil. In der Zeit, in der sich die beiden Männer unterhalten hatten, hatte sein Gehirn zu arbeiten begonnen. Ihm wurde langsam bewusst, in welcher Lage er sich befand, doch auch gleichzeitig, dass es momentan keinen Ausweg aus dieser gab. Panik machte sich erneut in ihm breit, als sie auf ihn zuschritten. Er wich automatisch einen Schritt zurück und stieß an die Liege hinter ihm.
 

„Don’t be afraid…we just want to ask you some questions“, lächelte der Arzt noch immer sein kaltes Lächeln. „And we have to check, if you carry anything dangerous with you.”
 

Diese Worte ließen Rin schlucken. Der Pfleger hielt ihn wieder fest, während der andere ihn abtastete. Das war ihm schrecklich unangenehm, doch was sollte er dagegen machen? An seiner Hosentasche verweilte sich der Typ länger und schlüpfte dann mit einer Hand in diese. Die Berührung, die er durch den Stoff fühlte, weckte in ihm ein Ekelgefühl, das er nie zuvor empfunden hatte.

Er dachte schon, der Kerl würde sonst was mit ihm anstellten, doch dann zog dieser ‚nur‘ sein Handy aus der Tasche heraus.

Fuck…wenn sie ihm das abnahmen, konnte er sich das mit dem Fliehen komplett abschminken.
 

„Mobile devices are not allowed in this area“, informierte ihn der Arzt und öffnete die Hülle des Handys mit geübten Fingern, entfernte den Akku und danach die SIM Karte, ehe er diesen wieder einsetzte. „…ones with reception at least.“
 

Dann drückte er es Rin einfach wieder in die Hand, der ihn ungläubig anstarrte. Was um alle sin der Welt lief hier? War das so eine Art Gefängnis, das vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten war, oder was?
 

Ehe er sich weiter aufregen konnte, fuhr der Arzt auch schon fort:

„Since you’re Japanese, Miss Amakata will mainly be in charge of taking care of you from now on. And if you’re wondering why you’re here: let’s say, we just want the best for you…and to cure you from this unfortunate burden.“
 

Was sollte das bitte heißen? Dachten sie, er wäre psychisch krank, oder warum sagte der Kerl sowas? Offenbar machte er auch keine Witze, so seriös wie er dreinschaute.
 

„But I’m not mentally ill!“, versuchte Rin sich zu wehren, um den Grund zu erfahren, weswegen er angeblich geheilt werden sollte und weswegen er überhaupt hier her gebracht worden war – wo auch immer ‚hier‘ war.
 

Glücklicherweise konnte er sehr gut Englisch, da sie auf seiner Schule in Japan darin unterrichtet worden waren und er diese Sprache in seinem Sportalltag auch öfter gebrauchte, was ihm hier zugute kam.
 

„The young ones are always in deny…but you know: A fault confessed is half redressed“, gab der seltsame Typ ihm ein dämliches Sprichwort zur Antwort, das ihn auch nicht weiter brachte.
 

„But why should I be cured? Why am I here?“, versuchte der Rothaarige erneut mehr über seine missliche Situation zu erfahren.
 

„As if you wouldn’t know that liking other men is not only a sin, but also a mental illness that we can free you from.“
 

Rin glaubte sich verhört zu haben. Woher in aller Welt wusste sein Gegenüber, dass er schwul war? Das hatte er noch niemandem gesagt und was sollte das heißen, dass das eine psychische Krankheit war? Das war es eindeutig nicht und heilen konnte man seine Orientierung ebenfalls nicht…außerdem konnte das unmöglich der Grund sein, weswegen man ihn an diesen Ort gebracht hatte. Das ergebe absolut keinen Sinn…da musste eindeutig mehr dahinter stecken.

Vielleicht war es aber auch ein Fehler gewesen, immer wieder in den gleichen Club feiern zu gehen, der zu einem bekannten Treffpunkt in der LGBT-Szene – speziell beim jüngeren Publikum der schwulen Männern - in Tokyo geworden war…

Wenn Rin so darüber nachdachte, konnte es gut sein, dass sie ihn dort abgefangen hatten, auch wenn er sich noch immer nicht erinnerte.
 

Trotzdem ergab es keinen Sinn, dass man ihn entführte und mitten im Nirgendwo in eine Anstalt brachte, in der man ihn von seiner ‚Abart‘ heilen wollte. Vor allen konnte er sich nicht vorstellen, wem er ein so großer Dorn im Auge war, dass er ihn um jeden Preis aus dem Weg schaffen wollte. Viel Zeit zum Nachdenken blieb dem Rothaarigen ohnehin nicht…
 

„You can take him to his room now“, ordnete die Weißrobe dem massigen Mann an, der Rin erneut am Arm packte.
 

„I can walk on my own!“, beschwerte sich dieser sich daraufhin, wurde aber gekonnt ignoriert.
 

Der andere festigte seinen Griff einfach und brachte Rin somit zum Schweigen. Sie gingen einen langen, weißen Flur entlang, Bogen um eine Ecke und erreichten bald drei Aufzüge. Er wurde zum rechten gedrängt und in die Kabine geschoben. Der Pfleger drückte zuerst den Knopf, der die Türen schloss, bevor er das Stockwerk auswählte. Die ‚2‘ leuchtete mattorange auf und der Aufzug setzte sich in Bewegung.
 

Im zweiten Stock angekommen, geleitete ihn der Pfleger wortlos einen dunklen Gang entlang, in dem die Beleuchtung entweder kaputt, oder ausgeschaltete war, weil es anscheinend mitten in der Nacht war.

Um sie herum war auch alles ruhig, aus keinem der Zimmer drang ein laut. Ganz ohne Licht mussten sie nicht auskommen, denn offenbar war doch für eine kleine Nachtbeleuchtung, in Form von Energiesparlampen in Bodennähe, gesorgt. Diese waren kleine, runde Lämpchen im Abstand von drei Metern in der Wand, ein paar Zentimeter über dem Boden, eingefasst.

Rins Augen gewöhnten sich langsam an das spärliche Licht und hatte sich damit abgefunden, dass man ihn durch die Gegend schleifte. Ihn hatte ohnehin jegliche Kraft verlassen, sodass er kaum noch selbstständig laufen konnte, was es ziemlich unnötig machte, ihn so fest zu fixieren.

Am Ende des Gangs bogen sie nach rechts und der Pfleger blieb vor einer Zimmertür mit der Aufschrift ‚207‘ stehen. Mit einer Schlüsselkarte öffnete er diese und stieß Rin ins Zimmer.
 

„Don’t make any nose or you’ll get yourself in trouble“, war das einzige, das der Kerl sagte, als sich Rin zu ihm umdrehte und die Tür dann auch schon vor seiner Nase zufiel.

Total am Ende mit den Nerven sank er vor dieser zusammen und hielt sich am kalten Metall fest. Es wirkte fast so, als hoffe er dadurch nach draußen gelangen zu können, doch in Wahrheit brauchte er nur irgendeine Stütze.
 

Viel vom Zimmer hatte Rin noch nicht gesehen, da er sich so schnell umgewandt hatte, doch dies war momentan zweitrangig für ihn. Er wollte einfach nur hier raus…zurück nach Hause in sein Bett. Wäre er doch ein Mal abends zuhause geblieben!

Vorwürfe drängten sich ihm auf und ergriffen Besitz von dem ohnehin schon ausgezehrten Körper.

Die Klamotten, die er trug – eine schwarze Röhrenjeans, ein graues Tank-Top mit Halskette, eine schwarze Sweatshirtjacke und ein paar Armbänder an seinen Handgelenken – wärmten ihn nur mäßig. Auch wenn es gar nicht so kalt im Gebäude war, zitterte er am ganzen Körper.

Dieser war wohl einfach so erschöpft, dass er sich kaum mehr selbstständig wärmen konnte.

Völlig fertig mit der Welt, bahnten sich die ersten Tränen der Verzweiflung ihren Weg die bleichen Wangen hinab. Ein erschöpftes Schluchzten durchzuckte seinen Körper und machte ihm klar, dass ihm sogar zum Weinen die Kraft fehlte.

In dem Moment, als Rin seinen Kopf gegen die Tür sinken ließ, vernahm er eine Männerstimme hinter sich und drehte sich erschrocken um.
 

„Все в порядке с вами?“, wollte der Typ wissen, der keine zwei Meter von ihm entfernt stand und ihn misstrauisch musterte. Dessen Gesicht, oder sonstige Details konnte Rin nicht erkennen, da dieser mit dem Fenster im Rücken stand. Kaum Licht fiel also auf die Vorderseite des jungen Mannes, der sich nun zu ihm herunterbeugte.

Rin hatte ihn nicht verstanden, da die Sprache, die dieser benutzte, weder Japanisch, noch Englisch war und etwas anderes konnte er nicht. Dafür hatte er zu schluchzen aufgehört, wenn seine Tränen auch nicht versiegt waren.
 

„Was?“, kam es leise vom Rothaarigen, der auf dem Boden in Schutzhaltung saß.
 

„Ist alles in Ordnung bei dir?“, wiederholte der andere seine Frage auf Japanisch, sehr zu Rins Überraschung. Die Stimme war eher tief, klang aber angenehm und nicht bedrohlich.
 

„I-ich weiß nicht…“, erwiderte der Kleinere trotz dem Wohlklang vorsichtig.
 

„Brauchst du Hilfe?“, wurde ihm nun eine Hand entgegengestreckt, die er zögerlich annahm. Diese war größer als seine eigene und angenehm warm. Er wurde hochgezogen, was für den anderen ein Leichtes zu sein schien. Als er stand, bemerkte Rin erst wie kalt ihm eigentlich war…die Drogen verloren wohl endlich ganz ihre Wirkung.
 

„Danke“, nuschelte der Rothaarige, traute sich aber nicht aufzuschauen. Er wusste nicht, was er sonst tun oder sagen sollte. Das hier war eine Irrenanstalt, oder? Wer wusste schon, mit wem sie ihn in ein Zimmer gesteckt hatten und wie der Typ drauf war? Auch wenn dieser nicht geistig gestört, oder bedrohlich wirkte, war Rin skeptisch – und das obwohl er den anderen noch nicht einmal richtig angesehen hatte. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Lichtverhältnisse im Raum gewöhnt, doch sein Blick war noch immer gesenkt.
 

„Bist du verletzt?“, fragte die ruhige Stimme, nachdem sonst nichts weiter von ihm kam.
 

„Ich glaube nicht, aber-“, begann Rin seinen Satz und sah dann nach oben.
 

Rote Augen trafen auf türkis scheinende und er brach seinen Versuch zu antworten augenblicklich ab. Nicht nur, dass die Augen seines Gegenübers ihn sofort in ihren Bann gezogen hatten, der Kerl an sich sah total gut aus. Dunkle Augenbrauen, die einen ernsten, aber auch besorgten Ausdruck mimten, fassten helle Augen ein, die auf ihn gerichtet waren. Kurzes, braunes Haar hing ihm in die Stirn, das zu dem kantigen Gesicht passte, von dem ein muskulöser Nacken ab ging. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet…
 

Sie schauten sich für geraume Zeit gegenseitig einfach nur an, ohne ein Wort zu sagen. Es wäre übertrieben von ‚Liebe auf den ersten Blick‘ zu sprechen, doch sie spürten wohl beide, dass da etwas zwischen ihnen war, oder begann aufzukeimen.
 

Hätte der andere nicht die Initiative ergriffen, wären sie wohl noch lange Zeit schweigend herumgestanden und hätten sich angestarrt.
 

„Wie heißt du?“, wollte er wieder mit ruhiger Stimme wissen. „Ich bin Sousuke.“
 

‚Sousuke‘ also…das erklärte, warum er Japanisch konnte, auch wenn er auf den ersten Blick nicht ganz Asiatisch wirkte, was wiederum die andere Sprache erklären würde, mit der er ihn zuerst versucht hatte anzusprechen. Wahrscheinlich war er Halb-Japaner, oder so etwas in der Richtung.
 

„Rin…Rin Matsuoka“, stellte sich der Rothaarige nervös vor, was man an seiner holprigen Stimme erkennen konnte. Er hoffte aber, dass der andere es darauf schieben würde, dass er geweint hatte und deswegen so klang.
 

Sousuke nickte leicht und wiederholte leise: „Rin…“
 

Die Art, auf die der Größere seinen Namen sagte, ließ Rin angenehm erschaudern, sodass er eine Gänsehaut bekam, die aber auch daher rühren konnte, dass ihm kalt war.
 

„Hab ich dich geweckt?“, wollte der Rothaarige wissen und brauchte auch etwas, das er sagen konnte, weil ihm seine eigene Reaktion unangenehm war…auch wenn Sousuke sie höchstwahrscheinlich nicht bemerkt hatte – hoffentlich.
 

Am Ende war dieser auch einer dieser homophoben Typen, die einen zusammenschlugen, nur weil man schwul war. Dieses Risiko wollte er dann doch lieber nicht eingehen.

Da er gerade ohnehin bei diesem Thema war, ließ Rin seinen Blick nun so unauffällig wie möglich über den Körper des anderen gleiten. Dessen Gesicht hatte ihn schon sehr angesprochen, doch der Rest war auch nicht zu verachten.

Er schätzte ihn auf etwa 1,90 m – vielleicht etwas ‚kleiner‘ – mit denen er so ziemlich jeden, den Rin kannte, übertrumpfte. Die breiten Schultern in Kombination mit dieser Größe und den gut definierten Oberarmen ließen eigentlich darauf schließen, dass dieser sportlich aktiv war, oder es zumindest vor seinem Aufenthalt gewesen war. Wer wusste schon, welche Möglichkeiten man hier hatte Sport zu treiben?

Der Rest von Sousukes Körper dürfte ebenfalls muskulös sein, soweit Rin das durch die lose sitzende Kleidung erkennen konnte. Eins stand fest: Er war definitiv total sein Typ.
 

„Ich hab sowieso nicht schlafen können“, erwiderte Sousuke und riss Rin aus seinen Gedanken.
 

„O-okay“, war das einzige, das er zustande brachte und sich dabei furchtbar bescheuert vorkam. Hoffentlich hatte der andere nichts von seiner Begutachtung mitbekommen…
 

„…bist du müde?“, kam es dann aber recht zügig von Sousuke, der sich ebenfalls für sein Gegenüber interessierte, es aber besser zu verstecken wusste. Er war einfach neugierig darauf zu erfahren, wer der Rothaarige war und weswegen man ihn in die Anstalt gebracht hatte. Auf dessen Körper hatte er noch gar nicht richtig geachtet, nur die Haare und Augen – beide in seltener Farbe – hatte er sofort registriert. Sousuke war allgemein kein Mensch, der als erstes aufs Äußere achtete.
 

Rin nickte. Die Anspannung fiel von ihm ab und damit bemerkte er, dass er verdammt erschöpft war: Seine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. Er musste sich setzten, wenn er nicht wieder auf dem Boden landen wollte und so sah sich um, wobei ihm auffiel, dass sie schon die ganze Zeit neben einem gemachten Bett standen, auf das er sich nun sinken ließ.

Rin ging davon aus, dass er es benutzen konnte, da ihm ein anderes ins Auge gefallen war, das weiter beim Fenster stand und so aussah, als hätte vor kurzem jemand darin gelegen.

Kaum mehr fähig sich zu bewegen, streifte er seine roten Revolution 3 Nikes, die er so gut wie zu jedem Anlass trug, von den Füßen und kuschelte sich in die Decke.

Sousuke schritt nun auch wieder zu seinem Bett, aus dem er vor ein paar Minuten aufgestanden war, weil man seine Zimmertür aufgerissen und diesen rothaarigen Jungen hineingeworfen hatte. Gerne hätte er ihm noch ein paar Fragen gestellt, doch ihm fiel es nicht so ganzleicht mit anderen Menschen zu sprechen und ihr bisheriges Gespräch hatte ihn schon große Überwindung gekostet.

Außerdem wirkte Rin nicht so, als würde er noch viel reden wollen.

Der Rothaarige war so k.o., dass er sich nicht einmal mehr darum sorgte, dass er in einer Anstalt für psychisch Kranke in einem Bett auf einem Zimmer mit einem anderen Insassen lag, über den er nichts außer dessen Vornamen wusste.
 

Als sich Sousuke hingelegt hatte und zum anderen Bett sah, hatte sich der Rothaarige auch schon unter die Decke gekuschelt und war eingeschlafen. Er war wohl wirklich sehr erschöpft, denn er hatte es nicht einmal mehr geschafft seine Straßenklamotten auszuziehen.

Der Brünette versuchte nun wieder zu schlafen, das aber auch jetzt nicht so ganz funktionieren wollte. Ihn machte die Anwesenheit des anderen unruhig, doch er versuchte sich einzureden, dass dieser schon nichts in der Zeit anstellen würde, in der er schlief. Nach einer halben Stunde gab sein Körper die Schutzhaltung dann aber endlich auf und ließ ihn einschlafen. Sousuke wusste einfach nicht, wie er sich gegenüber anderen Menschen verhalten sollte, deswegen war auch er vorhin sehr nervös gewesen und hatte vielleicht ein wenig seltsam auf den anderen gewirkt. Auch hätte er nie gedacht, dass man jemanden in sein Zimmer stecken würde; vor allem wenn man sich seine Akte durchlas…

Andere Länder, andere Sitten

Am nächsten Morgen stand Sousuke wie immer um sieben Uhr auf, da man eine halbe Stunde später ohnehin geweckt wurde und er das nicht mochte. Unschlüssig, was er im Bezug auf Rin tun sollte, ging er erstmal duschen. Jedes Zimmer hatte ein eigenes Bad – zumindest in dieser Etage der Anstalt. Das dritte und vierte Stockwerk besaß diesen Luxus nicht.

Als Sousuke sich frisch gemacht und angezogen hatte – er trug ein petrolfarbenes Langarmshirt, dunkelgraue Hosen, sowie schwarze Nikes Son of Force, die noch aus seiner Zeit vor der Anstalt stammten – trat er aus dem Bad und machte sich daran, seine Bettwäsche aufzuschütteln und anschließend zusammen zu legen.

Danach trat er an das zweite Bett des Zimmers, in dem der andere noch immer schlief. Dessen Gesicht wirkte angespannt, wodurch Sousuke noch unschlüssiger war, ob er ihn wecken sollte. Andererseits sagte er sich, dass wenn er Rin nicht weckte, das irgendein Pfleger, oder eine Schwester übernehmen würde und er das niemandem antun wollte. Daher streckte er seine Hand zögerlich aus und berührte den Rothaarigen an der Schulter.
 

„Es ist Morgen“, sagte er dabei nicht allzu laut, aber gut verständlich.
 

Die roten Augen öffneten sich langsam und wurden sofort wieder zusammengekniffen, da die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster ins Zimmer fielen.
 

„Noch fünf Minuten“, murmelte Rin aus Gewohnheit und zog sich die Decke über den Kopf.
 

Dabei stellte er aber fest, dass diese sich nicht nach seiner anfühlte und wurde schlagartig wach. Er erinnerte sich wieder, wo er war…
 

„Es ist gleich halb acht…wenn du nicht von selbst aufstehst, wecken sie dich“, merkte Sousuke informativ an und fand es interessant, wie sich der andere verhielt.
 

Unter normalen Umständen, wäre der Größere auch ein Morgenmuffel, doch hier hatte er so große Angst, dass er es lieber auf sich nahm früh aufzustehen. Wenn er ehrlich war, war seine Laune auch nicht die Beste, doch in etwa einer Stunde sollte sich das wieder eingependelt haben.
 

„Okay…“, schlug Rin die Decke sacht zurück und sah den anderen scheu an. „Kann ich mich irgendwo waschen?“
 

Das war das erste Mal, dass sie sich bei Tageslicht sahen und wäre Sousuke nicht so furchtbar schlecht drauf, hätte ihm der Anblick des Rothaarigen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Dessen Haare standen ab und waren durcheinander, sowie seine Wangen ein leichter Rotschimmer zierte und die Lippen zu einem Schmollmund geschürzt waren.
 

„Das Bad ist da hinten“, deutete Sousuke hinter sich.
 

„…ich hab nichts bei mir, abgesehen von den Sachen, die ich trage“, begann Rin nun und wurde sich immer mehr bewusst, in was für einer misslichen Lage er sich befand.
 

Kein Empfang mit dem Handy, keine Wechselklamotten, keine persönlichen Dinge…kurz gesagt: Er war total aufgeschmissen. Es war schon schlimm genug, dass er in seinen Straßenklamotten hatte schlafen müssen, doch dass er sich nach der Dusche nicht einmal etwas anderes anziehen konnte, grenzte bei ihm schon an eine Katastrophe. Für jemanden, der viel Wert auf Hygiene und Aussehen legte und zu dem auch leicht in Panik geriet, war Rin noch überraschend ruhig. Trotzdem fuhr er sich nun durchs wirre Haar und gab dabei einen genervten Laut von sich. Er fühlte sich schrecklich.

Seine Haut hatte das Bedürfnis gewaschen zu werden und er hatte die Befürchtung wie der letzte Landstreicher zu stinken – auch wenn das nicht der Fall war, da es seit seiner Entführung gerade mal eineinhalb Tage her war.
 

„Du kannst das Shampoo und Duschgel benutzen, das in der Dusche steht“, verstand Sousuke, was der andere damit ausdrücken wollte.
 

Als er hierher gebracht worden war, hatte man ihm wenigstens Zeit gelassen, seine Tasche mit den wichtigsten Dingen zu packen. Bei Rin war das anscheinend nicht der Fall gewesen. Darauf würde er ihn bei Gelegenheit ansprechen.
 

„Danke“, seufzte der Rothaarige erleichtert und wäre dem anderen am liebsten um den Hals gefallen, ließ das aber bleiben und erhob sich stattdessen aus dem Bett.
 

Auch wenn er sich waschen konnte, blieb noch immer das Problem mit den Klamotten; aber er konnte Sousuke unmöglich nach welchen fragen, oder? Sie ‚kannten‘ sich seit letzter Nacht und hatten kaum ein Wort gewechselt!
 

„Brauchst du sonst noch was?“, glaubte Sousuke es dem Kleineren anzusehen, dass noch etwas war, das er sagen wollte. Damit lag er erstaunlicherweise richtig, obwohl er sonst total schlecht darin war, andere Menschen zu lesen.
 

„Na ja…ich hab nichts zum Wechseln dabei“, gab Rin peinlich berührt zu und sah zur Seite. „Und würde mich schon gerne umziehen.“
 

„Ich kann dir was leihen, wenn es dir nichts ausmacht“, wandte sich der Brünette um und ging schon zu seinem Schrank, ohne die Antwort abzuwarten.
 

„Du bist echt meine Rettung!“, lächelte Rin zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder.
 

Als Sousuke das sah, weiteten sich seine Augen kurz überrascht. Im nächsten Moment hatte er sich aber wieder unter Kontrolle und machte sich eiligst daran, etwas für den Kleineren herauszusuchen. Was war das für ein seltsames Gefühl gewesen? Er hatte es schön gefunden, dass der andere ihn angelächelt hatte…
 

Während Rin im Bad war, schaute pünktlich um halb acht eine Schwester bei ihnen vorbei und fragte Sousuke nach Rin, der er antwortete, dass dieser gerade duschen sei. Sie meinte, dass dieser sich nach dem Frühstück unbedingt an der Rezeption melden müsse und er ihm das ausrichten solle. Um was es ging, wurde natürlich nicht gesagt.

Sousuke interessierte es sehr, weswegen man Rin mitten in der Nacht buchstäblich in sein Zimmer geworfen hatte, ohne ein Wort zu sagen. Normalerweise wurden neue Patienten tagsüber eingeliefert und trugen zumindest eine Tasche bei sich.
 

In der Zwischenzeit trocknete sich Rin ab und fühlte sich dabei gleich etwas besser. Er betrachtete sein Gesicht in dem kleinen Spiegel: Seine Haut war so blass wie immer, doch unter seinen Augen waren dunkle Schatten zu erkennen. Die roten Haare leuchteten förmlich und fielen ihm schon fast auf die Schultern. Rin mochte es, seine Haare länger zu tragen, da er sie dann beim Joggen – oder wann immer sie störten – zusammenbinden konnte. Manch anderer würde sie einfach kurz schneiden, doch das mochte er an sich nicht. Irgendwie war er stolz auf seine seltene Haarfarbe, wenn er auch sonst von Selbstzweifeln geplagt wurde – und das nicht nur wegen seiner Sexualität. Als Teenager hatte man es ohnehin nicht leicht, doch wenn man dann auch noch eine andere Orientierung als ‚normal‘ hatte, durfte man sich ganz anderen Problemen stellen. Sie hatten ihn ja sogar deswegen hier her gebracht und wollten ihn therapieren! Wer um alles in der Welt dachte in diesem Zeitalter noch, dass Homosexualität eine geistige Krankheit war und dass man sie behandeln konnte?! Oder hatte sich der Arzt einen Scherz mit ihm erlaubt und er war wegen etwas gänzlich anderem hier?
 

Draußen vernahm er zwei Stimmen und hielt in seinem Monolog inne. Er sollte sich vielleicht besser beeilen und fertig werden, aber…er hatte nicht gewartete, bis Sousuke die Klamotten für ihn gerichtet hatte und sie somit nicht mit ins Bad genommen. Ganz toll; jetzt durfte er sich diese mit einem Handtuch um den Hüften holen gehen. Oder sollte er Sousuke einfach bitten, sie ihm zu reichen? Aber das käme doch sehr seltsam, weil sie ja beide Jungs waren und er sich eigentlich nicht schämen sollte…Doch das tat er gerade weil der andere ein Mann war!
 

Viel länger warten wollte Rin aber auch nicht und öffnete mit pochendem Herzen die Tür. Mit gesenktem Blick und rot um die Nase, schnappte er sich rasch den kleinen Stapel, der auf seinem Bett lag und verschwand so schnell wie er gekommen war, wieder im schützenden Bad.

Sousuke blinzelte perplex, als er den Rothaarigen kurz mit einem Handtuch um den Hüften erblickte, doch kaum Zeit hatte das zu realisieren, als dieser auch schon wieder weg war. Viel hatte er nicht gesehen, nur, dass der Kleinere auch gut in Form war. Wahrscheinlich machte er auch Sport, oder hatte es, denn hier würde er kaum mehr eine Möglichkeit dazu haben.

Dessen Verhalten konnte sich der Brünette trotzdem nicht erklären, dachte sich aber auch nicht viel dabei, weil er nicht der Typ dafür war, alles zu sehr zu überdenken.
 

Im Kontrast zu diesem, neigte Rin sehr dazu, Dinge zu überinterpretieren und sich über alles und jeden den Kopf zu zerbrechen. So auch gerade als er die Klamotten begutachtete, die sein Zimmergenosse ihm gerichtet hatte. Kurz zögerte er, ehe er die Shorts anzog, denn es war doch etwas seltsam das zu tun, vor allem wenn man den anderen nicht kannte. Aber sie sahen sauber aus, genau wie der Rest der Sachen, weswegen ihm das keine so großen Umstände bereitete. Außerdem wollte der Rothaarige sich auch nicht zu lange im Bad verweilen und beeilte sich dann, die Jogginghose, die ihm ganz gut passte, und das Langarm-Sweatshirt, das ihm zu groß war, überzuziehen. Das war auch kein Wunder, wenn man sich den Kerl mal anschaute…
 

„Bin fertig“, trat Rin wenig später wieder ins Zimmer und hielt sich dabei nervös den Nacken. Immerhin trug er die Sachen eines anderen, den er zudem attraktiv fand und erst seit ein paar Stunden kannte. Allgemein neigte er dazu, dass ihm schnell etwas peinlich wurde und so war es auch jetzt kein Wunder, dass er rot angelaufen war.
 

„Sollen wir frühstücken gehen? Es ist gleich acht“, schlug Sousuke vor, der sich nicht viel dabei dachte, als er Rin in seinen Sachen sah. Er stellte lediglich fest, dass diesem das Oberteil etwas zu groß war, seine Hose aber anscheinend passte.
 

„Können wir machen…ich hab Hunger“, stimmte der Kleinere zu und wartete ab, dass der andere vorging.
 

Er kannte sich immerhin überhaupt nicht aus. Durften sie überhaupt alleine aus dem Zimmer gehen? Letzte Nacht hatte es so gewirkt, als dürfe man nirgends alleine hin; vielleicht war das aber auch eine Sonderbehandlung gewesen, weil er neu war, oder so in der Art.
 

Sousuke öffnete die Tür, die nicht mehr verschlossen war, und ging dann vor, in Richtung der Aufzüge. Rin folgte ihm und hatte Mühe Schritt zu halten. Als der Größere das bemerkte, drosselte er sein Tempo ein wenig.
 

„Ich weiß nicht, ob die Mensa schon offen ist…bist du arg hungrig?“, erkundigte sich Sousuke als er auf den Knopf drückte, mit dem sich die Türen des Fahrstuhls öffneten.
 

„Schon…ich hab keine Ahnung, wann ich das letzte Mal was gegessen hab“, nuschelte Rin vor sich hin und trat nach dem Größeren in die Kabine.
 

Er fand es nicht unangenehm sich mit diesem zu unterhalten, aber es war ihm alles so fremd und das machte ihn unsicher. Außerdem wusste er nicht, wie lange er hier blieben und was man mit ihm anstellen würde…
 

„Warum das?“, drückte Sousuke die ‚5‘ auf der Schalttafel.
 

Rin fiel dabei auf, dass es offenbar sieben Stockwerke gab und man jede Zahl von 0-6 auswählen konnte, abgesehen von der ‚1‘ und der ‚4‘, welche fehlten. Wahrscheinlich, weil im ersten der Ausgang lag. Diese Erkenntnis ließ ihn schlucken und fühlte sich noch unwohler als zuvor. Darauf, aus Grund es die ‚4‘ nicht gab, konnte er sich allerdings keinen Reim machen.
 

„Na ja…ich bin letzte Nacht im Auto zu mir gekommen. Da waren zwei Männer, die vorne saßen und die ich nicht kannte…ich hab keine Ahnung, wie ich hier her gekommen bin“, gab Rin zu, auch wenn es ihm schwer fiel mit einem Fremden darüber zu reden.
 

Er hatte aber sonst niemanden und Sousuke schien kein schlechter Kerl zu sein – auch wenn er natürlich nicht viel über ihn wusste, aber für einen Insassen einer Irrenanstalt konnte man das behaupten.
 

„In welchem Land sind wir überhaupt?“
 

Das war eine berechtigte Frage, denn man hatte ihn immerhin auf Englisch begrüßt und Sousuke hatte sich auch zunächst in einer Sprache an ihn gewandt, die ihm fremd war.
 

Dass der Rothaarige nicht wusste, wie er hergekommen war, war schon sehr suspekt, aber dass man ihm nicht einmal mitgeteilt hatte, wo er hingebracht wurde, oder in welchem Land sie sich befanden, war für Sousuke ein klares Zeichen dafür, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging – wie so vieles in diesem Gebäude.
 

„Wir sind in Russland, Dimayz, Anstalt für Psychisch Kranke“, lüftete Sousuke das Geheimnis für Rin um ihren Aufenthaltsort.
 

„Russland?!“, wurde der Rothaarige lauter als geplant, weil ihn diese Information so schockte. Hatte man ihn dann etwa in einem Flugzeug transportiert?
 

„…hattest du etwas anderes erwartet?“, hob Sousuke eine Augenbraue.
 

Der andere hatte entweder wirklich keine Ahnung gehabt, oder war ein sehr guter Schauspieler. Der Größere traute grundsätzlich niemandem und war bei Fremden erst Recht vorsichtig; jedoch strahlte der Kleinere keine Bedrohung aus, sondern erweckte in ihm eher das Bedürfnis, ihm helfen zu müssen.
 

„Ich weiß nicht…es ist alles so verwirrend“, hielt Rin sich eine Hand über die Augen. Er wollte einfach nur zurück nach Japan, nach Hause…
 

„Weswegen bist du hier?“, versuchte Sousuke weiter nachzuforschen.
 

Der Rothaarige zeigte keine Zeichen von Störungen, wie es so manch andere Patienten taten, aber das hatte nichts zu heißen. Es gab auch viele, die ihre Frevel zu verstecken wussten, oder denen man ihre „Abart“ – wie es der Doktor so schön bezeichnete – nicht sofort anmerkte.
 

„Das…also können wir später darüber reden?“, ließ Rin seine Hand nach unten zu seinem Kinn gleiten.
 

Momentan war er einfach fertig mit den Nerven, hatte Hunger und konnte nicht klar denken. Außerdem hielt der Aufzug gerade im fünften Stock und sie wollten wohl beide nicht, dass andere zuhörten.

Als sich die Türen öffneten, erblickten sie auch schon ein paar andere, die auf dem Flur vor der Mensa warteten.

Sousuke stellte sich mit etwas Abstand zu ihnen, als sei es das Gewöhnlichste der Welt, während Rin sich bei ihm hielt und nervös umher blickte. Er hatte noch nie mit psychisch Kranken zu tun gehabt und wusste auch nicht, wie er sich ihnen gegenüber verhalten sollte. Wenn alle so wie Sousuke waren, würde das auch kein Problem werden, doch ihm war klar, dass das eine sehr utopische Vorstellung war.
 

Ein paar Minuten später, um punkt acht Uhr, wurde man in die Mensa eingelassen, in der sich die Patienten in einer Reihe aufstellten und sich dann nach und nach Tablette nahmen, bevor sie zur Essenausgabe gingen und danach Besteck holten. Rin hoffte, dass das Essen besser als das in seiner Schule war, doch in seinem derzeitigen Zustand würde er alles auch nur annähernd Essbare hinunterwürgen. Sein Hungergefühl war schon so stark, dass sich sein Magen schmerzhaft zusammenzog.

So achtete er auch nicht viel auf die anderen Menschen um ihn herum, sondern war glücklich, als er ein ihm unbekanntes Gericht auf seinem Tablett hatte, mit dem er sich an einen Tisch setzen konnte. Er nahm natürlich bei Sousuke Platz und sah sich sogleich dem nächsten Problem entgegen: westliches Besteck…

Dieses war ihm nicht ganz unbekannt, trotzdem wusste er nicht so recht, was er mit der Gabel und dem Messer anstellen sollte; der Löffel sollte kein Problem sein.
 

Sousuke bemerkte nach kurzer Zeit, dass Rin sein Essen mit strengem Blick musterte und wollte wissen: „Gibt es ein Problem mit dem Essen? Du siehst nicht begeistert aus.“
 

„Nein! Es ist nur…wie isst man damit?“, hielt Rin die Gabel und das Messer hoch.
 

„Warte, ich helf dir“, legte Sousuke sein Brötchen beiseite.
 

Darauf hätte er auch früher kommen können: Ein Japaner, der kein Russisch verstand und in Russland war, konnte höchstwahrscheinlich auch nichts mit dem hier üblichen Besteck anfangen.

Er rückte Rins Teller näher zu sich und schnitt dessen Brötchen auf, hievte die Wurst und Käsescheiben mit der Gabel und dem Messer darauf und schob ihm den Teller zurück.
 

„Danke“, war es dem Rothaarigen peinlich, dass er so etwas Einfaches nicht alleine hinbekommen hatte. Aber er hatte ja keine Ahnung gehabt, was er mit all dem Unbekannten hätte machen sollen…
 

„Kein Problem“, fand Sousuke es keine erwähnenswerte Sache, dass er dem anderen half.
 

Er mochte ihn irgendwie, auch wenn sie kaum etwas übereinander wussten. Manchmal wusste man einfach sofort, ob man mit jemandem auskommen würde, oder nicht.
 

„…und wie esse ich das jetzt?“
 

Nachdem Sousuke ihm auch das erklärt hatte, fiel ihm während dem Essen auf, dass er Rin Bescheid sagen musste, dass sich dieser so bald wie möglich an der Rezeption melden sollte; wahrscheinlich um ein paar Dinge zu klären. Das war immer so, wenn man neu eingeliefert wurde.
 

„Ach ja: Du sollst dich nach dem Frühstück bei uns auf dem Stockwerk an der Rezeption melden. Keine Ahnung, was die wollen, aber ich kann dich dorthin begleiten“, teilte Sousuke seinem Gegenüber so teilnahmslos wie meistens mit.
 

„Oh…okay. Wäre nett, wenn du das machen würdest“, wusste Rin nicht, was er davon halten sollte, fand es aber nett vom anderen, dass er ihm seine Hilfe anbot.
 

Dessen anscheinend desinteressierte Haltung, machte den Rothaarigen unsicher, auch wenn er nicht direkt Angst vor ihm hatte. Dennoch sagte er sich, dass er vorsichtig sein musste; das hier war immer noch eine Irrenanstalt.
 

Sousuke konnte Rins Mine nicht so ganz deuten, da er allgemein nicht gut im Umgang mit Menschen war und sie daher meist mied. Er nickte einfach nur und widmete sich dann seinem zweiten Brötchen.
 

Als sie beide fast fertig waren, betrat ein junger Mann die Mensa, woraufhin sich einige weibliche Patienten nach ihm umdrehten. Auch Rin wurde auf ihn aufmerksam, weil er das Verhalten der Leute um sich herum seltsam fand und dessen Ursprung auf den Grund gehen wollte. Er blickte sich um, doch noch ehe er den ‚Störenfried‘ ausmachen konnte, kam dieser auch schon mit energetischem Gang auf den Tisch zu, an dem er mit Sousuke saß.
 

„Guten Morgen~“, flötete er dem Brünetten entgegen, der mit einem Schnauben erwiderte und ihn nicht groß beachtete.
 

Das hielt diesen aber nicht davon ab, sich neben Sousuke niederzulassen. Doch sobald er saß, begutachtete er Rin, der sich wie ein Ausstellungsstück in einem Museum für abstrakte Kunst fühlte.
 

„Sou-chan, möchtest du mir nicht unseren Neuling vorstellen?“, lächelte der junge Mann so strahlend, dass es schon fast lächerlich wirkte.
 

„Wenn du ihn kennen lernen willst, frag ihn selbst“, kam es genervt von Sousuke, der wieder in sein Brötchen biss.
 

Rin sah verwirrt zwischen den beiden hin und her. Er konnte nicht sagen, ob sie sich gut verstanden, oder sein Zimmergenosse den anderen wirklich nicht leiden konnte. Dass dieser Japanisch sprach, machte ihn stutzig, doch er fühlte sich gleich nicht mehr ganz so fremd an diesem Ort, an dem alle um ihn Russisch oder Englisch sprachen.
 

„Ich bin Kisumi Shigino“, stellte sich Kisumi überaus freundlich vor. „Und du?“
 

„Rin Matsuoka“, erwiderte der Rothaarige leicht lächelnd.
 

Kisumi schien doch ganz nett zu sein, weswegen mochte Sousuke ihn dann nicht?

Aber vielleicht täuschte er sich auch einfach nur und der Brünette war wegen etwas anderem schlecht gelaunt.

Wie falsch er damit liegen sollte, würde Rin allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt bewusst werden…

Glaub nicht alles, was man dir erzählt

Nach dem Frühstück wurde Rin wie versprochen von Sousuke zur Rezeption begleitet im zweiten Stockwerk, an der er sich melden sollte. Kisumi hatte sich an ihre Fersen gehängt und plauderte munter mit dem ‚Neuling‘, der sein Interesse geweckt hatte. Während die beiden miteinander redeten, ging Sousuke ein Stück abseits von ihnen mit starrem Blick voraus. Rin machte sich zu dieser Zeit noch keine großen Gedanken um das Verhalten des großen, Dunkelhaarigen – oder um das der anderen Insassen. Warum sollte er auch? Bisher hatten diese ihm geholfen und die Angestellten waren das Übel.
 

„Du kommst also auch aus Japan“, stellte Kisumi erfreut fest. „Es ist schon ewig her, seit ich das letzte Mal dort war.“
 

„Wie lange bist du schon hier?“, wollte Rind daraufhin wissen.
 

„Seit etwa zwei Jahren…glaub ich zumindest. Irgendwann hab ich aufgehört zu zählen“, erwiderte der etwas Größere nach kurzem Überlegen, schien aber nicht bekümmert wegen der Dauer seines Aufenthalts in der Anstalt zu sein.
 

„…behalten sie einen so lange hier?“, musste der Rothaarige schlucken.
 

„Kommt drauf an, weswegen du hier bist“, lächelte Kisumi ihn an, und versuchte ihn wohl mit der Aussage aufzuheitern, welche nur mäßig Erfolg hatte.
 

Rin seufzte und blickte dann nach vorne zu Sousuke, der schon länger keinen Ton mehr von sich gegeben hatte. Ihm fiel auf, dass sie alle drei Japanisch konnten und zumindest mal für kürzere Zeit dort gelebt hatten…obwohl, von Sousuke wusste er nur, dass er die Sprache beherrschte.
 

Daher entschloss er sich, diesen danach zu fragen: „Wurdest du auch nach Russland gebracht?“
 

„Nein. Ich wurde hier geboren und lebe schon immer hier“, kam es mit keiner besonderen Gefühlsregung vom Größeren.
 

Dafür drehte sich dieser kurz zu den anderen beiden um und besah Kisumi mit einem missbilligenden Blick, bei dem er seine Augen leicht zusammenkniff.
 

„Oh, wirklich? Ich hab mich nur gefragt, warum du so gut Japanisch kannst“, wurde Rin ein wenig nervös, da er merkte, dass sich etwas in Sousuke verändert hatte.
 

„Ich war als Kind oft dort“, beantwortete er auch diese Frage offenbar gleichgültig.
 

Das erklärte einiges, aber noch längst nicht alles. Doch noch ehe der Rothaarige weiter fragen konnte, blieb der Dunkelhaarige vor einer Tür stehen.
 

„Wir sind da“, deutete er auf das Schild, auf dem in Kyrillischen Lettern ‚Rezeption‘ stand, welches Rin natürlich nicht lesen konnte.
 

Der kleinste der drei schluckte und sah scheu zu der Tür, dann zu seinen Begleitern. Er wollte da nicht hinein gehen. Zwar hatte er keine Ahnung, was ihn darin erwarten würde, doch diese Ungewissheit, aber auch die Erinnerungen an letzte Nacht, in der man ihn nicht mit Samthandschuhen angefasst hatte, veranlassten ihn dazu, sich zu sträuben.
 

„Keine Sorge, das ist kein Behandlungszimmer“, legte Kisumi seine Hände auf Rins Schultern und schob ihn in Richtung der Tür. „Miho will sicher nur ein paar Sachen über dich wissen…und was du brauchst und so.“
 

„Lass ihn“, gab Sousuke dem Kleineren einen Klaps auf die Hände, woraufhin dieser zurückschreckte.
 

„Wha…du bist immer so gemein zu mir, Sou-chan“, spielte Kisumi nun den Beleidigten, doch dieser reagierte nicht auf ihn, weil er sich Rin widmete.
 

Er verstand dessen Angst, da es ihm in seinen ersten Tagen in diesem Gebäude auch nicht anders ergangen war. Verbal konnte er nicht viel ausrichten, doch das Wichtigste war, dass Kisumi endlich die Klappe hielt. Die einzige Möglichkeit, das zu erreichen, war meistens mit Gewalt – von der anderen hatte Sousuke keine Ahnung und wollte es auch nicht.
 

„Wir warten hier auf dich…es kann nichts passieren“, sicherte Sousuke dem unsicheren Rothaarigen zu, welcher ihn dankbar ansah.
 

„Okay…bis gleich“, rang er sich ein Lächeln ab und klopfte an die weiße Tür, woraufhin er hineingebeten wurde.
 

Auf dem Flur blieb es für kurze Zeit still, bis Kisumi seine Sprache wieder fand. Er war nicht gut darin, lange still zu sein, oder wollte es einfach nicht. In jedem Fall ging er Sousuke damit gehörig auf die Nerven, der ein genervtes Stöhnen von sich gab. Hätte er Rin nicht versprochen auf ihn zu warten, wäre er schon längst über alle Berge gewesen, um seinem persönlichen Quälgeist zu entfliehen.
 

„…was mich auch wundert ist, dass du dich mit ihm abgibst. Sonst meidest du Menschen ja eher…magst du ihn etwa~?“, zog Kisumi den Größeren nun auf und lehnte sich dabei in dessen Richtung.
 

„Er tut mir einfach leid. Das ist alles“, wusste Sousuke einmal mehr, weshalb er dem Kleineren aus dem Weg ging. Dieser war den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigt, als anderen Leuten auf die Nerven zu gehen, sie auszufragen und ihnen Geschichten zu erzählen, die keiner hören wollte – zumindest wenn es nach ihm Sousuke. Außerdem fand er manches, das Kisumi von sich gab, einfach nur obszön, oder verstörend. Es hatte einen guten Grund, weswegen er in der Anstalt saß…
 

„Der große Sousuke Sorokin hat Mitleid für einen Menschen übrig? Ich glaub, ich bin im falschen Film“, lachte der andere und veranlasste den Dunkelhaarigen sein typisches Gesicht aufzusetzen, das so viel zu bedeuten hatte wie: mach damit weiter und ich leg dich um.

Daraufhin erstarb das Lachen und es wurde wieder totenstill auf dem weißen Flur.
 

„Ist ja gut…reg dich ab“, versuchte Kisumi Sousukes Laune mit einem Handwinken wegzuwedeln. „Du kannst einem manchmal wirklich Angst einjagen, weißt du?“
 

„Hm“, gab Sousuke gleichgültig von sich und wandte seinen Blick ab, wieder der sterilen Tür zu, hinter der sich Rin in diesem Moment befand. Hätte er nicht gewusst, wer zu dieser Zeit Dienst hatte, wäre er besorgter gewesen.
 


 

Hinter dieser war der Rothaarige seit seinem Einlass damit beschäftigt, sich selbst zu beruhigen. Seine Hände waren kalt und nass vom Angstschweiß.

Die Schwester, die auf einem Drehstuhl an einem Schreibtisch saß, lächelte ihm freundlich zu und stellte sich als ‚Miho Amakata‘ vor. Der Raum hatte etwas von einem Eingangsbereich einer Arztpraxis, wenn er auch gedrängter und weniger ansprechend aussah.

Rin wunderte sich nicht nur darüber, dass sie auch eine Japanerin war, sondern dass ihr Lächeln – im Gegensatz zu dem des Arztes – ehrlich wirkte. Vielleicht war die Anstalt doch nicht so schlimm wie befürchtet. Er klammerte sich an diesen Zweig und hoffte, dass er Recht haben würde.

Sie überprüfte zunächst die Daten, die sie – woher auch immer – über ihn im System hatten und informierte ihn über gewisse Regeln. Dann händigte sie ihm eine Schlüsselkarte aus, die Einlass in das Zimmer gewährte, das er sich mit Sousuke teilte, erklärte ihm aber auch, dass diese nur bis 23 Uhr und dann erst wieder ab 7 Uhr funktionieren würde. Schon wieder eine Einschränkung…

Er steckte die Karte in die linke Tasche der Jogginghose, die Sousuke ihm geliehen hatte.
 

„Wenn du dir bei etwas nicht sicher bist, frag die anderen Patienten, oder komm zu mir“, riet sie ihm, bevor sie sich dem Computerbildschirm widmete.
 

„Okay“, erwiderte Rin zögerlich, da er sich noch immer nicht wohl fühlte.
 

Was genau die Schwester jetzt noch von ihm wollte, war ihm auch schleierhaft.
 

„Wie ich erfahren habe, bist du sehr überstürzt zu uns gekommen…und hast dementsprechend bestimmt nicht viel mitnehmen können“. fuhr Miss Amakata fort.
 

Das stimmte mehr oder weniger – eher weniger, denn man hatte ihn nicht gefragt, oder informiert, sondern in einer Nacht und Nebel Aktion verschleppt. Trotzdem konnte Rin nicht widersprechen, weil sein Gehirn momentan eher weniger leistungsstark war. Das lag ganz einfach daran, dass er noch immer unter Schock stand und sich versuchte mit seiner Lage abzufinden.

Seine Hände, die er nervös und ihn unstetigen Bewegungen vor seinem Körper hielt und ineinander drehte, wurden kaum merklich wärmer, doch die Angst stand ihm nach wie vor ins Gesicht geschrieben, als er stumm nickte.
 

„Falls du etwas brauchst, füll eins der Formulare aus“, deutete sie auf einen Stapel, der auf ihrem Schreibtisch lag. „Wenn dir schon etwas einfällt, kannst du es mir auch gleich sagen und ich bestelle es für dich.“
 

Rin sah die Krankenschwester überrascht an. Er hatte nicht gewusst, dass man hier das Recht darauf hatte, Dinge anzufordern, die man benötigte. Da musste es aber auch sicher einen Haken geben, sonst könnte sich hier jeder alles wünschen.

In jedem Falle beruhigte es ihn aber, da er schon ein paar Klamotten und andere Sachen benötigen würde, die ihm gerade nicht einfielen. Dämliches, lahmgelegtes Gehirn…das waren bestimmt noch die Nachwirkungen der Drogen.
 

„Dafür gibt es aber auch Richtlinien und nur weil du etwas beantragst, heißt das noch nicht, dass dem auch stattgegeben wird“, erzählte sie weiter und bestätigte seine Vermutung. „In der Regel bekommt man aber alles, was man zum Leben braucht.“
 

„Also wenn das so ist, würde ich gerne ein paar Klamotten zum Wechseln haben“, begann Rin noch immer zögernd. Er fühlte sich nicht wohl, auch wenn Miss Amakata nett zu sein schien und wollte einfach nur nach Hause. Dass er nun einen Antrag darauf stellen musste, dass er Kleidung bekam, machte ihm bewusst, in welcher Situation er sich befand. Es würde wohl eine ganze Weile vergehen, ehe er wieder shoppen gehen konnte…
 

Dabei liebte Rin es, durch Kleidungsgeschäfte zu streifen und die neuste Mode anzuprobieren! In seiner Freizeit hatte er dies oft getan und würde das – sowie einiges mehr – sehr vermissen.
 

Nachdem der Rothaarige Miss Amakata einiges aufgezählt hatte, das ihm in den Sinn kam, das er auf jeden Fall brauchen würde, überlegte er fieberhaft, ob ihm etwas entgangen war. Unterwäsche, ein paar bequeme Hosen, Oberteile und Sweatshirt-Jacken hatte er, genau wie Zahnbürste, Pflegeprodukte und andere Utensilien, die er zu Hause im Bad gehabt hatte.
 

„Falls dir jetzt nichts einfällt, kannst du jeder Zeit wieder herkommen“, sah Miho dem Neuen an, dass er völlig überfordert war und lächelte ihm zu.
 

„Ja…danke“, fühlte sich dieser wie ein kleines Kind, dem man erklären musste, was es zu tun und zu lassen hatte. Er fühlte sich schrecklich bevormundet, auch mit den ganzen Regeln, wie dass man um 22 Uhr auf seinem Zimmer zu sein hatte und nur zu geregelten Zeiten Essen bekam. Das war wirklich ätzend.

Rin ahnte schon, dass er lange brauchen würde, um sich einzufinden, sofern das jemals der Fall sein würde. Die kleine Hoffnung, dass das alles nur ein Missverständnis, ein blöder Scherz, oder ein Alptraum war, aus dem er erwachen würde, existierte noch immer ihn ihm, schwand aber Zusehens mit jeder Minute, in der er der Realität näher kam.
 

„Da du noch schulpflichtig bist, werden wir dich zu den anderen in das Schul-Programm stecken“, kam die nächste, nicht so erfreuliche Nachricht für Rin. „Es findet von Montag bis Freitag vormittags statt und ist verpflichtend.“
 

Na super…jetzt saß er schon in einer Irrenanstalt und musste trotzdem zur Schule! Hätte man ihm nicht wenigstens das ersparen können? Nicht, dass Rin es hasste in die Schule zu gehen, aber er konnte sich auch bessere Aktivitäten vorstellen, die er in dieser Zeit ausüben könnte.

Er war nicht schlecht in der Schule gewesen, sogar relativ gut, doch das lange sitzen ging ihm auf die Nerven, genau wie seine Klassenkameraden. Diese würden zumindest wegfallen, aber vielleicht durch schlimmere ersetzt werden. Andererseits konnte Rin sich nicht vorstellen, dass sonderlich viele Jugendliche auf der Station waren, was die Chance auf viele Störenfriede erheblich senkte.
 


 

Mit einigen Blättern Papier in der Hand, die unter anderem die wichtigsten Regeln, sowie ein Antragsformular enthielten, trat Rin aus dem Zimmer der Schwester. Man sah ihm an, dass es ihm nicht gut ging, auch wenn sein Befinden nicht unbedingt etwas mit seinem Gespräch mit Miho Amakata zu tun hatte.
 

„War doch halb so wild, oder?“, ergriff Kisumi sofort die Gelegenheit wieder sprechen zu können, als die Tür sich öffnete und er den Rothaarigen als neues Opfer serviert bekam. Er mochte Sousuke, doch dieser war der am wenigsten umgängliche Mensch, den er je getroffen hatte. Der Gesprächigste war er auch nicht.
 

„Es war angenehmer als die letzte Nacht“, bestätigte Rin.
 

„Oh, haben sie dich auch an Händen und Füßen gepackt und durch die Gegend geschleift?“, kommentierte Kisumi die Aussage des anderen mit seinen Erfahrungen. An seinen ersten Tag in der Anstalt konnte er sich noch lebhaft erinnern und an die Art, wie man ihn ‚willkommen geheißen‘ hatte, erst recht.
 

„Das erste nicht, aber so ein seltsamer Typ hat mich am Arm gepackt und mit sich gezogen…es war nicht angenehm“, berichtete Rin von seinen Erlebnissen, die ihm noch zu gut vor Augen schwebten und so schnell auch nicht mehr aus seinem Gedächtnis verschwinden würden, sofern überhaupt.
 

„Ja, manche Pfleger haben ihre ganz spezielle Art mit uns umzugehen“, grinste Kisumi schief. Er schien nicht sonderlich beunruhigt zu sein, während Sousuke und auch Rin das anders sahen. Der eine sich auf Erfahrungen, der andere sich auf seine Intuition berufend.
 

„Wenn ihr weiter darüber reden wollt, sollten wir wo anders hingehen“, riet Sousuke den beiden Gesprächigeren. Sollte jemand mitbekommen, dass man über das Personal schlecht redete, würde das für die Betroffenen bestimmt nicht angenehm werden.
 

„Dann auf in dein Zimmer!“, schnappte sich Kisumi jeweils Rins und Sousukes Oberarm und zog sie in Richtung deren Zimmer.
 

Er wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie sich ein Zimmer teilten, sonst hätte er sich auch nicht so darüber gewundert, dass sich der Größere um den Neuen kümmerte. Wären sie nicht Zimmergenossen, hätte Sousuke wahrscheinlich nichts mit dem Rothaarigen zu tun gehabt – jedenfalls nicht so früh nach dessen Einlieferung.
 

Keine Sekunde verging, ehe Kisumis Hand wieder von dem Arm des Dunkelhaarigen entfernt wurde, während Rin sich das gefallen ließ. Ein eindeutiger Blick aus den kalten Augen des Größeren signalisierte dem viel zu enthusiastischen Kisumi, dass er das lassen sollte. Mit einem gekünstelten Lächeln überspielte er diese schroffe Behandlung und ging mit Rin voraus.

Warum musste Sousuke auch immer so übertrieben auf die kleinste Berührung reagieren?
 

Rin wunderte sich auch über das Verhalten des Größeren, dachte sich aber nicht viel dabei. Er hatte gerade andere Probleme und war außerdem abgelenkt vom erneuten Redeschwall des anderen, der ihn mit sich zog.
 

Am Ende des Ganges, bogen sie rechts ab und waren dann auch schon an 207 angekommen. Um die Karte auszuprobieren, aber auch da es sich anbot, zog Rin die Schlüsselkarte aus seiner Hosentasche und entriegelte damit die Tür. Kisumi sah ihn daraufhin mit großen Augen an und drehte sich zu Sousuke um.
 

„Du hast mir gar nicht gesagt, dass Rin bei dir wohnt!“, beschwerte er sich beim Größeren.
 

„Du hast nicht gefragt“, war die simple Antwort.
 

„Oh man“, seufzte Kisumi. „Ich geb’s auf.“
 

Aus den Interaktionen der beiden wurde Rin nicht schlau: Entweder mochten sie sich und waren so gut befreundet, dass sie so miteinander umgehen konnten, oder Sousuke hegte tatsächlich Antipartie gegen Kisumi.
 

„Wie dem auch sei: Ich hätte nicht gedacht, dass sie jemanden zu dir stecken“, kam es Kisumi beiläufig über die Lippen, als er ins Zimmer eintrat und sich auf Rins Bett setzte. Es wirkte, als würde er das öfter tun.
 

Die anderen beiden folgten und Sousuke schloss die Tür hinter sich. Nun konnten sie sich ungestört unterhalten und vor allem ohne Gefahr zu laufen, dass ein Angestellter mitbekam, was sie sagten. Die Zimmer waren nicht videoüberwacht, die Flure allerdings schon.
 

„Warum das?“, wollte Rin ob der Aussage des anderen wissen und setzte sich neben diesen. Es musste einen Grund geben, weswegen dieser erwähnt hatte, dass er es seltsam fand, dass Sousuke einen Zimmergenossen bekommen hatte.
 

„Ach…unser Großer ist ein bekanntes Gesicht bei den Angestellten und hat Aggressionsprobleme~“, schnitt Kisumi nur einen kleinen Teil dessen an, weswegen man es bisher vermieden hatte, das Zweierzimmer voll zu belegen.
 

„Ach so…?“, blickten die roten Augen verunsichert zu Sousuke, der noch immer stand.
 

„Außerdem munkelt man, dass-“, wollte Kisumi fortfahren, wurde aber harsch unterbrochen.
 

„Halt den Mund“, kam es lauter als zuvor vom Dunkelhaarigen, der nun vor dem Störenfried stand und einen bedrohlichen Ausdruck im Gesicht aufwies, den Rin bisher noch nicht kannte.
 

„Ist ja gut…ich wollte nur, dass Rin weiß, worauf er sich gefasst machen muss“, lächelte Kisumi falsch vor sich hin, sich nun erst dessen bewusst werdend, was er mit seinen unbedachten Worten ausgelöst haben könnte.
 

„Ich glaube es ist besser, wenn du jetzt gehst“, formulierte Sousuke den Vorschlag so, dass er aus seinem Mund wie ein Befehl klang.
 

„Na schön…“, ergab sich Kisumi sehr schnell und erhob sich von Rins Bett, auf dem dieser saß und noch besorgter als zuvor aussah. Man konnte die Angst deutlich sehen, die sich in seinem Blick widerspiegelte.
 

„Aber…“, gab Rin leise als eine Art Protest und gleichsame Bitte von sich, dass man ihn jetzt nicht mit seinem potentiell aggressiven, vielleicht sogar gefährlichen, Mitbewohner alleine lassen sollte.
 

„Du packst das schon~“, flötete Kisumi und verschwand eiligst aus dem Zimmer, den Blick des anderen noch immer auf sich spürend. Sousuke konnte aber auch wirklich unangenehm sein…
 


 

Am liebsten hätte Rin auch Reißaus genommen, als er den anderen aus dem Zimmer stürmen sah, doch etwas sagte ihm, dass das keine gute Idee war. Er traute sich kaum, seinen Blick zu heben, da er auch Angst vor Sousukes kalten Augen hatte, die zuvor auf Kisumi gelegen hatten.

Leicht zitternd krallten sich seine Finger in den Stoff der Hose, die er an den Beinen trug. Diesen Impuls konnte er nicht unterdrücken, genau wie das Beben seiner Hände.
 

„Glaub nicht alles, was man dir erzählt“, durchbrach die Stimme des Größeren die Szenarien, die sich Rin schon ausgemalt hatte.
 

„Was?“, schreckte der Rothaarige hoch und sah nun doch in die türkisfarbenen Augen, die anscheinend schon für geraume Zeit auf ihm ruhten.
 

Als Sousuke bemerkt hatte, wie verunsichert und verängstigt Rin wegen ihm war, verfluchte er Kisumi, sagte sich aber gleichzeitig auch, dass er dessen Worte – ob sie nun geplant, oder unbedacht gewesen waren – wieder gutmachen musste. Der Neue war auch so schon ein Nervenbündel, da war das Letzte, das er gebrauchen konnte, noch mehr Angst gemacht zu bekommen.

Außerdem wollte er auch nicht, dass man ein falsches Bild von ihm bekam…gut, das stimmte nicht, denn es war ihm egal, was andere von ihm dachten. Aus irgendeinem Grund traf diese Gleichgültigkeit nicht bei Rin zu. Er wollte nicht, dass sich dieser vor ihm fürchtete.
 

„Wir sind immer noch in einer Irrenanstalt“, brachte Sousuke es auf den Punkt, auch wenn es nicht das war, das er sagen wollte. Würde es ihm nur nicht so schwer fallen, seine Gedanken in Worte zu fassen…
 

„Ich weiß…“, betrachtete Rin wieder seine Füße, doch das Zittern hatte aufgehört.
 

Sousukes ruhige Stimme, die völlig frei von jedem Zorn war, hatte ihn beruhigt, was dessen Worte alleine nicht vermocht hätten. Auf welche Weise etwas geschah, war auch nicht immer von Bedeutung.

Allerdings warf diese Feststellung eine neue Frage auf, wenn nicht unzählige:
 

„Weswegen bist du hier?“

Behaarliche Probleme

Den Grund um ihren Aufenthalt hatten sie schon zuvor angeschnitten, doch nicht ausgeführt. Früher oder später wären sie ohnehin darauf zurückgekommen; vielleicht unter anderen Umständen, doch das Ergebnis war das gleiche.

Rin hatte dem anderen diese Frage zuvor auch nicht beantwortet und hätte ohne Kisumis Worte auch verstehen können, wenn es Sousuke das ebenfalls nicht wollte, doch angesichts der Lage, war dieser ihm eine Erklärung schuldig.

Nur weil er nicht mehr zitterte, hieß das auch nicht, dass Rin sich inzwischen vollkommen beruhigt hatte. Ihm war lediglich die Angst genommen worden, dass Sousuke jeden Moment auf ihn losgehen würde, unruhig war er nach wie vor; beobachtete den Größeren unablässig.
 

„Der hat nichts damit zu tun, dass Kisumi das gesagt hat“, wich Sousuke der Frage aus, genau wie Rin es auf dem Weg zum Frühstück schon getan hatte.
 

Diese Antwort ließ den Kleineren schon darauf schließen, dass der andere höchstwahrscheinlich etwas Schlimmes getan hatte, um hier gelandet zu sein, oder eine sehr ungewöhnliche Störung hatte, die er aus Scham nicht gerne preisgab. Andererseits ließ man gefährliche Insassen laut Miss Amakatas Aussage auch nicht frei herumlaufen und diese waren im 4. Stockwerk untergebracht. Alles in allem wusste Rin nicht, was er von Kisumis, oder Sousukes Aussage halten sollte.
 

„Du wirst mir also nichts tun?“, wollte er sicherstellen.
 

„Nein…“, fuhr sich der Dunkelhaarige über die Augen und sah dabei irgendwie hilflos aus.
 

Wie jemand, der nicht wusste, wie er sich ausdrücken sollte und verzweifelt versuchte, seinen Standpunkt klar zu machen, dies aber nicht gelang.

Das ließ Rin sich etwas entspannen. Seine Finger lockerten sich und gaben den Stoff der Hose frei. Diese hatte der Größere ihm genau wie die restlichen Klamotten an seinem Leib geliehen. Allgemein war er sehr freundlich zu ihm gewesen. Angefangen damit, dass er ihn bei seiner Ankunft beruhigt und ihm hochgeholfen hatte.

Sousukes Gesten wirkten nicht wie die eines aggressiven Menschen, sondern wie die eines verschlossenen, distanzierten, der nicht so ganz mit seiner Umgebung zu interagieren wusste.
 

Es tat Rin schon fast leid, dass er Kisumi sofort geglaubt hatte, sozusagen Sousuke falsch beschuldigt, bzw. davon ausgegangen war, er könnte ihm Leid zufügen. Um sich zu entschuldigen, aber auch ein bisschen um die Lage zu testen, erhob sich Rin nun und schritt auf den Größeren zu, legte ihm eine Hand an den Oberarm und lächelte leicht.

Sousukes Reaktion darauf war vollkommen anders als erwartet. Er freute sich nicht, ging aber auch nicht auf ihn los. Nein, er…zuckte erschrocken zurück?
 

Die mysteriösen, schönen Augen weiteten sich für einen Moment und starrten den Kleineren an, genau wie der Rest des Körpers erstarrte.

Schnell zog Rin seine Hand zurück und wusste nicht, wie er sich nun verhalten sollte.
 

„Tut mir leid“, kam es leise über die Lippen des Rothaarigen, als er sah, dass Sousuke blinzelte und die Stelle berührte, an der seien Hand gelegen hatte.
 

„Schon okay“, kam es abwesend vom Größeren, dessen Blick abwesend auf seiner Hand ruhte.
 

„Ich wollte mich nur dafür bedanken, dass du mir geholfen hast“, verbalisierte Rin die Absicht seiner unglücklichen Berührung.
 

„Kein Problem“, erwiderte Sousuke, noch immer in Gedanken.
 

Er schritt zu seinem Bett, ließ sich darauf nieder und senkte das Haupt, die Ellenbogen auf den Oberschenkeln gestützt. Der stark aussehende junge Mann wirkte auf einmal sehr zerbrechlich in Rins Augen und riefen ihm dessen Worte ins Gedächtnis: „Glaub nicht alles, was man dir erzählt.“

Vielleicht sollte er sich wirklich mehr auf seine innere Stimme, als auf die Worte anderer verlassen. Diese sagte ihm nämlich, dass Sousuke nicht aggressiv, sondern einfach nur missverstanden war. Natürlich sah er auf den ersten Blick – bedingt durch seine Größe und seinen grimmigen Gesichtsausdruck – wie jemand aus, der bei jeder Kleinigkeit sofort zuschlug, doch im Grunde war er sehr hilfsbereit und ruhig. Rin konnte sich in seiner Einschätzung auch irren, weil sie sich keinen Tag kannten, doch es gab bisher keinen Grund dazu, dem anderen nicht zu vertrauen. So kam es auch, dass er sich vollkommen entspannte und aufs Bett zurücksinken ließ. Sein Körper hatte sich noch immer nicht vollkommen von den Strapazen der letzten Nacht - und wer wusste was sie sonst noch mit ihm angestellt hatten – erholt.
 

Wie er so dalag und sich über so manches den Kopf zerbrach, fiel Rin ein, welches Produkt er bei der Schwester sofort hätte anfragen sollen. Innerlich verfluchte er sich darüber, dass er nicht sofort daran gedacht hatte, weil dieses doch ein essenzieller Bestandteil seines Lebens war.
 

„Fuuuck“, kam es dem Rothaarigen automatisch über die Lippen und er legte sich seinen Arm über die Augen, über seine eigene Dummheit beschämt.
 

Diese Aktion lenkte die Aufmerksamkeit eines gewissen Brünetten auf sich, der bisher ebenfalls damit beschäftigt gewesen war, seinen Gedanken nachzugehen.
 

„Was ist los?“, wollte Sousuke, wieder zu seinem normalen Zustand zurückgekehrt, wissen.
 

Sich nun bewusst werdend, dass er das gerade laut gesagt hatte, setzte sich Rin auf, wobei er sich mit seinen Händen hinten abstützte. Einmal mehr fragte er sich, warum er eigentlich so dumm war, erst das eine zu vergessen und sich dann auch noch lauthals darüber zu beklagen, sodass es der andere mitbekam.
 

„Na ja…nicht so wichtig“, nuschelte Rin, leicht rot um die Nase.
 

Es war wirklich nichts, über das er gerne mit anderen sprechen wollte und auch nicht vor hatte zu tun. Stattdessen tastete er nach dem Beantragungsformular und wurde sich dabei bewusst, dass er auch keinen Kugelschreiber oder Ähnliches bei sich hatte, um es auszufüllen.
 

„Du hast nicht zufällig einen Stift für mich?“
 

Nachdem Rin das Antragsformular ausgefüllt hatte – Sousuke beobachtete ihn dabei – fiel ihm wieder ein, dass die Krankenschwester etwas von einem Unterrichtsprogramm gesagt hatte, das vormittags stattfinden sollte…es war Vormittag, also musste er da nicht hin? Falls ja: Wo fand das statt?

Er entschloss sich, seinen Mitbewohner danach zu fragen. Vielleicht wusste der Bescheid. Rin konnte dessen Alter nicht ganz einschätzen, da Sousuke ziemlich groß und breit gebaut war, sein Gesicht aber noch jung wirkte. Außerdem machte die gemischte Abstammung die Altersbestimmung schwerer, weil er noch nicht so oft mit Nicht-Japanern zu tun gehabt hatte.
 

„Danke für den Stift“, stand der Rothaarige auf und gab diesen zurück.
 

Sousuke nickte nur und legte ihn in die Schublade seines Nachttischs zurück, aus der er ihn vor ein paar Minuten geholt hatte.
 

„Kann ich dich was fragen?“, richtete Rin das Wort erneut an den Größeren, der ihn daraufhin ansah. Er fühlte sich richtig blöd, diesen andauernd zu belästigen.
 

„Klar“, gab Sousuke ihm das okay.
 

Ihm machte es nichts aus, dass der Neue ihn um Hilfe fragte, immerhin kannte dieser sich nicht aus und hatte sonst auch niemanden, der ihm helfen konnte. Kisumi zählte er nicht zu den vertrauenswürdigsten Personen und bevor Rin zu diesem ging, kümmerte er sich lieber selbst um diesen.
 

„Also: Miss Amakata meinte, ich sollte an einem Schulprogramm teilnehmen und das soll am Vormittag stattfinden. Ich hab aber keine Ahnung, wo das ist und so“, teilte Rin dem anderen sein Problem mit, darauf hoffend, dass dieser ihm weiterhelfen konnte.
 

„Ah, du wurdest also auch zu uns gesteckt“, kommentierte Sousuke zunächst, ehe er weitere Informationen preisgab. „Normalerweise fängt es um 8 an, aber da Sonntag ist, haben wir frei.“
 

Offenbar war Sousuke ungefähr in seinem Alter, sehr zu Rins Überraschung. Er hätte ihn ein bisschen älter eingeschätzt, doch vielleicht war er das auch und man hatte ein allgemeines Programm für alle Jugendlichen?
 

„Es ist also Sonntag…“, murmelte Rin vor sich hin.
 

Das hieß, dass seit seiner letzten Erinnerung an Zuhause gut zwei Tage verstrichen waren. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor.

Der Akku seines Handys war leer, weswegen er nicht selber hatte nachschauen können, welches Datum sie schrieben…ein Ladekabel war noch etwas, das er beantragen sollte.
 

„Hattest du echt keine Ahnung, welchen Tag wir haben?“, wollte Sousuke skeptisch wissen.
 

„Nein…ich weiß auch nicht, wie ich hergekommen bin. Also nicht genau jedenfalls“, seufzte der Rothaarige.
 

Es tat gut, darüber zu reden, auch wenn sich seine Lage dadurch nicht veränderte. So erzählte er seinem Zimmergenossen alles, an das er sich erinnern konnte.
 

„…und dann wurde ich in dein Zimmer geworfen. Den Rest kennst du“, beendete Rin seine kleine Geschichtsstunde und Sousuke nickte.
 

„Du wurdest also entführt“, stellte er fest.
 

„Ich glaube schon. Ich bin mir nicht sicher, weil ich mich nicht erinnere, aber es deutet alles darauf hin“, stimmte Rin zerknirscht zu.
 

„Hätte nicht gedacht, dass sie das bringen können“, merkte Sousuke an und verwirrte den Kleineren damit.
 

„Wie meinst du das?“
 

„Oh, ich weiß ja, dass sich der Doc und die anderen schon einiges erlaubt haben, aber dass sie inzwischen Leute entführen ist mir neu.“
 

Was genau Sousuke mit ‚einiges erlauben‘ meinte, würde Rin gerne wissen, doch irgendetwas sagte ihm, dass das nichts Gutes war. Vielleicht wollte er es dann doch lieber nicht wissen…

Außerdem war Rin aufgefallen, dass der andere im Vergleich zum Morgen relativ gesprächig war, auch wenn er hauptsächlich zugehört hatte.
 

„Ist es hier echt so schlimm?“, traute sich der Rothaarige kaum zu fragen.
 

„Kommt drauf an“, beendete Sousuke das Thema somit und erhob sich, um ein Buch aus dem Regal zu holen, das gegenüber vom Fenster an der Wand stand.
 

Das Gespräch war wohl vorerst beendet und Rin nahm alles zurück, das er über die Kommunikationsbereitschaft des Größeren gesagt hatte. Dieser war nämlich schon sehr bald völlig in seinen Roman vertieft – jedenfalls glaubte er, dass es einer war, denn der Titel war in Kyrillisch verfasst – und ignorierte ihn.

Nun gut, dann konnte er genauso gut das Formular abgeben gehen und sich gleich ein neues für das Ladekabel besorgen.
 

Etwas unwohl war es Rin schon dabei, als zum ersten Mal er alleine auf den sterilen Flur trat und die Tür zu Sousukes und seinem Zimmer hinter sich zufallen hörte. Mit schnellem Schritt, aber noch schnellerem Puls, beeilte er sich zur Rezeption zu gelangen.
 

Als er dort alles erledigt hatte, beruhigte sich sein Herz ein wenig, doch das Weiß der Gänge machte ihm noch immer Angst. Es war so grell und tat in den Augen weh, dass er sich keine Sekunde länger als nötig dort aufhalten wollte.

Auf dem Rückweg verlief er sich ein wenig – weil er in die falsche Richtung gelaufen war – und traf auf Kisumi, der gerade aus einem Zimmer kam.
 

„Oh hey~ So trifft man sich wieder!“, begrüßte er den Rothaarigen. „Wo hast du denn unseren Großen gelassen?“
 

„Der liest gerade“, gab Rin überrascht über das plötzliche Auftauchen des anderen zu Antwort.
 

„Ah ja, das macht er oft“, nickte Kisumi und begutachtete den Kleineren dabei aufmerksam.
 

Der Blick fühlte sich seltsam an und Rin war es, als zöge der andere ihn mit seinem Blick aus, doch wahrscheinlich bildete er sich das nur ein. Nicht alle Menschen waren diskret und außerhalb Japans kannte er sich nicht mit den Manieren aus. Klar war jedoch, dass der Größere ihn musterte, aus welchem Grund auch immer.
 

„…sind das Sou-chans Sachen?“, wollte Kisumi nach seiner Begutachtung Rins wissen und zupfte am Ärmel seines Shirts, das ihm viel zu groß war.
 

Das störte ihn persönlich nicht, weil es bequem und eine angenehme Abwechslung zu seinen eher eng geschnittenen Klamotten war, doch es zog offenbar die Aufmerksamkeit andere aus sich.
 

„Ja…er hat sie mir geliehen, weil ich nichts zum Wechseln bei mir hatte“, bestätigte Rin die Vermutung des anderen.
 

„Oh, wirklich? So kenn ich ihn ja gar nicht…sonst lässt er niemanden an seine Sachen“, pfiff Kisumi erstaunt durch seine die Zähne.
 

„Na ja, ich hab ihn gefragt und er hat sie mir gegeben“, zuckte Rin mit den Schultern, weil er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte, oder was das zu bedeuten hatte.
 

Dass Kisumi ihn einfach nur ärgern wollte, oder keinen bestimmten Zweck mit seinem endlosen Gerede verfolgte, kam ihm nicht in den Sinn. Er machte sich viel zu viele Gedanken um die Menschen und was sie sagten, sodass er die wahre Absicht hinter deren Reden oftmals übersah.
 

„Nun, wie auch immer: Hast du Lust mit zu mir zu kommen?“, änderte Kisumi das Thema abrupt und legte Rin einen Arm um die Schulter.
 

„Ich weiß nicht…ich wollte mich eigentlich noch mal hinlegen“, war es dem Kleineren nicht so ganz behaglich, dass Kisumi ihn auf diese Weise berührte.
 

Sie kannten sich nicht wirklich und der Blick des anderen war Rin schon unangenehm gewesen. Irgendetwas sagte ihm, dass es besser war, wenn er zurück zu Sousuke ins Zimmer und nicht mit Kisumi mitging.
 

„Na schön…wenn du lieber zu Mr. Aggro willst, kann ich auch nichts daran ändern“, streckte Kisumi ihm die Zunge heraus und ließ ihn los. „Bis bald~“
 

Dann verschwand er um die nächste Ecke und Rin atmete erleichtert aus. Das war ihm einfach alles zu viel. Am liebsten würde er sich irgendwo verkriechen und nicht mehr herauskommen.

Doch bevor er das tun konnte, musste er erstmal sein Zimmer wiederfinden!

Er sah auf die Schilder der Zimmer, bei denen er sich gerade befand - ‚214‘ und ‚215‘‘ – und beschloss, einfach in die Richtung zu gehen, in der der Zahlenwert abnahm.

So schaffte er es auch in den richtigen Gang zurück zu finden und war wenig später an 207 angelangt.
 

Dort zog er die Schuhe aus und ließ er sich auf sein Bett fallen, mit der Absicht, sich nicht mehr viel an diesem Tag zu bewegen. Sousuke hob nur kurz den Kopf, als er Rin hereinkommen hörte, und widmete sich dann wieder seinem Buch.
 

Mittags gingen sie gemeinsam essen, doch sprachen nicht viel. Dafür war Kisumi zur Stelle, der sie noch eine ganze Weile begleitete und auch mit ins Zimmer kam, bis Sousuke ihn wieder rausschmiss. Dafür war Rin ihm diesmal auch dankbar, weil er schlafen wollte.
 


 

Gegen Abend erwachte Rin wieder und sah sich verschlafen um. Das Licht im Zimmer brannte nicht und Sousuke war nirgends zu sehen. Dafür drangen aus dem Bad Geräusche, welche vermuten ließen, dass sich dieser dort aufhielt. Der Rothaarige blieb noch für kurze Zeit liegen, ehe er sich aufsetzte und nach dem Lichtschalter suchte.

Noch bevor er ihn finden konnte, öffnete sich die Badezimmertür und ließ mehr Licht ins Zimmer fallen. Der Dunkelhaarige blickte Rin entgegen, dessen Bett sich gegenüber dieser Tür befand.

Dessen Herz setzte für einen Schlag aus und das nicht nur, weil er sich wegen der plötzlichen Helligkeit und des Geräusches erschreckt hatte.

Seine Augen gewöhnten sich schnell an die neuen Lichtverhältnisse und ließen ihm praktisch keine andere Wahl, als den Körper des anderen anzustarren, der nur drei Meter von ihm entfernt war. Sein Blick schweifte von den breiten Schultern weiter nach unten über die muskulöse Brust, die starken Oberarme, auf denen noch kleine Wassertröpfchen zu erkennen waren, zum ebenfalls trainierten Bauch. Dort folgte er der Haarlinie nach unten und war schon fast ein bisschen enttäuscht als er an den türkis-schwarz-weiß-karierten Boxershorts hängen blieb, die so wirklich gar nichts preisgaben.
 

Als Rin bemerkte, dass er gestarrt hatte, schnellte sein Kopf nach oben, schon in Angst, Sousuke könnte etwas bemerkt haben, doch dieser war damit beschäftigt gewesen, den Lichtschalter im Zimmer zu betätigen und sich seine Haare mit dem Handtuch trocken zu reiben. Nochmal Glück gehabt…
 

Auch wenn man ihn nicht erwischt hatte, war es ihm nicht weniger peinlich und seine Wangen hatten eine rötliche Farbe angenommen, die zu seinen Haaren passte. Oh ja, sein Mitbewohner sah unter seiner Kleidung total heiß aus…wie er erwartet hatte.

Ob Rin sich nun freuen, oder sich selbst bemitleiden sollte, darüber war er sich noch nicht sicher, doch seine Stimmung ging eher in Richtung zweiterem. Da schwang auch die Angst mit, man könnte ihn hassen, oder Schlimmeres mit ihm anstellen, wenn man um seine Orientierung wusste.

Dass Kisumi verlauten lassen hatte, Sousuke wäre aggressiv, trug auch nicht zu Rins Wohlbefinden in dieser Hinsicht bei, genauso wenig wie die Tatsache, dass der Größere früher oder später den Grund seines Aufenthalts erfahren würde.

Immerhin teilten sie sich ein Zimmer und würden bestimmt auch behandelt werden, sodass nichts lange vorm anderen verborgen bleiben würde.
 

Um sich abzulenken, stand Rin nun auf und ging zum Fenster. Als er aus diesem blickte, stellte er fest, dass ein Gitter hinter der Scheibe zu erkennen war, auch wenn man es wegen der Spiegelung kaum erkennen konnte. Immerhin war es draußen dunkel geworden und durch die Beleuchtung im Zimmer, sah er weniger was hinter der Scheibe lag, als dass diese als Spiegel fungierte. So konnte er Sousuke doch weiter beobachten, wie dieser zum Kleiderschrank ging und sich anzog…
 

Verdammt, wenn er nicht aufpasste und seine Fantasie abschweifen ließ, würde er noch hart werden. Das galt es auf jeden Fall zu vermeiden und so wandte Rin seinen Blick nun endlich ab. Dämliche Hormone, dämliche Pubertät! Veranlassten ihn dazu einem vermutlich schwer psychisch gestörten hinterher zu sabbern, wie ein ungeficktes Schulmädchen, das sich nicht im Griff hatte und den nächst besten Typen anhimmelte!
 

Irgendwie musste sich Rin auf andere Gedanken bringen und suchte fieberhaft nach etwas, über das er mit dem anderen reden konnte. Das wäre die beste Methode, um nicht mehr auf derartige Gedanken zu kommen und sich dessen durchtrainierten Körper-
 

„Wie alt bist du überhaupt?“, durchdrang plötzlich Sousukes Stimme die Stille.
 

Auch er war in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen und hatte sich den Neuen etwas genauer angeschaut – wenn auch nicht unter dem Aspekt wie Rin. Ihm war aufgefallen, dass der Kleinere relativ fit und dessen Bewegungen kontrolliert wirkten, wie die eines Sportlers. Wenn Sousuke auch nicht gut darin war, Gefühle und Gesichtsausdrücke anderer zu lesen, so konnte er wesentlich mehr Informationen aus deren Körpersprache filtern.

Rins Schultern waren weder sonderlich breit, noch schmal und er war auch eher groß für einen Japaner, zumal die Haarfarbe das Auffälligste an ihm war. Dessen Augen waren mit unter das Erste gewesen, das Sousuke aufgefallen war. Ein schönes Rubinrot hatte ihm letzte Nacht entgegen geleuchtet.
 

Gerade blickte er auf den Rücken des Kleineren, der nach wie vor von seinem dunkelblauen Sweatshirt bedeckt wurde. Rins Alter konnte er nicht einschätzen, weil er ebenfalls nicht gut in solchen Dingen war, weswegen er beschlossen hatte zu fragen. Das war eher untypisch für ihn, doch irgendetwas hatte der Rothaarige an sich, das ihn neugierig machte.
 

„16…und du?“, erwiderte Rin, während er sich zum Größeren umdrehte.
 

Wie froh er darüber war, dass dieser ihn von sich aus angesprochen hatte, konnte man nicht beschreiben. Das lenkte ihn nicht nur ab, sondern gab ihm auch das Gefühl, dass dieser ihn nicht hasste. Zuvor hatte Rin schon befürchtet, er könnte ihn nicht leiden, weil er ihn den ganzen Mittag und Nachmittag ignoriert hatte, doch das war anscheinend nicht wahr.
 

„17“, machte Sousuke auch kein Geheimnis um sein Alter.
 

„Und wie lange bist du schon hier?“, stellte Rin eine andere Frage, als ihm in den Sinn gekommen war.
 

Eigentlich hatte er sagen wollen, dass er ihn älter eingeschätzt hätte, doch das erschien ihm unhöflich und so war er zum nächsten Punkt übergesprungen, der ihm einfiel.
 

„Eineinhalb Jahre inzwischen“, überlegte der Größere kurz, ehe er Antwort gab.
 

„Oh…“, war das einzige, sehr sinnvolle, das Rin dazu einfiel, doch der andere schien sich nicht daran zu stören.
 

„Wollen sie dich nicht bald entlassen?“, fragte sich der Rothaarige laut.
 

„Eher nicht“, schüttelte Sousuke den Kopf, schritt zu seinem Bett und ließ sich darauf nieder; Rins Blick folgte ihm dabei. „Aber lass uns wann anders darüber reden, okay?“
 

Dem stimmte der Kleinere zu, weil ihm auch nicht danach war, zu dieser Uhrzeit über ernste Dinge zu sprechen. Und so beschloss er ins Bad zu gehen, Zähne zu putzen und sich die Haare zu kämmen. Dabei betrachtete er sich im Spiegel und stellte fest, dass die Augenringe verblassten. Ein Glück, denn Rin hasste es, nicht gut auszusehen. Er legte viel Wert auf sein Äußeres und war ein bisschen eitel.

Bevor er ins Zimmer zurückging, kontrollierte er, ob alles richtig saß, auch wenn das schwer bei den großen Klamotten war. Als er dabei die Ärmel zurückkrempelte, stellte er schockiert fest, dass feine, rote Haare darauf zu sprießen begannen. Das war auch genau der Grund, weswegen er sich zuvor an diesem Tag selbst verflucht hatte. Er brauchte dringend einen Rasierer…

Schon seit Jahren ließ der Rothaarige keinem Haar an seinem Körper die Freiheit sich zu entfalten, es sei denn, es saß am Kopf.
 

Total zerknirscht trat Rin ins Zimmer zurück und zog mit seinem missmutigen Blick die Aufmerksamkeit eines gewissen, leicht müden Sousukes auf sich. Selbst dieser konnte sehen, dass sein Mitbewohner nicht bei bester Laune war.
 

„Was ist los?“
 

„Mein Haarwuchs ist los“, brummelte Rin leise, peinlich berührt.
 

Sousuke, der dachte, er spräche nur von dem im Gesicht, erwiderte: „Du kannst meinen Rasierer benutzen, wenn du es nicht aushältst.“
 

Er selbst rasierte sich auch alle paar Tage, weil sein Bartwuchs ihn schon seit fünf Jahren mehr oder weniger plagte. Die Koteletten mochte er und ließ die Haare an den Seiten ein wenig stehen, doch der den Rest machte er dem Erdboden gleich. Daher ging er auch davon aus, dass es Rin wohl ähnlich gehen musste, lag damit aber komplett falsch.
 

„Ich glaube nicht, dass ich den für das Gleiche wie du verwenden würde, aber danke für das Angebot“, kroch Rin ins Bett und zog die Decke über sich, komplett rot im Gesicht.
 

Er hasste es, die Haare an seinem Körper zu spüren. Nicht nur, dass sie rot waren, sie rieben auch gegen den Stoff der Kleidung und machten ihn unbehaglich; vom Widerstand im Wasser ganz zu schweigen.
 

„Ähm…okay“, warf Sousuke sich nicht ganz schlüssig, was das zu bedeuten hatte, nahm die Antwort aber hin, ohne weiter nachzufragen.
 

Als er das Licht gelöscht hatte und auch im Bett lag, fiel ihm ein, was Rin gemeint haben könnte, als er vom Rasieren gesprochen hatte. Vielleicht hatte dieser vom Intimbereich gesprochen... Dabei lag er nicht ganz richtig, jedoch zum Teil.

Seit sehr vielen Jahren, wurde Sousuke leicht rot um die Nase.

Wunden heilen, Narben bleiben

Die nächsten Tage gestalteten sich ähnlich wie der erste Tag, mit dem Unterschied, dass sie nun Unterricht hatten und Rin ein wenig aufgetaut war und sich in Folge dessen die meiste Zeit beschwerte. Die Kleidung, die man ihm gebracht hatte, entsprach nicht so ganz seinen Vorstellungen, sein Rasierer würde auf sich warten lassen und das Ladekabel konnte man auch nicht so schnell auftreiben. Wo waren sie denn bitte hier? Im tiefsten Sibirien, oder was?
 

Auch das Schulprogramm ging Rin schon in der ersten Stunde auf die Nerven. Da sie nur zu viert waren, war jeder gezwungen mitzuarbeiten und man konnte sich nicht einfach in die letzte Reihe setzen und schlafen, seine Nachrichten checken, oder etwas anderes, nicht Unterrichtsrelevantes anzustellen. An seiner Schule hatte der Rothaarige des Öfteren die Zeit damit totgeschlagen, aus dem Fenster zu schauen, oder sich auf dem neusten Stand zu halten, was auf den Social Media Seiten abging. Doch in dem Raum, in dem sie von Miss Amakata unterrichtet wurden, hatte keine Fenster und Empfang hatte er auch keinen, zumal sein Handyakku noch immer leer war und er ohnehin keinen Empfang gehabt hätte.

Nur zu gut erinnerte sich Rin an den unheimlich freundlichen Doktor, der ihm die SIM Karte gestohlen und veranlasst hatte, dass man ihn einwies. Wenn er daran dachte, durchzuckte ihn ein kalter Schauder, der nicht unbemerkt von Sousuke blieb, der in seiner Nähe sah und ihn beobachten konnte.
 

Als es Mittagessen gab, ging der Rothaarige sehr schlecht gelaunt neben Kisumi und seinem Mitbewohner her, die ihn seit er angekommen war, auf Schritt und Tritt begleiteten. In der Mensa setzten sie sich an den inzwischen schon gewohnten Tisch, sodass Rin bemerkte, wie schnell sich ein Mensch an neue Lebenssituationen gewöhnen konnte. Ganz behagte ihm die Anstalt noch immer nicht, doch Sousuke und Kisumi halfen ihm sich ein bisschen heimeliger zu fühlen.

Die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können:

Da war auf der einen Seite der immer gut gelaunte Kisumi, der die meiste Zeit redete und immer einen Spruch auf Lager zu haben schien und auf der anderen Sousuke, welcher meistens stumm blieb und eher ruhig war, sodass man sich gut bei ihm entspannen konnte.

Beide hatten wohl ihre Gründe, weswegen sie sich so verhielten, wie sie es eben taten. Rin öffnete sich ihnen auch langsam und kehrte mehr zu seinem alten Selbst zurück, das nicht ganz so verängstigt und vorsichtig war.
 

Auf dem Weg zurück zu ihrem Zimmer fiel Rin wieder ein, dass man ihm am Tag zuvor mitgeteilt hatte, dass seine Behandlung an diesem Tag beginnen würde. Er schaute auf eine der Uhren, die im Flur an der Decke befestigt waren: Noch etwa eine Stunde Zeit, bis er sich in 215 einfinden sollte. Was genau man mit ihm anstellen und wie seine Therapie aussehen würde, hatte man ihm nicht gesagt und vorstellen konnte er es sich auch nicht. Genauso wenig konnte er jemanden fragen, denn das hätte bedeutet, dass er seine ‚Symptome‘ hätte preisgeben müssen. Das war ihm dann doch zu gefährlich und auch zu unangenehm.
 

Sousuke hatte mitbekommen, dass Rin bald zu einem der Ärzte musste, die sich ‚Psychologen‘ schimpften, ein anderer Ausdruck wäre treffender gewesen. So überlegte er schon seit dem vorherigen Tag, ob er ihn darauf vorbereiten sollte, was auf einen zukam, wenn man ‚behandelt‘ wurde. Er selbst hatte sich inzwischen mehr oder weniger an die Methoden des hiesigen Personals gewöhnt, doch war sich nicht sicher, ob der Kleinere das auch so wegstecken konnte wie er es tat. Die Kunst bestand darin, es nicht an sich heran zu lassen – sofern möglich.
 

In ihrem Zimmer hatte Sousuke den Entschluss gefällt, dass er Rin aufklären würde. Da er nicht gut mit Worten war, hatte er sich eine andere Strategie überlegt, um diesem die Tragweite vor Augen zu führen.

Als sich die Tür schloss, drehte sich der Größere zu Rin um und versperrte ihm den Weg, sodass dieser keine Wahl hatte, als ihm zuzuhören.
 

„He, was-“, wollte der Rothaarige protestieren als Sousuke ihm den Weg versperrte, sah dann aber an dessen Blick, dass es etwas Ernstes sein musste und verstummte.
 

„Du wirst heute zum ersten Mal therapiert, oder?“, wollte der Dunkelhaarige sicher gehen, bevor er sich am Ende noch geirrt hätte und das alles um sonst wäre.
 

„Ähm ja…warum fragst du?“, war sich Rin nicht ganz sicher, worauf der andere hinauswollte.
 

„Ich will dir keine Angst machen, aber mach dich auf das Schlimmste gefasst“, fackelte Sousuke daraufhin nicht lange und zog sich sein Shirt ein Stück nach oben, sodass sein Bauch entblößt war. „Die Leute hier haben ihre eigenen Behandlungsmethoden.“
 

„Wie meinst du-“, setzte der Kleinere seine Frage an, weil er mehr als verwirrt über das Verhalten seines Mitbewohners war, der sich gerade halb vor ihm ausgezogen hatte.
 

Er versuchte auch, nicht auf die freigelegte Haut zu sehen, obwohl das ja der Sinn der Aktion war. Also deutete Sousuke mit der freien Hand an seine Seite und drehte sich ein Stück, dass Rin besser sehen konnte.
 

„Sie wollten mich ruhig stellen“, kommentierte er die Striche auf seiner Haut, die etwas heller als der übrige Teint waren und sich in zahlreichen Mustern nach hinten zum Rücken bahnten.
 

Dieser sah wohl nicht weniger vernarbt aus, wie Rin es richtig einschätzte, denn der Größere drehte sich nun, sodass der andere seine Rückseite betrachten konnte. Auf den ersten Blick sah man diese Narben vielleicht nicht, doch wenn man kurz genauer hinschaute, waren sie deutlich sichtbar. Das war auch der Grund, weswegen sie ihm in seiner zweiten Nacht nicht aufgefallen waren, als er Sousukes halb nackten Körper angestarrt hatte…oder vielleicht hatte er die Narben da auch einfach nicht sehen wollen? Inzwischen zweifelte Rin alles an, das seit seiner Ankunft geschehen war, ebenso wie sein eigenes Urteilvermögen.
 

„Oh scheiße…“, war das einzige, das dem schockierten Rin zu diesem Anblick über die Lippen kam.
 

Sousuke drehte sich daraufhin wieder um und zog das Shirt an eine ursprüngliche Position zurück.
 

„Wenn du dich nicht widersetzt, könnte alles gut gehen, aber ich garantiere für nichts.“
 

Es dauerte einige Augenblicke, bis sich Rin von dem Schock erholt hatte. Was um alles in der Welt war das für eine Anstalt, in der man Patienten folterte?! Viel schlimmer war die Gewissheit, dass man ähnliche Dinge, wie sie Sousuke angetan worden waren, auch mit ihm anstellen konnte. Nun wollte er noch viel weniger zu seiner ersten Therapiestunde…aber Moment: Sousuke hatte gesagt, dass sie ihm nichts tun würden, wenn er mitspielte, richtig? Also gab es vielleicht doch noch Hoffnung.
 

„Muss ich wirklich gehen?“, drückte sich Rin ein paar Minuten vor dem Beginn seines Termins um diesen.
 

„Wenn du nicht freiwillig auftauchst, werden sich dich hin schleifen“, erwiderte Sousuke daraufhin, wenig aufmunternd.
 

„Du hast wahrscheinlich recht…“
 

Und wie recht er damit hatte. Ihm war das schon einige Male passiert; daher rührten auch einige seiner Narben.
 

„Also, ich geh dann mal…“, schwang sich Rin dann doch von seinem Bett und ging zur Tür. Er war schon fast zu spät.
 

„Bis später“, hörte er Sousuke noch sagen, ehe sich die Tür hinter ihm schloss und er einmal wieder alleine auf dem weißen Gang war.
 

Seine Schritte hallten von den Wänden wider, sowie sein Herzschlag in seinen Ohren dröhnte, der das Blut durch diese rauschen ließ. Angst strömte durch seine Adern, während er den unheilvollen Weg entlang schritt und sich dabei

Alle möglichen Horrorszenarien ausmalte, die hinter der Tür des Behandlungszimmers auf ihn warten würden.

An diesem angekommen, schluckte Rin, sein Hals fühlte sich trocken an. Er klopfte, bekam jedoch keine Antwort und dachte schon, er wäre falsch. Doch dann öffnete sich die Tür und der Doktor von seiner ersten Nacht in der Anstalt lächelte ihm gekünstelt entgegen.
 

Nach etwa eineinhalb Stunden trat Rin aus dem Behandlungszimmer, das sich als Gespärchstherapieraum entpuppt hatte, und sah gar nicht mehr verängstig aus. Sein Herz schlug wieder in normaler Geschwindigkeit. Die Frage drängte sich ihm auf, ob Sousuke ihm zuvor die Wahrheit erzählt hatte, oder ihn aus welchem Grund auch immer angelogen hatte. Vielleicht hatte er wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank und wirkte nur normal?

Nein, das konnte und wollte er nicht glauben. Jemand der so gut aussah und sich um ihn kümmerte, konnte nicht verrückt sein! Rin war bewusst, dass seine Schlussfolgerungen sehr von Sousukes Aussehen geleitet wurden und dass er allgemein ein wenig oberflächlich war, doch half es ihm auch, an das Gute im Menschen zu glauben – sofern dieser gut aussah.

Des Weiteren sagte er sich, dass der andere ihm bisher auch normal vorgekommen war, wenn man davon absah, dass er ein wenig still war und sich nicht anfassen lassen wollte.
 

Als Rin das Zimmer mit seiner Schlüsselkarte geöffnet hatte, konnte er seinen Mitbewohner nicht in diesem ausfindig machen und wunderte sich, wo dieser stecken mochte. Sonst war Sousuke eher der Typ, der auf dem Bett lag und las, anstatt durch die Gegend zu marschieren, oder sich im Aufenthaltsraum die Zeit zu vertreiben. Dieser lag im 6. Stock und war für die Patienten der 2. Und 3. Etage zugänglich. Denen der 4. war es nicht gestattet sich dort aufzuhalten, genauso wie sie nicht in die Mensa, oder sonst aus der Etage durften. Das hing damit zusammen, dass die Patienten dort schwer psychisch krank und eine Gefährdung für ihre Mitmenschen und sich selbst darstellten, so hatte man es ihm jedenfalls gesagt.

Da konnte Rin sich richtig glücklich schätzen, im zweiten Stockwerk gelandet zu sein, welches mit vielen Freiheiten verbunden war – sofern man von ‚Freiheit‘ in einem gefängnisähnlichen Gebäude sprechen konnte.

Er fragte sich, wie lange er es nicht aushalten würde, ohne nicht durchzudrehen.

Momentan ging es ihm psychisch bestens, doch wie das nach ein paar Monaten in der Anstalt aussehen würde, war schwer abzuschätzen. Rin glaubte jetzt schon sagen zu können, dass man in solchen Einrichtungen eher kränker wurde, als geheilt…doch das konnte er nur als gesunder Mensch behaupten. Wie das bei einem anderen, der wirklich Hilfe benötigte, aussah, konnte er nicht sagen.

Vielleicht brachte der Aufenthalt ja doch was?

Sicher war nur, dass er eindeutig nicht hier hin gehörte und auch nicht psychisch krank war. Nur weil man schwul war, war man doch nicht geistig krank!

Wer dachte das denn bitte im 21. Jahrhundert noch?

-Anscheinend noch eindeutig zu viele, unter denen leider auch ein paar Ärzte und Psychologen zu sein schienen.
 

Dr. Masefield war da keine Ausnahme. So hieß der Psychologe und Arzt, auf den er in seiner ersten Nacht getroffen war und der ihn offenbar auch demnächst betreuen würde. Das Gespräch, das er mit Rin in den letzten eineinhalb Stunden geführt hatte, war zwar wesentlich angenehmer gewesen, als alles, das sich der Rothaarige ausgemalt hatte, dennoch zählte es nicht zu den angenehmsten, die er in seinem Leben mit einem Arzt geführt hatte.

Dieser hatte ihn hauptsächlich ausgefragt, um sich einen Überblick über Rins Psyche zu verschaffen, wie er gemeint hatte. Dabei hatte sich folgendes ergeben:

Es bestanden gute Hoffnungen auf Heilung für den Schwulen, da er noch jung war und wenig Erfahrung mit anderen Männern gesammelt hatte. Rin hatte ihm mit äußerstem Widerwillen gestanden, dass er noch nie etwas mit einem gehabt, sondern lediglich in Diskotheken hier und da rumgemacht hatte.

Welche Ursachen seine Sehnsüchte nach Männern hatten, das wollte der Psychologe in den nächsten Wochen in der Gesprächstherapie herausfinden. Rin beschlich das ungute Gefühl, dass er dabei nur wieder ausgefragt werden würde, doch das war ihm allemal lieber, als so wie Sousuke behandelt zu werden – sofern dessen Narben wirklich davon stammten. Sicher war er sich dessen Aussage noch immer nicht.
 

Rin setzte sich auf sein Bett und betrachtete seine Hände. Sie waren blass wie immer, genau wie der Rest seiner Haut, doch schienen sie blutärmer als sonst. Das lag wahrscheinlich am Stress und dass er nicht genügend aß…jedenfalls die letzte Woche nicht. Dazu fehlte ihm der Appetit. Vielleicht würde sich das bessern, wenn er sich eingelebt hatte, immerhin war er nicht scharf drauf abzunehmen. Es störte ihn ein bisschen, dass er schon so lange keinen Sport mehr gemacht hatte. Sousuke trainierte ab und zu im Zimmer, indem er Liegestütze und andere Übungen machte, doch für ihn war das irgendwie nichts. Er brauchte Geräte, oder ein Schwimmbecken, eine Strecke zum Joggen…

Die Motivation sich zu bewegen, fehlte Rin auch. Sonst war das nie so gewesen und er hatte sich immer gern bewegt, aber das neue Umfeld, die Regeln und die Ungewissheit, wie sein Leben weitergehen würde, schlugen ihm auf Magen und Psyche.
 

Rin fragte sich sowieso, ob seien Familie ihn nicht vermisste, oder seine Klassenkameraden. Freunde hatte er doch auch…aber was sollten die schon groß an seiner Lage ändern können? Höchstwahrscheinlich war er als vermisst gemeldet worden und es konnte ewig dauern, bis sie ihn fanden – wenn überhaupt.
 

Da es warm im Zimmer war, krempelte der Rothaarige seine Ärmel hoch und wurde wieder auf seine Haare aufmerksam, die gegen den bewegten Stoff rieben. Inzwischen war ein heller, roter Flaum auf seinen Armen zu sehen, den er mit einem genervten Schnatzen der Zunge betrachtete. Dämliche Haare, dämliche Haarfarbe!

Wären sie wenigstens nicht rot, sondern normal, wie bei anderen auch…

Vielleicht hätte Rin seine Haarfarbe nicht so verschmäht, wenn er nicht dafür gehänselt worden wäre. Doch die Erinnerungen an seine Kindertage und der Schmerz, mit dem er diese verband, saßen noch tief. Kinder konnten grausam sein.

In seinen Jugendjahren hatte man auch immer wieder einen blöden Spruch, oder ein Kommentar über den ‚Rotschopf‘ losgelassen, doch da hatte es ihn nicht mehr so viel gestört, weil er sich daran gewöhnt hatte.

Als er an den Härchen herumzupfte, öffnete sich auf einmal die Tür links neben ihm und er sah hoch.
 

„Wo warst du? Hab mich schon gefragt, wo du bist“, ließ Rin seinen Arm sinken und gönnte dessen Haaren eine Auszeit.
 

„Ich musste auch zu meiner Therapiestunde…“, murmelte Sousuke und schloss die Tür hinter sich.
 

Er sah gedankenverloren aus und wirkte nicht so fit wie zwei Stunden zuvor.
 

„Ach so…das hättest du mir auch sagen können“, beschwerte sich Rin, rutschte auf seinem Bett ein Stück zurück und stützte sich mit den Ellenbogen ab, den Größeren beobachtend.
 

„Ich wusste nicht, dass dich das interessiert“, erwiderte der Größere ehrlich und war tatsächlich ein wenig überrascht.
 

„Natürlich interessiert es mich!“, schürzte Rin die Unterlippe und sah Sousuke beleidigt an.
 

Dieser konnte mit der Reaktion des Kleineren nicht viel anfangen, wusste sie nicht zu deuten. War dieser sauer auf ihn? Wenn ja: Weswegen?

Sonst hatte es immerhin auch niemanden interessiert, wenn er mal für ein paar Stunden weg war, oder überhaupt, was er tat.

Sousuke blieb unschlüssig vor der Tür stehen.
 

„Jetzt schau nicht so“, schmollte Rin noch immer und deutete auf das Bett. „Du kannst dich auch hinsetzen.“
 

Es machte ihn nervös, wenn Sousuke ihn so anstarrte und dabei auch noch stand. Er war ohnehin ziemlich groß und da trug es nicht positiv zu ihrer Unterhaltung bei, wenn er auch stand.
 

„Okay“, willigte der Dunkelhaarige verwirrt ein und nahm das Angebot an.
 

So setzte er sich auf Rins Bett und wartete ab. Wollte dieser mit ihm sprechen?
 

„Du hast dich ihnen widersetzt, oder?“, begann Rin nach einer kurzen Weile, in der sie beide geschwiegen hatten.
 

Sousuke sah den Rothaarigen fragend an, da das für ihn völlig aus dem Zusammenhang gerissen klang und er sich folglich dessen nicht sicher war, worauf der andere hinauswollte.
 

„Na bei der Therapie“, blickte Rin zum Größeren, der ihn nicht ansah.
 

„…ab und zu, ja“, antwortete dieser nach einer kleinen Pause.
 

„War es so schlimm, was sie mit dir machen wollten?“
 

„Ja.“
 

Sousuke klang die ganze Zeit schon so, als wäre irgendetwas nicht in Ordnung, so auch bei dieser Antwort. Rin fragte sich, welche Behandlungsmethoden wohl bei ihm angewandt wurden und den Grund dieser wollte er erst recht erfahren.
 

„Hat man dich deswegen auch als potentiell aggressiv eingestuft?“, wollte Rin wissen.
 

Kisumi hatte mal etwas in der Richtung erwähnt und Sousukes stummes Nicken bestätigte dessen Aussage.

Immerhin hatte Rin nun die Gewissheit, dass dessen Taten vor der Einlieferung nicht dafür verantwortlich waren, dass er diese Einstufung erhalten hatte.
 

„Oh man…was ist das für ein Laden“, seufzte der Kleinere und schloss kurz die Augen.
 

In diesem Moment drehte sich Sousuke zu ihm um und betrachtete ihn unbemerkt. Rin schien sich nicht daran zu stören, dass er mehr über ihn erfahren hatte und auch nicht der Folgen für ihr weiteres Zusammenleben, die das beinhaltete. Er hatte vermutet, der Kleinere würde wieder so reagieren, wie als er das erste Mal von Kisumi erfahren hatte, dass er schon öfter mit dem Personal aneinander geraten war.

Als Sousukes Blick zu der freien Haut an Rins Armen gelangte, bemerkte er die roten Haaren, die dort wuchsen. Das erinnerte ihn an eine Frage, die ihm einst vor vielen Jahren durch den Kopf gegangen war: Hatten die Haare von Rothaarigen wirklich überall diese feurige Farbe?
 

Noch bevor seien Gedanken weiter abdriften konnten, wurden die roten Augen plötzlich aufgeschlagen und Sousuke wandte sich ab, da es ihm in diesem Moment unangenehm war, in diese zu blicken. So schön sie auch waren, er hielt ihnen nicht stand.

Während Rin sich fragte, was es zu bedeuten hatte, dass der Größere ihn angesehen, dann den Blick aber wieder abgewendet hatte, als er es bemerkte. Schnell verdrängte er diese Frage, da es noch etwas gab, das er wissen wollte.
 

„Du trainierst doch immer…also gibt es noch eine andere Möglichkeit hier, sich fit zu halten?“, brannte es Rin schon länger auf der Zunge.
 

Auch wenn er gerade nicht gewillt war, sich zu bewegen, so würde sich das sicherlich bald ändern. Daher wollte er so früh wie möglich in Erfahrung bringen, ob und wo er Sport treiben könnte.
 

„Gibt es schon…aber man braucht eine Genehmigung dafür“, erwiderte Sousuke.
 

„Okay…und wo bekomm ich die her?“, spürte Rin auf einmal, dass er es vermisste, seinen Körper zu fordern.
 

„Die kannst du auch bei Miss Amakata holen“, informierte der andere, der diese nicht bekommen hatte.
 

„Warum hast du eigentlich keine? Ist das nicht so dein Fall, oder…“, versuchte Rin ein bisschen mehr über seinen Mitbewohner herauszufinden.
 

Sie lebten seit beinah einer Woche zusammen, wussten aber nicht viel mehr als am ersten Tag übereinander. Sousuke interessierte ihn irgendwie und das nicht nur, weil er ihn gutaussehend fand. Der Größere wirkte mysteriös und hatte bestimmt auch einiges zu erzählen. Außerdem mochte Rin es, dass dieser sportlich aktiv war. Vielleicht würden sie sich ja anfreunden können?

Kisumi meinte zwar, dass Sousuke eher antisozial und sonst keine Freunde in der Anstalt hatte, doch Rin wollte sich so schnell nicht entmutigen lassen. Vielleicht hatte dieser einfach nur noch nicht den richtigen Umgang gehabt.
 

„Ich darf nicht, wegen meiner Einstufung“, gab Sousuke zu.
 

„Oh, ach so…“, war Rin peinlich berührt, weil er das Offensichtliche übersehen hatte und sich fühlte, als wäre er in ein Fettnäpfchen getreten.

Doch der andere zuckte nur leicht mit den Schultern.
 

„Es macht mir nichts aus.“
 

Diese Folge seiner Handlungen nahm er nur zu gerne in Kauf. Lieber wehrte er sich, als alles mit sich machen zu lassen. Er hatte es satt, sich von anderen herumschubsen und bestimmten zu lassen.
 

„Hast du auch Sport gemacht, bevor du hergebracht wurdest?“, nutze Rin die Gelegenheit, da sie ohnehin beim Thema waren, etwas mehr aus Sousuke heraus zu kitzeln.
 

Von sich aus würde dieser nichts erzählen, aber wenn man ihn zu einem günstigen Zeitpunkt fragte, gab er Antwort. Einer dieser Zeitpunkte war in diesem Moment.
 

„Ich war in einem Schwimmclub“, nickte Sousuke.
 

Nachdem sich so lange niemand für ihn interessier hatte, war es ungewohnt für Sousuke, dass sich jemand so intensiv mit ihm beschäftigte. Es war ihm nicht unangenehm, so wie es ihm sonst war, wenn Kisumi ihn ausfragte. Rin war anders.
 

„Wirklich?“, schwang sich Rin überrascht nach vorne, sodass er nun näher beim anderen saß. „Ich auch!“
 

Ein breites Grinsen, bei dem seine spitzen Zähne sichtbar wurden, schlich sich auf sein Gesicht. Offenbar lag er in einem Punkt schon einmal richtig, dass sie sich gut verstehen würden. Sie waren dem gleichen Sport nachgegangen, bevor man sie in di Anstalt gebracht hatte, das war doch schon einmal etwas!
 

Überfordert von Rins Reaktion, blinzelte Sousuke ihn an, freute sich innerlich aber auch etwas. Zu ungewohnt waren positive Emotionen, als dass er sie nach außen hätte zeigen können. Das musste er wohl erst wieder lernen.

Ihm fielen bei nun auch die des Kleineren Zähne auf, die gerade gut zu sehen waren. Solche hatte er noch nie zuvor gesehen: Sie ähnelten denen von Haien, auch wenn sie nicht in drei, sondern in einer Reihe vorlagen. Das wäre anders auch wirklich sehr seltsam gewesen, nicht dass die ungewöhnliche Form nicht schon seltsam genug war. Sousuke gefiel das auf eine Art, die er nicht zuzuordnen wusste. Rin wies allgemein viele seltene Merkmale auf, die ihn für den Größeren interessanter wirken ließen. Das würde auch Sousuke Verhalten diesem gegenüber erklären, das sich von seinem anderen Menschen gegenüber unterschied.
 

Der freudige Ausdruck wich allerdings genauso schnell wieder aus Rins Gesicht, wie er gekommen, als ihm bewusst wurde, dass er wohl noch lange dauern würde, bevor er wieder in ein Schwimmbecken gelangen würde…
 

Um wieder auf das Ausgangsthema zurück zu kommen, betrachtete der Rothaarige sein gegenüber nun eindringlich. Die roten Augen suchten den Körper des Größeren nach vermeintlichen Anzeichen dafür ab, ob dieser Schmerzen hatte.

Sousukes türkisfarbene Augen beobachteten den Kleineren. Welche Intention hatte dieser dabei, ihn so zu mustern?
 

„Heute haben sie dich aber in Ruhe gelassen, oder?“, lüftete dieser endlich das Geheimnis.
 

„Ja, mir geht’s gut“, bestätigte Sousuke.
 

„Gut zu hören“, lächelte Rin ihm zu und verwirrte den Größeren dadurch einmal mehr an diesem Tag.

Der Schrecken trägt ein Lächeln im Gesicht

In den folgenden Wochen änderte sich an Rins Behandlung nicht viel. Diese bestand nach wie vor aus Gesprächen mit Dr. Masefield, bei denen er größtenteils ausgefragt wurde und nach ihnen nicht schlauer als vorher war. Geschweige denn davon, dass sie ihn ‚heilten‘ – sofern das überhaupt möglich wäre.
 

Eines Tages nach dem Unterricht nutzte Rin die Gelegenheit, um Miho Amakata auf die Genehmigung für die Nutzung der Fitnessräume in der Anstalt anzusprechen. Diese teilte ihm jedoch mit, dass er erst nach drei Monaten einen Antrag stellen konnte, wenn sie sich ein Bild über sein Verhalten gemacht hätten. Sie wusste natürlich, weswegen er behandelt wurde und teilte ihm leise mit, dass er sich nicht allzu große Hoffnungen machen sollte, bei seinem ‚Krankheitsbild‘.
 

Nach diesem Gespräch, stampfte Rin wütend in Richtung Aufzüge. Die anderen waren schon mal zur Mensa vorgegangen, da es Zeit fürs Mittagessen war. Er musste seiner Wut irgendwie Platz machen, wusste aber nicht wie.

Als er sich zu den anderen gesetzt hatte, stocherte der Rothaarige eher in seinem Essen herum, als dass es aß.

Das weckte Kisumis Aufmerksamkeit, der natürlich sofort wissen wollte, was los war.
 

„Ach nichts“, gab Rin schnippisch zurück und steckte sich dann doch einen Bissen in den Mund, um nichts weiter antworten zu müssen.
 

„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, beäugte der Größere den Neuen nun.
 

„Wenn er nicht reden will, lass ihn“, schaltete sich nun Sousuke ein, der es nur zu gut verstehen konnte, wenn man nicht jedem alles erzählen wollte.
 

„Na schön“, seufzte Kisumi und fragte sich, was mit seinen selbsternannten Freunden nicht stimmte.
 

Diese weiter auszufragen hatte aber auch keinen Sinn, da er sich sonst wieder beim Dunkelhaarigen unbeliebt machen würde. Darauf, sich erneut mit diesem zu streiten, hatte er gerade keine Lust und so erhob sich Kisumi bald von seinem Platz, als er fertig mit essen war.

Dafür stolzierte er nun zu einem anderen Tisch, an dem ein Mädchen mit hellbraunen Haaren saß, ließ sich nieder und begann mit diesem zu sprechen.

Rin beobachtete die Szene für einen kurzen Moment, ehe er das Interesse verlor und  sich seinem Tablett widmete.

Kisumi hatte anscheinend viele Kontakte in der Anstalt.
 

Auch nach dem Mittagessen hatte sich Rins Laune nicht erheblich gebessert. Er sah noch immer mit zusammengezogenen Augenbrauen drein, so als würde er in seinen Gedanken mit jemandem streiten. Sousuke war das nicht entgangen, jedoch wusste er nicht, ob und wie er den anderen darauf ansprechen sollte.

Sie hatten beschlossen, in den Aufenthaltsraum zu gehen und ein wenig fern zu sehen. Im 6. Stock gab es eine große Couch für die Insassen, auf der sie sitzen konnten und in deren Nähe ein größerer Bildschirm stand.

Rin verstand zwar nichts, aber es war zumindest unterhaltsam. Die einzige Form von Unterhaltung, die man hier bekommen konnte, wenn man keine Leseratte war.
 

Kisumi war nicht mit ihnen gekommen und so saßen die beiden fast alleine im 6. Stockwerk auf der Couch und sahen eine Sportsendung. Jedoch wirkte Rin nicht so, als würde er das wahrnehmen, das sich vor seinen Augen auf dem Fernseher abspielte. Er schien in Gedanken, hatte aber noch immer diesen missmutigen Blick im Gesicht.
 

„Stimmt irgendetwas nicht?“, entschied sich Sousuke dazu, doch nachzufragen.
 

„Ach…Schwester Amakata meinte, dass ich mit das mit den Fitnessräumen wahrscheinlich abschminken kann“, gab Rin genervt von sich.
 

Dabei richtete sich sein Unwille nicht gegen Sousuke, der ihn angesprochen hatte, sondern gegen den dämlichen, ignoranten Grund, weswegen ihn man womöglich keinen Sport in diesen Räumen treiben lassen würde.
 

„Warum das?“, hakte der Größere erstaunt weiter nach.
 

Dass man ihn wegen seines Verhaltens nicht hinein lassen wollte, war relativ nachvollziehbar, doch was hatte der Rothaarige denn getan, dass ihm das auch verwehren wollte?

Bisher hatte Sousuke gedacht, Rin wäre einer der Insassen, die nicht wegen Straftaten, die man auf psychische Erkrankungen zurückführen konnte, sondern zu ihrem Selbstschutz eingeliefert wurden. Sollte dieser letztendlich doch etwas Schlimmes getan haben?
 

„Na ja…also…“, drückte sich Rin vor der Antwort und wurde rot um die Nase.
 

Er wollte sich nicht outen. Das hatte er noch nie zuvor getan. Natürlich war er in Schwulenbars und Clubs gegangen, doch da war seine Orientierung selbstverständlich gewesen und er hatte es nicht aussprechen müssen. Des Weiteren konnte er nicht einschätzen, wie sein Gegenüber auf diese Information reagieren würde.

Zuvor war nie ein verwandtes Thema zwischen ihnen aufgekommen, von dem er ableiten hätte können, wie Sousuke zu Homosexuellen stand. Die meisten Russen waren doch sehr intolerant und es gab sogar Gesetzte, die Gewalt gegenüber sexuell anders Orientierten legalisierte. Da der Größere in diesem Land aufgewachsen war, war es gut möglich, dass er genauso dachte. Es könnte auch sein, dass Sousuke anders war, doch trotzdem fürchtete Rin sich vor dessen Reaktion.
 

„Kann ich dir das auch wann anders sagen?“, bat der Rothaarige, dessen Gesichtsfarbe mit der seiner Haare konkurrierte, seinen Gesprächspartner.
 

Dieser konnte mit Rins Gesichtsausdruck nicht viel anfangen, zumindest nicht in diesem Kontext. Sousuke erkannte wohl, dass diesem irgendetwas peinlich zu sein schien, konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, was das sein sollte. Sie hatten doch über nichts Unanständiges geredet, oder hatte er etwas verpasst?
 

„Klar“, nickte er daraufhin einfach, ziemlich verwirrt und nachdenklich.
 

Rin verhielt sich ganz und gar nicht wie ein Straftäter, sondern eher wie ein Hilfsbedürftiger. Was war also der Grund, dass dieser die Genehmigung nicht bekommen durfte?
 

Der Aufzug hielt im 6. Stock und ein inzwischen nur zu gut bekanntes Gesicht erschien zwischen den Schiebetüren. Violette Augen sahen sich forschend um und entdeckten was sie suchten.
 

„Da seid ihr ja!“, eilte er mit dem Mädchen von zuvor auf Sousuke und Rin zu, die sich nach ihm umdrehten.
 

„Rin, das ist übrigens Chigusa“, stellte er die Brünette dem Neuen vor.
 

„Hey“, grüßte der Rothaarige sie kurz, da er zu überrascht war, um mehr zu sagen.
 

„Ich würde ja ‚Herzlich Willkommen‘ sagen, aber ich denke, wir sind alle außerhalb dieser Mauer glücklicher“, ließ sie sich auf der Couch nieder.
 

Damit sprach sie wohl allen Anwesenden aus der Seele. Rin ahnte bereits, dass er sich mit Chigusa gut verstehen würde. Diese wirkte nicht nur normal auf ihn, sondern hatte auch eine für ihn sehr sympathische Art an sich.
 


 

„Chi-chan ist am längsten von uns hier“, informierte Kisumi ein wenig später Rin, der ihm interessiert zuhörte. „Sie kam schon mit 13 her…“
 

Ausnahmsweise gab dieser etwas Sinnvolles von sich, wenn er doch meist über belanglose Dinge redete, wie seine Affären, oder den neusten Klatsch in der Anstalt. Ja, anscheinend gab es das auch an diesem Ort, auch wenn sich die Themenvielfalt in Grenzen hielt und die Nachrichten meist nicht ganz so erfreulich ausfielen.
 

Aus Kisumis Bericht ging hervor, dass Chigusa die Tochter eines bekannten Politikers war und aus dessen Sorge um sie vor drei Jahren eingeliefert worden war. Angeblich leide sie unter Halluzinationen, doch das konnte Kisumi nicht bestätigen, da sie sich in seiner Gegenwart immer normal verhalten habe.

Rin stellte in Gedanken bereits Vermutungen an, dass wohl nicht alle Patienten wegen ihrer tatsächlichen Probleme behandelt wurde, sondern sich Krankheiten ausgedacht, oder falsch zugeschrieben wurden. Falls er richtig lag, wollte er sich gar nicht ausmalen, wie die Chancen standen, dass er in absehbarer Zukunft hier herauskam…
 


 

Bis sie alle zu ihrer Therapiestunde mussten, verbrauchten sie den Nachmittag im Aufenthaltsraum. Als sie los mussten, war Kisumi bester Laune, Chigusa schien ruhiger als zuvor und Sousuke wirkte auch nicht begeistert. Rin hatte einfach nur keine Lust, da ihm die Fragerei nicht nur auf die Nerven ging, sondern auch unangenehm war…je nach dem welche Fragen gestellt wurden. Diese waren manchmal doch sehr intim, sodass er teilweise gar nicht antworten konnte, weil es ihm zu peinlich war. Dr. Masefield hatte das letzte Mal mit einem zuckersüßen Lächeln prophezeit, dass wenn Rin nicht mit der Sprache herausrücken würde, er andere Seiten aufziehen würde.

Mit dieser Masche hatte er einiges aus dem Neuen herauskitzeln können, jedoch längst nicht alles, was er wissen wollte…

Welche Methoden er auf Lager hätte, um zubekommen, was er wollte, ahnte Rin nicht, sonst wäre er nicht so ruhig gewesen, als er das Zimmer in der 2. Etage betrat. Dass es nun schon einen Monat seit seiner ersten Therapiestunde her war, war ihm auch nicht bewusst. Genauso wenig, dass das bedeutete, dass die ‚Testphase‘, in der er sich derzeit ohne es zu wissen befand, bald vorüber sein würde.
 

„Oh, you’re already here“, begrüßte Dr. Masefield seinen Patienten mit ungewöhnlich guter Laune. „I want to try something new today, if you don’t mind.“
 

Als hätte Rin eine Wahl gehabt. Er erwiderte darauf nichts, sondern ließ sich auf dem Stuhl gegenüber des Pults nieder, hinter dem der Psychologe saß, wie er es meistens tat.
 

„Oh, no….you’ll be sitting there for today“, deutete der Arzt auf die Liege, welche etwas weiter hinten im Raum stand und neben der eine seltsame Apparatur stand, die Rin nicht bekannt vorkam. Langsam bekam er doch etwas Angst. Was hatte Dr. Masefield mit ihm vor?
 

„Oh my! Don’t look so scared! It’s just a lie detector”, lächelte der Arzt sein Lächeln, das nie bis zu den Augen vordrang.
 

Es hätte wirklich schlimmer sein können, doch Rin war es trotzdem nicht wohl zu mute, als er sich zur Liege begab und der etwas größere Mann ihm folgte. Warum mussten die Leute hier auch alle so groß sein? Nicht, dass er sich ohne diesen Faktor schon eingeschüchtert genug fühlen würde…
 

„I must ask you to strip down for it, since I need to apply a few sucker to your body.“
 

Na super…jetzt durfte er sich auch noch ausziehen. Und das gerade zu dem Zeitpunkt, an dem er sich noch immer nicht hatte rasieren können. Natürlich war Rin ein Schwimmer und es gewöhnt, nicht viel Kleidung am Körper zu tragen, doch das hier war etwas vollkommen anderes als zu schwimmen!

Er wollte sich nicht vor einem fremden Mann ausziehen…erst recht nicht, wenn er sich nicht wohl in seinem Körper fühlte!
 

„Do I really have to?“, fragte Rin nach, obwohl er die Antwort bereits kannte.
 

Sousuke hatte ihm außerdem gezeigt, welche Folgen sein Widerstand gegen eine Anordnung haben würde. Daher war seine Stimme auch sehr unsicher und leise als er sich an den Arzt wandte.
 

„It’s just your shirt“, lachte Dr. Masefield, sichtlich amüsiert darüber, dass der Teenager sich genierte.
 

Rin war ganz und gar nicht zum Lachen zumute, doch er tat, wie ihm geheißen und zog sich das graue Shirt über den Kopf. All seine Kleidung war so schrecklich formlos und eintönig, genau wie diese verdammten weiß gekachelten Wände, die er anstarrte, weil er nicht zu dem Mann sehen wollte, der sich von hinten auf ihn zubewegte.
 

„May I ask you to sit down?“, kam dessen Stimme so schrecklich gespielt freundlich, dass es Rin das Blut in den Adern gefrieren ließ.
 

Gänsehaut breitete sich auf seinem gesamten Körper aus, als er sich umdrehte und setzte. Er versuchte sich einzureden, dass gar nichts Schlimmes passieren konnte und er wieder nur Fragen beantworten müsste. Dass er dabei an eine Maschine angeschlossen wurde, die den Wahrheitsgehalt seiner Antworten bestimmen würde, bemühte er sich auszublenden.
 

Als die Saugnäpfe mit kühlem Gel an seinem Körper befestigt wurden, zuckte Rin jedes Mal zusammen. Dr. Masefield schien das sehr zu amüsieren, genau wie die Tatsache, dass sein Patient sich nicht traute, ihn anzusehen. Zu schade, dass dieser kein Mädchen war, das hätte das Bild perfekt abgerundet. Andererseits hatte er gerade auch nicht wirklich Lust auf Sex, sondern wollte sich lieber an dem psychischen Terror ergötzen, den er seinem neuen Opfer noch zufügen würde. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, doch der Zeitpunkt spielte ohnehin eine unbedeutende Rolle.
 


 

Ein paar Zimmer weiter, erging es Sousuke nicht besser, der sogleich von einer Krankenschwester untersucht werden würde. Die routinemäßige Kontrolle, die er jeden Monat nach einer seiner Therapiesitzungen über sich ergehen lassen musste.

Als er sich auszog, versuchte er sich mental auf das bevorstehende vorzubereiten, um nicht wieder auszurasten. Das war schon sehr oft passiert, weswegen er wohl ewig als potentiell gefährlich eingestuft bleiben würde, wenn sich diese Vorfälle häuften. Dabei konnte er nichts für seine Reaktionen, die wie ein Reflex waren.

So als schlüge man mit einem Hämmerchen auf das Knie, sodass es ausschlage, lösten bei ihm Berührungen auf nackter Haut Panik und unkontrolliertes Verteidigen aus.

Dass es ausgerechnet Nicole Harmann war, die ihn examinieren würde, verschlimmerte die Lage für den Dunkelhaarigen. Diese war dafür bekannt, dass sie insbesondere männlichen, aber auch weiblichen Patienten, gerne mal an Stellen fasste, an denen ihre Hände auch bei einer medizinischen Untersuchung nichts zu suchen hatten.

Sousuke hatte ihr mal die Hand gebrochen, als sie ihm zwischen die Beine gefasst hatte. Seit dem versuchte sie das nicht mehr, doch die Erinnerung und der damit verbundene Ekel blieben. Bei jeder Berührung von ihr, kamen diese wieder hoch, sodass er sich zusammenreißen musste, um nicht auszuholen und zuzuschlagen.

Es war nicht einmal der Fall, dass er ihr wehtun [style type="italic"]wollte[/style], vielmehr war es ein Drang, dass er es tun [style type="italic"]musste[/style].

Als sie ihn abtastete und dabei an seinem Unterbauch angelangte, schnaubte Sousuke verhalten. Man konnte deutlich hören, dass es ein Warnsignal gewesen war, dass sie bis hier und nicht weiter gehen sollte.
 

„You don’t have to be shy with that body of yours~“, säuselte sie mit einer Erregung in der Stimme, die es Sousuke übel werden ließ.
 

Als wäre das nicht genug gewesen und als hätte sie seine stumme Warnung nicht verstanden, fuhr sie ungehalten fort. Ihre Hand glitt tiefer und-

Der junge Mann fuhr mit einer raschen Bewegung zurück, entwand sich ihrem Griff und schlug sie mit der flachen Hand ins Gesicht.

In diesem Moment war er nicht Herr seiner Sinne. Der blanke Ausdruck seiner Augen spiegelte den Zustand seines Verstandes wider.
 

„Oh no, you didn’t!“, fuhr sie ihn nun an und tastete nach einer Metallschale, die auf dem Tisch hinter ihr lag und in der sich bis vor einer Sekunde noch Wattestäbchen und Pads befunden hatten, die sich nun auf dem Boden verteilten.
 

Damit verpasste ihm einen Schlag an die rechte Wange, der ihn mit einem hässlichen Geräusch wieder in die Realität zurückholte. Mit keuchendem Atem fuhr sich Sousuke über die schmerzende Stelle im Gesicht. Seine Finger waren an den Kuppen blutig, die seine Haut berührt hatten. Was um alles in der Welt war gerade geschehen? Hatte er wieder…?
 

„Put your clothes back on and leave“, wies sie ihn mit bebender Stimme an und deutete auf die Tür zum Flur.
 

Man konnte der Schwester ansehen, dass sie es mit der Angst zu tun bekommen hatte, als der wesentlich größere und stärkere Teenager sie auf einmal geschlagen hatte. Ein roter Abdruck prangte ihr im Gesicht, Blut lief ihr aus der Nase und ein gehetzter Ausdruck glänzte in ihren Augen. Sie war zu weit gegangen…mal wieder.

Sousuke beeilte sich, ohne seine oder ihre Aktionen weiter zu hinterfragen, sich seine Kleidung wieder überzustreifen, wobei er nach den Shorts, der Hose und den Schuhen der Meinung war, dass das genügte und eilte mit seinem Oberteil in der Hand nach draußen auf den weißen Gang.
 

Wie mechanisch schritt er in Richtung seines Zimmers und krallte seine Finger dabei unbewusst in das Kleidungsstück, das er in Händen hielt. Seine blutende Wange blendete er für den Moment ebenfalls aus. Zu beschäftigt war Sousuke damit, die Erinnerungen, die sich durch die Berührungen an die Oberfläche zu kämpfen versuchten, hinunter zu drücken. In die Abgründe, aus denen sie gekrochen kamen.

Mit apathischem Blick schritt Sousuke den Flur entlang, bog links ab und war somit in nächster Nähe des Zimmers 207.

Von der anderen Seite kam Rin gerade angetrottet, der mit gesenktem Blick, peinlich berührt und sich den Kopf zerbrechend das komplette Gegenteil von Sousuke war. Dessen Verstand arbeitete in diesem Augenblick überhaupt nicht, er spürte seinen Körper kaum und war sich nichtbewusst, wo er war, oder was er tat. Das grelle Weiß, ließ die Szene für beide wie ein Traum erscheinen.
 

„Sousuke?“, entwich es Rin erschrocken, als er den Blick hob, um sich ursprünglich der Zimmertür zuzuwenden und diese zu öffnen, der stattdessen aber an der blutenden, halb nackten Gestalt hängen blieb.
 

Sousuke hielt inne, als er die Stimme hörte und blinzelte mehrere Male, sodass der Glanz ins eine hellen Augen zurückkehrte. Er sah zuerst Rin, dann spürte er erst den Schmerz im Gesicht und nahm schließlich auch die Kälte um seine obere Körperhälfte wahr.
 

„Rin…?“, kam es mit schwacher Stimme vom Größeren, der die letzten paar Schritte zu diesem überbrückte.
 

Der Kleinere wusste absolut nicht, wie er sich verhalten sollte, beschloss aber, dass es das Beste wäre, zunächst ins Zimmer zu gehen. Dort könnte er den anderen immer noch über dessen Zustand befragen und wie es dazu gekommen war. So zog er die Schlüsselkarte durch das Schloss, ließ den Größeren ein und schloss die Tür hinter sich.
 

„Was ist passiert?“, erschienen Rin seine eigenen Probleme in diesem Augenblick klein und unbedeutend.
 

Was auch immer man Sousuke angetan hatte, war schlimmer als seine unangenehme, erniedrigende Unterhaltung mit dem Psychologen.
 

„Ich weiß nicht genau…“, stand Sousuke ziemlich hilflos wirkend im Raum, sodass Rin ihn am Arm berühren und in Richtung Bett ziehen wollte, dass er sich hinsetzen und ausruhen könnte.
 

Das entpuppte sich allerdings als Fehler, denn als die Hand den Arm berührte, zuckte der Größere zusammen und wich einen Schritt zurück.
 

„Fass mich nicht an“, gab Sousuke nun grimmig von sich, bevor ihm klar wurde, dass der andere ihm nur hatte helfen wollen.
 

Dessen erschrockener, besorgter Blick ließ keine böse Intention vermuten und so beruhigte sich der Größere schnell wieder. Währenddessen frage sich Rin, was geschehen sein musste, dass Sousuke in einem derartig misslichen Zustand zurückgekehrt war, das Oberteil noch immer umklammernd.
 

„Tut mir leid…ich weiß auch nicht, was…“, entschuldigte sich Sousuke, lockerte endlich seinen Griff und das Shirt fiel zu Boden.
 

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und kniff sie fest zusammen. Dabei versuchte er sich zu sagen, dass es jetzt vorbei war. Er war wieder in seinem Zimmer, in Sicherheit. Rin wollte ihm nichts Böses, sondern nur helfen. Sich das klar vor Augen zu führen half, dass er sich entspannte.
 

„Schon okay“, nuschelte Rin, der sich nicht zu helfen wusste.
 

Er schämte sich dafür, dem anderen zuerst nicht geglaubt zu haben, als dieser ihm die Narben gezeigt und ihn gewarnt hatte. Nun hatte er den Beweis dafür, dass er nicht gelogen hatte…
 

„Kann ich irgendwas für dich tun?“, wollte der Kleinere noch immer helfen, wusste aber nicht, ob er das überhaupt konnte.
 

Sousuke schien nicht nur körperlich verletzt zu sein, sondern auch total verstört. Welche Ursache das auch haben mochte, die Auswirkungen waren eindeutig zu sehen. Langsam konnte Rin sich auch zusammenreimen, weswegen Sousuke sich nicht berühren lassen wollte. Es musste wohl etwas mit dessen Behandlungen zu tun haben, bei denen man ihn des Öfteren physisch verletzte. Da war es nur logisch, dass dieser so extrem auf jeglichen Körperkontakt reagierte.

Doch dass Sousukes Reaktionen auf Berührungen von Menschen mit Panik und Aggression waren, hatte einen vollkommen anderen Ursprung, als Rin ahnte.
 

„Ich weiß nicht“, ließ Sousuke seine Hand sinken und beschloss, sich dann endlich das Oberteil anzuziehen.
 

Ihm war richtig kalt geworden, was auch kein Wunder war, da es Ende November war und es trotz der Klimaanlage im Gebäude kühler auf den Fluren und in den übrigen Räumen wurde.
 

„Soll ich mir deine Wunde mal ansehen?“, bot der Kleinere ihm nun an, woraufhin der nach kurzem Zögern nickte.
 

„Gut. Dann setz dich aufs Bett und warte!“, wies Rin Sousuke dann an, ehe er im Bad verschwand.
 

Nicht viel später eilte der Rothaarige schon wieder ins Zimmer zurück, mit einem feuchten Tuch, sowie einigen Pads bewaffnet. Er kniete sich vor dem Größeren auf den Boden und beugte sich näher zu diesem, um die Wunde zu betrachten. Sousuke schreckte dabei leicht zurück, weil er diese Nähe nicht gewöhnt war.
 

„Ich will es mir nur anschauen, okay?“, beschwichtigte Rin ihn mit ruhiger Stimme.
 

Der gute Zuspruch half tatsächlich und Sousuke entspannte sich etwas, neigte seinen Kopf dem Kleineren zu und schloss die Augen. Das war das Startsignal, dass dieser mit was auch immer er geplant hatte, anfangen konnte.

Zunächst tupfte Rin vorsichtig das Blut mithilfe des Tuches ab, ehe er einen Großteil des Bluts auf Sousukes Wange mit den Pads entfernte. Nachdem dies erledigt war, sah die Wunde nicht mehr ganz so schlimm aus und der Keiner atmete auf. Er hatte schon befürchtet, es wäre etwas ernsteres, doch wie es aussah, war es nur eine Prellung.
 

Das Grau der Nacht flutete den Raum mit einer beruhigenden, aber auch stillen Dunkelheit, als Sousuke seine Augen aufschlug, deren helles Funkel einen größeren Kontrast zu seiner Umgebung bildete, als sie es bei Tag vermocht hätten. Der Ausdruck in ihnen war vollkommen sanft und unschuldig, aber auch dankbar über die unverhoffte Hilfe.

Rin blickte mit leicht geöffnetem Mund für eine Weile einfach nur in diese schönen Augen, bevor er sich bewusst wurde, was er tat. Schnell erhob er sich und beeilte sich, die schmutzigen Pads in den Mülleimer zu werfen.
 

Sein Herz schlug viel zu schnell, als dass man es auf die plötzliche Bewegung, oder die schon längst verklungene Aufregung hätte schieben können. Für einen Moment verharrte Rin im Bad und haderte mit sich, ob es eine gute Idee wäre, sofort ins Zimmer zurück zu kehren. Sousuke hatte eine umwerfend starke Wirkung auf ihn, sodass er befürchtete sich in diesen zu verlieben, wenn das so mit ihnen weiter ging.

Dessen türkisene Augen, die ihn so vollkommen hilflos angesehen hatten, wollten so gar nicht zu dessen übrigem Erscheinungsbild passen, das er sehr attraktiv fand. Wie man es auch drehte, Rin war sich bewusst, dass er zumindest mal körperlich total auf seinen Mitbewohner stand. Doch da war noch etwas Anderes, das ihn zu Sousuke zog und ihn veranlasste, seine Bedenken bei Seite zu schieben und ins Zimmer zurück zu gehen.
 

Der Größere verharrte nach wie vor in seiner Position auf dem Bett sitzend, den Oberkörper nach vorne geneigt. Er schien seiner unbewegten Pose nach zu urteilen, über irgendetwas nachzudenken. Rin wollte ihn dabei nicht stören und stand wie angewurzelt im Zimmer, den anderen beobachtend.

Was hatte man Sousuke angetan? …oder: Was hatte dieser getan, dass man ihm eine solche Verletzung zugefügt hatte?
 

Nach kurzem Abwägen entschied sich Rin dazu, diesen danach zu fragen, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war. Und da es Sousuke besser zu gehen schien, schritt er nun auf diesen zu und blieb vor ihm stehen.
 

„Kann ich mich zu dir setzen?“, zögerte Rin etwas, ehe er die Frage leise formulierte.
 

Er wollte die stille, friedliche Atmosphäre nicht durch zu laute Geräusche zerstören und den Größeren erst recht nicht erschrecken. Dieser nickte langsam, einen Punkt am Boden fixierend und abwesend in die Ferne schauend.
 

„Was ist passiert?“

Ein Lichtblick inmitten des Tunnels

Zum ersten Mal saß Rin auf Sousukes Bett und hätte diesem Ereignis unter anderen Umständen wohl eine größere Bedeutung zugeschrieben, doch angesichts der bedrückten Stimmung machte er sich über solche Dinge momentan keine Gedanken.
 

Auf seine Frage hin, was geschehen sei, hatte man ihm bisher noch keine Antwort gegeben, doch das war auch verständlich. Immerhin hatte Sousuke seines apathischen Zustand und seiner Prellung im Gesicht nach zu urteilen in der letzten Stunde einiges durchgemacht.
 

„Wenn du es nicht sagen willst, ist es auch okay“, merkte Rin nach einer Weile an, in der sie schweigend nebeneinander gesessen hatten.
 

„Nein…es ist nur, dass“, begann Sousuke leise, mit ungewohnt brüchiger Stimme. „Sie hat das schon öfter getan…ich dachte, sie hätte damit aufgehört, aber…“
 

„Was meinst du?“, wusste der Kleinere absolut nicht, wovon der andere sprach. „Wer macht was?“
 

„Die eine Schwester…sie hat mich heute untersuchen sollen“, fand der Dunkelhaarige langsam seine Sprache wieder und ordnete seine Gedanken.
 

Ihm fiel es nicht leicht, darüber zu sprechen, da er das noch nie zuvor getan hatte. Als er einst versuchte, jemandem seine Probleme anzuvertrauen, hatte man ihm nicht geglaubt. Noch schlimmer: Er war als Schuldiger an den Pranger gestellt worden.

Seit dem schwieg Sousuke über alles Unrecht, das man ihm antat, still.

Auch in diesem Augenblick hatte er Angst, dass Rin ihm nicht glauben würde.
 

„Was hat sie gemacht?“, hakte der Kleinere mit einem unguten Gefühl in der Brust weiter nach.
 

Er ahnte, dass diese Ausführung in keine gute Richtung gehen würde, doch er hatte nachgefragt und wollte es erfahren. Sousuke hatte diese Behandlung sicherlich nicht verdient und falls doch…nein, das war absurd. Jemand, der einen so hilflosen Eindruck erweckte, konnte zu keiner Bosheit fähig sein, richtig?
 

„Sie…hat wieder versucht mich anzufassen, also untenrum…“, kam es dem Größeren nur schwer über die Lippen. „Das hat sie schon mal gemacht und da hab ich…ich hatte mich nicht unter Kontrolle.“
 

Sexuellen Missbrauch gab es wohl wirklich überall, sodass es Rin nicht überraschen sollte, dass dieser auch in einer Anstalt stattfand. Dennoch riss er erschrocken die Augen auf und drehte sich zu Sousuke um, als dieser ihm seine Erlebnisse berichtete. Dabei verkrampfte er sich total, presste seine Hände gegeneinander und drückte fest zu, sodass die Knöchel hervortraten.
 

„Hast du ihr heute auch wieder weh getan?“, fragte Rin vorsichtig nach. Sein Herz schlug so schnell, als wolle es aus seiner Brust springen.
 

„Ich glaub schon“, war sich Sousuke dessen nicht mehr sicher.
 

Er hatte einen Filmriss, ausgelöst durch die Panik, und erinnerte sich folglich dessen nicht mehr vollständig an seine Handlungen im Behandlungsraum.
 

„Wenn es stimmt, was du sagst, solltest du dich deswegen nicht schuldig fühlen. Du hast dich nur gewehrt, richtig?“, fasste Rin sich wieder und sprach mit fester Stimme.
 

Vollkommen überrascht von den Worten des Kleineren, hob Sousuke den Blick und sah zu diesem. Nicht nur hatte dieser wider seiner Vermutung ihm glauben geschenkt, sondern stellte sich augenscheinlich auch noch auf seine Seite. Hinzu kam, dass er ihn versorgte und sich um ihn gekümmerte. Auch dies war eine Tat, die sonst noch keiner für ihn vollbracht hatte.
 

„Außerdem haben es diese Mistkerle hier verdient“, fuhr der Rothaarige weiter fort, nun ein wenig rot, da der Größere ihn musterte.
 

„…haben sie dir auch was getan?“, fand Sousuke seine Sprache endlich wieder.
 

Rin war immerhin auch bei einer Therapiesitzung gewesen, bevor sie sich auf dem weißen, viel zu lang erscheinenden, Flur getroffen hatten. Wie es diesem bisher ergangen war, wusste er nicht, da er nicht nachgefragt und der andere nichts erzählt hatte. Sie wohnten nun zwar seit einem Monat im selben Zimmer, standen sich aber noch nicht so nahe, dass sie einfach drauf los redeten und dem anderen alles erzählten.
 

„Nein…also nicht wirklich“, erwiderte Rin murmelnd, weil er sich nun, da es Sousuke besser zu gehen schien, wieder an seine unliebsamen Erfahrungen erinnerte. „Dr. Masefield hat mich an so eine komische Maschine angeschlossen…einen Lügendetektor, glaub ich.“
 

„Warum macht er das?“, zog Sousuke skeptisch seine Augenbrauen zusammen.
 

„…na ja, ich wollte ihm nicht immer auf alles antworten und hab denk ich auch ab und zu zu offensichtlich gelogen“, umschrieb der Kleinere den wahren Grund, dessen er sich nicht einmal selbst sicher war. „Es ist auf jeden Fall nicht schön, an dem Teil zu hängen, aber mit deinen Erfahrungen kann man das schlecht vergleichen…“
 

„Jeder empfindet etwas anderes als schlimm“, schüttelte der Größere den Kopf. „Nur weil man mit dir nicht das gleiche wie mit mir macht, heißt das nicht, dass es weniger schlimm ist.“
 

Rin war aufgefallen, dass Sousuke in letzter Zeit mehr als sonst mit ihm sprach. Vielleicht weil sie sich etwas näher kennen gelernt hatten. In jedem Falle mochte er es, wenn sich dieser mit ihm auseinandersetzte. Es tat gut, sich mit einem Leidensgenossen austauschen zu können.
 

„Schon…aber er hat mich immerhin nicht angefasst. Nur die Saugnäpfe waren unangenehm kalt“, meinte Rin nun, der Sousuke zustimmte, wenn er auch der Meinung war, dass die grabschenden Schwester wesentlich schlimmer als der grinsende Psychologe war. Wenn er sich da mal nicht irren sollte…
 

„Du magst Kälte nicht besonders, oder?“, bemerkte der andere.
 

„Nein…“, ließ Rin den Kopf hängen. Es wurde Winter und er hatte gehört, dass diese in Russland besonders unangenehm sein sollten. Eindeutig nicht seine Klimazone.
 

„Das Gebäude hat zwar eine Klimaanlage, aber dadurch, dass es ein alter Bau ist, ist es nicht gut isoliert und die Winter können hart sein“, teilte Sousuke dem Kleineren mit, den diese Information nicht gerade aufheiterte.
 

„Oh man…ich frag mich echt, was ich hier soll“, seufzte der Kleinere, der damit unbewusst wieder auf das noch immer unbeantwortete Thema zurückgekommen war, das da wäre:
 

„Hm…du hast mir immer noch nicht gesagt, weswegen man dich überhaupt hier her gebracht hat. Für mich wirkst du nicht wie jemand, der an einen solchen Ort gehört“, bemerkte der Dunkelhaarige und beobachtete seinen Gesprächspartner dabei aufmerksam. Dass dieser nervös war, konnte selbst er erkennen.
 

Rin war aber auch wirklich nicht gut darin, seien Gefühle zu verstecken, doch das war angesichts dessen, dass sich Sousuke schwer im Deuten von Menschen tat, gar keine schlechte Eigenschaft. Vielleicht verstanden sie sich auch deswegen so gut.
 

„Gehöre ich auch nicht…also wenn es nach mir geht“, sah Rin auf seine Füße und stützte sich nach hinten mit den Händen auf dem Bett ab.
 

„Nicht?“, ließ Sousuke den anderen unterschwellig wissen, dass er gerne erfahren würde, weswegen das so war.
 

Auch wenn sie langsam begannen einander mehr zu vertrauen, fühlte er sich nicht wohl dabei, sich dem anderen [style type="italic"]an[/style]zuvertrauen. Andererseits glaubte Rin inzwischen nicht mehr, dass dieser ihm weh tun würde, nicht nach diesem Nachmittag. Sousuke strahlte für ihn keine Gefahr aus.

Dieser fragte sich in diesem Moment, weswegen der Kleinere so ein Geheimnis aus dem Grund seiner Einlieferung machte. Dass er selbst das auch tat, war ihm bewusst, doch er hatte einen triftigen Grund dazu. Wenn der andere niemanden umgebracht, oder keinem Schaden zugefügt hatte, dann verstand er nicht, warum dieser nicht mit der Sprache herausrückte. Immerhin war Rin laut seiner eigenen Aussage zu Unrecht hier, daher konnte er also nichts angestellt haben, das seine Entführung begünstigt hätte.

Doch entsprach es nicht Sousukes Gemüt, jemanden dazu zu drängen, ihm etwas anzuvertrauen, wenn der andere nicht wollte. Daher wartete er einfach ab, ob Rin es ihm nicht doch noch erzählen würde. Immerhin wirkte dieser gerade so, als würde er um Worte ringen, wie er sich am besten ausdrücken könnte.
 

„Sie haben gesagt, dass ich hier bin, weil…also“, begann Rin zögerlich seinen Erklärungsversuch, brach kurz ab und schluckte. Er traute sich nicht, den Größeren dabei anzusehen, weil es ihm so unangenehm war. „Dr. Masefield meinte, sie könnten mich heilen…davon, dass ich auf Männer stehe.“
 

Der Rothaarige fuhr sich durchs Haar und drehte seinen Kopf zum Größeren
 

„Ist das nicht lächerlich?“, lachte er kurz mit einem verzweifelten Ausdruck in den Augen.
 

Einerseits, weil er es vor seinem Aufenthalt wirklich lächerlich gefunden hatte, Homosexualität als Krankheit zu bezeichnen, seit der letzten Woche aber an sich selbst zu zweifeln begann, andererseits, weil er hoffte, Sousuke würde das genauso sehen, sich aber auch dafür fürchtete, dass dem nicht so sein würde.

Dieser blinzelte nur perplex, da er diese Antwort nun wirklich nicht erwartet hatte. Das lag hauptsächlich daran, dass er sich noch nie Gedanken um die sexuelle Orientierung anderer gemacht hatte und es ihm eigentlich auch egal war. Der andere Grund war, dass er nicht gewusst hatte, dass man die Sexualität eins Menschen heilen konnte und ziemlich schnell zu dem Schluss kam, dass das keinen Sinn ergab. Wahrscheinlich hatte man einen vorgeschobenen Grund benötigt, um Rin einzuliefern…warum auch immer man ihn an diesem Ort haben wollte.
 

„Ich hab mir darüber noch nie Gedanken gemacht“, erwiderte Sousuke nun ehrlich.
 

„…wirklich?“, kam es vollkommen überrascht von Rin.
 

Dieses Gespräch war vollkommen anders verlaufen, als er es sich ausgemalt hatte, genau wie Sousukes Reaktion. Er hätte erwartet, dass dieser ihm entweder zustimmte, oder ihn danach total ablehnen würde, doch mit dieser gleichgültigen Reaktion wusste er im ersten Moment nicht umzugehen.
 

„Also stört es dich nicht?“, wollte der Rothaarige wissen, als nichts weiter vom anderen kam.
 

„Warum sollte es?“, zuckte Sousuke mit den Schultern.
 

Immerhin hatten ihn bisher nur Frauen sexuell belästigt. Warum sollte er etwas gegen einen Schwulen haben, der ihn nie auf unsittliche Weise berührt, oder es auch nur versucht hatte?
 

„Na weil wir in einem Zimmer schlafen und so…“, wurde Rin eine Spur röter im Gesicht.
 

„Es ist doch jetzt auch nichts anders als zuvor“, gab Sousuke wie selbstverständlich von sich.
 

Wenn der andere schon die ganze Zeit auf Männer stand und nichts vorgefallen war, das ihm nicht behagte, dann würde sich jetzt da er es wusste, auch nichts ändern.
 

„Stimmt…du hast Recht“, lächelte Rin nun leicht.
 

Die Anspannung fiel von ihm ab und er atmete erleichtert aus. Offenbar waren nicht alle Menschen in Russland homophob.
 


 

Den restlichen Abend verbrachten die beiden damit, über ihre bisherigen Erlebnisse in der Anstalt zu sprechen – soweit dies möglich war. Rin hatte noch nicht viel zu berichten und Sousuke tat sich schwer darin, seine Erlebnisse zu verbalisieren. Teilweise wollte er dem anderen auch nicht zu viel zumuten. Vielleicht hatte dieser auch Glück und würde niemals in eine ähnliche Situation wie er geraten, sodass er sexuell belästigt, oder ihm körperliche Gewalt angetan werden würde. So sehr er das auch glauben mochte, seine Erfahrung sagte ihm etwas anderes.
 

Als es später wurde, stellte nicht nur Sousuke fest, dass es ihm gefiel, sich mit seinem Mitbewohner auszutauschen. Sie waren auch irgendwann davon abgekommen, nur über die Klink zu sprechen und hatten es inzwischen über ihre Hobbys. Dass sie beide gerne schwammen, hatten sie zuvor schon festgestellt. Hinzu kam, dass ihrer beider Lieblingsgetränk Cola war und sie einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Ordnungstick hatten. Rin mochte es nicht, wenn sein Zimmer unaufgeräumt war, während Sousuke schon sehr früh darauf geachtet hatte, dass sich wirklich alles akkurat an seinem vorhergesehen Platz befand.
 

Mitten im Gespräch vernahmen sie plötzlich ein Geräusch aus Richtung der Tür, die zum Flur führte. Es war ein Ticken, das bedeutete, dass diese nun abgeschlossen war.
 

„Oh, schon so spät…“, blickte Rin auf die Uhr, die über dem Regal hing, in dem hauptsächlich Sousukes Bücher standen.
 

„Bist du müde?“, kam es vom anderen.
 

„Nicht wirklich…du?“, lächelte der Kleinere, dem es seltsam leicht ums Herz war, so wie schon lange nicht mehr.
 

Sousuke schüttelte den Kopf. Auch ihm ging es besser, viel besser, auch wenn ihn die Auswirkungen seiner fast-Untersuchung noch immer nicht in Ruhe ließen. Dank Rin wurde er abgelenkt und dieser schaffte es auch, dass er sich irgendwie glücklich fühlte. Ein Gefühl, von dem er schon geglaubt hatte, es wäre in ihm gestorben. Sonst gab es auch nichts, das ihn an diesem Ort froh stimmte. Die sterilen Wände, das viele Weiß, das in den Augen schmerzte, die sadistischen Angestellten, die sich größtenteils einen Spaß daraus machten, ihre Patienten auf unterschiedliche Weisen zu foltern, und die strengen Regeln ließen zumindest ihm nicht viel Platz für Freunde. Des Weiteren war er noch nie gut darin gewesen, neue Freunde zu finden. Nicht, dass er vor seinem Aufenthalt welche gehabt hätte. Sousuke war wohl beliebt bei den Mädchen gewesen, hatte das aber lästig gefunden, die Jungen hatten sich meist mit ihm gemessen und ihn dafür gehasst, wenn er sie übertrumpfte – obwohl das nicht absichtlich geschehen war.

Abgesehen von Kisumi, der wohl so eine Art Freund für ihn war, hatte sich auch niemand versucht mit ihm zu beschäftigen, wofür er angesichts dessen, dass die meisten Insassen nicht mehr alle Tassen im Schrank hatten, auch ganz froh war.
 

Rin ging es ähnlich: Er mochte strenge Regeln nicht, sondern brauchte Raum, sich entfalten zu können. Da dieser dank den engen Gängen und vergitterten Fenstern nicht gegeben war, fühlte es sich für ihn meistens so an, als würde ihm wortwörtlich die Decke auf den Kopf fallen. Er füllte sich eingeengt und unbehaglich in der Anwesenheit des Personals, auch wenn er nicht so schlimme Erfahrungen wie sein Mitbewohner gemacht hatte.

Auf seiner alten Schule – wie seltsam es sich anfühlte sie so zu  betiteln – hatte er einige Freunde gehabt, auch wenn es niemanden gegeben hatte, dem er sehr nah stand. Dank seines guten Modegeschmacks und Aussehens hatten sich natürlich ein paar Mädchen für ihn interessiert, doch da ihm schon immer bewusst gewesen war, dass er nicht auf diese stand, hatte er immer freundlich abgelehnt.

Neue Freunde zu finden, fiel Rin nicht sonderlich schwer, auch wenn das nicht gerade zu seinen Hobbys zählte. Kisumi war ganz nett, doch er wusste ihn nach wie vor nicht einzuschätzen. Solange er ihn aber nicht blöd anmachte, genoss er dessen Gesellschaft, da diese den tristen Ort doch etwas freundlicher gestaltete.
 

Sousukes Blick glitt über Rins Körper, als sich dieser nach hinten fallen ließ. Offenbar war er doch nicht mehr so fit wie behauptet. Ihn störte es nicht, dass der Kleinere nun halb auf seinem Bett lag, die Füße nach unten von diesem baumelnd.

Es war selbstverständlich nicht das erste Mal, dass er den Rothaarigen betrachtete, doch normalerweise tat er das nicht so intensiv wie in diesem Moment. Es konnte an der Müdigkeit liegen, aber auch daran, dass sie nun mehr übereinander wussten, dass er sich mehr für diesen zu interessieren begann.
 

„Oh sorry…“, interpretierte Rin den Blick völlig falsch und richtete sich eiligst wieder auf.
 

Auch wenn Sousuke gesagt hatte, dass es ihm egal war, dass er schwul war, konnte sich Rin denken, dass dieser es nicht befürworten würde, wenn er sich auf dessen Bett legte. Dass dessen Augen ihn nicht deswegen musterten, weil er sich daran störte, dass der Kleinere auf seinem Bett lag, sondern weil er diesen genauer unter die Lupe nehmen wollte, ahnte er nicht.
 

Ohne auf Rins Entschuldigung einzugehen, da er sie dank seiner eigenen Gedanken überhört hatte, stellte Sousuke daraufhin eine Frage, die er sich stellte seit er die Arme des Rothaarigen erblickt hatte. Dieser trug sein rotes Sweatshirt hochgekrempelt, sodass man seine glatten Unterarme sehen konnte.
 

„…rasierst du dir die Arme?“, kam es ein bisschen überrascht vom Größeren, der derartig glatte Haut noch nie bei einem Mann gesehen hatte.
 

„Ähm…ja…warum fragst du?“, zog Rin sich automatisch die Ärmel seines Shirts nach unten, ein wenig peinlich berührt.
 

„Nur so…“, erklärte sich der Größere sehr wenig. „Warum machst du das?“
 

„Weil ich dann weniger Widerstand im Wasser habe…“, kam die Erklärung, oder viel mehr die lahme Ausrede, des Rothaarigen. „Ich mach das eigentlich schon immer…also seit ich schwimme.“
 

„Aber hier kannst du nicht schwimmen gehen und glaub mir, wenn es richtig Winter wird, wirst du jeden Wärmeschutz brauchen, den du kriegen kannst“, merkte Sousuke daraufhin an, doch es hatte noch einen anderen Grund, weswegen er versuchte den anderen davon zu überzeugen, dass er sich die Haare zumindest nicht an dieser Stelle entfernen sollte.
 

„Wenn du meinst…“, murmelte Rin, dem das alles schrecklich unangenehm war.
 

Ihn hatte noch nie jemand wirklich auf dieses Thema angesprochen. Vermutlich deswegen, weil es ein seltsames war und auch, da ihn wohl noch nie jemand so genau unter die Lupe genommen hatte.
 

„…außerdem sieht es schön aus“, beendete der Dunkelhaarige seine Begründung nun.
 

„Huh?“, blinzelte der Kleinere Sousuke perplex an und erstarrte.
 

Was hatte das denn jetzt zu bedeuten? Hatte er sich vielleicht verhört?
 

„Das Rot“, erklärte sich der Größere nun ein wenig unbeholfen, dachte sich aber nicht viel dabei.
 

„Oh…danke?“, wusste Rin nicht, wie er das auffassen sollte.
 

Verhört hatte er sich schon mal eindeutig nicht, doch was bezweckte der andere mit einem Kompliment? Konnte man das als Kompliment bezeichnen? Bei genauerem überlegen, entschied sich Rin dafür und war daraufhin sehr verwirrt. Weswegen sollte Sousuke seine Haarfarbe mögen? Alle anderen, die diese kommentiert hatten, hatten sich darüber lustig gemacht, oder auf die offensichtliche Seltenheit – oder auch Abart – hingewiesen.
 

„Es ist selten“, stellte Sousuke just in diesem Moment fest.
 

„Ähm…ja“, war Rin bei seinem Gedankengang ziemlich rot geworden und wich dem Blick des Größeren nun aus.
 

„Stimmt was nicht?“, konnte der andere das Verhalten seines Mitbewohners nicht eindeutig zuordnen.
 

„Nein…es ist nur, dass alle immer gesagt haben, dass es komisch aussieht und so“, zuckte Rin nun mit den Schultern und versuchte vorzugeben, dass es ihm egal war.
 

Dass das nicht der Wahrheit entsprach und es ihn immer sehr mitgenommen hatte, wenn man ihn wegen etwas geärgert hatte, für das er nicht verantwortlich war, das er aber auch nicht so einfach ändern konnte, war der Fall. Nun gerade wegen diesem Merkmal ein Kompliment zu bekommen, warf Rin vollkommen aus der Bahn.
 

„Glaub nicht alles, was andere sagen“, wusste Sousuke, dass Menschen oftmals andere dafür runtermachten, auf das sie neidisch waren, oder jemanden mobbten, um sich selbst besser zu fühlen.
 

Rin wusste das inzwischen auch, trotzdem taten die Erinnerungen weh. Sousukes Worte halfen ihm allerdings dabei, sich nicht nur ein Stück weit besser zu fühlen, sondern auch, sich selbst zu akzeptieren. Auch wenn es nur seine Haare waren, so gehörten sie doch zu ihm und waren ein wichtiger Bestandteil seines Körpers.
 

„Danke“, lächelte der Rothaarige nun leicht und musste dann gähnen.
 

„Ich glaube, wir sollten schlafen gehen“, entwich dem Größeren dann auch ein Gähnen.
 

Daraufhin erhob sich Rin von Sousukes Bett, streckte sich und betätigte den Lichtschalter, ehe er sich daran machte, in sein eigenes zu gelangen. Im Dunkeln schaute er an die Decke, die man nur schemenhaft erkennen konnte, da noch ein wenig Licht von draußen herein schien. Das gab ihm das Gefühl von einer gewissen Normalität, denn auch in seinem Zimmer zuhause in Japan hatte er das oft getan. Der Unterschied das in der Anstalt zu tun bestand darin, dass das Licht von draußen nicht von einer Straßenlaterne am Gehsteig stammte, sondern von der Beleuchtung auf den Mauern, die das Gelände einsäumten. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf, schlief es sich nicht so gut. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sie meilenweit entfernt von jeglicher anderer menschlicher Zivilisation waren. Rin blendete diese Details gerne aus, sonst könnte er überhaupt kein Auge mehr zu tun.

Zu wissen, dass Sousuke sich in seiner Nähe befand und er diesen nicht zu fürchten brauchte, ja vielleicht sogar einen Verbündeten in ihm gefunden hatte, erfüllte ihn mit einer wohligen Sicherheit. In dieser Nacht würde er bestimmt besser einschlafen können.
 

„Gute Nacht, schlaf gut“, flüsterte der Rothaarige in die Dunkelheit und schloss die Augen, keine Antwort erwartend.
 

„Nacht“, kam die Erwiderung ebenso leise aus der linken hinteren Ecke des Zimmers.
 

Rin lächelte ob dieser leicht, ehe er ins Reich der Träume sank, das so viel schöner als diese Realität an einem tristen Ort wirkte.

Lass die Wärme in dein Herz

Der Winter kündigte sich im folgenden Monat mit seinen ersten Schneestürmen an, die man von den vergitterten Fenstern und der großen Glasfront im Aufenthaltsraum beobachten konnte. Das rege Treiben der Schneeflocken faszinierte Rin, gleichermaßen wie es ihn ängstigte. Dieses Wetter war er nicht gewöhnt, da die Region in Japan, aus der er stammte, in den Wintermonaten zwar von einer weißen Decke übersäht war, doch derartig heftigen Niederschlag hatte es nie gegeben. Mitte Dezember hatte es auch noch nicht geschneit, so wie es hier der Fall war.

Sogar Sousuke ging langsam dazu über, zusätzlich zu seinen Oberteilen eine Sweatshirtjacke anzuziehen. Im November hatte er meistens ¾ lange Shirts angehabt und war auch nicht verfroren, doch wie er prophezeit hatte, funktionierte die Heizung nicht richtig und das alte Gemäuer trug auch nicht dazu bei, dass es innen wärmer wurde.

Hatte sich Rin auch zunächst dagegen gesträubt, befolgte er inzwischen doch den Ratschlag des anderen und ließ zumindest die Haare an Armen und Beinen stehen. Tatsächlich hatte er das Gefühl, dass das etwas brachte und ihn wärme…ganz wohl fühlte er sich damit trotzdem nicht. Doch besser war es in jedem Falle, ein paar Haare mehr am Körper zu haben, anstatt unnötig zu frieren.
 

„Hast du dich inzwischen gut eingelebt?“, wollte Kisumi beim Mittagessen von Rin wissen.
 

„Es wird leichter“, nickte Rin auf Kisumis Frage hin.
 

Sie saßen zu viert an einem Tisch. Seit Kisumi und Chigusa öfter mit ihnen aßen, hatte Rin mehr das Gefühl, nicht alleine zu sein. Nicht, dass er ihm nicht mit Sousuke alleine auch so gegangen wäre, aber mit den beiden stellte sich ein gewisses Gefühl der Normalität bei ihm ein. So konnte er sich selbst vormachen, dass die Klinik auch nicht viel anders als ein Internat war, das er mit Gleichaltrigen besuchte. Chigusa und Rin waren 16, Sousuke 17 und Kisumi 18, sodass sie mit ein wenig Fantasie im Außenleben auch die selbe Klasse besuchen hätten können.

Es war auch gut zu wissen, dass nicht jeder hier total abgedreht war – wobei man dazu sagen musste, dass die wirklich schweren Fälle in anderen Etagen untergebracht waren. Weswegen die anderen sich an diesem Ort befanden, das hatte der Rothaarige noch nicht in Erfahrung bringen können. Es war auch nicht so, dass es ihn brennend interessierte, neugierig war er aber schon. Bisher wusste auch nur Sousuke über ihn Bescheid und das hatte er auch so schnell nicht vor zu ändern.
 

Nach dem Essen gingen sie gemeinsam in den Aufenthaltsraum, auch wenn man Sousuke ansehen konnte, dass dieser lieber in seinem Zimmer lesen würde. Chigusa wurde derzeit von Kisumi belabert, schien sich aber nicht daran zu stören und hörte ihm gespannt zu. Sousuke und Rin liefen ein kleines Stück hinter ihnen her und sahen sich mit einem vielsagenden Blick an, der bedeuten sollte: Gut, dass wir nicht an ihrer Stelle sind.

In den eineinhalb Monaten hatte sich die beiden nicht nur angefreundet, sondern fungierten inzwischen auch als Ventil bzw. Gesprächstherapiepartner des anderen für alles mögliche, das ihnen widerfuhr. Natürlich vertrauten sie sich nicht alles an – ein bisschen was behielt man immer für sich – doch im Großen und Ganzen bekamen sie alles mit, das dem anderen passierte.

Im Gegensatz zu ihrem Leben in der Anstalt, wussten sie aber noch nicht viel über das Leben des anderen davor. Vielleicht würde sich in nächster Zukunft Gelegenheit dazu ergeben, auch über privatere Dinge zu sprechen, doch so eilig hatte es Rin nicht damit, Sousuke noch weniger.
 

Nachdem die vier sich in den Aufzug gestellt und nach oben gefahren waren, stürmte Kisumi mit seiner überschwänglichen Art den Aufenthaltsraum, der im Grunde ein ganzes Stockwerk einnahm, und steuerte auf eine der Eckbänke zu, die an den Wänden ohne Fenster befestigt waren.

An diesem Tag war das oberste Stockwerk gut besucht und Rin kam es so vor, als würden sich jeden Tag mehr und mehr Leute hier einfinden. Sousuke erklärte ihm, dass das daran lag, dass es im Aufenthaltsraum wärmer als in den Zimmern war, da die ganze Wärme von den unteren Stockwerken nach oben stieg und die Heizung in diesem außerdem besser funktionierte.
 

Die 6., oberste Etage, war so aufgebaut, dass sich an einer Seite die gewöhnlichen drei Aufzüge befanden, von denen die äußeren beiden für jeden zugänglich waren, allerdings nur in der 2., 3., 5. und 6. Etage, sowie dem Untergeschoss, hielten. Der mittlere war nur für das Personal mithilfe eines passenden Schlüssels zugänglich. Rechts und links befanden sich Eckbänke, Stühle und Tische, sowie in der Mitte eine mit Gitter überdachte Terrasse lag, die von allen vier Seiten mit Glasfronten eingesäumt war. Diese war im Winter nicht zugänglich und es verspürte sowieso wohl keiner das Bedürfnis, sich bei diesen Temperaturen und Schneefall draußen aufzuhalten.

An den Ecken der Seite der Aufzüge konnte man ins Treppenhaus gelangen, das meist verschlossen war, an den anderen beiden befanden sich Toiletten. Links die der Damen, rechts die der Herren. Außerdem befanden sich Getränke- und Snackautomaten in Nähe des Sofas, das an der übrigen Seite, gegenüber der Aufzüge, stand.

Den Fernseher und dieses einst schwarze Monstrum, konnte man durch die beiden Scheiben der Terrasse erkennen, auch wenn das dank des Schneefalls zunehmend schwerer fiel.
 

Sousuke, Rin und Chigusa bogen nach rechts ab und folgen somit Kisumi, der sich soeben auf einer freien Eckbank niederließ. Das einzige Mädchen der Gruppe ließ sich neben ihm nieder, woraufhin sie augenblicklich wieder in ein Gespräch verwickelt wurde. Die anderen beiden nahmen auch Platz, hatten aber nicht das Bedürfnis sich zu unterhalten. So saßen sie schweigend nebeneinander und während der Rothaarige sich die übrigen Personen ansah, die in größerem Abstand im Raum verteilt, teilweise zu zweit, oder in Kleingruppen, meistens jedoch allein, saßen, beobachtete Sousuke die Schneeflocken, die langsam nach unten segelten, ehe sie auf dem Boden zur Ruhe kamen.
 

„Bis später dann!“, riss Kisumi Rin aus seinen Gedanken, die er sich machte, während er sich noch immer umblickte.
 

Chigusa hatte sich von ihrem Platz erhoben und bewegte sich in Richtung der Aufzüge, wobei sie den anderen beiden noch kurz zuwinkte, ehe sie hinter den Schiebetüren verschwand.
 

„Sie hat jetzt ihre Therapiestunde“, erklärte Kisumi Rin, der ihn fragend angesehen hatte.
 

„Weswegen ist sie überhaupt hier?“, wollte der Rothaarige dann wissen, da das Thema gerade passte.
 

„Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen darf, aber…es ist auf jeden Fall nichts, wofür sie etwas kann“, lächelte Kisumi und wirkte dabei leicht traurig, sein Blick schweifte in die Ferne ab. „Frag sie am besten selber mal.“
 

„Okay, mach ich“, verstand Rin, weswegen er nicht sofort aufgeklärt wurde.
 

Er hätte auch nicht gewollt, dass Sousuke überall herumerzählte, dass er schwul war. Bei diesem musste man sich keine Sorgen machen, dass er etwas ausplauderte. Dazu war er viel zu verschwiegen und sprach ohnehin mit niemandem, abgesehen von Kisumi und Chigusa.
 

„Haaaa…ich muss auch bald los“, beschwerte sich der anderen nun und ließ die Beine baumeln.
 

„Ich hab noch fast ‘ne Stunde“, war Rin erleichtert, Sousuke sagte nichts dazu.
 

Dieser war noch immer damit beschäftigt, das kleine bisschen Natur zu beobachten, das ihnen in Form der Dachterrasse vergönnt war. Wenn es wärmer war, blühte dort bestimmt die eine oder andere Blume, sowie die kahlen Sträucher Grün tragen würden. Momentan war von dieser Farbe der Hoffnung jedoch weit und breit nichts zu sehen.
 

Rin ging wieder dazu über, die anderen Menschen zu beobachten, während er Kisumis Beschwerden über dies und das, nur mit dem halben Ohr zuhörte. Ihm fiel ein Mann auf, der im Rollstuhl saß und mit starrem Blick ins Leere blickte. Ihm hing ein Speichelfaden vom rechten Mundwinkel, der sich seinen Weg weiter nach unten zu dessen Kinn bahnte.
 

Kisumi, der bemerkte, dass sein ‚Gesprächspartner‘ ihm nicht mehr zuhörte, tippte diesen nun an, ehe er dessen Blick folgte.
 

„He, was ist denn mit dir los?“, wollte er außerdem wissen, als sein Blick bei dem Mann angelangte.
 

„Transorbitale Lobotomie“, schaltete sich Sousuke dazwischen, der es inzwischen leid war, dem Schneetreiben zu folgen.
 

Ihm war Rins Blick nicht entgangen und er konnte sich denken, was diesem durch den Kopf gehen mochte. Es war immerhin kein alltäglicher Anblick, schon gar nicht für jemanden, der sich noch nicht lange in der Klink befand.
 

„…Was?“, drehte sich der Kleinere abrupt zu seinem Mitbewohner und inzwischen auch Freund um. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben.
 

„Das ist wenn sie dir einen Eispickel ins Hirn rammen“, merkte Kisumi sehr schlau an.
 

Rin wusste, was dieser Begriff bedeutete, hatte aber geglaubt, dass diese Technik schon lange nicht mehr angewandt werden würde. Offenbar hatte er sich da getäuscht…

Diese neue Information musste sich erst mal setzen und tat das sehr erfolgreich, indem es ihm flau im Magen wurde. Hätte er sich beim Mittagessen doch nur nicht so den Bauch vollgeschlagen!
 

„Hast du Familie?“, wollte Sousuke nun, scheinbar völlig aus dem Zusammenhang gerissen wissen.
 

Darauf nickte Rin nur abwesend und versuchte seine Übelkeit irgendwie in den Griff zu bekommen. Dass die anderen beiden ihn dabei anstarrten, half dabei nicht sonderlich.
 

„Dann brauchst du dir keine Sorgen machen. Das machen sie nur bei den Leuten, die keine Angehörigen haben. Bei denen keiner Fragen stellt“, versuchte Kisumi den Kleineren zu beruhigen, erreichte dabei aber das Gegenteil.
 

„Ich glaube, mir ist schlecht…“, hielt sich dieser nun eine Hand vor den Mund, erhob sich rasch und rannte dann in Richtung der Herrentoiletten, die glücklicherweise um die Ecke lagen.
 

Kisumi mit einem unmissverständlichen Blick strafend, stand Sousuke nun auch auf und ging Rin hinterher. Der Zurückgelassene atmete hörbar aus und fragte sich, was mit den anderen los war, dass sie sich so verhielten. Dann fiel ihm wieder ein, dass nicht jeder so abgestumpft sein konnte wie er und streckte sich. Die violetten Augen fixierten den Mann im Rollstuhl, dessen Gesichtsmuskeln sich schon seit längerem nicht mehr geregt hatten, genauso wie der Rest seines Körpers. Wie fühlte es sich wohl an, sich in einem dauerartigen Trancezustand zu befinden?

Viel eher stellte Kisumis ich die Frage, wie es sich anfühlen musste, jemand anderem ein eispickelartiges Werkzeug durch die Augenhöhle ins Gehirn zu rammen. Gab dieser Eingriff wohl ein besonderes Geräusch von sich?

Mit wesentlich mehr Motivation als zuvor, schwang sich Kisumi auf und machte sich mit dem Vorsatz, seinem all zu lieben Doktor diese Frage zu stellen. Dieser hatte bestimmt schon einmal eine Lobotomie bei einem der Patienten durchgeführt, war vielleicht sogar für die des Typen im Rollstuhl verantwortlich!

Im Fahrstuhl war Kisumi bester Laune und summte leise vor sich hin, es vor Vorfreude kaum erwarten zu können, zu seiner Therapie zu gelangen.
 

Währenddessen übergab sich Rin auf der Toilette, die abgesehen von ihm glücklicherweise leer war. Es war schon peinlich genug, dass seine Freunde mitbekommen hatten, dass ihm so etwas zusetzte. Da wollte er nicht noch, dass ein fremder mitbekam, wie sein Mittagessen wieder zum Vorschein kam.

Die Tür wurde geöffnet und Sousuke sah sich prüfend um, ehe er schnell die einzige Kabine entdeckte, die zugesperrt war.
 

„Rin?“, fragte er nach dem Kleineren und stellte dabei die lautlose Frage ob es diesem gut gehe.
 

„Moment“, hustete dieser und erhob sich gerade wieder vom hellgrün gefliesten Boden, der aussah, als stamme er noch aus der Nachkriegszeit.
 

Die Kabinentür öffnete sich und Rin trat daraus hervor, noch blasser im Gesicht aussehend als sonst. Er hielt sich noch immer die Hand vor den Mund, doch diesmal, da er befürchtete, es könnte übel daraus riechen und nicht, weil ihm noch immer schlecht war.

Wortlos schritt der Rothaarige an eins der drei Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und spülte sich mit dem kühlen Nass den Mund aus. Der beißende Geschmack verflüchtigte sich langsam aus seiner Nase und seinem Mund. Trotzdem war ihm klar, dass er danach definitiv eine Cola brauchte, um ihn endgültig loszuwerden, aber auch, weil er Lust darauf hatte. Wenigstens sein Lieblingsgetränk wurde ihm hier nicht verwehrt.
 

„Geht es dir besser?“, wollte der Größere von ihm wissen, als Rin das Wasser abgestellt hatte.
 

„Ein bisschen…schlecht ist mir zumindest nicht mehr“, lachte er humorlos.
 

Es befand sich zumindest nichts mehr in seinem Magen, das er noch hätte von sich geben können.
 

„Wenn wir wieder in unserem Zimmer sind, muss ich dir was sagen“, wechselte Sousuke das Thema nun.
 

Seit Rin ihm gesagt hatte, dass er in einem Schwimmclub gewesen war und sie sich des Öfteren über diesen Sport unterhalten hatten, spukte in seinem Kopf eine waghalsige Idee. Normalerweise war Sousuke nicht der Typ, der die Regeln absichtlich brach, doch in diesem Fall wäre es etwas anderes. Wenn er damit erreichen konnte, dass es dem Rothaarigen besser ging, war es das Risiko allemal wert.
 

„Okay?“, wusste Rin nicht, was er von dieser Aussage halten sollte, war aber auch eher darauf fixiert, zum Getränkeautomaten zu gelangen.
 

So öffnete er die Tür, die zurück in den Aufenthaltsraum führt, hielt sie für den Größeren noch kurz offen und eilte dann zum Objekt seiner Begierde. Er drückte auf den Button mit der Colaflasche, über der das Logo in Kyrillischen Lettern bangte. Wäre das rot-weiße Logo nicht gewesen, hätte er sich nie merken können, welches der richtige Button war.

Ein Klacken ertönte, als die Dose den Schacht hinunter in das Fach fiel, aus der Rin sie sofort holte und anschließend öffnete.

Die gekühlte, dunkle Flüssigkeit rann seinen Rachen hinab und spülte den unangenehmen Geschmack mit sich in die Tiefe.
 

„Jetzt geht’s mir besser“, wischte sich der Rothaarige grinsend über die Lippen, nachdem der die Cola in einem Zug geleert hatte.
 

Sousuke nickte und drehte sich dann schon um, dass sie in ihr Zimmer gehen konnten. Die Reaktion des anderen konnte er nur zu gut nachvollziehen. Dieser war noch nicht lange hier und wusste noch nicht über alles Bescheid, das im Hintergrund ablief. Hätte Rins Körper und Geist nicht schockiert auf die neue Erkenntnis geantwortet, hätte es den Dunkelhaarigen mehr gewundert.

Andernfalls wäre das ein Indiz dafür gewesen, dass er so abgestumpft und krank wie Kisumi war und das konnte Sousuke nicht gebrauchen, oder gut heißen.

Doch so war er sich endgültig sicher, dass dieser nicht in die Klinik gehörte. Wegen seiner Sexualität nicht und wegen seiner Person erst recht nicht. Gäbe es doch nur eine Möglichkeit, ihn aus der Anstalt heraus zu bringen…

Als sie in ihrem Zimmer angekommen waren, hatte Rin noch eine gute ¾ Stunde, bevor er zur Behandlung musste. Also setzten sie sich, wie so oft, auf Rins Bett, auf dem dieser schon darauf gespannt war, was Sousuke ihm unbedingt sagen musste.
 

„Also…es gibt ein Schwimmbecken in der unteren Etage“, begann der Größere und man konnte schon sehen, wie die roten Augen größer wurden. „Der Haken daran ist, dass nur das Personal Zutritt hat.“
 

„Gibt es keine Möglichkeit, dass wir trotzdem reinkommen?“, wollte Rin dann vor freudiger Erregung wissen.
 

Wenn es schon eine Möglichkeit gab, wie er schwimmen konnte, dann würde er diese auch nutzen! Egal, ob es gegen die Regeln war!
 

„Gibt es, aber es ist natürlich nicht erlaubt und ein bisschen riskant“, nickte Sousuke daraufhin, der nichts anderes erwartet hatte, als dass der Kleinere sich freuen würde.
 

„Solange ich ins Wasser komme, ist mir das gleich“, drängte Rin den anderen nun, dessen Plan endlich zu verraten.
 

„Gut“, verstand der Größere und fuhr dann fort. „Wir können entweder einem der Pfleger eine Karte stehlen, oder ich schau, dass ich eine von unseren manipuliere.“
 

„Du kannst sowas?“, blinzelte der Rothaarige überrascht.
 

„Ja, hab ich schon mal gemacht…mir war es aber zu gefährlich, es auf Dauer zu tun, vor allem, weil ich so schon viel Ärger am Hals hab“, bestätigte Sousuke. „Eine Karte zu klauen ist auffälliger, aber um eine zu manipulieren, brauch ich einen Computer.“
 

„Dann wäre es das einfachste, wenn ich schmiere steh und du in einem der Schwesternzimmer das erledigst.“
 

„Ja, seh ich genau so.“
 

Das letzte Mal hatte ihm Kisumi geholfen, doch dabei wären sie fast aufgeflogen. Vielleicht konnte Rin besser darauf aufpassen, dass er ungestört seien Arbeit erledigen konnte.

Viel Zeit, um den Plan auszuarbeiten blieb ihnen nicht, da Rin schon bald los musste, doch es reichte aus, dass sie festlegten, diesen die kommende Woche durchzuführen.
 

Nachdem Rin seine Therapiestunde hinter sich gebracht hatte, lag er noch eine halbe Stunde alleine im Zimmer auf seinem Bett und hörte Musik übers Handy, da Sousuke immer eine halbe Stunde später als er dran war.

Als dieser zurückkehrte, lächelte der Kleinere ihn erleichtert an, da es ihm gut zu gehen schien. Die Verletzung an der Wange war auch gut abgeheilt, sodass man inzwischen nichts mehr davon sah. Trotzdem hatte Rin jeden Tag Angst, dass Sousuke mit einer neuen zurückkehren würde.

Wer wusste schon, wer Dienst hatte und was man mit dem Größeren anstellte?
 

„Ach ja, wegen vorhin: Ich hab wohl ein bisschen überreagiert“, nuschelte Rin dann seine Erklärung hin, weswegen er sich übergeben hatte, doch Sousuke schüttelte den Kopf.
 

„Ich denke, das war wohl die normalste Reaktion“, meinte er dann und ließ sich neben dem immer noch auf dem Rücken liegenden Rothaarigen nieder.
 

„Findest du?“, war sich dieser dessen unsicher und wurde leicht rot, da der Größere ihm so nahe gekommen war.
 

„Ja“, bestätigte Sousuke dann, dem nicht bewusst war, dass es dem anderen unangenehm sein könnte, wenn keine fünf Zentimeter zwischen ihnen waren.
 

Rin entschied sich, dass er etwas an seiner Position ändern musste, ging mit dem Oberkörper nach oben und rutschte neben den anderen, sodass er nicht mehr ganz so nervös wegen dessen Anwesenheit zu sein brauchte.
 

„Du hast gesagt, du hättest noch Verwandte“, blickte Sousuke nachdenklich an die Decke. „Wissen die, dass du hier bist?“
 

„Ich denke nicht“, seufzte Rin. „Aber sicher bin ich mir nicht. An den Abend, als sie mich mitgenommen haben, kann ich mich nicht erinnern.“
 

„Es ist eher unwahrscheinlich, dass deine Eltern Bescheid wissen“, überlegte der andere weiter. „Niemand würde zustimmen, dass das eigene Kind nach Russland in eine Irrenanstalt gebracht wird.“
 

„Da hast du recht“, war sich der Kleinere sicher, dass seine Mutter es nie zugelassen hätte, dass man ihn aus dem Land brachte. Vor allem nicht wegen so einem an den Haaren herbeigezogenen Grund. „Kaa-san hätte das nie zugelassen…meine Schwester auch nicht.“
 

Die Erinnerungen an Zuhause machten Rin melancholisch und trieben ihm Tränen in die Augen. Er vermisste seine Mutter, die ihn immer gut bekocht und sich um ihn gesorgt, so wie ihm bei allem unterstützt hatte. Auch merkte er, dass seine Schwester fehlte, die ihn sonst auf Schritt und Tritt verfolgt hatte – sofern sie die Möglichkeit dazu gehabt hatte – und beinahe herausgefunden hätte, dass er schwul war. Sie interessierte sich auch für Sport, aber eher im theoretischen Sinne. Außerdem liebte sie Muskeln, welches wohl den Hauptgrund für ihr Interesse bildete.
 

„…und dein Vater?“, fragte Sousuke nach, dem nicht aufgefallen war, dass der Kleinere kurz vom Heulen stand, da er noch immer seinen nachdenklichen Blick gen Decke berichtet hatte.
 

„Mein Vater ist schon lange tot“, wischte sich Rin über die Augen und tastete nach der Packung mit Taschentüchern, die auf seinem Nachtisch lag.
 

„…ich wollte dir nicht zu nahe treten“, bemerkte der andere endlich die Stimmung des Kleineren, als er sich zu diesem umdrehte, der sich gerade die Nase schnäuzte.
 

„Ist schon okay…ich musste nur an Zuhause denken“, murmelte Rin.
 

Dabei musste er daran denken, dass Kisumi gesagt hatte, dass man sicher war, solange es jemanden gab, der einen vermissen würde. Hatte Sousuke auch so jemanden? Dieser hatte noch nie von seiner Familie gesprochen…
 

„Hast du auch noch Verwandte?“, wollte der Rothaarige wissen, als er sich beruhigt hatte.
 

„Nicht dass ich wüsste…“, senkte Sousuke den Blick.
 

„Deine Eltern…?“, hakte Rin vorsichtig nach, weil er an der Reaktion des anderen schon ablesen konnte, dass die Antwort nicht so rosig wie seine ausfallen würde.
 

„Meinen Vater kenne ich nicht, weil er vor meiner Geburt abgehauen ist…und meine Mutter…ist auch tot“, rückte der Dunkelhaarige langsam mit der Sprache heraus, wobei sein Blick glasig wurde.
 

Ihm war bewusst, weswegen Rin ihn das hauptsächlich fragte. Doch als er an seine Mutter dachte, drifteten seine Gedanken ab und er vergaß alles um sich für einen Moment.
 

„Das tut mir leid“, fühlte sich der Rothaarige schuldig, dass er nachgefragt hatte, doch wurde ihm im nächsten Moment bewusst, was das bedeuten konnte…

„Aber sie haben nicht vor, das bei dir zu machen, oder?“
 

Der Kleinere sah besorgt und fast panisch zu Sousuke, der in der Zeit, in der sie sich kannten, unglaublich wichtig geworden war. Es war nicht nur so, dass er ihm half, mit seiner Lage zurecht zu kommen und sie sich gegenseitig halfen, nein, es fühlte sich fast an, als würden sie sich schon ewig kennen. Rin wüsste nicht, was er tun sollte, wenn man aus dem Größeren menschliches Gemüse machen würde, indem man ihm etwas ins Hirn rammte.
 

„Solange ich mich benehme, dürfte alles in Ordnung sein“, kam Sousuke wieder zu sich, als er die besorgte Stimme vernahm. „Ich muss mich nur zusammenreißen…“
 

Dessen Fürsorge war ihm nach wie vor ein Mysterium, doch es gefiel ihm, so umsorgt zu werden. Das war etwas, das er nicht kannte und machte es ihm so warm ums Herz; so als ob er etwas wert wäre.
 

„Versprich es mir!“, berührte Rin ihn am Arm und sah dabei so verzweifelt wie noch nie zuvor aus.
 

„Ich…“, wurde Sousuke völlig aus dem Konzept gebracht und merkte dabei nicht einmal, dass der Kleinere ihn noch immer berührte.
 

Als sich ihre Augen trafen, machte sein Herz einen kleinen Sprung. Dieses schöne rot, dessen Besitzer ihn voller Sorge ansah. Rins Lippen bebten und seine Wangen waren gerötet, der sanfte Griff an seinem Arm fühlte sich warm an.
 

„Ich verspreche es dir. Es wird alles gut“, schloss Sousuke die Augen und lächelte dabei leicht.
 

Das hatte er schon seit so langer Zeit nicht mehr getan, dass er sich nicht einmal daran erinnerte, wann er das letzte Mal glücklich gewesen war. Welche Hintergründe das schöne Gefühl hatte, das sich in seiner Brust ausbreitete, hinterfragte er nicht, denn diesen Moment wollte er genießen.

Dinge, die du nicht wissen willst

Noch immer verwirrt, aber auch ungewohnt glücklich verbrachte Sousuke die nächsten Tage sehr nachdenklich. Auch las er sehr wenig in dieser Zeit und beschäftigte sich mehr mit Rin, sofern sie unter sich waren. Meist hingen sie aber mit Kisumi und Chigusa ab, zu denen der Rothaarige auch eine freundschaftliche Beziehung entwickelte.

Dies beobachtete der Dunkelhaarige mit gemischten Gefühlen, wusste er doch, weswegen die beiden hier waren, auch wenn ihm dabei eher Kisumi Sorgen bereitete. Nichts lag ihm ferner, als Rin den Kontakt zu diesem zu verbieten, wozu er ohnehin nicht fähig war, oder das Recht besaß, doch hätte er diesen gerne aufgeklärt.

Allerdings war Sousuke nicht der Mensch, der alles frei heraus sagte, sondern immer einen bestimmten Anlass brauchte, oder wartete bis eine Gelegenheit, seine Meinung kundzutun.
 

In wenigen Tagen stand das Weihnachtsfest vor der Tür, zu dessen Anlass zumindest im Aufenthaltsraum, aber auch Teilweise in den Fluren, Deko in Form von Girlanden mit Schneeflocken, Engeln und sonstigen weihnachtlichen Motiven hingen. Das gab ein bizarres Bild für Sousuke ab, wusste er doch, dass es an diesem Ort alles andere als friedlich und froh zuging.

Die Dekorationen waren wohl ein Versuch, die finsteren Abläufe im Hintergrund zu überdecken, von ihnen abzulenken und die Patienten dazu zu bringen, ihre unschönen Erlebnisse zu vergessen. Vielleicht auch, dass sie sich einbildeten, das alles wäre nie geschehen und hätte nur in ihren Köpfen stattgefunden, um sich selbst zu schützen.

Bei Sousuke hatte diese Masche noch nie funktioniert. Er war nicht gut im Verdrängen von unliebsamen Erinnerungen, sondern behielt alles gedanklich im Blick. Ob das eine förderliche Eigenschaft war, wagte er zu bezweifeln, aber sie ließ ihn zumindest ein wenig Kontrolle über sich und sein Umfeld bewahren.
 

Rin wirkte fröhlicher als sonst, da er wohl von der mehr oder weniger weihnachtlichen Stimmung angesteckt wurde, oder sich anstecken lassen hatte. Verübeln konnte es Sousuke diesem nicht. Der Kleinere schien doch eher anfällig dafür zu sein, in Panik zu geraten wenn er merkte, dass er sich in einer ausweglosen Lage befand. Das taten sie alle, auch wenn es nicht immer so offensichtlich war.
 

Dr. Masefield war bei Rin anscheinend wieder zur vorherigen Gesprächstherapie übergegangen, denn dieser wirkte ungewöhnlich ausgeglichen und sorglos, machte sich wohl Hoffnungen, dass es so weitergehen würde.
 

„So wie jetzt könnte es immer sein“, streckte sich der Rothaarige während sie ausnahmsweise zum Abendessen gingen.
 

An diesem Tag hatten er und Sousuke viel trainiert und mehr Hunger als gewöhnlich. Seit ein paar Tagen machte Rin dessen Work-Out mit, da er die Nachricht erhalten hatte, dass man ihn nicht in die Fitnessräume lassen würde. Jedenfalls nicht, bis sein Krankheitsbild ‚sich besserte‘. Miss Amakata hatte ihm das schon zuvor gesagt, doch er hatte die Hoffnung nicht aufgeben wollen.

Zunächst reagierte Rin mit Missmut auf das Verbot, fand sich aber schnell damit ab und war dann motiviert, seine Körperform wieder auf das Level zu bringen, auf dem sie sich jahrelang befunden hatte. In den zwei Monaten, die er untätig verbracht hatte, waren seine Muskeln etwas zurückgegangen. Dem Rothaarigen gefiel das ganz und gar nicht und arbeitete nun so hart an sich, dass es so aussah, als würde er sein Ziel bald erreichen. Wenn man einmal trainiert gewesen war, brauchte es auch nicht mehr so viel, bis man auf das ursprüngliche Level zurückkam.
 

„Wird es aber nicht“, desillusionierte Sousuke seinen Freund zwar nur ungern, aber es war nur zu dessen besten.
 

„Ich weiß doch…aber lass mich die Zeit genießen, in der ich mal keinen Stress hab“, schmollte Rin daraufhin.
 

„Es ist nicht gut, wenn man sich der Wahrheit verschließt“, schüttelte dieser den Kopf. „Bereite dich besser auf das Kommende vor.“
 

Rin wusste, dass Sousuke Recht hatte, wollte sich aber noch eine Weile in Sicherheit wiegen, bevor der Horror weiterging, oder für ihn erst richtig begann. Welche Methoden Dr. Masefield noch auf Lager hatte, wollte er sich gar nicht vorstellen. Das Schlimmste, das er bisher bei ihm gemacht hatte, war ihn an den Lügendetektor anzuschließen, ihm Bilder von verschiedenen Szenen mit heterosexuellen und schwulen Pärchen zu zeigen, und ihm Fragen dazu zu stellen.

Sofern er – egal ob er log oder die Wahrheit sagte – auf eins mit den Homosexuellen positiv reagiere, bekam er einen leichten Schlag auf den Unterarm, den Rücken, die Oberschenkel.

Diese taten nicht sehr weh, doch erschreckte sich Rin jedes Mal dabei. Ganz davon abgesehen, fand er diese Behandlung einfach nur abartig. Er hatte nicht gewusst, dass man einen Schwulen so versuchte zu heilen…

Viel wichtiger war aber, dass dies erst die Spitze des Eisbergs darstellte, den Anfang seiner sogenannten Therapie. Welche Methoden noch folgen würden, das wollte er sich gar nicht ausmalen.
 

Seit langem saßen sie wieder zu zweit beim Essen und die Mensa war sonst auch nicht so voll wie zu den anderen Zeiten. Das lag daran, dass viele einfach keinen Appetit mehr hatten und man sich in der Klinik ohnehin nicht viel körperlich anstrengen musste und konnte, weswegen der Körper weniger Kalorien benötigte.

Eine der wenigen Ausnahmen bildeten Sousuke und Rin, genau wie einige wenige andere, die sich körperlich fit hielten.

Natürlich gab es auch hier sehr gefräßige und hungrige Menschen, so wie an jedem anderen Ort auch, die nicht genug vom Essen bekommen konnten. Viele aßen wohl auch aus Frust vor der aussichtslosen Lage so viel.
 

„Wollen wir dann hoch gehen?“, schlug Rin vor, als sie ihre Tablette in das dafür vorgesehene Gestell brachten.
 

„Können wir machen“, stimmte Sousuke zu.
 

Ihm war nicht danach, sich ein neues Buch auszusuchen und zu lesen. Viel lieber verbrachte er seine Zeit mit Rin und wenn dieser in den Aufenthaltsraum wollte, würde er ihm dort hin folgen. Allgemein trottete der Größere meist dem neuen Rothaarigen hinterher. Passte sozusagen auf Schritt und Tritt auf ihn auf.

Leider funktionierte das nicht immer, sowie bei dessen Stunden mit Dr. Masefield, da er nicht ins Zimmer durfte und eine halbe Stunde später selbst in ein anderes musste.
 

Also fuhren sie mit dem Aufzug in das 6. Stockwerk, wobei Rin leicht nervös wurde, da Sousuke ihm in der Kabine sehr nahe gekommen war, bedingt dadurch, dass sich noch ein paar andere bei ihnen befanden. Sie standen Arm an Arm gepresst da, mit einigem Abstand zu den übrigen Passagieren.

Eingenommen von der Nähe des Größeren und dessen ungewöhnlich ansprechenden Dufts, bemerkte Rin gar nicht, wie nervös auch dieser war. Das lag aber daran, dass Sousuke es nicht mochte, sich mit vielen Menschen auf engem Raum zu befinden und Angst hatte, man könnte ihn anfassen und nicht, weil er dem Kleineren so nahe war.

Dessen Berührung empfand er im Vergleich zu allen anderen Manchen als sehr angenehm und suchte sozusagen Schutz bei diesem.
 

Die Fahrt dauerte glücklicherweise nicht lange, sodass weder Rin zu betäubt von Sousukes Präsenz wurde, noch dieser in Panik geriet und aggressiv wurde.

Eilig verließen sie beide die Kabine und steuerten erst auf seine ruhigere Ecke zu, als ihnen zugewunken wurde und Kisumi sie lauthals in die Richtung lotste, in der er und Chigusa saßen.

Diese Geste riss Rin aus seinen Gedanken, sowie sie Sousuke dazu brachte, seine Anspannung abfallen zu lassen. Manchmal war es doch von Nutzen, das Energiebündel um sich zu wissen.

Sousuke hatte trotzdem wenig Lust, sich mit dem Rosahaarigen auseinander zu setzen und ließ sich etwas abseits der anderen nieder.

Rin brauchte dringend Ablenkung, da er nicht damit zurecht kam, dass er sich mehr und mehr zu seinem Mitbewohner und Freund hingezogen fühlte. Dass er dessen Äußeres sehr ansprechend fand, war nicht das Problem gewesen, weil es nichts Ungewöhnliches war, einen anderen Menschen attraktiv zu finden, doch dass dessen reine Anwesenheit ihn nervös machte, war neu für ihn. Ebenso wie die Berührungen des Größeren, wenn auch nicht beabsichtigt, oder zu einem anderen Zweck, ein Kribbeln auf seiner Haut hinterließen und sein Geruch betörend auf den Kleineren wirkte.

Eine derartige Wirkung hatte nie jemand zuvor auf ihn ausgeübt, weswegen Rin auch nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Nicht, dass es ihm unangenehm wäre. Nein, er fand es sogar sehr schön, viel zu schön.
 

Sousuke saß am Fenster und blickte durch die Fensterscheibe nach draußen auf das eingezäunte Gelände, während Kisumi und Rin gegenüber von ihm am Tisch saßen und sich unterhielten. Chigusa hatte sich kurz entschuldigt und war auf die Toilette gegangen.

Den Kleineren interessierte es schon länger, weswegen die anderen einsaßen und ihm schien es eine günstige Gelegenheit, zumindest mal seinen Gesprächspartner danach zu fragen.
 

„Okay, ich weiß, dass es ein bisschen plötzlich kommt, aber das wollte ich dich schon länger mal fragen: Weswegen bist du hier?“, formulierte Rin die eigentliche Frage ‚Welchen Dachschaden hast du, dass du hier sitzt?‘ schön um.
 

Daraufhin grinste Kisumi, legte ihm den Arm um die Schulter, wie er es schon einmal getan hatte, und beugte sich sehr nah zum anderen, sodass ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Vor Überraschung erstarrte Rin und blinzelte den Größeren perplex an.
 

„Warum findest du das nicht heraus~?“, raunte dieser ihm nun zu und sah ihn verführerisch an.
 

Rin schluckte, als sein Gehirn zu arbeiten begann. Natürlich…Kisumi flirtete schon die ganze Zeit mit ihm und er hatte es einfach nicht bemerkt! Das gleiche mit Sousuke, den er mit negativem Erfolg anzumachen versuchte…
 

„…bist du…auch schwul?“, rutschte es dem Rothaarigen nun über die Lippen.
 

„[style type="italic"]Auch[/style]? Oho~ Damit hätten wir auch geklärt, weswegen sie dich weggesperrt haben“, lachte Kisumi nun amüsiert. Keine Spur seines anzüglichen Lächelns war mehr zu sehen.
 

„Versuchen sie auch dich zu heilen?“, kam er dann wieder zur Ruhe, fand aber auch diese Aussage offenbar eines Grinsen würdig.
 

„Mehr oder weniger…“, nuschelte Rin daraufhin, peinlich berührt dass er so unbedacht gehandelt hatte.
 

Nun gut, jetzt war es wenigstens raus und er musste sich keine Sorgen machen, dass Kisumi es von dritter oder vierter Seite erfuhr. Dieser schien ohnehin sehr liberal eingestellt zu sein, von dem, was er ab und an verlauten ließ.
 

„Ich bin schon seit zwei Jahren hier und würde sagen, meine Therapie hat nur mäßige Erflog“, zuckte der andere lächelnd die Schultern. „Wahrscheinlich bringt das alles eh nichts und wir werden für alle Ewigkeit hier sitzen.“
 

„Wahrscheinlich…“, seufzte der Kleinere und merkte dabei nicht, wie Sousuke sie schon seit längerem beobachtete.
 


 

Nachdem Chigusa zurückgekehrt war, verabschiedeten sie und Kisumi sich bald, sodass die anderen beiden Jugendlichen zurückblieben. Der Himmel draußen war schon rabenschwarz, obwohl es erst kurz nach acht Uhr am Abend war. Die Beleuchtung in diesem Raum war nicht die beste, da an allen Ecken gespart wurde, doch man konnte trotz der wenigen Energiesparlampen noch das meiste erkennen.

Rin war nun auch sehr nachdenklich gestimmt, sodass sie beide eine Weile schweigend nebeneinander saßen, ehe Sousuke das Wort ergriff.
 

„Du weißt nicht wirklich, weswegen er hier ist, oder?“
 

„Du meinst Kisumi? Ich dachte, er ist-“
 

„Ist er nicht“, erwiderte Sousuke schärfer als Rin es je zuvor von ihm gehört hatte.
 

„Nicht? Aber weswegen dann?“, wurde der Kleinere unsicher und sah den anderen scheu an, da dieser aufgebracht zu sein schien.
 

„Nein. Er ist in keinster Weise wie du“, wurde der Größere etwas ruhiger, da er sah, dass sein Gegenüber sich unwohl fühlte.
 

Normalerweise tat er sich schwer damit, die Gefühle andere zu deuten, da er mit ihren Gesichtsregungen nicht viel anfangen konnte, doch bei Rin war es anders. Das lag wahrscheinlich daran, dass sie sich näher kennen gelernt hatten und dieser ihn interessierte, sodass er dessen Verhalten studierte.
 

„Er hat…schlimme Dinge getan“, senkte Sousuke den Blick und überlegte, wie er das am besten in Worte fassen konnte.
 

„So schlimm wird es jetzt auch nicht gewesen sein“, versuchte Rin die Situation mit einem nervösen Lachen herunterzuspielen, ahnte aber, dass diese keineswegs zum Lachen waren.
 

Immerhin saß Kisumi in einer Klinik für psychisch Kranke und wenn er dann auch noch einem anderen etwas angetan hatte, musste das etwas wirklich gravierend Schlimmes gewesen sein, dass man ihn einweisen lassen, und nicht ins Gefängnis gebracht hatte.
 

„Er hat sich an Kindern vergangen und wer weiß noch alles“, biss Sousuke die Zähne zusammen und presste diese Worte durch sie hervor. „Das Schlimmste ist, dass es ihm nicht mal Leid tut.“
 

„Aber…“, wich jegliche Farbe aus Rins Gesicht und er starrte den anderen einfach nur fassungslos an.
 

Das konnte er nicht glauben. Das konnte nicht wahr sein…das [style type="italic"]durfte[/style] nicht wahr sein!

Nicht der immer gut gelaunte, fröhliche Kisumi, der ihn schon oft zum Lachen gebracht hatte, der immer so unbeschwert und nett schien.

Diese Information war ein so großer Schock für Rin, dass er wie angewurzelt da saß und keinen Muskel bewegen konnte.
 

„Ich weiß, dass es schwer zu glauben ist, aber jeder hat wohl seine Schattenseiten“, flüsterte Sousuke leise und blickte dabei auf seine eigenen Hände, deren Handflächen nach oben zeigten; die Finger leicht gekrümmt.
 

„Das ist doch nicht bloß eine Schattenseite, das ist einfach nur krank“, erwiderte der Kleinere, der sich wieder gefangen hatte.
 

Ihm war wieder bewusst geworden, wo er sich befand und welche Menschen ihn umgaben. Ein kleiner Teil von ihm klammerte sich noch immer verzweifelt an die Hoffnung, dass alles nicht so schlimm war und es sicher auch noch halbwegs normale Leute gab.

Kisumi fiel da leider schon mal weg, doch Sousuke und Chigusa blieben. Diese beiden konnten unmöglich eine Straftat begangen haben, um hier gelandet zu sein, richtig?

Andererseits hatte Rin das auch von Kisumi gedacht…

Er war sich in diesem Moment einfach nichts mehr sicher.
 

„Ich würde gerne sagen: jeder macht Fehler und verdient eine zweite Chance, aber…“, fielen Sousuke diese Worte unglaublich schwer, da ihm bewusst wurde, dass man diese wohl auch auf ihn selbst anwenden konnte. „Manche Menschen gehören einfach für den Rest ihres Lebens weggesperrt.“
 

„Aber man kann vieles heilen, oder?“, entgegnete Rin, der den Größeren nun ansah, welcher den Blick nach wie vor auf seine Hände gerichtet hatte.
 

„Schon…aber bei weitem nicht alles“, stieß dieser lautlos die Luft aus, wobei er die Schultern hängen ließ.
 

Auf dem Weg in ihr gemeinsames Zimmer zurück, schwiegen beide. Rin, da er die neuen Informationen über Kisumi verarbeiten musste, Sousuke, weil er über dessen Worte und den Bezug auf sich selbst nachdachte.

Einen so stillen Abend, hatte es lange nicht mehr zwischen ihnen gegeben und abgesehen von dem „Gute Nacht“, an das sie sich inzwischen gewöhnt hatten, wurde auch nicht mehr viel gesprochen.
 


 

Viele der Pfleger reisten in den folgenden Tagen ab, da sie für die Feiertage bei ihrer Familie sein wollten. Durchaus verständlich, denn wer wollte Weihnachten schon unter Verrückten verbringen?

Dafür hatten die, die noch im Dienst waren, alle Hand voll zu tun. Diesen vorübergehenden Personalmangeln nutzten Sousuke und Rin aus, um ihr Vorhaben durchzuführen, die eine Schlüsselkarte so zu manipulieren, dass sie in den Raum mit dem Schwimmbecken gelangen konnten.

Wie abgemacht, stand Rin Schmiere, während sich Sousuke im Aufenthaltsraum der Pfleger, der zu diesen Tagen so gut wie immer leer war, an einem Computer saß und sich am Programmcode zu schaffen machte. Er musste nur ein paar Zeilen ändern, dann würden sie endlich wieder schwimmen können.
 

Vor der Tür schwitzte Rin Blut und Wasser, da er bei dem kleinsten Geräusch, das meist von den Lampen kam, zusammenzuckte. Illegale Tätigkeiten waren eindeutig nicht sein Ding. Dazu war er viel zu nervös und hielt eigentlich auch nichts davon. In diesem Falle war das aber etwas völlig anderes, denn sie würden damit niemandem weh tun und er wollte unbedingt wieder ins Wasser.
 

Der Rothaarige bekam einen halben Herzinfarkt, als sich die Tür hinter ihm auf einmal öffnete und Sousuke mit der Karte zwischen zwei Fingern daraus hervortrat.
 

„Erledigt“, meinte dieser lässig und ließ die Tür hinter sich leise ins Schloss fallen.
 

„Gut…dann nichts wie weg hier“, wisperte Rin.
 

Der Größere steckte die Karte in die linke Tasche seiner schwarzen Jogginghose und sie machten sich auf den Weg zu den Fahrstühlen. Als sie Schritte hörten, die sich von etwas weiter weg auf sie zubewegten, begann der Kleinere schnell ein Gespräch, sodass sie nicht allzu verdächtig wirkten. Immerhin war es sehr ungewöhnlich für zwei Patienten um diese Uhrzeit aus der Richtung des Pflegerraums und der Behandlungszimmer zu kommen, da momentan keine Therapien stattfanden.
 

„Oh man, ich find mich immer noch nicht ganz hier zurecht“, meinte der Rothaarige mit einem Tonfall, als hätte er sich zuvor verlaufen.
 

„Ich hab auch ewig dafür gebraucht“, erwiderte Sousuke, wobei es nicht ganz schlüssig war, ob er einfach nur mitspielte, oder diese Worte der Wahrheit entsprachen. „Meinen Orientierungssinn kann man in die Tonne treten.“
 

„Oh echt? Hätte ich nicht gedacht“, ging Rins anfängliches Schauspiel in ernsthaftes Interesse über, gerade in dem Moment, als eine Gestalt um die Ecke bog.
 

„Ja. Ich verlaufe mich jetzt sogar noch manchmal“, nickte der Größere während die Schwester an ihnen vorbeilief.
 

Mit Erleichterung erreichten sie die Aufzüge und steigen in den linken ein, der gerade gehalten hatte. Ein paar Patienten kamen aus diesen, doch dann war die Kabine frei. Manchmal fand es Rin richtig schade, wenn diese leer war, da Sousuke dann weiter weg von ihm stand, als wenn sich noch andere bei ihnen befanden.

Doch er ahnte inzwischen, weswegen sich der Größere so verhielt und wünschte diesem daher keine Stresssituationen herbei, nur weil er dessen Nähe genoss. Trotzdem fände Rin es schön, wenn sich Sousuke ihm auch ohne einen derartigen Grund zu haben, nahe kommen würde.
 


 

Oben angekommen, war weder Kisumi, noch Chigusa zu entdeckten, das ausnahmsweise beide gut fanden. Seit Rin erfahren hatte, weswegen Kisumi eingeliefert worden war, mied er diesen wenn möglich. Sousuke war ihm gegenüber ohnehin –wie allen anderen – eher distanziert. Gegen Chigusa hatten beide nichts, doch diese war meist mit dem anderen im Schlepptau unterwegs.
 

„Ich hab Lust auf Cola…du?“, grinste Rin den Größeren an, welcher nickte.
 

Und so steuerten sie schnurstracks auf den nächsten Getränkeautomaten zu, wobei sie an der Glasfront der Terrasse vorbei mussten, auf der gut 30 Zentimeter Neuschnee lag.

Rin drückte auf den Knopf, der ihm zum begehrten Getränk verhelfen würde, musste danach aber feststellen, dass dies die letzte Dose war.
 

„Sousuke, wir haben ein Problem…“, drehte er sich mit der Coladose in der rechten Hand zu diesem um und deutete mit der anderen hinter sich. „Letzte Cola.“
 

Keine Minute später hatten sie beschlossen, wie dieses Problem zu lösen war: Ein Schere-Stein-Papier-Duell mit mindestens 2 aus 3 Siegen würde den Gewinner ermitteln.

Mit viel zu großem Enthusiasmus kämpften die beiden nun um ihre Cola, sodass sie darauf achten mussten, nicht zu laut zu werden und womöglich noch andere Insassen zu stören, oder gar die Aufmerksamkeit des übriggebliebenen Personals auf sich zu lenken.

Nach dem dritten Zug, stellte sich Rin als strahlender Sieger heraus und öffnete mit einem Zischen den Verschluss der Dose. Die nicht mehr ganz so kühle Flüssigkeit bahnte sich ihren Weg seinen Rachen hinab.

Als er absetzte, blickte er schuldbewusst zu Sousuke, welcher schon drauf und dran war, sich für sein anderes Getränk zu entscheiden.
 

„Hier…nimm“, drückte ihm der Kleinere mit geröteten Wangen die Dose in die Hand, die er ungefähr zur Hälfte leer getrunken hatte.
 

„Aber du hast gewonnen“, blinzelte Sousuke überrascht.
 

„Nun trink schon!“, schmollte Rin daraufhin und verschränkte die Arme vor der Brust, damit der Größere ihm die Cola nicht zurückgeben konnte.
 

Der andere hatte schon so viel für ihn getan, dass er ein schlechtes Gewissen bekam, jetzt nicht wenigstens mit ihm zu teilen…außerdem mochte er ihn.

Ein unsicheres Lächeln schlich sich für den Bruchteil einer Sekunde auf die Lippen des Dunkelhaarigen, ehe er die Dose an seinen Mund ansetzte.

Nasse Weihnachten

Am Abend vor Weihnachten lag Rin in seinem Bett und starrte mal wieder an die Decke. Er hörte über Kopfhörer Musik, so wie er es oft tat, wenn Sousuke gerade Duschen war. Mit seinem Handy konnte er sonst auch nicht mehr viel anfangen, da es keinen Empfand hatte, er nicht ins Internet konnte und Selfies zu schießen, ohne Rückmeldung zu bekommen, relativ langweilig war. Das hieß aber nicht, dass er das nicht des Öfteren noch tat.

Gerade überlegte dich der Rothaarige, ob man sich on der Anstalt wohl auch beschenkte. Andererseits war es doch äußerst schwierig, an Geschenke zu kommen, da man nichts bestellen und die Utensilien, welche man beantragen konnte, nur aus essenziellen Gegenständen bestanden.

Das größte Geschenk, das wahrscheinlich nicht beabsichtig war, welches die Anstalt ihnen machte, war, dass aus hauptsächlich personal bedingten Gründen, keine Therapien über die Feiertage stattfanden.
 

Irgendwie wollte sich Rin bei Sousuke dafür bedanken, dass dieser sich so gut um ihn gekümmert hatte, wusste aber noch immer nicht wie. Dieser kam auch gerade aus dem Bad, mal wieder nur in Boxershorts und löste dabei jedes Mal unglaubliche Qualen beim Kleineren aus. Er wollte nicht hinsehen, aber eigentlich doch. Wenn er es tat, lief er Gefahr entdeckt zu werden, wenn er es nicht tat, stellte er sich vor wie Sousuke leicht bekleidet aussah. Wie man es auch drehte und wendete, das Ergebnis bleib das Selbe: Rin fand Sousuke total scharf.

Damit umzugehen war nicht leicht, vor allem wenn man ein 16-jähriger Junge war, der sich voll im Hormonchaos gefangen vorfand.
 

Als sich Rin auf die Seite zur Wand hin drehte, regte sich etwas in seiner unteren Körperhälfte. Das durfte doch wohl nicht wahr sein…dabei hatte er nicht einmal geschaut!

Anscheinend reichte aber auch schon die Vorstellung aus, um ihm einen Ständer zu verpassen…

Glücklicherweise hatte der Rothaarige ohnehin nach Sousuke duschen wollen, sodass er sich nun aus dem Bett schwang und eiligst im Bad verschwand. Damit war er in Sicherheit…noch mal Glück gehabt.
 

Unterdessen fand Sousuke das Verhalten seines Mitbewohners und Freundes höchst seltsam, schob es aber darauf, dass er keine Ahnung von Menschen hatte und das vielleicht nicht so ungewöhnlich war, wie es ihm vorkam. Er zog sich wie gewohnt an, schnappte sich ein Buch und legte sich ins Bett.
 


 

Am nächsten Morgen gab es den ganzen Tag besondere Gerichte für die Patienten – das offizielle Weihnachtsgeschenk der Klinik. Sousuke erklärte ihm, dass das russische Weihnachten eigentlich am 7. Januar stattfand, doch seit der Globalisierung und auch weil viele der Angestellten nicht aus Russland stammten, dieses auf den 24. - 26. Dezember verlegt wurde, so wie Rin es auch aus Japan kannte.

Das Essen schmeckte tatsächlich nicht schlecht, auch wenn der Rothaarige die Gerichte nicht zu benennen wusste. Das war für ihn auch eher nebensächlich, solange er etwas halbwegs Essbares zwischen die Zähne bekam. Mit Fleisch sparte man hier für gewöhnlich auch sehr zu seinem Leidwesen.

Neben seiner Familie, seinen Freunden und seinem Bett, vermisste der Japaner sein Kamchi und allgemein fleischreichere Kost.

Sousuke aß gern Schweinefleisch, wie er ihm einmal beim Mittagessen erzählt hatte, doch sein Leibgericht Tonkatsu gab es hier auch nicht. Dieses hatte seine Mutter oft zubereitet, wie er dem anderen ohne weitere Ausführungen berichtet hatte.
 

Kisumi war nach dem Mittagessen wie verschollen und ließ sich danach auch nicht mehr blicken. Inzwischen hatte sich Rin damit abgefunden, dass dieser ein Sexualstraftäter war – sofern man das konnte – und konnte normal mit ihm umgehen. Jedoch hatte er immer den Hintergedanken im Kopf, welche schlimmen Dinge dieser getan haben mochte. Immerhin hatte er nur von Sousuke erfahren was Sache und nicht mit Kisumi persönlich darüber gesprochen, Somit wusste nicht was genau dieser angestellt hatte, doch die Information, dass es mit Kindern zu tun gehabt hatte, reichte ihm schon aus.

Dass mehr dahinter stecken konnte, darüber zerbrach sich Rin seinen schönen Kopf auch nicht, denn für ihn waren momentan andere Dinge wichtiger. Wie das nicht vorhandene Weihnachtsgeschenk für Sousuke beispielsweise, oder die ewig währende Suche nach der Antwort auf dessen Aufenthaltsgrund.
 


 

„Sollen wir heute Abend schwimmen gehen?“, beugte sich der Dunkelhaarige zu Rin und flüsterte ihm diese Worte von hinten ins Ohr, sobald sie sich in ihrem Zimmer befanden.
 

Rin erstarrte, da er auf diese Geste nicht gefasst gewesen war und er eine Gänsehaut vom Luftzug in seinem Nacken, der von Sousukes Atmen herrührte, bekommen hatte. Wusste der Kerl überhaupt, welche Gefühle er damit bei ihm auslöste?

-Höchstwahrscheinlich nicht. Er war immerhin nicht schwul und wirkte sonst auch nicht wie ein Aufreißer. Ganz im Gegensatz zu Kisumi, doch über diesen wollte der Rothaariger gerade nicht nachdenken.

Die Aussicht auf das Schwimmbecken überdeckte alles, sodass er sich auch schnell wieder losriss, umdrehte und erfreut zustimmte.
 

„Wann wollen wir los?“, hakte Rin nach, schon total aufgeregt.
 

„Am besten kurz vor elf“, entgegnete der Größere. „Da sind die Kontrollgänge vorbei und die meisten schlafen.“
 

„Aber kommen wir dann überhaupt noch aus dem Zimmer?“, gab der Kleinere zu bedenken.
 

„Ja. Ich hab es hinbekommen, dass es mit meiner Karte geht“, nickte Sousuke.
 

„Cool“, grinste Rin und ließ sich aufs Bett fallen.
 

Nur noch ein paar Stunden, dann könnten sie schwimmen gehen!
 

Um die Zeit zu überbrücken, aber auch, da sie das öfter taten, unterhielten sich Sousuke und Rin, während sie auf dem Bett saßen. Dadurch hatten sie relativ viel übereinander herausgefunden, wie dass der Größere wirklich sehr gut in der Schule gewesen war – im Prinzip war er das auch jetzt noch – und Mathe zu seinen stärksten Fächern zählte. Daher war es auch nicht weiter verwunderlich, dass er sich in informatischen Dingen auskannte und es für ihn ein leichtes gewesen war, die Schlüsselkarte umzuprogrammieren.

Der Kleinere war auch nicht schlecht und konnte besonders in Englisch punkten, das dem anderen schwerer fiel und sein schlechtestes Fach bildete. Außerdem beschäftigte er sich viel mit Mode und den neusten Trends, wovon Sousuke absolut keine Ahnung hatte.

Dafür, dass er sich nicht auskannte, zog er sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mittel doch recht gut an. Auch an diesem Tag hatte Rin nichts an ihm auszusetzen: schwarze Jogginghose, dunkelblaues T-Shirt und eine hauptsächlich schwarze Sweatshirtjacke mit grauen und orangenen Elementen und zwei weißen Streifen. Des Weiteren hatten sie beide eine Vorliebe für Nikes.

Gerade hatten sie es über Beziehungen, ein Thema, das Sousuke nie freiwillig aufbringen würde, und Rin dafür verantwortlich war, weil sich ein Teil von ihm wünschte, er hätte Chancen beim anderen. Gab es eine bessere Möglichkeit das herauszufinden, als sich auf diese Weise an dessen Sexualität heranzutasten?
 

„Hattest du eine Freundin, bevor…das passiert ist?“, wollte Rin gerade wissen und ging nicht davon aus, dass er dann auch ähnliche Fragen beantworten würde müssen.
 

„Nein“, erwiderte Sousuke kurz und bündig.
 

„Ähm…aber es hat doch bestimmt jemanden gegeben, den du mochtest, oder?“, tastete er sich weiter vor.
 

„Ich weiß nicht“, überlegte der andere diesmal länger. „Nicht wirklich.“
 

„Wirklich? Gar niemand?“, wurden Rins Augen groß. „Aber es wird sicher ein paar Mädchen gegeben haben, die dich mochten…“
 

Dass jemand, der eine so beeindruckende Aura hatte und so gut aussah, keine Freundin gehabt hatte, oder nicht wenigstens mal eine Affäre, wirkte in seinen Augen absurd. Es war zwar nicht unmöglich, aber doch sehr unwahrscheinlich.
 

„Das schon, aber…sie haben mich nicht wirklich interessiert“, zuckte Sousuke mit den Schultern.
 

Vor seiner Zeit in der Klinik hatte er weitaus andere Probleme gehabt, als sich um eine Freundin Gedanken zu machen, oder eine Beziehung in Erwägung zu ziehen. Ihn hatte auch niemand so sehr interessiert, als dass er sich hätte verlieben können. Was war das schon, Liebe?

Er wusste es nicht…oder hatte eine falsche Vorstellung davon gehabt, die zerstört worden war.
 

„Oh, okay“, konnte Rin es noch immer nicht glauben.
 

„Und was ist mit dir?“, kam die unvermeidliche Gegenfrage auf.
 

„Ähm, wie?“, blinzelte der Kleinere, welcher schon vermutete hatte, dass sich das Gespräch erledigt hatte und er auf diese Weise nicht weiterkommen würde.
 

„Na hattest du mal einen Freund?“, präzisierte Sousuke seine Frage.
 

„Ach so…nein…“, murmelte Rin vor sich hin und sah dabei nach unten.
 

Auch wenn Rin gerne feiern ging, war ihm das erst seit diesem Jahr möglich gewesen und so sehr darauf angelegt, sich einen Freund zu suchen, hatte er es auch nicht. Schule, Freunde und der Verein hatten das meiste seiner Freizeit gefressen, sodass er auch keine Zeit für eine Beziehung gehabt hätte. Das war jedenfalls eine der Ausreden, die er sich zurechtgelegt hatte.

In Wahrheit war der Rothaarige nicht so selbstbewusst, wie er es gerne wäre, und traute sich sehr vieles nicht, vor allem nicht, wenn er einen Kerl toll fand. Diejenigen, die auf ihn zugekommen waren, hatten nicht seinem Typ entsprochen, aber wenn er in Stimmung gewesen war und der andere ihm wenigstens ein bisschen zugesagt hatte, war schon ein bisschen was gelaufen.

Für Rin war es schon viel, wenn er jemanden küsste und ein bisschen in der Disko rummachen konnte; zu mehr war er nicht bereit gewesen.

Sein erstes Mal wollte er nicht unbedingt mit einem halb Fremden haben, in den er nicht verliebt war. Seinen Körper zeigte er auch nicht jedem, um genau zu sein hatte er das noch gar niemandem. Dass er oft halb nackt in seinen Schwimmhosen herumgelaufen war, da er doch die meiste Zeit im Verein verbracht hatte, war etwas anderes. Das war Sportkleidung und musste so sein, um so wenig Wasserwiderstand wie möglich zu erlangen.

Apropos Schwimmkleidung: Diese besaß er momentan nicht und stellte sich gerade die Frage, wie er dann schwimmen gehen sollte. Nackt ins Wasser zu gehen kam nicht in Frage! Nicht, wenn Sousuke dabei war!
 

„Hm, wir sollten uns dann bald fertig machen“, ging der Dunkelhaarige nicht weiter auf Rins Antwort ein, welcher ihm dafür sehr dankbar war.
 

Das lag auch nicht daran, dass es Sousuke nicht interessierte, wie Rins Beziehungsleben ausgesehen hatte, bevor sie sich kennen gelernt hatten, sondern, dass er einfach nicht wusste, wie er mehr aus diesem herausbekommen sollte. Doch sie würden bestimmt noch viele Gelegenheiten haben, mehr voneinander zu erfahren, da ihrer beider Entlassung alleine in den Sternen geschrieben stand.
 

Sousuke holte zwei Handtücher aus dem Bad und steckte diese in seine Sporttasche, die er in seiner Hälfte des Kleiderschrankes aufbewahrte und in welcher er vor zwei Jahren seine wichtigsten Besitztümer mitgebracht hatte. Während er das tat, überlegte Rin, was er tun sollte und überwand sich schließlich, den anderen zu fragen.
 

„Hast du noch Badehosen oder so? Ich hab ja keine mitnehmen können…“, erklärte er sich.
 

„Ich hab drei mitgenommen, weil ich nicht wusste, ob ich hier die Möglichkeit zu schwimmen bekommen würde“, warf Sousuke ihm daraufhin eine enge, schwarze Schwimmhose zu. „Die ist mir inzwischen ein bisschen zu klein.“
 

„Danke!“, fing Rin diese überrascht, lächelte dann aber und ging ins Bad, um sich umzuziehen.
 

Tatsächlich passte die Hose ganz gut, wenn auch nicht perfekt, aber das war auch egal: Immerhin musste er damit kein Turnier gewinnen.
 

„Bin bereit“, trat er kurz darauf hervor und hatte sich seine normalen Klamotten darüber gezogen. Immerhin mussten sie erst zum Schwimmbecken laufen und liefen auf dem Weg Gefahr entdeckt zu werden. Wenn dem so wäre, könnten sie immer noch behaupten, die Zeit aus den Augen verloren zu haben und wieder zurückgehen. Das würde auch Ärger geben, aber noch längst nicht so großen wenn man sie beim Versuch ertappte, schwimmen zu gehen.
 

„Passt sie?“, wollte Sousuke wissen, der sich in der Zwischenzeit wohl auch umgezogen hatte und gerade dabei war, seine Schuhe wieder anzuziehen.
 

„Ich kann mich darin sehen lassen“, bestätigte Rin mit einem Zwinkern. So gut hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt, was wohl auch an dem engen Stoff lag, der sich um seine Beine schmiegte.
 

„Okay, dann gehen wir in fünf Minuten los“, legte der Größere fest.
 


 

Zehn vor elf zückte Sousuke seine Schlüsselkarte hervor und öffnete damit die Tür, die das erste Hindernis darstellte. Dem Anschein nach, hatte er alles richtig programmiert und es löste keinen Alarm aus, als sie durch die Tür schritten. Rin schloss sie lautlos hinter sich, wie er es schon ein paar Tage zuvor geübt hatte und sie schlichen auf leisen Sohlen durch die Flure. Eilig hatten sie es im Prinzip auch nicht, die Priorität lag darauf, so leise wie möglich zu ihrem Ziel zu gelangen und nicht erwischt zu werden.

Bei den Aufzügen angelangt, hörte Rin seinen Herzschlag rasen. Teilweise vor freudiger Erregung, teilweise vor Angst, erwischt zu werden. Sofern es Sousuke genauso erging, ließ sich davon nichts anmerken und betätigte in aller Seelenruhe den Knopf, der die Schiebetüren dazu brachte, auseinander zu gehen. Sie traten in die Kabine und der Größere wählte die ‚0‘ aus.

Während der Fahrt flüsterte Sousuke dem Kleineren zu, dass nun im Prinzip nichts mehr schief gehen konnte, da sich im Untergeschoss normalerweise nie jemand aufhielt, es sei denn es stand eine Operation an, oder das Personal wollte schwimmen. Das war aber eher im Sommer der Fall und dann auch nicht nachts.
 

In dieser Etage war der Rothaarige zuvor noch nie gewesen und schaute sich neugierig um. Nachdem sich die Türen geöffnet hatten, erblickte er zwei große Korridore, die mit Abstand die breitesten im ganzen Gebäude waren – zumindest von dem Teil, den Rin bisher gesehen hatte. Sousuke ging zielsicher in den linken, Rin folgte.

Langsam wich seine Angst, da dieses Stockwerk komplett verlassen wirkte. Das war auch kein Wunder, da in diesem fast ausschließlich Operationen stattfanden und um diese Tageszeit – oder besser gesagt Nachtzeit – so gut wie alle schliefen.

Am Ende des Gangs blieb Sousuke vor einer Tür stehen, die die Nummer ‚003‘ trug und auf der ‚бассейн‘ – also ‚Pool‘ – stand. Das konnte Rin allerdings nicht lesen und dachte sich einfach, dass so etwas wie ‚Schwimmraum‘ darauf stand.
 

Als Sousuke auch diese Türe erfolgreich geöffnet hatte und die Tür für den Kleineren aufhielt, erblickte dieser eine vertraute, doch schon fast verloren geglaubte Szenerie: Ein dunkelblau gekachelter Raum, in dem sich ein blau gestrichenes Schwimmbecken mit vier Bahnen befand. Das konnte er auch ohne elektrisches Licht erkennen, da der Raum von draußen erhellt wurde. Es gab nur schmale Fenster an der Decke, da der Großteil der Etage unterirdisch lag, die aber schon ausreichten, dass das Licht hereinfiel und man innen keins extra anschalten musste.
 

Als Rin den Raum betrat, fühlte er sich ein Stück weit zuhause, auch wenn er nie zuvor  in diesem gewesen war. Die vertraute Umgebung, die doch so fremd war, ließ ihn daran zweifeln, ob dies die Realität war, oder er nur einen schönen Traum hatte.

Nachdem Sousuke die Tür schloss und sich neben den Kleineren stellte, der das Wasser mit glänzenden Augen betrachtete, genoss er den Moment ebenfalls, auch wenn er schon ein paar Mal hier gewesen war. Das Blau des Wassers war doch ein seltener Anblick in diesem Gebäude, das er nur ein paar Mal im Jahr zu Gesicht bekam; nämlich immer dann, wenn viele Angestellten Urlaub nahmen.
 

„Wollen wir rein?“, stellte Sousuke die Tasche abseits vom Becken ab, sodass sie nicht nass werden würde und begann sich auszuziehen.
 

Rin nickte eifrig und tat es ihm gleich, auch wenn er sich ein wenig genierte. Der andere hatte ihn immerhin noch nie mit so wenig Kleidung am Leib gesehen, weil sich der Rothaarige – im Gegensatz zu seinem Mitbewohner – alle Klamotten mit ins Bad nahm, wenn er duschen ging.

Man könnte meinen, dass der Kleinere es als Schwimmer gewöhnt war, in diesem Aufzug von vielen Menschen betrachtet zu werden, doch da sie zu zwei waren und er den anderen mochte, war das für ihn noch mal eine ganz andere Situation.
 

„Steht dir“, kommentierte Sousuke in diesem Moment Rin, der seine alten Schwimmhosen trug und dachte sich dabei wahrscheinlich nicht viel.
 

Jedenfalls dachte sich das der Rothaarige, der daraufhin leicht rot anlief und sich durch die Haare fuhr. Doch selbst wenn der andere es nicht beabsichtig hatte, schmeichelte es ihn das zu hören.
 

„Danke“, murmelte Rin daraufhin und drehte sich zum Wasser, um sich abzulenken und sein Herz zu beruhigen.
 

Lange konnte er dem Wasser auch nicht mehr widerstehen, das ihn zu rufen schien, sodass er Anlauf nahm und mit einem Köpfer die Wasseroberfläche durchbrach, ehe er dessen Kühle um sich spürte, die ihn willkommen hieß.

Den Moment genießend, bewegte Rin seine Arme und Beine langsam in keinem bestimmten Schwimmstil, ehe er nach oben glitt und mit seiner Spezialität, dem Schmetterling, weiterschwamm. Das beanspruchte vor allem seine Armmuskulatur mehr als erwartet, da er doch schon länger nicht mehr geschwommen war.

Als er jedoch von rechts hinten schnelle Bewegungen wahrnahm und sich kurz umblickte, sah er Sousuke, der mit ihm gleichzog und fühlte sich auf einmal von diesem herausgefördert. Diese stumme Aufforderung des anderen zu einem Rennen, verstand Rin besser als jeder andere und nahm ohne nachzudenken an.

Seine zuvor langsamen Bewegungen gingen schnell in ihre übliche Form über, mit der er sich wesentlich schneller fortbewegen konnte. Bei der Wendung, hatte er den Größeren eingeholt und dachte nun mit seinem Delfintritt ordentlich punkten zu können, wobei er schon bemerkt hatte, dass Sousuke ein wirklich guter Schwimmer war.

Tatsächlich schaffte es der Kleinere nun einen kleinen Vorsprung aufzubauen, der nachdem sie die Bewegung der Arme wieder aufgenommen hatten, für seinen Geschmack unverschämt schnell zunichte gemacht wurde.

Als sie fast zeitgleich beim Startblock ankamen, tauchte Rin keuchend an der Wasseroberfläche auf und sah zu Sousuke. Dieser atmete auch schwer, sah aber nicht so fertig aus wie er es von jemandem erwartet hätte, der nicht oft schwamm.
 

„Du bist verdammt schnell“, grinste Rin den Größeren an, als er wieder zu Atem gekommen war.
 

„Danke…du auch“, erwiderte Sousuke das Lächeln leicht.
 

„Wollen wir nochmal?“, forderte der Rothaarige den anderen nun heraus, wobei seine spitzen Haizähne sichtbar waren.
 

„Klar doch“, nahm der andere an und sie hievten sich aus dem Becken.
 

Diesmal stiegen sie auf die Startblöcke, ehe Rin das Startsignal gab.
 

Diesmal hatte Sousuke die Nase eindeutig vorne und kam vor dem Kleineren an ihrem Ausgangspunkt an.
 

„Wow…“, brachte Rin seine Bewunderung zum Ausdruck, als sie sich wieder außerhalb des Beckens befanden und auf dem Boden saßen. „Ich will gar nicht erst wissen, wie du mich abgezogen hättest, als du noch trainiert warst!“
 

„So schnell war ich auch wieder nicht“, wehrte Sousuke ab, weil er nicht mit Komplimenten umgehen konnte.
 

„Oh doch, warst du!“, widersprach der Kleinere. „Wenn nicht, dann würde das heißen, dass ich total abgebaut hätte. Ich war nämlich auch nicht schlecht im Ranking, weißt du?“
 

„Hm…na schön“, gab der Größere nach. „Ich war mal in der Top 10 in meiner Altersklasse. Wie es aussehen würde, wenn ich jetzt wieder in Turnieren schwimmen würde, weiß ich aber nicht.“
 

Er hatte bestimmt abgebaut, was auch kein Wunder war, wenn man nicht die Möglichkeit hatte, regelmäßig zu trainieren.
 

„Krass“, staunte Rin nicht schlecht. „Du bist wohl ein Naturtalent und mit [style type="italic"]den[/style] Armen ist es auch kein Wunder, dass du so schnell bist.“
 

Daraufhin blinzelte Sousuke überrascht und blickte auf seine Oberarme, die der Kleinere gelobt hatte. Gut, sie waren schon ziemlich definiert und er hatte ordentlich Kraft darin, aber so direkt darauf angesprochen zu werden, war er schlichtweg nicht gewohnt. Deswegen erwiderte der Größere auch nichts, sondern lächelte zum wiederholten Male, wobei er seine Wangen einen leichten Rotschimmer aufwiesen, weil er sich freute.
 

Nach ungefähr einer Stunde – es konnte auch länger gewesen sein – in der die beiden nicht mehr um die Wette geschwommen waren, dafür aber das Wasser um sich genossen hatten, lagen sie auf dem gekachelten Boden nebeneinander, um sich auszuruhen.
 

Rin drehte seinen Kopf in Sousukes Richtung und lächelte diesen an: „Danke, dass du mir das ermöglicht hast!“
 

Dieser wandte sich dem anderen ebenfalls zu und schaute überrascht. Der Besuch im Schwimmraum war sozusagen sein Weihnachtsgeschenk an den Kleineren gewesen, mit dem er ihm eine Freude machen und ihn von den schlimmen Ereignissen hatte ablenken wollen. Dass ihm dies gelungen war, stellte Sousuke zufrieden und der kleine Dank war mehr als er sich erhofft hatte.
 

„Frohe Weihnachten, Rin“, flüsterte Sousuke in einer äußerst angenehmen Tonlage und lächelte milde.
 

Am liebsten wäre der Kleinere ihm nun um den Hals gefallen, doch angesichts ihrer Position und der größtenteils nicht vorhandenen Kleidung, ließ er es bleiben. Das änderte nichts daran, wie dankbar er war, den anderen getroffen zu haben und dass dieser so nett zu ihm war.

Rin war in diesem Moment so glücklich, dass er schon fast froh war, an diesen Ort gebracht worden zu sein. Wäre er nicht entführt worden, hätte er Sousuke nie kennen gelernt.

Als er dessen ehrliches Lächeln zum ersten Mal erblickte, wurde ihm bewusst, dass er sich bereits Hals über Kopf in den anderen verliebt hatte. Das war ein so schön warmes Gefühl, das sich in seinem Innersten ausbreitete und seinen ganzen Körper erfasste. Auch wenn er nicht wusste, welche Gefühle Sousuke ihm gegenüber hegte, fühlte sich Rin in diesem Moment geliebt und wollte einfach nur genießen, ohne sich darum sorgen zu müssen, dass seine Liebe unerwidert bleiben könnte.
 


 

Als sie sich abtrockneten wurde Rin bewusst, dass er sich umziehen musste…das hieß, dass er die Schwimmhosen ausziehen musste. Er wollte sich nicht vor dem anderen umziehen! Das wäre sowas von peinlich…

Unschlüssig stand Rin mit seinen Klamotten im Arm da, unfähig sich zu bewegen.

Auf Sousukes fragenden Blick hin, lief der Kleineren noch eine Spur röter an, als er es ohnehin schon war.
 

„Dreh dich um!“, wies er den Größeren an und sah dabei in dessen Augen schon irgendwie niedlich aus.
 

Perplex befolgte Sousuke den Befehl und wandte sich ab, um sich selbst umzuziehen. Ihm wäre nie eingefallen, Rin zu bespannen, vor allem, da er wusste, dass dieser schwul war. Da war es einem wahrscheinlich unangenehm, sich vor anderen Männern auszuziehen. Das konnte er nachempfinden, denn ihm ging es ähnlich, wenn er sich vor einer Schwester ausziehen musste.

Als er sich darüber Gedanken machte, wie Rin empfand, schweiften diese dazu über, dass sich das Bild von diesem, wie er peinlich berührt und mit geröteten Wangen ihn anwies sich umzudrehen, vor sein geistiges Auge geschoben wurde. Dieses fand er auf eine seltsame Weise ansprechend und kam dann zu dem Schluss, dass er das Rins Gesicht allgemein ansprechend fand, nicht nur wenn es diesen Ausdruck trug.

Dessen Körper war wohl auch nicht zu verachten, auch wenn Sousuke eher weniger Wert auf das Aussehen andere Männer legte…zumindest bis er Rin kennen gelernt hatte.

Von der Verlockung geleitet, ein wenig mehr von diesem zu erhaschen, wandte Sousuke nun doch einen Kopf nach diesem um, der sich allerdings schon sein rotes Tank-Top überzog. Trotzdem erkannte man dessen Figur noch ganz gut und zumindest den Oberkörper des Kleineren hatte er schon entblößt gesehen, weswegen er sich dessen Aussehen vor Augen rufen und mit den Informationen, die er in der Realität sah, zu einem Bild verarbeiten konnte.

Rins Schultern waren durchschnittlich breit, aber so wie der Rest seines Körpers definiert und wirkten durch die Muskeln an seinen Armen breiter als sie tatsächlich waren. Dessen Rücken wurde zur Taille hin schmaler und von dieser aus wieder ein bisschen weiter.

Viel mehr konnte Sousuke sich nicht ausmalen, da sich Rin nun zu ihm umdrehte und ihn schmollend ansah.
 

„Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich umdrehen!“, ging er davon aus, dass sich der Größere nicht daran gehalten hatte, was nicht stimmte.
 

„Ich hab nichts gesehen“, wehrte dieser ab und streifte sich seine Jacke über.
 

„Na schön…“, grummelte der Kleinere vor sich hin und warf sich die schwarze Sweatshirtjacke über.
 

Mit ihr ging jede Möglichkeit für Sousuke, sich dessen Körper besser vorstellen zu können, doch das war auch nicht so schlimm für ihn. Er legte nach wie vor nicht so viel Wert auf das Aussehen anderes. Das hieß aber noch lange nicht, dass er Rin nicht attraktiv fand, nur hatte er anfangs seine Aufmerksamkeit eher auf dessen Persönlichkeit gelegt und fing erst langsam an, sich für dessen Äußeres zu interessieren.
 

„Wollen wir zurück?“, schlug der Dunkelhaarige nun vor.
 

Es war schon nach halb eins und er wurde langsam müde. Dem Rothaarigen ging es wohl ähnlich, denn er gähnte in diesem Moment mit vorgehaltener Hand.
 

„Ja, gehen wir zurück“, stimmte er zu.
 

Das war definitiv eins der schönsten Weihnachten, die Rin erlebt je hatte und das schönste, das Sousuke erleben durfte.

Was hast du nur getan?

Ein paar Tage hatten die Patienten der 2. Etage noch ihre Ruhe, bis der Alltagstrott mit dem Eintreffen des Personals wieder aufgenommen wurde. Sousuke und Rin hatten die Gelegenheit genutzt, das Schwimmbecken noch ein paar Mal in Anspruch zu nehmen, bevor es zu riskant wurde.

Zwar war es erst drei Tage her, doch Rin vermisste das Wasser jetzt schon und wohl noch viel mehr das Stückchen Freiheit, das dieses symbolisierte.
 

Dr. Masefield nahm seine Therapie am Rothaarigen wieder auf, welche nur noch zu Beginn aus einem Gespräch bestand, bevor die Folter begann. Die Weise, auf die er den Schwulen therapierte, konnte nur schwer als etwas anderes bezeichnet wurden.

Wie würde er es wohl finden, wenn man ihn auf einen Stuhl fesselte und schlug, nur weil er eine Frau schön fand?

Rin wehrte sich nicht gegen die Schläge, dazu fehlte ihm einfach die Kraft. Außerdem hatte er Angst davor was ihm blühte, wenn er sich widersetzte. Sousukes Narben hatten sich in sein Gedächtnis eingebrannt und wirkten wie ein Mahnmal, das ihn davon abhielt, sich in eine misslichere Lage zu bringen.
 

„You really are a tough one“, schüttelte der Psychologe seinen Kopf, als Rin auch nach dieser Sitzung keine ‘Besserung’ zeigte.
 

„I won’t give in to you…I’m not ill“, keuchte Rin, dessen Atmung durch den letzten Schlag auf den Rücken beeinträchtigt war.
 

„Oh yes, you are“, schüttelte der andere den Kopf. „It’s just, that you can’t see it yet. But don’t worry: I will help you.“
 

Am liebsten hätte Rin ihm entgegen geschrien, dass er seine Hilfe nicht wollte und auch nicht benötigte, aber sein Körper gab gerade nach, sowie er keinen Ton über die Lippen brachte. Stattdessen hustete er ein paar Mal, röchelte um Atmen ringend.
 

„We’ll end it here for today“, schnallte Dr. Masefield ihn dann endlich los. “See you tomorrow~”
 

Damit hievte er den Teenager aus dem Stuhl und gab ihm einen Stoß in Richtung Tür.

Rin fühlte sich wie ein Tier, das etwas falsch gemacht hatte und das man mit Gewalt zu strafen versuchte, dass es den Fehler nicht noch einmal beging. Dass er aber überhaupt etwas verbrochen haben sollte, leichtete ihm nicht ein. Immerhin hatte er mit keinem Mann geschlafen, noch sich von einem anderen auf unziemliche Weise berühren lassen. Sollten alleine seine Gefühle und die Küsse dazu ausreichen, dass man ihm solche Dinge antat?
 

Völlig fertig mit den Nerven schleppte sich Rin den weißen Gang entlang, sich teilweise an der Wand abstützend, dass er nicht umkippte. Seine Beine schmerzten, seine Arme fühlten sich taub an, er bekam kaum Luft. Zu allem Überfluss würde es auch noch eine Weile dauern, ehe Sousuke aus seiner Behandlung entlassen werden würde…
 

Wie genau diese aussah, hatte der andere ihm bisher nicht geschildert, doch auch ohne weitere Ausführungen konnte Rin sich denken, dass es diesem nicht viel besser erging als ihm.

Wie töricht war es gewesen, Sousuke anfangs nicht zu glauben…

Nun hatte er seine verdiente Strafe für die Annahme, dies hier sei eine normale Klinik, in der den Patienten geholfen wurde. Diese Anstalt glich mehr einem Gefängnis, in dem die Insassen gefoltert und noch kränker gemacht wurden, als sie zu Anfang gewesen waren.

Das mochte nicht für alle zutreffen, doch in einigen Fällen stimmte dies sicherlich.
 

Als Rin sich zum Zimmer schleppte und vor dessen Tür stand, fiel ihm die Karte aus den zitternden, roten Fingern. Auch auf diese hatte man Hiebe angesetzt, sodass sie unangenehm pochten und ihm nicht gehorchen wollten. Er bückte sich und fischte das rechteckige Stück Plastik auf, ehe er einen weiteren Versuch startete, sich in Sicherheit zu bringen.

Diesmal funktionierte es und er gelangte in den inzwischen vertraut wirkenden Raum. Nur Sousuke fehlte noch, um das Bild abzurunden.
 

Der Rothaarige fiel auf sein Bett und wollte sich nicht mehr bewegen. Seine Glieder schmerzten und seine Lunge arbeitete auch noch nicht richtig. Das besserte sich glücklicherweise bald, sodass er erschöpft einschlief.

Gerade als ob seine Träume den Doktor verspotten würden, führten diese ihm sein Verlangen, seine Empfindungen in Form von Sousuke vor Augen.

Dieser streichelte ihn sanft und sagte ihm, dass alles gut werden würde, dass er sich nicht zu fürchten brauchte. Warme Lippen legten sich auf die seinigen und-
 

Die Tür ging auf und ein gehetzt aussehender junger Mann trat ins Zimmer. Rin wurde aus seinem Schlaf gerissen und verpasste die schönste Stelle, wie er glaubte. Er setzte sich auf und blickte den Größeren an.
 

„…haben sie dir wieder was angetan?“, wollte der Kleinere sofort besorgt wissen.
 

„Ich…hab mich nur…an…etwas erinnert…“, ging Sousukes Atem ungewöhnlich schnell und er lehnte sich an die Tür hinter ihm, schloss die Augen, atmete tief durch.
 

Der Reaktion des anderen nach zu schließen, verhieß diese Erinnerung nichts Gutes. Sousuke danach zu fragen, traute sich Rin im Augenblick aber noch nicht. Dieser musste erst wieder runterkommen.
 

„Kann ich was für dich tun?“, bot der Kleinere nun mit vorsichtiger Stimme an.
 

„Ich weiß nicht…“, öffnete Sousuke seine von türkis durchfluteten Augen.
 

Dessen Atmung ging normal, doch sein Blick wirkte abwesend und nachdenklich. Rin war unglaublich neugierig darauf zu erfahren, an was der andere sich erinnert hatte und auch, ob es was damit zu tun hatte, weswegen man ihn hergebracht hatte.
 

„Möchtest du darüber reden?“
 

„Hm…“, war sich der Dunkelhaarige unsicher und zuckte kaum merklich mit den Schultern.
 

Man hatte ihn zuvor versucht dazu zu bringen, mit der Sprache herauszurücken. Dann hatte er sich gewehrt, doch bevor etwas Schlimmeres passiert war, wurde die Behandlung abgebrochen. Das war auch besser so, denn sonst hätte es vermutlich diesmal wirklich Tote gegeben; so brutal und grausam wirkte sich die Erinnerung auf Sousukes Verstand aus.
 

„Du musst natürlich nicht, wenn du nicht willst“, gab Rin ihm zu verstehen, dass er sich nur als Gesprächspartner anbot, den anderen aber nicht drängte, es ihm zu berichten.
 

„Ich sollte darüber sprechen, denke ich“, sah Sousuke nun gefasst zum Kleineren, der auf seinem Bett kniete. „Vor allem mit dir…ich glaube, es ist wichtig.“
 

„Wenn du das sagst“, wusste der Rothaarige nun nicht, was er von dieser Aussage halten sollte.
 

„Darf ich mich setzen?“, kam es ungewöhnlich unsicher vom Größeren.
 

„Klar“, war er verwirrt, dass Sousuke fragte.
 

Sonst setzte dieser sich auch oft zu ihm, ohne davor zu fragen und zögerte diesmal, ehe er sich auf der dunklen Bettwäsche niederließ. Um seine Gedanken zu sammeln, beugte er sich nach vorne und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Knien ab, das Gesicht in den Händen, die Augen geschlossen. Dabei wurde er von Rin beobachtet, der aus dem Verhakten seines Freundes nicht schlau wurde, obwohl es sonst immer umgekehrt der Fall war.
 

Nach einer langen Weile des Schweigens, durchbrach Sousukes Stimme die Stille: „Ich habe jemanden umgebracht…“
 

Überhaupt nicht auf dieses plötzliche Geständnis vorbereitet, glaubte Rin sich verhört zu haben. Doch Sousuke hatte so lange Zeit damit verbracht, sich die Worte zurecht zu legen, dass es ausgeschlossen war, dass er etwas unüberlegtes sagte und der Kleinere wusste, dass er sich nicht verhört hatte. Dazu schlug sein Herz viel zu schnell und er war zu konzentriert, um nicht jedes Wort des anderen aufzunehmen.
 

„Das ist der Grund, weswegen ich hier sitze“, fuhr der Größere fort und öffnete die Augen halb.
 

Das war keine neue Erkenntnis für ihn, doch die Details, wie dies zustande gekommen war, schwappten langsam in kleinen Wellen über ihn.
 

„Bitte sag mir, es war Selbstverteidigung“, wusste Rin sich nicht anders zu helfen.
 

Er wollte es nicht wahrhaben, dass der Mensch, der sich seit dem er in dieses Höllenloch geworfen worden war, so lieb um ihn gekümmert hatte, einem anderen die Lebensflamme ausgehaucht hatte. So klammerte er sich an den Strohhalm, der die Hoffnung symbolisierte, dass Sousuke einen triftigen Grund dazu gehabt haben musste, eine solche Tat zu begehen.

Vollkommen nervös biss Rin sich auf der Unterlippe herum und bemerkte dies erst, als er Blut schmeckte. So nervös war er noch nie in seinem ganzen Leben gewesen…

Er saß neben einem Mörder, einem Monster auf dem Bett…diese grauenvollen Gedanken erdrückten ihn beinahe. Das konnte nicht wahr sein, das durfte es nicht!

Um Sousukes Antwort bangend, fixierte er diesen mit gehetztem Blick.
 

„Das war es schon…aber“, schloss der Größere die Augen erneut, bevor er fortfuhr und sich das Bild vor Augen rief, welches ihm vor wenigen Minuten zugekommen war. „Es war mehr als das. Ich habe eine Grenze überschritten.“
 

„Aber dafür hattest du einen Grund, richtig?“, bebte Rins Stimme, die er nicht mehr unter Kontrolle hatte, genauso wenig wie seinen Körper, der mal wieder drohte nachzugeben.
 

„Hatte ich, aber das macht es nicht besser…“, erwachte Sousuke langsam aus seinen Gedanken und bemerkte, dass es dem anderen nicht gut zu gehen schien. „Was…“
 

„Du hattest sicher einen Grund…es muss so sein…“, schluchzte der Kleinere nun und senkte den Kopf, weil er nicht wollte, dass man sein Gesicht sah.
 

Dieses versuchte er zu verstecken, indem er sein Shirt ein Stück nach oben zog und es als Schild gegen die böse Welt benutzte, die es ihm einfach nicht gönnen wollte, ein bisschen Glück zu empfinden.

Nie zuvor hatte Rin sich so stark zu jemandem hingezogen gefühlt. Nie zuvor hatte er so empfunden…und nun musste diese Person ausgerechnet ein Mörder sein? Aber was hatte er auch erwartet? Einen vollkommen perfekten Typen in einer Irrenanstalt kennen zu lernen? Das war so lächerlich…

Und trotzdem wollte Rin diese Vorstellung nicht aufgeben.
 

„Bitte wein nicht…ich…“, war Sousuke vollkommen überfordert.
 

Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht, dass Rin wegen ihm weinte. Vor allem wich dieser auch nicht vor ihm zurück, wie es jeder andere getan hätte. Nein, er versteckte sein Antlitz und gab erstickte Laute von sich, als ob es ihm schwer fallen würde zu atmen.
 

„Ich war nicht ich selbst, als ich es getan hab…“, murmelte der Größere nun, sich schuldig fühlend.
 

Rin weinte wegen ihm…das sollte nicht sein. Er wollte ihn glücklich machen und nicht für sein Leid verantwortlich sein!
 

„Das ist alles nicht wahr…“, kam es erstickt vom Kleineren, der seine Hand sinken ließ und in Sousukes Richtung kippte.
 

Dieser fing Rin auf und hielt ihn an den Oberarmen fest, sodass er nicht umfiel. Was es auch war, das ihn zum Weinen brachte, Angst vor dem Dunkelhaarigen hatte er nicht. Nein, es zog ihn förmlich in dessen Nähe. Ob das eine gesunde Reaktion auf dessen Beichte war, blieb zu bezweifeln, doch die Hände, die ihn hielten, taten das mit solcher Vorsicht, dass keiner behaupten konnte, jemand sei durch diese zu Schaden gekommen.
 

„Es tut mir leid“, nahm Sousukes Gesicht einen verzweifelten Ausdruck an und flüsterte diese Worte nur noch.
 

Rin legte seine Arme als Antwort darauf um den Rücken des Größeren und ließ seinen Kopf an dessen Burst sinken. Dieser hatte ihrem Körperkontakt schon so lange stangehalten, dass er glaubte, sich das erlauben zu dürfen. Außerdem verließ seinen Körper jegliche Kraft, seinen Verstand gleichermaßen jegliche Vernunft, sodass er hilflos ergeben gegen Sousuke lehnte und dessen verführerischen Duft einatmete. Das Atmen fiel schwer, doch die Motivation, einen neuen Zug von diesem Serum zu erhaschen, war größer als jeder Schmerz.
 

„Rin…“, legte Sousuke seine Arme um den leicht zitternden Körper, der sich nicht an ihn klammerte, da ihm dazu die Kraft fehlte, aber ihn dennoch nicht loslassen würde.
 

Jeden anderen hätte er von sich gestoßen, doch nicht Rin. Dieser hatte es geschafft, seine Fassade einzureißen und so weit zu ihm vorzudringen, dass sich dessen Nähe gut anfühlte. Sie beruhigte Sousuke, der bei jeder anderen Berührung zusammenzuckte und aufgewühlt wurde.
 

Die Umarmung des Größeren fühlte sich unwirklich an. Sie war viel zu schön, um wahr zu sein, aber besser als das unschöne Gegenstück dazu, dass er in den Armen eines Mörders lag, der ihm so sanft über den Rücken streichelte, als fürchte er ihn zerbrechen zu können.
 

„Sousuke“, gab Rin erstickt von sich und drückte sein Gesicht an dessen Shirt. „Sag mir, dass es…dass es nicht wahr ist…bitte.“
 

Anstelle zu antworten, schloss Sousuke die Augen und drückte den Kleineren enger an sich. Das verlangte ihm viel ab, doch als er es zuließ, fühlte es sich befreiend an. Rins Präsenz war nicht aufdringlich, versuchte ihn nicht zu etwas zu zwingen, das er nicht wollte. Im Gegenteil: Ein Stück von ihm sehnte sich nach Nähe, doch ein viel größeres hatte Angst davor.
 

„Es tut mir leid“, musste Sousuke den Kleineren enttäuschen.
 

Er konnte ihn einfach nicht anlügen. Außerdem hatte er einen Grund gehabt, es zu tun, ja sogar mehrere. Das rechtfertige sein Handeln keinesfalls, doch vielleicht würde es Rin beruhigen, wenn er es erfuhr.
 

„Ich hatte viele gute Gründe dazu“, murmelte er in den roten Haarschopf, der so gut roch. „…aber wenn du dich vor mir fürchtest, kann ich das verstehen…“
 

„So ist es nicht!“, setzte Rin entgegen und versuchte sich zusammen zu reißen, doch die Tränen wollten einfach nicht stoppen zu fließen.
 

Um Kraft ringend, versuchte er wieder selbstständig zu sitzen, doch das wollte nicht ganz gelingen, sodass er wieder zurück zu Sousuke kippte, welcher die Umarmung gelöst hatte. Dieser dachte schon, Rin wolle sich von ihm wegstoßen, aber falscher konnte er nicht liegen. Dieser wollte seinen Standpunkt besser zum Ausdruck bringen, brachte es aber einfach nicht fertig, sich aufrecht zu halten.
 

Und so nuschelte er gegen die Schulter des Größeren: „Ich habe keine Angst vor dir. Ich habe Angst davor, dass man dich wieder dazu bringt, das zu tun…“
 

Diese Worte hatte Sousuke noch nie gehört, weswegen er für einen Moment erstarrte. Hätte Rin Angst vor ihm, würde er sich ganz bestimmt nicht an ihn klammern und seine Nähe suchen, nein, er würde aus dem Zimmer flüchten.

Warum er blieb und ihn auch noch verstand, war dem Größeren ein Rätsel. Noch größer als das Mysterium, wie man ihn so weit gebracht hatte, einen anderen zu töten und danach aggressiv auf jegliche Form von Körperkontakt zu reagieren.
 

Ratlos, was Sousuke darauf erwidern sollte, schlang er seine Arme erneut um den Kleineren und drückte ihn sanft an sich. Dass dieser auf Männer stand, hätte ihm in diesem Moment nicht egaler sein können. Vielleicht mochte er es sogar gerade deswegen ganz gerne…

Berührt zu werden, ohne einen Hintergedanken zu haben, das war neu für den Größeren. Bei genauerem Betrachten stellte er aber fest, dass der andere sehr wohl einen Grund hatte, dies zu tun: Er wollte ihm zeigen, dass er sich nicht vor ihm fürchtete und auch, wie verzweifelt er war, wie er nicht mit der Situation umzugehen wusste.

Im Prinzip all das, womit auch Sousuke zu kämpfen hatte. Er fürchtete sich nicht vor Rin, vor dessen Nähre, sondern vor der der anderen, und war ebenfalls ratlos, was nun zu tun war.
 

Als Sousuke zu etwas ansetzen wollte, erschlaffte der Körper des Kleineren auf einmal und sackte in sich zusammen. Schon fast panisch brachte der Größere ein wenig Abstand zwischen sie, indem er ihn wieder an den Oberarmen fixiertem, schon vom Schlimmsten ausgehend, nur um festzustellen, dass Rin schlief.

Er bettete diesen vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, auf sein Kissen und betrachtete dessen Gesicht, dann seinen Körper. Sofort fielen ihm die roten Striemen auf dessen Fingern auf, die darauf schließen ließen, welche Art der Behandlung ihm zuteil geworden war.

Kein Wunder, dass Rins Körper nach den Strapazen und der Aufregung nachgegeben hatte…

Sousuke erhob sich und deckte den Kleineren zu, ehe er sich in sein eigenes Bett begab. Es wurde langsam dunkel draußen, aber er unterließ es, das Licht einzuschalten. Immerhin sollte sich Rin ausruhen können.

Dass sein Mitbewohner nun Bescheid wusste, erfüllte Sousuke keinesfalls mit einem Gefühl der Erleichterung, so wie man es erwartet hätte. Stattdessen bereiteten ihm die neuen Geschehnisse neue Sorgen: Zum einen war ihm bewusst, dass der andere irgendwann nachfragen würde, wen er wie umgebracht hatte. Alleine schon die Person zu nennen, die ihr Leben durch seien Hände gelassen hatte, bedeutete Schmerz für Sousuke. Ganz zu schweigen von der Reaktion des anderen, die bestimmt nicht mehr so ausfallen würde wie gerade eben. Dann auch noch die Art und Weise zuzugeben, wie er es getan hatte, grenzte schon an Folter beider Parteien:

Der Täter, der es noch einmal miterleben musste, wie er einen geliebten Menschen umbrachte und der Zuhörer, der durch diese Informationen schockiert, oder traumatisiert werden würde.

Das wollte er Rin nicht antun. Dieser war der einzige Mensch, der ihm je Zuneigung und Fürsorge entgegengebracht hatte, ohne ihn danach zu quälen und ihm unmögliche Dinge abzuverlangen. Sousuke hatte große Angst, den anderen durch seine vergangenen Taten zu verlieren, die ihn bis in die Gegenwart verfolgten.

Sie hatten ihn gewissermaßen auch zu Rin geführt, doch wünschte er sich, dass dieser ihn nie kennen gelernt hätte, sondern ein normales Leben führen konnte…ohne ihn. Mit ihm würde er das nicht können.

Des Weiteren saß der Rothaarige völlig zu Unrecht an diesem Ort fest und gäbe es eine Möglichkeit, ihn nach Hause zu schicken, würde Sousuke alles daran setzen, dies zu ermöglichen.

Die Stunden, die sie gemeinsam verbracht hatten, würde er missen, doch hätte er nun wenigstens eine schöne Erinnerung, die er sich ins Gedächtnis rufen konnte, wenn es ihm nicht gut ging.

Die vergangenen Monate waren die schönsten seines bisherigen Lebens gewesen, doch würde es Rin Freiheit versprechen, wenn sie getrennter Wege gingen, würde er ihn gehen lassen. Ja, Sousuke würde ihn geradezu dazu drängen zu gehen. Der andere war ihm so wichtig, dass er dessen Wohl über sein eigens stellte und war auch der Meinung, dass Rin an seiner Seite nicht glücklich werden konnte. Darum musste er gehen…
 

Sousuke trat an das Bett seines Mitbewohners und betrachtete dessen friedliches Gesicht. Solch feine Züge…fast verboten schön. Das rote Haar umgab den Schlafenden wie ein Feuerkranz, den er sich kaum zu berühren traute, aus Angst sich zu verbrennen.

Doch das flammende Haar fühlte sich weich unter seinen Fingern an…
 

Um nicht in Vorstellungen zu versinken, ließ Sousuke bald davon ab, die Strähnen durch seine Finger gleiten zu lassen und kniete sich auf den Boden.

In diesem Moment schwor er sich, Rin vor allem zu beschützen, egal was es ihn kostete!

Ein Unschuldiger, gefangen zwischen Verrückten und Straftätern: Das durfte nicht sein.

Dass sich Sousuke nicht nur von seinem Gerechtigkeitssinn und seinem Beschützerinstinkt leiten ließ, sondern vor allem durch seine Gefühle gesteuert wurde, die er für Rin hegte, war ihm nicht bewusst.

Wie sollte jemand, dem sein ganzes Leben lang eine Lüge aufgetischt worden war, was Liebe bedeutete, wissen, wie es sich anfühlte, jemanden zu lieben?

Zu allem Überfluss war sein Sexualverhalten komplett gestört, sodass er nicht einmal wusste, ob er überhaupt etwas wie Verlangen empfinden, oder jemanden begehren konnte.

Dafür waren seine Gefühle vollkommen rein und nicht von Trieben gesteuert. Dies war keinesfalls eine schlechte Eigenschaft, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen ging, konnte aber auch zum Problem werden.

Doch über seine Sexualität hatte Sousuke sich schon lange keine Gedanken mehr gemacht.

Wie auch? Er saß in einer Anstalt für psychisch gestörte Menschen und konnte nicht einmal masturbieren, ohne von Erinnerungen heimgesucht zu werden.

Zwischen Genie und Wahnsinn

Mitte Januar war es selbst im Raum 501, den man wohl als ‚Klassenzimmer‘ bezeichnen konnte, sehr kühl. Da es Montag war, fanden sich Schwester Miho Amakatas Schüler kurz nach neun Uhr am Vormittag ein. Chigusa war wie immer die erste, gefolgt von Sousuke und dem Neuen, Rin. Kisumi ließ sich meistens Zeit, bis er aufkreuzte, war aber meistens nicht sehr viel zu spät.

Da sie nur vier Schüler unterrichtete und sonst auch an der Rezeption viel mit ihnen zu tun hatte, kannte sie die Jugendlichen relativ gut. Chigusa war schon mit 13 in die Klinik gekommen, kurz nach dem die Schwester diese Stelle bekommen hatte. Eigentlich hatte sie Lehrerin werden wollen, doch aus familiären Gründen die Anstellung in Dimayz vorgezogen. Genaugenommen war sie auch keine Schwester, selbst wenn dies auf ihrem Namenschild stand. Sie war nicht befähigt, diese Aufgaben auszuführen und arbeitete deshalb hauptsächlich in der Verwaltung, kümmerte sich um die Anträge und sorgte dafür, dass es in den Zimmern ordentlich blieb. Sonderlich viel von den wirklich sehr eigenartigen Behandlungsmethoden wusste sie auch nicht. Um genau zu sein war Chigusa diejenige gewesen, welche ihr einen Einblick verschafft hatte, als diese eines Tages vor etwa zwei Jahren weinend zu ihr stürmte.

Seit diesem Zeitpunkt achtete Miho mehr darauf, wie sich ihre Kollegen verhielten und versuchte mehr über die Ärzte und deren Therapien herauszufinden – mit mäßigem Erfolg. Das meiste wurde einfach nicht dokumentiert, oder verschlüsselt, sodass man ohne Autorisierung nicht darauf zugreifen konnte. Verdammtes technisches Zeitalter!

Der Lehrerin war aufgefallen, dass alle ihre Schüler manche Tage hatten, an denen einfach nichts funktionieren wollte. Sogar Sousuke, der mit Abstand der intelligenteste Mensch war, den sie je unterrichtet hatte, bekam zuweilen nichts auf die Reihe. Bei genauerem Nachforschen und indem sie sich mit den Jugendlichen unterhielt, fand sie bald heraus, woher dieser Produktivitätsverlust rührte. Die Therapie setzte ihnen stark zu und verschlimmerte ihren psychischen Zustand meist, anstelle diesen zu bessern.

Leider kannte sich Miho nicht gut in der Medizin oder der Psychologie aus, sodass sie keine Ahnung hatte, ob die Behandlungsmethoden zulässig waren, oder in den einzelnen Fällen überhaupt angebracht waren. Sie war sich aber relativ sicher, dass das in den meisten Fällen nicht zutraf, wusste aber auch nicht, was sie dagegen unternehmen sollte. Würde sie sich gegen ihre Vorgesetzten wenden, riskierte sie ihren Job und sie wollte diese Kinder bei bestem Willen nicht ihrem Schicksal überlassen. Solange sie in der Klinik arbeitete, hatten diese wenigstens einen Ansprechpartner, der ihnen zur Seite stand. Wenn sie auch nicht viel ausrichten konnte, ein offenes Ohr war manchmal Gold wert.

Kisumi und Chigusa wandten sich oft an sie, Sousuke dagegen überhaupt nicht. Dieser war allgemein eher ruhig und menschenscheu, sodass es Miho auch sehr verwundert hatte, dass er die Einstufung als potentiell aggressiv zugewiesen bekommen hatte, mit der man meist in der 3. Etage landete und wenn sich der Zustand verschlechterte, sogar in der 4..

Der 17-Jährige hatte auch schon einige Wochen im 3. Stockwerk verbracht und war in diesen wohl soweit ruhig gestellt worden, dass man ihn zurück ins 2. Gelassen hatte. Möglich wäre auch, dass das aus Platzgründen geschehen war, oder dass man ihm eine Probezeit gönnte.

Natürlich kannte die Schwester bzw. Lehrerin die Akten ihrer Schüler und ihr war bewusst, weswegen Sousuke sich an diesem Ort befand, doch wirkte dieser keineswegs gewalttätig auf sie. Viel größere Sorgen bereitete ihr da Kisumi, dem es meist an Empathie zu mangeln schien und der sich gerne mal an andere Patienten, oder sogar Angestellte heranmachte. Bei ihr hatte er das zu Anfang auch versucht, doch sie hatte ihm unmissverständlich mitgeteilt, dass sie solch ein Verhalten nicht dulde und auch nicht an ihm interessiert sei. Daraufhin hatte der viel zu energiegeladene Jugendliche aufgegeben, sehr zu ihrer Erleichterung.

So schlimm seine Vergehen auch sein mochten, er war im Grunde kein böser Mensch. Das mochte sich bizarr anhören, da Kisumi sich an Kindern vergangen hatte, doch er hatte ihr einst gestanden, weswegen er das getan hatte. Die Tränen, die ihm dabei in die Augen getreten waren, konnten unmöglich gespielt gewesen sein. Miho konnte nicht anders, als diese arme Seele zu bemitleiden. Wie gerne würde sie ihren selbst ernannten Schützlingen helfen…

Besonders der Neue tat ihr Leid, da die Leitung von Dimayz doch wirklich kein Recht besaß, diesen zu beherbergen. Sie wusste nicht viel über psychische Krankheiten, doch dass Homosexualität als solche gehandhabt wurde, war einfach nur falsch. Außerdem hatte man doch schon längst herausgefunden, das dem nicht so war. Die Klinik war doch sonst auch auf dem neusten technischen Stand, weswegen praktizierten man hier dann völlig veraltete Behandlungsmethoden und diagnostizierte Krankheiten, die es nicht gab, oder komplett falsch, sodass dem Patient die Heilung unmöglich gemacht wurde?

Die Höhe war, dass Chigusas eigener Vater in Auftrag gegeben hatte, dass man sie nach Russland bringe und behandle. Diese plagte vieles, doch war eindeutig falsch in dieser Klinik, die einst allein für psychisch kranke Straftäter errichtet worden war. Man wollte sie wohl einfach zum Schweigen bringen, indem man sie an den entlegensten Ort brachte, an dem sie zwar reden konnte, ihr aber kein Mensch glauben würde.

Wer glaubte schon einem Mädchen, das in einer Anstalt für Irre saß?

Das war alles einfach nicht richtig und so schrecklich traurig. Dass so ein Ort überhaupt existieren konnte, wollte Miho noch immer nicht glauben, auch wenn sie schon seit vier Jahren an diesem arbeitete.
 

Das Schulprogramm für diesen Tag würde wie folgt aussehen: In der ersten Stunde unterrichtete sie Geschichte, in der zweiten ihr Spezialgebiet klassische Literatur, danach gab es eine 15 minütige Pause, bevor es mit Naturkunde und anschließend Japanisch weitergehen würde. Die letzte Stunde vor der Mittagspause wäre am Montag Mathematik.

So sah das der offizielle Plan jedenfalls vor, doch Miho gönnte ihren Schülern meist mehr Pausen und wägte ab, wie viel Zeit für welches Fach am sinnvollsten war. Es konnte gut vorkommen, dass man in dem einen schnell durch war, für das nächste aber ein bisschen mehr Zeit in Anspruch nehmen musste. Des Weiteren bestand die Klasse aus lediglich vier Schülern, sodass man relativ schnell vorankam.

Manchmal fragte sie sich, ob man sie extra für diese japanischen Patienten eingestellt hatte, denn ihr Beruf wäre sonst relativ unnötig. Die Verwaltungsarbeit, die ihr zugeteilt worden war, hatte sonst eine andere Schwester übernommen, der diese aber zu viel geworden war.

Alles in allem machte der jungen Lehrerin ihre Arbeit aber Spaß und sie fühlte sich ihren Schützlingen gegenüber verantwortlich, weswegen ihr es schon dreimal nicht einfallen würde, diesen Job an den Nagel zu hängen. Gut, die Leute hier waren schon seltsam, ließen sie aber meist in Ruhe, sodass sie sich nicht durch diese gestört fühlte.
 

Die Zeit verflog schnell für einen Montag und es ging gut voran, doch für das in der letzten Woche begonnene Thema der Mathematik, brauchten die Jugendlichen ein wenig länger. Bei Stochastik war dieses Arbeitstempo aber auch nicht weiter verwunderlich, da die meisten sehr lange brauchten, um sich einzufinden – sofern überhaupt. Nur bei Sousuke hatte sie erneut das Gefühl, dass die Aufgaben, die sie den Schülern ausgeteilt hatte, viel zu einfach von der Hand gingen.

Chigusa sah so aus, als würde sie jeden Moment ihren Bleistift nach Kisumi werfen, der schon längst aufgegeben hatte und sich des Öfteren zu ihr umdrehte, obwohl sie zu arbeiten versuchte. Rin saß mit einer Hand in den Haaren da, die andere um den Stift geklammert, verzweifelnd versuchend auf die Lösung zu kommen. Nur um letzten Endes alles wieder weg zu radieren und den Kopf mit der Stirn voran auf die Tischplatte zu legen.
 

Als Miho durch die Klasse ging, sah sie Sousuke über die Schultern und meinte dann: „Es sieht so aus, als wärst du fertig…möchtest du dein Ergebnis samt Rechenweg an die Tafel schreiben?“
 

Der Dunkelhaarige nickte, bevor er sich erhob und nach vorne schritt. Sobald er das Kreidestück in der Hand hatte, brachte er den gesamten Rechenweg so schnell an die Tafel, dass selbst die Lehrerin staunte. Das war so schnell gegangen, dass sie nicht einmal dazu gekommen war, Kisumi wegen seiner mangelnden Motivation zu schelten.
 

„Ich denke, ihr könnt das so übernehmen…“, wies Miho ihre Schüler an, noch immer verblüfft von diesem Geschick.
 

Vor allem sah das Tafelbild schöner aus als ihr eigenes, das sie vorbereite hatte. An ihren Qualitäten als Lehrer zweifelnd, zuckte ihr eines Auge, während sie an die Tafel starrte.

Dem Rest ging es nicht viel anders, auch wenn Kisumi ein großes Fragezeichen über dem Kopf stand. Chigusa machte sich daran, alles abzuschreiben und Rin starrte in stiller Faszination an die Tafel, dann zu Sousuke, der sich gerade wieder auf den Weg zu seinem Platz vor ihm begab.
 


 

„Gibt es auch irgendetwas, das du nicht kannst?“, grinste Rin den Größeren an, als sie aus dem Klassenzimmer gingen.
 

„Na ja…ich bin nicht gut mit Menschen…“, erwiderte dieser zögerlich, von dem Kompliment irritiert.
 

Er war es sonst nur gewöhnt, dass man ihn beneidete und dafür hasste, dass ihm vieles so leicht fiel. Dabei tat er das nicht mit Absicht und wollte damit auch niemandem etwas beweisen. Er zog einfach sein Ding durch.

Rin wurde das langsam auch bewusst, wenn er nicht schon von Anfang an geahnt hatte, dass Sousukes Ausstrahlung etwas ganz besonderes war. Dieser wirkte nicht nur durch sein Aussehen, sondern auch durch sein Können außerordentlich attraktiv auf ihn. Dass der Dunkelhaarige auch seine Schattenseiten hatte, war ihm sehr wohl bewusst, doch die guten Seiten überwogen eindeutig.

…außerdem fand Rin es irgendwie scharf, dass Sousuke eine gefährliche Ader in sich trug, welche ihn geradezu zu diesem hinzog. Der Reiz des Verbotenen machte auch vor ihm keinen Halt~

Die Vorstellung, dass dieser nur zu ihm so zuvorkommend und freundlich war, beflügelte Rins Gefühle geradezu. Hatte Kisumi doch gemeint, Sousuke wäre normalerweise sehr antisozial und grimmig, zeigte er Rin gegenüber diese Seiten fast nie. Nein, er half ihm seit dem sie sich zum ersten Mal gesehen hatten und tat alles, dass er sich wohl fühlte.
 

„Aber du hast mir geholfen und warst sonst auch sehr nett zu mir“, lächelte der Rothaarige nun glücklich vor sich hin, wobei er leicht rot um die Nase geworden war.
 

Noch viel verwirrter als zuvor, errötete Sousuke nun auch. Was war es nur, das der Kleinere an sich hatte, das ihn so glücklich stimmte? Mit all diesen neuen Emotionen konnte der Größere gar nicht richtig umgehen und wurde deswegen unsicher.

Immer wenn jemand nett zu ihm gewesen war, hatte darauf etwas sehr Unschönes gefolgt…
 

„Außerdem kann nicht jeder alles“, gab Rin nun zu denken. „Du bist der mit Abstand beste in allen Fächer und schwimmst verdammt schnell. Wen kümmert es da, dass du’s nicht so mit Englisch und Menschen hast?“
 

„Das ist ein Argument“, nickte der Dunkelhaarige.
 

Auf diese Weise hatte er das noch nie betrachtet. Sonst sah er nur das, was er nicht konnte. Rin führte ihm seine Talente und guten Seiten vor Augen. Es lag vielleicht auch daran liegen, dass er sich für den Rothaarigen vom ersten Moment, in dem er dessen Antlitz im dimmen Licht der Nacht erblickt hatte, augenblicklich verantwortlich gefühlt hatte. Dieser hatte so hilflos gewirkt und doch so wunderschön ausgesehen, dass Sousuke nicht anders konnte, als sich zu diesem hingezogen zu fühlen…

Auch wenn es ihm nicht bewusst war, so fand er Rins Äußeres sehr verlockend, genau wie dieser ebenso mysteriös und reizvoll auf ihn wirkte wie es umgekehrt der Fall war.
 

Kurz nach den beiden kamen auch Kisumi und Chigusa aus dem Raum, wobei der Rosahaarige sich kurz an seine Freundin wandte, um dann zu den anderen beiden aufzuschließen und sich den Rothaarigen zu schnappen. Auf Sousukes grimmigen Gesichtsausdruck hin, erklärte er: „Ich leih ihn mir nur mal schnell aus~“
 

Völlig verwirrt ließ sich Rin mitziehen und wandte sich noch schnell an Sousuke: „Geh schon mal vor, ich komm dann nach!“
 

Dieser setzte sich widerwillig in Bewegung, als Chigusa neben ihm angelangt war. Die beiden gingen also schon mal zur Mensa, die gleich rechts von 501 lag, während Kisumi noch etwas mit Rin zu besprechen hatte. Eigentlich wollte er ihn nur ausfragen, doch das wusste dieser noch nicht.
 

„Ja, was ist?“, wollte Rin wissen, sobald sie alleine waren.
 

Auch wenn es schon länger her war, seitdem er erfahren hatte, weswegen dieser einsaß, hatte er nach wie vor ein ungutes Gefühl dabei mit diesem zu interagieren. Nicht dass er sich davor fürchtete, von diesem angemacht zu werden, nein, es war mehr seine eigene Unsicherheit, wie er mit dem anderen umgehen sollte, die ihn nervös stimmte. Im Grunde waren sie doch beide nur Jugendliche, die unter den Angestellten der Anstalt zu leiden hatten und sollten sich deswegen verbünden, richtig?
 

„Du magst Sou-chan, ne?“, zwinkerte der Größere ihm nun verschmitzt zu.
 

„Ähm…wie kommst du darauf?“, kam es völlig überrascht von Rin, der mit allem, aber nicht damit gerechnet hatte, auf das wohl ziemlich Offensichtliche angesprochen zu werden.
 

„Na du schaust ihn auf diese ganz bestimmte Weise an~“, schwärmte Kisumi nun vor sich hin und schien aus irgendeinem Grund total aufgeregt zu sein. „Und er verhält sich dir gegenüber auch ganz anders als sonst~“
 

„F-findest du?“, war der Kleinere knallrot im gesucht geworden und er legte seien rechte Hand nervös an seinen Nacken.
 

„Also liege ich richtig“, freute sich der andere und fuhr fort. „Aber klar mag er dich! Ich weiß zwar nicht auf welche Weise, aber er scheint dir doch viel mehr zugetan als dem Rest von uns!“
 

„Und selbst wenn das stimmt…er ist doch sowieso nicht schwul“, nuschelte Rin nun vor sich hin.
 

„Hm, das wahrscheinlich nicht, aber das heißt ja nicht, dass er nicht auf Männer steht“, merkte Kisumi an. „Und selbst wenn das auch nicht stimmt, dann kannst du immer noch eine Ausnahme sein~“
 

„Ich weiß nicht…“, war der Rothaarige nicht ganz so optimistisch diesem Thema gegenüber eingestellt wie sein Gesprächspartner. „Ich hab auch keine Ahnung, wie ich das herausfinden soll, um ehrlich zu sein.“
 

„Na dann helf ich dir natürlich dabei!“, klatschte der andere in die Hände und begann dann munter einen Plan auszuarbeiten, wie er testen wollte, ob Sousuke Rin auf die gleiche Weise mochte, wie dieser den Großen offensichtlich.
 

Ein paar Minuten nach Sousuke und Chigusa, welche sich auch ein bisschen unterhalten hatten, da sie doch mehr oder weniger das gleiche Schicksal teilten und sonst auch gut miteinander zurechtkamen, erreichten auch Kisumi und Rin ihren Stammplatz in der Mensa.

Als sich der Rothaarige neben seinem Freund niederließ, wurde er von diesem mit einem fragenden Blick angesehen, erwiderte daraufhin aber leise, dass nichts Besonderes war und wandte sich schnell seinem Essen zu, bevor weitere stumme oder laute Fragen entstehen konnten.
 


 

Nach dem Essen mussten Chigusa und Kisumi bald zu ihrer Therapie, während Sousuke und Rin sich in ihrem Zimmer aufhielten. Die Stimmung war irgendwie anders als sonst. Wahrscheinlich deswegen, weil der Kleinere die Frage, weswegen Kisumi ihn nach dem Unterricht mit sich gezogen hatte, noch nicht beantwortet hatte.

Es wirkte fast schon, als würde Sousuke schmollen, welcher mit einem Buch auf seinem Bett lag und dabei ab und an zu Rin linste, der davon nicht viel mitbekam, da er mit den Gliedmaßen von sich gestreckt auf seinem Bett lag und Musik hörte.
 

Als er jedoch los musste und die Kopfhörer herausnahm, nutzte Sousuke die Gelegenheit und fragte: „Was wollte Kisumi von dir?“
 

„Ach…nichts Bestimmtes“, wurde Rin völlig unvorbereitet erwischt, was wohl auch die Intention des anderen war, um eine ehrliche Antwort zu bekommen.
 

„Wenn du das sagst“, entgegnete Sousuke daraufhin skeptisch.
 

„Es war wirklich nichts“, seufzte Rin und schenkte ihm ein Lächeln. „Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen.“
 

„Okay…“, gab dieser bei dieser freundlichen Geste nach und entschied sich, dem Kleineren einfach zu glauben.
 

„Bis später dann“, verabschiedete dieser sich daraufhin mit einem flauen Gefühl im Magen, das weniger damit zusammenhing, dass Sousuke Bescheid wissen wollte, als dass er sich vor Dr. Masefields sogenannter Therapie fürchtete.
 

Über deren Ausmaß hatte er bisher mit niemandem gesprochen, weil es ihm aus unerfindlichen Gründen unangebracht erschien und er sich auch dafür schämte, obwohl er doch nichts falsch machte. Der sadistische Psychologe war doch der, der sich für seine Taten schämen sollte und nicht er, das Opfer, das sich nicht zu wehren wusste und sogar davor Angst hatte. Oh, welch verdrehte Gedankenwelt…
 

Sousuke fragte sich schon lange, wie Rins Behandlung wohl aussehen musste. Wie brachte man einen Menschen dazu, seine Sexualität zu ändern? War das überhaupt möglich?

Das bezweifelte er doch stark…

Die roten Striemen auf Rins Fingern und dessen Armen – mehr bekam er für gewöhnlich nicht zu Gesicht – deuteten darauf hin, dass die Phase der Gesprächstherapie vorüber war. So ähnlich hatte es auch bei ihm begonnen, wobei sein behandelnder Arzt sich nicht so viel Zeit damit gelassen hatte, die Hand gegen ihn zu erheben.

Die Schläge machten Sousuke schon lange nichts mehr aus, erfühlte sie nicht einmal mehr. Körperlichen Schmerz konnte er ohne mit dem Auge zu zucken ertragen, doch wenn man seine Psyche angriff, ging er schnell in die Knie…oder versuchte alle sin seiner Umgebung zu zerstören.

Je nach Verfassung brach er entweder zusammen und konnte sich nicht rühren, oder wurde aggressiv, sodass selbst zwei erwachsene Männer Mühe hatten, ihn festzuhalten. Würde man ihn nicht provozieren, wäre er wohl einer der friedfertigsten Menschen in diesem Gebäude, doch dann hätten sie keinen Spaß mehr mit ihm und könnten ihn nicht mehr mit ihrer völlig falschen Diagnose davon abhalten in den Fitnessraum zu gehen, um noch stärker zu werden, oder seine Freiheit noch mehr einzuschränken, als es diese ohnehin schon war.

An manchen Tagen stellte sich Sousuke die Frage, wie und weswegen er sich das alles überhaupt noch gefallen ließ. Wenn er Glück hätte, würden sie es eines Tages übertreiben und ihn vielleicht ‚aus Versehen‘ umbringen…dann fänden diese Höllenqualen seiner Seele wenigstens ein Ende.

Doch dann dachte er an Rin und was dieser ohne ihn machen würde…er musste sich zusammenreißen und durchhalten. Irgendwann würde er sicher eine Möglichkeit finden, diesen zu befreien, er musste nur solange ausharren!
 


 

Nachdem Rins eine Therapiestunde hinter sich gebracht hatte, fuhr er ins 6. Stockwerk, weil er dringend eine Cola brauchte. Mit einer Dose in der Hand, wollte er sich schon wieder auf den Weg zurück ins Zimmer machen, als er Chigusa alleine an einem Tisch sitzen saß. Sie hatte einen Notizblock und einen Stift in der Hand, mit dem sie auf diesen schrieb.
 

„Kann ich mich kurz zu dir setzen?“, blieb der Rothaarige vor ihr stehen, da ihm etwas eingefallen war, das er sich schon lange fragte.
 

„Ähm…ja klar“, sah das Mädchen überrascht auf, klappte den Block zu und legte ihn zusammen mit dem Stift auf den Tisch.
 

„Weißt du, ich hab mich schon länger gefragt, warum du hier bist…also mich geht es natürlich nichts an, aber…“, versuchte Rin sich zu erklären und wusste sich nicht ganz zu helfen.
 

Immerhin hatten sie bisher noch nicht so viel miteinander gesprochen, doch wenn ein Gespräch zustande gekommen war, war es immer gut verlaufen. Chigusa schien ein nettes Mädchen zu sein, weswegen er sich wunderte, diese an solche einem schrecklichen Ort anzutreffen. Doch vielleicht täuschte er sich auch bei ihr und sie hatte noch mehr als Sousuke oder Kisumi zu verstecken. Möglich war alles. So normal und freundlich ein Mensch sich auch verhalten mochte, es konnte sich dennoch ein Mörder, oder ein Vergewaltiger hinter der trügerischen Fassade verstecken.

Bei ihr hatte Rin dieses ungute Gefühl des verborgenen aber nicht…trotzdem wollte er auf Nummer sicher gehen.
 

„Nein, es ist schon okay“, schüttelte sie den Kopf und sah dabei kurz nach unten, bevor sie tief ein- und ausatmete. „Ich werde es dir erzählen.“
 

Mit so einer schnellen Zusage hatte der Rothaarige nicht gerechnet, war aber positiv überrascht. Jemand, der nichts zu verstecken hatte, gab seine Geschichte doch auch eher Preis, als jemand, der Dreck am Stecken hatte.

Sollte er wenigstens diesmal richtig liegen und sie saß wie er zu Unrecht hier fest?
 

„Also…das alles hat angefangen als ich noch sehr klein war. Meine Mutter starb sehr früh, ich kann mich kaum noch an ihr Gesicht erinnern“, sie stoppte kurz und lächelte leicht, als erinnere sie sich an einen schönen Moment in ihrem Leben. „Danach hatte ich ein paar Jahre Ruhe… nach meinem zehnten Geburtstag fing es an. Mein Vater, er…ist oft zu mir ins Bett gestiegen. Ich hab mir erst nichts dabei gedacht, aber irgendwann hat er angefangen, mich zu berühren und…also ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber…er ist eindeutig zu weit gegangen…und das nicht nur ein Mal.“
 

Rin lauschte ihrer Stimme, die zu Beginn noch sehr gefasst wirkte, bei weiterem Verlauf aber leiser wurde und teilweise kurz abbrach. Bei ihren Schilderungen weiteten sich seine Augen immer mehr. So gefesselt war er von ihrer Geschichte, dass er nicht weghören konnte, auch wenn er diese schrecklichen Dinge eigentlich nicht hören wollte. Dass ihr das alles wirklich widerfahren war, konnte man nicht mit dem unangenehmen Gefühl vergleichen, das Rin bei ihren Worten beschlich. Sie tat ihm einfach nur noch leid.
 

„Als ich 13 war, hab ich einer unserer Angestellten erzählt, was er getan hat…er hat davon Wind bekommen und…ich weiß nicht, was mit ihr geschehen ist, aber ich hab sie seit dem nie wieder gesehen! Und dann…dann…hat er diese Männer gerufen, die mich mitgenommen haben“, schluchzte Chigusa nun leise und grub ihre Finger in den grünen Stoff ihres Rocks.
 

Sie war also auch entführt worden, genau wie er. Nur hatte man ihr weitaus Schlimmeres angetan als ihm. Dagegen wirkten die Drogen und die grobe Behandlung wie eine Gutenachtgeschichte und Rin schämte sich ein bisschen dafür, dass er deswegen so die Nerven verloren und geweint hatte. Jetzt, da er Bescheid wusste, wirkten die Schläge, die er jede Woche zu erdulden hatte, wie ein unbedeutender Punkt in der Geschichte, im Gegensatz zu den zahllosen Schandtaten, die man an Chigusa verübt hatte.

Ihre Geschichte und das leise Weinen, trieben auch Rin die Tränen in die Augen, sodass er sich schnell übers Gesicht wischte und sich versuchte zusammen zu reißen.
 

„Das tut mir so leid…“, wisperte er mit brüchiger Stimme. „Ich hätte nicht fragen sollen, entschuldige.“
 

„Ist schon okay“, tupfte sie sich mit einem Taschentuch über die nassen Wangen. „Es tut gut, darüber zu reden…es macht es leichter, das zu verarbeiten.“
 

Daraufhin nickte Rin nur, beeindruckt von der Stärke, die sie trotz ihrer grauenvollen Vergangenheit ausstrahlte. Gegenüber ihr fühlte er sich wie ein verweichlichter Feigling, der wegen jeder Kleinigkeit zu weinen begann. Es nahm ihn aber auch alles so schrecklich mit, sodass er seinen Gefühlen auf keine andere Weise Ausdruck verleihen konnte, als sein Mitgefühl in Form von salzigen Tränen der Welt zur Schau zu stellen.
 

„Du solltest nicht hier sein“, seufzte Rin. „Niemand sollte so behandelt werden…“
 

„Ich weiß…aber ich kann momentan nichts daran ändern und um ehrlich zu sein ist alles besser, als zu Hause zu sein“, erwiderte sie ehrlich. „Natürlich ist es nicht optimal, aber es könnte schlimmer sein.“
 

Aus ihrer Sicht machten diese Worte erschreckend viel Sinn…

Rin wurde sich bewusst, wie glücklich er sich schätzen konnte, eine liebevolle Familie zu haben, die ihm niemals solch ein Leid zugefügt hatte und das auch nie würde. Nein, sie waren in diesem Moment vermutlich krank vor Sorge um ihn, während Chigusas Vater sie hatte loswerden wollen, dass sie bloß niemandem davon erzählen konnte, was er ihr angetan hatte.

Ein war in jedem Falle klar: Diese Einrichtung war weder eine normale Klinik, noch arbeitete qualifiziertes Personal hier, geschweige denn sollten die Behandlungsmethoden auf irgendeine Weise legal sein.

Sie saßen an diesem Höllentor wohl wortwörtlich fest; angekettet von ihren Peinigern, die sich die Frechheit erlaubten, Twister mit ihrem Verstand zu spielen.

Blaue Flammen

Die Wintermonate waren wirklich sehr kalt, genau wie Sousuke Rin vorgewarnt hatte. Dass es aber so dermaßen kalt werden würde, hätte dieser nicht für möglich gehalten. Inzwischen war Anfang Februar und das Schneetreiben wollte gar kein Ende mehr nehmen. Hatte sich der Rothaarige im Dezember schon gefragt, woher diese weißen Massen kamen, fühlte es sich inzwischen an, als würde das Gebäude unter einer Schneedecke begraben werden.

Dementsprechend kalt war es auch in den Räumen an den Außenwänden, zu dem das Zimmer, welches er mit Sousuke bewohnte, leider zählte. Dessen Bett stand an der Außenwand, sodass er dazu übergegangen war, mit dem Kopf in die andere Richtung als gewöhnlich zu schlafen. Sousuke hatte Rin erzählt, dass als er noch alleine gewesen war, das Bett gewechselt und in dem geschlafen hatte, das der Kleinere nun für sich beanspruchte.

Daraufhin hatte Rin sich ein bisschen schuldig gefühlt, obwohl der Größere ihm keinen Vorwurf gemacht hatte und hatte diesem vorgeschlagen, dass sie auch tauschen könnten. Dieses Angebot wurde aber strikt abgelehnt, denn Sousuke meinte, dass er mehr an die Kälte gewöhnt wäre und es schon in Ordnung wäre, dass sie die Bettverteilung im momentanen Zustand beließen.
 

Tagsüber hielten sich so gut wie alle Patienten außerhalb ihrer Zimmer auf, was dazu führte, dass der Aufenthaltsraum im 6. Stock überfüllt war. Kisumi war glücklicherweise sehr schnell und reservierte oftmals einen Platz für alle vier.

So auch an diesem Freitagmittag nach dem Essen: Die vier Jugendlichen saßen auf der linken Seite an einer Ecke um einen Tisch, auf den sich der Rosahaarige gelehnt hatte und sich angeregt mit Rin unterhielt. Chigusa schrieb auf ihrem Notizblock, während Sousuke sich nach hinten gedreht hatte und zur Fensterfront hinaussah. Ob er den wild umherwirbelnden Flocken zusah, oder nachdachte, ließ sich nicht sagen.
 

„Weißt du, wir hatten Anfang letzten Jahres eine echt scharfe Schwester hier“, schmachtete Kisumi bei dieser Erinnerung. „Sie war echt cool drauf und sah wie ein Pornostar aus…lange rote Haare, total kurvig und einen riesen Vorbau…“
 

Rin hörte dem anderen zu, wenn er sich auch ein wenig unwohl dabei fühlte. Warum um alles in der Welt sollte er sich für irgendeine gutaussehende Krankenschwester interessieren, die einst in der Klinik gearbeitet hatte?

Kisumi wusste doch, dass er schwul war.

Aber vielleicht war das nur wieder eine seiner Geschichten, die er zum Besten gab, wenn ihm langweilig war. Sonst bekam Chigusa diese wohl meistens zu hören, doch da sie beschäftigt war, musste er sich ein anderes Opfer suchen. Gut, es gab wirklich schlimmeres, als sich das verträumte Gelaber eines Teenagers anzuhören und so hatte Rin beschlossen, diesen Redeschwall einfach über sich ergehen zu lassen. Irgendwann würde es schon aufhören.
 

„Schade, dass sie so schnell versetzt wurde…“, schien es, als würde Kisumi demnächst fertig mit seiner Erzählung sein, wobei er sich zu Sousuke wandte und ihn mit einem verschmitzten Ausdruck ansah. „Sou-chan hat ihr auch immer auf die Titten geschaut, ne?“
 

Der Dunkelhaarige, welcher sich bisher aus dem Gespräch herausgehalten hatte, drehte sich nun um und besah den anderen mit einem warnenden Blick, der andeutete, dass er Kisumi in dem Moment am liebsten eine verpasst hätte.

Rin war beim letzten Satz zusammengezuckt und blickte nun auch zu Sousuke, der leicht rot geworden war und so aussah, als würde er jeden Moment auf Kisumi losgehen. Seiner Reaktion nach zu urteilen stimmten die Behauptungen des anderen allerdings…
 

„Verübeln kann ich‘s ihm nicht. Sie war schon ziemlich geil~“, neckte Kisumi den Größeren noch ein wenig, bis auch er begriff, dass er zu weit ging.
 

„Jetzt ist aber wirklich gut, Shigi!“, sah Chigusa von ihrem Block auf und wirkte genervt. „Wäre schön, wenn du nicht immer alle mit deinen Geschichten belästigen würdest.“
 

Die anderen beiden waren ihr für diese ehrlichen Worte sehr dankbar, während Kisumi verdutzt zu seiner Freundin blickte. So direkt war er noch nie auf eine seiner Angewohnheiten hingewiesen worden. Vielleicht war er diesmal wirklich einen Schritt zu weit gegangen…

Vor allem sah Rin schockiert und auch verletzt aus, was man aber nicht lange beurteilen konnte, da er seinen Blick zu Boden senkte. Sousuke gab ein zischendes ‚Zh‘ von sich während er sich erhob und mit den Händen in den Taschen Richtung Aufzüge lief.
 

Chigusa klappte das Deckblatt ihres Notizblocks um und legte diesem samt ihrem Stift auf den Tisch vor sich, bevor sie Rin an der Schulter berührte. Dieser blinzelte sie überrascht an und hob den Kopf.
 

„Das ist schon länger her und selbst wenn er auf Frauen steht, heißt das nicht, dass du aus dem Rennen bist: Es gibt immerhin auch bisexuelle Menschen“, lächelte sie den Rothaarigen an.
 

Ihr war schon vor Kisumi aufgefallen, welche Entwicklung bei den beiden Jungs von statten gegangen war und welche knisternde Spannung zwischen ihnen herrschte. Deswegen musste sie zuvor auch eingreifen, weil Kisumi viel zu weit gegangen war und Rins Gefühle verletzt und ihn verunsichert hatte.

Diesem wurde in dem Augenblick als Chigusa mit Rin sprach auch bewusst, dass sein Handeln nicht ganz so förderlich gewesen war. Immerhin wusste er aus erster Hand, dass der Rothaarige an Sousuke interessiert war, doch Sensibilität zählte eher weniger zu seinen Stärken…
 

„Und auch wenn er das nicht ist, kannst du immer noch eine Ausnahme sein“, nickte sie von ihren eigenen Worten überzeugt und ließ Rin los.
 

„Danke“, lächelte dieser leicht und fühlte sich ein Stück weit besser.
 

Zwar hatte er keine Ahnung, woher Chigusa wusste, dass er in Sousuke verliebt war, doch schien es sie nicht im Geringsten zu stören. Nein, es wirkte eher so, als würde sie diese Entwicklung befürworten und sie zusammen bringen wollen.
 

„Ist es wirklich so offensichtlich…?“, wollte Rin kleinlaut und mit roten Wangen wissen, fühlte sich aber nicht annähernd so unwohl wie bei seinem Geständnis gegenüber Kisumi ein paar Wochen zuvor.
 

„Nun, wenn man einen Blick dafür hat und ein bisschen beobachtet, kann man es sich denken“, erklärte die Brünette. „Aber keine Sorge: Ich denke nicht, dass es jemand außer uns mitbekommen hat. Immerhin lauft ihr nicht Händchen halten durch die Gegend.“
 

„Puh“, atmete der Rothaarige erleichtert aus.
 

Wenn jemand davon Wind bekommen würde, dass er sich in einen Mann verliebt hatte, seine Therapie also nichts brachte, würde Dr. Masefield noch schlimmere Dinge als ohnehin schon mit ihm anstellten. Davon war Rin fest überzeugt.
 

„Ach wo wir gerade bei Sou-chan sind: Weißt du auch, weswegen unser Großer hier ist?“, schaltete sich Kisumi wieder dein, der seine Phase des schlechten Gewissens bereits wieder überwunden hatte.
 

„Ähm…ja. Weswegen fragst du?“, entgegnete Rin verwirrt von dieser Frage.
 

„Ach…nur so“, zuckte dieser mit den Schultern. „Wenn du an ihm interessiert bist, muss ich ja dafür sorgen, dass du alles über ihn weißt.“
 

„…er hat mir erzählt, dass er jemanden umgebracht hat“, nuschelte der Kleinere und senkte dabei den Blick.
 

Diese Information hatte eine Weile gebraucht, um sich bei ihm zu setzen. Noch immer wollte Rin es nicht glauben, doch er musste eben mit dieser Realität leben. Es gab ja auch Schlimmeres…und Sousuke war nicht böse, ganz sicher nicht.
 

„Hat er dir auch gesagt, dass dieser ‚jemand‘ seine Mutter war?“, grinste der Rosahaarige schief.
 

„Shigi!“, stieß Chigusa Kisumi in die Seite und sah ihn tadelnd an.
 

„Was denn? Stimmt doch…“, hielt er sich die Stelle, an der sie ihn getroffen hatte.
 

„Aber…“, starrte Rin die beiden entgeistert an.
 

[style type=“italic“]Das[/style] war wirklich neu. Einen Menschen zu töten war eine Sache, doch wenn es jemand aus der Familie war, jemanden, den man liebte, warf das ein ganz anderes Licht auf die Sache.
 

„Sprich lieber direkt mit ihm, ich weiß auch nichts Genaueres…“, sah Kisumi erneut ein, dass er besser den Mund gehalten hätte.
 

An diesem Tag hatte er es sich ganz schön bei Sousuke und auch Rin verbockt. Von Chigusa bekam er auch nur Schläge und Ermahnung ab. Echt kein guter Tag für Kisumi Shigino.
 

„Werd ich machen“, entgegnete Rin ein wenig abwesend.
 

„Oh man…“, seufzte Chigusa und schnappte sich ihren Block. „Mit euch Jungs gibt es immer nur Drama.“
 


 

Völlig in Gedanken begab sich Rin ein wenig später zu seiner Therapiestunde. Abgelenkt von seinen Sorgen und Vermutungen darüber, wie es dazu gekommen war, dass Sousuke angeblich seine eigene Mutter umgebracht haben sollte, bereitete er sich nicht mental auf diese Sitzung vor, so wie er es sonst immer tat.

Der Psychologe wurde von Mal zu Mal grausamer, sodass man vermuten konnte, dass es kein Maß für seine Brutalität gab und sich langsam seine wahre Natur offenbarte: Hinter dem Lächeln steckte nichts als purer Sadismus.
 

„Good afternoon, Rin. Are you looking forward for your [style type=“italic“]special[/style] treatment today?“, begrüßte Dr. Masefield seinen Patienten mit dem falschen Lächeln, das nie zu seinen kalten blauen Augen durchdrang.
 

Bei dem unmissverständlichen Tonfall der säuselnden Männerstimmte wurde Rin sich schlagartig wieder bewusst, dass es noch andere, vielleicht schlimmere Dinge gab, um die er sich sorgen sollte, als dass sein Mitbewohner seine Mutter ermordet hatte.

Der Arzt kam auf ihn zu, blieb kurz vor ihm stehen und deutete dann hinter sich.
 

„Please sit down and make yourself at home“, waren die freundlichen Worte, die einen ihren Zweck vollkommen verfehlten.
 

Sie beruhigten keineswegs, nein, sie ließen Panik in Rin aufsteigen, welcher wusste, dass der blonde Mann immer genau das Gegenteil von dem meinte, das er sagte. Das bedeutete also, dass er sich auf eine harte Stunde gefasst machen musste, voller Schmerzen und Selbstzweifeln, die seinen Willen testen und vielleicht brechen würden.

Mit wackligen Beinen ging Rin in die Richtung des Stuhles mit den Armlehnen, an denen man seine Handgelenkte schon so oft gefesselt hatte. Zitternd schloss er die Augen, als Dr. Masefield hinter ihn trat und die Riemen um seine Unterarme zuzog. Das raue Leder stank nach Angstschweiß und Metall, die Rin in die Nase zogen und nur einen kleinen Vorgeschmack auf das bildeten, das folgen würde.
 

Fünf Minuten später befanden sich rote Striemen auf Rins Unterarmen und er atmete schwer. Noch fiel es ihm relativ einfach zu widerstehen und dem anderen nicht die Antworten zu geben, die dieser hören wollte. Selbst wenn er gelogen hätte, würde er geschlagen werden, also gab er nicht auf und kämpfte. Sich zu ergeben kam für Rin nicht in Frage, dazu war er zu stolz und wollte sich nicht von irgendjemandem vorschreiben lassen, wen er liebte.

Leider zeigte diese Form der Therapie schon erste Anzeichen bei ihm, dass er, wann immer ein Bild eines schwulen Paares auf dem Projektor gezeigt wurde, schon zusammenzuckte, die Strafe dafür erwartend, dass er es schöner fand als das von einem Mann und einer Frau.

Auch wenn Rin mit aller Kraft versuchte, nicht nachzugeben, war der inzwischen natürlich gewordene Reflex seines Körpers nicht zu unterdrücken. Dr. Masefield grinste amüsiert vor sich hin, als er seinen Patienten nicht einmal mehr anrühren musste, dass dieser Schmerzen empfand. Die nächsten paar Bilder tat er nichts, sondern beobachtete den Rothaarigen einfach nur, wie er sich entweder entspannte, wenn er keine Schläge zu befürchten hatte, oder sich verkrampfte.

Dieses Spielchen wurde dem Psychologen aber schnell zu langweilig, sodass er bald zu einem der Schränke ging, diesen öffnete und darin etwas suchte.

Rin blickte verwirrt zu ihm.

War diese Tortur nun endlich vorüber?

Würde man ihn nie wieder schlagen, egal wie er reagierte?

Ein Teil von ihm hoffte das, da die letzten paar Minuten, egal welche Bilder gezeigt worden waren und egal wie er darauf reagiert hatte, keine Schläge für ihn bereitgehalten hatten.

Ein anderer ahnte Schreckliches: Was, wenn dies nur der Beginn war und man ab sofort ganz anderes mit ihm anstellen würde? Welche Schmerzen hielten die weißen Schränke für ihn bereit?
 

„Looks like we haven’t got the supplies I need in this room”, sprach der Arzt zu sich selbst, ehe er den Schrank geräuschvoll schloss und sich an Rin wandte. „I’ll be right back, so stay where you are…not that you’ve got a choice.“
 

Über seinen eignen Witz lachend, verschwand Dr. Masefield aus dem Behandlungszimmer und Rin atmete für einen Moment auf. Ihm war bewusst, dass nichts Gutes folgen würde, doch eine kleine Verschnaufpause ohne diesen Verrückten tat gut.

An diesem Tag war er auch nicht so viel und so hart wie sonst geschlagen worden, auch wenn seine Arme schon ziemlich schmerzten. Dabei war er sich nicht sicher, ob er den realen Schmerz fühlte, oder sich diesen schon einbildete. Hatte sich sein Körper in den zweieinhalb Monaten, in denen er dieser Bestrafungstherapie ausgesetzt war, schon so an die Gefühle gewöhnt, dass er diese automatisch aussandte, egal ob man ihn tatsächlich schlug, oder nicht?
 


 

Die Rückkehr des Doktors hatte tatsächlich nichts Gutes für den nicht mehr ganz so neuen Insassen von Dimayz zu bedeuten, wie dessen Instinkt ihm schon versucht hatte mitzuteilen.

Rin ging mit langsamen Schritten den weißen Gang entlang, der ihm noch länger und leerer vorkam als sonst. Die Deckenbeleuchtung flackerte hier und da, doch das bekam er schon lange nicht mehr mit, nicht in seinem derzeitigen Zustand.

Seine Hände waren so taub vom Schmerz, dass er sie kaum mehr fühlte, sie nicht mehr als Bestandteil seines Körpers wahrnahm.

Die apathisch aufgerissenen Augen, die kaum mehr blinzelten, starrten in die Ferne. Der Blick richtete sich nicht auf die weißen Wände, oder auf irgendetwas um ihn herum.

Als Rin an 207 ankam, kehrte das Leben schleichend in seine Augen zurück, die rot und vor Tränen leuchteten, welche sich in ihnen sammelten. Sein Verstand kehrte mit den Erinnerungen an die letzte halbe Stunde zurück, in der er versucht hatte, nicht vor Schmerzen wahnsinnig zu werden.

Das Gefühl in seinen Händen machte sich mit einem beißenden Schmerz bemerkbar, sodass er sich nicht in der Lage fühlte, seine Schlüsselkarte aus der Tasche zu holen, oder überhaupt etwas anzufassen.

Aufgelöst sank Rin so kurz vorm Ziel an der Tür zusammen, drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an diese. Die Augen geschlossen, den Kopf nach oben gereckt, atmete er tief durch, um sich zu beruhigen und nicht zu weinen. Seine Hände berührten den kühlen Boden, nahmen diesen aber kaum wahr. Zu groß war der Schmerz, das Pochen, welches in ihnen tobte.
 

Offenbar hatte diese Therapiestunde etwas länger als gewöhnlich gedauert, denn Rin hörte Schritte, die sich auf ihn zubewegten. Die Gangart war ihm inzwischen bekannt, sodass er sie direkt zuordnen konnte. Er wusste nicht letztendlich deswegen, dass es Sousuke war, der auf ihn zukam, weil sich dessen Schritte zwei Stunden zuvor – als er sich aus dem Aufenthaltsraum entfernt hatte – genauso aufgebracht angehört hatten wie in diesem Moment.

Die roten Augen öffnete sich einen Spalt breit und Rin lächelte leicht, als er den anderen erblickte, der um die Ecke bog.
 

„Rin“, blieb der Größere ruckartig stehen und starrte den Kleineren an, der zusammengesunken auf dem Boden vor ihrem Zimmer saß.
 

„Hey…“, begrüßte Rin Sousuke, wobei sich seine Stimme schwach und kratzig anhörte.
 

„Was ist passiert?“, kam dieser nun auf ihn zugeeilt und ging vor ihm in die Knie. „Was hat man dir angetan?“
 

Als sie sich auf gleicher Augenhöhe befanden, sahen die türkisenen Iriden ernst und entschlossen zu Rin, welcher die Pein seiner Finger aufgrund dieses Blickes beinahe vergaß. So schön waren Sousukes Augen, welcher sich besorgt auf sein Niveau begeben hatte.
 

„Erzähl ich dir später, okay?“, hauchte Rin leise und schloss seine Augen dann wieder, da der Schmerz zurückkehrte.
 

„Soll ich dir aufhelfen?“, bot Sousuke an, woraufhin der Kleinere nickte.
 

Daraufhin erhob der Dunkelhaarige sich, schloss zunächst das Zimmer auf und ging dann wieder in die Knie, um Rin zu sich nach oben zu ziehen. Dabei packte er ihn unter den Achseln und schlang seinen Arm um dessen Taille, sobald sie standen. Mit der freien Hand drückte Sousuke die Tür auf und verfrachtete den verdutzten Rin auf dessen Bett.

Die Berührung hatte sich gut angefühlt, doch ein unerklärlicher Schmerz durchzuckte nun seinen Körper, besonders seine Arme und den Rücken. Rin zitterte nun leicht, auch wenn ihm das selbst nicht bewusst war.
 

„Was ist mit deinen Händen? Warum zitterst du?“, bemerkte Sousuke, dass mit dem anderen etwas nicht stimmte, abgesehen von der Tatsache, dass dieser heulend auf dem Boden gesessen hatte.
 

„Es ist…“, betrachtete Rin daraufhin seine Hände, sich bewusst werdenden, dass sein ganzer Körper bebte. „…schwer zu erklären, aber…ich glaube, die Therapie schlägt an.“
 

Diese Erkenntnis war so plötzlich gekommen, dass Rin über seine eigenen Worte erschrak. Die neue Methode war viel effektiver als die alte: Dr. Masefield hatte ihm heute nach seiner Rückkehr ausschließlich Bilder von sich küssenden oder eng umschlungenen Männern gezeigt und ihm dann Eis auf die Handflächen gelegt. Aber kein normalen Eiswürfel aus der Tiefkühltruhe, sondern Trockeneis in einem Beutel. Bei direkter Anwendung würde dies zu Kälteverbrennungen führen, doch auch der indirekte Kontakt tat höllisch weh. Nachdem Rins Hände für längere Zeit dieser Kälte ausgesetzt gewesen waren, wunderte es nicht, dass diese rot angelaufen waren und sich erst langsam wieder aufwärmten.
 

Sousuke hatte sich neben ihn gesetzt und schwieg seit einer geraumen Weile. Dass er Rücksicht auf Rins Zustand nahm, fand dieser wirklich nett, aber er wünschte sich doch eher, dass dieser mit ihm reden würde, um ihn abzulenken. Also riss der Rothaarige sich zusammen und ließ für einen Moment ab, seine Hände aneinander zu reiben.

Gerade als er sich an den Größeren wenden wollte, wandte sich dieser zu ihm um, sodass Rin erstarrte, weil er sich leicht erschreckte.
 

„Wie genau therapieren sie dich überhaupt?“, wollte Sousuke wissen, da er bei seinen Überlegungen zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen war und sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie man die Sexualität eines Menschen umzukehren versuchte.
 

„Also…“, begann Rins Herz schneller zu schlagen, da es ihm peinlich war, darüber zu sprechen. „Dr. Masefield schnallt mich meistens an einem Stuhl fest und zeigt mir dann Bilder von Paaren, die sich an den Händen halten und so…“
 

Der Rothaarige wich dem Blick des Größeren aus und machte immer wieder Pausen beim Sprechen. Seien Hände hielt er ruhig ineinander geschlungen und drückte ab und an zu, um den Schmerz für eine Sekunde abzuwehren.
 

„Entweder von einer Frau und einem Mann oder zwei Männern. Wenn ich nicht so reagiere, wie er es gerne hätte, schlägt er mich“, berichtete Rin so gefasst wie möglich. „Also jedenfalls hat er das bis heute getan...jetzt ist er dazu übergegangen, mir Eis auf die Hände zu legen und mir nur noch Bildern von Männern zu zeigen…“
 

Während er erzählte, durchlebte Rin die Therapie des heutigen Tages erneut und musste schlucken. Es hatte so verdammt weh getan, als die Eisbeutel auf seine Haut gepresst wurden…

Sousuke lauschte der leisen Stimme und war nicht sonderlich schockiert über diese Methode, doch tat der andere ihm unendlich Leid. Ähnliche Techniken waren ihm von anderen Patienten, aber auch von sich selbst bekannt, doch der Grund, weswegen man Rin Schmerzen zufügte, war ein vollkommen anderer. Nicht etwa, um ihm schlechte Verhaltensmuster abzutrainieren, oder um die Wahrheit zu sagen, sondern um seine Reaktion auf Männer zu verändern.
 

„Hast du deswegen zu zittern begonnen, als ich dich berührt hab?“, schlussfolgerte Sousuke.
 

Bevor er Rin hochgeholfen und ihn zu seinem Bett gebracht hatte, war dessen Körper immerhin vollkommen ruhig gewesen. Das Beben war erst danach aufgetreten.
 

„Ich denke schon…“, wurde Rin bei diesen Worten leicht rot um die Nase.
 

Normalerweise hätte er diese Vermutung so wie sie war unterschrieben, doch er konnte sich auch vorstellen, dass es ihn so überrascht hatte, Sousuke plötzlich so nah zu sein, dass er sich einfach nicht mehr unter Korntrolle gehabt hatte. Immerhin spielte sein Herz verrückt, wenn dieser ihn nur ansah…
 

„Glaubst du, es würde was bringen, wenn du mir jetzt deine Hände gibst?“, bot der Größere daraufhin völlig unerwartet an. „So als Gegenmaßnahme sozusagen…“
 

Daraufhin hob Rin seinen Kopf und blinzelte Sousuke mehrmals verwundert an. Es klang schon logisch, dass man gegen die Behandlung vorgehen konnte, indem man den schmerzhaften Kontakt mit angenehmem ausglich, doch von seinem Mitbewohner, der Körperkontakt sonst verabscheute, den Vorschlag zu hören, dass er ihm dabei helfen wollte, dagegen so unwirklich.
 

„O-okay“, streckte er Sousuke seine Hände zögerlich entgegen, welche dieser in seine nahm.
 

Diese waren größer als Rins und umschlossen seine mit einer angenehmen Wärme. Im ersten Moment stach ein kalter Schmerz in seine Hände, doch als er sich sagte, dass es nur Sousuke war, der ihn berührte, wurde es besser.

Ein netter Nebeneffekt war außerdem, dass seine Hände langsam Normaltemperatur erreichten und das auf eine wesentlich angenehmere Weise, als wenn er sie unter Wasser gehalten, oder sie weiterhin gegeneinander gerieben hätte.
 

„Danke“, schloss Rin seine Augen und genoss den Moment.
 

Sein Herz und die Schmetterlinge im Bauch genossen diese liebevolle Geste ebenfalls und machten ihn nervöser, als er es hätte sein sollen. Allerdings es war eine willkommene Nervosität, die in einem aufkam, wenn man verliebt war.

Sousuke ging es nicht viel anders, auch wenn ihm nicht so ganz bewusst war, was in ihm vor sich ging. Er glaubte, dass sein Herzrasen daher rührte, dass ihm Körperkontakt noch immer zuwider war, auch wenn er ihn angeboten hatte und Rin mochte.

Je länger sie beieinander saßen und er die kleineren Hände in seinen hatte, umso bewusster wurde Sousuke, dass der Kontakt ihm nicht unangenehm war, oder zumindest nicht auf die gewohnte Weise.

Gerade als er es anfing zu genießen, kamen die Erinnerungen an den Mittag zurück, als Kisumi sein Maul nicht hatte halten können und etwas ausgeplaudert hatte, dass Sousuke gar nicht passte. Ihm war es unglaublich peinlich gewesen, vor Rin auf diese eine junge rothaarige Schwester angesprochen zu werden, die er zugegebenermaßen ziemlich attraktiv gefunden hatte – wenn auch nicht bewusst. Warum genau ihm das vor Rin so peinlich war, konnte er nicht sagen. Vielleicht, weil dieser es noch nicht gewusst hatte, oder weil es in der Öffentlichkeit gewesen war?

Dass es Sousuke deswegen rasend gestimmt hatte, weil er nicht wollte, dass Rin schlecht von ihm dachte, dass er nur aufs Äußere achten würde, oder auf Frauen stand, wollte er sich nicht ganz eingestehen. Sowieso war der Große ein wenig eigen, wenn es um Beziehungen und Liebe ging, wobei seine Mutter keine unbedeutende Rolle gespielt hatte.

Dass Rin wegen dieser noch mit ihm sprechen wollte, ahnte Sousuke genauso wenig, wie dass er dem Kleineren schon seit dem Moment verfallen war, als sich ihre Augen in jener verregneten Nacht begegnet waren.

Zu abgelenkt war er von der Wärme, die sich um sein Herz schloss und sich in seinem Körper ausbreitete, dass er es fast nicht mehr aushielt. So schön es auch war, als Rins Hände warm genug waren, löste Sousuke den Kontakt. Diese kleinen Berührungen verlangten ihm schon viel ab und zu mehr war er einfach noch nicht bereit.

Jeder Mensch trägt zwei Gesichter

Am Wochenende war Rin hauptsächlich damit beschäftigt, sich von Dr. Masefields neuer Behandlungsmethode zu erholen, sodass er kaum raus ging. Sousuke blieb daher auch im Zimmer und las die meiste Zeit. Leider führte die Abwesenheit der beiden dazu, dass sich Kisumi als guter Freund dazu verpflichtet fühlte, die beiden zu besuchen. Chigusa schaute auch vorbei, sodass drei der vier Jugendlichen bald auf Rins Bett saßen und Sousuke in seiner Ruhe gestört wurde. Dieser war dank seiner Verwirrung ohnehin nicht gut drauf und Kisumis Anwesenheit führte nicht dazu, dass sich seine Laune besserte.

Erst recht nicht, da dieser meinte, Rin unnötig viel anzutatschen!

Dieser Meinung war Sousuke jedenfalls, welcher den Fummler nicht aus den Augen ließ. Wie eifersüchtig er sich dabei verhielt, war ihm dabei selbst nicht bewusst.

Rin tat es ganz gut, dass Kisumi ihn des Öfteren mal berührte, auch wenn es anfangs schwer war. Er versuchte sich die Schmerzen nicht anmerken zu lassen, die bei ihm dadurch ausgelöst wurden und tatsächlich wurde diese mit jedem Mal schwächer.

Vielleicht funktionierte Sousukes Vorschlag, dagegen zu wirken, indem Rin sich nach der Therapie mit Männern abgab, ja wirklich?
 

„So, wir machen uns dann mal wieder auf“, schwang sich Kisumi schließlich von Rins Bett und half danach Chigusa auf.
 

„Okay, bis morgen dann“, verabschiedete sich Rin gut gelaunt, während Sousuke nur kurz von seinem Buch aufsah.
 

Endlich waren sie wieder alleine. Vor allem von Kisumi hatte Sousuke erst einmal genug. Chigusa war ganz in Ordnung und nicht so aufgedreht und nervtötend wie der andere, doch er zog es dennoch vor, seine Ruhe zu haben.
 

„Was ist denn los mit dir? Ist was passiert, dass du so schlecht drauf bist?“, sprach Rin seinen Mitbewohner nun direkt auf dessen Verhalten an, das ihm nicht entgangen war.
 

„Nicht wirklich“, tat dieser sein doch etwas größeres Problem einfach ab. „Ich hab nur gerne meine Ruhe.“
 

„Wenn du meinst“, zog Rin eine Augenbraue skeptisch nach oben.
 

So ganz glaubte er dem Größeren nicht, doch indem er ihn zwang, würde er bestimmt nichts aus diesem herausbekommen. Außerdem gab es da noch etwas Wichtiges, das er mit diesem zu besprechen hatte. Kisumi hatte ihm vor zwei Tagen immerhin berichtet, [style type=“italic“]wen[/style] Sousuke mit 15 umgebracht hatte.

Als sie vor einem Monat darüber gesprochen hatten, war dieser Punkt nicht zur Sprache gekommen. Die Tatsache alleine schon, dass Rin mit einem Mörder zusammenlebte, war ihm damals sehr nahe gegangen. Aber nicht etwa, weil er Angst vorm anderen hatte, nein, weil Sousuke ihm leid tat.

In den vier Monaten, in denen sie sich kannten, war Rin bewusst geworden, dass Sousuke nicht aggressiv, oder gar gefährlich war. Er ergriff niemals die Initiative, sondern reagierte und wehrte sich nur. Demzufolge musste seine Mutter ihn dazu provoziert haben, zu tun, was auch immer er getan hatte, das ihr Leben beendet hatte.
 

„Ach ja…wegen deiner Mutter“, begann Rin unsicher, ob er das Thema wirklich ansprechen sollte.
 

Wenn Sousuke nicht wollte, konnte er immer noch abblocken. Immerhin vertrauten sie sich doch, aber andererseits wussten sie auch nicht alles übereinander, sodass Rin verstehen konnte, wenn der andere nicht darüber sprechen wollte.

Er selbst konnte sich nicht vorstellen, wie es war, seine Mutter umzubringen, geschweige denn, dann mit dem Gewissen leben zu müssen, dies getan zu haben. Beides musste schrecklich sein…
 

„Wer hat dir davon erzählt?“, erwiderte Sousuke daraufhin scharf und ließ das Buch sinken.
 

„Vor ein paar Tagen hat Kisumi mich darauf angesprochen“, schluckte der Rothaarige ob dem Blick des anderes.
 

Auf diese Weise hatte dieser ihn noch nie angesehen.

Dieser Blick ließ einen kalten Schauder über Rins Rücken ziehen, der ihm eine Gänsehaut machte.

So gefährlich, aber auch gerade deswegen unbeschreiblich anziehend…
 

„Ich hätte es wissen müssen“, knurrte Sousuke und schloss angespannt die Augen.
 

„Tut mir leid, dass ich gefragt habe“, murmelte Rin nun, sich darüber bewusst werden, dass der Zeitpunkt denkbar ungünstig war, um den Größeren darauf anzusprechen. Dieser war ohnehin nicht gut drauf.
 

„Du kannst ja nichts dafür“, verneinte der andere.
 

„Trotzdem…“, fühlte sich der Kleinere richtig schlecht deswegen.
 

Es musste schwer für Sousuke sein, damit umzugehen. Offenbar konnte er das auch noch nicht gut, wenn man sich an die Szene nach seiner Therapie vor einigen Wochen zurückerinnerte. Da war er total fertig gewesen…
 

„Ich bin einfach noch nicht bereit, darüber zu sprechen“, seufzte der Dunkelhaarige nun.
 

Aller Zorn war aus seinem Blick gewichen. Der Ausdruck in seinen Augen formte nun eher Trauer und Verzweiflung. Wie hilflos man sich wohl fühlen musste, wenn man sich nicht daran erinnerte, wieso man jemanden umgebracht hatte…
 

„Ich weiß…“, flüsterte Rin, ehe er sich zusammenriss und mit lauterer Stimme fortfuhr. „Aber wenn du irgendwann darüber sprechen willst, hör ich zu.“
 

„Danke“, rang sich Sousuke nun ein Lächeln ab, in dem sich seine Hilflosigkeit nur zu deutlich widerspiegelte.
 


 

Unterdessen kamen Chigusa und Kisumi gerade vom Abendessen und waren auf dem Weg zurück zu ihren Zimmern. Davor mussten sie aber bei den Toiletten im 5. Stock vorbeischauen, da Sousukes selbsternannter Rivale, mal für kleine Psychopathen musste.

Die Brünette stellte sich an die Wand neben der Tür zur Herrentoilette und wartete darauf, dass ihr Freund bald fertig werden würde. Dabei wurde sie von einem gewissen Pfleger englischer Herkunft beobachtet, welcher sie schon öfter in ihren Therapiesitzungen begleitet hatte.

Als ihr der Blick auf fiel, den Ryan ihr zuwarf, sah rasch in eine andere Richtung. Was auch immer er von ihr wollte, sie würde sich ihm ganz bestimmt nicht anbieten. Weder war sie ein Flittchen, das mit dem nächsten gutaussehenden jungen Pfleger ins Bett hüpfte, noch Kisumi, der sich einen Spaß daraus machte, andere Leute zu verführen – ohne Rücksicht auf welchen Alters oder welchen Geschlechts.
 

Trotz ihres Selbstbewusstsein, wurde Chigusa langsam nervös, da sich Kisumi sehr viel Zeit ließ und Ryan auf sie zukam. Seine Schicht in der Mensa war wohl beendet…
 

„Hey, how are you doing?“, grüßte er die Brünette und blieb vor ihr stehen.
 

„I’m fine. Thanks“, erwiderte sich kurz angebunden, mit einem nervösen Blick in Richtung der Herrentoiletten.
 

Wie sich der Pfleger vor ihr aufbaute, fühlte sich Chigusa in die Enge getrieben. Auf die Idee, schnell in die Damentoilette zu verschwinden kam sie in diesem Moment der ansteigenden Panik nicht. So oder so hätte das nichts gebracht, da das Personal freien Zutritt in alle Räume hatte und er diese Geste wahrscheinlich noch als Aufforderung verstehen würde, ihr zu folgen und sonst was zu treiben.

Chigusa betete in diesem Moment dafür, dass Kisumi im nächsten Moment aus der blaugestrichenen Tür treten und sie vor weiteren von Ryans Aufdringlichkeiten bewahren würden.

Doch stattdessen beugte dieser sich nun zu ihr und stützte sich mit einer Hand an der Wand neben ihrem Kopf ab.
 

„Wanna come to my room tonight? We could have a little fun there~“, sah Ryan sie lasziv an.
 

„I think, I’ll pass…”, blickte Chigusa scheu zur blauen Tür.
 

„I don’t think you want to let this opportunity slip“, kam er ihr immer näher.
 

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ein erleichtert aussehender Kisumi betrat die Bildfläche. Es dauerte einen Augenblick, ehe die violetten Augen seine Freundin gefunden und realisiert hatten, was vor ihnen ablief.

Trotz seiner unbekümmerten Art durchs Leben zu hüpfen, schaltete er schnell und stolzierte nun auf Ryan zu.
 

„Hey there~“, zwinkerte er dem überraschten Pfleger zu, der so abgelenkt von Kisumis Auftritt war, dass Chigusa unter seinem Arm in Sicherheit schlüpfte.
 

„Hey, hold on!“, war der Mann Mitte zwanzig gar nicht begeistert, als er merkte, dass sich seine Beute verflüchtigt hatte.
 

„I think my ass is just as good as her pussy~”, fuhr Kisumi mit einen Fingern über den Brustkorb des Pflegers, welcher diesen verwirrt folgte. „Don’t you want to try and check it out?“
 

Chigusa, welche sich an der nächsten Ecke versteckte, belauschte das weitere Gespräch der beiden und musste schlucken. Sie wollte nicht, dass Kisumi wegen ihr von irgendeinem Typen gefickt wurde…

Andererseits wäre das nicht das erste Mal, dass sich ihr Freund an einen Mann ranmachte, auch wenn er sonst das weibliche Personal bevorzugte. Einzuschreiten traute sich die Brünette aber auch nicht. Dazu saß der Schreck noch zu tief, denn die Szene hatte sie an ihre Vergangenheit erinnert, die dafür verantwortlich war, dass sie von keinem Mann mehr angetatscht werden wollte.

Mit einem zu schlafen konnte sich Chigusa schon dreimal nicht vorstellen. Dafür war sie zu traumatisiert und hatte ohnehin kein großes Interesse am anderen Geschlecht.

Bevor ihr Vater sie wegbringen lasse hatten, hatte es ein Mädchen gegeben, das sie gerne gemocht hatte. Damals war ihr nicht klar gewesen, welche Gefühle es waren, die sie dieser entgegenbrachte und so hatte sie diese für enge Freundschaft gehalten.

Inzwischen war Chigusa klar, dass sie in Gou verliebt war. Diese Erkenntnis brachte ihr aber sehr wenig, denn so wie es aussah, würde sie diese nie wieder sehen und für immer an diesem Ort eingesperrt bleiben.

Wie viele Jahre waren vergangen, seit Chigusa zuletzt Kontakt zur Außenwelt gehabt hatte? Inzwischen waren es beinahe vier…
 

Als Kisumi ein paar Minuten später um die Ecke kam und Chigusa aufpflückte, hatte diese sich soweit beruhigt, dass man es ihr nicht mehr anmerkte, dass sie vor wenigen Momenten beinahe eine Panikattacke gehabt hätte.
 

„Alles okay bei dir?“, erkundigte sich der Größere, als sie zu den Fahrstühlen gingen.
 

„Klar…alles super“, seufzte Chigusa. „Danke, dass du mir geholfen hast.“
 

„Das ist doch selbstverständlich! Immerhin bist du meine beste Freundin“, zwinkerte Kisumi beim Betreten der Kabine. „Außerdem hatte ich schon lange keinen Spaß mehr~“
 

Eigentlich hätte es die Brünette nicht wundern sollen, dass der andere ihr diese Antwort gab. Kisumi war wohl das komplette Gegenteil von ihr: Er hatte ein loses Mundwerk, war immer gut gelaunt, für einen Spaß zu haben, flirt- und sexbereit, … war kurzum für alles zu haben. Sie hingegen überlegte sich gut, was sie sagte und tat, ließ sich von niemandem zu Sex überreden und war längst nicht so freizügig. Das hatte unter anderem damit zu tun, dass ihr Vater sich an ihr vergangen hatte, aber auch mit ihrer Einstellung, dass sie nur mit jemandem schlafen wollte, den sie liebte. Natürlich konnte jeder machen was er wollte, sofern es einvernehmlich war, doch für sie war es einfach nichts, mit jemandem zu schlafen, nur weil man Lust darauf hatte. Außerdem hatte sie das auch gar nicht…

In diesem Punkt konnte Chigusa Sousuke sehr gut verstehen, der schon des Öfteren hatte verlauten lassen, dass er Kisumis Lebensstil nicht guthieß, sogar verabscheute. Seine persönlichen Erfahrungen durfte man bei diesem Urteil wohl auch nicht außer Acht lassen…

Leider war der Dunkelhaarige so verschlossen, dass sie seit seiner Ankunft kaum ein Gespräch geführt hatten. Die aufgezwungen von Kisumi sagten Sousuke nicht zu, sodass er sich noch weiter von ihnen distanzierte.

Dass ihr bester Freund sich an Kindern vergangen hatte, war wohl Ironie des Schicksals wenn man bedachte, dass er sie gerade eben genau vor so einem Menschen beschützt hatte.

Chigusa war kein Kind mehr, doch der Pfleger war eindeutig zu alt für sie, sowie er sich ihr aufgezwungen hätte, genau wie ihr Vater, der sie doch eigentlich hatte beschützen sollen…
 


 

„Ich vermisse das Schwimmbecken jetzt schon“, sank Rin auf den Boden und atmete tief durch.
 

Sousuke und er trainierten regelmäßig zusammen. An diesem Nachmittag hatten sie es wohl beide übertrieben, weil sie sich gegenseitig immer dazu anstachelten, mehr als nötig zu tun. Am Wochenende konnten sie die Stunden am Nachmittag, die sonst für die Sitzungen, die sich ‚Behandlungen‘ schimpften, draufgingen, ihren Körpern widmen. Unter der Woche wurde das Training auf den Abend verschoben, oder fiel ganz aus. Je nach dem, wie hart die Ärzte mit ihnen verfahren waren, waren sie auch ohne sportliche Aktivitäten bereits am Ende ihrer physischen und psychischen Kräfte.
 

„In den Osterferien können wir es nochmal versuchen“, entgegnete Sousuke, welcher ebenfalls auf dem Boden saß und sich an sein Bett lehnte.
 

„Wie lange ist es noch bis dahin?“, wollte der Kleinere wissen, dem es auf die Nerven ging, dass er nicht in die Fitnessräume durfte.
 

„Eineinhalb Monate ungefähr.“
 

„Oh maaaan…“, seufzte Rin und schnappte sich seine Wasserfalsche vom Nachttisch, aus der er gierig trank.
 

Über diese sehr offensichtliche Reaktion musste Sousuke leicht schmunzeln, da es ihm nicht viel anders ging. Auch er brannte darauf, das Wasser um seinen Körper zu spüren und sich das ein oder andere Rennen mit Rin zu liefern.
 

„Gehst du zuerst duschen, oder kann ich?“, hatte der Dunkelhaarige das Bedürfnis, aus seinen verschwitzten Klamotten und unters Wasser zu kommen.
 

„Geh du zuerst…ich brauch sowieso immer länger als du“, ließ Rin dem anderen den Vortritt.
 

Auch wenn er davon abgekommen war, sich den ganzen Körper zu rasieren, so nahmen die Stellen, die dieser Behandlung bedarfen, doch einige Zeit in Anspruch, genau wie seine Haarroutine. Weiches, glänzendes Haar benötigte nunmal seine Pflege.

Ein anderer Grund für die Länge von Rins Aufenthalt im Bad war, dass er sich schließlich irgendwo einen runterholen musste. Im Zimmer war das nicht möglich, da er dazu zu große Angst hatte erwischt zu werden. Allgemein gab es sehr wenig Privatsphäre in der Anstalt, sodass er quasi dazu gezwungen wurde, das in der Dusche zu regeln.

Wie genau Sousuke das handhabte, war ihm ein Rätsel, da dieser immer sehr schnell im Bad fertig war und meist vor ihm einschlief. Eine Freundin hatte er logischerweise auch nicht…

Nachdem was Kisumi erzählt hatte, musste er schließlich davon ausging, dass es wenn überhaupt eine Freundin war. Laut der Beschreibung des Aussehens der Schwester, die es ihm angetan hatte, stand Sousuke auf kurvige Frauen mit langen Haaren und großen Brüsten…super.

Selbst wenn er bi war, so wie Chigusa ihn aufzuheitern versucht hatte, trafen diese Eigenschaften überhaupt nicht auf ihn zu.

Konnte ein Mann überhaupt kurvig sein? Rin wusste es nicht. So genau hatte er auch nie darauf geachtet, für ihn waren eher große muskelbepackte Typen interessant. Dabei gab es aber auch Grenzen: er wollte keinen Riesen, oder einen Bodybuilder, nein, über 1,85 m reichte völlig aus und ein paar definierte Muskeln waren auch schön. Im Grunde war Sousuke sein Traummann wenn es ums Äußere ging…

Seitdem sie sich allerdings besser kennen gelernt hatten, musste Rin zugeben, dass nicht nur ihn nicht nur dessen Äußeres zu ihm hinzog, sondern auch dessen Persönlichkeit, die er sehr sympathisch fand und dessen Ausstrahlung, die ihm von Zeit zu Zeit angenehm erschaudern ließen. Zum Beispiel wenn er ihn mit diesen türkis durchfluteten Augen ansah, die durchs Dunkle zu ihm vordrangen, so wie in ihrer ersten Nacht.

Es war doch zum Verzweifeln!

Warum musste der Kerl auch auf vollbusige Weiber stehen?!
 

Dass Sousuke weniger auf äußere Eigenschaften achtete, als auf das Innerste, sollte Rin inzwischen bewusst sein, doch hielt dieser sich zu sehr an Kisumis Worten auf, die ihm dieses Bild von Sousukes Idealtyp suggerierten.

Der Dunkelhaarige hatte definitiv seine Präferenzen, von denen einige auf die junge Krankenschwester zugetroffen hatten, doch wäre diese für ihn nie als Partner in Frage gekommen, weil er feststellen hatte müssen, dass er ihre Persönlichkeit grauenhaft fand.

Rin übersah außerdem, dass er definitiv über einige der Attribute verfügte, die ins Raster von Sousukes Typ passten.

Da wären beispielsweise die roten Haare, für welche dieser eindeutig ein Fabel hatte, der helle Teint, sowie die stundenglasähnliche Figur, deren sich Rin nicht bewusst war.

Natürlich hatte er keine so ausgeprägt schmale Taille wie es eine Frau haben konnte, doch seine Silhouette ähnelte doch sehr einer Sanduhr. Normal breite Schultern, der zur Mitte schmaler zulaufende Rücken und die breiter werdenden Hüften deuteten eindeutig auf diesen Figurentyp hin.

Doch Rin sah an sich nur die Merkmale, welche nicht in das Bild passten, das er sich von Sousukes Traumfrau/Traummann zusammengebastelt hatte.

Nie könnte er kurvig sein und eine große Oberweite, oder so weiche Haut wie eine Frau haben, auch wenn sich an den Haaren etwas machen ließ.
 

Mit diesen spielte der Rothaarige in diesem Moment. Er zwirbelte eine Strähne zwischen seinen Fingern, auf die sein Blick fixiert lag.

Rin stellte fest, dass sie ganz schön lang geworden waren. Immerhin hatte er sie seit seiner Ankunft nicht mehr geschnitten. Zuhause hatte das seine Mutter erledigt, doch hier wusste er nicht, an wen er sich wenden sollte.

Zwar kümmerte sich Sousuke um seinen eigenen Haarschnitt, doch bestand dieser hauptsächlich daraus, dass er sich mit dem Rasierer einen etwas längeren Undercut verpasste und dann den Rest ein paar Zentimeter trimmte.

Eindeutig nicht das Ziel, welches Rin mit seiner Frisur hätte. Im Grunde mussten nur ein paar Zentimeter an den Spitzen ab…
 

„Alles okay bei dir?“, wandte sich Sousuke nun doch an den Rothaarigen, der schon eine Weile mit seinen Haaren spielte.
 

„Hm, ja…ich hab nur das Gefühl, dass ich meine Haare langsam mal schneiden sollte“, blickte Rin auf, dem nicht aufgefallen war, dass der andere ihn schon seit geraumer Zeit beobachtete.
 

„Sind sie kaputt?“, wollte dieser wissen.
 

„Nicht wirklich, aber sie werden echt zu lang“, seufzte Rin.
 

„Ich finde, es steht dir“, kam das vollkommen unerwartete Kompliment seitens Sousuke, der dabei keine Mine verzog.
 

„F-findest du?“, wurde der Rothaarige augenblicklich rot.
 

Wenig später rief er sich sein vorheriges Problem ins Gedächtnis, das sich um ein verwandtes Thema drehte. Dass der Größere eindeutig auf längere Haare stad war mit dieser Aussage erst recht belegt.
 

„Ja, aber wenn du dich anders wohler fühlst…es ist deine Sache“, schnappte sich Sousuke nun scheinbar beiläufig ein Buch.
 

Seine eigentliche Absicht dabei war, dass er indem er vortäuschte lesen zu wollen, weiteren möglichen Fragen aus dem Weg zu gehen hoffte. Ihm war, während er gesprochen hatte, bewusst geworden, [style type=“italic“]was[/style] er da sagte, doch um das noch zurück zu nehmen, war es nun zu spät.
 

„Dann versuch ich wohl morgen die Spitzen ein wenig zu schneiden“, kam Rin zu seinem Entschluss.
 

Dabei zierte seine Wangen ein leichter Rotschimmer, der vollkommen unbemerkt blieb, da Sousuke seiner Ausflucht nachging, sich mit seinem Buch zu beschäftigen, da er ausnahmsweise nur vorgab zu lesen.

In Wahrheit dachte er über Rin nach und wie gut dieser aussah. Dass er ihn unbewusst dazu überreden versucht hatte, sich die Haare länger wachsen zu lassen, war ein Versehen gewesen, über das er sich nun ärgerte. Doch vielleicht hatte sein Zutun auch etwas Gutes: Letztendlich ließ Rin seine Haare doch ein wenig länger, sodass er seinen unbewussten Willen zu guter Letzt durchgebracht hatte.

Über seine Vorlieben war sich Sousuke auch nicht ganz bewusst. Natürlich bemerkte er, wenn er jemanden anziehend fand – doch das meiste erst sehr spät, wenn es bereits [style type=“italic“]zu[/style] spät war. Auf äußere Merkmale führte er diese Gefühle jedoch nie zurück.

Das einzige, dessen sich Sousuke bewusst war, war dass er rote Haare mochte. Weshalb dem so war, konnte er sich allerdings nicht erklären. Vielleicht hatte er eine Vorliebe für seltene Dinge, vielleicht mochte er die Farbe Rot sehr gerne, vielleicht weckten sie in ihm eine Neugier des Unbekannten.

Seit dieser einen Nacht ließ ihn der Gedanke nicht los, ob Rins Haare am gesamten Körper rot waren…derartig unanständige Vorstellungen passten wenig in Sousukes Bild, doch waren sie einmal aufgekommen, wurde er sie so schnell nicht wieder los.

Von Rins Körperbehaarung hatte er noch nicht viel mitbekommen, nur dass dessen Arme hellrote Haare aufwiesen und ihm so gut wie kein Bart wuchs. Der Rest war Neuland für ihn.

Wie gut, dass Menschen keine Gedanken lesen konnten. Für diese nicht vorhandene Fähigkeit war Sousuke unglaublich dankbar, denn die Fragen, die er sich vor ein paar Minuten gestellt hatte, während er Rin dabei beobachtet hatte, wie dieser mit einen Haaren spielte, sollte niemand hören. Sie waren unangebracht gewesen und hätten ihn in eine unangenehme Situation gebracht, hätte man sie erfahren.
 

Rin ging es da nicht anders, denn auch er beschäftigte sich zurzeit gedanklich mit brisanten Themen. Dabei lag er mit dem Gesicht zur Wand in seinem Bett und hörte Musik. Ihm spukten in diesem Moment Bilder von Sousukes Idealbild einer Frau durch den Kopf und wie er diese niemals erreichen könnte. Dann driftete er zu dessen Körper über, den er leider schon länger nicht mehr halb nackt erblickt hatte. Bei genauerem Überlegen war das vielleicht ganz gut so, denn alleine die Vorstellung von diesem, brachte Rins Blut in Wallungen. Außerdem begann es sich an einer ganz bestimmten Stelle zu sammeln, sodass er schnell an etwas Anderes zu denken versuchte.

Das durfte alles nicht wahr sein!

Es war keine halbe Stunde her, dass er sich einen runtergeholt hatte, sodass da unten eigentlich nichts passieren durfte!

Dabei unterschätzte Rin seinen unausgeglichenen Hormonhaushalt total, der daher rührte, dass er sich mitten in der Pubertät befand und dazu führte, dass solche Ereignisse zu den ungünstigsten Gelegenheiten stattfinden konnten.

Es brachte alles nichts…das hieß dann wohl: Ab zurück ins Bad.

Wer mag wen?

Mit 17 Jahren hatte ein Teenager normalerweise andere Probleme zu kämpfen, wie einem Freund oder einer Freundin, den Schulnoten, oder der Familie, als sich darum zu sorgen, dass ein sadistischer Arzt längst veraltete Behandlungsmethoden an einem austestete. Rin fand sich jedoch genau in dieser Situation wieder. Sein Zeitgefühl hatte sich längst verabschiedet, sodass er gut zwei Wochen nach seinem Geburtstag bemerkte, dass dieser schon längst vorüber war. Na super…so weit war es also schon gekommen.

Dr. Masefield hatte es geschafft, ihn so zu manipulieren, dass er an nichts anderes mehr als an seine nächste Behandlung denken musste. So verrückt hatte die Anstalt ihn also schon gemacht…

Wie erging es dann den anderen, die sich schon wesentlich länger als er an diesem höllischen Ort befanden?
 

„Du, Sousuke…“, drehte sich der Rothaarige in Richtung des Bettes seines Mitbewohners.
 

„Hm?“, blickte dieser von seinem Buch auf.
 

Es war früh am Morgen, sodass Sousuke vermutet hatte, Rin würde noch schlafen, doch offenbar war dieser auch schon seit längerem wach. Sonntags durften sie ein bisschen länger liegen bleiben, sodass er die Gelegenheit meist nutzte um sich sozusagen wach zu lesen.

An jedem Wochentag erwachte Sousuke um Punkt sieben Uhr, sodass er sich im Prinzip keinen Wecker mehr stellen musste. Diese innere Uhr hatte seine Vorteile, wie dass er am Wochenende Rin nicht weckte, aber auch seine Nachteile, wie dass er nie länger schlafen konnte.

Der Rothaarige sah noch ziemlich verschlafen aus und blinzelte ihn mit kleinen Augen an, die sich noch nicht an das Licht gewöhnt hatten, das vom Fenster hineinschien und ihn blendete.
 

„Wann hast du Geburtstag?“, wollte Rin wissen und hörte sich dabei wirklich sehr müde an.
 

„14. September“, erwiderte Sousuke sachlich, wunderte sich aber über genau diese Frage zu dieser Zeit.
 

„Das ist ja noch ewig hin“, gähnte der Kleinere nun und schloss die Augen erneut.
 

„Und du?“, nutzte der andere die Gelegenheit, um ein bisschen mehr zu erfahren.
 

„2. Februar“, nuschelte Rin nun und kuschelte sich in seine Decke ein.
 

„…das war vor genau zwei Wochen, oder?“, blinzelte Sousuke nun sichtlich verwirrt.
 

Warum hatte Rin denn nichts gesagt? Normalerweise wollte man diesen Tag doch feiern, oder? Sousuke war nicht der Typ, der jedem sein Geburtsdatum um die Ohren schlug, doch freute er sich auch, wenn jemand daran dachte. Dem anderen ging es da sicher nicht anders, warum also hatte er nicht davon erwähnt?
 

„Glaub schon…“, war Rin es peinlich, dass er seinen eigenen Geburtstag vergessen hatte, auch wenn es dazu mehrere gute Gründe gab.
 

„Warum hast du nichts gesagt?“, legte Sousuke sein Buch beiseite; immerhin hatte er nun eine bessere Beschäftigung, die ‚den verschlafenen, in die Decke eingekuschelten Rin beobachten‘ hieß.
 

„Hab’s vergessen…“, gab dieser zu und zog sich die Decke über den Kopf.
 

Er wollte vor Peinlichkeit am liebsten sterben…und das schon so früh am Morgen.

Dabei verstand Sousuke ihn besser als jeder andere, dass man aufgrund der Umstände in Dimayz gerne alltägliche Dinge vergaß, da sich die Instinkte und Gedanken alleine ums Überleben bzw. darum drehten, wie man am besten mit den Schmerzen und dem Psychoterror fertig wurde.
 

„Ich glaub, jeder hier vergisst solche Dinge mal…immerhin haben wir es alle nicht so leicht, oder?“, munterte Sousuke seinen Mitbewohner auf, oder versuchte das zumindest.
 

Im Grunde war das sein erster Versuch, einen anderen aufzubauen. Zuvor hatte es auch niemanden gegeben, der dessen Wert gewesen wäre. Das brachte ihn allerdings in die Lage zu hinterfragen, ob das was er tat, richtig war. Immerhin war das alles Neuland für Sousuke. Fähigkeiten wie gewöhnliche menschlicher Interaktionen fehlten ihm nicht komplett, doch es mangelte an der ein oder anderen Stelle an der Ausführung.
 

„Ja…kann sein“, seufzte Rin und streckte seinen Kopf hervor.
 

Offenbar hatte der Größere nicht alles falsch gemacht und bekam als Belohnung den verwuschelten Haarschopf des Kleineren zu Gesicht. Die rote Mähne war am Tag zuvor ein wenig gestutzt worden, was man aber kaum sehen konnte, erst recht nicht wenn sie so durcheinander wie im Moment waren.
 

„Du hast eine Schwester, oder?“, fiel Sousuke bei diesem Anblick wieder ein, dass Rin schon ein paar Mal über seien Familie gesprochen hatte. Wie er diese mit seinen Haaren assoziierte war einfach zu erklären: Rote Haare waren sehr selten und da nicht jeder das Gen dafür in seiner DNA trug, stellte sich ihm die Frage, ob in es noch andere Mitglieder aus Rins Familie gab, die dieses Merkmal aufwiesen.

Seine Obsession mit dieser Farbe kannte keine Grenzen.
 

„Ähm, ja…warum?“, wurde der Rothaarige völlig davon abgelenkt, dass er seinen eigenen Geburtstag verpennt hatte.
 

„Hab mich nur gefragt, ob sie auch rote Haare hat“, zuckte Sousuke gespielt beiläufig mit den Schultern und tastete dabei schnell nach seinem Buch.
 

„Ja, hat sie. Genau wie meine Mutter“, gab Rin bereitwillig Antwort, auch wenn er die Frage und Sousukes Interesse diesbezüglich sehr seltsam fand. „Warum wolltest du das wissen?“
 

Der Größere hatte schon gehofft mithilfe seines Buches die Intention seiner Fragen verstecken zu können, indem er so tat, als wäre das Gespräch beendet, doch anscheinend war Rin wesentlich fitter als noch vor wenigen Minuten, sodass er nicht locker ließ. Nun gut, dann würden sie sich eben noch ein bisschen mehr über haare unterhalten.
 

„Na ja…ich mag die Farbe“, erklärte Sousuke und errötete dabei kaum merklich. „Sie ist selten und schön.“
 

„Du bist der Erste, der das sagt“, kicherte Rin nun völlig unerwartet und fand es süß, wie der andere sich dafür begeisterte.
 

Perplex über das Lachen des Kleineren blinzelte Sousuke diesen an, fand es aber auch schön, dass dieser so gut gelaunt war und seine Antwort nicht in den falschen Hals bekam.
 

„Du hast echt einen komischen Geschmack“, klang Rins Kichern langsam ab.
 

Dabei machte er sich auch nicht über die Vorlieben des anderen lustig, sondern empfand es eine angenehme Abwechslung, mal nicht wegen seiner Haare beleidigt, sondern gelobt zu werden.

Dieser störte sich keineswegs an der Reaktion, ganz im Gegenteil: Einen Menschen so unbeschwert zwischen diesen Wänden zu erleben, tat ihm gut, vor allem, da er für dafür verantwortlich war.
 

Auf Sousukes Lippen schlich sie nun auch ein sanftes Lächeln: „Kann gut sein.“
 


 

So schön der Sonntagmorgen auch begann, so schnell verging dieser ruhige, friedvolle Tag auch. Am Montag saßen Sousuke und Rin bereits beim Frühstück, als Kisumi nicht in seinem federnden Gang hereinstolziert kam, sondern langsamer und geerdeter einen Fuß vor den anderen setzte. Schlecht gelaunt oder müde sah er auch nicht wirklich aus, sodass dieses Verhalten nicht ganz stimmig war.
 

„Guten Morgen~“, flötete Kisumi seinen Freunden entgegen, gähnte dann aber doch, als er sich setzte.
 

Vielleicht war er doch müder, als es den Anschein erweckt hatte. Sousuke traute dem nicht ganz, doch das tat er grundsätzlich nicht. Rin machte sich darum keine weiteren Gedanken und war stolz auf sich, dass er es inzwischen alleine hinbekam, mit Messern umzugehen.
 

„Habt ihr Chi-chan schon gesehen?“, wollte er wissen, nachdem Rin ein verschlafenes ‚Morgen‘ genuschelt und Sousuke ihn gekonnt mit einem grimmigen Blick begrüßt hatte.
 

„Ne, heute noch nicht…warum?“, entgegnete der Rothaarige, deutlich besser gelaunt als sein Freund, de r ihm gegenübersaß.
 

„Ach nur so~ Ich muss ihr noch was erzählen~“, grinste Kisumi daraufhin und machte den Kleineren mit seiner Andeutung neugierig.
 

„Und das wäre…?“, hakte Rin nach.
 

„Oh, nichts was du unbedingt wissen willst~“, zwinkerte der andere nun schelmisch und linste dann zu Sousuke.
 

„Oh, okay?“, war sich der Kleinere nicht sicher, was er von dieser Antwort halten sollte.
 

Sousuke schien mehr zu wissen und ahnte bereits, in welche Richtung Kisumis Abenteuer gegangen war, alleine schon von dessen Gangart. Es war nur gut, dass Kisumi sich Rin nicht wieder aufzwängte und ihn mit seinen Perversionen belästigte.
 

„Willst du wirklich nicht“, bestätigte Sousuke ausnahmsweise Kisumis Aussage.
 

Sonst stimmten die beiden ausgesprochen selten in einer Sache überein und eigentlich wollte Kisumi auch Rin von seinem Wochenendritt berichten, doch mit Sousuke in der Nähe war das keine gute Idee. Was musste der auch so verklemmt sein?

Gut, er hatte psychische Probleme und bla bla, das hatten sie immerhin alle. Chigusa zierte sich immerhin auch nicht so, über Sex zu sprechen, auch wenn sie vergewaltigt worden war. Sie praktizierte ihn eben nur nicht, was wirklich zu schade war, denn Kisumi fand sie wirklich süß.

Seit sie sich angefreundet hatten, wollte Kisumi aber komischerweise nichts mehr von ihr. Dass er sich trotzdem noch so um sie sorgte und bei ihr blieb, grenzte bei ihm schon an ein Wunder.

Vielleicht fühlte er sich zu ihr - im Gegensatz zu anderen - nicht sexuell zu ihr hingezogen, sondern ihm lag wirklich etwas an ihr als Mensch?

Die Ursache dahinter zu ergründen, war Kisumi zu anstrengend, weswegen er sich nun lieber mit lustigeren Themen auseinandersetzte.

Wie zum Beispiel, dass er Sousuke körperlich auch sehr ansprechend fand und es sich inzwischen zu seinem Spaß gemacht hatte, diesen zu provozieren. Seine Flirtmethoden passte Kisumi an sein jeweiliges Objekt der Begierde an, sodass diese bei Sousuke so ausfiel, dass er diesen zur Weißglut brachte, weil er das irgendwie sexy fand. Die vor Zorn aufglühenden Augen, in denen sich bestimmt noch andere Leidenschaften widerspiegeln könnten, wäre er nur nicht so prüde~

Es war eine wahre Schande in Kisumis Augen, dass der Größere für keinen Spaß zu haben war. Mit diesem Körper und Temperament könnte er weitaus mehr als nur ein Augenschmaus sein~

Jedoch waren sie schlichtweg zu verschieden, als dass da jemals etwas laufen würde. Mal ganz davon abgesehen, dass sich der Dunkelhaarige nicht für Kisumi interessierte und ihn für einen abgedrehten psychopathischen Spinner hielt.

Rin war auch nicht schlecht, wirkte aber eher devot mit seiner unerfahrenen, schüchternen Art. Kisumi war jedoch fest davon überzeugt, dass man dessen Feuer nur ein wenig anfachen musste, sodass er aus sich herauskommen und erblühen würde. Nur zu schade, dass er selbst nicht der sein würde, der seinen Spaß mit dem Rothaarigen haben würde.

Nun gut, vielleicht wäre es gar nicht schlecht, wenn Sousuke mal ein wenig Dampf ablassen könnte, vielleicht wäre er denn entspannter. Dessen konstant schlechte Laune führte Kisumi eindeutig darauf zurück, dass dieser einfach nicht zum Schuss kam und sich daher viel Druck aufgebaut hatte, den er an ihm ausließ – und das leider nicht in der Form, die ihm angenehm war.
 


 

Am Nachmittag bzw. frühen Abend, als sie alle ihre Sitzung hinter sich gebracht hatten, saßen die drei Jungs in Sousuke und Rins Zimmer. Dr. Masefield hatte damit begonnen, Rin Bilder von heterosexuellen Paaren zu zeigen, welche keine Strafe bedeuteten, sodass er an diesem Tag relativ entspannt und schmerzfrei war.

Sehr zum Leidwesen des Dunkelhaarigen, belagerte Kisumi Rins Bett schon seit einer geraumen Weile und führte seine gewöhnlichen, seltsamen Gespräche mit diesem. Das Schlimme daran war, dass Rin darauf einging und dass Sousuke eigentlich nicht zuhören wollte, es aber so spannend fand, dass er nicht weghören konnte.

Qualen leidend, tat er so, als würde er sich gedanklich tief in seinem Roman befinden, während er in Wahrheit dem Geschehen auf dem anderen Bett folge und immer mal wieder über den Einband linste.
 

„Wann hattest du deinen ersten Freund?“, hörte Sousuke die Nervensäge gerade fragen, auf dessen Frage er die Antwort allerdings schon kannte.
 

„Also so richtig zusammen war ich noch mit niemanden“, entgegnete Rin, dem das ein wenig peinlich war.
 

„Na muss ja auch nicht, man kann trotzdem Spaß haben, ne?“, zwinkere Kisumi. „Die Type haben bestimmt Schlange bei dir gestanden.“
 

„Nicht wirklich“, atmete der Kleinere hörbar aus.
 

Warum sollte sich schon groß jemand für ihn interessiert haben? Zwar war er schon gut gebaut, doch die Haare schreckten viele ab, seine Zähen erst recht. Da hatte es auch nicht viel geholfen, dass er im Schwimmteam eine höhere Position bekleidet hatte.

Dennoch hatte er zugegebenermaßen einige Verehrer gehabt, die so leider überhaupt nicht sein Typ gewesen waren. Viel zu klein und süß waren die meisten gewesen. Dabei konnte Rin süße Dinge nicht ab, egal ob es um Essen, oder Menschen ging. Er brauchte etwas, das ihn befriedigte und das auf längere Zeit.

Was hatte man schon von dem ganzen Zucker, der einen letztendlich doch nur dick machte und keine langfristige Zufriedenheit hervorrief? Bei Männern war es das gleiche: Einen niedlichen Kerl konnte man sich schnell mal schnappen und mit ihm rummachen, doch das war ein sehr kurzer Spaß, der zu nichts führen würde, denn Rin war zwar aktiv, aber dann doch nicht auf diese Weise aktiv. Sein Gegenpart war das auch nie gewesen, weswegen er unter anderem noch Jungfrau war. Der andere Grund war, dass er seine Unschuld nicht an irgendwen verlieren wollte, sondern es jemand sein musste, bei dem er es nicht bereute. Kurzum brauchte er eine feste Beziehung und musste tiefere Gefühle hegen, bevor er sich jemandem hingab.
 

„Niiiicht?“, rückte Kisumi näher und beäugte sein Gegenüber dabei neugierig, wobei er wie ein Hund wirkte, der aufgeregt um sein Herrchen sprang. Nur der wedelnde Schwanz fehlte noch, oh, ach ja… „Aber du hast schon mal mit jemandem geschlafen…?“
 

„…wie sollte ich das denn bitte, wenn ich noch keinen Freund hatte?“, kam es eingeschnappt von Rin, der nun die Arme vor der Brust verschränkte und schmollte.
 

„Oh, also ich hatte auch schon das Vergnügen, war aber auch nie fest mit jemandem zusammen“, zuckte Kisumi mit den Schultern und verstand nicht, wie man sein Verlangen so lange zurückhalten konnte, das laut ihm jeder besaß.
 

Sogar der Miesepeter in der Ecke, der vorgab sein Buch zu lesen.

Kisumi war bewusst, dass dieser ihn nicht aus den Augen ließ, wohl um Rin zu beschützen. Dass das gut so war und perfekt in seinen Plan mit einspielte, wusste Sousuke nicht, doch das war nicht von Bedeutung. Wichtig war nur, dass er zu ihnen schaute, wenn er den finalen Schritt einleiten würde.
 

„Schön für dich“, grummelte Rin beleidigt, der sich wie die letzte Jungfer fühlte.
 

„Hab dich nicht so~ Wenn du mal einsam bist, steh ich dir gerne zur Verfügung~“, senkte Kisumi seine Augenlider und blickte aus seinen violetten Augen lasziv in die roten.
 

Rin schluckte leicht, ehe er sich an den Plan erinnerte, den sie vor nicht allzu langer Zeit gemeinsam geschmiedete hatten, um herauszufinden, wie Sousuke zu ihm stand. Dessen Ausführung war heikel und Kisumi war derjenige gewesen, der ihn dazu gedrängt hatte, genauso wie er ihm in diesem Moment immer näher kam.

Sousuke war besonders bei den letzten Worten hellhörig geworden und wollte schon einschreiten, doch als er sein Buch senkte, war es schon zu spät.

Kisumi hatte sich bereits zu Rin gebeugt, der die Augen zusammenkniff, als sich ihre Lippen trafen. Der Größere war eindeutig fordernder, als er erwartet hatte…

Die violetten Augen waren nur halb geschlossen und fixierten nicht sein Gegenüber, sondern den vor Eifersucht brodelnden Sousuke, welcher sich in dem Moment erhob.

Mit schnellen Schritten erreichte er das Bett noch bevor sich Kisumi in Sicherheit bringen konnte, sodass er mit seinem Satz an der nächsten Wand landete.

Rin, welcher von dem plötzlichen Abbruch überrascht die Augen öffnete, hätte sich nie vorstellen können, dass Sousukes Reaktion derartig heftig ausfallen würde. Dieser hatte Kisumi beim Kragen gepackt und pinnte ihn gerade an die Wand, hinter der sich das Bad befand.
 

„Was soll der Scheiß?“, fauchte der Größere den nervös lachenden Kisumi an.
 

„Warum interessiert es dich so, wen Rin küsst?“, bekam es der sonst so unbekümmert scheinende doch ein wenig mit der Angst zu tun, auch wenn er nicht glaubte, dass Sousuke ihm vor Rins Augen etwas antun würde. „Meinst du nicht, er sollte das selber entscheiden?“
 

Dessen starker Griff machte ihn außerdem schon ein wenig an…wenn er doch nur nicht so sauer auf ihn wäre, könnten sie sicher viel Spaß zusammen haben~
 

„Nicht wenn es ein scheiß Vergewaltiger ist!“, biss Sousuke die Zähne zusammen.
 

„Gerade weil du so viel besser bist“, grinste Kisumi nun wissend, mit einem Anflug von Wahnsinn in den Augen. Wie er es liebte, den anderen zu provozieren~
 

Von den ehrlichen Worten überrumpelt, lockerte sich Sousukes Griff. Das hieß noch lange nicht, dass er weniger wütend auf Kisumi war, nur sah er ein, dass dieser leider Recht hatte. Diese Tatsache machte ihn noch rasender, aber nicht auf den anderen, sondern mehr auf sich selbst und die ganze scheiß Lage, in der sie sich befanden.

Rin, der sich die ganze Zeit über nicht getraut hatte, auch nur einen Muskel zu bewegen, musste schwer schlucken, als er die Worte der anderen beiden vernahm. Wäre er nicht so erschrocken gewesen, hätte er sich wohl überlegt, einzuschreiten, bevor Sousuke Kisumi noch etwas tat, doch angesichts der Lage, hielt er sich lieber zurück.

Außerdem sah es nicht so aus, als würde die Situation weiter eskalieren, da der Dunkelhaarige den anderen nun herunterließ.
 

„Verschwinde“, befahl Sousuke dem Störenfried kalt.
 

Kisumi fand noch die Zeit, um sein Oberteil zurechtzurücken und dann mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen aus der Tür in den Flur zu verschwinden: „Man sieht sich, Rin~“
 

Als die Tür ins Schloss fiel, fuhr sich Sousuke durch sein kurzes, braunes Haar und seufzte genervt. Kisumi war ihm eindeutig zu anstrengend…

Des Weiteren hatte er nicht bemerkt, wie eifersüchtig er auf diesen war, selbst nachdem er Rin vor seinen Augen geküsst hatte. Die Wut, die dabei in ihm aufgekommen war, führte er darauf zurück, dass Kisumi ein verdammter Kinderschänder war und er nicht wollte, dass sich dieser Rin aufzwängte. Für ihn hatte der Kuss auch nicht so ganz einvernehmlich ausgesehen.
 

„Sei bitte nicht sauer auf ihn…es war ja nicht schlimm“, nuschelte der Kleinere nun und sah beschämt zu Boden.
 

Das alles war nicht so gelaufen, wie er es sich erhofft hatte. Aber immerhin hatte Sousuke reagiert…hieß das nun, dass er ihn mochte, oder einfach nur – wie er gesagt hatte – dass er Kisumi nicht ausstehen konnte, weil dieser ein Sexualstraftäter war?
 

„Hast du es gewollt?“, kam die grimmige Frage von Sousuke, der sich total angespannt nicht setzen wollte und daher an Ort und Stelle verharrte, Rin beobachtend.
 

„Na ja…ich weiß nicht“, drückte sich der Kleinere um eine konkrete Antwort.
 

Gewollt hatte er es insofern, dass der Kuss zum Plan gehörte, aber nicht, weil er an Kisumi interessiert war. Nein, das ganz bestimmt nicht, sonst hätte er niemals zugestimmt, auf diese Weis eherauszufinden, wie Sousuke zu ihm stand. Dass dieser nun außer sich war, deutete doch sehr daraufhin, dass ihm etwas an Rin lag – was auch immer dieses ‚es‘ bedeutete.
 

„Hm. Ich glaub, ich brauch ‘ne kalte Dusche“, drehte sich der Dunkelhaarige in Richtung Badezimmertür um und verschwand hinter dieser.
 

Na super…das war ja toll gelaufen. Rin atmete erleichtert aus, dass sie da alle heil herausgekommen waren, hatte es für einen Moment doch so gewirkt, als wolle Sousuke Kisumi an den Kragen. Immerhin hatte dieser schon einmal jemanden getötet, würde ein zweites Mal einen so großen Unterschied machen?

Rin wollte es doch hoffen, auch wenn er durch seine Erfahrungen in der Anstalt einiges dazugelernt hatte, das ihm diese Hoffnung nicht gönnen wollte.
 


 

Um sich nach Kisumis Wohlbefunden zu erkundigen, aber auch weil Rin nach diesem Schreck einen Tapetenwechsel vertragen konnte, beschloss er in den Aufenthaltsraum zu gehen, in welchem sich der andere meistens aufhielt.

Dort angekommen fand er allerdings nur Chigusa vor, die wie so oft mit ihrem Notizblock beschäftigt war.
 

„Hey…hast du Kisumi gesehen?“, setzte sich Rin zu ihr.
 

Da es langsam wärmer wurde, gab es auch wieder mehr Platz im 6. Stockwerk, welches zu dieser Zeit nicht mehr überfüllt, sondern nur noch gut besucht war.
 

„Ja, er war kurz hier, meinte aber, dass er sich ausruhen will“, informierte die Brünette ihn. „Ist was passiert?“
 

„Na ja, kann man so sagen“, ließ Rin die Schultern hängen, darüber erstaunt, dass die andere ihn so leicht lesen konnte.
 

„Willst du darüber reden?“, bot Chigusa ihm daraufhin an und ließ von ihrem Block ab.
 

„Also ich glaube, Sousuke hasst Kisumi jetzt wirklich“, seufzte der Rothaarige.
 

Dann erzählte er die Geschichte von Anfang an, wie Kisumi den Plan ausgearbeitet hatte, um Rin weiterzuhelfen und ihn dann vor kurzem vor Sousukes Augen geküsst hatte. Das, was danach geschehen war, bereitete dem Rothaarigen große Sorgen, genau wie dass Sousuke Kisumi kein Stück weit zu vertrauen schien.
 

„Weißt du, ich glaub irgendwie nicht, dass er ein schlechter Mensch ist, auch wenn er Mist gebaut hat…“, beendete Rin seine Erzählung. „Oder findest du, dass Kisumi es verdient hat, immer wegen seiner alten Fehler verurteilt zu werden?“
 

Für einen Moment war Chigusa der Überzeugung gewesen, Rin würde über Sousuke sprechen, doch dass dieser sich um Kisumi Gedanken machte, verwunderte sie auch nicht.
 

„Nein, ich stimme dir vollkommen zu“, lächelte die Brünette und ließ ihre Beine baumeln. „Gut, dass du es ansprichst. Vor ein paar Tagen ist mir da nämlich was passiert…“
 

Nun war es an Chigusa, Rin ihre Geschichte zu erzählen, wie sich ihr ein Pfleger beinahe aufgezwängt hatte. Kisumi war als ihr Held dazwischen geschritten und hatte sich selbst anstatt ihrer geopfert. Zwar hatten sie sich vor Rins Ankunft im Aufenthaltsraum nochmal darüber unterhalten – unter anderem, weil Kisumi die Folgen seiner Rettung noch zu spüren bekam – und dieser hatte vehement behauptet, dass er sowieso schon länger vorgehabt hatte, Ryan zu verführen, doch Chigusa wollte ihm das nicht so ganz glauben.
 

„Er hat zwar gesagt, dass er das nicht für mich getan hat, aber irgendwie hab ich ihm das nicht ganz abgenommen…tu ich noch immer nicht", schüttelte sie den Kopf, wobei die braunen Locken um ihren Kopf tanzten.
 

„Wow…“, war Rin sichtlich überrascht von Kisumis eventueller Aufopferung.
 

„Er ist ja auch kein schlechter Kerl…er hat nur eine ungünstige Vergangenheit“, seufzte Chigusa. „Und ist ein bisschen aufdringlich, aber er tut immerhin nichts, was man nicht will, oder?“
 

„Ja, das stimmt“, nickte der andere, sich daran erinnernd, dass Kisumi zwar oftmals Körperkontakt suchte, es aber auch akzeptierte, wenn man nicht wollte.
 

Zu dem Kuss hatte er ihn ja auch nicht gezwungen, Rin hatte eingewilligt und war daher selber schuld, dass alles so ungünstig verlaufen war. Dabei hatte er selbst auch keinen direkten Schaden davongetragen, nein, Kisumi hatte sich in die gefährliche Lage gebracht, in Sousukes Missgunst zu kommen, welcher ihn ohnehin schon nicht leiden konnte.
 

„Hätte er mir nicht gestanden, was er getan hat, hätte ich es auch nicht für möglich gehalten“, kommentierte die Brünette nun mit einem Anflug von Trauer in den Augen den Grund für Kisumis Aufenthalt.
 

„Ging mir bei Sousuke genauso…“, verstand Rin seine Gesprächspartnerin nur zu gut.
 

„Sie mögen ihre Gründe für ihre Taten haben, aber beschönigen oder rechtfertigen können sie diese dadurch auch nicht“, sprach Chigusa die traurige Wahrheit aus.

Aus der Not geboren

Später am Abend gesellte sich Kisumi noch ein Weilchen zu ihnen, von Sousuke bekam man allerdings nichts mit, welcher sich wohl noch immer in der 3. Etage im Zimmer aufhalten musste. So aufgebracht wie er nach dem Kuss und vor allem nach Kisumis Worten war, benötigte er seine Zeit, um sich zu beruhigen, weswegen Rin auch ganz froh war, dass er die anderen beiden um sich hatte, um diese Zeit überbrücken zu können.
 

„Ist alles okay bei dir? Sousuke hat doch ganz schön heftig gegen die Wand geschmissen“, erkundigte sich Rin bei Kisumi, welcher sich neben ihn gesetzt hatte und eine Limo aus der Dose trank.
 

„Oh, ich hab schon Schlimmeres durchgemacht“, lachte der andere daraufhin nur. „Immerhin weißt du jetzt, dass er dich auch mag~“
 

„Bist du dir da sicher?“, war Rin noch nicht ganz überzeugt.
 

„Aber klar doch! Keiner flippt so aus, wenn er nicht total eifersüchtig ist!“, bekräftigte Kisumi seine vorherige Aussage und grinste dabei breit.
 

„Na schön…und selbst wenn? Nach der Aktion mag er mich bestimmt nicht mehr“, nuschelte Rin vor sich hin, der den Plan nicht zu Ende durchgedacht und die Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, dass Sousuke den Kuss in den falschen Hals bekommen könnte.
 

Was, wenn dieser nun dachte, er wollte was von Kisumi?

Obwohl, das hatte er indirekt verneint, als sie sich direkt danach unterhalten hatten…vielleicht war doch noch nichts zu spät?
 

„Das denk ich nicht“, schüttelte der Rosahaarige den Kopf. „So wie ich ihn kenne, wird er mir die ganze Schuld geben. Du brauchst also nichts zu befürchten.“
 

„Oh man…danke, dass du das Risiko auf dich genommen hast“, seufzte Rin, der den Einsatz des anderen zu schätzen wusste.
 

Dabei bedachte er nicht, dass Kisumi die ganze Aktion total Spaß gemacht hatte und er seine leichten Rückenschmerzen, verursacht durch Sousukes temperamentvollen Ausbruch, gerne hinnahm. Immerhin hatte er Rin küssen und Sousuke ärgern dürfen. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen!

Wenn man den Punkt dazu nahm, dass er dem Rothaarigen geholfen hatte, waren es sogar drei, doch daraus zog Kisumi keinen direkten Nutzen.
 

„Kein Ding, ich würd’s jederzeit wieder machen“, zwinkerte Kisumi dem Kleineren nun zu, wobei ein anzüglicher Blick nicht fehlen durfte.
 

„…manchmal bin ich mir nicht sicher, ob du das ernst meinst“, erwiderte Rin auf diese Geste.
 

„Das ich was ernst meine?“, wusste Kisumi ganz genau, worum es sich drehte.
 

„Na die Flirterei“, rollte der Rothaarige mit den ebenso roten Augen.
 

„Ach so~ Na ja, das hängt immer ganz von meiner Laune ab und-“
 

„Tut er nicht“, schaltete sich Chigusa dazwischen, die diesem Trauerspiel nicht weiter zuhören konnte. „Er liebt das Abenteuer oder so. Nimm nicht alles so ernst, was er sagt.“
 

„Du bist so gemein, Chi-chan!“, schmollte Kisumi nun und Rin kam sich etwas fehl am Platz vor, nun jedoch besser informiert.
 


 

Als es Zeit wurde, sich auf ihre Zimmer zu begeben, schritt Rin mit einem flauen Gefühl in der Magengegend den restlichen Weg alleine entlang, da Kisumi und Chigusa bereits in ihren Zimmer waren, welche sich in der Nähe der Aufzüge befanden. Davor, dass Sousuke ihm etwas antun würde, hatte er keine Angst, weil er das für unmöglich hielt. Eher begründete sich sein Unwohlsein damit, dass der andere ihn garantiert erneut mit dem Kuss konfrontieren würde.

Rin hasste es, über solche Dinge sprechen zu müssen und zog kurz die Option in Betracht, einfach nicht ins Zimmer zurück zu kehren. Diesen Gedanken ließ er aber genauso schnell wieder fallen, wie er gekommen war, da ihm in dem Moment der beleibte Pfleger entgegenkam und ihm in gebrochenem Englisch mit russischem Akzent mitteilte, dass er sich gefälligst auf sein Zimmer begeben sollte, da sie es kurz vor 22 Uhr hatten.

Wenn er die Wahl, sich entweder mit einem angepissten Sousuke, oder einem groben Pfleger anzulegen, würde er sich eindeutig für Ersteren entscheiden. Mit diesem musste er immerhin nur reden…

Das hörte sich leichter an, als es sich in die Tat umsetzen ließ, denn Rins Finger zitterten vor Aufregung, als er die Türklinge herunterdrückte und ins Zimmer trat.

Das Licht war bereits gelöscht, doch Sousukes Nachttischlampe brannte noch.

Es schien alles normal zu sein, denn der Größere lag auf seinem Bett und las, blickte aber beim Geräusch der sich öffnenden Tür auf und legte das Buch sofort beiseite.
 

„Hey…“, murmelte Rin leise, als er den Blick auf sich spürte und schloss die Tür hinter sich.
 

Er fühlte sich schuldig, weil er nicht nur Kisumi in Schwierigkeiten gebracht, sondern auch Sousuke zur Weißglut getrieben und ihm schlechte Laune gemacht hatte.

Des Weiteren fand Rin sich selbst in der unangenehmen Situation wieder, dich erklären zu müssen, oder wenigstens eine Ausrede für die Aktion zu finden. Vielleicht hatte er aber auch tatsächlich Glück und der andere würde alles auf Kisumi schieben, so wie dieser schon angedeutet hatte.
 

„Hat es weh getan?“, kam die völlig aus dem Zusammenhang gerissene Frage seitens Sousuke, welcher sich aufgerichtet und an den Bettrand gesetzt hatte.
 

„Was…?“, hatte Rin nicht den blassesten Schimmer, wovon der andere sprach.
 

„Na der Kuss“, erklärte der andere nun. „Also wegen der Therapie…“
 

„Ach so…nein, hat er nicht“, schüttelte Rin den Kopf, der sich nach der Erklärung wunderte, über was sich Sousuke in den letzten Stunden wohl den Kopf zerbrochen haben musste.
 

„Das ist gut“, legte der Größere seine Finger ans Kinn und sah sehr nachdenklich aus. „Wenigstens das…“
 

Ziemlich verwirrt, blieb Rin mitten im Raum stehen, den anderen musternd. Er hatte erwartet, dass dieser total sauer sein, oder ihn zur Rede stellen würde, doch nichts dergleichen war der Fall. Stattdessen machte sich Sousuke Sorgen um ihn und ob er wegen Dr. Masefields Einfluss Schmerzen hatte…
 

„Falls du dich fragst, ob ich das wollte…also es ging alles so schnell, dass ich mich nicht wehren konnte“, versuchte der Rothaarige nun auf seine Art klarzustellen, dass er der Kuss nicht auf Gegenseitigkeit beruhte, auch wenn er geplant gewesen war. „Kisumi hat mich ziemlich überrascht.“
 

„Das hab ich mir schon gedacht“, ließ Sousuke seine Hand sinken. „Tut mir leid, dass du das mit ansehen hast müssen.“
 

Anscheinend war es dem Dunkelhaarigen unangenehm, vor Rin so ausgerastet zu sein. Noch etwas, womit dieser nicht gerechnet hatte. Wenigstens wusste er jetzt, dass Sousuke keineswegs der aggressive Killer war, als den man ihn hinstellte, auch wenn Kisumi mit seinen Worten Recht behielt, dass keiner der beiden in irgendeiner Form besser war. Sie hatten gegen das Gesetz verstoßen und anderen Leid zugefügt, auch wenn die Motivation und die Auswirkungen sich unterschieden.
 

„Schon in Ordnung“, wurde Rin leicht rot, da der Größere ihn nun musterte.
 

Um einer unangenehmen Stille zu entfliehen, verschwand der Rothaarige im Bad, da er sich ohnehin noch die Zähne putzen musste.

Was war diese seltsame Stimmung, die zwischen ihnen herrschte?

Konnten Kisumi und Chigusa doch Recht behalten und Sousuke war wirklich an ihm interessiert?

So schön das auch wäre, Rin konnte das nicht glauben. Dass er mal bei einem Typen landen würde, den er total attraktiv fand und der ihn mit einem bloßen Blick nervös werden ließ, kam ihm doch zu utopisch vor.

Vielleicht wollte Sousuke ihn nur vor Kisumi beschützen, da er diesen nicht ausstehen konnte und der festen Überzeugung war, dass dieser einer der schlimmsten Menschen der Welt war. Doch falls dem so wäre, dachte Sousuke dann dasselbe auch von sich?

Rin hielt in seiner Bewegung inne, als er seinen Mund ausspülen wollte.

Falls Sousuke sich selbst auch als Monster sah, hielt ihn vielleicht dann diese Annahme davon ab, sich ihm zu nähern?

Nein…das konnte es nicht sein. Rin musste aufhören, sich falsche Hoffnungen zu machen. Sousuke stand ganz einfach nicht auf Männer und hatte den Kuss vielleicht auch eklig gefunden. Das war doch ein viel logischerer Grund, weswegen er so reagiert hatte.
 

Nachdem Rin ins Zimmer zurückgekehrt war, legte er sich sofort ins Bett und versuchte zur Ruhe zu kommen. Sousuke las auch nicht mehr und gab kein Geräusch von sich. Vielleicht schlief er schon…

Genau das wollte der Rothaarige auch versuchen, scheiterte aber, da ihn noch vieles beschäftigte, wie der Kuss und Sousukes Reaktion darauf, oder Chigusas Erzählungen von ihrem Held Kisumi.

Irgendwann übermannte ihn dann doch der Schlaf, weil der Tag sehr an seinen Nerven gezehrt hatte und unglaublich anstrengend gewesen war. Keineswegs körperlich, dafür umso mehr auf der emotionalen Ebene.
 


 

Beflügelt von den drei Tagen der schmerzfreien Therapie, stolzierte Rin am Donnerstagnachmittag in Dr. Masefields Behandlungszimmer. Die wenigen Tage hatten ausgereicht, um ihn leichtsinnig zu machen und sich in seinem doch recht angenehmen Umfeld wohl zu fühlen. Die falsche Sicherheit umgab ihn wie eine Augenbinde, die Sicht auf die grausame Realität verschleiernd.
 

„Good day, Rin. Are you all excited for our session today?“, begrüßte ihn der blonde Mann verdächtig gut gelaunt.
 

Doch das ließ Rins Sicherheit noch nicht gänzlich schwinden, dass es erstmal weiter mit dieser angenehmen Phase gehen würde. Hätte er gewusst, dass diese nur die Einleitung einer wesentlich schlimmeren Behandlung war, hätte er es sich zweimal überlegt, ob er überhaupt zu dieser Sitzung erscheinen sollte.
 

„Just get it over with“, rollte der Rothaarige mit den Augen und setzte sich auf den allseits bekannten Stuhl.
 

Seine Hände wurden festgeschnallt, ein beinahe alltägliches Ritual, an das man sich auch gewöhnen konnte, wenn man langsam resignierte. Ob Rin schon an diesem Punkt angelangt war, ließ sich anzweifeln, da er immer noch den Willen besaß, nicht alles über sich ergehen zu lassen.
 

Den Anfang machten tatsächlich heterosexuelle Paare, auf die keine Bestrafung folgte.

Der Doktor hatte den Lügendetektor auch schon länger nicht mehr benutzt, sondern war dazu übergegangen, Rin keine Schmerzen zuzufügen, solange er ‚normale‘ Bilder zeigte, ihm dafür umso mehr zu bereiten, sobald zwei Männer zu sehen waren. Dadurch sollte der Heranwachsende positiv auf Frauen reagieren lernen und Angst vor Berührung von Männern bekommen, diese mit dem Schmerz assoziieren, den er beim Betrachten der Szenen spürte.

Im Verlauf der Diashow wurden jedoch hier und da ein paar fragwürdige Bilder gezeigt, auf die die logische Schlussfolgerung für sowohl Patient, als auch Arzt war, dass Schläge folgen mussten.

Doch auch diese steckte Rin weg, denn solange der Psycho(loge) mit dem Trockeneis weg blieb, war ihm alles recht. Die Erinnerung an den physischen Schmerz hatte sich in seine Haut eingebrannt und dieser war eindeutig keiner, den er noch einmal empfinden wollte.
 

„So well now, you’re doing pretty good lately“, säuselte Dr. Masefield vor sich hin.
 

„Then how about you let me go?”, schlug Rin vor, wenig von seinen eigenen Worten überzeugt.
 

„Now now, don’t get cocky”, tadelte der Arzt seinen Patienten, für den er eine ganz besondere Überraschung bereit hielt.
 

Bei dem Wort ‚cock‘ musste Rin nur leider an etwas völlig anderes denken, als dass der Arzt ihn ‚übermütig‘ benannt hatte.

Verdammt aber auch, dass man in der Anstalt so wenig Privatsphäre hatte und er ein pubertierender Junge war!

Ein total Unter- sowie Ungevögelter noch dazu…

Rins Gedanken, die total abgedriftet, wenn sie auch noch nicht bei Sexfantasien angelangt waren, wurden je auf etwas vollkommen anderes gelenkt, als der Doktor plötzlich mit ein paar Gegenständen in der Hand neben ihm stand, die wie Nadeln aussahen.

Oh scheiße, was wurde das jetzt?

Rin schluckte schwer, als sich der andere zu ihm beugte.
 

„I recommend you not to move…or else you’ll get hurt“, lächelte Dr. Masefield seinen nun eingeschüchterten Patienten an, der sich verkrampfte und die Zähen zusammenbiss, als die erste Nadelspitze seine Haut durchbohrte. Ob er sich bewegte oder nicht, es war glasklar, dass diese Behandlung ganz und gar nicht angenehme und wehtun würde.
 


 

Nach dieser Sitzung eilte Rin vollkommen aufgelöst zu seinem Zimmer zurück und warf sich auf sein Bett. Die vor Schmerz pochenden Hände unter sein Kissen drückend, presste er sein Gesicht von der anderen Seite dagegen. Die Tränen liefen ihm schon seitdem er den Gang entlanggerannt war über die Wangen, wurden nun jedoch vom Stoff aufgefangen und färbten diesen an zwei Stellen eine Nuance dunkler.
 

Als Sousuke einige Minuten später ebenfalls ins Zimmer zurückkehrte, brachte er keine zwei Sekunden, um zu realisieren, dass etwas nicht in Ordnung war. Rins bebender Körper, der von den Heulkrämpfen völlig entkräftet war, lag zusammengekauert und mit dem Kissen vorm Gesicht ganz an der Wand, die Decke wie eine Schutzwand um sich gelegt, sodass es aussah, als würde er sich zu verstecken versuchen.
 

„Rin…“, entwich es Sousuke leise, sodass die mitfühlende Stimme wohl nicht einmal zu diesem durchdrang.
 

Der Dunkelhaarige ließ die Tür hinter sich zufallen, zog die Schuhe von den Füßen und kniete sich dann auf die Matratze. Zögerlich streckte er seine Hand nach dem Kleineren aus, zuckte jedoch kurz zurück, als sich dieser ruckartig bewegte, bevor er zum Stillstand kam und er ihn berühren konnte.

Als sich die warme Hand auf den zitternden Rücken legte, durchfuhr Rin ein nicht gekannter Schmerz, der daher rührte, dass sich sein Körper inzwischen so sehr an Bestrafung erinnerte, wenn ihm ein Mann zu nahe kam, dass er nichts dagegen unternehmen konnte. Erst recht nicht in seinem derzeitigen Zustand.

Trotz der anfänglichen Qual, ließ Rin die Berührung zu und beruhige sich tatsächlich ein wenig.
 

„Sousuke…es hat so weh getan…“, kam es kurz darauf mit kratziger Stimme vom Kleineren, der sein Gesicht nicht mehr ins Kissen drückte, sondern den leicht anhob, um den anderen ansehen zu können.
 

„Ich weiß…aber es ist vorbei“, redete dieser ihm gut zu, mit einer so sanften Stimme, dass die Welle an Emotionen und aufgestauten Gefühlen Rin erneut erwischte.
 

Er dachte nicht mehr nach, sondern warf sich wortwörtlich in die Arme des Größeren, klammerte sich an dessen Shirt fest und beachtete den Schmerz nicht, den jeder kleinste Körperkontakt bei ihm auslöste.

Sousuke war in dem Moment auch egal, wie sehr er sich vor der Nähe anderer Menschen ängstigte. Er zuckte nicht zurück und geriet auch nicht in Panik, weil es Rin war, der sich nach seiner Nähe sehnte.

Nicht nur, dass er diese zuließ, nein, sie fühlte sich gut an, vertraut…
 

Die starken Arme umschlossen den zitternden Körper und drückten ihn behutsam an sich. Rin spürte bald wie er von einer unbekannten Wärme umschlossen wurde, als Sousuke seinen Kopf auf seine Schulter bettete. Vollkommen von diesem umschlossen, vor der bösen Welt geschützt, versiegten seine Tränen kurz darauf.

Sein Körper hatte ohnehin kaum mehr Flüssigkeit übrig, um diese weiter fließen zu lassen. Sein Hals fühlte sich trocken und kratzig an, seine Hände brannten von den Schmerzen. Diesmal allerdings von den realen, nicht den eingebildeten.
 

„Tu ich dir weh?“, raunte Sousuke ihm ins Ohr, der so nah war, dass er dessen Atem auf seiner Haut spüren konnte und eine Gänsehaut bekam.
 

Seine Augen hatten sich überrascht geöffnet, schlossen sich im nächsten Moment aber schon wieder, da er sich sagte, dass für diesen Augenblick alles perfekt war und er sich keine Sorgen um seine oder die Aktionen des anderen machen musste. Den Moment genießen…
 

„Nein…“, erwiderte Rin und kuschelte sich an den Größeren.
 

Die anfänglichen Qualen bei dessen Berührungen, waren vollkommen verflogen und machten nun dem schmetterlingsartigen Gefühl Raum, das sich von seinem Nacken – von der Stelle, an der er dem Atem des anderen gespürt hatte – beginnend weiter ausbreitete.

Sousuke ging es nicht viel anders, auch wenn ihn die Wärme, die sich aufgrund von Rins Umklammerung in ihm ausbreitete, erschreckte. Jedoch wollte er sich nicht von seinen vergangenen schlechten Erfahrungen bestimmen und den Moment ruinieren lassen, sodass er gegen die Panik ankämpfte, die gegen das schöne Gefühl arbeiten wollte.

Als Sousuke seine Augen schloss und sich alleine auf Rin konzentrierte, gewann er den Kampf gegen sein Trauma für diese Runde, sodass er den betörenden Duft des Kleineren einatmen und sich von diesem berauschen lassen konnte.

Dass er sich je verlieben würde oder könnte, hatte Sousuke bis zu diesem Augenblick für unmöglich gehalten, doch konnte er sich nicht ewig vormachen, Rin wäre nur ein normaler Freund für ihn. Die Gefühle, die er diesem entgegenbrachte, hatten rein gar nichts mit Freundschaft zu tun.

Wenn man es genau nahm, hatte Sousuke von ihrem ersten Kontakt an gewusst, dass ihre Beziehung in eine vollkommen andere Richtung steuern würde, als man es von zwei jungen Männern in einer Irrenanstalt erwarten würde.

Das lag schon alleine daran, dass er nicht gezögert hatte, Rin seine Hand anzubieten und ihm hoch zu helfen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war er sonst jedem Körperkontakt ausgewichen, oder hatte abwehrend darauf reagiert, diesen anzubieten war also das erste Zeichen dafür gewesen, dass er dem anderen vertraute. Manchmal kam es nicht darauf an, wie lange man sich kannte, sondern unter welchen Bedienungen das Schicksal zusammenführte.

An einem trostlosen Ort die Liebe zu entdecken, hätte sich weder Sousuke, noch Rin vorstellen können. Doch nun waren sie hier, lagen einander in den Armen und nahmen die Welt um sich kein Stück mehr wahr. Alleine zählte die Anwesenheit des anderen, die so undenkbar gut tat.

Wie schwer es Sousuke gefallen war, die Wärme zu seinem Herzen vordringen zu lassen, konnte man nicht in Worte fassen, doch wie glücklich und erfüllt er sich fühlte, als er es zuließ, konnte man sich vorstellen.

Es war eine herzliche Umarmung, die für Angst und Zweifel keinen Raum ließ und die Dunkelheit mit einem milden Scheinen vertrieb.
 

Selbst nachdem Rin sich vollkommen beruhigt hatte und die Schmerzen der Elektroschocktherapie kaum mehr wahrnahm, ließ Sousuke ihn nicht los. Wie dumm und gleichermaßen glücklich er sich in diesem Moment vorkam, dass er je daran gezweifelt hatte, dass der Größere an ihm interessiert war.

Viel mehr als das sogar, denn dieser würde sich niemals jemandem nähern, wenn er nur neugierig auf diesen war. Nein, tiefer Gefühle mussten ihn dazu motivieren, ihn überreden sich dazu durchzuringen, einem anderen Menschen nahe zu kommen.

Noch unausgesprochen war die Liebe, welche die beiden erfüllte, doch nichts könnte unangebrachter sein als Worte, die versuchten dieser Ausdruck zu verleihen.
 

Als Rin sich langsam bewusst wurde, in welcher Position sie sich seit unzähligen Minuten befanden, errötete er, sodass seine Wangen nun farblich zu seinen verheulten, geröteten Augen passten. Für einen Moment überlegte er, ob er seine Umarmung lösen sollte, doch dann bemerkte er wieder, wie gut ihm der starke Rücken gefiel, an dem seine Hände lagen.

Sousukes verführerischen Geruch einatmend, vergaß Rin die schrecklichen Dinge, die man ihm angetan hatte, für einen Moment. Am liebsten würde er sich diesem vollkommen hingeben…

Das einzige, das ihn davon abhielt, war die Ungewissheit, wie der Größere ihm gegenüber empfand. Am Ende tröstete dieser ihn nur, weil er so erbärmlich ausgesehen hatte und Rin interpretierte das vollkommen falsch.

Sein Herz wusste allerdings, dass dem nicht so war und dass Sousuke ihn aus dem gleichen Grund in seinen Armen hielt, aus dem Rin sich an ihn klammerte.

Die Erkenntnis, die Akzeptanz und das Geständnis waren drei Schritt, von denen einer bzw. zwei getan waren.

Rin war sich schon lange bewusst, dass er in Sousuke verliebt war, doch diese Gefühle zuzulassen, traute er sich erst seit wenigen Wochen. Kisumi und Chigusa hatten ihm mit ihrem guten Zuspruch und ihrer Unterstützung dabei geholfen.

Sousuke hingegen befand sich noch am Anfang seiner Erkenntnis, auch wenn er seine Gefühle schon lange angenommen hatte. Das Problem dabei war nur, dass er diese nicht zuordnen und daher auch nicht ganz erkennen konnte, dass er Rin liebte.

Der letzte Schritt würde endgültige Klarheit verschaffen, konnte aber noch auf sich warten lassen. Im Prinzip konnten sie sich alle Zeit der Welt lassen, denn so wie es aussah, würden sie noch eine Weile zusammen in diesem Höllenloch eingesperrt bleiben, wenn nicht für den Rest ihres Lebens.

Doch diese dunklen Gedanken hatten weder in Sousukes, noch in Rins Verstand Platz; zumindest für den Augenblick.
 

„Kannst du heute Nacht hier schlafen?“, nuschelte der Kleinere mit relativ gefasster Stimme, auch wenn sich seine Kehle trocken und rau anfühlte.
 

Seine Wasserflasche stand nur zwei Meter entfernt auf dem Nachttisch, doch um diese zu erreichen, hätte er Sousuke loslassen müssen. So durstig war er dann auch wieder nicht…
 

„…ich kann’s versuchen“, erwiderte der Größere nach kurzem Schweigen.
 

Wie gerne hätte er enthusiastischer zugestimmt, doch in einem Bett mit jemandem zu schlafen, verlangte ihm wesentlich mehr als eine Berührung, oder eine Umarmung ab. Zumal er sich nicht sicher war, ob er überhaupt in der Lage war, sich neben einem anderen Menschen hinzulegen und dann auch noch schlafen zu können. Schuld daran war seine traumatische Vergangenheit, die alleine seine Mutter zu verantworten hatte.

Doch darüber hatte Sousuke noch nicht mit Rin gesprochen. Genaugenommen hatte er das freiwillig noch mit niemandem. Denn selbst als man ihn vernommen hatte, verweigerte er die Aussage. Die Methoden der Ärzte in der Anstalt hatten ihm mehr entlockt, doch gerne gab er diese Details nicht preis.

Rin wollte er damit auch nicht belasten und fühlte sich auch noch nicht bereit dazu, weswegen er einem Gespräch aus dem Weg gegangen war.

In der Zukunft könnte Sousuke sich dem anderen eventuell öffnen, doch momentan sah es eher schlecht aus.
 

„Danke“, hielt Rin seinen Durst nun doch nicht mehr aus.
 

Widerstrebend löste er seinen Klammergriff, wodurch er Sousuke signalisierte, dass er ein wenig Freiraum brauchte, den dieser ihm gewährte. Als sich die Arme entfernten, bemerkte Rin wie kalt es im Zimmer war und sehnte sich nicht nur wegen der Wärme wieder in die innige Umarmung zurück.

Als er nach seiner Wasserflasche griff, wozu er ein bisschen zum Rand der Matratze krabbeln musste, wich er Sousukes Blick aus. Zu peinlich war es ihm, was in den letzten Minuten zwischen ihnen gewesen war. Wie er sich dem anderen gegenüber ab sofort verhalten sollte, bildete ein neues Rätsel, dem Rin sich sehr bald stellen musste.

Spätestens wenn er die Flasche wieder absetzte, musste er sich eine Lösung gefunden haben.

Am besten war es, wenn sie taten, als wäre nichts geschehen, oder?

Einerseits wollte er genau das nicht, andererseits war er sich auch nicht sicher, in welcher Beziehung sie überhaupt zueinander standen.

Vor dem Kuss mit Kisumi stand fest, dass sie sich definitiv auf freundschaftlicher Eben verbunden fühlten, doch seit der eindeutigen Eifersucht und seit dieser Stunde, war nichts mehr sicher. Die Grenzen zwischen Zuneigung und Liebe begannen zu verschwimmen, sofern sie je existiert hatten. Falls es sie gab, hatten sie diese überschritten und es gab kein Zurück mehr.
 

„Fühlst du dich besser?“, erkundigte sich Sousuke, als Rin die Hälfte seiner Wasserflasche hinuntergekippt hatte.
 

„Ja…“, nickte dieser leicht.
 

Dabei machte den Fehler, seinen Blick zu heben und somit direkt in die besorgten, liebevollen Augen des Größeren zu sehen. Dieser trug einen solch verzweifelnden, vielleicht auch hoffnungsvollen Ausdruck, dass Rins Herz einen Sprung machte.

Als wäre dieses in der letzten Zeit nicht schon genug gefordert gewesen…
 

Wenig später, als sich die Sonne schon längst verabschiedet hatte, lag Rin mit dem Gesicht zur Wand in seinem Bett, Sousuke mit etwas Abstand neben ihm so weit am Rand, dass er jeden Moment herauszufallen drohte. Sein Kissen und seine Decke hatte er mitgenommen, denn unter einer zu liegen ging dann doch etwas zu weit.

So hatte sich der Kleinere das eindeutig nicht vorgestellt, als er den anderen darum gebeten hatte, bei ihm zu schlafen. Andererseits war er in diesem Moment auch noch von allen möglichen Umständen benebelt gewesen und hatte nicht gewusst, was er sagte. Doch Sousuke hätte auch nicht zustimmen müssen, wenn ihm die Bitte zuwider war.

Wie man es auch drehte und wendete, sie würden auf diese Weise nicht schlafen können. Also musste eine Lösung her…
 

„Du kannst näher kommen, wenn du willst“, murmelte Rin mit knallrotem Kopf in die Dunkelheit.
 

Kurz darauf bewegte sich der Größere neben ihm, sodass er dessen vermutlich Ellenbogen an seinem Rücken spüren konnte, sowie sich ihre Beine berührten. Das löste eine derartig große Nervosität im Kleineren aus, dass er vor Peinlichkeit zu sterben glaubte.

Sousuke hingegen musste mich sich kämpfen und sich langsam vortasten, sodass er sich nicht eingeengt fühlte und in Panik geriet. Überraschenderweise machte ihm der leichte Kontakt nicht im Geringsten etwas aus, bequem war es allerdings noch immer nicht.
 

„Du sagst, wenn ich zu nah bin, okay?“, kam es Sousuke nun leise über die Lippen, der von seinen eigenen Worten überrascht war.
 

„Okay…“, schluckte Rin nervös, fühlte sich aber nicht bedrängt, als der andere näher rückte und sich zu ihm drehte.
 

Sonderlich viel Körperkontakt hatten sie nicht, doch die Anwesenheit Sousukes beruhigte Rin gleichermaßen, wie dieser sein Herz zum Rasen brachte. Am liebsten hätte er sich zu diesem gedreht und sich an ihn gekuschelt, doch das traute er sich nicht. Dazu war sein Verstand viel zu klar.

Dass er nichts unternahm, war das Beste für sie beide, denn Sousuke war sich sicher, dass er nicht bereit dazu war, wenn Rin sich ihm nun nähern würde. Ihre Lage war für ihn schon intim genug, auch ohne dass sie sich umarmten.
 

„Gute Nacht“, wisperte Sousuke nun, sichtlich erschöpft.
 

„Schlaf gut“, murmelte Rin vor sich hin, der wenig später auch schon einschlief.
 

Dieser Tag hatte eindeutig zu viele Überraschungen für ihn bereitgehalten, als dass er sich vor dem Einschlafen noch groß den Kopf über irgendetwas zerbrechen hätte können.

Sousuke hingegen lag noch eine Weile wach, wobei sich seine Gedanken hauptsächlich darum drehten, dass er unendlich erleichtert gewesen war, als Rin ihm gesagt hatte, dass der Kuss ihm keine Schmerzen bereitet hatte und sie sich auch Umarmen konnten, ohne dass dieser schreiend von ihm wich.

Die Erleichterung war tatsächlich größer als die Eifersucht gewesen, welche er gegenüber Kisumi empfand. Dass dieses unbekannte Gefühle diesen Namen trug, war Sousuke nicht bewusst; genauso wenig wie er ahnte, dass die Wärme, die ihn erfüllte, wenn Rin bei ihm war, ‚Liebe‘ hieß.

Zu der Erkenntnis, dass seine Erleichterung über die nicht vorhanden Schmerzen daher rührte, dass das bedeutete, dass er Rin ohne Sorgen küssen konnte – geschweige denn, dass das wiederum bedeutete, dass er ihn liebte – kam er nicht mehr, da er vorher ins Land der Träume abdriftete.

Vergiss den Schmerz

Am Morgen darauf erwachte Sousuke wie immer als erster und blinzelte zunächst verwundert über die ungewohnt blendende Sonne. Sonst tat diese ihm morgens nie in den Augen weh…doch dann fiel ihm wieder ein, dass er die Nacht nicht in seinem Bett verbracht hatte.

Ein Blick zu seiner rechten Seite bestätigte, dass es kein Traum gewesen war, dass Rin ihn darum gebeten hatte, bei sich zu schlafen. Unerwartet ruhig war die Nacht für den Dunkelhaarigen verlaufen, der schon vermutet hatte, er würde entweder kein Auge zu bekommen, oder in sein Bett flüchten müssen, weil er die Nähe nicht aushielt.

Zugegebenermaßen war es kein Leichtes für Sousuke, so dicht bei einem anderen Menschen zu liegen, doch bei Rin funktionierte so Einiges, das sonst unmöglich erschien. Immerhin konnte er diesen berühren, ohne sich an unschöne Szenen zu erinnern, die ihn seit Jahren plagten. Ganz richtig war es auch nicht, diese als ‚unschön‘ zu bezeichnen…meist waren die Momente, an die er sich durch einen unbedachten Körperkontakt erinnerte, viel zu schön gewesen. Nur das, das daraus resultierte, verfolgte ihn in seinen Alpträumen.

Rin lag noch immer auf der Seite, das friedlich schlafende Gesicht Sousuke zugewandt auf der Matratze liegend. Sein Kissen hatte der Kleinere an seinen Körper gepresst und sah mit seinem leicht geöffneten Mund seltsam ansprechend für den Größeren aus, welcher einen Moment innehielt, um diese Szene aufnehmen und für sich bewahren konnte.

Fasziniert von Rin, konnte Sousuke nicht anders, als seine Hand nach diesem auszustrecken und federleicht über dessen Kopf zu streichen bis er eine der roten Haarsträhnen zwischen seinen Fingern hatte und diese langsam aus seiner Hand glitt. Dabei wirkte er wie ein kleines Kind, das sich an einer neu entdeckten Sache erfreute und gar nicht genug davon bekommen konnte.

Jedoch besann sich Sousuke im nächsten Moment wieder und zog seine Hand zurück, da Rin sich zu bewegen begann.
 

„Ist schon Morgen?“, murmelte der Rothaarige und gähnte ohne die Augen zu öffnen.
 

Am liebsten hätte Sousuke ‚leider ja‘ geantwortet, wollte den Tag aber nicht mit negativer Energie beginnen und nickte somit einfach nur. Danach fiel ihm ein, dass der Kleinere das unmöglich hatte registrieren können, so verschlafen wie dieser noch war.
 

„Ja…wir haben es kurz nach sieben“, antwortete der Dunkelhaarige dann nach einem Blick auf die Uhr.
 

„Och nö…“, ließ Rin wenig lustvoll verlauten und drehte sich samt seinem Kissen in den Armen um.
 

Dabei bedachte er nicht, wie nah er an der Wand lag und stieß sich den Kopf leicht an dieser an.
 

„Ah, fuck“, schimpfte er daraufhin leise, öffnete die Augen und setzte sich auf.
 

Erst in diesem Moment, nachdem der Schmerz ihn aufgeweckt hatte, wurde sich Rin bewusst, dass er nicht alleine im Bett war. Nein, genaugenommen befand sich sein Gesicht nur wenige Zentimeter von dem des Größeren entfernt, welcher schon seit einiger Zeit aufrecht im Bett saß.

Rin, der sich die Stirn hielt, lief knallrot an und wich ein Stück zurück, sodass er nun auch mit dem Hinterkopf an der Wand landete.

Als ob dieser Morgen nicht noch peinlicher hätte werden können…

Rin verfluchte seine eigene Nervosität und die Tollpatschigkeit, welche daraus resultierte. Da saß er schon mal mit seinem Schwarm im Bett und dann stellte er sich wie der letzte Vollidiot an.
 

„Omg, Rin! Hast du dir weh getan?“, starrte Sousuke den Kleineren gleichermaßen überrascht wie besorgt an.
 

„Geht schon“, nuschelte Rin daraufhin und wollte am liebsten im Boden versinken.
 


 

Nach diesen Peinlichkeiten, verschwand der Rothaarige erst einmal im Bad, um kalt zu Duschen. Irgendwie musste er seinen Kopf frei bekommen. Sousuke verwirrte ihn einfach so sehr, machte ihn aber auch so glücklich…

Weswegen dieser zugestimmt hatte, bei ihm zu schlafen, war Rin nach wie vor ein Rätsel und er fragte sich, womit er das verdient hatte. Die Hoffnung, dass etwas zwischen ihnen zu wachsen begann, wollte seine Gedanken einfach nicht verlassen, so unwirklich diese auch schien.

Sousuke war bestimmt nicht schwul, oder stand auf Männer…

Nein, ganz sicher nicht, denn Rin kannte sich inzwischen ein wenig aus. Selbstverständlich gab es immer Ausnahmen, doch auf eine solche zu treffen, war beinahe unmöglich. Nicht, dass große, starke Typen nicht schwul oder bi sein konnten, es war etwas anderes, dass ihn davon überzeugte, das Sousuke das nicht war. Er hatte einfach das Gefühl, dass – wenn dieser ihn mochte – dessen Zuneigung einen anderen, ganz bestimmten Ursprung hatte.

Vielleicht war dessen Affektion nicht einmal romantischer, oder sexueller Natur, sondern rein platonisch?

Selbst wenn dem so wäre, würde sich Rin freuen und glücklich schätzen, seine Zeit mit dem Größeren verbringen zu können. Das änderte nichts daran, dass seine eigenen Gefühle in eine vollkommen andere, ganz und gar nicht freundschaftliche Richtung gingen, und auch nichts an dem Wunsch, in Sousukes Armen gehalten zu werden. Wie sich dessen Lippen wohl auf seinen anfühlen würden? Auf seinem ganzen Körper…?

Von dieser Fantasie beflügelt, gleichermaßen aber auch beschämt, putze Rin sich seine spitzen Zähne. Die Ursache für diese Deformation war ihm nicht bekannt, auch wenn seine Mutter erwähnt hatte, dass sein Vater ebenfalls ein paar ungewöhnliche Zähne besessen hatte. Leider konnte er sich kaum mehr an diesen erinnern, da er gestorben war, als Rin noch sehr jung gewesen war. Seit dem gab es nur noch sie drei: Minami, Gou und ihn.

Auch ohne Mann kam Rins Mutter gut zurecht, sowie ihre kleine Familie immer zusammenhielt. Wie er die beiden Frauen doch vermisste…

Die Vorstellung, dass seine Schwester ohne hin erwachsen werden und womöglich noch von irgendwelchen Kerlen angebaggert werden würde, stimmte Rin traurig, sowie wütend. Was hatte er getan, dass man ihm diese Erfahrungen verwehrte? Dass der Grund für seine Einlieferung alleine der war, dass er auf Männer stand, konnte man ihm beim besten Willen nicht weismachen.

Da musste eindeutig mehr dahinter stecken.

Viel Zeit sich darüber den Kopf zu zerbrechen, hatte Rin allerdings nicht, weil Sousuke auch noch ins Bad musste, sodass sie rechtzeitig zum Frühstück und anschließend zum Schauprogramm gelangten.
 

Wie nicht anders zu erwarten war, stelle Sousuke seinen Missmut gegenüber Kisumi noch offensichtlicher zu schau als er es zuvor getan hatte. Auch wenn er nun zu wissen glaubte, dass Rin diesem nicht zugetan war, machte ihn die Vorstellung rasend, dass dieser Perverse sich an einen Unschuldigen heranmachte!

Dabei war Rin keineswegs so unschuldig, wie Sousuke glaubte. Immerhin hatte dieser dem Plan zugestimmt, welcher auf Kisumis Mist gewachsen war. Dennoch hatte diese Aktion sie so oder so weitergebracht. Nicht ganz wie geplant, doch zwangsläufig waren die beiden dadurch näher zusammengerückt.

Die Folgen von Rins Therapie und Dr. Masefields Einwirken durfte man als Faktor nicht unterschätzen, auch wenn diese für keinen angenehm waren. Nichtsdestotrotz hatten die Schmerzen Rin in Sousukes Arme getrieben und dieser war fähig, diesen zu lindern…
 

Chigusa beobachtete die Jungs mit kritischem Blick. Sie wusste um Kisumis und Rins Plan und wie dieser ausgegangen war. Ihr bester Freund hatte der Versuchung nicht wiederstehen können, ihr alle Details zu erzählen, womit sie nun auf dem neusten Stand war.

Soweit Chigusa wusste, war Sousuke eindeutig eifersüchtig gewesen, das bedeutete, dass er zumindest mal auf Rin stand. Von deren Verhalten her konnte sie aber nicht bestimmen, ob sich inzwischen schon mehr getan hatte, auch wenn es auffällig war, dass sie dem Blick des anderen auswichen und kaum redeten. Dies war wahrscheinlich die Phase, in der sich beide ihrer Gefühle mehr oder weniger bewusst waren, die des anderen aber noch zu ergründen versuchten, auch wenn klar war, dass sie sich eindeutig zueinander hingezogen fühlten.

Am liebsten hätte die Brünette den beiden einen Stups gegeben, dass sie sich endlich küssen und zusammen kommen würden, doch nichts läge ihr ferner als sich in die Beziehung anderer ungefragt einzumischen. Wenn Rin – oder auch Sousuke – sie um Hilfe bitten würde, wäre das etwas anderes.

Solange dies aber nicht geschah, blieb Chigusa nichts als stillschweigend zu beobachten und abzuwarten…

Kisumi beschäftigte sich derzeit mit seinem Essen und damit, Rin auf die Nerven zu gehen. Sousuke, der neben Chigusa saß, stand daher kurz vorm Explodieren, welches sich an der pochenden Ader an seiner Schläfe bemerkbar machte, sowie den zusammengebissenen Zähnen.
 

„Ist es nicht schön, dass der Schnee langsam schmilzt und man sich nicht mehr die Füße abfriert?“, warf Chigusa völlig aus dem Zusammenhang gerissen in die Runde, einfach um eine Katastrophe abzuwenden.
 

Kisumi hörte daraufhin tatsächlich auf, Rin zu versuchen zu füttern und Sousuke entspannte sich neben ihr etwas. Manchmal fragte sich Chigusa, wie man diese drei Idiotien nur alleine lassen konnte und wie deren Verhalten ausarten würde, wenn sie Kisumi nicht ab und an zurückhalten würde. Er war wie ein Hund, den man nicht an die lange Leine lassen durfte, der aber treu seinem Herrchen ergeben war und seine Freunde äußerst gern – vielleicht ein bisschen zu gern - hatte. Sousuke sah das vielleicht nicht so, doch im Grunde konnten zumindest sie vier sich aufeinander verlassen.

An einem Ort, an dem man niemandem trauen konnte, konnte freundschaftlicher Beistand Wunder wirkten.

Auch wenn zwischen Sousuke und Rin etwas mehr als nur Freundschaft war, machte sich der Einfluss des Rothaarigen schon bemerkbar. Immerhin war Sousuke seit dessen Ankunft gesprächiger geworden und schien allgemein besser gelaunt zu sein, auch wenn sich das schwer an seinem Gesichtsausdruck festmachen ließ.
 

„Schon, aber es ist immer noch nicht wirklich warm“, seufzte Rin, der kaltes Wetter nicht mochte.
 

„So viel wärmer wird es aber auch nicht mehr werden“, meinte Kisumi daraufhin. „Aber wenn dir kalt wird, können wir kuscheln~“
 

„Ähm…nein danke“, drückte der Kleinere den ein wenig aufdringlichen Rosahaarigen, der seine Arme um seine Schultern geschlungen hatte, von sich weg.
 

„Shigi…“, legte Chigusa eine Hand an ihre Stirn und atmete hörbar aus. „Ich glaub nicht, dass [style type=“italic“]du[/style] Rin wärmen musst.“
 

Diese Aussage konnte man deuten wie man wollte, doch Sousuke schien drauf anzuspringen, denn er sah kurz zu ihr und tauschte einen wissenden Blick mit der Brünetten aus. Wie genau er Chigusas Aktion zu verstehen hatte, war sich der Dunkelhaarige nicht klar, dennoch war er dankbar, dass sie eingeschritten war und Kisumi einen Hint gegeben hatte, dass er Rin in Ruhe und lieber Sousuke ranlassen sollte.
 

Nach dem Frühstück machten sich die Jugendlichen sofort auf den Weg zum Unterricht, der in der gleichen Etage stattfand. Rin musste noch für kleine Haiprinzen und Sousuke bot ihm an, auf ihn zu warten. Der Kleinere schickte ihn allerdings schon mal mit den anderen vor, weil er sich in dessen Gegenwart nicht unbedingt unwohl fühlte, aber nach den ganzen Ereignissen nicht wusste, wie er mit diesem umgehen sollte. Wenn andere dabei waren, ging es, doch momentan zu zweit zu sein, schickte Rins Herz auf eine Achterbahnfahrt.

Das ging so weit, dass er es sogar schaffte, die Behandlung vom Vortag zweitweise zu verdrängen. Leider war erst Freitag, sodass er noch eine Sitzung in dieser Woche überstehen musste, bevor ihm zwei Tage Ruhe und eine Pause von den Schrecken gegönnt werden würde.
 

Miss Amakatas Unterricht war glücklicherweise sehr angenehm im Vergleich zum restlichen Programm der Anstalt. Bei ihr fühlte man sich wohl und hatte keine Angst, im nächsten Moment mit irgendetwas geschlagen zu werden, oder Stromstöße verpasst zu bekommen.

Rin langweilte sich trotzdem meistens, weil er es nicht mochte lange still sitzen zu müssen. Wie sehr er doch seine Strecke vermisste, die er regelmäßig gejoggt war und das Schwimmbecken…

Sich körperlich nicht ausgelastet zu fühlen, war eine der schlimmsten Freiheitsberaubungen, der sich nicht nur Rin ausgesetzt sah. Sousukes Trainingsroutine nach zu urteilen, könnte er auch viel mehr an kräftemäßiger Forderung vertragen. Dass dies nicht nur an dessen Bewegungsdrang lag, sondern andere Ursachen hatte, ahnte der Kleinere nicht. Er war der Auffassung, dass es seinem Schwarm genauso wie ihm erging, da dieser schließlich auch ein Sportler war; ein verdammt guter noch dazu.

Da Rin nicht aufpasste, sondern damit beschäftigt war, sich Sousukes durchtrainierten Körper vorzustellen, ermahnte Miho ihn nun und seufzte, da sie diesen verliebten Blick nur zu gut aus der Zeit kannte, als sie noch an einer staatlichen Schule unterrichtet hatte. Sonst waren es aber eher verliebte Schulmädchen, die dem Unterricht weniger Aufmerksamkeit schenkten, als sich ihre Zukunft mit ihrem Schwarm vorzustellen.

In diesem Fall musste sie berücksichtigen, dass es eben ein junger Mann war, der sich höchstwahrscheinlich ebenfalls seine Zukunft mit einem anderen Mann vorstellte…

Ein großes Problem stellte das nicht für sie dar, es war eben nur gewöhnungsbedürftig.

Nichtsdestotrotz sollte Rin die Zeit im Unterricht nicht damit verschwenden, sondern das lieber auf eine der Pausen verschieben. Ihrer Meinung nach, hatten die Kinder davon mehr als genug, da sie mehr als vorgesehen war zuließ. Ihren Nerven taten diese auch gut…

Kisumi war zuweilen doch sehr anstrengend.
 

Leicht peinlich berührt, lief Rin ob der Ermahnung rot an und ordnete schnell seine Notizen, die er nach seinem kurzen gedanklichen Abenteuer fortführte. In letzter Zeit gab es überraschend viele Momente, in denen er sich wünschte, einfach im Boden zu versinken. Liebe veranlasste einen also wirklich, seltsame Dinge zu tun.

Diese Erkenntnis hätte Rin sich seiner Meinung nach sparen können. Für ihn wäre es ausreichend, einfach mit Sousuke rummachen zu können und so…

Ach verdammt! Warum konnten sie nicht einfach alle entlassen und in eine normale Schule geschickt werden? Warum konnte Sousuke kein normaler Teenager sein, der nicht seine Mutter umgebracht und Berührungsängste, sowie ganz andere Probleme, hatte?

Doch das wäre eine viel zu einfache Lösung gewesen und wer wusste schon, ob eine so ungewöhnliche Situation zu Rins Gunsten ausfallen würde. Sousuke stand immerhin auf Frauen und hätte er keine so großen Schwierigkeiten damit, sich anfassen zu lassen, bestimmt eine Freundin. Warum sollte sich ein normaler, heterosexueller Mann auch zu Rin hingezogen fühlen?

Dass Sousuke so oder so kein geselliger Mensch war und sein antisoziales, distanziertes Verhalten nichts mit seinen Traumata zu tun hatte, berücksichtigte Rin dabei nicht. Woher sollte er aber auch wissen, wie sich der Größere unter anderen Umständen entwickelt hätte?
 

Nach Miss Amakatas Ermahnung war Rin dazu übergegangen, Sousukes Rücken anzustarren, der ihn geradezu dazu einzuladen schien. So schön breit und muskulös~

Um nicht wieder vom Unterrichtsstoff abzukommen, senkte er den Blick schnell und begann zu schreiben. Immerhin hatten sie eine Aufgabe bekommen, die es zu erledigen galt…was konnte er dafür, wenn Sousuke eben viel interessanter als Geschichte war?

Hinzu kamen die durch die Pubertät durcheinander geworfenen Hormone und spontanen Erektionen, für die er nicht verantwortlich war. Letzteres passierte glücklicherweise nicht ganz so häufig. Wie peinlich wäre es denn bitte, wenn er im Unterricht, oder gar mitten in einer Therapiesitzung einen Steifen bekommen würde?

Dr. Masefield würde sich ganz bestimmt ganz köstlich darüber amüsieren…
 

Doch dieser hatte auch ohne derartigen Gegenebenheiten Spaß daran, Rin zu quälen. Dieser Nachmittag bildete keine Ausnahme von den üblichen Qualen, auch wenn der Arzt in dieser Stunde davon abließ, seinen Patienten mit Elektroschocks zu therapieren. Das hieß aber nicht, dass er sich nicht etwas ganz besonderes für Rin ausgedacht hätte.
 

„So I heard you turned 17 not too long ago“, meinte der Psychologe, nachdem er Rin am Stuhl festgeschnallt hatte. „We’ve got to celebrate.“
 

Darauf gab Rin keine Antwort, weil er wusste, dass es nichts brachte, sich mit dem Doktor zu unterhalten und jedes Widerwort nur zu dessen Belustigung diente. Nach dem Vortag war der Rothaarige sowieso noch eingeschüchtert, da die Ablenkung durch Sousuke nicht mehr gegeben war und er sich auch nicht schnell in seine Fantasie flüchten konnte. Dazu war er zu angespannt.

Was meinte die Weißrobe damit, dass er seinen Geburtstag feiern sollte?

Irgendwie hatte Rin dabei ein ungutes Gefühl…
 

Zwar wurde er an diesem Tag größtenteils mit körperlichen Bestrafungen verschont, doch ging Dr. Masefield zwischendurch auch mal für etwa 10 Minuten weg. Den Grund dafür nannte er nicht und ließ Rin schon vermuten, dieser würde mit einem neuen Folterinstrument zurückkehren. Allerdings war nichts Dergleichen der Fall, die Therapie verzögerte sich wegen dessen Abwesenheit nur weiter nach hinten.
 

Gegen Ende der Sitzung, welche gute 80 Minuten in Anspruch genommen hatte, schnallte der Arzt Rin los, um sich noch ein wenig mit diesem zu unterhalten. Diese Gespräche mit dem seltsamen Mann Mitte 40 war schon fast unangenehmer als dessen Behandlungsmethoden.
 

„Could you open your mouth for a moment and show me your teeth?“, lächelte der Mann zuckersüß. „I just want to check if everything is all right.”
 

Rin glaubte dem anderen nicht wirklich, doch wollte er sich auch nicht widersetzen. Nach dem was man Sousuke angetan hatte, als sich dieser zur Wehr gesetzt hatte, ließ er davon ab unnötigen Widerwillen zu zeigen. Was konnte schon schiefgehen, wenn er dem Arzt seine Zähne zeigte? Abgesehen davon, dass diese seltsam beschaffen waren, hatte er nichts zu befürchten und so öffnete der Rothaarige den Mund ein Stück breit.
 

„Ah, I see“, nickte Dr. Masefield als er sich zum etwas Kleineren beugte, um dessen Mundinneres zu begutachten. „White, scharp choppers…as expected.“
 

Mit diesem Kommentar ließ der Arzt auch schon wieder von Rins Mund ab und klopfte sich die Hände aus unerfindlichen Gründen an seinem weißen Kittel ab. Ihn ließ das Gefühl nicht los, dass der andere seine Zähne aus einem ganz bestimmten Grund hatte begutachten wollen. Dass diese etwas mit seiner Behandlung zu tun hatten, konnte er sich allerdings nicht vorstellen. Genauso wenig wie er dem Arzt abkaufte, dass dieser ihn wegen seiner Sexualität behandelte. Es mochte sein, dass die unkonventionellen Methoden ihren Effekt zeigten, doch ein guter Psychologe wusste, dass man die Orientierung eines Menschen nicht ändern konnte. Weswegen war Rin also dann in der Anstalt? Konnte seine Entführung einen nicht ganz so offensichtlichen Grund haben, als dass jemand – der Auftraggeber – etwas gegen Schwule hatte?

Wer war dieser jemand überhaupt, der ihn aus dem Weg haben wollte?

Seine Konkurrenten im Sport schloss Rin seit längerem aus, da diese nicht so weit gehen würden und auch nicht die Mittel hatten, ihn nach Russland verfrachten zu lassen. Irgendeine schwulenfeindliche Organisation konnte es auch nicht sein, da diese ihn, um realistisch zu bleiben, einfach umgelegt hätten.
 

Dr. Masefield erweckte nicht den Anschein, als seien sie schon fertig, auch wenn im Prinzip alles getan und die Urzeit schon fortgeschritten war.
 

„Can I leave now?“, wollte Rin leicht genervt wissen, da er nicht länger als unbedingt nötig in dem ungemütlichen, viel zu grellen Raum verbringen wollte.
 

Wer war auf die Idee gekommen, einen weiß gestrichenen und weiß gekachelten Raum mit grellen LED Leuchten zu versehen und vollkommen hässliche moosgrüne Bezüge auf jedes Möbelstück zu nähen?

Diese Kombination ergab einen bizarren Kontrast von schimmliger Arztpraxis und sterilen Operationssaal. Beides Räume, in denen man sich nicht unbedingt befinden wollte. Mit einem sadistischen Psychologen ausgestattet definierte sich eine Atmosphäre, die man mit nichts andere als dem reinsten Horror gleichsetzen konnte.
 

„I’m afraid you can‘t“, schüttelte Dr. Masefield den Kopf und gab danach eine Erklärung dafür ab. „You haven’t been properly observed yet, so we will do that today. I have to leave now, but Mr. Kendall will be taking care of you.“
 

Keine Minute später hatte sich der Psychologe zu seinem nächsten Opfer aufgemacht und ließ den völlig verwirrten, leicht verängstigten Rin zurück. Diesem ging die Szene durch den Kopf, als diese eine Schwester Sousuke hatte untersuchen sollen, ihn dabei aber begrabscht und ihm dann eine mit der Metallschale übergezogen hatte. Hoffentlich waren die anderen Angestellten nicht so notgeil wie Frau Harmann.

Wenn man den Worten des Arztes Glauben schenken konnte, würde ihn ein Pfleger unter die Lupe nehmen, doch ob dieser so viel besser war, wusste Rin nicht. Wenigstens war es nicht diese seltsame Schwester…
 


 

Sousukes Therapie war für diese Woche beendet und er fühlte sich angesichts seines Zustandes relativ gut, auch wenn ihn eine Vorahnung beschlich, als er den Gang zu seinem und Rins Zimmer entlangschritt. Es hatte Monate gedauert, bis sich der Dunkelhaarige halbwegs auf seinem Stockwerk zurecht gefunden hatte, vom Rest des Geländes mal ganz zu schweigen. Eines Tages im Sommer hatte er sich im Außengelände verlaufen und sich durch Büsche gekämpft, ehe er zum Eingang zurückgefunden hatte. Als sich solche Ereignisse gehäuft hatten und Chigusa davon Wind bekam, hatte sie sich seiner erbarmt und ihm einen Lageplan gezeichnet, mithilfe dessen er sich besser orientieren konnte. Diesen trug er bis zum heutigen Tage meist in seiner Hosentasche bei sich.

Ungewohnter Weise fand er das Zimmer leer vor, lag Rin doch meist nach seiner Sitzung auf dem Bett und weinte, oder hörte Musik. Selten trainierte er auch schon ohne ihn. Aus dem Bad kamen keine Geräusche, also fiel diese Möglichkeit von Rins Verbleib auch flach.

Das ungute Gefühl verstärkte sich und Sousuke, der seinen Instinkten immer vertraute, konnte sich beim besten Willen nicht auf sein Bett setzen und lesen, wenn Rin unauffindbar war. Daher schritt er unschlüssig im Zimmer auf und ab, ehe er den Entschluss fasste, einfach auf die Suche nach seinem Mitbewohner, der inzwischen so viel mehr als das war, zu gehen.

Wenn er sich nicht irrte, hatte Rin seine Sitzung immer in 215, einem der Zimmer, die etwas weiter weg lagen, sich aber noch im gleichen Geschoss befanden. Den Lageplan, der inzwischen schon sehr benutzt aussah, aus der Tasche kramend, machte er diesen ausfindig und sich auf den Weg dorthin.

Jeder normale, rational denkende Mensch hätte sich zuerst auf den Weg in den 6. Stock gemacht, da sich dort die meisten aufhielten, wenn sie nicht in ihren Zimmern waren. Außerdem saßen sie dort auch oft zu viert und verbrachten ihre Freizeit vorm Fernseher, oder auf einer der Bänke.

Doch Sousuke ahnte bereits, dass etwas nicht so lief, wie es sollte und dass Rin sich nicht im Aufenthaltsraum befand, da er direkt nach der Therapie davon absah sich unter Menschen zu begeben. Ganz einfach aus dem Grund, dass er Zeit brauchte, um diese zu verarbeiten.
 

Schon als Sousuke um die Ecke bog und die Aufschrift des Raumes erblickte, beschleunigte sich sein Herzschlag. Hier stimmte etwas ganz gewaltig nicht!

Er beschleunigte und erreichte 215, an dessen Klinke er die Hand legen wollte, doch stoppte, als er Geräusche von drinnen vernahm.

Einen Moment zögerte der Dunkelhaarige, ehe er das Ohr an die Tür legte und sich sein ungutes Gefühl bestätigte.

Sousuke hörte Rins aufgebrachte, verzweifelte Stimmte, welcher ‚Let me go‘ und ‚Don’t touch‘ von sich gab. Sousuke hatte genug gehört.

Ohne große Zweifel biss er die Zähne zusammen und drückte die Türklinke nach unten, um ins Behandlungszimmer zu gelangen. Mit einem genervten Schnauben musste er allerdings feststellen, dass abgeschlossen war. Wie auch nicht anders zu erwarten.

Aber Sousuke war niemand, der sich von verschlossenen Türen abhalten ließ, erst recht nicht als er einen Schrei von innen vernahm. Dieser löste die erste Fessel seines Verstandes, der seinen Körper zurückhielt.

Mit einem teilweise kontrollierten Stoß seiner rechten Schulter brach er das Schloss ohne größere Probleme auf, sodass die Tür halb aus den Angeln fiel, als er ins Zimmer trat.
 

Rin lag auf der grün überzogenen Liege, über ihm ein Pfleger, der gerade dabei war, den unten liegenden auszuziehen und am Oberkörper zu berühren. Dem Rothaarigen standen schon die Tränen von den Schmerzen in den Augen, die jede Berührung dank der Therapie bei ihm auslöste. Stromstöße und unbeschreiblich heiße Kälte durchzuckten seinen Körper, obwohl keine realen Schmerzen vorlagen. Seine Stimme hörte sich in seinen Ohren verzerrt an und er konnte nichts mehr tun als zu schreien.

Plötzlich hielt der Pfleger inne, als ein lautes Geräusch ertönte, das ihn wohl ablenkte. Rin konnte nicht viel erkennen, da seine Augen von den Tränen verschleiert waren und die Hände des anderen nach wie vor an seinem Körper lagen und ihn nach unten drückten.
 

Der Anblick dieser Szene, Rin so hilflos und in Schmerzen zu sehen, ließ Sousukes im wahrsten Sinne des Wortes eine Sicherung durchbrennen. Ungehalten, ohne die Folgen seines Handels zu bedenken, schritt er zur Liege, schnappte sich den Pfleger, der gar nicht wusste wie ihm geschah und drückte ihn mit dem Gesicht voran auf den Schreibtisch.

Der Griff des Größeren im Nacken des Pflegers festigte sich, als er diesen wieder auf die harte Oberfläche schlug, wobei die Tastatur unter ihm ein unschönes Knacken von sich gab.

Mit kalten Augen betrachtete Sousuke das Geschehen, als wäre das alles nicht real, als würde er dem anderen nicht weh tun.
 

Rin war noch völlig mitgenommen von dem Übergriff, sodass er eine kleine Weile brauchte um zu begreifen, welche Brutalität sich soeben vor seinen Augen abspielte. Seine Rettung war so unverhofft gekommen, dass er sich schon beinahe damit abgefunden hatte, vergewaltigt zu werden. Dass Sousuke ihn nun verteidigte und nun mit seinem Peiniger sämtliche Utensilien des Schreibtisches abräumte, sowie die Tastatur des Computers zerstörte, ging dann doch über seinen Erwartungshorizont einer Rettung hinaus.
 

Ryan Kendall, welcher sich zu verständigen und Sousuke davon abzubringen versuchte, ihn weiterhin auf die Tischplatte zu schlagen, gab inzwischen kaum mehr einen Laut von sich, da sein Gesicht, insbesondere sein Mund und seien Nase, so schmerzte. Ein paar Zähne hatte er wohl auch verloren, dem Blut nach zu urteilen, das sich über die weiße Tischplatte ausbreitete und auf den Boden tropfte.
 

Vollkommen schockiert über das ganze Blut, das die weißen Fliesen rot färbte, erstarrte Rin in seiner Bewegung. Er hatte sich aufgerichtet und saß mit freiem Oberkörper auf der Liege, die gegenüber des Schreibtisches lag.

Sousukes Augen hatten jeglichen Glanz verloren und als er für einen Moment davon abließ, den Pfleger auf die Platte zu schlagen, blickte er in Rins Richtung. Mit der Hand den anderen nach unten pinnend – obwohl es nicht mehr viel ausmachte, ob man ihn festhielt oder nicht, er würde sich in nächster Zeit nicht mehr von selbst bewegen – mit der anderen die Hand zur Faust geballt, ähnelte Sousukes keineswegs mehr dem ruhigen Menschen, den er sonst präsentierte.
 

„Sousuke…“, flüsterte Rin, gleichermaßen dankbar für die Rettung, wie verstört von dem Ausmaß der Brutalität, die der Größere an den Tag legte.
 

Dieser blickte mit kalten Augen nach unten, zu seinem Opfer, das regungslos unter seiner Hand röchelte. Als er zu einer erneuten Bewegung ansetzte, um das Leiden des Pflegers zu beenden, spürte Sousuke plötzlich etwas.

Hände schlangen sich um seinen Oberkörper und ein Körper drückte sich an ihn, sodass er in der Bewegung inne hielt.
 

„Es reicht…bitte hör auf“, erklang die wohl bekannte, schöne Stimme in seinen Ohren und riefen seinen Verstand zurück ins Leben.
 

Rin hatte sich erhoben, die Gefahr der Situation erkennend und das Risiko, das Sousuke mit seiner Aktion einging. Und das alles nur, um ihn zu beschützen, ihn vor diesem bösen Mann zu retten, der ihn berührt hatte.

Er erkannte jedoch die Grenzen, die Sousuke in seinem derzeitigen Zustand nicht mehr fähig zu sehen war, daher war es seine Aufgabe, diesen von etwas abzuhalten, das er später bereuen würde.

Nicht nur das: Wenn er den Pfleger umbrachte, würde sich auch Rins Angst materialisieren, dass man Sousuke dazu brachte Dinge zu tun, die außerhalb des Gesetztes und außerhalb seines Willens lagen.

So hatte er die einzige Option ergriffen, die ihm geblieben war, auch wenn sie mit der Gefahr einherging, dass der Größere ihm auch weh tat.

Dass Sousuke Rin einfach nicht weh tun konnte, zeigte sich in dem Moment, als seine Augen vor Verwirrung und Orientierungslosigkeit glänzten.
 

„Rin?“, blinzelte der Dunkelhaarige, zu dem Kleineren zur Seite blickend, der ihn eng umschlugen hielt.
 

Danach wanderte sein Blick seinen linken Arm entlang, an dessen Ende der bewusstlose Pfleger über dem Schreibtisch lag, der vollkommen in Unordnung gebracht war und vor Blut glänzte. Einzelne Tasten lagen verstreut, sowie ein Zahn, der sich in Blutlache auf den Bodenfließen befand.

Sein eigenes Werk betrachtend, realisierte Sousuke, dass dies sein Tun war und erstarrte für einen Moment.
 

„Er ist nicht tot“, murmelte Rin, als er den Blick des Größeren verfolgte und zu lesen wusste. „Aber du warst nah dran.“
 

Von seiner eigenen Ruhe überrascht, die ihm geholfen hatte, Sousuke von Schlimmerem abzulenken, wurde ihm mit einem Schlag das Chaos bewusst, das sich in der letzten halben Stunde in diesem Zimmer abgespielt hatte: Man hatte versucht ihn zu vergewaltigen, ihn an Stellen berührt, die schrecklich weh getan hatten. Sousuke hatte die Tür aufgebrochen, seinen Peiniger von ihm weg gezerrt und dann unzählige Male auf die Tischplatte geschlagen, bis dieser bewusstlos war.

Beim Anblick des Blutes wurde Rin schlecht und er hielt sich eine Hand vor dem Mund, wozu er Sousuke loslassen musste. Mit seiner Ruhe war es endgültig dahin und er fühlte die warmen Tränen, die seine Wangen hinabliefen.
 

„Es tut mir leid…ich wollte das nicht…ich…“, zitterte Sousukes Stimme nun, als er Rins Tränen und dessen Reaktion auf sein Werk sah.
 

Was um alles in der Welt hatte er da angerichtet? Er hatte Rin doch nur retten und niemandem schaden wollen …

Seit er den Raum betreten hatte, fehlten Sousuke die Erinnerungen an seine Tat. Das Vorhaben, Rin zu retten hatte er erfüllt, doch auf welche Weise?

Der Kleinere fürchtete sich bestimmt vor ihm, das wäre die normale Reaktion.
 

„Ich weiß…“, kam es mit bebender Stimme von diesem. „Es ist nicht deine Schuld.“
 

Im nächsten Moment drückte sich Rin wieder an ihn und verbarg sein Gesicht an Sousukes Shirt. Verwirrt von der Gesamtlage, aber auch von Rins Reaktion, stand Sousuke für eine Weile regungslos da, ehe er seinen Griff lockerte. Das hatte zur Folge, dass der schlaffe Körper ein Stück rutschte, aber im Großen und Ganzen auf dem Schreibtisch liegen blieb.

Sousuke legte Arme um den Kleineren und schloss die Augen, als er seinen Kopf an dessen Schulter presste.

Wen interessierten schon die Konsequenzen, die sein Handeln hatte?

Das wichtigste war, dass sich Rin in Sicherheit befand.

Etwas Anderes zählte für Sousuke nicht mehr.

Die Konsequenzen

Wie es sich anfühlte mit einem Mörder im Bett zu liegen?

Ziemlich gut, wenn man Rin fragte, welcher am Samstagmorgen sanft von den ersten Sonnenstrahlen geweckt wurde. Noch immer nah bei Sousuke liegend, von dessen einem Arm umschlungen, räkelte sich der Rothaarige leicht. Behaglich fühlte er sich in der Nähe des Größeren, der ausnahmsweise länger als er schlief. Der Vortag hatte ihn wohl auch sehr mitgenommen.

Apropos, dieses Thema weckte nicht nur Rins Körper, sondern auch seine Erinnerungen daran, welch grausame Szene sich vor nicht allzu vielen Stunden vor seinen Augen abgespielt hatte.

Ein Pfleger namens Ryan Kendall hatte sich an ihm vergreifen wollen und ihm auch das Oberteil mehr vom Leib gerissen als ausgezogen, ihn berührt, bevor Sousuke die Tür des Behandlungszimmers aufgebrochen und ihn gerettet hatte. Die Art und Weise, wie dieser das getan hatte, ließ Rin erschaudern.

Dass der Mann, der neben ihm lag und ihn so sanft behandelte, zu solch einer Brutalität fähig war, sodass er den Pfleger mit dem Kopf voran mehrmals auf die Tischplatte geschlagen hatte, konnte Rin nicht glauben, auch wenn er dies miterlebt hatte. So unwirklich erschien ihm die Persönlichkeit in Sousuke, die zu diesen Taten fähig war und so gar nicht zu dessen gewöhnlichem Selbst passen wollte.

Mit den Erinnerungen, die über Rin hereinbrachen, kam auch die Sorge auf, welche Konsequenzen die Aktion für sie beide haben würde. Man würde Ryan früher oder später sicher finden, wenn dieser sich nicht bereits selbstständig Hilfe geholt hatte. In dem Zustand, in dem sie diesen zurückgelassen hatte, konnte man sich das aber eher schlecht vorstellen. Immerhin waren dem Mann Zähne aus- und er bewusstlos geschlagen worden…

Den Schlafenden betrachtend, musste Rin wieder an den Patienten denken, an dem man eine transorbitale Lobotomie durchgeführt hatte und auch daran, dass Sousuke keine Familie, oder sonst jemanden außerhalb dieser Mauern, hatte, der ihn vermissen würde. Der bloße Gedanke daran, man könnte bei dem Größeren eine solche Methode anwenden, ließ Rin erschaudern.

Beim besten Willen konnte er nicht mehr ruhig liegen bleiben und setzte sich somit im Bett auf, wodurch Sousukes Arm von ihm rutschte und dieser davon geweckt wurde.
 

„Rin…?“, murmelte der Dunkelhaarige verschlafen.
 

„Hab ich dich geweckt?“, blickte Rin nach unten zu Sousuke, der ihn anblinzelte. „Du kannst noch ein bisschen weiterschlafen…“
 

Sich nicht nur deswegen schuldig fühlend, weil er den Größeren geweckt hatte, sondern auch weil er diesem so viele Probleme bereitete, beugte sich Rin zu diesem nach unten und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.

Diese Geste hatte er zuvor noch bei keinem vollführt, weswegen er dabei auch etwas nervös war, zumal Sousuke nun zu ihm rückte und seinen Kopf an Rins Beine legte, dessen Nähe genießend. Der Rothaarige seufzte leise, ehe er begann dem ungewohnt Zutraulichen durchs Haar zu streichen.

Auch wenn sie noch nicht offiziell zusammen waren, hatte Rin schon die Vorahnung, dass eine feste Beziehung mit Sousuke eine gute Idee war. Dieser wies deutliche Zeichen der Veränderung in seinem Verhalten auf, je näher sie sich kamen und wenn Rin dem anderen helfen konnte, wollte er das gerne tun. Für ihn sprang dabei immerhin auch einiges heraus…

Mit seinem Traummann zusammen sein zu können, in den er sich inzwischen auch richtig verliebt hatte, hätte er sich vor ein paar Monaten noch nicht vorstellen können.

Vor einem halben Jahr war Rin auch noch durch die Schwulenclubs Japans getingelt, immer auf der Suche nach ein wenig Spaß und Ablenkung vom Alltagsleben, in er nicht ganz er selbst sein konnte. Einen Freund hatte er auch damals haben wollen, doch die Angst vor den Konsequenzen und die Tatsache, dass ihm einfach niemand gut genug erschienen war, hatten dem vorgebeugt.
 

Sousuke war wieder eingedöst, verzaubert vom angenehmen Streicheln Rins, der sich nicht vorstellen konnte, jetzt noch selenruhig schlafen zu können. Immerhin konnte jeden Moment jemand vom Personal ins Zimmer stürmen und sie zu den Ereignissen in 215 befragen, oder schlimmer.

Angespannt hielt Rin in seiner Bewegung inne, sodass seine Hand an Sousukes Schläfe zur Ruhe kam. Er wollte diesen nicht verlieren…niemals. Auch wenn sie sich nicht lange kannten und erst zwei Mal geküsst hatten, wusste er das einfach.

Wenn Rin eins in diesen fünf Monaten gelernt hatte, dann mehr auf sein Bauchgefühl und seine Instinkte zu hören und niemandem zu vertrauen und niemanden vorschnell zu verurteilen.

Sein Verstand hatte ihm gesagt, dass Kisumi ein schlechter Mensch war, der anderen Leid zufügte, doch sein Gefühl und Chigusa vermittelten ihm, dass dieser nichts Böses wollte, auch wenn er sehr eigen und aufdringlich war.

Mit Sousuke verhielt es sich ähnlich: Dessen Äußeres konnte einen zurückweichen lassen, erst recht wenn man dessen Hintergrundgeschichte kannte, doch wenn man sich mit ihm auseinandersetzte lernte man schnell, dass der Große einfach nur sozial ungeschickt und im Grunde ein sanftmütiger Mensch war, dem sehr schlimme Dinge widerfahren und angetan worden waren.

Außerdem sollte man sich nicht in falscher Sicherheit von einem gepflegten, lächelnden Arzt wiegen lassen, der einen bei jeder Gelegenheit an einen Stuhl festband und einem suggerierte, man wäre krank und er würde einem nur helfen wollen.
 


 

Eine viertel Stunde später, in der Rin einfach nur auf dem Bett gesessen, Sousuke gestreichelt und nachgedacht hatte, musste er den Größeren - so leid es ihm auch tat - wecken. Immerhin würde es bald Frühstück geben und sie mussten sich noch fertig machen.

Rin sah davon ab, duschen zu gehen, weil er das am Abend zuvor zwangsläufig erledigt hatte, doch Sousuke stieg nach dem Zähne putzen unter den Wasserstrahl.
 

„Wie oft rasierst du dich eigentlich?“, wollte der Rothaarige neugierig wissen, da er zuvor beobachtet hatte, wie der Dunkelhaarige seinen Bartansatz gestutzt hatte.
 

„Alle paar Tage…meistens jeden zweiten“, entgegnete Sousuke, noch immer ein wenig müde, als er seine Decke und sein Kissen zurück in sein Bett brachte, um möglichen Komplikationen im Vorfeld vorzubeugen. Es wäre nicht auszumalen, wie man sie behandeln würde, wenn herauskam, dass sie in einem Bett schliefen – auch wenn dabei nichts ‚Unanständiges‘ geschehen war.
 

Da kam wieder seine morgendliche schlechte Laune durch, die er zu unterdrücken versuchte. Am Wochenende schaffte er das meistens nicht und bevor Rin zu ihm gezogen war, war das auch nicht von Nöten gewesen. Damals hatte Kisumi dann einfach alles abbekommen, so wie heute auch noch des Öfteren.
 

„Krass“, staunte Rin nicht schlecht. „Mir wächst nicht mal wirklich ein Bart.“
 

„Ist doch nicht schlimm“, gähnte Sousuke, als er sich eine petrolfarbene Jacke überzog.
 

„Hm, stimmt. So hab ich wenigstens damit keine Arbeit“, stimmte der Kleinere zu, welcher nach wie vor auf Kriegsfuß mit seiner Körperbehaarung stand.
 

Außerdem konnte er sich vorstellen, dass der Größere es auch besser fand, wenn sein (zukünftiger) Partner keinen Bart hatte. Auch wenn dieser es nicht offen verlauten lassen hatte, war sich Rin sicher, dass Sousuke eigentlich auf Frauen stand. Warum genau er trotzdem erwählt worden war, war hm ein Rätsel, zumal Sousuke es eindeutig genossen hatte, als sie sich geküsst hatten.

An diesem Morgen schien jedoch alles relativ normal zwischen ihnen zu sein, wenn man davon absah, dass sie in einem Bett geschlafen hatten.

Rin war sich nicht mal mehr ganz sicher, ob er den Kuss nur geträumt hatte, denn Sousuke ließ sich nicht davon anmerken, dass etwas mehr zwischen ihnen passiert war.

Vielleicht wollte dieser das auch gar nicht und war nun der Meinung, das war ein Fehler gewesen und dass sie alles beim Alten belassen sollten?

Diese verdammten Zweifel konnten einen zerfressen, vor allem wenn man so unsicher wie Rin war, der sich über alles den Kopf zerbrach.

Die viel wahrscheinlichere Erklärung für Sousukes Verhalten war, dass dieser schlicht und ergreifend ein Morgenmuffel war und auch nicht ganz wusste, wie man sich nach seinem ersten Kuss zu verhalten hatte, geschweige denn wie man eine Beziehung in die Wege leitete.
 


 

Als sie aus der Tür in den weißen Flur traten und sich gerade nach rechts auf den Weg zu den Aufzügen machen wollten, bogen drei Männer um die linke Ecke, von denen einer Dr. Masefield war.
 

„Stop right there“, hörte Rin nur die Worte, welche ihm das Herz in die Hose rutschen ließen.
 

Sousuke und er drehten sich nach der Stimme um, die hinter ihnen erklungen war, begleitet vom Geräusch der Schritte mehrerer Menschen, welches nun verstummte. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten…
 

„I’m afraid you will have to come with us, Rin“, schüttelte der Arzt den Kopf und sah irgendwie enttäuscht aus.
 

Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, sowie die anderen beiden Männer bedrohlich wirkten, da sie grimmig dreinschauten und auf ein Kommando zu warten schienen.

Sousuke stand diesen in nichts nach und spannte sich nun auch an. Selbst wenn Rin nicht zu diesem blickte, konnte er dessen Aura wahrnehmen. Dass dieser in Alarmbereitschaft war, konnte er gut nachempfinden, denn Rin selbst ging es nicht viel besser, auch wenn er eher nervös und verängstig, als angriffslustig war.
 

„You know what happened last night…we would like to hear what you have to say to that…’accident’“, wurde Dr. Masefield nun eindringlicher. „And if you’re not willing to do so, we will have to make you speak.”
 

„It’s not my fault!”, verteidigte sich der Rothaarige nun und wollte schon sagen, was Ryan vorgehabt hatte ihm anzutun, doch Sousuke schaltete sich in dem Moment dazwischen.
 

„It’s my fault. I did all of this“, sah der Dunkelhaarige den Arzt mit stechendem Blick an, auch wenn er seine Schwierigkeiten hatte, diesem auf Englisch zu antworten. „Take me with you. He’s got nothing to do with it.”
 

„Is it clear to you what this means? You realize the consequenzes of your confession?”, schlich sich das Lächeln auf Dr. Masefield leicht faltiges Gesicht zurück.
 

Sousuke nickte daraufhin nur, sah Rin mit einem vielsagenden Blick an und schritt auf die anderen drei Männer zu. Der Kleinere hatte ihn noch aufhalten wollen, doch dessen Blick bedeutete ihm, dass er alles im Griff hatte und wusste, worauf er sich einließ.

Trotzdem war Rin ganz und gar nicht damit einverstanden, dass Sousuke alle Schuld auf sich nahm, auch wenn er derjenige gewesen war, der die Tür aufgebrochen und den Pfleger bewusstlos geschlagen hatte. Er hatte ihm ja nur geholfen…

Wenn überhaupt, dann war das alles Ryan Schuld, welcher ihn belästigt und genötigt hatte.
 

„Well then now, Rin, you’re free to go“, nickte die Weißrobe dem Rothaarigen zu, der mit ansehen musste, wie Sousuke von en Männern an den Armen gepackt und wie ein Schwerverbrecher abgeführt wurde.
 

Unfähig zu antworten, blieb Rin wie angewurzelt an Ort und Stelle stehen. Die Gedanken an mögliche Folgen und der Ausgang dieser Situation brachen über ihn herein, sodass er absolut unfähig war, irgendetwas dagegen zu tun, dass man Sousuke mitnahm.

Selbst wenn, was hätte er schon gegen die drei Männer ausrichten können?

Wenn er sich nun wehrte und einschritt, würde dessen Opfer um sonst sein. Zumal besaß Rin auch nicht den Mut dazu, sich gegen das Personal aufzulehnen. Das schlechte Gewissen wegen seiner Feigheit und die Zweifel über die Ungewissheit, was mit seinem Freund geschehen würde, plagten ihn jetzt schon.

Was würde man Sousuke antun?

Würden sie ihn in einem Stück wieder zurück bringen?

War er danach noch der Selbe?
 

Erst als die drei Männer schon längst mit Sousuke verschwunden waren, konnte Rin sich rühren. Vollkommen appetitlos, machte er sich auf den Weg zum Frühstück, wobei er mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte. Diese Aktion geschah mehr aus Automatismus und Hilflosigkeit, als aus freiem Willen.

Irgendetwas musste er schließlich tun…
 

Chigusa und Kisumi erwartet ihn – und natürlich auch Sousuke – schon an ihrem angestammten Platz. Rin hatte sich nicht viel auf sein Tablett geladen und nahm seine Freunde auch kaum war, da er auf das Brötchen starrte, das unberührt vor ihm lag.
 

„Hey, was ist denn los? Wo hast du Sousuke gelassen?“, wollte Kisumi wissen, nachdem der Kleinere ihm erneut nicht  geantwortet hatte.
 

Chigusa hatte im Gegensatz zu ihrem besten Freund bereits eine Vorahnung, dass etwas nicht stimmte. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass Sousuke nicht anzutreffen war. Welchen Grund dessen Abwesenheit diesmal hatte, musste jedoch erst ermittelt werden.
 

„Ist etwas geschehen?“, wandte sich die Brünette nun auch an Rin, welcher total bedrückt aussah, also musste es etwas Ernstes sein.
 

Sie legte dem Rothaarigen eine Hand an den Arm, um ihm zu signalisieren, dass er ihnen alles anvertrauen konnte. Schließlich saßen sie im selben Boot und mussten zusammenhalten, zumal die vier trotz der ungewöhnlichen Umstände ihres Zusammentreffens gute Freunde geworden waren. Die Not verband Menschen und Rin war mehr als froh darüber, dass er jemanden hatte, an den er sich wenden konnte.

Der Rothaarige blickte auf, als er die Berührung am Arm spürte, die natürlich keine Schmerzen auslöste, da Chigusa weiblich war, und hatte mit sich selbst zu kämpfen. Seine Lippen bebten und er wollte nicht in der Öffentlichkeit weinen, sodass er seine Tränen herunterschluckte, ehe er zu erklären versuchte, was geschehen war.
 

„…sie haben Sousuke mitgekommen. Ich weiß nicht wohin, oder was sie mit ihm machen werden…es ist meine Schuld“, kam es Rin nur schwer über die Lippen, wobei er Chigusa nicht ansehen konnte und den Blick abwandte, um nicht loszuheulen.
 

Diese sah ihn überrascht an, Besorgnis spiegelte sich in ihren Augen wider. Kisumi stoppte ebenfalls zu essen und sah Rin mit weit aufgerissenen Augen an, bevor er versuchte, mehr aus diesem herauszubekommen.
 

Chigusa hielt ihn jedoch davon ab, indem sie sagte: „Nicht hier! Das erweckt zu viel Aufsehen…wenn, dann besprechen wir das auf einem unserer Zimmer.“
 

Der ernste Blick, den sie ihm dabei zuwarf, deutete darauf hin, dass dieser Vorschlag mehr ein Befehl war, den er auch befolgen würde. Kisumi befolgte schon beinahe zwanghaft nur seine eigenen Regeln, sodass seine beste Freundin alle Mühe damit gehabt hatte, ihm Gehorsam beizubringen. Da sie sich aber sehr nahe standen und der Größere auf ihr Urteil und ihre Einschätzung vertraute, fiel es ihm leichter sich zu fügen. Außerdem mochte er Chigusa sehr gerne und dass Zuneigung und der daraus resultierende Respekt bei der Befolgung von Befehlen eine wichtige Rolle spielte, dürfte allgemein bekannt sein.
 

„Na schön…dann gehen wir aber gleich nach dem Essen in mein Zimmer“, seufzte Kisumi, schon neugierig darauf zu erfahren, was mit seinem großen Miesepeter geschehen war.
 

Von der Neugier ab, keimte in ihm auch so etwas wie Sorge um Sousuke auf. Auch wenn es ihm schwer fiel, diese Gefühle zuzulassen, konnte der Rosahaarige nicht leugnen, dass der andere ihm wichtig geworden war.

Die anderen beiden stimmten ihm zu und da sie alle sowieso nicht mehr viel Hunger hatten, verweilten sie keine fünf Minuten mehr in der Mensa.

Nachdem Rin beim Frühstück so gut wie nichts gegessen hatte und der Umfang der Kost der anderen beiden auch eher spärlich ausgefallen war, fuhren sie mit dem Aufzug in die 2. Etage zurück, in dem sich ihre Zimmer befanden. Kisumis lag auf der linken Seite neben dem Treppenhaus und trug die Nummerierung ‚203‘. Chigusas war ganz in der Nähe und auch schneller zu erreichen, doch sie ließ nicht gerne jemanden in ihr Reich ein, weswegen sie ganz froh war, dass Kisumi seines angeboten hatte. Dass Rin momentan nicht unbedingt in 207 zurück wollte, konnte man auch verstehen.
 

„Also, was ist passiert?“, ließ sich Kisumi auf seinem Bett nieder und bedeutete Rin, dass er sich neben ihn setzen sollte.
 

Chigusa nahm auf dem Stuhl Platz, der am Tisch direkt am Fenster stand. Auch wenn die beiden ihre Freunde waren, hatte sie trotzdem ein Problem damit, Männern so nahe zu kommen und das auch noch auf einem Bett.
 

„Jetzt lass ihn sich doch erstmal sammeln“, bremste Chigusa ihren besten Freund ein wenig aus, da Rin ziemlich fertig aussah.
 

„Schon okay…“, atmete der Rothaarige tief ein und versuchte dann die jüngsten Ereignisse so gut es ging wiederzugeben. „Gestern nach meiner Therapie hätte mich ein Pfleger untersuchen sollen, aber er…ist ein bisschen zu weit gegangen. Wie genau Sousuke es geschafft hat, so schnell zu mir zu kommen und die Tür aufzubrechen, hab ich keine Ahnung…“
 

„Moment: Was hat der Typ mit dir gemacht und wie um alles in der Welt kann man hier eine Tür eintreten? Sou-chan, ist stark, schon klar, aber dass…“, wollte Kisumi, der wirklich sehr neugierig lauschte, unbedingt wissen.
 

„Ich weiß auch nicht, wie er das gemacht hat, aber…der Typ hat mich versucht auszuziehen und so“, war der Kleinere nicht fähig, die Erinnerungen an den Vortag weiter auszuführen, dazu sah der Schreck noch viel zu tief.
 

„Oh Scheiße…“, flüsterte Chigusa nur leise, da sie nur zu gut wusste, wie man sich in einer derartigen Lage fühlte und dass es lange brauchen konnte, bis man bereit war darüber zu sprechen – auch wenn es bei Rin nicht so aussah, dass ihm viel angetan worden war.
 

„Und als Sousuke dann reinkam, hat er den Typ von mir weggezogen und ihn…bewusstlos geschlagen“, ging Rin nicht so sehr ins Details, weil er erstens befürchtete, dass ihm dann wieder schlecht werden würde und zweitens, weil er Chigusa diese Bilder ersparen wollte.
 

„Hat man ihn dann deswegen mitgenommen?“, schlussfolgerte Kisumi, wofür er sich ein Augenrollen von Chigusa einfing.
 

„Ja, sie haben ihn heute Morgen vorm Frühstück mitgenommen“, bestätigte der Rothaarige. „Eigentlich wollten sie mich, aber er hat alle Schuld auf sich genommen.“
 

Bei diesen Worten verkrampfte sich Rin und krallte die Finger in den Stoff seiner Hose. Seine Lippen bebten wieder und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Noch wollte er aber nicht wieder zu weinen anfangen, nicht jetzt. Er wollte nicht schwach und verletzlich, wie ein Feigling, vor seinen Freunden weinen.
 

„Oh man…“, gab Chigusa mitleidig von sich und konnte sich vorstellen, dass noch ein bisschen mehr passiert war, als dass Sousuke eine Tür zerstört und einen anderen ohnmächtig geschlagen hatte.
 

„Es ist aber schon übertrieben, dass sie ihn dann gleich ins 3. Stockwerk bringen, immerhin geht’s dem Typ doch gut, oder?“, bemerkte Kisumi, der nicht ganz begriffen hatte, dass Rin ihnen nicht alles gebeichtet hatte.
 

„Ich glaube schon…aber“, schluckte Rin seien Tränen herunter und versuchte sich zusammen zu reißen. „Sousuke hat ihn eben ein paar Mal auf den Tisch geschlagen und ihm fehlen auch ein paar Zähne…“
 

Dabei musste er sofort wieder an die Blutlache auf dem gekachelten Boden denken, sodass sich sein Magen zusammenzog.
 

„Oh…das ist natürlich was anderes“, nickte Kisumi, fasziniert von den Taten, zu denen Sousuke fähig war.
 

Nach einem Moment der Stillen Bewunderung, sah er sich Rin genauer an und stellte fest, dass irgendetwas nicht mit diese stimmte. Während Chigusa schon lange aufgefallen war, dass der Rothaarige kurz vorm Heulen stand, benötigte ihr bester Freund ein wenig Zeit dazu, zu dieser Erkenntnis zu gelangen und endlich den Mund zu halten.
 

„Nicht traurig sein…er kommt doch bald wieder“, wusste sich der Rosahaarige nicht ganz so gut zu helfen, denn ihm fiel es unglaublich schwer, mit derartigen Emotionen von anderen Menschen umzugehen.
 

Als er sich daran entsinnt, was er getan hatte, wenn sein kleiner Bruder, streckte Kisumi seine Hand aus und fuhr Rin mit der Innenseite seiner Handfläche über die Wange. Dabei lächelte er ihn so mitfühlend wie möglich an und versuchte davon abzukommen, sich die Szene, die sich am Vortag in 215 abgespielt hatte, bildlich vorzustellen.

Rin blinzelte ihn daraufhin überrascht an, genoss aber die Wärme des anderen, sodass er kurz die Augen schloss und um Fassung rang.

Chigusa betrachtete diese Szene skeptisch, entschloss sich aber die beiden einfach mal machen zu lassen. Solange Kisumi auf keine dummen Ideen kam, würde sie nicht einschreiten.
 

Rin zu trösten war allerdings auch ihre Aufgabe, sodass sie nun verlauten ließ: „Du musst dir keine Sorgen machen. Sousuke wurde schon öfter mal mit nach oben genommen…meistens nur für ein, zwei Tage oder so.“
 

„Genau! Es wird alles wieder gut“, bestätigte Kisumi und lächelte nun ein wenig mehr und ein wenig ehrlicher.
 

„Danke“, brachte Rin gerade noch so über die Lippen, bevor er doch in Tränen ausbrach.
 

Kisumi reagierte darauf ziemlich schnell, denn er kannte das noch von Hayato, der auch oft geweint hatte. So zog er den Kleineren schnell zu sich und nahm ihn in den Arm, streichelte ihm über den Rücken und schenkte ihm somit den Schutz vor der Blöße, weinend auf dem Bett zu sitzen, während ihn zwei andere anstarrten.

Chigusa musste trotz der Tragik dieser Geschichte leicht lächeln, da sie es als Fortschritt ihres besten Freundes erkannte, dass er sich um die Gefühle anderer Menschen Gedanken machte und ihnen einen Ansatz Empathie entgegenbrachte.
 

„Sousuke kommt bald wieder zu dir zurück, da bin ich mir sicher“, flüsterte Kisumi mit angenehmer Stimme, während er Rin streichelte, der sich zitternd an ihn klammerte.
 

Auf diese Worte hin beruhigte sich der Kleinere tatsächlich etwas, sodass auch bald die Tränen abebbten und er tief durchatmen konnte. Peinlich war es ihm nach wie vor, vor den anderen geweint zu haben, doch da Kisumi ihm Verständnis entgegenbrachte und Chigusa auch nicht aussah, als würde sie das stören, fiele s ihm leichter damit umzugehen.
 

„Wie hat sich das alles eigentlich zwischen euch entwickelt?“, wollte Kisumi mit seinem nun wieder üblichen Grinsen wissen. „Wie weit seit ihr gekommen~?“
 

„Shigi!“, ermahnte Chigusa ihn daraufhin, da sie es nicht fassen konnte, dass der andere schon wieder an sowas dachte.
 

Angesichts der Situation hätte man ein wenig mehr Feingefühl von ihm abverlangen können, doch andererseits war es Kisumi, bei dem sie es besser wissen musste. Genau wie Ernsthaftigkeit war dies eine Eigenschaft, an der es ihm mangelte, sodass man nichts anderes von ihm erwarten konnte, als dass er die für ihn relevanten Fragen stellte.
 

„Schon okay“, schüttelte Rin zaghaft den Kopf, der ganz früh über die Ablenkung in Form eines anderen Themas war. „Wir haben uns gestern irgendwie danach geküsst…“
 

„Uh~ Erzähl mehr! Wie war es?“, hibbelte Kisumi nun auf seinem Bett herum und schnappte sich Rins Hände. „War er gut?“
 

„Ja…schon…es hat sich schön angefühlt“, war der Kleinere etwas überfordert von der plötzlichen Begeisterung des anderen, zumal er nicht verstand, was es zu einem Kuss groß zu sagen gab.
 

„Und weiter?“, hakte der Größere nun nach, schon ganz gespannt auf weitere Ausführungen, da er von sich ausging, also davon, dass gleich etwas mehr gelaufen war.
 

„Nichts weiter“, entgegnete Rin perplex, bevor ihm klar wurde, worauf der andere hinaus wollte. „Wir haben uns nur geküsst, sonst nichts!“
 

„Oh Shigi…du darfst nicht immer von dir ausgehen“, konnte Chigusa nicht fassen, dass Kisumi Rin gerade wirklich gefragt hatte, wie der Sex mit Sousuke gewesen war – zumal man diese Frage generell nicht stellen sollte, egal in welcher Situation.
 

„Hätte ja sein können“, ließ Kisumi Rins Hände wieder los und zuckte mit den Schultern.
 

„Aber auf jeden Fall freu ich mich, dass du ihn soweit bekommen hast“, wandte er sich dann wieder an den Rothaarigen, welcher eifrig nickte.
 

Sie alle wussten wohl, dass sich Sousuke mit menschlichen Interaktionen schwer tat, auch wenn dies unausgesprochen blieb. Der Größere war wirklich ein sehr spezielles Individuum, den seine Vergangenheit wohl am meisten von ihnen beeinträchtigte. Wie genau diese aussah, konnte sich keiner vorstellen, da er sie geheim hielt. Wie einen Schatz, der so wertvoll, aber auch so grausam war, dass ihn kein Mensch zu Gesicht bekommen sollte.

Die Konsequenzen

Wie es sich anfühlte mit einem Mörder im Bett zu liegen?

Ziemlich gut, wenn man Rin fragte, welcher am Samstagmorgen sanft von den ersten Sonnenstrahlen geweckt wurde. Noch immer nah bei Sousuke liegend, von dessen einem Arm umschlungen, räkelte sich der Rothaarige leicht. Behaglich fühlte er sich in der Nähe des Größeren, der ausnahmsweise länger als er schlief. Der Vortag hatte ihn wohl auch sehr mitgenommen.

Apropos, dieses Thema weckte nicht nur Rins Körper, sondern auch seine Erinnerungen daran, welch grausame Szene sich vor nicht allzu vielen Stunden vor seinen Augen abgespielt hatte.

Ein Pfleger namens Ryan Kendall hatte sich an ihm vergreifen wollen und ihm auch das Oberteil mehr vom Leib gerissen als ausgezogen, ihn berührt, bevor Sousuke die Tür des Behandlungszimmers aufgebrochen und ihn gerettet hatte. Die Art und Weise, [style type="italic"]wie[/style] dieser das getan hatte, ließ Rin erschaudern.

Dass der Mann, der neben ihm lag und ihn so sanft behandelte, zu solch einer Brutalität fähig war, sodass er den Pfleger mit dem Kopf voran mehrmals auf die Tischplatte geschlagen hatte, konnte Rin nicht glauben, auch wenn er dies miterlebt hatte. So unwirklich erschien ihm die Persönlichkeit in Sousuke, die zu diesen Taten fähig war und so gar nicht zu dessen gewöhnlichem Selbst passen wollte.

Mit den Erinnerungen, die über Rin hereinbrachen, kam auch die Sorge auf, welche Konsequenzen die Aktion für sie beide haben würde. Man würde Ryan früher oder später sicher finden, wenn dieser sich nicht bereits selbstständig Hilfe geholt hatte. In dem Zustand, in dem sie diesen zurückgelassen hatte, konnte man sich das aber eher schlecht vorstellen. Immerhin waren dem Mann Zähne aus- und er bewusstlos geschlagen worden…

Den Schlafenden betrachtend, musste Rin wieder an den Patienten denken, an dem man eine transorbitale Lobotomie durchgeführt hatte und auch daran, dass Sousuke keine Familie, oder sonst jemanden außerhalb dieser Mauern, hatte, der ihn vermissen würde. Der bloße Gedanke daran, man könnte bei dem Größeren eine solche Methode anwenden, ließ Rin erschaudern.

Beim besten Willen konnte er nicht mehr ruhig liegen bleiben und setzte sich somit im Bett auf, wodurch Sousukes Arm von ihm rutschte und dieser davon geweckt wurde.
 

„Rin…?“, murmelte der Dunkelhaarige verschlafen.
 

„Hab ich dich geweckt?“, blickte Rin nach unten zu Sousuke, der ihn anblinzelte. „Du kannst noch ein bisschen weiterschlafen…“
 

Sich nicht nur deswegen schuldig fühlend, weil er den Größeren geweckt hatte, sondern auch weil er diesem so viele Probleme bereitete, beugte sich Rin zu diesem nach unten und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.

Diese Geste hatte er zuvor noch bei keinem vollführt, weswegen er dabei auch etwas nervös war, zumal Sousuke nun zu ihm rückte und seinen Kopf an Rins Beine legte, dessen Nähe genießend. Der Rothaarige seufzte leise, ehe er begann dem ungewohnt Zutraulichen durchs Haar zu streichen.

Auch wenn sie noch nicht offiziell zusammen waren, hatte Rin schon die Vorahnung, dass eine feste Beziehung mit Sousuke eine gute Idee war. Dieser wies deutliche Zeichen der Veränderung in seinem Verhalten auf, je näher sie sich kamen und wenn Rin dem anderen helfen konnte, wollte er das gerne tun. Für ihn sprang dabei immerhin auch einiges heraus…

Mit seinem Traummann zusammen sein zu können, in den er sich inzwischen auch richtig verliebt hatte, hätte er sich vor ein paar Monaten noch nicht vorstellen können.

Vor einem halben Jahr war Rin auch noch durch die Schwulenclubs Japans getingelt, immer auf der Suche nach ein wenig Spaß und Ablenkung vom Alltagsleben, in er nicht ganz er selbst sein konnte. Einen Freund hatte er auch damals haben wollen, doch die Angst vor den Konsequenzen und die Tatsache, dass ihm einfach niemand gut genug erschienen war, hatten dem vorgebeugt.
 

Sousuke war wieder eingedöst, verzaubert vom angenehmen Streicheln Rins, der sich nicht vorstellen konnte, jetzt noch selenruhig schlafen zu können. Immerhin konnte jeden Moment jemand vom Personal ins Zimmer stürmen und sie zu den Ereignissen in 215 befragen, oder schlimmer.

Angespannt hielt Rin in seiner Bewegung inne, sodass seine Hand an Sousukes Schläfe zur Ruhe kam. Er wollte diesen nicht verlieren…niemals. Auch wenn sie sich nicht lange kannten und erst zwei Mal geküsst hatten, wusste er das einfach.

Wenn Rin eins in diesen fünf Monaten gelernt hatte, dann mehr auf sein Bauchgefühl und seine Instinkte zu hören und niemandem zu vertrauen und niemanden vorschnell zu verurteilen.

Sein Verstand hatte ihm gesagt, dass Kisumi ein schlechter Mensch war, der anderen Leid zufügte, doch sein Gefühl und Chigusa vermittelten ihm, dass dieser nichts Böses wollte, auch wenn er sehr eigen und aufdringlich war.

Mit Sousuke verhielt es sich ähnlich: Dessen Äußeres konnte einen zurückweichen lassen, erst recht wenn man dessen Hintergrundgeschichte kannte, doch wenn man sich mit ihm auseinandersetzte lernte man schnell, dass der Große einfach nur sozial ungeschickt und im Grunde ein sanftmütiger Mensch war, dem sehr schlimme Dinge widerfahren und angetan worden waren.

Außerdem sollte man sich nicht in falscher Sicherheit von einem gepflegten, lächelnden Arzt wiegen lassen, der einen bei jeder Gelegenheit an einen Stuhl festband und einem suggerierte, man wäre krank und er würde einem nur helfen wollen.
 


 

Eine viertel Stunde später, in der Rin einfach nur auf dem Bett gesessen, Sousuke gestreichelt und nachgedacht hatte, musste er den Größeren - so leid es ihm auch tat - wecken. Immerhin würde es bald Frühstück geben und sie mussten sich noch fertig machen.

Rin sah davon ab, duschen zu gehen, weil er das am Abend zuvor zwangsläufig erledigt hatte, doch Sousuke stieg nach dem Zähne putzen unter den Wasserstrahl.
 

„Wie oft rasierst du dich eigentlich?“, wollte der Rothaarige neugierig wissen, da er zuvor beobachtet hatte, wie der Dunkelhaarige seinen Bartansatz gestutzt hatte.
 

„Alle paar Tage…meistens jeden zweiten“, entgegnete Sousuke, noch immer ein wenig müde, als er seine Decke und sein Kissen zurück in sein Bett brachte, um möglichen Komplikationen im Vorfeld vorzubeugen. Es wäre nicht auszumalen, wie man sie behandeln würde, wenn herauskam, dass sie in einem Bett schliefen – auch wenn dabei nichts ‚Unanständiges‘ geschehen war.
 

Da kam wieder seine morgendliche schlechte Laune durch, die er zu unterdrücken versuchte. Am Wochenende schaffte er das meistens nicht und bevor Rin zu ihm gezogen war, war das auch nicht von Nöten gewesen. Damals hatte Kisumi dann einfach alles abbekommen, so wie heute auch noch des Öfteren.
 

„Krass“, staunte Rin nicht schlecht. „Mir wächst nicht mal wirklich ein Bart.“
 

„Ist doch nicht schlimm“, gähnte Sousuke, als er sich eine petrolfarbene Jacke überzog.
 

„Hm, stimmt. So hab ich wenigstens damit keine Arbeit“, stimmte der Kleinere zu, welcher nach wie vor auf Kriegsfuß mit seiner Körperbehaarung stand.
 

Außerdem konnte er sich vorstellen, dass der Größere es auch besser fand, wenn sein (zukünftiger) Partner keinen Bart hatte. Auch wenn dieser es nicht offen verlauten lassen hatte, war sich Rin sicher, dass Sousuke eigentlich auf Frauen stand. Warum genau er trotzdem erwählt worden war, war hm ein Rätsel, zumal Sousuke es eindeutig genossen hatte, als sie sich geküsst hatten.

An diesem Morgen schien jedoch alles relativ normal zwischen ihnen zu sein, wenn man davon absah, dass sie in einem Bett geschlafen hatten.

Rin war sich nicht mal mehr ganz sicher, ob er den Kuss nur geträumt hatte, denn Sousuke ließ sich nicht davon anmerken, dass etwas mehr zwischen ihnen passiert war.

Vielleicht wollte dieser das auch gar nicht und war nun der Meinung, das war ein Fehler gewesen und dass sie alles beim Alten belassen sollten?

Diese verdammten Zweifel konnten einen zerfressen, vor allem wenn man so unsicher wie Rin war, der sich über alles den Kopf zerbrach.

Die viel wahrscheinlichere Erklärung für Sousukes Verhalten war, dass dieser schlicht und ergreifend ein Morgenmuffel war und auch nicht ganz wusste, wie man sich nach seinem ersten Kuss zu verhalten hatte, geschweige denn wie man eine Beziehung in die Wege leitete.
 


 

Als sie aus der Tür in den weißen Flur traten und sich gerade nach rechts auf den Weg zu den Aufzügen machen wollten, bogen drei Männer um die linke Ecke, von denen einer Dr. Masefield war.
 

„Stop right there“, hörte Rin nur die Worte, welche ihm das Herz in die Hose rutschen ließen.
 

Sousuke und er drehten sich nach der Stimme um, die hinter ihnen erklungen war, begleitet vom Geräusch der Schritte mehrerer Menschen, welches nun verstummte. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten…
 

„I’m afraid you will have to come with us, Rin“, schüttelte der Arzt den Kopf und sah irgendwie enttäuscht aus.
 

Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, sowie die anderen beiden Männer bedrohlich wirkten, da sie grimmig dreinschauten und auf ein Kommando zu warten schienen.

Sousuke stand diesen in nichts nach und spannte sich nun auch an. Selbst wenn Rin nicht zu diesem blickte, konnte er dessen Aura wahrnehmen. Dass dieser in Alarmbereitschaft war, konnte er gut nachempfinden, denn Rin selbst ging es nicht viel besser, auch wenn er eher nervös und verängstig, als angriffslustig war.
 

„You know what happened last night…we would like to hear what you have to say to that…’accident’“, wurde Dr. Masefield nun eindringlicher. „And if you’re not willing to do so, we will have to [style type="italic"]make[/style] you speak.”
 

„It’s not my fault!”, verteidigte sich der Rothaarige nun und wollte schon sagen, was Ryan vorgehabt hatte ihm anzutun, doch Sousuke schaltete sich in dem Moment dazwischen.
 

„It’s my fault. I did all of this“, sah der Dunkelhaarige den Arzt mit stechendem Blick an, auch wenn er seine Schwierigkeiten hatte, diesem auf Englisch zu antworten. „Take me with you. He’s got nothing to do with it.”
 

„Is it clear to you what this means? You realize the consequenzes of your confession?”, schlich sich das Lächeln auf Dr. Masefield leicht faltiges Gesicht zurück.
 

Sousuke nickte daraufhin nur, sah Rin mit einem vielsagenden Blick an und schritt auf die anderen drei Männer zu. Der Kleinere hatte ihn noch aufhalten wollen, doch dessen Blick bedeutete ihm, dass er alles im Griff hatte und wusste, worauf er sich einließ.

Trotzdem war Rin ganz und gar nicht damit einverstanden, dass Sousuke alle Schuld auf sich nahm, auch wenn er derjenige gewesen war, der die Tür aufgebrochen und den Pfleger bewusstlos geschlagen hatte. Er hatte ihm ja nur geholfen…

Wenn überhaupt, dann war das alles Ryan Schuld, welcher ihn belästigt und genötigt hatte.
 

„Well then now, Rin, you’re free to go“, nickte die Weißrobe dem Rothaarigen zu, der mit ansehen musste, wie Sousuke von en Männern an den Armen gepackt und wie ein Schwerverbrecher abgeführt wurde.
 

Unfähig zu antworten, blieb Rin wie angewurzelt an Ort und Stelle stehen. Die Gedanken an mögliche Folgen und der Ausgang dieser Situation brachen über ihn herein, sodass er absolut unfähig war, irgendetwas dagegen zu tun, dass man Sousuke mitnahm.

Selbst wenn, was hätte er schon gegen die drei Männer ausrichten können?

Wenn er sich nun wehrte und einschritt, würde dessen Opfer um sonst sein. Zumal besaß Rin auch nicht den Mut dazu, sich gegen das Personal aufzulehnen. Das schlechte Gewissen wegen seiner Feigheit und die Zweifel über die Ungewissheit, was mit seinem Freund geschehen würde, plagten ihn jetzt schon.

Was würde man Sousuke antun?

Würden sie ihn in einem Stück wieder zurück bringen?

War er danach noch der Selbe?
 

Erst als die drei Männer schon längst mit Sousuke verschwunden waren, konnte Rin sich rühren. Vollkommen appetitlos, machte er sich auf den Weg zum Frühstück, wobei er mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte. Diese Aktion geschah mehr aus Automatismus und Hilflosigkeit, als aus freiem Willen.

Irgendetwas musste er schließlich tun…
 

Chigusa und Kisumi erwartet ihn – und natürlich auch Sousuke – schon an ihrem angestammten Platz. Rin hatte sich nicht viel auf sein Tablett geladen und nahm seine Freunde auch kaum war, da er auf das Brötchen starrte, das unberührt vor ihm lag.
 

„Hey, was ist denn los? Wo hast du Sousuke gelassen?“, wollte Kisumi wissen, nachdem der Kleinere ihm erneut nicht  geantwortet hatte.
 

Chigusa hatte im Gegensatz zu ihrem besten Freund bereits eine Vorahnung, dass etwas nicht stimmte. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass Sousuke nicht anzutreffen war. Welchen Grund dessen Abwesenheit diesmal hatte, musste jedoch erst ermittelt werden.
 

„Ist etwas geschehen?“, wandte sich die Brünette nun auch an Rin, welcher total bedrückt aussah, also musste es etwas Ernstes sein.
 

Sie legte dem Rothaarigen eine Hand an den Arm, um ihm zu signalisieren, dass er ihnen alles anvertrauen konnte. Schließlich saßen sie im selben Boot und mussten zusammenhalten, zumal die vier trotz der ungewöhnlichen Umstände ihres Zusammentreffens gute Freunde geworden waren. Die Not verband Menschen und Rin war mehr als froh darüber, dass er jemanden hatte, an den er sich wenden konnte.

Der Rothaarige blickte auf, als er die Berührung am Arm spürte, die natürlich keine Schmerzen auslöste, da Chigusa weiblich war, und hatte mit sich selbst zu kämpfen. Seine Lippen bebten und er wollte nicht in der Öffentlichkeit weinen, sodass er seine Tränen herunterschluckte, ehe er zu erklären versuchte, was geschehen war.
 

„…sie haben Sousuke mitgekommen. Ich weiß nicht wohin, oder was sie mit ihm machen werden…es ist meine Schuld“, kam es Rin nur schwer über die Lippen, wobei er Chigusa nicht ansehen konnte und den Blick abwandte, um nicht loszuheulen.
 

Diese sah ihn überrascht an, Besorgnis spiegelte sich in ihren Augen wider. Kisumi stoppte ebenfalls zu essen und sah Rin mit weit aufgerissenen Augen an, bevor er versuchte, mehr aus diesem herauszubekommen.
 

Chigusa hielt ihn jedoch davon ab, indem sie sagte: „Nicht hier! Das erweckt zu viel Aufsehen…wenn, dann besprechen wir das auf einem unserer Zimmer.“
 

Der ernste Blick, den sie ihm dabei zuwarf, deutete darauf hin, dass dieser Vorschlag mehr ein Befehl war, den er auch befolgen würde. Kisumi befolgte schon beinahe zwanghaft nur seine eigenen Regeln, sodass seine beste Freundin alle Mühe damit gehabt hatte, ihm Gehorsam beizubringen. Da sie sich aber sehr nahe standen und der Größere auf ihr Urteil und ihre Einschätzung vertraute, fiel es ihm leichter sich zu fügen. Außerdem mochte er Chigusa sehr gerne und dass Zuneigung und der daraus resultierende Respekt bei der Befolgung von Befehlen eine wichtige Rolle spielte, dürfte allgemein bekannt sein.
 

„Na schön…dann gehen wir aber gleich nach dem Essen in mein Zimmer“, seufzte Kisumi, schon neugierig darauf zu erfahren, was mit seinem großen Miesepeter geschehen war.
 

Von der Neugier ab, keimte in ihm auch so etwas wie Sorge um Sousuke auf. Auch wenn es ihm schwer fiel, diese Gefühle zuzulassen, konnte der Rosahaarige nicht leugnen, dass der andere ihm wichtig geworden war.

Die anderen beiden stimmten ihm zu und da sie alle sowieso nicht mehr viel Hunger hatten, verweilten sie keine fünf Minuten mehr in der Mensa.

Nachdem Rin beim Frühstück so gut wie nichts gegessen hatte und der Umfang der Kost der anderen beiden auch eher spärlich ausgefallen war, fuhren sie mit dem Aufzug in die 2. Etage zurück, in dem sich ihre Zimmer befanden. Kisumis lag auf der linken Seite neben dem Treppenhaus und trug die Nummerierung ‚203‘. Chigusas war ganz in der Nähe und auch schneller zu erreichen, doch sie ließ nicht gerne jemanden in ihr Reich ein, weswegen sie ganz froh war, dass Kisumi seines angeboten hatte. Dass Rin momentan nicht unbedingt in 207 zurück wollte, konnte man auch verstehen.
 

„Also, was ist passiert?“, ließ sich Kisumi auf seinem Bett nieder und bedeutete Rin, dass er sich neben ihn setzen sollte.
 

Chigusa nahm auf dem Stuhl Platz, der am Tisch direkt am Fenster stand. Auch wenn die beiden ihre Freunde waren, hatte sie trotzdem ein Problem damit, Männern so nahe zu kommen und das auch noch auf einem Bett.
 

„Jetzt lass ihn sich doch erstmal sammeln“, bremste Chigusa ihren besten Freund ein wenig aus, da Rin ziemlich fertig aussah.
 

„Schon okay…“, atmete der Rothaarige tief ein und versuchte dann die jüngsten Ereignisse so gut es ging wiederzugeben. „Gestern nach meiner Therapie hätte mich ein Pfleger untersuchen sollen, aber er…ist ein bisschen zu weit gegangen. Wie genau Sousuke es geschafft hat, so schnell zu mir zu kommen und die Tür aufzubrechen, hab ich keine Ahnung…“
 

„Moment: Was hat der Typ mit dir gemacht und wie um alles in der Welt kann man hier eine Tür eintreten? Sou-chan, ist stark, schon klar, aber dass…“, wollte Kisumi, der wirklich sehr neugierig lauschte, unbedingt wissen.
 

„Ich weiß auch nicht, wie er das gemacht hat, aber…der Typ hat mich versucht auszuziehen und so“, war der Kleinere nicht fähig, die Erinnerungen an den Vortag weiter auszuführen, dazu sah der Schreck noch viel zu tief.
 

„Oh Scheiße…“, flüsterte Chigusa nur leise, da sie nur zu gut wusste, wie man sich in einer derartigen Lage fühlte und dass es lange brauchen konnte, bis man bereit war darüber zu sprechen – auch wenn es bei Rin nicht so aussah, dass ihm viel angetan worden war.
 

„Und als Sousuke dann reinkam, hat er den Typ von mir weggezogen und ihn…bewusstlos geschlagen“, ging Rin nicht so sehr ins Details, weil er erstens befürchtete, dass ihm dann wieder schlecht werden würde und zweitens, weil er Chigusa diese Bilder ersparen wollte.
 

„Hat man ihn dann deswegen mitgenommen?“, schlussfolgerte Kisumi, wofür er sich ein Augenrollen von Chigusa einfing.
 

„Ja, sie haben ihn heute Morgen vorm Frühstück mitgenommen“, bestätigte der Rothaarige. „Eigentlich wollten sie mich, aber er hat alle Schuld auf sich genommen.“
 

Bei diesen Worten verkrampfte sich Rin und krallte die Finger in den Stoff seiner Hose. Seine Lippen bebten wieder und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Noch wollte er aber nicht wieder zu weinen anfangen, nicht jetzt. Er wollte nicht schwach und verletzlich, wie ein Feigling, vor seinen Freunden weinen.
 

„Oh man…“, gab Chigusa mitleidig von sich und konnte sich vorstellen, dass noch ein bisschen mehr passiert war, als dass Sousuke eine Tür zerstört und einen anderen ohnmächtig geschlagen hatte.
 

„Es ist aber schon übertrieben, dass sie ihn dann gleich ins 3. Stockwerk bringen, immerhin geht’s dem Typ doch gut, oder?“, bemerkte Kisumi, der nicht ganz begriffen hatte, dass Rin ihnen nicht alles gebeichtet hatte.
 

„Ich glaube schon…aber“, schluckte Rin seien Tränen herunter und versuchte sich zusammen zu reißen. „Sousuke hat ihn eben ein paar Mal auf den Tisch geschlagen und ihm fehlen auch ein paar Zähne…“
 

Dabei musste er sofort wieder an die Blutlache auf dem gekachelten Boden denken, sodass sich sein Magen zusammenzog.
 

„Oh…das ist natürlich was anderes“, nickte Kisumi, fasziniert von den Taten, zu denen Sousuke fähig war.
 

Nach einem Moment der Stillen Bewunderung, sah er sich Rin genauer an und stellte fest, dass irgendetwas nicht mit diese stimmte. Während Chigusa schon lange aufgefallen war, dass der Rothaarige kurz vorm Heulen stand, benötigte ihr bester Freund ein wenig Zeit dazu, zu dieser Erkenntnis zu gelangen und endlich den Mund zu halten.
 

„Nicht traurig sein…er kommt doch bald wieder“, wusste sich der Rosahaarige nicht ganz so gut zu helfen, denn ihm fiel es unglaublich schwer, mit derartigen Emotionen von anderen Menschen umzugehen.
 

Als er sich daran entsinnt, was er getan hatte, wenn sein kleiner Bruder, streckte Kisumi seine Hand aus und fuhr Rin mit der Innenseite seiner Handfläche über die Wange. Dabei lächelte er ihn so mitfühlend wie möglich an und versuchte davon abzukommen, sich die Szene, die sich am Vortag in 215 abgespielt hatte, bildlich vorzustellen.

Rin blinzelte ihn daraufhin überrascht an, genoss aber die Wärme des anderen, sodass er kurz die Augen schloss und um Fassung rang.

Chigusa betrachtete diese Szene skeptisch, entschloss sich aber die beiden einfach mal machen zu lassen. Solange Kisumi auf keine dummen Ideen kam, würde sie nicht einschreiten.
 

Rin zu trösten war allerdings auch ihre Aufgabe, sodass sie nun verlauten ließ: „Du musst dir keine Sorgen machen. Sousuke wurde schon öfter mal mit nach oben genommen…meistens nur für ein, zwei Tage oder so.“
 

„Genau! Es wird alles wieder gut“, bestätigte Kisumi und lächelte nun ein wenig mehr und ein wenig ehrlicher.
 

„Danke“, brachte Rin gerade noch so über die Lippen, bevor er doch in Tränen ausbrach.
 

Kisumi reagierte darauf ziemlich schnell, denn er kannte das noch von Hayato, der auch oft geweint hatte. So zog er den Kleineren schnell zu sich und nahm ihn in den Arm, streichelte ihm über den Rücken und schenkte ihm somit den Schutz vor der Blöße, weinend auf dem Bett zu sitzen, während ihn zwei andere anstarrten.

Chigusa musste trotz der Tragik dieser Geschichte leicht lächeln, da sie es als Fortschritt ihres besten Freundes erkannte, dass er sich um die Gefühle anderer Menschen Gedanken machte und ihnen einen Ansatz Empathie entgegenbrachte.
 

„Sousuke kommt bald wieder zu dir zurück, da bin ich mir sicher“, flüsterte Kisumi mit angenehmer Stimme, während er Rin streichelte, der sich zitternd an ihn klammerte.
 

Auf diese Worte hin beruhigte sich der Kleinere tatsächlich etwas, sodass auch bald die Tränen abebbten und er tief durchatmen konnte. Peinlich war es ihm nach wie vor, vor den anderen geweint zu haben, doch da Kisumi ihm Verständnis entgegenbrachte und Chigusa auch nicht aussah, als würde sie das stören, fiele s ihm leichter damit umzugehen.
 

„Wie hat sich das alles eigentlich zwischen euch entwickelt?“, wollte Kisumi mit seinem nun wieder üblichen Grinsen wissen. „Wie weit seit ihr gekommen~?“
 

„Shigi!“, ermahnte Chigusa ihn daraufhin, da sie es nicht fassen konnte, dass der andere schon wieder an [style type="italic"]sowas[/style] dachte.
 

Angesichts der Situation hätte man ein wenig mehr Feingefühl von ihm abverlangen können, doch andererseits war es Kisumi, bei dem sie es besser wissen musste. Genau wie Ernsthaftigkeit war dies eine Eigenschaft, an der es ihm mangelte, sodass man nichts anderes von ihm erwarten konnte, als dass er die für ihn relevanten Fragen stellte.
 

„Schon okay“, schüttelte Rin zaghaft den Kopf, der ganz früh über die Ablenkung in Form eines anderen Themas war. „Wir haben uns gestern irgendwie danach geküsst…“
 

„Uh~ Erzähl mehr! Wie war es?“, hibbelte Kisumi nun auf seinem Bett herum und schnappte sich Rins Hände. „War er gut?“
 

„Ja…schon…es hat sich schön angefühlt“, war der Kleinere etwas überfordert von der plötzlichen Begeisterung des anderen, zumal er nicht verstand, was es zu einem Kuss groß zu sagen gab.
 

„Und weiter?“, hakte der Größere nun nach, schon ganz gespannt auf weitere Ausführungen, da er von sich ausging, also davon, dass gleich etwas mehr gelaufen war.
 

„Nichts weiter“, entgegnete Rin perplex, bevor ihm klar wurde, worauf der andere hinaus wollte. „Wir haben uns nur geküsst, sonst nichts!“
 

„Oh Shigi…du darfst nicht immer von dir ausgehen“, konnte Chigusa nicht fassen, dass Kisumi Rin gerade wirklich gefragt hatte, wie der Sex mit Sousuke gewesen war – zumal man diese Frage generell nicht stellen sollte, egal in welcher Situation.
 

„Hätte ja sein können“, ließ Kisumi Rins Hände wieder los und zuckte mit den Schultern.
 

„Aber auf jeden Fall freu ich mich, dass du ihn soweit bekommen hast“, wandte er sich dann wieder an den Rothaarigen, welcher eifrig nickte.
 

Sie alle wussten wohl, dass sich Sousuke mit menschlichen Interaktionen schwer tat, auch wenn dies unausgesprochen blieb. Der Größere war wirklich ein sehr spezielles Individuum, den seine Vergangenheit wohl am meisten von ihnen beeinträchtigte. Wie genau diese aussah, konnte sich keiner vorstellen, da er sie geheim hielt. Wie einen Schatz, der so wertvoll, aber auch so grausam war, dass ihn kein Mensch zu Gesicht bekommen sollte.

Allein

Der restliche Samstag gestaltete sich für Rin als ein einziges Desaster, da er andauernd an Sousuke denken musste und welche schlimmen Dinge ihn in jedem Moment angetan werden konnten. Kisumi und Chigusa taten ihr Bestes, um ihn abzulenken, doch so lieb sie es auch meinten, ganz funktionierte es nicht.

Am Abend lag Rin zum ersten Mal alleine in dem Zimmer, das Sousuke und er seit fünf Monaten gemeinsam bewohnten. Dieses kam ihm gerade so groß und leer vor und auch sein Bett wirkte fremd. Es fehlte einfach etwas…jemand.

Nachdem sich der Rothaarige zwei Stunden lang hin- und hergewälzt hatte, hielt er es nicht mehr aus und setzte sich auf. Irgendwie musste er zur Ruhe kommen, doch Sousukes Abwesenheit ließ ihn aus verschiedenen Gründen nicht schlafen.

Zum einen war da die Sorge um dessen Aufenthalt und Zustand, zum anderen das Fehlen seiner Präsenz.

Aus einem Instinkt heraus, stand Rin nun auf und ging zu Sousukes Bett auf der anderen Seite des Zimmers. Bisher hatte er erst ein paar Mal drauf gesessen und erst recht nicht darin gelegen, weil der Größere seine Privatsphäre brauchte, was Rin berücksichtigte. Jedoch konnte er in diesem Moment einfach nicht anders, als unter die Decke zu schlüpfen, sich das Kissen zu schnappen, an seinen Körper zu pressen und sich einzukugeln.

Umgeben von Sousukes Geruch, beruhigte sich Rin tatsächlich ein wenig, da er nun zumindest nicht mehr das Gefühl hatte, alleine im Raum zu sein. Der wärmende Stoff um seinen Körper lullte ihn ein, sodass er wenig später einschlief, vollkommen am Ende mit seinen Kräften.
 

Seine Morgenroutine am Sonntag vollbrachte Rin in höchster Eile, da er verschlafen hatte. Sousukes Fehlen machte sich jetzt schon bemerkbar, da dieser ihn immer geweckt hatte.

Der Rothaarige begann den Tag in der Hoffnung, den Größeren bald wieder zu sehen, da Chigusa immerhin gemeint hatte, sie würden ihn nicht lange im oberen Stockwerk behalten. Anscheinend wurden auffällige Patienten in die Etagen 3 und 4 verlegt, sobald sie ein Vergehen begingen. Man stellte sie dort wieder ruhig und wägte ab, ob sie zurückverlegt werden könnten.

Diese Informationen hatte Rin eines Tages von Chigusa erhalten, als sie ihn über einige Begebenheit in der Klinik aufgeklärt hatte.

Außerdem durften die Insassen der 3. Etage ebenfalls in den Aufenthaltsraum, sodass der Rothaarige dem Nachmittag schon entgegen sehnte. Großen Appetit hatte er beim Frühstück und auch beim Mittagessen aber immer noch nicht, da das flaue Gefühl in seiner Magengegen nicht verschwinden wollte. Zumal schlug sein Herz meist schnell, sodass er ein beklemmendes Gefühl in der Brust hatte.

Genau so fühlte Rin sich auch, wenn er an sein Zuhause, seine Familie dachte; es war der Schmerz, eine geliebte Person zu vermissen und sich über deren Befinden im Unklaren zu sein.
 

Als sie Sousuke auch am späten Nachmittag noch nicht zu Gesicht bekamen, begannen Kisumi und vor allem Chigusa sich Sorgen zu machen. Bisher hatten sie den Dunkelhaarigen auch während seiner Aufenthalte im 3. Stockwerk zumindest noch im 6. angetroffen, wenn für das Stockwerk für auffällige Patienten auch andere Essenszeiten galten.

Chigusa hoffte nur, dass Sousuke diesmal nicht noch weiter nach oben verlegt worden war, denn wer einmal im 4. saß, kam dort so schnell nicht wieder heraus.

Rin gegenüber wollte sie diese Befürchtung allerdings nicht äußern, da dessen Zustand ohnehin schon labil war. Andererseits hatte er auch das Recht es zu erfahren…
 

„Die aus dem 3. kommen doch auch immer hierher, oder?“, sah sich Rin zum wiederholten Male im Aufenthaltsraum um. „Wo ist er dann?“
 

„Nun ja…es stimmt schon, dass die aus dem 3. Stockwerk auch herkommen dürfen, aber…nun ja, wenn sie ihn diesmal woanders hingebracht haben…“, begann Chigusa nun doch zögerlich mit ihrer Erklärung.
 

„Du meinst ins 4.? Och nö“, ertönte Kisumis wenig begeisterte Stimme. „Ich war da auch mal…ist echt nicht schön.“
 

„Danke für die Hilfe“, zischte die Brünette dem Größeren zu und stieß ihn in die Seite.
 

„Nei, sie haben ihn da bestimmt nicht hingebracht…er hat wahrscheinlich nur keine Lust rauszugehen, oder?“, versuchte sich Rin selbst einzureden, dass die Lage gar nicht so schlimm war, wie sie erschien, glaubte sich selbst allerdings nicht so ganz. „Er liest bestimmt nur und hat die Zeit vergessen…“
 


 

Auch in dieser Nacht bekam Rin sehr wenig Schlaf, da Sousukes Geruch langsam verfolgt und er Angst bekam, diesen nie wieder zu sehen. Nie wieder dessen Nähe, dessen Körper an seinem zu spüren, die starken Arme, die ihn schützend umschlangen, der berauschende Duft, der ihn in andere Sphären hob…

Leise weinte sich der Rothaarige in dieser Nacht in den Schlaf, von der schrecklichen Befürchtung immer wieder heimgesucht, man könnte Sousuke etwas antun, ihn nie wieder zu ihm lassen.

Von erneuten Heulkrämpfen erschöpft, hatte Rin keine Kraft mehr, seinen Geist fit zu halten, sodass er zwangsläufig in einen unruhigen, von Alpträumen geplagten Schlaf driftete.
 


 

Als die drei Jugendlichen am Montag in 501 saßen und Sousukes Erscheinen sehnlichst erwarteten, hatte Miho ihnen eine Mitteilung zu machen: „Wie ihr bestimmt wisst, wurde Sousuke dieses Wochenende ins 3. verlegt, das heißt, dass-“
 

„Das heißt, er sitzt nicht im 4.?“, unterbrach Kisumi sie mit einer gewissen Erleichterung in der Stimme, ehe er sich zu Rin drehte. „Siehst du, es wird alles wieder gut!“
 

„Nun, wenn Shigino-kun mich ausreden lassen würde, könnte ich euch jetzt auch mehr sagen“, stemmte Miss Amakata die Hände in die Hüften und besah ihren Schüler mit einem strengen Blick.
 

„‘Tschuldigung“, zwinkerte dieser daraufhin und ließ sie fortfahren.
 

„Wie es aussieht, werden sie ihn aus gewissen Gründen noch ein wenig dort behalten, aber er sollte Ende dieser Woche wieder an unserem Unterricht teilnehmen dürfen. Das wurde mir zumindest so gesagt“, informierte die Lehrerin nun.
 

Rin fiel ein Stein vom Herzen als er hörte, dass Sousuke wieder zurückkommen würde. Doch wie lange genau es noch dauern würde, bis er den Größeren wiedersehen würde, wurde ihm nicht gesagt. Hoffentlich war er danach noch der Selbe…
 


 

Während sich die anderen Teenager mit dem zweiten Weltkrieg und dessen globalen Auswirkungen auseinandersetzten, stand Sousuke angeschnallt an einer Metallwand in einem kaum beleuchteten Raum ohne Fenster. Man hatte ihn seines Shirts und seiner Schuhe entledigt, sodass sich die Kälte des Materials an seinem Rücken und die nicht viel wärmeren Kacheln sich von seinen Füßen aufwärts in seinem Körper ausbreitete. Viel zu essen bekommen hatte er seit seiner Verlegung auch nicht bekommen, schlafen ließ man ihn auch nicht viel, wozu er auf einer Liege festgeschnallt wurde.

Sonst war ihm noch nicht viel angetan worden, doch aus Erfahrung wusste Sousuke, dass dies nur die Vorbereitung auf kommende Qualen bilden sollte. Das Schlimmste an seiner misslichen Lage fand er, war dass er sich nicht großartig waschen, oder gar die Klamotten wechseln konnte. Sein Körper fühle sich grauenhaft und schmutzig an, obwohl er erst seit zwei Tagen dieser Bewegungslosigkeit ausgesetzt war. Die Stellen, die zu jucken begannen, konnte er auch nicht kratzen, da ihm durch die Arm und Fußfesseln so gut wie keine Bewegungsfreiheit vergönnt war.

Der mangelnde Schlaf und die mangelnde Nahrung zehrten zusätzlich an seinen Kräften, doch Schwäche gegenüber Dr. Kuznetsov zu zeigen, war das dümmste, das man tun konnte. Dieser betreute Sousuke jedes Mal, wenn er in diese Etage gesteckt wurde, ums ich zu beruhigen. Dass er gar nicht erst gewalttätig geworden wäre, hätte man ihn nicht provoziert, wurde natürlich von niemandem beachtet.

Wenn man Dr. Kuznetsov keinen Grund dazu gab, seine Überlegenheit demonstrieren zu müssen, war er ein relativ angenehmer Zeitgenosse – wenn man mal von den Fesseln absah. Mr. Masefield war eindeutig der Schlimmere, da dieser die Anordnungen gab und bestimmte, was mit Sousuke geschah. Oftmals lief es so ab, dass der englische Arzt dem russischen Befehle erteilte und dieser sie nur zu gerne ausführte. Von sich aus ergriff der Russe nur seltenst die Initiative, sodass sich Sousuke eine Strategie antrainiert hatte, so unbeschadet wie möglich aus dem 3. Stockwerk zurückzukehren.

Indem er keinen Laut von sich gab und sich seine Erschöpfung nicht anmerken ließ, entging er Schlägen des russischen Arztes. Indem er den Befehlen des englischen Psychologen befolgte und sich ihm nicht widersetzte, minimierte er dessen Folter.

Dieses Mal war ihm allerdings noch so gut wie keine Fragen gestellt worden, geschweige denn dass man sich großartig mit ihm beschäftigt hatte. Die meiste Zeit hatte man ihn sich selbst überlassen, angekettet verstand sich. Nur zu Beginn waren ihm von Dr. Masefield einige Fragen zum Tathergang gestellt worden, die er so knapp wie möglich beantwortet hatte, da er zum einen kein gutes Englisch sprach, zum anderen auch nicht mehr als unbedingt nötig preisgeben wollte. Sousukes Divise, nicht mehr zu antworten, als gefragt zu werden – manchmal nicht einmal das – bewehrte sich als durchaus hilfreich, um an diesem Ort zu überleben: So bot er wenig Angriffsfläche.

Man schaffte es aber trotzdem, ihn immer wieder zu provozieren und ihn aggressiv zu machen, doch nicht etwas mit Worten, sondern mit Taten. Verbalen Konflikten konnte Sousuke ohne große Schwierigkeiten aus dem Weg gehen, oder diese beenden, doch sobald man ihn berührte, ihn an seine traumatischen Erlebnisse erinnerte, war es vorbei mit seiner Selbstbeherrschung.
 

Während seiner unzähligen, einsamen Stunden, konnte Sousuke an nichts anderes als an Rin denken. Er hoffte, dass sein Opfer Dr. Masefield davon abgehalten hatte, den anderen ebenfalls in größere Schwierigkeiten zu bringen. Falls dem nicht so wäre, könnte er sich nie vergeben. Immerhin war er ganz alleine dafür verantwortlich, was mit Mr. Kendall geschehen war, auch wenn dies genaugenommen nur die gerechte Strafe für sein Verhalten war. In Sousukes Augen gehörte jeder, der sich an einem anderen verging, ihn sexuell nötigte, für alle Zeiten weggesperrt, oder verbrannt.

Die physischen, aber vor allem psychischen Schmerzen, die durch die Vergewaltigung zugefügt wurden, ließen sich mit nichts beheben. Nie würde man die Erinnerung daran loswerden, selbst die kleinste Berührung durch einen anderen konnte dazu führen, dass man sich zurück in die Situation versetzt fühlte.

Daher tat Sousuke auch nichts Leid, das er dem Pfleger am Freitag im Behandlungszimmer angetan hatte. Die Folgen für Rin, wenn er den anderen gewähren lassen hätte, wären wesentlich schlimmer gewesen als alles, das man ihm in der 3. Etage zufügen konnte.
 

Als ob man vom Teufel spräche, öffnete sich die Tür des grauen Raumes, der lediglich mit einer flackernden Leuchte versehen war, die diesen spärlich erhellte, und Sousuke hob den Kopf. Zwei Männer traten ein und verschlossen die Tür hinter sich.
 

„Well now, we have to tell you a few things“, began Dr. Masefield ohne große Umschweife, seltsam erfreut, fast ein wenig aufgeregt.
 

Was auch immer der Grund zu dieser Freunde war, es konnte nichts Gutes verheißen. Sousuke machte sich schon auf das Schlimmste gefasst, da Dr. Kusnetsov die Begleitung des Psychologen bildete.
 

„Speak“, entwich es dem Dunkelhaarigen grimmig, der auf jede Frage bezüglich jener Nacht gefasst war.
 

„He’s always so fierce, isn‘t he?“, wandte sich der englische Arzt an seinen russischen Kollegen, welcher nickte und ein kurz angebundenes „да“ verlauten ließ.
 

„Anyway…we decided to let you out for a bit, but only under the condition that you will not leave this floor for any other purpose than eating”, erklärte Dr. Masefield nun, dass man Sousuke noch eine Weile im 3. Stockwerk behalten würde, er aber nicht mehr angekettet im grauen Raum verweilen musste. „In other words: If you disobey me, we will make sure to get your friend, also.“
 

Sousuke biss die Zähen aufeinander, um keine vorschnelle Antwort zu geben. Ihm anzudrohen, Rin auch festzuhalten und ihn womöglich noch zu foltern, war wirklich das Letzte. Doch es war zu erwarten gewesen, dass ein Psychologe – so gestört dieser auch sein mochte – schnell durchschauen würde, wie nahe sich die beiden Jugendlichen standen. Es gab keine schlimmere Folter, als dass man jemandem androhte, einem geliebten Menschen weh zu tun, sollte man die Befehle nicht befolgen…

Leider zog diese Strategie bei Sousuke total, denn er ergab sich dieser Bedingung widerstandslos.

Zum ersten Mal in all den Jahren, in denen Dr. Masefield den Halbrussen behandelte, konnte er einen Erflog bei sich verzeichnen. Ein selbstzufriedenes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er das grimmige Einverständnis in den türkisenen Augen seines Patienten erblickte.

Die größte Schwäche eines anderen zu finden, beflügelte den Arzt mit einem Gefühl der Überlegenheit und so war er bester Laune, diesen Erflog an diesem Tag auch bei Sousuke für sich verbuchen zu können.
 

„Very well“, grinste der englische Arzt nun und nickte seinem Kollegen zu. „Dr. Kuznetsov will release you now.“
 

Sich der Tatsache wohl bewusst, dass sich Sousukes Freunde – vor allem aber Rin – ihn aufgrund der Bedingung, dass dieser das Stockwerk nicht verlassen durfte, große Sorgen machen würden, schritt Dr. Masefield sehr mit sich selbst zufrieden den weißen, grell erleuchteten Flur der 3. Etage entlang.

Er hatte die Schwachstelle eines weiteren Patienten gefunden und plante schon, welche Experimente er mit der neu gewonnen Erkenntnis durchführen können würde. Das erste startete in diesem Moment…
 


 

Am Nachmittag begab sich Rin mit so großem Unbehagen wie noch nie zuvor zu seiner Therapiesitzung. Verständlicherweise wollte er nicht mehr in den Raum zurück, in dem er fast vergewaltig worden wäre und in dem sich so schlimme Dinge vor seinen Augen ereignet hatten. Doch die Folgen wenn er nicht erschien, wollte sich der Rothaarige gar nicht ausmalen, sodass er Widerwillens in den Gang der Behandlungszimmer einbog.

Die Tür von 215 hing noch immer schief in den Angeln, sodass man sie nicht schließen konnte und ein provisorisch aussehendes Klebeband hielt sie mehr oder weniger in den Angeln, sodass der Raum trotz der defekten Tür verschlossen war. Auf diesem stand: DO NOT ENTER, womit klar wurde, dass seine Therapie nicht in diesem stattfinden würde.

Gerade als sich Rin zu fragen begann, an welchen Ort er sonst sollte, kam Dr. Masefield auch schon um die Ecke bedeutete ihm in 218 zu kommen, welcher ganz in der Nähe lag.

Mit einem unguten Gefühl und hämmerndem Herzen, folgte der Rothaarige dem Arzt in den Raum, der sich nicht viel von 215 unterschied. Dieser war genauso weiß gekachelt und mit einer grün bezogenen Liege versehen. Der Schreibtisch samt Computer fehlte auch noch, doch einen Stuhl mit Handfesseln besaß er nicht. Stattdessen befand sich ein schwarzes Sofa an der Stelle, an der dieser im anderen Raum stand, sowie ein ebenfalls schwarzer Sessel, auf dem sich der Psychologe niederließ.
 

„Take a seat and make yourself at home, Rin. We have to talk about a lot of things”, deutete Dr. Masefield seinem Patienten an, sich auf die Couch zu setzen.
 

Diese Einladung, die mehr einem Befehl glich, befolgte der Rothaarige sofort, welcher sich vor den Konsequenzen fürchtete, wenn er den anderen warten ließ. Nachdem dieser angeordnet hatte, Sousuke direkt vor seinen Augen abzuführen, empfand Rin die Anwesenheit des Psychologen als noch unbehaglicher als zuvor. Man sollte meinen, dass die Folter, welcher dieser dem Rothaarigen unterzogen hatte, schon ausreichend gewesen wäre, um ihn dessen Nähe fürchten zu lassen, doch der ausschlaggebende Punkt für Rins Abneigung war tatsächlich der, dass man ihm Sousuke weggenommen hatte.
 

Dass bald noch ein weiterer dazukommen würde, ahnte er in diesem Augenblick nicht, doch sobald der Mann Mitte 40 zu sprechen begann, kristallisierte sich ein unmenschliches Motiv aus dessen Frage heraus: „If that didn’t happen, I would’ve asked you how you liked the little treatment Ryan gave you…but I guess at least our young Sorokin wasn’t too happy with it.”
 

Rin starrte den Psychologen einfach nur fassungslos an. Dr. Masefield hatte soeben ziemlich offen zugegeben, dass er Rins Vergewaltigung quasi angeordnet hatte, womöglich um den Erfolg seiner Therapie zu testen. Diese Aktion machte ihm außerdem bewusst, dass er nicht so leichtfertig durchs Leben schreiten und alles schön reden sollte. Sousuke hatte so Recht in allem, dass man niemandem blind vertrauen, nicht alles glauben sollte, das einem erzählt wurde.

Warum hatte er erst diese folgenschwere Erfahrung machen müssen, um das zu begreifen?
 

„Anyway: How did it feel when he touched you? Was it painfull?”, zückte der Arzt, als wäre nichts gewesen, einen Stift aus der Brusttasche seines weißen Kittels hervor und begann etwas auf einen von schwarzem Leder eingefassten Notizblock zu schreiben.
 

Zu sehr stand Rin noch unter Schock über die Erkenntnis, als dass er dazu fähig gewesen wäre, nun zu antworten. Doch eine verbale Reaktion schien der Psychologe gar nicht erwartet zu haben und war auch nicht darauf angewiesen. Schließlich bestand sein Fachgebiet hauptsächlich daraus, Menschen zu lesen und sie anhand ihres Verhaltens zu therapieren.
 

„Judging on your reaction it must have hurt quite a lot“, grinste Dr. Masefield auf Rins Mimik und Gestik hin nur.
 

Sein Patient saß in angespannter Haltung auf der schwarzen Couch, seinen Blick fast apathisch auf ihn gerichtet, sodass es kein Hexenwerk war aus diesem zu lesen, unter welchen Schmerzen er gestanden haben musste, als Ryan ihn berührt hatte.

Einen weiteren Erflog konnte sich Dr. Masefield in seinem Kalender vermerken, welcher diese Form der Therapie nur zu gerne immer wieder an anders orientierten Menschen austestete. Ihm war durchaus bewusst, dass man die Sexualität niemals verändern konnte, doch die Folgen, die eine schmerbasierte Therapie aufzuweisen hatte, waren immer wieder faszinierend. Außerdem bereitete es ihm immer wieder Freude, seinen Patienten zu suggerieren, sie würden an einer psychischen Krankheit leiden, die es entweder gar nicht mehr offiziell gab, oder ihnen eine andere aufzubinden, sodass ihre Psyche völlig durcheinander geriet.

Dies konnte sich der Psychologe allerdings nur bei solchen Patienten erlauben, welche keine Angehörigen mehr hatten, die nach ihnen saßen und sie vermissen würden. Es gab durchaus Besuchszeiten in der Anstalt, von denen keiner der Familienmitglieder der vier japanischen Jugendlichen Gebrauch machen konnten, da sie entweder nicht wusste, an welchem Ort sich ihre Kinder befanden, oder schlicht und ergreifend keinen Kontakt zu diesen wollten.

Kisumis Familie hatte ihn mehr oder weniger verstoßen, als die Sache mit den Kindern herausgekommen war, auch wenn er ab und an einen Brief erhielt, in dem sich nach seinem Befinden erkundig wurde.

Daher sah Dr. Masefield auch davon ab, zu sehr mit dessen Verstand zu spielen, der ohnehin schon sehr verworren war. Im Prinzip konnte man bei diesem auch nicht viel ausrichten, da er absolut Therapie-resistenz war, wie es auch nicht anders von einem Psychopathen zu erwarten war.

Mit Chigusa, Rin und vor allem Sousuke konnte man hingegen seinen Spaß haben, vor allem jetzt, da er eine Verbindung zwischen letzteren beiden herausgefunden hatte.
 


 

Sousuke hielt sich in den nächsten Tagen an die Voraussetzungen und ging nur zu den Malzeiten aus dem Stockwerk. Er nutzte seine viele Freizeit dafür, sich intensiver mit seinem Training zu beschäftigen, auch wenn das hieß, dass er öfter duschen gehen musste.

Das wäre unter normalen Umständen kein Problem gewesen, doch in der 3. Etage besaß nicht jedes Zimmer sein eigenes Bad. Stattdessen gab es für Männer und Frauen getrennte Sammelduschen, die Sousuke nicht ausstehen konnte. Wie sehr er es hasste, von anderen beobachtet zu werden wenn er sich wusch, ließ sich kaum in Worte fassen. Um dem zu entgehen, stand er entweder sehr früh auf, oder duschte zu den Zeiten, in denen alle beim Essen, in den Zimmern, oder im Aufenthaltsraum waren.

Wie gerne hätte er seine Freunde und vor allem Rin wieder gesehen, doch das Risiko einzugehen, diesen dadurch in Gefahr zu bringen, wollte und konnte er nicht eingehen. Dass ihm die Einsamkeit und Isolation von anderen Menschen zusetzte, machte sich schon nach drei Tagen bemerkbar. Das Training half ihm sich abzulenken und nicht den Verstand zu verlieren, doch die Nächte waren schlimm. Wenn er sich nicht gerade hin und her warf, hatte er Alpträume, die Halluzinationen glichen. Zu sehr erinnerte ihn diese Abgeschiedenheit an seine frühe Kindheit, seine Jugend…
 

Rin erging es auch nicht viel besser, der sich genau wie Kisumi und Chigusa fragte, weswegen Sousuke nicht im 6. Stockwerk anzutreffen war, obwohl er sich laut Miss Amakatas Aussage doch nur im 3. und nicht im 4. befand.

Schier wahnsinnig vor Sorge, litt Rin unter Schlafmangel, der ihn doch immer wieder durch die körperliche Erschöpfung in den Schlaf trieb, nur um nachts schweißgebadet zu erwachen und sich an Sousukes Kissen geklammert auszuheulen.

Zu dieser misslichen Situation kam noch dazu, dass Sousukes Geruch langsam aus dem Bett verflog und Rin nicht wusste, ob es ein Fehler gewesen war, dass sie sich geküsst hatten. Immerhin hatte sie noch keine Möglichkeit gehabt, über diesen und ihr weiteres Verbleiben zu sprechen, sodass der Rothaarige zusätzlich davon geplagt wurde was wäre, wenn Sousuke ihn nicht wollte. Wenn er ihn nach diesen schlimmen Dingen, die ihm in diesen Stunden der Trennung wahrscheinlich angetan wurden, nicht mehr wollte…

Du riechst so gut

Als Rin am Donnerstagmorgen erwachte, fehlte von Sousukes Geruch jede Spur, genau wie von diesem selbst. Der Rothaarige erhob sich bedrückt aus dessen Bett, schlurfte völlig motivationslos ins Bad und stieg unter die Dusche.

Seit Sousuke weg war, hatte er keine Lust mehr zu irgendetwas, nicht einmal masturbieren konnte er. Für ihn war es ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er bedrückt war und ihn etwas nicht in Ruhe ließ, wenn er seit fast einer Woche sich nicht in irgendeiner Form selbst befriedigt hatte.

Normalerweise hatten Jungs in dem Alter auch einen großen Sexualtrieb, was nicht ungewöhnliches war, doch wenn man so sehr mit etwas anderem beschäftigt und zudem auch noch körperlich am Ende seiner Kräfte war, verwunderte die Verringerung dessen keineswegs.
 

Als Rin seine Freunde in der Pause darauf ansprach, ob sie es nicht auch seltsam fanden, dass Sousuke sich nicht blicken ließ, mussten die beiden ihm zustimmen, konnten aber sonst auch nicht viel für ihn tun.
 

„Ihm geht es bestimmt gut. Du weißt doch, wie stark er ist“, versuchte Chigusa den Rothaarigen aufzumuntern.
 

„Ja schon, aber…“, senkte dieser betrübt den Kopf und musste daran denken, wie verletzlich und hilflos er Sousuke schon erlebt hatte und dass diese Seite den anderen wohl verborgen blieb.
 

„Ja, genau! Außerdem hat Miho doch gesagt, dass er im 3. ist“, mischte sich Kisumi nun ein und zog damit die Aufmerksamkeit ihrer Lehrerin auf sich.
 

„Miss Amakata für dich immer noch, Shigino-kun“, ermahnte die ihren Schüler, trat aber dennoch zu den drein heran. „Gibt es ein Problem?“
 

„Wir fragen uns nur, wann Sousuke wiederkommt“, informierte Chigusa ihre Lehrerin, welche sich wie sooft für die Sorgen ihrer Schützlinge interessierte.
 

„Ich weiß leider auch nicht mehr, als dass Dr. Kuznetsov mit gesagt hat“, seufzte sie nun.
 

„Und das wäre?“, wollte Rin kraftlos wissen.
 

„So wie ich euch am Anfang der Woche gesagt habe: Sie wollen ihn nicht lange dort behalten und er wird wieder zurückverlegt. Wann genau, wollten sie mir aber nicht sagen“, tat es Miho leid, dass sie den Jugendlichen keine große Hilfe sein konnte.
 

„Okay…“, ließ Rin den Kopf entmutigt hängen.
 

Seit Sousukes Geruch verflogen war, fühlte er sich schrecklich alleine gelassen. Er vermisste den anderen so sehr wie keinen anderen, nicht einmal seine Familie konnte da Schritt halten und wegen dieser hatte er schon einige Tränen vergossen.

Doch es war noch einmal etwas vollkommen anderes, Sousuke in den Fängen der Ärzte zu wissen, als die Tatsache, dass seine Mutter und seine Schwester nicht wussten, wo er sich befand. Beide waren starke Frauen und ihnen ging es sicherlich gut, doch wie es um Sousukes Psyche stand, wollte Rin sich leider nicht ausmalen.

Schon jetzt bereitete er sich darauf vor, einen völlig verstörten Sousuke nach dessen Rückkehr wieder aufbauen zu müssen. Anhand dessen wie mitgenommen dieser nach dem Schlag ins Gesicht gewesen war, konnte man sich ausrechnen, wie dessen geistiger Zustand nach diesen Tagen in Verwahrung aussah. Hoffentlich taten sie ihm nicht weh…
 


 

Unterdessen kehrte Sousuke gerade vom Frühstück zurück ins 3. Geschoss zurück, da dieses um etwa eine Stunde verschobene Essenzeiten zum 2. hatte. Viel lieber säße er im Unterrichtsraum und würde sich mit irgendetwas beschäftigen, aber vor allem bei seinen Freunden und Rin sein, anstatt den ganzen Tag alleine mit seinen Gedanken gelassen zu werden.

Sich die Zeit mit lesen vertreiben konnte er auch nicht, da man ihm seine Schlüsselkarte zu 207 abgenommen und ihn keine persönlichen Dinge aus diesem holen ließ. So blieb Sousuke nichts anderes übrig, als in dem kleinen Zimmer auf dem Stuhl zu sitzen und nach draußen zu schauen. Das Gras begann langsam zu sprießen, auch wenn es in dieser Region eher spärlich den Boden bedeckte. Der Schnee war geschmolzen und es wurde langsam Frühling…

Wenn er sich nicht irrte, war dies der letzte Tag im Februar, doch sein Zeitgefühl war in den letzten Tagen ein wenig aus dem Gleichgeweicht geraten, woran die drei Tage schuld waren, die er gefesselt im grauen Raum verbracht hatte.

Wenn man Sousuke zuvor in diese Etage gebracht hatte, wurde er nach zwei Tagen der Folter meist wieder entlassen und so war es verwunderlich und sehr verdächtig, dass dieses Mal schon über fünf Tage andauerte und abgesehen von den Schlägen in den ersten beiden alles ruhig verlaufen war.

Wenn Sousuke ehrlich zu sich selbst war, empfand er dieses Mal als das schlimmste, da die Option gegeben war, raus zu gehen, er jedoch nicht konnte, weil er sonst Rin in Gefahr brachte. Außerdem quälte ihn die Isolation und die Menschen, die ihn umgaben, da diese um einiges gestörter waren als die in der 2 Etage. Die Annahme, dass man in der Klapsmühle erst recht verrückt wurde, kam nicht von ungefähr…

Viel lieber hätte Sousuke ein paar Schläge ertragen und wäre früher zurück zu Rin ins Zimmer verlegt worden, als untätig herumsitzen und seinen eigenen Gedanken zuhören zu müssen. Diese waren gerade wieder frisch fröhlich dabei, die Erinnerungen an seine Mutter hervorzukramen und wie einen Kinofilm in abgehackten Episoden ungefragt vor seinem inneren Auge ablaufen zu lassen.

Nicht alles an seiner Kindheit war schlecht gewesen: Es hatte einige schöne Momente gegeben, in der sich seine Mutter liebevoll um ihn gekümmert hatte. Doch an anderen Tagen schrie sie ihn an, machte ihn für ihre eigene Misere verantwortlich und warf ihm vor, dass seine Existenz dazu geführt hatte, dass Shigeru sie verlassen hatte. Sein Vater…den er nicht kannte. Nicht einmal ein Bild von ihm hatte er je zu Gesicht bekommen.

War seine Existenz wirklich daran schuld, dass sein Vater seine Mutter verlassen hatte?

War er am Ende alleine dafür verantwortlich, dass seine Mutter nun tot war?

Letztendlich besaß Sousuke anscheinend ein Talent dafür, jeden geliebten Menschen zu vertreiben, sodass er sich am Ende alleine auf der Welt vorfand.

Und was war mit Rin?

Dieser sollte sich vor ihm fürchten, nach all dem was er schon getan hatte. Vor allem nach den jüngsten Ereignissen, als er einem Pfleger vor dessen Augen fast den Schädel eingeschlagen hätte…

Von einem stechenden Schmerz gequält, der seine Schläfe durchzuckte, hielt sich Sousuke mit zusammengekniffenen Augen die Schläfe. In Schutzhaltung saß er nun auf dem Stuhl und wagte sich kaum zu rühren.

Die Angst, nun auch noch Rin zu verlieren, brach über ihn herein, gefolgt von vergessen geglaubten Erinnerungen.

Es stimmte nicht, dass Sousuke sich nicht daran erinnerte, weswegen er seine Mutter umgebracht hatte. Er verdrängte diese Details immer in die letzte Hintertür seines Verstands, dass sie ihn nicht wahnsinnig machten. Leider fanden sie manchmal ihren Weg durch eine unverschlossene Ritze und suchten ihn meistens nachts heim, oder in einem Moment der Schwäche, in dem sie ihn verwunden konnten.

Sousuke wollte diese Bilder nicht sehen. Nicht noch einmal miterleben, was geschehen war, bevor er Ilona…
 

Die Tür wurde aufgestoßen und zwei Männer traten ein, von denen einer einen Schlagstock unterm Arm trug. Dr. Masefield sah sich in dem kleinen Zimmer um und entdeckte seinen Patienten, der eingekauert, unter Schmerzen leidet auf dem Stuhl unter dem vergitterten Fenster saß.
 

„It looks like we won’t need to hurt him that much since he’s already torturing himself“, zuckte der Psychologe schief grinsend die Schultern und deutete dann auf Sousuke. „Get him.”
 

Als der Pfleger – oder viel mehr Handlanger des Doktors – den Dunkelhaarigen an den Schultern packte, schüttelte dieser die Hände reflexartig von sich, fuhr hoch und verpasste diesem einen Schlag an die Brust, der den kleineren Mann zurücktaumeln ließ. Blanke Panik spiegelte sich in den hellen Augen wider.
 

„Ssssssch. Calm down, big boy“, ließ sich Dr. Masefield davon wenig beeindrucken. „I need you to come with me, so you can see your friend again.“
 

Die Taktik, Rin zu erwähnen, zog viel zu gut, sodass Sousuke augenblicklich gefügig wurde und sich zu entspannen versuchte. Die Ablenkung war vielleicht ganz gut…dann würde er wenigstens von den Erinnerungen seiner vergangenen Taten abgelenkt werden.

Es wäre übertrieben zu sagen, dass sich Sousuke auf die bevorstehenden Schmerzen freute, jedoch boten sie ihm eine willkommene Ausflucht aus dem Geflecht seiner eigenen Gedanken. Und so ging er diesmal freiwillig mit den beiden Männern mit, die ihn in einen der grauen Räume führten und anketteten…
 


 

Später am Nachmittag, nachdem Rin seine Therapiestunde mit Dr. Masefield hinter sich gebracht hatte, machte er sich auf den Weg zu ‚seinem‘ Zimmer. Im Moment bewohnte schließlich nur er es…

Der Psychologe hatte ihn schon länger nicht mehr physisch gequält, sondern führte wohl wieder so etwas wie eine Gesprächstherapie mit ihm durch, bei dem es seltsamerweise nicht um seine Sexualität ging. Viel mehr fühlte sich Rin wie ein Versuchsobjekt, das ausgefragt wurde. Keine Antwort auf die Fragen zu geben, traute er sich dank der vorherigen Behandlungsmethoden nicht und so beschloss er, diese Stunde täglich einfach irgendwie hinter sich zu bringen, indem er daran dachte, wie schön es wäre, wenn Sousuke zurückverlegt wurde.

Ihn beschäftigte in letzter Zeit, seit diesem einen Vorfall mit Pfleger Ryan, noch etwas ganz anderes: Dr. Masefield fragte ihn immer wieder nach seinen Zähnen und seitdem er herausgefunden hatte, dass der Rothaarige ein begnadeter Schwimmer war, diesen des Öfteren auch über diese Thematik aus.

Welchen Zweck er damit verfolgte, das war Rin ein Rätsel, vor allem, dass der Arzt heute hatte wissen wollen, ob sein Vater ebenfalls diese Abnormität der Zähne vorzuweisen gehabt hatte.

Dass Toraichi bereit verstorben war, wusste Dr. Masefield bevor Rin es ihm hatte sagen können, wodurch sich ihm die Frage aufdrängte, wie viel dieser sonst noch über seine Familie, sein Leben wusste.

Fürs erste war er aber froh, die Therapie für diesen Tag überstanden zu haben und bog gerade nach links in den Gang ab, der zu seinem Zimmer führte, als er auch schon Chigusa erblickte, welche vor 207 stand.
 

„Rin! Da bist du ja!“, kam sie eiligst auf ihn zu. „Sousuke will mit dir sprechen…er ist oben im Aufenthaltsraum.“
 

„…was?“, blinzelte Rin die Brünette ungläubig an, nicht fähig,  diese guten Neuigkeiten aufzunehmen.
 

„Man hat ihn anscheinend eben zurückverlegt, aber irgendwie wollte er nicht ins Zimmer zurück…oder sie haben ihm die Schlüsselkarte noch nicht wieder gegeben“, fuhr Chigusa fort und ließ Rin dann Zeit, sich zu sammeln.
 

„Ich glaub, ich sollte hoch gehen…“, kam dieser endlich zum Entschluss, keine Sekunde länger zu warten.
 

„Mach das!“, gab ihm das Mädchen einen kleinen Schubs und scheuchte ihn fort.
 

Sie war nur froh, dass Rin nicht auch einen Lageplan von ihr brauchte, denn den für Sousuke anzufertigen war schon schwierig genug gewesen. Allerdings hatte sie in den vielen Jahren, die sie schon an diesem Ort feststeckte, einige Informationen zusammengetragen. Über den Aufbau des Gebäudes, die verschiedenen Funktionen der Räume und so weiter. Wenn es ihrem Sorgenkind besser gehen würde, musste sie ihn dringend zur 3. Etage befragen, in die sie sich selbst nicht traute und die man zwar betreten durfte, dies aber nicht gerne gesehen war. Die 4. hingegen war ihr unerreichlich, worüber sie nicht wirklich traurig war. Wenn man einmal dort saß, kam man nicht so schnell wieder heraus, sagte man sich und wenn, dann mit ein paar intakten Hirnfunktionen weniger.

Chigusa war heilfroh, dass man Sousuke nicht dort hin gebracht hatte, denn er hatte das nicht verdient, sofern das überhaupt jemand verdiente. Das, was sie dort mit einem anstellten, wünschte sie nicht einmal ihrem Vater.

Vor allem wurde Sousuke immer dafür bestraft, dass er sich wehrte und nicht alles mit sich machen ließ. Diesmal sogar nur, weil er Rin geholfen hatte, ihn davor bewahrte, vergewaltig zu werden…

Sie hoffte nur, dass es den beiden gut ging und sie nicht noch mehr Probleme bekommen würden, als ein gleichgeschlechtliches Paar in einer Anstalt für psychisch Gestörte von vorneherein schon hatte.
 


 

In der Zwischenzeit war Rin mit dem Aufzug ins 6. Stockwerk gefahren, total aufgeregt und mit heftig schlagendem Herzen, da er nicht sicher war, in welchem Zustand sich Sousuke befinden würde, sich gleichzeitig aber auch unglaublich freute, diesen wiedersehen zu können. Als sich die automatischen Schiebetüren öffneten, erblickte der Rothaarige einen fast leeren Raum. Es war immerhin schon spät und die meisten aßen gerade zu Abend, sodass es nicht schwer war, den Dunkelhaarigen an der linken Fensterfront auf einer band sitzend auszumachen. Diese Seite war komplett leer und abgesehen von den Geräuschen, die der Fernseher am anderen Ende vom Raum von sich gab, war es auch totenstill.

Rin schluckte schwer, als er sich in Bewegung setzte, immerzu auf Sousuke fixiert, der nach vorne gebeugt dasaß, die Hände auf den Oberschenkeln und nach unten blickte. Dies bildete seine übliche Pose, wenn es ihm nicht gut ging, er verzweifelt war, oder nicht weiter wusste. Ihn so zu sehen, brach Rin das Herz und veranlasste ihn seinen Schritt zu beschleunigen, um schneller bei ihm zu sein.
 

„Sousuke…“, wisperte der Rothaarige, als er vor diesem stand und nichts mit sich anzufangen wusste.
 

„Rin…“, hob der Dunkelhaarige seinen Kopf, als er die bekannte Stimme hörte, die angenehm in seinen Ohren erklang.
 

„Wie geht es dir?“, wollte Rin ohne große Umschweife besorgt wissen.
 

„Es könnte schlimmer sein“, lächelte Sousuke humorlos und lehnte sich nach hinten an den roten Bezug.
 

„Was…haben sie mit dir gemacht?“, stand der Kleinere noch immer unschlüssig herum, da er zu aufgeregt war, um sich zu setzen.
 

Rin war nicht entgangen, dass es Sousuke ganz und gar nicht gut ging, auch wenn dieser keine körperlichen Wunden aufwies. Es mussten jedoch nicht unbedingt sichtbare sein, denn die psychischen waren die schlimmeren, ungesehenen.
 

„Sie haben mir verboten, das Stockwerk für irgendetwas anderes als zum Essen zu verlassen. Ich saß im Prinzip den ganzen Tag nur im Zimmer rum…“, erzählte Sousuke erstmal den weniger brutalen Teil – wenn man davon absah, dass er in diesen Tagen von seinem schlechten Gewissen verfolgt worden war, welches ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte.
 

„Aber das war noch nicht alles, oder?“, ließ Rin nicht nach und setzte sich dann doch zum anderen, einfach, um dessen Reaktionen besser mitzubekommen, aber auch, weil er sich nach der Nähe zu diesem sehnte.
 

„Nein, du hast Recht…das war nicht alles“, gab Sousuke zu, der für einen Moment gehofft hatte, Rin nicht unnötig belasten zu müssen. Es war schlimm genug, was dieser durchgemacht hatte. „Die ersten Tage haben sie mich angekettet und mir Fragen gestellt…das Übliche eben. Heute war es das gleiche…aber ich bin froh, dass es vorbei ist.“
 

„Diese Schweine!“, regte sich Rin darüber auf, wie man so einen sanftmütigen Menschen nur zu solchen Taten bringen und ihn dann auch noch dafür bestrafen konnte. „Wenn ich doch nur was tun könnte…das es dir besser geht…“
 

Sein Zorn schwang sehr schnell in Hilflosigkeit und Trauer um, wie es bei dem Rothaarigen meistens der Fall war. Die Tränen ließen bestimmt auch nicht mehr lange auf sich warten.
 

„Aber das tust du doch schon“, wurde Sousukes Stimme leiser, als er den Kleineren liebevoll ansah. „Mir reicht schon, dass du bei mir bist.“
 

„Aber wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du das nicht tun müssen!“, bebte Rins Stimme und ihn kümmerte es in dem Augenblick nicht einmal, dass seine Tränen hinunter, aber still, seine Wangen hinunter zum Kinn liefen, von dem sie nach unten tropften.
 

„Rin…“, wurde Sousukes Ausdruck verzweifelter, da er es nicht sehen konnte, wenn der andere weinte.
 

Vor allem nicht, wenn es wegen ihm war.

Dass sich Rin nur um ihn sorgte und nicht wegen ihm, sondern für ihn weinte, sah er dabei nicht. Irgendwie musste er dessen Tränen zum Stoppen bringen, ihm vermitteln, dass alles in Ordnung, solange sie nur beieinander waren.

Für einen Moment verharrte Sousuke still, wartete ab, bis sich der Kleinere ein wenig beruhigt hatte und nahm dann dessen Hände in seine.

Er beugte sich nach unten und küsste die Oberseite dieser sanft.
 

Völlig unerwartet, spürte Rin plötzlich warme, weiche Lippen auf seiner von Verzweiflung kühlen Haut. Die Stellen, an denen diese seine Haut berührten, begannen zu kribbeln, fühlten sich an, als würde sie unter der Liebe des anderen verbrennen, die er mit dieser Geste zum Ausdruck brachte.

Draußen wurde es dunkel, die Beleuchtung ließ sich Zeit eingeschaltet zu werden, sodass der Raum beinahe dunkel war, wäre die Außenbeleuchtung nicht gewesen.

Sousukes Augen leuchteten hell in der Dunkelheit, als sie von unten zu Rin blickten, treu und ergeben.
 

„Ich werde dich beschützen“, versprach er mit fester, jedoch kaum vernehmbarer Stimme. „Das habe ich mir geschworen.“
 

‚Wenn es sein muss, auch vor mir selbst‘, fügte Sousuke in Gedanken hinzu, als er in die roten Augen sah, die ihn überwältigt anblickten.

Rins Verwirrung, sowie der heiße Schmerz, wich den Schaudern, welche Sousuke bei ihm auslöste. Nicht nur durch seine Brührungen, auch durch seine Worte, den sanftmütigen, ernsten Blick, der ihn einmal mehr in seinen Bann zog.

Für einige Augenblicke, sahen sich die beiden einfach nur an. In stillem Einklang verriet der Ausdruck ihrer gegensätzlichen Augen die tiefen Gefühle, welche sie füreinander hegten. Dieser konnte sie niemand berauben, nicht in hundert oder tausend Jahren. Nicht in diesem Universum, oder einem anderen.
 

Die Beleuchtung durchbrach diesen Moment mit seiner grellen Helligkeit, der doch so erschienen war, als hätte er ewig andauern können, als hätte man die Zeit um sie herum angehalten.

Vom blendenden Licht irritiert, blinzelte Rin mehrmals, ehe ihm bewusst wurde, in welcher Situation er sich befand. Sousukes warme Hände umschlossen seine nun und ließen das Blut in seine Wangen fließen.
 

„Ist alles in Ordnung, Rin?“, sahen ihn besorgte Augen an.
 

Der Größere hatte den Kopf inzwischen wieder gehoben und den Oberkörper aufgerichtet, wollte seine Hände ganz offensichtlich aber nicht loslassen. Rin hätte auch nichts dagegen gehabt, wäre ihm das nicht so verdammt peinlich, in der Öffentlichkeit so etwas zu tun – vor allem jetzt, da man sie wieder sehen konnte.

Zwar befanden sich noch immer nur zwei weitere Personen im Raum, die nichts von ihnen wissen wollten, da sie fern sahen, doch trotzdem fühlte sich der Rothaarige unsicher. Diese Unsicherheit veranlasste ihn dazu, sich den wohltuenden Händen schweren Herzens zu entziehen.
 

„Hab ich was falsch gemacht? Ich wollte nicht, dass-“, wurde Sousuke auch unsicher und kam sich nun seltsam vor, das alles gesagt und getan zu haben.
 

„Nein…es ist nur, dass…ich damit nicht umgehen kann“, schüttelte Rin den Kopf, welcher der Farbe einer Tomate glich. „Sollen wir zurück aufs Zimmer gehen?“
 


 

Unendlich froh darüber, dass es Sousuke relativ gut ging, doch beinahe gleichermaßen nervös, lief Rin neben dem größeren her, als sie sich auf den Weg in ihr Zimmer machten. Es fühlte sich gut an, in dessen Nähe zu sein, doch war da diese ungewohnte Atmosphäre zwischen ihnen, die seit dem Kuss aufgekommen war. Im Prinzip war es offensichtlich, welche Gefühle sie füreinander hegten, doch gestanden hatten sie sich diese noch nicht.

So kam es, dass Rin nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. Am liebsten wäre er gleich in die Vollen gegangen und hätte Sousuke so behandelt, wie er es sich vorstellte, dass man seinem festen Freund behandelt, aber er ahnte, dass das alles nicht so einfach werden würde.

Zum einen war dieser vollkommen unerfahren, zum anderen traumatisiert, sodass sie – bzw. er – es langsamer angehen sollte und sogar mussten.
 

„Nicht dass du dich wunderst…ich hab die letzten Tage in deinem Bett geschlafen“, nuschelte Rin, als sie im Zimmer ankamen und Sousuke erst dieses, dann den Kleineren anblinzelte. „Ich hoffe, es stört dich nicht…“
 

„Schon okay“, lächelte der Größere nun sanft und ging auf dieses zu, das nicht so gemacht war, wie er es zu tun pflegte.
 

Irgendwie gefiel es ihm sogar, dass Rin dies getan hatte, auch wenn er jeden anderen dafür umgebracht hätte. Dieser bildete – wie sooft – eine Ausnahme, aber war sich dessen noch nicht ganz so bewusst.
 

„Hast du auch nicht schlafen können?“, wollte Sousuke nun wissen, als er sich auf die Matratze sinken ließ.
 

„Ja…“, nickte Rin beschämt und schritt auf Sousukes Bett zu. „Es war irgendwie seltsam, dass du nicht da warst.“
 

„Komm her“, wisperte der Dunkelhaarige und lächelte dabei kaum erkennbar.
 

Unfähig diese Einladung abzulehnen, ließ sich der Rothaarige nun auch auf der Matratze nieder, wobei sein Herz gegen seine Brust hämmerte.

Warum musste er auch immer so verdammt nervös werden, wenn sie sich näher kamen?
 

„Darf ich dich küssen?“, fragte Sousuke leise nach, als er sich zum anderen gewandt und ihn kür kurze Zeit betrachtet hatte.
 

Rin, der von dieser Frage vollkommen überrascht wurde, drehte sich zum Größeren um, bevor er fähig war zu antworten.
 

„Weißt du, du musst mich das nicht fragen…“, murmelte er kaum hörbar, ehe er Sousuke entgegenstreckte und die Augen schloss.
 

„Okay…“, erwiderte dieser ebenso leise, bevor sich ihre Lippen verbanden.
 

Auch dieses Mal war der Kuss unschuldig und alleine der Übermittler ihrer Sehnsucht, die sie in der letzten Woche empfunden hatten, als sie sich so sehr vermisst hatten.

Rin verlangte es eindeutig nach mehr, doch für den Moment genügte diese Form der Zuneigung vollkommen. Überrascht, aber ganz und gar nicht abgeneigt war er jedoch, als er plötzlich Sousukes Hände an seinen Armen wahrnahm, die ihn vorsichtig fixierte.

Diese Geste erwiderte er, indem sich seine Hände an den Burstkorb des Größeren legten und er sich dem Kuss mehr hingab. Für einen Moment war Rin versucht, über die Lippen des anderen zu lecken, ließ dann aber aus verschiedenen Gründen davon ab. Erstens mochte er Zungenküsse nicht wirklich – jedenfalls war das eine Mal, als er es versucht hatte, gehörig schief gegangen – zweitens vermutete er, dass Sousuke das aus der Ruhe bringen würde und drittens wollte er weder sich, noch dem anderen weh tun. Es war sicher nicht unmöglich sich zu küssen, auch wenn einer der Beteiligten haiartige Zähne besaß, doch für unerfahrene Küsser sicher eine harte Nuss.

Des Weiteren war Rin sehr unsicher und selbstzweifelnd, was seinen Körper anging. Als ob es ihm nicht schon schwer genug fiel, seinen Schwarm zu küssen, auch ohne Gefahr zu laufen, dessen Zunge aufzuschlitzen.
 

Für unzählige Minuten bewegten sich ihre Lippen gegeneinander, sodass Sousuke langsam sicherer wurde und Rin seine Lippen kaum mehr spürte, da sie taub von der innigen Stimulation wurden. Ihm war nicht entgangen, dass sein Partner sich ans Küssen gewöhnen zu schien und dadurch aktiver wurde. Es gefiel ihm…

Am liebsten würde der Kleinere leidenschaftlicher, fordernder geküsst werden, doch dies schon vom anderen zu verlangen, erwartete er nicht. Nichtsdestotrotz liebte er es, dominiert zu werden. Gleichermaßen genoss er es aber auch zu verführen – sofern man auf seine spärliche Erfahrung in diesem Gebiet zurückgreifen konnte.

Eindeutig stand aber schon fest, dass Rin seine Arbeit damit haben würde, Sousuke dazu anzustacheln, die Initiative zu ergreifen und ihn mehr und mehr an das Beziehungsleben heranzuführen.

Welche Ursache dessen Probleme hatten, wusste er nicht genau, konnte dies aber schon ahnen. Seine Vermutung bestand darin, dass dieses Trauma eindeutig etwas mit Sousukes Mutter zu tun haben musste; was genau, war allerdings noch zu ergründen.
 

„Du machst mich echt fertig“, lehnte Rin den Kopf erschöpft an Sousuke, seine tauben Lippen möglichst vom Stoff fernzuhalten versuchend.
 

Überfordert mit der allgemeinen Situation und unschlüssig, wie er auf diese Aussage reagieren sollte, oder wie diese aufzufassen war, blieb der Größere stumm und verharrte abwartet in seiner vorherigen Position, die Hände an Rins Armen.
 

„…also nicht im schlechten Sinn. Es ist nur, dass…also was ist jetzt eigentlich mit uns?“, verbalisierte der Rothaarige seine Gedanken, die ihn schon länger beschäftigten, auch wenn es ihm nicht einfach fiel, diese direkt anzusprechen.
 

„Ich weiß nicht…“, erwiderte Sousuke nachdenklich, obwohl sein Herz die Antwort schon lange kannte.
 

„Wenn du nicht mit mir zusammen sein willst, ist das auch okay…“, nuschelte Rin, schon mit dem Schlimmsten rechnend.
 

„Das ist es nicht. Ich will schon…ich weiß nur nicht, ob ich kann“, senkte der Dunkelhaarige den Blick.
 

Rin brachte daraufhin ein wenig Abstand zwischen sie, um sein Gegenüber betrachten zu können. Ihm war von vorneherein klar gewesen, dass es mit Sousuke nicht leicht werden würde, doch ein Problem sah er darin nicht.

Welche Beziehung war schon sorgenfrei?

Daran scheitern, dass der Größere unsicher war und sich schwer tat, sollte es nicht. Rin war auch bereit, sich ein wenig zurück zu halten und sich erst einmal an Sousuke heranzutasten, bevor er vorschnell einen Fehler beging.
 

„Wir können es doch einfach mal versuchen, oder?“, blickten die roten Augen des Kleineren hoffnungsvoll zu den türkisenen auf. „Ich hab nicht viel mehr Ahnung von all dem als du, weiß du?“
 

„…okay“, nickte Sousuke langsam, ein wenig unbeholfen.
 

„Wir müssen ja auch nichts überstürzten…“, fügte Rin hinzu und ergriff die Hände des Größeren milde lächelnd. „Das wichtigste ist, dass wir beieinander sind.“
 

Dem konnte Sousuke nur zustimmten und warf seine Bedenken für einen Moment über Bord. Rin machte ihm Hoffnung, dass er seine Erinnerungen vielleicht doch eines Tages mit dessen Hilfe verarbeiten könnte.

Welche Probleme noch auf die zukommen sollten, ahnte keiner der beiden.

Rin nicht, da er nichts von Sousukes Vergangenheit wusste, abgesehen davon, dass dieser seien Mutterumgebracht hatte und Sousuke nicht, weil er nicht bedachte, dass man sich in einer Beziehung [style type="italic"]sehr[/style] nahe kommen würde; viel näher, als er es tolerieren konnte.

Bekenntnis und Erkenntnis

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag, schliefen Sousuke und Rin um Längen besser als die Nächte zuvor. Dicht beieinander liegend, aneinander gekuschelt und beruhigt, konnte man sich mit dem Geliebten an der Seite wesentlich besser ausruhen, als in dauerhafter Sorge um diesen.

Auch wenn Sousuke wieder zurückverlegt worden war, hatte sich die Situation keineswegs entschärft. Das behielten beide im Hinterkopf, ließen sich davon aber nicht abhalten, den Morgen zu genießen und es ein bisschen ruhiger angehen zu lassen. Trotz der Strapazen der letzten Woche hatten sie immer noch die Pflicht, vor halb acht aufzustehen und um neun Uhr zum Schauprogramm zu erscheinen.

Beim Frühstück entging Kisumi und Chigusa die ausgeglichene Atmosphäre, die Sousuke und Rin im Vergleich zu vorher ausstrahlten, waren die beiden in der Woche zuvor doch eher angespannt gewesen, mal ganz zu schweigen vom Desaster dieser Woche…
 

„Hm…ich finde es schon ein bisschen Schade, dass du jetzt nicht mehr zur Verfügung stehst“, flüsterte Kisumi Rin zu, als die vier sich auf den Weg zum Unterricht machten.
 

„Lass den Scheiß“, zischte der Rothaarige zurück und hoffte, dass sein Freund nichts von ihrem Gespräch mitbekam. „Du weißt wie er ist, wenn er eifersüchtig wird!“
 

„Ist ja schon gut~“, lachte der Größere leise. „Ich versuche mich zurückzuhalten~“
 

Auch wenn Kisumi nicht mit Sicherheit wusste, dass die beiden ein Paar waren, so ahnte er jedoch, dass bei Rin nicht mehr viel zu holen war…so verliebt wie dieser in Sousuke war. Ob dieser jedoch begriff, was der andere von ihm wollte, konnte er nicht abschätzen. Seit die Aktion mit dem Kuss so ausgeartet war, konnte Kisumi verstehen, weswegen Rin vorsichtig im Umgang mit ihm war, dass Sousuke nicht wieder ausrastete.
 

Sousuke ging neben Chigusa her und machte sich währenddessen seine Gedanken darum, was man ihm am Tag zuvor erzählt hatte. Dr. Masefield und Dr. Kuznetsov planten eindeutig etwas, das hatte er ihren Blicken ablesen und aus ihren Worten schließen können. Wie sie weiter verfahren wurden, dahinter war er noch nicht gekommen, doch das dieses Vorhaben nichts Gutes bedeutete, stand eindeutig fest.
 

„Könntest du heute Abend kurz zu mir kommen?“, entschloss sich die Brünette den Größeren zu fragen, nachdem sie schon seit einigen Monaten dessen Verhalten beobachtet und ihre Schlüsse daraus gezogen hatte.
 

„…warum?“, sah Sousuke ihr misstrauisch entgegen, auch wenn er eigentlich nicht gegen das Mädchen hatte, jedoch war sie noch immer eine Frau, bei der er nicht zu unachtsam werden sollte.
 

„Ich möchte nur über etwas mit dir sprechen“, erklärte Chigusa ihr Vorhaben, der bewusst war, dass man ihre Einladung missverstehen konnte. „Es dauert auch nicht lange. Versprochen.“
 

„Na schön…“, entgegnete der Dunkelhaarige, dabei nach vorne schauend.
 

Während dem Unterricht passte Sousuke nicht wirklich auf, was sonst gar nicht seien Art war, doch Miss Amakata sah ihm nach, da sie ahnte, welch harte Tage hinter diesem lagen.

Stattdessen war sie auch viel beschäftigter damit, Kisumi zu motivieren und davon abzuhalten, Papierkügelchen in Chigusas Haare zu werfen, die sie hochgesteckt trug. Manchmal dachte Miho, sie würde einen Kindergarten leiten und nicht fast erwachsene Jugendliche in einer Klinik für psychisch Erkrankte unterrichten.

Rin schien es besser zu gehen, auch wenn der Rothaarige sich nun, da Sousuke wieder da war, mehr mit dessen Rücken beschäftigte, als mit den Aufgaben, denen er eigentlich nachgehen sollte. Alles in allem war die Stimmung jedoch entspannt, beinahe ausgelassen, sodass man sich fast wie in einer normalen, ein wenig klein geratenen, Schulklasse fühlte. Diesen Moment wollte die Lehrerin nicht zerstören, sondern ihn als guten Tag in Erinnerung behalten, an dem sie keine verstörten Gesichter entgegen sah, oder Kisumi davon abhalten musste, echte Dummheiten zu begehen…
 


 

Am Nachmittag nach seiner Therapiesitzung, blieb Sousuke im weißen Gang des 2. Stockwerks vor der ersten Tür stehen, die gleich auf der linken Seite der Aufzüge lag. Unschlüssig, ob er wirklich klopfen sollte, verharrte der hochgewachsene junge Mann vor Chigusas Zimmertür.

Ein ungutes Gefühl hatte er nicht wirklich, das hatte er noch nie gehabt, wenn er mit ihr sprach, oder sich in ihrer Nähe befand. Trotzdem wehrte sich sein Körper, sich mit jemand anderem als Rin auf ein Zimmer zu begeben, schon die Anwesenheit nur einer Person im Behandlungszimmer löste bei ihm Panik aus.

Hinzu kam, dass Sousuke noch nie im Raum der Brünetten gewesen war, da diese seines Wissens nach nicht gerne besuch hatte. Noch ein Grund, ihre Absichten zu hinterfragen…

Er wusste ja nicht, aus welchen Gründen Chigusa nicht gerne jemanden in ihr Reich ließ, konnte sich aber einiges denken…

Im Grunde hatte er nicht zu befürchten, oder?

Er war wesentlich stärker als das Mädchen und konnte sich im Notfall wehren…
 

Ein Mal Tief ein- und ausatmend, setzte Sousuke seine Knöchel an der Tür an und klopfte, wobei sein Herz dasselbe tat.

Keine zehn Sekunden später, ertönte ein Klicken, das andeutete, dass das Schloss entriegelt wurde.
 

„K-komm rein“, begrüßte Chigusa ihren Gast, wobei man ihr anmerkte, wie nervös sie war.
 

Diese Tatsache stimmte Sousuke skeptisch, sodass er sogleich in eine angespannte Schutzhaltung überging, ihrer Einladung aber trotzdem folgte.

Hinter ihm schloss sich die Tür, sodass sie sich nun wirklich alleine in diesem Zimmer befanden.

Dieses war standardmäßig wie jedes Einzelzimmer ausgestattet, so wie Kisumis, doch ihres war um einiges aufgeräumter als das des aufdringlichen Quälgeists, wie Sousuke ihn vorzog zu nennen. So weit so gut…
 

„Setz dich doch“, deutete Chigusa mit zitternden Fingern auf den Stuhl, der sich am Fenster befand.
 

Sie befahl sich tief durchzuatmen und sich zu beruhigen, sagte sich, dass sie sich vor Sousuke nicht fürchten musste. Das half ein wenig, sodass die Brünette gefasster und mehr wie sie selbst wirkte, als sie sich zu ihrem ordentlich gemachten Bett begab und niederließ, ihrem Gast zugewandt, der sich wenig entfernt von ihr auf dem Stuhl niedergelassen hatte.
 

„Du fragst dich sicher, warum ich dich hergebeten habe…“, begann Chigusa, ihre Aufregung versuchend zurückzuhalten.
 

Daraufhin nickte Sousuke nur, dem es nicht besser ging, auch wenn er mehr damit beschäftigt war, sich nicht anmerken zu lassen, wie seltsam er sich fühlte, mit einer Frau alleine zu sein, barg diese Situation weitaus mehr mehr als ein unangenehmes Erlebnis.
 

„Bevor du einen falschen Eindruck bekommst: Ich stehe sowieso nicht auf Männer…also ja…“, stellte die Brünette dann klar, wobei sie dem überraschten Blick des anderen auswich. „Ich dachte, das erleichtert dir die Situation ein bisschen.“
 

„Warum denkst du, dass es das tut?“, wollte Sousuke nach einer kurzen Weile neugierig, aber mit normal klingender Stimme, wissen.
 

„Mir ist aufgefallen, wie du dich in der Gegenwart anderer Menschen – insbesondere von Frauen – verhältst…weißt du noch, als ich dich vor eineinhalb Jahren mal unbedacht an der Schulter berührt habe?“, erinnerte sie an eine vergangene Begebenheit zurück, als Sousuke noch nicht lange in der Klinik gewesen war. „Deine Reaktion darauf war um einiges schlimmer als jedes Mal, als Shigi dir den Arm um die Schulter gelegt hat.“
 

„…stimmt wohl“, bestätigte der Dunkelhaarige ihre Beobachtung und wartete weitere Ausführungen ab.
 

„Weißt du, dein Verhalten hat mich an mich erinnert“, erklärte Chigusa nun, was den Größeren wiedermals überraschte.
 

Immerhin beschäftigte er sich nicht so ausführlich mit seinen Mitmenschen wie sie. Ihm fielen natürlich auch einige Besonderheiten und Angewohnheiten auf, doch schenkte er diesen keine zu große Bedeutung. Gerade deswegen fand Sousuke es gerade so interessant, was die andere zu sagen hatte.

Seine Anspannung löste sich mehr und mehr, das vermuten ließ, dass Chigusa recht behielt und es ihn tatsächlich sehr erleichterte, dass sie nicht auf Männer stand.
 

„Wie du weißt, hat mich mein Vater vergewaltigt…und das nicht nur ein Mal“, sprach die Brünette es aus, wie es war und behielt dabei die Fassung, auch wenn es ihr nicht leicht fiel, darüber zu sprechen, was ihr angetan worden war. „Seit dem ersten Mal, dass er mich berührt hat, konnte ich nicht anders, als bei jedem Kontakt zu einem Mann zu zittern und das Weite zu suchen.“
 

„…worauf willst du hinaus?“, war es Sousuke nicht ganz behaglich, in welche Richtung seine Gesprächspartnerin dieses führte.
 

Sein Herz schlug schneller als zuvor und die Anspannung kehrte zurück, wenn sie auch einen anderen Grund als die vorherige hatte. Wer aufgepasst hatte, konnte sich denken, weswegen Chigusa mit dem anderen das Gespräch suchte. Dass ihrer beider Vergangenheit von ähnlichen Begebenheiten durchzogen wurde, ließ sich erahnen, doch nicht sicherstellen, weswegen Chigusa sich wohl Klarheit schaffen wollte.
 

„Ich weiß, dass es mich nichts angeht, aber ich stelle mir schon lange die Frage, ob man dir nicht Ähnliches angetan hat wie mir…also deine Mutter“, brachte sie ihr Anliegen nur schwer über die Lippen, da sie wusste, wie schwer es sein konnte, über Missbrauch zu sprechen, erst Recht wenn es dabei um einen Menschen ging, der einem nahe stand.
 

„…du hast Recht“, senkte Sousuke den Blick und starrte auf seine gefalteten Hände, die in seinem Schoß lagen.
 

„Du musst nicht darüber sprechen, ich wollte nur, dass du weißt, dass ich nachempfinden kann, wie du fühlst…“, wisperte Chigusa leise, von der Erkenntnis nicht überrascht, aber schockiert.
 

Für sie war es bis zum heutigen Tag unbegreiflich, wie Eltern ihren Kindern so schreckliche Dinge antun, sie so traumatisieren konnten.

Sollten Eltern ihre Kinder nicht unterstützen, sie auf das Leben vorbereiten und ihnen bedingungslose Liebe entgegen bringen?

Sie zu nötigen, ihnen den Start zu erschweren, es ihnen vielleicht sogar unmöglich zu machen, eine normale Beziehung zu führen, wirkte so bizarr, dass man es nicht glauben wollte.

Dennoch geschah es…vielleicht öfter als man zu vermuten wagte.
 

„Anfangs konnte nicht mal Shigi mich berühren, ohne dass ich ihm eine verpasst habe“, fuhr Chigusa nach kurzer Pause fort. „Du weißt ja wie er ist…er hat sich auch mal an mich rangemacht.“
 

„…kann ich mir vorstellen“, nickte der Dunkelhaarige leicht, versuchend sich nicht auf die Erinnerungen einzulassen, die in ihm aufkamen und sich stattdessen auf die Worte zu konzentrieren, die das Mädchen aussprach.
 

„Als er nicht aufgeben wollte und er zu aufdringlich wurde, hab ich ihm in die Eier getreten. Danach war gut“, lachte Chigusa leise und versuchte die Stimmung ein bisschen zu heben. „Er hat danach nie wieder was versucht, stattdessen haben wir uns angefreundet…also was ich eigentlich sagen wollte, ist dass es nur wenige Männer gibt, die ich ohne Bedenken berühren kann. Das gleiche gilt für dich auch, nur mit Frauen und du hast damit allgemein ein Problem, nicht wahr?“
 

„Ja“, stimmte Sousuke zu, erfolgreich die Fassung bewahrend und gegen seine Gedanken ankämpfend.
 

„Darf ich dich fragen, wie lange sie dir das angetan hat? Also es ist schon sehr persönlich, aber ich denke, dass es eine wichtige Rolle dabei spielt, wie…“, erklärte Chigusa ihre Frage länger, wurde dann aber unterbrochen.
 

„Ich weiß nicht mehr, wann es angefangen hat. Ich war noch sehr jung…“, erwiderte Sousuke ruhig, doch man sah seinem Blick an, dass es ihm nicht gut ging und er mit sich haderte. „Es gab nie jemand anderen außer uns beiden…ich dachte, es sei normal…aber irgendwie hab ich doch gefühlt, dass es nicht richtig ist.“
 

„Oh man…“, sah Chigusa ihn nach diesem Geständnis mitfühlend an. „Dich hat es wahrscheinlich schlimmer erwischt als mich…“
 

„So würde ich das nicht sagen“, schüttelte der Größere den Kopf. „Jeder ist anders. Nichts, das einem angetan wird, ist weniger schlimm als das, das ein anderer durchgemacht hat.“
 

„…vermutlich hast du Recht“, seufzte die Brünette, beeindruckt von Sousukes Verständnis und Haltung. Wie sie vermutet hatte, musste man sich vor ihm nicht fürchten…solange man ihm nicht zu nahe trat.
 

„Ich sollte besser gehen“, erhob sich der Dunkelhaarige auf einmal ruckartig.
 

„Warte! Bevor du gehst, würde ich dich gerne noch etwas fragen“, stand Chigusa schnell auf, von der Aktion des anderen überrumpelt.
 

„…okay“, willigte Sousuke ein, linste dabei jedoch zur Tür…ihm wurde es langsam zu viel.
 

„Ist es bei Rin anders? Kannst du ihn berühren?“, wollte die Kleinere wissen, obwohl sie die Antwort bereits zu wissen glaubte.
 

„Ja, bei ihm geht es“, bestätigte er, bewegte sich dabei aber schon zur Tür.
 

„Okay“, nickte Chigusa leicht und ließ ihn dann gewähren. „Bis bald.“
 

Dieses aufschlussreiche Gespräch hatte zumindest ihr geholfen. Wie das bei Sousuke aussah, konnte sie nicht sagen, denn dieser schien noch nie wirklich über da gesprochen zu haben, das zwischen ihm und seiner Mutter vorgefallen war, das hatte man an seinem Tonfall erkennen können.

Wenn man darüber sprach, musste man sich mit den unschönen Ereignissen auseinander setzen. Dies fiel niemandem leicht, erstrecht nicht, wenn man ohnehin Schwierigkeiten mit Menschen hatte.

Die Verarbeitung solcher Traumata konnte allerdings nur stattfinden, indem man darüber sprach und sich damit auseinandersetzte, damit abschloss. Bis zum letzten Schritt war es ein weiter Weg, den nicht jeder überstand, aber selbst der kleinste Schritt der Besserung half.

Chigusa war inzwischen wesentlich weiter als bei ihrer Einlieferung. Aber nicht etwa, da ihre Therapie griff, nein, weil sie einen guten Freund hatte, der ihr beiseite stand, mit dem sie vertrauensvoll sprechen und üben konnte, normal auf Körperkontakt zu reagieren.

Dass Sousuke nun auch so jemanden gefunden hatte, freute sie, auch wenn dessen Beziehung zu Rin viel weiter ging, als ihre zu Kisumi. Sie bewegten sich auf rein platonischer Eben, während die anderen beiden sich eindeutig zueinander hingezogen fühlten. Ob die eine, oder die andere Voraussetzung besser, oder schlechter sein würde, konnte man nicht mit Sicherheit sagen. Jeder Mensch reagiere unterschiedlich und brauchte eine andere Behandlung, um mit sich selbst und seinen Erinnerungen klar zu kommen. Die richtige Methode zu finden, gelang selten, weswegen es auch noch so viele Menschen mit psychischen Problemen gab…für manche gab es vielleicht gar keine Heilung.
 


 

„Wo warst du so lange? Ich hab mir schon Sorgen gemacht!“, nahm Rin sofort die Kopfhörer aus den Ohren und schwang sich von seinem Bett, als Sousuke den Raum betrat.
 

„…ich war noch bei Chigusa“, erklärte der Größere, der nicht daran gedacht hatte, dass sein Freund sich um ihn sorgen würde.
 

„Oh man…und ich dachte schon, sie hätten dich wieder mitgenommen“, umarmte der Kleinere ihn nun und schmiegte sich an ihn.
 

„Tut mir leid…“, flüsterte Sousuke und schloss die Augen, als er die Arme um Rin schloss. „Kommt nicht wieder vor.“
 

„Dafür musst du heute ganz viel mit mir kuscheln“, nuschelte der Rothaarige gegen den Brustkorb des Größeren, dass man ihm seine Röte nicht ansehen konnte.
 

„Geht klar“, erwiderte Sousuke ebenso leise, die Nähe seines Freundes genießend.
 


 

„Ich hab deinen Geruch vermisst“, gestand Rin wenig später, als sie in seinem Bett nebeneinander lagen und er sich an Sousuke kuschelte.
 

„…wirklich?“, erwiderte der andere daraufhin. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet…
 

„Ich weiß auch nicht…du riechst einfach so gut“, stammelte Rin vollkommen nervös, sich aber unglaublich wohl fühlend, vor sich hin.
 

„Danke, du auch“, schloss Sousuke die Augen und sog die Luft ein.
 

Ihm fiel es schwer, Komplimente anzunehmen, aber wenn er im gleichen Zug etwas zurückgeben konnte, erleichtere es ihm die Lage. Nichtsdestotrotz war er bei seiner Antwort leicht rot um die Nase geworden.
 

„Sag mal…findest du meine Zähne auch so seltsam?“, wollte Rin nach einer Weile wissen, die sie schweigend verbracht hatten und rückte ein wenig von Sousuke weg, dass dieser sehen konnte, was er meinte.
 

„Mir ist aufgefallen, dass sie ziemlich spitz sind, aber sonst…“, blinzelte Sousuke den Kleineren nun perplex an. „Warum fragst du?“
 

„Dr. Masefield fand sie irgendwie interessant“, zuckte der Rothaarige mit den Schultern. „Aber sie stören dich nicht, oder?“
 

Dass der Arzt etwas interessant fand, bedeutete normalerweise nichts Gutes, doch von der nächsten Frage abgelenkt, beschäftigte sich Sousuke nicht so ausführlich wie es sonst der Fall gewesen wäre mit diesem Gedanken.
 

„Nein, warum sollte sie?“, erwiderte er ehrlich. Ihn störten Besonderheiten an Menschen nicht wirklich, eher fand er sie spannend und machten ihn neugierig mehr über den anderen zu erfahren.
 

„Ach nur so…“, errötete Rin und sah beschämt zur Seite.
 

Den Grund hinter diesem Verhalten konnte sich Sousuke beim besten Willen nicht ausmalen, beließ es aber dabei. Wenn sein Freund nicht darüber reden wollte, würde er ihn zu nichts zwingen…apropos, das brachte ihn auf ein wichtiges Thema. Im Prinzip wäre es angebracht, auch mit Rin über das zu sprechen, das ihm seine Mutter angetan hatte.

Chigusa wusste nun davon und Rin hatte so gesehen ein größeres Recht es zu erfahren, da sie immerhin zusammen waren und sich näher standen. Aber gerade deswegen fiel es Sousuke auch so schwer…was, wenn sich der andere dann vor ihm ekeln würde?

Dass das ein dummer Gedanke war, wusste der Dunkelhaarige selbst, doch die Angst blieb trotzdem bestehend.
 

„Ist wirklich alles okay?“, entschied sich Sousuke dann doch nachzufragen, weil den anderen das doch sehr zu beschäftigen schien und er still geblieben war.
 

„Na ja…also es könnte bei gewissen Dingen Probleme machen, denk ich“, drückte sich Rin um eine direkte Antwort, sah Sousuke dabei aber an und erwartete hoffnungsvoll, dass dieser auch ohne weitere Ausführung wissen würde, was er meinte.
 

„Gewissen Dingen?“, kam der Größere von selbst nicht darauf, was sein Freund meinte, da er noch nicht so weit war, sich über Funktionalität des Mundes dessen Gedanken zu machen, die die gewöhnliche überschritt.
 

„Na du weißt schon…“, lief Rin nun knallrot an, da er das Wort ‚Blowjob‘ oder ‚Oralsex‘ nicht in den Mund nehmen wollte, da er doch ein Japaner war und gerne Dinge umschrieb.
 

Daraufhin wurde er aber nur vollkommen verwirrt und ahnungslos von Sousuke angesehen, der zwar auch nur ein Mann war, aber eben ein sexuell traumatisierter. Unter normalen Umständen hatte er bestimmt gewusst, was sein Freund meinte, doch mit dieser Vergangenheit konnte man das vergessen.
 

„Ach egal…ist nicht so wichtig“, schloss der Kleinere das Thema nun entschieden ab, weil er einfach noch nicht darüber sprechen konnte, auch wenn ihn die sechs Tage ohne Masturbation ziemlich wuschig gemacht hatten, da Sousuke nun wieder da war.
 

Außerdem spielten seine Zähne vielleicht wirklich keine Rolle bei zukünftigen Aktivitäten. Es kam einfach darauf an, wie geschickt er sich anstellen würde und wie groß Sousukes Teil war…

Irgendwie hatte Rin nur die Vorahnung bzw. die Befürchtung, dass ihm seine Anatomie keinen Gefallen getan hatte, da man davon ausgehen konnte, dass ein großer Mann auch über größere Genitalien verfügte…das war nur proportional abhängig und normal.

In diesem Moment verfluchte Rin seine Zähne, im gleichen Moment aber hoffend, dass er Recht mit seinen ‚Berechnungen‘ hatte und Sousuke untenrum so groß war, wie er es sich dachte. Irgendwie gefiel ihm die Vorstellung…
 

„Wenn du das sagst“, war Sousuke nicht schlauer als zuvor und unterbrach den Kleineren in seiner Fantasie, was vielleicht auch besser so war.
 

„Ja, mach die keinen Kopf“, bestätigte Rin eifrig und beruhigte sich langsam.
 

„Okay…“, küsste der Größere ihn nun auf den Haarschopf.
 

Daraufhin angespornt, ging der Kleinere in die Initiative und erwiderte, indem er Sousuke auf die Lippen küsste und ihm wieder näher kam, sodass ihre Körper sich berührten. Nun durfte Rin sich nur nicht zu sehr mitreißen lassen, denn sonst bestand die Gefahr, dass er einen Ständer bekam.

So schlimm wäre das nicht einmal, da dieser nur ein Zeichen dafür wäre, dass ihm der Kuss gefiel und er sich zu dem anderen hingezogen fühlte, doch peinlich wäre es ihm trotzdem.

Zumal Rin noch immer nicht herausgefunden hatte, wie Sousuke es schaffte, seinen Druck abzulassen…vielleicht hatte dieser gar kein sexuelles Verlangen?

Nein, das konnte er sich nicht vorstellen…vor allem nicht, wie leidenschaftlich dieser ihn gerade küsste.

Seine Bedenken über Bord werfend, gab sich Rin dem anderen nun doch hin und bewegte seine Lippen fordernd gegen die des anderen, der daraufhin ein wenig zurückwich. Vielleicht war das doch etwas zu viel des Guten gewesen…
 

„Sorry…“, entschuldigte sich der Rothaarige, als sie sich kurz darauf voneinander lösten.
 

„Nicht schlimm…ich war nur überrascht“, erwiderte Sousuke, dem das nicht so viel ausmachte, wie er selbst gedacht hätte. „Aber mir ist wieder was eingefallen…“
 

„Ja? Was denn?“, wollte der Kleinere nun neugierig wissen, erleichtert, dass er nichts weiter Schlimmes angestellt hatte.
 

„Na du meintest doch vor längerem mal, dass du dich nicht erinnerst, wie du hergekommen bist…“, erklärte der Größere seine Überlegung. „Weißt du inzwischen mehr?“
 

„Nicht wirklich“, seufzte Rin, der sich ab und an mal versucht hatte, an jede Nacht zu erinnern. „Ich weiß nur noch, wie ich mich auf den Weg in einen Club gemacht habe und dann nichts mehr. Keine Ahnung, ob ich überhaupt dort angekommen bin und sie mich auf dem Weg betäubt, oder mir was ins Getränk geworfen haben.“
 

„Ich verstehe…sie sind wahrscheinlich auf Nummer sicher gegangen und haben was benutzt, dass einen Filmriss bewirkt hat“, vermutete Sousuke. „Aber es ändert letzten Endes doch nichts, ob du weißt, wie du hierhergekommen bist…wichtiger ist, dass wir wieder rauskommen.“
 

„Sousuke“, wurden Rins Augen groß, da er ahnte, dass der andere etwas ausheckte. „Du willst doch nicht…?“
 

„Ich hab dir gesagt, dass ich dich beschützen werde und hier bist du nicht sicher“, entgegnete der Dunkelhaarige ernst. „Egal was es kostet, ich werde dich hier rausbringen.“

Die Probleme des einen, sind die Probleme des anderen

Ende März, drei Wochen nachdem Sousuke zurückverlegt worden war, standen die Osterferien vor der Tür. Das bedeutete für Rin und ihn, dass sie sich bald wieder ins Schwimmbecken schleichen könnten, wenn der Großteil des Personals nach Hause gefahren war.

Am Freitagabend, saßen die vier Jugendlichen im Aufenthaltsraum und tauschten sich über ihre Erfahrungen aus. Sousuke und Rin saßen nah beieinander, doch sonst bekam man nichts davon mit, dass sie seit wenigen Wochen ein Paar waren. Kisumi und Chigusa ahnten dies, auch wenn man sie offiziell noch nicht aufgeklärt hatte.
 

„Also meine Therapie beschränkt sich im Moment darauf, dass er mir alle möglichen Fragen stellt und meinen Körper ab und zu untersucht“, teilte Rin den anderen mit, der unsagbar froh war, dass die körperliche Folter ein Ende gefunden hatte.
 

„Ist bei mir ähnlich“, nickte Chigusa. „Nur das mit dem Untersuchen fehlt.“
 

„Und bei dir?“, wollte der Rothaarige von Kisumi wissen, da er von Sousuke selbstverständlich auf dem Laufenden gehalten wurde.
 

„Vor kurzem hat Scarlett angefangen, meinen Körper auf Schmerzempfindlichkeit bzw. äußere Reize zu testen, weil ich ihr gesagt hab, dass ich letztens kaum mehr was beim Sex spüre“, zuckte der Rosahaarige mit den Schultern.
 

„…aha…und was ist dabei rausgekommen?“, wusste Rin nicht ganz, was er davon halten sollte und kniff die Augen ein wenig zusammen, genau wie Sousuke, welcher dem anderen gegenüber noch immer misstrauisch gestimmt war.
 

„Bisher noch nicht viel, aber sie hat auch erst Ende letzter Woche damit angefangen“, lächelte Kisumi schief.
 

„Und was ist bei dir gerade los, Sousuke?“, wandte sich Chigusa nun an den Größten ihrer Gruppe, da sie und ihr bester Freund im Gegensatz zu Rin nicht wussten, wie er behandelt wurde.
 

„Im Prinzip ist nicht viel anders als sonst“, erwiderte dieser widerwillig, da er nicht gerne über sich sprach, aber verstand, dass es wichtig war. „Nur hab ich das Gefühl, dass mich Dr. Kuznetsov in letzter Zeit mehr provozieren will als sonst.“
 

„Funktioniert es?“, blinzelte Chigusa neugierig, die noch nie gehört hatte, dass man einen Patienten bei einer Therapie auf irgendeine Weise provozieren wollte, um Antworten oder dergleichen aus diesem herauszukitzeln – oder viel mehr zu schlagen.
 

„…ich weiß nicht. Ich hab mich schon so dran gewöhnt, dass es kaum mehr einen Unterschied macht“, meinte Sousuke gleichgültig, auch wenn er insgeheim schon eine Vermutung hatte, was als Nächstes auf ihn zukommen würde.
 

So viel wollte er den anderen aber nicht über sich Preis geben, selbst Rin hatte er noch nicht davon erzählt, was der Doktor mit ihm anstellte, um ihn zum Reden zu bringen. Dass dieser seine Muttersprache beherrschte, da er Russe war, unterstützte diese Fähigkeit die Kraft seiner Worte. Wenn Dr. Kuznetsov ihn auf Japanisch, oder gar Englisch hätte versucht anzuschreien, oder Antworten aus ihm herauszubekommen, wäre das noch lange nicht so effektiv wie auf Russisch gewesen.

Seit die Klinik herausgefunden hatte, dass Sousuke am meisten auf diese Sprache reagierte, war ihm der russische Arzt zugeteilt worden. Zuvor hatte Dr. Masefield seine Behandlung geführt.

Japanisch beherrschte er auch beinahe perfekt, doch es war einfach nicht die erste Sprache, die er erlernt hatte…von Englisch ganz abgesehen, das er zwar verstand, aber kaum gesprochen in den Griff bekam.
 

„Okay…sofern du bemerkst, dass was anders ist, sagst du es uns, okay?“, sah Chigusa Sousuke nun eindringlich an, woraufhin dieser nickte. „Oder erzähl es wenigstens Rin.“
 

„Das macht er schon, keine Sorge“, lächelte der Rothaarige leicht und sah dann zu seinem Partner.
 

„Was läuft da eigentlich inzwischen bei euch?“, beugte sich Kisumi zu den beiden vor und sah sie neugierig mit einem anzüglichen Funkeln in den Augen an.
 

„Lass die beiden doch, Shigi“, ermahnte Chigusa ihren besten Freund, dass er die anderen nicht unter Druck setzen sollte.
 

„Ist schon okay“, wurde Rin nun leicht rot und tauschte Blicke mit Sousuke aus, um abzuwägen, ob es in Ordnung ging, dass sie den Stand ihrer Beziehung kundtaten. „Wir sind seit drei Wochen zusammen…“
 

„Na endlich!“, freute sich Kisumi nun und grinste die beiden an. „War ja kaum auszuhalten euch dabei zuzusehen, wie ihr umeinander geschlichen seid!“
 

„Ich freu mich auch für euch“, bestätigte Chigusa, drückte ihren besten Freund dabei auf seinen Stuhl zurück und wies ihn an, ein wenig leiser zu sein.
 

„Danke“, atmete Rin erleichtert aus und blickte zu Sousuke, der seine Gefühle nicht ganz so offen zeigte, man aber schon erkennen konnte, dass es ihm ähnlich ging.
 


 

Nachdem sich Kisumi und Chigusa schon auf den Weg zurück in ihre Zimmer gemacht hatten, bleiben Sousuke und Rin noch eine Weile auf der gepolsterten Eckbank sitzen.

Der Kleinere tastete nach der Hand seines Freundes und drückte diese leicht.
 

„Es ist doch alles okay bei dir, oder?“, wollte er ein wenig besorgt wissen, weil der andere so verschlossen und abweisend über seine Therapie gesprochen hatte und ihm auch nicht sehr viel erzählte.
 

„Mehr oder weniger“, entgegnete Sousuke und erwiderte den leichten Druck.
 

„Wenn was ist, sagst du es mir bitte“, sahen die roten Augen ihn eindringlich an.
 

„Okay…“, gab der Größere viel zu schnell diesem Blick nach, dem er nicht Stand halten konnte. „Also wegen meiner Therapie…“
 

„Also ist doch was?“, wurde Rin unruhiger.
 

„Es ist nicht schlimm, nur glaub ich, dass sie seit ich im 3. war herausgefunden haben, was mich wütend macht“, atmete Sousuke leise aus, weil es ihm gar nicht behagte, wenn jemand seine Schwächen herausfand und sie gegen ihn einsetzte.
 

„Und das wäre?“, zog Rin die Augenbrauen besorgt zusammen, näher an den anderen rückend.
 

„…alles, was mit dir zu tun hat“, gestand der Dunkelhaarige nun und sah dabei auf seine Füße.
 

„Sousuke“, sah Rin ihn nun überrascht an, entschloss sich aber gleichzeitig, nicht weiter nachzufragen.
 

Er konnte sehen, wie schwer es dem anderen fiel, darüber zu sprechen und so genau wollte er es auch gar nicht wissen, was man über ihn erzählt hatte, bzw. was man ihm anzutun androhte, sodass Sousuke wütend wurde. Solche Dinge erfuhr niemand gerne über sich selbst…
 

Anstatt verbal zu kommunizieren, lehnte sich Rin nun an seinen Freund an, den Kopf an dessen Schulter, ihre Körper eng beieinander. Ihre ineinander liegenden Hände ruhten nun auf Sousukes Oberschenkel.
 

„Wir sollten auf jeden Fall schnell einen Ausweg finden…“, raunte der Größere kaum verständlich.
 

Rin schloss die Augen und nickte, die Nähe des anderen genießend. Sousuke konnte sich nur leider nicht so gut entspannen, weil er sich immer in Alarmbereitschaft befand. Irgendjemand musste schließlich wachsam sein und Rin beschützen…
 

„Können wir zurückgehen?“, fragte Rin dann leise, da ihn der Klang von Sousukes Stimme und dessen Nähe doch schon ein bisschen erregte, auch wenn das sicher nicht dessen Absicht war.
 

Nichtsdestotrotz konnte Rin die Tatsache nicht leugnen, dass er in letzter Zeit sehr leicht erregbar war, was wohl damit zusammenhing, dass er in der Woche, als Sousuke nicht bei ihm gewesen war, keine Lust gehabt hatte, sich selbst zu befriedigen und jetzt, da sie zusammen waren, auch nicht mehr wirklich konnte. Die Liebe stellte seltsame Dinge mit einem an, wie dass man sich zum Beispiel nicht mehr mit der eigenen Hand begnügte, sondern wollte, dass der Partner diese Aktion ausführte.

Wenn es dann wie in ihrem Fall so war, dass Sousuke keinerlei Anzeichen von sich gab, in diese Richtung aktiv zu werden, und sich Rin nicht traute, blieb wohl mindestens einer auf dem Trockenen sitzen.
 

Auf dem Weg zurück, lösten sich ihre Hände voneinander, weil sie nicht Gefahr laufen wollten, entdeckt zu werden. Auch wenn ihre Freunde die Botschaft gut aufgenommen hatten, hieß das noch lange nicht, dass jeder einem gleichgeschlechtlichen Paar wohlgesonnen war. Ganz im Gegenteil: Rin wollte sich nicht vorstellen, was Dr. Masefield tun würde, wenn er herausfand, dass seine Therapie nichts gebracht hatte.

Dass der Doktor selbst nicht davon überzeugt war, dass man eine sexuelle Abart kurieren konnte, wusste schließlich niemand außer diesem selbst.

Der Rothaarige war ein wenig angespannt, weil er ahnte, dass er seinen guten Vorsatz, Sousuke Zeit zu lassen mit der neuen Situation klar zu kommen, nicht so lange wie geplant durchhalten würde können. Seine Toleranzgrenze war schon lange überschritten und der Umstand, dass sie beinahe jede Nacht in einem Bett schliefen, erhöhte die Chance auf ein weiteres Durchhalten nicht.

Sie schliefen immer gemeinsam in Rins Bett, außer wenn Sousuke einen schlechten Tag hatte und nicht einmal seinen Freund an sich heranlassen konnte. Dieser verstand de Probleme des Größeren allerdings und machte diesem keine Vorwürfe, auch wenn er sich in diesen Nächten ein wenig einsam fühlte. Immerhin schliefen sie so oder so im selben Raum, was die Sache erleichterte.
 

In diesem angekommen, gingen sie beide nacheinander duschen, bevor Rin sich dann zu Sousuke ins Bett legte, aber nicht wie sooft sofort an ihn kuschelte. Es gab da nämlich etwas, über das sie dringend reden musste, jedenfalls wenn es nach ihm ging. Dass der andere auch ein Anliegen vorzubringen hatte, wurde aber im nächsten Moment klar, da dieser schneller als sein Freund war und das Wort ergriff, kurz nachdem dieser sich zugedeckt hatte.
 

„…hast du eigentlich keine Angst vor mir?“, drehte sich Sousuke zu dem Kleineren um, ihn schon fast ein bisschen traurig anblickend.
 

„Warum sollte ich?“, wunderte sich Rin sichtlich über diese Frage, während er in die hellen Augen des Größeren sah, in denen keine Spur Boshaftigkeit zu erkennen war.
 

„Das vor ein paar Wochen und…“, setzte er an, wollte eigentlich noch seine Mutter ins Spiel bringen, ließ dann aber doch vorerst davon ab.
 

„Aber du hast das doch für mich getan…oder viel mehr wegen mir…weil du mich beschützt hast“, glätteten sich die Züge des Kleineren, der seine Hand nach dem anderen ausstreckte, ihm sanft über die Wange streichelte.
 

„Schon…“, erwiderte dieser überrascht und legte seine Hand dann auf die kleinere, diese schöne Geste genießend, die ihn außerdem von seinen schlechten Gedanken abbrachte.
 

„Na also“, lächelte Rin daraufhin leicht. „Warum sollte ich mich da vor dir fürchten?“
 

Sousuke wollte auch glauben können, dass er sich zumindest ein bisschen unter Kontrolle hatte und seinem Geliebten nie ein Leid zufügen, sondern nur vor diesen beschützen konnte. Daher schob er seine Bedenken beiseite und zog dafür den Kleineren in seine Arme, diesen vorsichtig an sich drückend.

Rin genoss die Nähe sehr, wollte aber auch gleichzeitig mehr, sodass er seinen Kopf hob, um den Größeren ansehen zu können.

Dieser verstand die Geste, da der Kleinere das öfter tat bevor sie sich küssten und lockerte die Umarmung, sodass sie genug Bewegungsfreiheit hatten, um ihre Lippen zu verbinden.
 

„Nicht erschrecken…“, hauchte Rin nachdem sie sich gelöst hatten gegen Sousukes Lippen, ehe er seine wieder auf dessen legte.
 

Ihm gefielen die Küsse unglaublich gut, die sie bisher ausgetauscht hatten, auch wenn diese ihm noch zu unschuldig waren. Trotz der mangelnden Erfahrung des Größeren, schaffte dieser es ihn so scharf auf mehr zu machen, wie kein anderer.

Sein Körper verlangte bei jeder Berührung nach mehr, sodass Rin nun wenigstens ausprobieren wollte, ob sie einen Schritt weiter gehen konnten.

Er öffnete seine Lippen und leckte dann über Sousukes, um Einlass bittend. Dieser verstand wohl instinktiv und öffnete seine einen Spalt breit, dass Rins Zunge sich zwischen diese schob. Sich langsam vortasteten, das neue Gebiet erkundend, seufzte der Kleinere in den Kuss hinein und forderte den anderen bald darauf zum Wettkampf heraus.

Das taten sie oft beim Training, warum sollte man dieses Verhalten dann nicht auf die Beziehung übertragen?

Womit Rin allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass Sousuke sehr dominant sein konnte, wenn man ihn erst einmal auf den Geschmack gebracht und sozusagen dazu aufgefordert hatte, sich zu beweisen. Als sich dessen Zunge jedoch in seinen Mund schieben wollte, musste der Kleinere den Kuss unterbrechen.
 

Mit geröteten Wangen sah er den verwirrten Sousuke an und meinte: „Du weißt doch…meine Zähne…ich will nicht, dass du dir weh tust.“
 

„Mir macht das nichts aus“, erwiderte der Größere leise und fackelte keine Sekunde länger.
 

Erst spürte Rin dessen Lippen auf seinen, dann dessen Zunge, die sich in seinen Mund schob, diesen neugierig erforschend. Schon jetzt schmeckte der Rothaarige etwas Blut, das von Sousuke stammte, diesen aber nicht davon abhielt, sein Tun fortzuführen. Und wie gut er das tat…

Vollkommen unerwartet war die plötzliche Übernahme des Geschehens durch den Größeren, sodass Rin gar nicht wusste, wie ihm geschah, hatte Sousuke sich doch sonst eher zurückgehalten.

Vielleicht erwachte sein Verlangen langsam durch ihre Küsse?
 

Für einen kurzen Moment lösten sie sich voneinander, sodass Rin mit verklärtem Blick zu seinem Freund sah, den das auch nicht kalt gelassen zu haben schien. Sousuke leckte sich Blut vom Mundwinkel.
 

„Mehr…?“, raunte er gegen Rins Lippen, der nicht wusste, ob das eine Frage, oder eine Aufforderung gewesen war, jedoch erwiderte, indem er den Abstand zwischen ihnen zunichtemachte.
 

So komisch es auch klingen mochte, der metallische Geschmack in seinem Mund trug dazu bei, dass sich das Blut in seiner Lendengegend sammelte und er einfach nicht genug von den schönen Gefühlen bekommen konnte, die Sousuke in ihm auslöste.

Diesem war höchstwahrscheinlich nicht bewusst, welches Ausmaß sein Handeln zur Folge haben konnte, doch als Rin näher an ihn rückte und seinen Schritt gegen seinen Oberschenkel presste, bekam er diese auch langsam mit.

Der Kleinere wusste nicht mehr wohin mit seiner Lust, sodass er sich nun am Bein des anderen zu reiben begann, leise in den leidenschaftlichen Kuss stöhnen. Inzwischen hatten sie zwar herausgefunden, wie sie ihre Zungen bewegen mussten, um nicht ständig an die spitzen Zähne zu stoßen, doch der verminderte Blutgeschmack verringerte Rins Verlangen keineswegs.

Durch die neugewonnene Sicherheit, dass Sousuke sich nicht seinetwegen wehtat, fiel es ihm leichter, sich diesem hinzugeben, auch wenn er nicht bedachte, dass seine Aktion auch nach hinten losgehen konnte. Immerhin hatten sie noch nicht darüber gesprochen, welche Ursache die Aphephosmophobie des Größeren hatte…
 

Je mehr sich Rin an Sousukes Bein presste, umso mehr zog dieser sich aus dem Geschehen zurück, bis der Kuss schließlich sein Ende fand.

Verwirrt und unschlüssig, blinzelte der Größere durch seine türkisen Augen den roten entgegen, die ihn so verlangend anblickten.
 

„…was?“, wollte Sousuke ratlos wissen, welche Bedeutung es hatte, dass Rin sich so an ihn drückte.
 

„Na du weißt schon…“, lief Rin noch eine Spur röter an, da ihm diese Situation unglaublich peinlich war.
 

Für einen Moment hatte er schon gedacht, das würde Sousuke zu weit gehen, doch offenbar hatte dieser nur keine Ahnung, was gerade abging. Das war besser, als sich plötzlich einem aggressiven Selbst des Größeren gegenüber zu sehen, doch nicht viel. Vor allem für Rin, weil er sich nun erklären musste.
 

„Kannst du…“, traute der Kleinere sich nicht, die Frage zu Ende auszuformulieren und griff stattdessen nach Sousukes Hand, um diese zu seinem Schritt zu führen.
 

Dieser stoppte ihn jedoch, bevor sie an ihrem Ziel angelangten und sah schon fast schockiert zu seinem Freund, bevor er ihm ehrlich mitteilte: „Ich weiß nicht, ob ich das kann.“
 

„Nicht mal ein bisschen?“, bat Rin, deutlich unruhig, seinen Herzschlag deutlich spürend.
 

„Ich glaube, ich muss dir was sagen“, seufzte Sousuke, sodass der Kleinere seine Hand nun freigab.
 

Sousuke musste sich erst von diesem Erlebnis beruhigen, sodass sein Herz nicht mehr ganz so stark gegen seine Brust hämmerte, bevor er sich überlegen konnte, wie er das Thema am besten vorbrachte.

Rin musste schlucken, da er bei dem Blick und Tonfall des anderen ahnte, dass nichts Erfreuliches folgen würde. Ihn beschlich die Vorahnung, dass er demnächst wieder selbst Hand anlegen musste, weil er von Sousuke nicht viel erwarten durfte. Irgendwie musste er sein Verlangen in den Griff bekommen…
 

„O-okay…ich bin bereit“, erwartete Rin die Erklärung für Sousukes Verhalten und vielleicht sogar ein bisschen mehr als diese.
 

Seine Erektion hatte sich auch wieder verabschiedet, da er aufgrund des ernsten Blickes des Größeren keine große Lust mehr verspürte. Wenn es Sousuke schlecht ging, oder ihn etwas bedrückte, konnte er unmöglich etwas von diesem verlangen, das nur ihm alleine etwas brachte. Außerdem empfand zumindest Rin es nicht sonderlich erregend, einen anderen leiden zu sehen.
 

„Ich kann dich noch nicht auf diese Weise anfassen, weil…“, setzte Sousuke nun zu seiner Erklärung an, stoppte dann aber wieder, weil er merkte, dass er besser von vorne anfangen sollte. „Also das mit meiner Mutter…wir waren eigentlich immer auf uns gestellt und sonst gab es auch niemanden in meinem Leben, zu dem ich engeren Kontakt hatte.“
 

Rin nickte einfach nur, da er zwar ahnte, was folgen würde, dies aber nicht wahrhaben wollte. Vielleicht irrte er sich auch und es war etwas anderes gewesen, das Sousuke dazu veranlasst hatte, seine Mutter umzubringen. Vielleicht hatte auch ein anderer ihm etwas angetan, sodass er eine Berührungsphobie entwickelt hatte?
 

„Am Anfang dachte ich, es wäre normal, dass sie…sie mich an diesen Stellen berührt“, fiel es dem Größeren deutlich schwer fortzufahren, weswegen Rin ihn verständnisvoll ansah und ihm über den Arm streichelte. „Aber irgendwie wusste ich, dass es nicht richtig war, doch bis es so weit war, dass ich mich wehren konnte, hat es lange gedauert.“
 

„Es tut mir leid…ich wusste nicht, dass du so etwas durchmachen musstest“, schämte sich Rin für seine mangelnde Selbstkontrolle und dass er nicht mehr Rücksicht auf seinen Freund genommen hatte.
 

„Du kannst ja nichts dafür…“, schüttelte Sousuke den Kopf und schloss für einen Moment die Augen. „Ich will es trotzdem versuchen…“
 

„Es muss ja aber nicht gleich heute sein“, kuschelte sich Rin an den Größeren. „Irgendwann…lass dir Zeit…“
 

„Aber du willst es“, erwiderte Sousuke leise, die Umarmung erwidernd.
 

„…ja“, nuschelte der Kleinere beschämt.
 

Im Grunde war es nichts Unnormales, dass man in einer Beziehung früher oder später anfing intim zu werden, doch wenn einer der Parteien ein großes Problem damit hatte, erforderte es Zeit und vor allem Vertrauen, zu dem Punkt zu gelangen, dass es für beide angenehm war.
 

„Ich tu mein Möglichstes“, küsste Sousuke den Kleineren auf die Stirn und schloss dabei die Augen.
 

Wenn er wusste auf was er sich einstellen musste, konnte er sich auch darauf vorbereiten. Wenn man ihn aber überrumpelte und somit überforderte, konnte es konnte sein, dass er zurückwich, oder sich gar an ein unschönes Erlebnis erinnerte und sich in dieses zurückversetzt fühlte.
 

„Danke. Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss“, seufzte Rin.
 

„Für dich bestimmt auch, oder?“, setzte Sousuke dagegen und traf damit voll ins Schwarze.
 

„Schon, aber nicht so schlimm wie für dich“, entwickelte sich langsam eine Argumentation aus ihrem Gespräch.
 

„Weißt du ja nicht“, merkte der Größere an.
 

„Hm, du hast Recht“, gab Rin schließlich nach, wobei ihm eine Frage wieder einfiel, die er sich schon seit längerer Zeit stellte. „Wie machst du es eigentlich? Oder vielmehr: wann?“
 

„Was genau?“, wollte Sousuke verunsichert wissen, worüber sie nun sprachen.
 

„Das was Jungs eben ab uns zu machen“, umschrieb der Kleinere seine Frage weiterhin, auch wenn ihm bewusst wurde, dass er beim anderen doch etwas mehr ins Detail gehen musste. „Also wann du dir einen runterholst…du gehst ja immer früh schlafen und brauchst auch nie lange im Bad und so…“
 

„Ach so…“, wurde es dem Dunkelhaarigen langsam klar, worauf der andere hinaus wollte. „Ich mach das eigentlich nicht.“
 

„Echt nicht?“, konnte Rin seine Überraschung nicht verbergen und sah den Größeren nun direkt an. „Wie hältst du das aus?“
 

„…ich kann es nicht“, wandte dieser den Blick peinlich berührt ab. „Wenn ich es versuche, kommen die Erinnerungen wieder hoch.“
 

„Oh…“, fühlte der Rothaarige sich wieder schlecht, weil er das Offensichtliche nicht in Betracht gezogen hatte. „Tut mir leid, dass ich so reagiert hab.“
 

„Kein Problem“, nahm Sousuke es dem anderen nicht übel, dass er nachgefragt hatte. „…sollen wir schlafen gehen?“
 

„Ja…ist wohl das Beste“, stimmte Rin zu, der nach der Aufregung die Müdigkeit stärker zu spüren bekam, als zuvor.
 

„Schlaf gut“, küsste Sousuke seinen Freund diesmal auf den Mund.
 

„Du auch“, gähnte Rin leise, als er sich einkuschelte. „Gute Nacht~“
 

Sofort fanden beide keinen Schlaf, da sich der Kleinere über das den Kopf zerbrach, das der andere ihm offenbart hatte. Außerdem verfluchte er seine eigene Dummheit und den Mangel an Feingefühl, der oft ein Problem darstellte.

Glücklicherweise schien Sousuke ihm die Fragen nicht übel zu nehmen und ihn traumatisiert hatte Rin mit seinen Aktionen auch nicht. Das war zumindest ein Pluspunkt, den er in der Entwicklung ihrer Beziehung vermerken konnte.

Bis sie soweit sein würden, dass sie miteinander intim werden konnten, konnte es nach dem neusten Stand der Dinge einige Zeit dauern.

Wie Rin diese überstehen sollte, daran wollte er gar nicht denken…

Für Sousuke war es sicher auch nicht leicht, wenn nicht sogar wesentlich schlimmer, da er mit mehr als nur der nicht befriedigten Lust zurecht kommen musste.

Wenn Berührungen erinnern

In den beiden Wochen vom 25. März bis zum 1. April fuhr ein Großteil des Personals für die Osterferien nach Hause. Darunter befand sich dieses Mal auch Miho Amakata, die zu ihrer kleinen Schwester nach Japan flog, da sie sich schon länger nicht mehr gesehen hatten.

Die Jugendlichen bekamen daher schulfrei und hatten ein relativ unbeschwertes Leben in diesen Tagen, weil auch die Therapie ausfallen würde, so dachten sie jedenfalls.

Sousuke und Rin planten schon lange, dass sie sich wieder ins Untergeschoss mit dem Schwimmbecken schleichen wollten, wenn die Luft rein wäre. Am zweiten Ferientag war es soweit und sie verbrachten einen Großteil der Nacht im Wasser.

Rin hatte sich schon immer gefragt, wie es wohl wäre, jemandem im Pool zu küssen und wurde auch nicht enttäuscht. Als er Sousuke einmal so weit hatte, tauschten sie innige Küsse aus, dicht aneinander gepresst, sodass sie den Körper des anderen, der nur vom engen Stoff der Schwimmhosen bedeckt wurde, intensiv wahrnehmen konnten.

Dies führte nicht nur beim Kleineren dazu, dass er seine Gefühle und vor allem seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle hatte. Bald also presste er seinen Schritt gegen den des anderen, seine Erektion vom enganliegenden Stoff eingeengt.
 

„Rin, warte…“, keuchte Sousuke, als er die kurze Gelegenheit zwischen ihren Küssen hatte, etwas zu sagen.
 

„Ich weiß…tut mir leid“, nahm dieser Abstand und verdeckte die Beule in seiner Hose mit seinen Händen. „Es war nur so schön…“
 

„Hab mich wohl auch mitreißen lassen“, bemerkte Sousuke, als er nach unten blickte.
 

Rin traute sich nicht nachzuschauen, doch die Verlockung einen Blick auf die Beule des anderen zu werfen, war beachtlich groß. Irgendwann musste er ohnehin herausfinden, wie sein Freund bestückt war. Doch als er kurz hinüber linste, hatte Sousuke sich auch schon umgewandt und war gerade dabei, aus dem Becken zu steigen, sodass er nicht viel zu sehen bekam.

Innerlich fluchend, atmete der Rothaarige nun tief ein und aus, um sich zu beruhigen und das Blut in seinen Lenden dazu zu veranlassen, sich an andere Stellen zu verteilen.
 

Als sie sich umzogen, war Rin sein Problem glücklicherweise wieder losgeworden. Wie man anhand seiner Reaktion feststellen konnte, hatte sein Plan sich mit Selbstbefriedigung Abhilfe zu schaffen, nicht vollkommen wie erwartet funktioniert.

Zwar tat er dies ab und an, dennoch sehnte er sich nach Sousukes Berührung und dass dieser ihm das gab, nach dem sein Körper verlangte.

Wäre das Verlangen nur von seinem Körper ausgegangen, wäre es vielleicht einfacher einzudämmen gewesen, doch auch sein Verstand sagte ihm, dass er den anderen wollte. Sein Herz erst recht, auch wenn dieses noch das vernünftigste dieser drei Komponenten war.

Dieses riet ihm, dem Größeren die Zeit zu lassen, die dieser benötigte und nicht auf seine eigenen Bedürfnisse, sondern auf die des anderen zu achten. Wenn es noch nur so einfach wäre und man seine Triebe in diesem Alter unter Kontrolle hätte…dämliche Hormone!
 

Es war schon halb drei als sie im Zimmer ankamen, sodass sie beide halb tot ins Bett fielen. Die körperliche Anstrengung durchs Schwimmen verursacht und die emotionale, durch die Knutscherei, kombiniert mit der Tatsache, dass sie unter normalen Umständen schon seit vier Stunden schlafen würden, führten dazu, dass beide in der Position einschliefen, in der sie das Bett betreten hatten.

Das hieß, dass Sousuke auf dem Rücken schlief und Rin auf dem Bauch, seinen linken Arm über den Brustkorb des Größeren gestreckt.
 

In diesen Tagen konnte man meinen, sie wären normale Jugendliche, die ein Internat besuchten, in dem sie sich austoben konnten. Sousuke hatte es auch geschafft, den Zugangscode für die Fitnessräume auf seine Karte zu ziehen, sodass sie die verbleibenden Tage nutzten, um jene Muskeln zu trainieren, die sie in ihrem Zimmer ohne Geräte nicht beanspruchen konnten.

Dementsprechend körperlich ausgelaugt und mit ordentlich Muskelkater, verbrachten sie den letzte Ferientag im Bett liegend.

Sie lagen nebeneinander und hörten über Rins Handy Musik, jeder mit einem Kopfhörer im Ohr. Sousuke besaß keins, doch selbst wenn, dann hätte das auch nichts an der Situation geändert. Er hörte normalerweise keine Musik, doch interessierte es ihn, was sein Freund mochte. Des Weiteren gab es sonst nicht viel zu tun und lesen wollte der Dunkelhaarige momentan auch nicht.

Dazu war er viel zu erschöpft und wollte außerdem viel lieber mit Rin kuscheln. Bisher lagen sie mit den Händen ineinander verhakt auf dem Rücken und mit geschlossenen Augen auf Rins Bett. Sousuke drehte den Kopf nun aber zu seinem Freund und öffnete seine türkisenen Augen, um diesen betrachten zu können.

Wie schön er Rin fand, wurde ihm in den letzten Wochen erst richtig bewusst. Natürlich mochte er rote Haare, doch das war nicht das Einzige, das ihm am anderen gefiel. Dessen feurig leuchtende Augen, die helle Haut und vor allem das schöne Lächeln zogen ihn immer wieder aufs Neue in ihren Bann.

Sousuke hätte den ganzen Tag damit verbringen können, Rins friedliches Gesicht zu beobachten. Ihm war klar, dass dies seltsam wirken konnte, doch etwas dagegen unternehmen wollte er auch nicht. Er streckte seine freie, linke Hand aus, um die weiche Haut berühren zu können.

Als seine Handfläche Rins Wange berührte, schlug dieser die roten Augen überrascht auf, lächelte dann aber, als er Sousukes Blick bemerkte und schmiegte sich an dessen Hand.
 

Gerade als sie sich einander entgegenstreckten, um sich zu küssen, ertönte ein lautes Klopfen von der Tür, das sie auseinander riss. So sehr erschreckt hatte Rin sich schon lange nicht mehr und verfluchte den Störenfried jetzt schon, der ihnen diesen Moment zerstört hatte.
 

„Ich geh Mal nachsehen, wer es ist“, gab Sousuke ebenfalls genervt von sich, nahm den Stöpsel aus dem Ohr und erhob sich.
 

„Heeeey~ Wo steckt ihr beide denn die ganze Zeit?“, streckte Kisumi den Kopf schon zur Tür herein, kurz nachdem Sousuke diese geöffnet hatte.
 

„Wir wollten nur mal nachschauen, ob alles in Ordnung ist“, meldete sich Chigusa zaghafter zu Wort als ihr Freund.
 

„Nur weil du jetzt einen Freund hast, kannst du deine Freunde doch nicht vernachlässigen!“, drängelte sich das Energiebündel am nicht sonderlich erfreuten Sousuke vorbei ins Zimmer und schmiss sich auf Rins Bett, diesen umarmend.
 

„Ah fuck, Kisumi!“, beschwerte sich der Kleinere als er so stürmisch umarmt wurde und daraufhin wieder nach hinten kippte, das Gewicht des anderen über sich. „Hast du eigentlich ‘ne Ahnung, wie sehr Muskelkater weh tut?“
 

„Und ich dachte schon, dir tut was anderes weh“, grinste dieser schelmisch, ließ aber von Rin ab, um Sousuke nicht noch eifersüchtiger zu machen, als dieser es wahrscheinlich ohnehin schon war.
 

„Ich hätte versuchen sollen, ihn aufzuhalten“, seufzte Chigusa nun entschuldigend und sah dabei ziemlich erledigt zu Sousuke.
 

„Schon okay“, presste dieser zwischen den Zähnen hervor, die Szene auf dem Bett beobachtend.
 

Rin vor aufgrund von Kisumis Annahme rot angelaufen und versuchte nun diesen von sich fern zu halten. Der Rosahaarige wollte nicht so ganz verstehen, dass man am liebsten seine Ruhe hatte, wenn man fünf Tage lang intensiv Sport gemacht und seinen Körper mehr als für gewöhnlich gefordert hatte.

Sousuke wurde das irgendwann zu bunt und so schritt er entschlossen zum Bett, pflückte Kisumi hinten am Kragen von Rin weg und zog ihn dann zu sich hoch.
 

„Genug jetzt“, ließ er den Kleineren los, besah ihn danach aber noch mit einem strafenden Blick.
 

„Ich nehm ihn dir schon nicht weg“, rieb sich Kisumi den Hals, da durch Sousukes Aktion eine Druckstelle an diesem zu erkennen war.
 

„Will ich auch hoffen“, zischte Sousuke ihm leise zu, sodass es die anderen beiden nicht mitbekamen.
 

Chigusa setzte sich nun zu Rin aufs Bett und schlug ihren Notizblock auf, den sie immer bei sich führte. Dort zeigte sie auf eine Seite, die noch relativ neu war, da sie sich weiter hinten befand.
 

„Shigi und ich waren gestern kurz im 3. Stock, damit ich meine Notizen erweitern konnte“, erklärte sie.
 

Wenn kaum Personal da war, konnte man das Gebäude besser erkunden, weswegen die Brünette die Ferien meist dazu nutzte, ihren Lageplan zu erweitern und zu verbessern. Ohne Kisumi traute sie sich aber nicht in alle Gebäudeteile, weswegen dieser oft mitgeschleift wurde. So hatten sie beide zumindest irgendeine Beschäftigung.
 

„Wie es aussieht, haben sie in diesem mindestens zwei Räume, die seltsam beschriftet sind…also ich konnte die Schilder jedenfalls nicht entziffern“, fuhr Chigusa fort, als sie auf zwei Räume deutete, die sich nebeneinander im mittleren Teil befanden. „Mein Kyrillisch ist nicht so gut…von meinem Russisch mal ganz abgesehen.“
 

„Hast du die Zeichen abgeschrieben?“, wollte Sousuke nun wissen.
 

„Ähm, ja klar“, sah sie von ihren Notizen auf. „Ich hatte völlig vergessen, dass du das kannst…“
 

„Schau ihn dir doch an! Kein normaler Japaner wird so groß“, scherzte Kisumi wieder und fuchtele mit seinen Händen herum, um Sousukes Körpergröße zu untermalen, wofür er ein grimmiges Brummeln von diesem zu hören bekam.
 

„Shigi“, verdrehte Chigusa die Augen, während Rin sich an die Stirn fasste…auch wenn Kisumi schon irgendwie Recht hatte.
 

Sousuke war eindeutig breiter gebaut als Rins Teamkollegen es gewesen waren. Selbst die größeren unter ihnen konnten da nicht mithalten, sodass man trotz dessen Sprachkenntnissen davon ausgehen konnte, dass diesem nicht nur japanisches Blut durch die Adern floss.

Des Weiteren hatte Sousuke Rin auch zuerst auf Russisch angesprochen, was vermuten ließ, dass dies seine Muttersprache war. Die Gesichtszüge ließen jedoch einen großen asiatischen Einfluss vermuten, die in Kombination mit dem Westlicheren eine ansehnliche Mischung ergab. Vor allem die türkisenen Augen, die seinen so mysteriös und gefährlich ansehen konnten~
 

„Hier…kannst du damit was anfangen?“, reichte Chigusa dem Dunkelhaarigen ihren Block, auf der entsprechende Seite aufgeschlagen.
 

„Ja, Moment“, nahm dieser ihn entgegen und besah sich ihre Notiz. „Auf dem einen steht ‚эксперимент камере‘ und auf dem andern ‚исследований‘…das bedeutet so viel wie Experimentierraum und Forschung.“
 

„Oh okay…dann schreib ich das am besten gleich dazu“, nickte Chigusa dankbar, als Sousuke ihr den Notizblock zurückgab.
 

„War einer von euch da schon mal drin?“, wollte Rin mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend wissen und sah dabei vor allem Sousuke an.
 

„Also ich nicht“, schüttelte die Brünette den Kopf. „Kisumi auch nicht.“
 

„…soweit ich weiß, war ich da auch noch nicht“, überlegte der Dunkelhaarige.
 

„Hört sich auf jeden Fall nicht sehr angenehm an, sofern sie da nicht nur Medikamente drin testen“, bemerkte Kisumi und sprach damit aus, was sie wohl alle dachten.
 

Chigusa erwiderte darauf nur: „Hoffentlich müssen wir das nie herausfinden.“
 


 

Als die beiden wieder gegangen waren und sich Rin aufs Bett zurücklegte, nachdem er sie hinausgelassen hatte, konnten sie beide wieder aufatmen. Bevor sich Sousuke wieder zu seinem Freund gesellte, ging er noch schnell auf die Toilette, während es sich dieser bereits auf der Seite bequem machte und seine Playlist durchging.

Viel dachte er sich nicht dabei, in welcher Pose er sich hinlegte, doch als Sousuke aus dem Bad zurückkehrte und sein Blick auf seinen Freund fiel, der schon ein wenig lasziv wirkte, wie er sich auf einen Arm stützte und ein Bein anwinkelte, sodass sein Schritt ungeschützt zu sehen war.

Sousuke musste ob diesem Anblick schlucken und wurde leicht rot um die Nase, während er sich fragte, was bei ihm auf einmal falsch lief, dass er so reagierte. Sonst empfand er doch selten – genaugenommen war ihm das erst ein Mal zuvor passiert – Erregung beim Anblick eines anderen Menschen, sodass er von seinen eigenen Gedanken vor den Kopf gestoßen wurde.
 

„Ist was?“, drehte sich Rin nun zu dem Größeren um, der nun schon eine Weile steif neben dem Bett stand.
 

„…was?“, blinzelte Sousuke als er auf einmal angesprochen wurde und Rin fragend zu ihm hochblickte.
 

„Du sahst eben irgendwie abwesend aus…hab ich was an mir, oder warum starrst du so?“, lachte der Kleinere leise, den der verwirrte Blick seines Freundes amüsierte.
 

„Nein, alles in Ordnung“, wehrte Sousuke schnell ab und beeilte sich nun, ins Bett zu gelangen.
 

Rin rückte zur Seite und machte ihm Platz, wodurch er seine anziehende Pose änderte und der Größere aufatmend durfte. Wenigstens diese ‚Gefahr‘ war nun gebannt.

Als sie nebeneinander lagen, beanspruchte der Kleinere seinen Freund jedoch sofort für sich und kuschelte sich an diesen. Dieser war nicht überfordert, aber ein wenig überrascht, wie anhänglich dieser trotz seines Muskelkaters war.
 

„Tut es eigentlich noch sehr weh?“, fragte er daher nach.
 

„Hm?“, wusste Rin erst nicht, was der andere meinte, bevor es ihm einfiel. „Ach du meinst den Muskelkater…es geht inzwischen ganz gut. Und wie sieht’s bei dir aus?“
 

„Ich spür schon fast nichts mehr“, wurde Sousuke erst in diesem Moment bewusst, dass seien Muskelschmerzen beinahe nicht mehr bemerkbar waren.
 

„…beneidenswert“, seufzte Rin und schloss für einen Moment die Augen.
 

Daraufhin erwiderte Sousuke nichts, sondern küsste Rins rotes Haar, das dieser in der letzten Woche ein wenig gestutzt hatte, sodass es wieder etwas kürzer, also schulterlang war. Langsam wurde es auch etwas wärmer draußen, sodass kürzere Haare bestimmt praktischer waren, auch wenn er die langen, roten sehr gerne ansah und zwischen seinen Fingern fühlten.
 

„Du magst meine Haare wirklich gerne, was?“, lächelte Rin, da ihm nicht entgangen war, wie oft Sousuke durch diese fuhr und diese küsste.
 

„Ja, ich mag sie…sie sind schön weich und rot“, bestätigte der Größere leise.
 

„Ich hab noch nie jemanden getroffen, der einen Fabel für rote Haare hat“, bemerkte der Rothaarige erfreut darüber, dass wenigstens einer – der ausgerechnet sein absoluter Traummann war – Gefallen an diesen fand.
 

„Ich hab auch noch nie jemanden getroffen, der so spitze Zähen hat“, konterte Sousuke und öffnete seine Augen, als er seien Hand an Rins Kinn platzierte und seine Finger dann zwischen dessen Lippen schob.
 

„Was wird das?“, wurde Rin rot, dem diese Geste doch sehr suspekt vorkam, auch wenn er ahnte, dass Sousuke keine Ahnung hatte, was er damit in ihm auslöste.
 

„Du hast wirklich ungewöhnliche Zähne“, meinte dieser dann nur und beantwortete die Frage nicht.
 

Stattdessen erkundigte er nun erstmals mit den Fingern den Mund des Kleineren, fuhr über die spitzen Zähne und begutachtete diese genauer. Sie ähnelten nur von der Form den Beißern der Knorpelfische, in der Anordnung unterschieden sie sich aber.
 

„U-und weiter?“, konnte Rin wegen der Finger im Mund kaum sprechen, die er mit seinem Speichel unabsichtlich beim Reden befeuchtete.
 

„Ich hab mich nur gefragt, wie sie so geworden sind“, ließ Sousuke trotz allem nicht von seinem Tun ab.
 

„Keine Ahnung…das ist vor ein paar Jahren gekommen“, erwiderte der Kleinere nun, dem es dann doch zu viel wurde und er Sousuke am Handgelenk packte, sodass er dessen Finger aus seinem Mund entfernen konnte, indem er daran zog. „Weißt du, wenn du meinen Mund blockierst, kann ich dir nicht wirklich antworten.“
 

Rins Wangen zierte noch immer ein Rotschimmer, weil er ein bisschen sauer war, dass Sousuke ihm einfach ohne Erlaubnis seine Finger in den Mund gesteckt hatte. Wirklich wütend war er aber nicht, da seine Aufregung hauptsächlich daher rührte, dass es ihm peinlich war, einfach etwas in den Mund geschoben zu bekommen und dass seine Zähne – wegen derer er sich auch unsicher war – im gleichen Zug begutachtet wurden.
 

„…‘tschuldigung“, blinzelte Sousuke, dem das im Nachhinein auch peinlich war…er hatte sich mal wieder vom Moment mitreißen lassen.
 

„Meine Eckzähne waren schon immer ein wenig spitz, aber dabei hat sich niemand was gedacht, weil das ja nicht so ungewöhnlich ist“, erklärte Rin dann, wie sich die Form seiner Zähne im Laufe der Jahre entwickelt hatte. „Als ich dann dreizehn wurde, sind aber auch einige andere spitzer geworden…ich hab zu der Zeit auch erst meine Milchzähne verloren, was mein Zahnarzt ungewöhnlich fand.“
 

„Könnte es was mit der Pubertät zu tun haben?“, überlegte Sousuke.
 

„Kann sein, dass mit dem Hormonchaos irgendwas durcheinander geraten ist…“, seufzte der Kleinere. „Ich könnte darauf getrost verzichten. Du weißt ja jetzt, dass das nicht wirklich praktisch ist.“
 

„Es gibt Schlimmeres“, fand der Dunkelhaarige. „Ich hab mich nur gefragt, ob du dir damit selbst nicht weh tust.“
 

„Am Anfang musste ich mich erst dran gewöhnen und hab mir die Zunge oft aufgeschlitzt, doch es ging bald“, beantwortete Rin die Frage des anderen ehrlich. „Vielleicht hat meine Zunge auch irgendwann so etwas wie einen Schutz dagegen entwickelt.“
 

„…zeig mal“, war Sousuke deutlich interessiert am neuen Aspekt, den der Kleinere aufgebracht hatte.
 

„Muss das sein?“, war Rin nicht unbedingt erpicht darauf, seinem Freund seine Zunge entgegen zu strecken, vor allem nicht, da er diese bestimmt wieder genau unter die Lupe nehmen würde.
 

Der Rothaarige war ohnehin von Selbstzweifeln geplagt was seinen Körper anging, auch wenn diese größtenteils unberechtigt waren. Aber man war sich selbst gegenüber doch immer kritischer eingestellt als anderen und man bemerkte oft Dinge an sich, die anderen niemals aufgefallen wären.
 

„Nur kurz“, bat der Größere nun.
 

„Na schön…“, gab Rin schließlich nach, sah in einer andere Richtung als nach vorne, aus der Sousukes Augen ihn beobachteten, und öffnete den Mund, sodass er die Zunge über die vordere Zahnreihe schieben konnte.
 

„Hm…“, beugte sich der Dunkelhaarige vor, sodass er näher an Rins Mund herankam.
 

Als er seine Beobachtungen abgeschlossen hatte, genoss Sousuke den niedlichen Anblick des Kleineren, der mit roten Wangen vor ihm saß und seine Zunge leicht hervor streckte. Daran könnte er sich gewöhnen.
 

„Fertig?“, schloss Rin seinen Mund wieder und schmollte dann ein bisschen, als er den Blick des anderen bemerkte. „Du bist doof.“
 

Daraufhin drehte er sich weg und kuschelte sich in seine Decke ein. Sousuke, der vollkommen ratlos war, was er falsch gemacht hatte, legte sich neben den Deckenhaufen und kuschelte sich von hinten an diesen, indem er einen Arm darum legte.
 

„Nicht böse sein“, murmelte er diesem entgegen und schaffte es nach einer Weile, dass Rin daraus hervorkam.
 

Inzwischen wurde es dunkel draußen, sodass der Rothaarige die Vorhänge zuzog, weil er sich doch immer ein wenig beobachtet fühlte, wenn das Licht innen an war. Zwar gab es in der näheren Umgebung weit und breit keine anderen Gebäude, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass man sie jeder Zeit durchs Fenster belauschen und bespannen konnte. Daher löschte er das Licht auch bald darauf, weil Sousuke ohnehin nicht mehr lesen würde, da er eine andere Beschäftigung gefunden hatte.

Dieser entdeckte langsam ein neues Hobby, das daraus bestand, mit Rin zu kuscheln und diesen zu küssen, oder einfach nur neben diesem im Bett zu liegen und ihn zu betrachten.

Von Letzterem bekam der Rothaarige nicht viel mit, da dies meist geschah wenn er schlaf, oder die Augen geschlossen hatte, doch die anderen beiden Punkte bekam er live mit.
 

Dass Sousuke einmal so großen Gefallen daran finden würde, ausgerechnet ihn zu küssen, hätte sich Rin vor einem halben Jahr nicht erträumen lassen. Damals hatte er geglaubt, sein gutaussehender, durchtrainierter Zimmergenosse wäre durch und durch hetero und würde schon gar nicht auf einen rothaarigen Japaner mit spitzen Zähnen stehen, doch wie es aussah, hatte er sich vollkommen geirrt.

Auch wenn der Größere ihn niemals unterhalb des Bauches berührte, ihn aufs Bett drückte, oder ihm sonst auf irgendeine Weise signalisierte, dass er mehr wollte, glaubte Rin zu erahnen, dass dieser langsam für mehr bereit war.

Vielleicht täuschte er sich auch, doch einen Versuch war es wert, die Grenzen zumindest auszutesten.
 

Sie lagen wie sooft nebeneinander auf der Matratze, blickten einander an, bevor sie sich umarmten und kuschelten. Sousuke war an diesem Abend der, der die Initiative ergriff und Rin küsste. Für gewöhnlich stürzte sich der Kleinere auf seinen Freund, sodass dieses Ereignis ihn angenehm überraschte. Dass dessen Motivation direkt damit zusammenhing, dass Rin sich am Nachmittag dieses Tages so aufreizend verhalten hatte, ahnte er nicht. Im Grunde brauchte es nicht viel, dass Sousuke auf ihn ansprang…doch das musste Rin erst einmal herausfinden.

In diesem Augenblick machte er sich herzlich wenig Gedanken, sondern genoss die Lippen auf seinen, die forsche Zunge, die sich zwischen diese schob und in seinen Mund eindrang. Diese äußerst willkommene Dominanz des Größeren löste in Rin automatisch das Verlangen aus, mehr von dieser auskosten zu dürfen.

Wenn es nach ihm ginge, dürfte Sousuke alles mit ihm anstellen, das dieser wollte. Das Problem dabei war nur, dass er ahnte, dass dieser nicht einmal selbst wusste, was er wollte, oder schlichtweg nicht bereit dazu wäre, so weit zu gehen. Außerdem war er sich fast sicher, dass dieser nicht wirklich auf Männer stand, was die Sache zusätzlich erschwerte.
 

„Sousuke“, keuchte Rin, als dieser ihm eine kleine Verschnaufpause gönnte. „Mehr…“
 

Dieser Bitte folge leistend, schloss der Größere de Augen wieder, um sich voll und ganz auf seinen Freund konzentrieren zu können. Wenn er diesem sonst schon nichts Gutes tun konnte, wollte er ihm wenigstens durch seine Küsse zeigen, wie sehr er sich zu diesem hingezogen fühlte.

Womit er nicht gerechnet hatte, war dass Rin nun aktiver wurde und seine Arme um Sousukes Nacken schlang. Dieser Aktion gefolgt drehte sich der Kleinere von der Seiten- in die Rückenlage und zog den Größeren somit über sich. Er spreizte die Beine ein Stück mehr als zuvor, sodass Sousuke sich über ihn knien konnte, ein Bein zwischen denen des Unteren.

Ein wenig überfordert, erwiderte er den Kuss nicht mehr so stürmisch wie zuvor und wartete erst einmal ab, wie sich die Situation entwickeln würde.
 

„Sousuke“, beschwerte sich Rin daraufhin, als der andere sich nicht mehr so ins Zeug legte wie zuvor und dabei gar nicht mehr daran dachte, dass dieser Probleme mit ihrer Lage haben könnte.
 

„Das ist…also…“, erwiderte dieser leise und sah dabei betrübt aus.
 

„…zu viel?“, beendete der Kleinere dessen Satz und fühlte sich einmal wieder schuldig, dass er so aufdringlich war und so viel vom anderen erwartete.
 

Sousuke nickte leicht auf die Annahme hin und wurde daraufhin freigegeben. Er setzte sich neben Rin, welcher sich ebenfalls aufrichtete und seinen Freund dann in die Arme nahm.
 

„Tut mir leid, dass ich dich so unter Druck gesetzt hab“, seufzte Rin und entschuldigte sich somit für sein Verhalten.
 

„Hast du ja nicht…“, entgegnete Sousuke, auch wenn dies nicht ganz der Wahrheit entsprach. „Ich will dir ja das geben, was du brauchst, aber schaffe es einfach nicht.“
 

Ihm ging es auch sehr nach, dass er sich einfach nicht dazu durchringen konnte, Rin da zu geben, wonach er verlangte – zumal er sich nicht einmal sicher war, was das war. Für ihn stand aber fest, dass er sich davor fürchtete, dem anderen zu nahe zu kommen, weil er sich in diesem Falle daran erinnert fühlte, was ihm als Kind und als Jugendlicher angetan worden war. Seine Mutter hatte ihn gegen seinen Willen berührt, an ihm herumgespielt und ihn benutzt.

Auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass Rin seine Hände spüren wollte, konnte er sich nicht dazu durchringen, diese Handlung durchzuführen. Des Weiteren befürchtete Sousuke, dass wenn sie sich zu nahe kämen, er die Kontrolle verlieren könnte. Niemals würde er es sich verzeihen, Rin zu verletzen.
 

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, brachte der Kleinere nun Abstand zwischen sie und sah den Größeren verzweifelt an, da er seine Lust trotz seines Verständnis‘ nicht zurückhalten konnte.
 

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Sousuke ehrlich. „Ich glaube, ich muss mich einfach an den Gedenken gewöhnen…“
 

Das bedeutete, dass er Zeit brauchte, sich mental vorzubereiten, so wie Rin das verstand. Wiederum hieß das für ihn, dass er sich gedulden musste. Wie schwer es ihm schon zu diesem Zeitpunkt fiel, sich zurück zu halten, wie schwer würde es erst in ein oder zwei Wochen aussehen?
 

„Kannst du mich heute ein bisschen streicheln?“, bat Rin seinen Freund und sah dabei auf dessen Shirt, weil es ihm zu peinlich war, diesem direkt in die Augen zu schauen.
 

„Natürlich“, küsste Sousuke ihn aufs Haar und streichelte über seinen Rücken.
 

Rin legte sich so hin, dass der Größere sich von hinten an ihn legen und seinen Bauch umschließen konnte. Dessen wohltuende Hände glitten über den Oberkörper des Kleineren und lösten bei diesem ein zuvor nicht gekanntes Gefühl der Entspannung aus. Er vertraute Sousuke voll und ganz.

Sousukes wahres Selbst konnte niemals einem Menschen Schmerz zufügen. So sanft wie sich dessen Hände anfühlten…

Diese schlüpften bald unter den Stoff und tasteten sich an der hellen Haut entlang, sodass Rin wohlig seufzte.

Nein, diese Hände konnten unmöglich einen Menschen umgebracht haben.

Ob er sich das sagte, weil er sich nicht eingestehen wollte, mit einem Mörder im Bett zu liegen und sich von diesem verwöhnen zu lassen, oder weil er wirklich dieser Überzeugung war, ließ sich nicht mit vollkommender Sicherheit sagen.

Dass Sousukes und Rins Gefühle im Einklang standen, war hingegen unumstritten.

Herkunft und Familie

Als die Osterferien vorüber waren und der normale Klinikalltag wieder losging, konnte Rin selbst im Unterricht an nichts anderes mehr als an Sex mit Sousuke denken. Natürlich war er komplett unerfahren in diesem Gebiet, doch die alleine Vorstellung daran, ließ ihn erschaudern. Wie er nur von einem eingeschüchterten, verängstigten, falsch behandelten Patienten wieder zu einem notgeilen Teenager werden konnte, war ihm selbst unbegreiflich.

Immerhin sah er Dr. Masefield fast jeden Tag und hatte noch gehörig Respekt, bzw. eher Angst vor diesem, da er die Folter, die dieser ihn durchlaufen hatte lassen, seinen Lebtag wohl nicht mehr vergessen würde, doch war er seit Wochen von seinen Triebe bestimmt. Diese übernahmen sein Denken und schafften es sogar, die unliebsamen Erinnerungen, die er mit dem sterilen Behandlungszimmer verband, zu verdrängen.

215 war inzwischen wieder hergerichtet worden, nachdem Sousuke es samt dem Pfleger demoliert hatte, sodass Rins Therapie wieder wie gewohnt in diesem stattfinden konnte.

Trotz der gegebenen Möglichkeit der Folter auf dem Stuhl, ließ der Doktor noch immer davon ab, diesen zu benutzen. Rin behagte die Gesprächstherapie zwar auch nicht, doch diese war um Längen angenehmer als mit Elektroschocks belohnt zu werden, sofern er es nicht absolut grauenhaft fand, zwei sich küssende Männer zu sehen.

Wäre der Rothaarige nicht so damit beschäftig, an seinen Freund zu denken, wäre ihm schon früher aufgefallen, dass sich Dr. Masefields Fragen inzwischen kaum mehr um seine Sexualität drehten. Stattdessen gingen diese in eine andere Richtung und er wollte wissen, wie seine familiäre Situation war, ob er sich noch gut an seinen Vater erinnere und wie sein bisheriges Leben im Allgemeinen verlaufen war.

Hellhörig wurde Rin aber erst, als es darum ging, wie er sich im Wasser verhielt. Zunächst hielt er die Frage für nicht weiter ungewöhnlich, da sie es von seinem ehemaligen Schwimmteam hatten, doch je weiter sie sich in die Materie vorarbeiteten, umso komischer wurde es.

Woher sollte Rin bitte wissen, wie lange er die Luft unter Wasser anhalten konnte? Er war doch immerhin kein Profitaucher!
 

Ein wenig verwirrt, aber sehr nachdenklich ging Rin aus dieser Sitzung, ausnahmsweise mal nicht an Sex denkend. Auf dem Weg in den 6. Stock ging er das Gespräch der letzten halben Stunde noch einmal durch. So wie sich der Arzt angehört hatte, konnte man meinen, er hätte versucht eine Fischart zu bestimmen, indem er seinen Patienten über dessen Merkmale ausgefragt hatte. Aber Rin war eindeutig ein Mensch und kein Tier…das alles ergab einfach keinen Sinn.

Mit diesem Abschluss des Gedankenganges, ging der Rothaarige dazu über, seine Zeit lieber damit zu verbringen, an Sousuke zu denken. Bisher saß nur Chigusa an einem der Tische an der Seite, als er im Aufenthaltsraum ankam, doch sein Freund und Kisumi würden bestimmt nicht lange auf sich warten lassen.

Das Mädchen beschäftigte sich wie so oft mit ihren Aufzeichnungen, während Rin sich alte Bilder auf seinem Handy anschaute.

Darunter befanden sich vor allem Party-Schnappschüsse mit seinen Freunden, aber auch ein Haufen Selfies. Trotz seiner Unsicherheit, was seine Haarfarbe anging, war Rin sehr eitel und mochte es, Bilder von sich zu schießen.

Aiichirou hatte ihm bei seinen halb besoffenen Shootings auch ab und an geholfen…ach ja. Was der Kleine jetzt wohl ohne ihn machte?

Immerhin war er doch so an ihm gehangen. Als dessen Senpai hatte Rin sich dazu verpflichtet gefühlt, ihn unter seine Fittiche zu nehmen, vor allem als er herausgefunden hatte, dass der Kleinere auch auf Männer stand. Sonderlich viele Tipps hatte er ihm zwar nicht geben können, doch es war nett gewesen, zumindest ein wenig Beistand zu haben. Irgendwie vermisste Rin die Idioten aus seinem Schwimmteam schon, auch wenn sie ihm ziemlich auf die Nerven gegangen waren. Er hoffte nur, die Mikoshiba-Brüder hielten sich von seiner Schwester fern, solange er nicht da war, um sie zu beschützen.

Dass Gou stark war und sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte, wollte ihr großer Bruder nicht so ganz einsehen. Vielleicht auch nicht, dass sie mental viel stabiler als er war, vor allem nach dem Tod ihres Vaters…
 

Da Rin gerade beim Thema Familie war, fiel ihm ein, dass er Sousuke zwei Tage zuvor eigentlich auch nach dessen Familie hatte fragen wollen. Dazu war es dann aber nicht gekommen, weil dieser ihn abgelenkt und sie dann doch wieder rumgemacht hatten. Dafür nah er sich vor, das Thema an diesem Abend noch einmal anzusprechen. Ihn interessierte es schon, weswegen sein Freund so gut Russisch sprach und auch nicht ganz Japanisch aussah.

Über dessen Familie wusste er auch nicht wirklich etwas, nur das mit dessen Mutter und dass er seinen Vater nicht kannte. Die genauen Umstände waren ihm noch verborgen.
 

Etwa zwanzig Minuten nachdem Rin sich niedergelassen hatte, stürmte Kisumi aus dem Aufzug. Wenn dieser einen Raum betrat, bekam man das auch in den meisten Fällen mit, sodass man quasi vorgewarnt wurde, sich auf das Schlimmste vorzubereiten.
 

„Chi-chan! Rin-chan!“, begrüßte er seine Freunde lächelnd. „Wie geht’s euch? Ich fühl mich super!“
 

„Lass mich raten, du hattest Sex?“, hob die Brünette den Blick abschätzend und veranlasste Rin dazu, sie ungläubig anzustarren.
 

„Du bist viel zu gut~“, ließ er sich neben seiner besten Freundin nieder. „Du solltest das echt auch mal ausprobieren…Frauen können einem wirklich ein gutes Gefühl geben, dass man sich viel besser fühlt, egal wie schlecht es einem ging.“
 

„…Shigi“, war ihr das schon ein wenig unangenehm, so auf ihre Orientierung angesprochen zu werden. „Du weißt, dass das nicht geht.“
 

„Aber glaub mir: Mit einer Frau ist es vollkommen anders als mit einem Mann“, meinte er es eigentlich nur gut und wollte ihr Mut machen, bedachte aber nicht, dass es anderen Menschen peinlich sein konnte, im Beisein eines Dritten über das eigene Sexleben zu sprechen. „Probier es doch einfach mal~“
 

„…nicht hier“, schüttelte Chigusa entschieden den Kopf. Wenn, dann wollte sie es mit jemandem tun, den sie liebte…und schon gar nicht an so einem Ort.
 

„Moment, heißt das, du…“, schaltete sich Rin nun dazwischen, dem soeben ein Licht aufgegangen war.
 

Zwar hatte er schon mit Chigusa über deren Leidensweg gesprochen, doch dabei hatten sie dieses Thema nicht angeschnitten. Wie schlimm musste es für eine Lesbe sein, von einem Mann genötigt zu werden?

Andererseits konnte sie danach trotzdem noch unbeschwert mit Frauen schlafen, sofern man diesen Zustand als ‚unbeschwert‘ bezeichnen konnte…

Sousuke hatte da wohl mehr zu kämpfen gehabt…auch wenn er es nicht zugab, oder selbst wusste, war Rin der festen Überzeugung, dass dieser hetero war. Diese Annahme stützte er auch darauf, dass sein Freund ihn bisher nicht anfassen wollte, obwohl dies auch andere Ursachen haben konnte.
 

„Ja, bin ich“, bestätigte Chigusa kleinlaut. „Es spielt aber sowieso keine große Rolle…ich sitze eh hier fest und bin nicht so wie Shigi, oder hab einen Sousuke, so wie du.“
 

„Es wird sich bestimmt jemand für meine beste Freundin finden lassen!“, war Kisumi der festen Überzeugung und nahm sie in den Arm.
 

So gerne Chigusa auch zugestimmt hätte, sie wusste, dass es niemanden für sie gegeben konnte, weil sie noch immer in eine alte Freundin verliebt war. Diese hatte sie seit Jahren nicht gesehen, doch die Gefühle waren noch immer so präsent wie damals.

Niemand konnte sich auf eine neue Beziehung einlassen, oder sich wahrhaftig neu verlieben, wenn man über eine vergangene Liebe nicht hinweg war.
 

Als sich Sousuke einige Minuten später zu ihnen gesellte, was das Quartett komplett du Kisumi konnte mit seinem Tratsch und Klatsch der letzten Wochen auspacken. Dabei ließ er wirklich nichts aus und plauderte munter über die Affären des Personals mit den Patienten, oder untereinander, sowie den neusten Einlieferungen. Außerdem waren ein paar Zwischenfälle dabei, die ihm zu Ohren gekommen waren.
 

„Hast du schon gehört: jemand hat Ryan ein paar Zähne ausgeschlagen und ihm das halbe Gesicht zermatscht“, wandte er sich an Chigusa, da diese das besonders interessieren könnte.
 

Stattdessen antwortete jedoch Sousuke gelassen: „Das war ich.“
 

„Oh man…“, blies Chigusa eine ihrer längeren Strähnen aus dem Gesicht und sah den Dunkelhaarigen dann an, der jedoch keine Mine verzog.
 

Rin machte daraufhin einen bedröppelten Gesichtsausdruck und spielte nervös mit seinen Fingern. So kam ihr die Vermutung, dass Rin vor einigen Wochen, als er ihr und Kisumi gestanden hatte, weswegen Sousuke verlegt worden war, Ryan gemeint hatte, als er von dem Pfleger gesprochen hatte, der ihn beinahe vergewaltig hätte. Das ergab alles erschreckend viel Sinn und auf einmal war sie ihrem besten Freund noch einmal viel dankbarer, dass er sie vor Ryans Flirterei gerettet hatte. Der Typ war ihr zurecht suspekt gewesen und irgendwie tat es ihr auch nicht leid, was mit diesem geschehen war. Er hatte von Sousuke seine verdiente Abreibung bekommen…
 

„Schade, er kommt demnächst wohl nicht mehr her…dabei war er gar nicht schlecht~“, wirkte Kisumi trotz der Bedeutung seiner Worte wenig mitgenommen vom Schicksal seines OneNightStands.
 

„…du hast mit dem Kerl freiwillig geschlafen?“, zog der Größte der vier seine Augenbraue skeptisch hoch und besah den Kleineren mit einem abwertenden Blick.
 

Chigusa nuschelte „…mehr oder weniger“ vor sich hin, da sie ahnte, dass ihr bester Freund nicht wirklich aus freien Stücken, sondern vor allem um ihr zu helfen, mit Ryan geschlafen hatte.
 

„Hey, ich hab doch gesagt, dass es in Ordnung ist“, sagte Kisumi etwas leiser in ungewohnt sanftem Tonfall und legte seinen Arm um die Brünette.
 

Sousuke wusste diese Szenen nicht zu deuten und blickte fragend zu seinem Freund, der neben ihm saß. Vielleicht wusste dieser mehr und würde ihn aufklären, denn einen der beiden anderen wollte der Dunkelhaarige nicht fragen.
 

„Vor ein paar Wochen hat mir Chigusa erzählt, dass der Typ sie belästigt und Kisumi sie vor ihm gerettet hat“, begann der Rothaarige aus seiner Erinnerung zu berichten. „So genau weiß ich aber auch nicht, was vorgefallen ist.“
 

„Okay“, nickte Sousuke und sah dann zu den anderen beiden, wobei sein Blick verriet, was er noch immer von Kisumi dachte.
 

Chigusa, die gut darin war, das Verhalten anderer zu deuten, meinte daraufhin: „Er ist nicht so, wie du denkst. Shigi hat einige Fehler im Leben begangen, aber das heißt nicht, dass er ein schlechter Mensch ist.“
 

„Hm…mag sein. Aber ich vertrau ihm immer noch nicht“, entgegnete der Größere wenig verwundert darüber, dass das Mädchen ihn so gut lesen konnte.
 

Er fühlte sich ihr auf eine Weise verbunden, die nur Leidensgenossen verstanden. Dabei spielten Gefühle, oder gar sexuelle Anziehung keinerlei Rolle. Sie befanden sich einfach auf einem Level der gegenseitigen Akzeptanz, des Verständnisses und wussten mit Sicherheit, dass auf den anderen Verlass war, auch ohne diese Worte jemals ausgesprochen zu haben.
 

„Sou-chaaaaaaan…“, quengelte Kisumi nun und sah aus, als wäre er wirklich sehr bestürzt darüber, dass sich der andere ihm so misstrauisch gegenüber verhielt.
 

Rin musste ob der komischen Szene leise lachen und drückte Sousukes Hand daraufhin leicht: „Gib ihm doch einfach eine Chance. So schlimm ist er wirklich nicht.“
 


 

Zurück auf ihrem Zimmer, hatte Rin endlich die Gelegenheit mit Sousuke über dessen Familie zu sprechen, genauer genommen deren Herkunft. Man traf immerhin nicht jeden Tag einen Menschen, der sowohl Japanisch, als auch Russisch beherrschte.
 

„Was ich dich schon länger mal fragen wollte: Du bist ja nicht ganz Japanisch, oder?“, sprach Rin das Thema, das ihn beschäftigte, sofort an, nachdem sie sich aufs Bett gesetzt hatten.
 

Sousuke schüttelte den Kopf und erwiderte: „Nein, meine Mutter ist zur Hälfe Russin gewesen.“
 

„Und dein Vater?“, hakte der Kleinere weiter nach, auch wenn er froh war, dass sich das Geheimnis um die Nationalität des anderen langsam zu lüften begann.
 

„Ich bin mir nicht sicher, aber das wir früher oft nach Japan in den Urlaub geflogen sind und sie dort wahrscheinlich Ausschau nach ihm gehalten hat, geh ich davon aus, dass er Japaner ist…oder war. Ich weiß ja nicht, ob er noch lebt“, gab Sousuke alle Informationen, die er zu seinem Vater hatte, offen preis.
 

„Hm…du weißt auch nicht, wie er heißt, oder?“, schlussfolgerte Rin daraus, dass sein Freund selbst nicht viel über seinen Vater wusste.
 

„Nein, sonst hätte ich schon nach ihm gesucht“, bestätigte Sousuke.
 

„Müsste das nicht eigentlich auf der Geburtsurkunde stehen?“, fiel dem Rothaarigen ein. „Hast du mal nachgeschaut?“
 

„Daran hab ich auch schon gedacht, aber meine Mutter hatte sie gut versteckt, sodass ich sie nicht finden konnte“, seufzte der Dunkelhaarige.
 

„Du tust mir leid“, rückte Rin an den Größeren heran und lehnte sich an ihn.
 

„Warum?“, war sich Sousuke nicht ganz sicher, weswegen er das Mitleid des anderen verdiente.
 

„Na es ist bestimmt nicht schön, wenn man nicht einmal weiß, wer sein Vater ist“, erklärte dieser sich. „Ich kenne meinen Vater auch nicht gut, aber meine Mutter hat wenigstens nie versucht, ihn aus meinem Leben zu löschen.“
 

„Hm…“, war sich der Größere nicht ganz sicher, welche Meinung er zu diesem Thema vertrat.
 

Natürlich hatte ihn die Herkunft, der Aufenthalt und die Identität seines Vater des Öfteren in seiner Kindheit beschäftigt, doch er hatte sich einfach seiner Mutter gefügt und aufgegeben, nach diesem zu fragen. Sie war immer furchtbar wütend geworden, wenn er etwas zu seinem Vater hatte wissen wollen…
 

„Deine Mutter hat nicht neu geheiratet, richtig?“, erkundigte sich Sousuke nach einer stillen Weile.
 

Ihn interessierte Rins Familie ebenfalls und er wusste schon, dass dieser eine Schwester hatte, die genau wie seine Mutter rotes Haar besaß. Viel mehr war ihm noch nicht geläufig, doch das konnte man bald ändern.
 

„Nein…ich glaube, sie liebt meinen Vater immer noch“, seufzte Rin. „Ich weiß auch nicht, ob es so gut gewesen wäre, wenn sie sich wieder auf jemanden eingelassen hätte…sie hatte mit Gou und mir genug um die Ohren.“
 

„Es muss schwierig sein, alleine zwei Kinder groß zu ziehen“, merkte Sousuke an, der sich bewusst war, dass seine Mutter schon mit einem Kind nicht zurecht gekommen war.
 

Aber er war auch nicht geplant gewesen – zumindest glaubte er das. Immerhin hatte Ilona ihm immer die Schuld dafür gegeben, dass sein Vater gegangen war. Das ließ stark vermuten, dass er ein ‚Unfall‘ gewesen war, zumal seine Mutter auch erst Anfang 20 gewesen war, als sie ihn bekommen hatte.
 

„Das auf jeden Fall, aber dafür hat sie’s ganz gut hinbekommen“, lächelte Rin. „Ich hab sie schon immer dafür bewundert, wie stark sie ist. Es ist in Japan nicht gerade einfach, sich als alleinerziehende Mutter durchzuschlagen.“
 

„Kann ich mir vorstellen“, nickte Sousuke.
 

„Meine Großmutter hat ihr zwar oft geholfen und auf uns aufgepasst als wir noch klein waren, aber den Großteil hat meine Mutter alleine geregelt“, erzählte Rin noch ein bisschen, dem es gut tat, über seine Familie zu sprechen, da er diese doch vermisste.
 

„Hast du eigentlich noch männliche Verwandte?“, fiel es dem Größeren auf, dass sein Freund immer nur von den Frauen in seiner Familie sprach.
 

„Die Eltern von meiner Mutter leben noch, aber sie wohnen weiter weg von uns, sodass wir sie nicht wirklich oft sehen“, erklärte Rin. „Meine Eltern sind beide Einzelkinder und mein anderer Opa ist schon tot.“
 

„Soweit ich weiß, ist meine Großmutter nach der Geburt von meiner Mutter gestorben und ihr Vater kurz nach meiner“, wunderte Sousuke das herzlich wenig, da es kein Wunder war jung zu sterben, wenn man bei der Mafia mitmischte.
 

Außerdem gab das auch eine gute Erklärung dafür ab, weswegen seine Mutter so überfordert und völlig am Ende mit den Nerven gewesen war, als sie ihn großgezogen hatte. Die beiden wichtigsten Männer in ihrem Leben hatten sie in kurzer Abfolge verlassen und stattdessen war er in ihr Leben getreten.

Er, der seinem Vater so ähnelte und sie jedes Mal ihren Verlust neu durchleben ließ, wenn sie ihn ansah.

So war es Sousuke jedenfalls oft vorgekommen, als er älter geworden war und sie oft gesagt hatte, wie sehr er doch nach seinem Vater kam. Das machte ihn neugierig, diesen kennen zu lernen, doch die Chancen darauf standen denkbar schlecht. Nicht nur, dass er dessen Namen nicht kannte, nein, er saß auch mitten in Sibirien in einer Anstalt fest, die meilenweit entfernt von jeglicher Zivilisation lag…
 

„Es muss schwer sein, sich alleine durchzuschlagen…“, murmelte Rin, dem Sousuke unendlich leid tat.
 

Ohne Familie durchs Leben zu schreiten, von der einzigen, die er gekannt hatte, gebrandmarkt…

Ohne es zu merken, schlichen sich Tränen in seine Augen. Aber er wollte nicht schon wieder vor Sousuke weinen, auch wenn diese Tränen alleine ihm galten…
 

„Ich bin nicht alleine“, legte der Größere seine Hand nun auf Rins Oberschenkel. „Ich hab dich.“
 

„Du hast Recht“, schniefte der Kleinere und wandte seinen Kopf zu Sousuke um, nachdem er sich über die Augen gewischt hatte.
 

„…warum weinst du?“, weiteten sich die türkisenen Augen überrascht. „Hab ich was gesagt, das du nicht mochtest?“
 

„Nein…“, setzte Rin entschieden dagegen und krabbelte aus Sousukes Schoß, auf dem er sich breitbeinig niederließ. „Ich weine für dich…du Idiot.“
 

Unfähig noch etwas zu erwidern, da der Kleinere ihn schon küsste, verharrte Sousuke einige Sekunden regungslos, bevor er seine Hände um den Körper des anderen schlang, der sich an ihn schmiegte.

Rin schaffte es wirklich, dass er sich besser fühlte und abgelenkt wurde. Sonst fiel es Sousuke immer unglaublich schwer, wieder aus einem Tief hochzukommen, doch seit er mit Rin zusammen war, ging es immer leichter.

Dieser bewegte seine Lippen leidenschaftlich gegen seine, schob seine Zunge dazwischen und schaltete den Verstand des Größeren kurzzeitig auf Sparflamme. So gut hatte Sousuke sich selten gefühlt…sich keine Sorgen mehr um seine Vergangenheit zu machen und den Moment zu genießen, half dabei, dass er sicherer in seinem Tun wurde und es sogar zuließ, dass Rin sich nun an seinen Schritt presste. Die Hüften des Kleineren begannen sich langsam rhythmisch zu bewegen, zogen ihn in seinen Bann.
 

„Sousuke…“, keuchte Rin, als sie sich kurz voneinander lösten. „Bitte…ich halt es nicht mehr aus…“
 

Worum genau es sich bei dieser Bitte handelte, konnte Sousuke nur vermuten, doch war er sich in jedem Falle nicht sicher, ob er diese erfüllen würde können. Da war immer noch diese Blockade, die Angst, Rin zu verletzen wenn er sich bedrängt fühlte und sich nicht mehr unter Korntolle hatte.

Für einige Sekunden sahen sie sich in die Augen, bevor Rin seine wieder schloss und den anderen fordernder, aber noch immer sanft küsste.

So sehr er es auch versuchte, er konnte sich nicht mehr zurückhalten. Schon seit über einem Monat geschah nichts zwischen ihnen, als dass sie sich küssten und dabei kuschelten. Nicht, dass das etwas Schlechtes wäre, doch Rin hatte einfach andere Bedürfnisse, die er selbst nicht mehr zu stillen vermochte.
 

„Ich kann das nicht“, ging Sousukes Atem schnell, als er bemerkte, wie Rin härter wurde und sich stärker an ihn presste.
 

„Warum?“, standen Rin die Tränen noch immer in den Augen, diesmal jedoch aus einem anderen Grund.
 

„…ich will dir nicht weh tun“, erwiderte der Größere leise und sah dabei verzweifelt aus.
 

„Du tust mir doch nicht weh“, entgegnete der Kleiner nicht minder verzweifelt.
 

„Aber ich will nicht wie meine Mutter sein“, biss Sousuke die Zähne aufeinander, da sich sein Körper anspannte.
 

Rin öffnete die Augen daraufhin weiter, da er langsam begriff, dass sein Freund nicht nur ein Problem damit hatte, berührt zu werden, sondern auch selber sexuelle Handlungen bei anderen auszuführen. Dem musste man aber irgendwie entgegenwirken können…
 

„Wenn ich etwas nicht will, bekommst du das schon mit“, versicherte er dem Größeren daher leicht lächelnd und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Tu, was immer du möchtest…wenn es mir zu weit geht, stoppe ich dich. Versprochen!“
 

Dass er diese Worte jemals benutzen würde, hätte Rin auch nie für möglich gehalten. Als ob er seinen Freund, der sein Traumtyp schlecht hin darstellte, jemals stoppen würde ihn anzufassen!

Dass er nicht ganz so sicher war, wie sein Verlangen es ihm vorspielte, wollte der Rothaarige dabei nicht wissen. Er unterschlug die Tatsache auch völlig, dass er sich noch nie ganz vor jemandem ausgezogen hatte, jegliche sexuellen Handlungen ebenfalls ausgeschlossen.

Wie weit bei Rin zu weit sein würde, wusste er also selber noch nicht, was die Situation zusätzlich erschwerte, doch er war in diesem Moment so von sich überzeugt, dass er sich auf die Seite fallen ließ, sodass er nun auf der Matratze ausgestreckt lag und seine Arme ausbreitete, Sousuke einladend.

Dieser blinzelte überrascht, ließ sich aber von der Stimmung mitreißen und begab sich zwischen Rins Beine, die dieser bereitwillig öffnete, dass man sich dazwischen niederlassen konnte.

Sie küssten sich leidenschaftlich und wesentlich ungehemmter als zuvor, während Rin sich nebenher die Sweatshirtjacke öffnete. Ihm wurde ziemlich warm, als Sousuke ihn zu streicheln begann, auch wenn dies noch mit seinem T-Shirt dazwischen stattfand.
 

„Warte kurz“, wies Rin seinen Freund an, der daraufhin perplex in der Bewegung inne hielt, bevor der Kleinere sich aufrichtete und das Shirt über den Kopf zog.
 

Ein Glück, dass der Abend schon vorgeschritten war, sonst hätte er sich das nicht getraut. Aber da das Licht noch ausgeschaltet und die Sonne untergegangen war, fiel es Rin etwas leichter, sich oberkörperfrei unter Sousuke zu präsentieren. Diesem schien der Anblick zu gefallen, da er diesen für einige Augenblickte einfach stillschweigend genoss, bevor er begann, mit den Fingern über die helle Haut zu fahren.

Rin wurde dabei sehr rot im Gesicht, da er den Effekt unterschätzt hatte, den Sousukes Berührung bei ihm auslöste. Außerdem begann bereits jetzt seine Sicherheit zu schwinden, dass er diese Aktion bis zum Ende durchziehen konnte – wo auch immer das Ende lag.

Immerhin hatten sie nicht darüber gesprochen, was Sousuke mit ihm tun würde. Von unschuldigem Streicheln, wie es jetzt gerade der Fall war, bis zum Sex war wirklich alles drin. Wenn man ihren Erfahrungsstand mit Rins Unsicherheit und Sousukes Trauma in Verbindung setzte, würde aber sicher nicht viel mehr geschehen…

Doch da sollte Rin sich täuschen, denn Sousuke kam gerade erst in Fahrt, als er sich zu ihm nach unten beugte und ihn lange küsste, ehe er an seinem Hals fortfuhr. Eine Hand steuerte dabei zielsicher über den Bauch weiter nach oben auf den Brustbereich des Kleineren zu.

Die Küsse an seinem Hals, lösten ein Kribbeln bei Rin aus, das sich über seinen ganzen Körper erstreckte und sich vor allem auf seine Körpermitte auswirkte. Als Sousuke dann auch noch über die Haut zu lecken, sich festzusaugen begann, keuchte Rin verhalten auf, von der Erregung überwältigt, die seinen Körper durchströmte.

Die warme Hand war inzwischen an seiner Brustwarze angelangt, die nun neugierig umspielt wurde, sodass sie hart wurde. Wie empfindlich Rin an dieser Stelle war, hatte er bis zu diesem Zeitpunkt selbst nicht gewusst, da er beim Masturbieren diese Stelle doch ausließ…dafür hatte er in letzter Zeit etwas anderes für sich entdeckt.

Zeit darüber nachzudenken wurde ihm allerdings nicht gelassen, weil Sousuke sich nun auch mit dem Mund weiter nach unten vorarbeitete und an seiner anderen Brustwarze festsaugte, sie mit der Zunge stimulierte.

Rin war seine eigene Stimme wirklich sehr peinlich, da er sich selbst noch nie so stöhnen gehört hatte, doch wusste er jetzt schon, dass das alles noch nicht genug war. So tastete er mit verklärten Augen nach Sousukes Hand, pflückte sich von seinem Brustkorb weg und bewegte sie weiter nach unten, zu seinem Hosenbund.

Für einen Moment hatte der Größere schon gedacht, er hätte etwas falsch gemacht, doch Rins Blick und seine Geste deuteten darauf hin, dass er nun woanders mit seiner Behandlung fortfahren sollte.
 

„Ist das wirklich okay?“, fragte Sousuke sicherheitshalber noch einmal nach, bevor er seine Hand unter den Stoff von Rins Hose gleiten ließ.
 

„Nun mach schon“, war es diesem peinlich noch darum bitten zu müssen, doch er wurde bald abgelenkt, als er eine Hand durch den Stoff seiner Shorts spürte, die ihn aufkeuchen ließ.
 

Selbst die indirekte Berührung seiner Erektion veranlasste Rin schon dazu, die Augen zusammen zu kneifen, da er spürte, dass bereits nicht mehr viel fehlte, dass er kam.

Die Wochen der unzureichenden Selbstbefriedigung und die Tatsache, dass ihn dort noch nie jemand berührt hatte, trugen dazu bei, dass sich das alles noch viel besser anfühlte.
 

„Sousuke…“, stöhnte er leise bittend und zog sich seine Shorts nun selbstständig herunter, dass man ihn endlich direkt anfassen würde.
 

Sousuke schluckte leicht, bevor er seinen Mund wieder an Rins Hals ansetzte und ihn dort liebkoste, bevor er dessen Glied mit seiner Hand umschloss und es zu reiben begann.

Der Kleinere warf den Kopf zurück und keuchte mit vorgehaltener Hand auf, als ihm diese unbekannte Sensation zuteilwurde. Sousukes Zunge arbeitete sich weiter nach unten vor, bis er wieder auf Höhe der Brustwarzen angelangte und sich an einer festsaugte.

Diese Stimulation in Kombination mit den unerwartet geschickten Bewegungen seiner Hand, ließen Rins Herz schneller schlagen, bevor er sich in die Hand biss, als er seinen Höhepunkt erreichte.
 

Mit rasendem Herzschlag, traute sich Rin kaum die Augen zu öffnen, weil er nie im Leben erwartet hätte, dass es sich so gut anfühlen würde, wenn ein anderer das bei ihm tun würde. Doch er hegte die Vermutung, dass das so war, weil er in Sousuke verliebt war und dieser wirklich gute Arbeit geleistet hatte.
 

„Sousuke…“, nuschelte Rin leise mit noch nicht völlig beruhigter Atmung, als er die Augen öffnete. „Komm her…“
 

Dieser blinzelte seinen Freund ertappt an, da er gerade dabei war, sich dessen Samen von den Finger zu lecken. Nicht nur die Neugier hatte ihn dazu gebracht, diesen probieren zu wollen. Eine Art Ur-Instinkt trieb ihn dazu…
 

Rin traute seinen Augen kaum, als er diesen Anblick zu Gesicht bekam. Vielleicht täuschte er sich doch und Sousuke stand zumindest ein bisschen auf Männer?

Wie dem auch war, er wollte jetzt kuscheln!
 

„Nun komm schon…“, schmollte der Rothaarige und zog sich die Hose wieder richtig an, bevor sich der Größere endlich dazu bequemte, in die Reichweite seiner Arme zu kommen.
 

„War es okay für dich?“, wollte Sousuke dann leise wissen, als sie aneinander gekuschelt im Bett lagen.
 

„Musst du das wirklich fragen?“, murmelte der Kleinere mit roten Wangen. „Ich glaub, so gut hab ich mich noch nie gefühlt.“
 

„Wirklich?“, konnte der Dunkelhaarige diese Worte kaum glauben, hatte er doch zu Beginn Angst gehabt, er wäre zu grob.
 

„Aber klar doch“, schmollte Rin leicht und gab seinem Freund einen Kuss. „Ich hätte nur auch gerne was für sich getan…“
 

„Mir reicht es schon, dass du zufrieden bist“, wehrte Sousuke die Bedenken des anderen schnell ab und lächelte dabei milde und ehrlich.
 

„Na schön…“, nahm der Kleine ihm diese Worte nicht ganz ab und wollte sich auch nicht eingestehen, dass er dem anderen auch etwas Gutes tun wollte, oder zumindest mal gerne dessen untere Körperhälfte gesehen, oder gespürt hätte.
 

Vielleicht war es dafür aber auch noch zu früh…

Die Not schweißt zusammen

Als Rin schon glaubte, sich in Sicherheit zu wissen, da er nun schon über zwei Monate Ruhe vor Dr. Masefields Folter hatte, ging dieser wieder dazu über, ihn am Stuhl fest zu binden. Am ersten Tag dieser erneuten physischen Therapie, bekam Rin schon eine halbe Panikattacke, da er sich nur zu gut an die Schmerzen erinnern konnte, die er auf diesem Stuhl hatte ertragen müssen. Zu allem Überfluss war auch noch Montag, was bedeutete, dass er noch weitere vier Tage vor sich haben würde, bevor ihm eine Pause vergönnt sein würde.
 

„Calm dow, Rin. Don’t panic…it won’t hurt this time“, beruhigte ihn der Psychologe nur wenig mit seinen Worten.
 

Schon zuvor hatte der Doktor auch schon gesagt, dass es nicht weh tun würde, nur um danach Nadeln in Rins Finger zu piksen, durch die er ihm elektrische Schläge verpasst hatte. Der Rothaarige traute dem anderen keinen Meter mehr über den Weg, erst Recht nicht nach der Aktion mit Ryan.

Wie krank war jemand, der einen anderen schickte, um seinen Patienten zu vergewaltigen, um den Fortschritt seiner Behandlung zu testen?

Seit dem hatte der Arzt nicht mehr wirklich etwas von Rin über seine Sexualität wissen wollen und den Vorfall auch nicht weiter erwähnt, doch der Schreck saß zu tief, als dass er sich in Sicherheit wiegen wollte.
 

„I just want to know, how much of a shark you really are“, hätte Dr. Masefield seine Worte nicht verwirrender, oder treffender formulieren können.
 

Rin starrte ihn ungläubig an, da er schon dachte, er hätte sich verhört, doch als der andere ihm darauf die Lippen auseinander schob, um ihm den Mund zu öffnen, hielt er alles für möglich.

In der Hoffnung, es würde wirklich nicht weh tun, hielt der Rothaarige erst einmal still, auch wenn er dem Arzt den Finger hätte abbeißen können, den er ihm zwischen die Zähne schob.
 

„Just as I thought…they really are sharp like a knife“, zog Dr. Masefield seinen Finger grade noch rechtzeitig heraus.
 

Als Rin das Blut des Arztes auf seiner Zunge schmecken konnte, hätte er fast dem Drang, dem Instinkt nachgegeben, in diesen zu beißen. Was um alles in der Welt stimmte nicht mit ihm? Hatte der andere etwas mit ihm angestellt?

Vielleicht war es auch einfach nur der Hass und der Wunsch auf Rache in Rin, der ihn solche Gedanken in ihm aufkommen ließ. Der Arzt sollte auch leiden…

Wer wusste schon, wie viele wegen ihm vergewaltigt, oder gefoltert worden waren?

Wenn er ein, oder zwei Finger verlieren würde, wäre das nur eine gerechte Strafe. Doch der rationale Teil in Rins Verstand dachte dies und steuert ihn wieder, hatte doch zuvor ein anderer Teil übernommen.
 

„Since you weren’t able to tell me, how long you can hold your breath, I want to test it“, erklang das unheilvolle Vorhaben des Psychologen, der partu nicht aufgeben wollte, alles Mögliche mit seinem Patienten auszutesten.
 


 

Etwa eine Stunde später, keuchte Rin nach Luft ringend auf dem Gang, sich an die weiße Wand mit den LED Leuchten am Boden lehnend, um zu Atem zu kommen. Der Verrückte hatte ihm doch tatsächlich den Kopf unter Wasser gedrückt und dann die Zeit gestoppt…

Das rote Haar sonderte noch immer Wassertropfen von der mit Wasser gefüllten Schale ab, in die man Rin mehrmals getaucht hatte.

Er hatte schon geglaubt, er würde ersticken, oder sich seine Lungen mit Wasser füllen, doch nichts dergleichen war geschehen. Außerdem hatte der Doktor ihn recht schnell entlassen und das ohne groß ein Wort über das Geschehene zu verlieren. Wie auch immer man es betrachtete, in dieser Sitzung war er eindeutig nicht therapiert worden. Nein, diese Behandlung hatte mehr einem Experiment geglichen, um sein Lungenvolumen oder was auch immer zu testen.
 

Auf dem Weg zurück nach 207, musste Rin wieder daran denken, wie Sousuke vor ein paar Wochen die beiden Raumbeschriftungen übersetzt hatte, welche Chigusa nicht hatte lesen können. Diese hatten wenn er sich nicht irrte, doch auch mit Experimenten zu tun gehabt, oder?

Vielleicht irrte er sich aber auch und diese Stunde und die Räume im 3. Stock hatten rein gar nichts miteinander zu tun. Sie wussten immerhin nicht einmal, welche Art Experimente dort durchgeführt wurden. Es konnte sich auch genauso gut um einen Testraum für Medikamente handeln, die einige Patienten benötigten. Schließlich war es kein Geheimnis, dass einige Insassen ruhig gestellt werden mussten, da sie sonst eine Gefährdung für sich selbst und die Allgemeinheit darstellten. Nicht jeder konnte mithilfe einer Lobotomie besänftigt werden, da viele noch Angehörige hatten, die sonst Fragen stellen würden.
 

Als Rin sich ein Handtuch aus dem Bad holte, kehrte die Angst um Sousuke wieder zurück, da dieser immerhin keine Verwandten hatte…

Auch wenn Dr. Masefield nichts über seinen Freund erwähnt hatte, war es nicht ausgeschlossen, dass sie diesen bei einer weiteren Ausschreitung ruhigstellen würden…für immer. Wer wusste schon, was die Leitung von Dimayz im Schilde führte?

Ziemlich fertig mit den Nerven, wartete Rin auf seinem Bett auf Sousukes Rückkehr. Er konnte gut eine Ablenkung gebrauchen und hätte allgemein nichts dagegen einzuwenden, wenn dieser ihm mal wieder einen kleinen Gefallen tat.

Seit dem ersten Mal, dass sie sich näher gekommen waren – oder viel eher, dass Sousuke Rin näher gekommen war – begann der Größere oftmals von selbst, seinen Freund auszuziehen und ihn zu streicheln. Wenn er dann das okay bekam, verwöhnte er diesen weiter und befriedigte zumindest einen Teil seines Verlangens.

Rin fragte sich inzwischen, ob es wirklich in Ordnung war, dass Sousuke ihm einen runter holte, umgekehrt aber nichts lief. Es war auch nicht so, dass der Rothaarige es nicht versuchte, aber sobald es um den Größeren ging, blockte dieser ab und zog sich zurück. Ungewöhnlich war das bestimmt nicht für die Opfer von sexueller Nötigung, doch trotzdem hatte Rin auch das Bedürfnis, Sousuke zu berühren.

Vielleicht würde das mit etwas Geduld auch funktionieren, doch so schnell machte er sich keine Hoffnung auf Besserung. Schwer zu akzeptieren war es aber trotzdem…
 


 

„…warum hast du ein Handtuch auf dem Kopf?“, war das erste, das Sousuke auffiel, als er ins Zimmer eintrat.
 

„Das ist eine lange Geschichte“, seufzte Rin. „Hat was mit Dr. Masefields neuer…‘Behandlung‘ zu tun.“
 

„Okay?“, setzte sich der Größere zu seinem Freund und gab ihm einen Kuss.
 

„Na ja…er hat mich heute in eine Wasserschüssel getaucht“, begann der Kleinere zu erzählen. „Um zu testen, wie lange ich die Luft anhalten kann.“
 

„Aber dir geht’s soweit gut, oder?“, wollte der Dunkelhaarige sofort wissen, wobei ein wütender Schimmer in seinen Augen zu erkennen war.
 

„Ja…es hat auch nicht weh getan, war nur unangenehm“, beruhigte Rin seinen Freund wieder, da er bereits ein paar Mal hatte miterleben dürfen, wie dieser darauf reagierte, wenn man ihm Schmerzen zufügte.
 

„Trotzdem…“, gab Sousuke grimmig von sich und schlang seine Arme von hinten um den Kleineren, sich an ihn schmiegend.
 

„Und wie ist es bei dir gelaufen?“, erkundigte sich der Rothaarige milde lächelnd und schloss die Augen, als er sich nach hinten lehnte.
 

Sousuke nahm es manchmal etwas zu wörtlich, wenn er meinte, er würde ihn beschützen, doch dagegen hatte Rin nichts einzuwenden. Erstens mochte er es, vom Größeren so umarmt zu werden, dass dieser wie eine Schutzfestung um ihn herum wirkte, zweitens fand er es auf eine seltsame Weise erregend, wie sein Freund darauf reagierte, wenn ihm irgendjemand zu nahe kam.

Normale Menschen hätten wohl Reißaus genommen, doch Rin fand dieses Verhalten anziehend. Seine Präferenz begründete er darauf, dass es in dieser Anstalt nicht schaden konnte, einen Bodyguard zum Freund zu haben, der einem Schutz gewährte – auch wenn dieser nicht immer angebracht war.
 

„…ich hab ein bisschen was kaputt gemacht, aber sonst ist alles okay“, murmelte Sousuke sehr nah an Rins Ohr, wodurch dieser eine Gänsehaut bekam.
 

„Was hast du kaputt gemacht?“, wollte der Kleinere wissen, interessierte sich aber nicht mehr so sehr dafür, da sich schönere Gefühle in ihm auszubreiten begannen.
 

„Nur einen Tisch…hab auch nicht wirklich Ärger dafür bekommen“, beruhigte der Größere seinen Freund und küsste dann dessen Nacken.
 

Als keine Antwort mehr von Rin kam, schlüpften Sousukes Hände – inzwischen schon geübt – unter dessen rotes Tank-Top, sodass er dessen weiche Haut unter diesen spürte.

Genießerisch seufzend, reckte der Kleinere seinen Kopf zur Seite, sodass der andere eine größere Angriffsfläche für seine Küsse bekam und diese sogleich ausnutzte.

Lange dauerte es auch nicht, ehe Sousukes Finger sich mit Rins Brustwarzen beschäftigen und diesen zusätzlich erregten.
 

„Ist es wirklich okay für dich, dass du das immer machst?“, nuschelte der Rothaarige und keuchte dann wieder auf, als sich der Druck der Finger erhöhte.
 

„Du magst es doch, oder?“, ließ Sousuke für einen Moment davon ab, sich an Rins Hals festzusaugen.
 

„Natürlich~“, öffnete der Kleinere seine Augen, um seinen Freund anzulächeln und diesen zu küssen, indem er den Kopf ein bisschen nach oben drehte.
 

„Dann ist es okay“, bestätigte dieser daraufhin und fuhr damit fort, seine Lippen an Rins Hals zu drücken.
 

Sousukes eine Hand wanderte nun nach unten, während sich die andere weiterhin darum kümmerte, die Burstwarzen zu umspielen.

Viel zu gut fühlte sich das alles an, als dass sich Rin noch großartig um irgendetwas gesorgt hätte. Diese Ablenkung funktionierte wirklich ausgezeichnet~
 

Bald schlüpfte Sousukes Hand unter Rins Bund, bahnte sich ihren Weg durch dessen Unterhose und umschloss dann dessen Glied mit einem sicheren Griff. Dieses aus seinem Gefängnis befreiend, öffnete der Größere seine Augen, um seinen Partner auch betrachten zu können, der die Augen geschlossen hatte und sich ihm hingab. Sousuke konnte der Versuchung nicht widerstehen und zog Rins Oberteil nun nach oben, um dessen helle Haut auch einmal bei Tageslicht betrachten zu können.
 

„…starr nicht so“, kam die leise Beschwerde von diesem, als zu lange nichts geschah.
 

„Entschuldige~“, hauchte Sousuke zur Besänftigung einen Kuss auf Rins Wange und fuhr sofort damit fort, sich dessen Erektion zu widmen, die im Grunde die gleiche Farbe wie dessen übrige Haut hatte. Nur die Eichel war natürlich dunkler, von der sich schon erste Tropfen der Lust absonderte, sodass er nun darüber fuhr und mit dem Daumen kreiste.
 

„Nicht da~“, keuchte Rin überrascht auf, reckte sich aber der wohltuenden Hand entgegen.
 

„Wenn ich aufhören soll, dann-“, hielt Sousuke schon inne, weil er dachte, dem anderen würde das nicht gefallen, obwohl das Gegenteil der Fall war.
 

„Nein…mach weiter“, quengelte der Kleinere, die Hüften schon ungeduldig bewegend, sodass sein Hintern gegen Sousukes Schritt gepresst wurde.
 

Ratlos, aber der Bitte folge leistend, fuhr der Größere mit dem Kreisen fort und entlockte seinem Partner damit wunderschöne Laute, von denen er gar nicht genug hören konnte.

Einer der Gründe, weswegen Sousuke das so gerne für Rin tat, war, dass er dessen Stimme genoss, die wie Musik in seinen Ohren klang. Ein anderer, dass der Kleinere so verlockend auf ihn wirkte, wenn er sich unter seinen Fingern wand und wohl fühlte. Außerdem war Sousuke sich sicher, dass kein anderer das je mit Rin getan hatte und auch nicht tun würde; nicht solange er lebte.
 

„Sousuke~“, stöhnte Rin bald darauf den Namen seines Freundes, als die Wellen des Orgasmus‘ seinen Körper durchzuckte und ihn atemlos in dessen Armen zusammensinken ließ. Nur gut, dass Sousuke ihn stützte und hinter ihm saß, sonst wäre er umgekippt.
 

Nachdem dieser sich das Sperma von den Händen geleckt hatte, wie er es meist tat, hatte sich Rin auch soweit wieder beruhigt, als dass er sich wieder richtig anziehen konnte.

Außerdem bemerkte er dabei, dass Sousuke noch immer hart war, da er etwas hartes in seinem Rücken spüren konnte. Ihn darauf ansprechen würde er aber nicht, da er ohnehin nichts für ihn tun würde können – sehr zu seinem Leidwesen.
 

„Macht es dir nichts aus, von einem wie mir berührt zu werden?“, murmelte Sousuke dann auf einmal leise in Rins Ohr und umschlang dessen Bauch mit seinen Armen.
 

„…warum sollte es?“, wusste dieser nicht ganz, worauf sein Freund hinaus wollte und genoss dessen Nähe einfach.
 

„Du weißt doch, was ich bin…“, erwiderte dieser.
 

„Ich weiß, dass du kein böser Mensch bist…du kannst ja auch nichts dafür, was man dir angetan hat“, nuschelte Rin vor sich hin, leicht rot um die Nase, weil es ihm schon ein wenig peinlich war, ausgerechnet von einem potentiell gefährlichen Kerl solche Befriedigung zu erfahren. Aber nicht etwas deshalb, weil er Sousuke für einen brutalen Killer hielt, sondern weil er von sich selbst überrascht war, wie er unter dessen Händen dahinschmolz.
 

„Ich bin immer noch ein Mörder“, schloss Sousuke die Augen und lehnte seinen Kopf an Rins Nacken.
 

„Jemand, der so sanft wie du ist, kann kein Mörder sein…“, setzte der Kleinere dagegen und meinte vollkommene ernst, was er sagte.
 

„Aber…also bin ich wirklich so sanft?“, war der Größere nun leicht verwirrt, da er immer dachte, er würde dem anderen weh tun, auch wenn alles dagegen sprach. „Ich hab immer Angst, dass ich dir weh tue.“
 

„Nichts da“, ließ Rin keine Widerrede zu. „Wenn du das tun würdest, würde ich mich melden.“
 

„Ganz bestimmt?“, wollte der Dunkelhaarige auf Nummer sicher sehen und öffnete seien Augen dabei einen Spalt breit.
 

„Glaub mir, das würdest du merken“, lachte der Rothaarige leise.
 

Unglaublich beruhigt, konnte Sousuke sich nun auch entspannen. Sein Ständer, von dem er mal wieder nicht viel mitbekommen hatte, verabschiedete sich auch langsam, was Rin wiederum ein wenig schade fand. Wie gerne würde er die Erektion des anderen mal zu Gesicht bekommen und viel lieber noch berühren, in den Mund nehmen…

Doch bis sich diese Fantasien in die Realität übertragen würden, hatte er noch einiges an Arbeit vor sich. Immerhin war es ein großer Fortschritt, dass Sousuke ihn nun berühren konnte und engen Körperkontakt nicht nur zuließ, sondern auch von sich aus wollte.

Auch in dieser Nacht kuschelte er sich von hinten an Rin, sodass sie beide einen angenehmen Schlaf hatten.
 


 

Am nächsten Mittag nach dem Schulprogramm saßen die vier Jugendlichen in der Mensa und unterhielten sich über ihre derzeitige Therapie. Dabei stellte sich heraus, dass auch bei den anderen härtere Maßnahmen ergriffen wurden, sofern man das so nennen konnte. Lediglich Chigusa blieb verschont, da sie mit ihrer Psychologin größtenteils nur sprach, so wie für gewöhnlich, wenn diese auch in letzter Zeit seltsame Fragen stellte. Darunter waren solche über ihre verstorbene Mutter und ob sie diese sehr vermisse, wie gut sie sich an sie erinnern konnte und so weiter. Aber auch, ob sie zurzeit einen Freund hatte, oder verliebt wäre, was sehr abwegig klang, wenn man bedachte, dass sie seit Jahren in einer Klinik für psychisch Kranke saß und die einzig Gleichaltrigen in ihrem Umfeld ein Psychopath, ein Schwuler und ein emotional distanzierter Mörder waren.
 

Nach dem Essen hatten sie noch ein bisschen Zeit, bevor Chigusa zu ihrer Sitzung musste und nutzten diese, um sich weiter auszutauschen. Kisumi versuchte Sousuke davon zu überzeugen, dass er ihm noch eine Chance geben solle und es ihm leid täte, dass er Rin vor seinen Augen geküsst habe.

Doch so wie es aussah, war da nichts zu machen, denn der Dunkelhaarige blockte jegliche Entschuldigung und alle sonstigen Annäherungsversuche der Nervensäge ab.
 

„Du hast es echt gut“, beneidete Rin die Brünette um ihre schmerzfreie Therapie.
 

„Dr. Watanabe ist wirklich eine Ausnahme hier“, nickte sie zustimmend und war heilfroh, dass sie keine Elektroschocktherapie durchmachen musste, so wie die Jungs. „Aber Dr. Masefield hat doch inzwischen auch damit aufgehört, dir…nun ja, Schmerzen zuzufügen, oder?“
 

„Das schon, aber inzwischen stellt er komische Sachen mit mir an. Gestern zum Beispiel hat er getestet, wie lange ich meine Luft unter Wasser anhalten kann“, brachte der Rothaarige Chigusa auf den neusten Stand.
 

„Oh man…“, schrieb sie dieses Ereignis gleich auf. „Und ich hatte schon gehofft, du hättest das Schlimmste überstanden.“
 

„Ich hoffe doch, dass ich das habe“, lachte Rin ein wenig unsicher.
 

Was konnte denn bitte noch folgen, nachdem man ihm derartige Schmerzen zugefügt und ihn fast vergewaltigt hatte?

Um auf andere Gedanken zu kommen, aber auch, weil er nicht die ganze Zeit nur über die Klinik sprechen wollte, entschloss er sich nun, Chigusa einige Fragen zu stellen. Er interessierte sich immerhin für seine Freunde und war auch neugierig darauf, welches Leben diese vor ihrer Einlieferung geführt hatten.
 

„Du bist schon ziemlich früh hierher gekommen, nicht?“, begann er, woraufhin sie nickte. „Ich hab mich nur gefragt, wie du mit der Veränderung zurecht kommst…und ob du deine Freunde auch so vermisst.“
 

„Anfangs war es natürlich nicht leicht, aber ich war hauptsächlich froh, von meinem Vater weg zu kommen“, verstand die Brünette Rins Fragen, da er wohl sein normales Leben vermisste. „Viele Freunde hatte ich auch nicht. Im Prinzip hatte ich bevor man mich hierher gebracht hat, nur noch meine beste Freundin. Ich frag mich oft, wie es ihr jetzt geht.“
 

„…wegen deinem Vater?“, fragte Rin vorsichtig nach, da er wusste, wie sensibel das Thema war.
 

„Ja, er hat mir so ziemlich den Kontakt zu allen verboten und mich isoliert, aber Gou hat nie aufgegeben…sie war schon immer sehr hartnäckig“, lächelte Chigusa, als sie sich an die Rothaarige erinnerte.
 

„Moment…Gou?“, blinzelte der Rothaarige überrascht.
 

Natürlich konnte es auch ein Zufall sein, dass die beste Freundin der Brünetten den gleichen Namen wie seine Schwester trug, doch so wie diese sie beschrieb, hörte sich das für Rin sehr nach seiner Gou an. Diese war auch eine Kämpfernatur und gab niemals nach, wenn ihr etwas oder jemand wichtig war.

Leider hatte Rin den Großteil seines Schullebens im Internat verbracht, sodass er nicht viel von dem Leben seiner Schwester mitbekommen hatte, doch meinte er sich erinnern zu können, dass diese mit 11 oder 12 Jahren mal sehr betrübt nach Hause gekommen war, weil ihre Freundin nicht mehr zur Schule kam. Konnte diese vielleicht Chigusa gewesen sein?
 

„Ja, warum fragst du?“, verstand die Brünette nicht ganz, was das Problem am Namen ihrer besten Freundin war, auch wenn es sich um einen Jungenname handelte. „Du hast auch einen Mädchennamen.“
 

„Nein, nein…darum geht es mir gar nicht“, wehrte Rin schon ein bisschen beleidigt ab, was Sousukes Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. „Meine Schwester heißt nur auch so…und ich dachte, vielleicht meinst du ja sie.“
 

„Stimmt…“, wurden Chigusas grüne Augen größer. „Gou hatte ja auch einen großen Bruder mit einem lustigen Namen!“
 

„Danke auch“, schürzte Rin die Lippen, fand es aber schon irgendwie toll, dass er Gous verschwunden geglaubte Freundhin auf Umwegen und völlig unerwartet gefunden hatte.
 

„Nicht böse gemeint“, lachte sie nun. „Ich freu mich nur, dass es ihr gut geht…es geht ihr doch gut, oder?“
 

„Ja…sie schlägt sich ziemlich gut in der Schule“, bestätigte der Rothaarige daraufhin weniger beleidigt. „Ich weiß auch, dass sie ziemlich niedergeschlagen war, als du auf einmal nicht mehr da warst.“
 

„Oh, ich hätte ihr so gerne gesagt, dass es mir gut geht, aber ich konnte ihr nicht schreiben…ich durfte nicht“, senkte Chigusa den Blick.
 

„Du kannst ja nichts dafür“, schüttelte Rin den Kopf und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
 

„Danke…wenigstens weiß ich jetzt, dass ich mir keine Sorgen um sie machen muss“, lächelte die Brünette Rin dankbar an. „Ich hoffe trotzdem, dass wir uns irgendwann wieder sehen werden.“
 

„Ja, ich auch“, stimmte der Rothaarige zu, der seine Schwester sehr vermisste.
 

„Ich will Rin-chans Schwester auch mal kennen lernen!“, mischte sich Kisumi nun ein, der bis eben gespannt zugehört hatte, genau wie Sousuke.
 

„Aber Finger weg von ihr! Ich hab schon genug damit zu tun gehabt, die Mikoshibas von ihr fern zu halten!“, stellte Rin im Vorneherein klar.
 

„Mi…koshibas?“, wiederholte Sousuke den Nachnamen.
 

„Ja, was ist mit ihnen?“, sah Rin seinen Freund fragend an.
 

„Mir kommt der Name nur bekannt vor. Ich glaub, ich bin mal gegen einen von ihnen geschwommen“, überlegte der Dunkelhaarige.
 

„Das kann gut sein, er ist ein Jahr älter als ich und ziemlich gut“, nickte Rin daraufhin.
 

„Maaaan…warum kennt ihr euch alle untereinander?“, fühlte sich Kisumi ausgeschlossen und suchte Nähe bei seiner besten Freundin, die ihn den Kopf tätschelte.
 

„Immerhin hast du jetzt uns, oder?“, lächelte sie dabei.
 

„Ja, das stimmt! Aber ich vermisse meine Freunde schon“, seufzte der Rosahaarige.
 

„Du hattest sowas?“, wollte Sousuke nicht ganz glauben, dass der Psychopath und Kinderschänder dazu fähig gewesen war, sich mit jemandem anzufreunden.
 

Dazu war ja nicht einmal er fähig gewesen…
 

„Ja natürlich! Mako-chan und Haru~“, nickte dieser eifrig. „Ich glaub, Haru mochte mich nicht so wirklich, aber Makoto war immer sehr nett zu mir.“
 

„Oh man“, wunderte den Größeren gar nichts mehr.
 

„Oh! Ich muss dann bald los!“, bemerkte Chigusa bei einem Blick auf die Uhr.
 

„Bis später, Chi-chan~!“, schob Kisumi seine beste Freundin in Richtung Aufzüge, während die anderen beiden diesem beinahe alltäglichen Schauspiel zusahen.
 

Dann sahen sich Sousuke und Rin gleichzeitig an und lächelten daraufhin, weil sie wohl das Gleiche dachten: Selbst an einem so trostlosen Ort, konnten Freundschaften entstehen, die vermutlich ein Leben lang halten würden.

Nicht nur das, sie beide hatten einander durch unglückliche Umstände gefunden und wie es aussah, wurden sie sich auch nicht mehr so schnell los und wollten das auch gar nicht.

Plagende Erinnering

Ein paar Tage später, kam ausnahmsweise Sousuke völlig fertig mit den Nerven von seiner Therapiestunde zurück, die er seit Längerem bei Dr. Kuznetsov absitzen durfte.

Dieser liebte es, Patienten grundlos zu quälen, sollte er einen Funken Schwäche bei ihnen entdecken. Dann tat er sein Bestes, um seine Überlegenheit kund zu tun, doch wenn jemand – so wie Sousuke – es wagte, sich ihm zu widersetzen, wurde er richtig ungemütlich. Leider wusste der Arzt auch, dass der Halb-Russe um einiges stärker als er selbst war, erst recht wenn man ihn in Rage versetzte, was er nur zu gerne tat und das nebenbei auch die Anweisung von Dr. Masefield, seinem Vorgesetzten war.

Er sollte Sousukes Toleranzgrenzen austesten und vor allem überprüfen, ob dieser wirklich so stark auf Rin reagierte. Diesen persönlich zu holen, war auch gar nicht nötig, denn bloße Andeutungen genügten tatsächlich schon, um den Dunkelhaarigen um den Verstand zu bringen. Daher musste der Arzt ihn auch immer fesseln, damit er nicht Gefahr lief, wie der Tisch vom Montag zu enden. Der war nämlich in der Mitte durchgebrochen und absolut irreparabel, sodass er schon die ganze Woche ohne Schreibunterlage auskommen musste.

Dieses Ärgernis, das er im Grunde selbst verschuldet hatte, ließ er wiederum an seinem Patienten aus, den er am Montag so weit gebracht hatte, dass er gast wieder einen Raum demoliert hätte.

An diesem Tag entschied er sich dafür, den jungen Mann an Händen, Füßen und um den Bauch zu fesseln, denn was er für ihn vorbereitet hatte, würde diesen garantiert zu Kopf steigen.
 

So kam es dann auch, dass Sousuke gegen halb sechs am Abend mit Abdrücken seiner Lederfesseln an den Handgelenken, an den Knöcheln und am oberen Bauchbereich kaum noch etwas spürte, als er den weißen Flur der 3. Etage entlangging. Sein Körper hielt diesen Zustand nicht mehr lange durch, doch wenigstens bis zum Aufzug musste er es noch schaffen.

In dessen Kabine angelangt, drückte er den Knopf mit der ‚2‘, doch dann gaben seine Beine nach und er ging in die Knie.

Der Schmerz brach mit einem Mal über ihn herein, sodass er beinahe ohnmächtig wurde.

Als der Fahrstuhl im 2. Stockwerk hielt, kämpfte sich Sousuke mit aller ihm noch verbliebender Kraft nach oben und humpelte den Gang entlang, immer mit dem Ziel vor Augen, Rin gleich wiedersehen zu können.

Das Stechen in seinen Knöcheln konnte er kaum ignorieren, so sehr er es auch versuchte. Wie sehr wünschte sich der Dunkelhaarige gerade seinen gefühlslosen Zustand zurück, in der er kaum Kontrolle über sich hatte. In diesem spürte er wenigstens keine Schmerzen…hatte dafür aber auch kein Urteilsvermögen.

Dieses benötigte er für den Weg zum Zimmer auch nicht, sagte er sich, doch so leicht gelangte er nicht in diesen Modus, schon gar nicht von alleine. Dazu war es nötig, dass mindestens ein anderer ihn so provozierte und die Fesseln seines Verstandes sich lösten, ihn praktisch unbesiegbar machten.

Leider erinnerte Sousuke sich danach meist nicht mehr gut an die vergangenen Minuten, doch in diesem Augenblick war es anders: Jedes Wort, das Dr. Kuznetsov in seiner Muttersprache zu ihm gesagt hatte, war in sein Gedächtnis eingebrannt. So wunderte er sich auch nicht, dass er versucht hatte, das Leder mit aller Kraft zu sprengen. Das war ihm teilweise auch gelungen, weswegen seine Glieder auch so schrecklich schmerzten.

Dem Arzt hatte er auch eine verpasst, was diesem nur recht geschah…wie konnte er es auch wagen, Rin als schwulen Stricher zu bezeichnen, der sich von jedem nächstbesten Kerl durchnehmen ließ?

Auch wenn das Personal nicht wusste, dass sie ein Paar waren, konnte man sich anhand von Sousuke Reaktionen auf diesen denken, dass sie sich nahe standen. Wie nahe genau, war dabei vielleicht eher nebensächlich, die Ärzte interessierte nur das Ergebnis ihrer Tortur.
 

Schwer atmend erreichte Sousuke 207, fühlte sich aber nicht in der Lage, das Schloss mit seiner Karte zu entriegeln, da er seine Finger kaum spürte und seine Hände sich anfühlten, als würden sie jeden Moment abfallen.

Um sie nicht zu belasten, schlug er kurzerhand ein Mal mit dem Kopf gegen die Tür, aber nur so, dass man es hörte und er sich nicht wirklich dabei weh tat.

Den erwünschten Effekt hatte diese Aktion auch, da ihm wenig später die Tür von einem unsicher dreischeuenden Rin geöffnet wurde, dessen Augen sich vor Schreck weiteten, als er seinen Freund in einem derartig jämmerlichen Zustand vorfand.
 

„Ach du meine Güte, Sousuke! Was haben sie mit dir gemacht?“, zog der Kleinere ihn sofort zu sich ins Zimmer und nahm ihn in den Arm.
 

„…das war ich größtenteils selber“, erwiderte Sousuke mit schwacher Stimme und lächelte dabei humorlos.
 

„…setz dich erst mal hin!“, wies Rin ihn an und entließ ihn erst aus seinen Armen, als er ihn in Sicherheit wusste.
 

Die Tür fiel zu, als der Kleinere den Zustand seines Freundes zu ermitteln suchte, indem er diesem erst einmal aus der leichten Jacke half, wodurch man die Handgelenke besser sehen konnte, da diese nun nicht mehr verdeckt wurden.
 

„Das sieht übel aus…soll ich dir kalte Tücher machen?“, runzelte der Rothaarige die Stirn besorgt und streichelte vorsichtig über die geröteten Stellen.
 

„Wenn es dir nichts ausmacht, gerne“, atmete Sousuke angestrengt aus.
 

„Hast du sonst noch irgendwo Schmerzen?“, hakte Rin vorsichtshalber nach, bevor er ins Bad ging.
 

„Ja…die Knöchel und mein Bauch müssten genauso aussehen“, gab der Größere mit schmerzverzerrtem Gesicht von sich und kniff ein Auge zusammen, als der andere sein T-Shirt hochschob.
 

„Ach du Scheiße…“, flüsterte der Kleinere daraufhin und beeilte sich dann, Handtücher nass zu machen, dass er die wunden Stellen zumindest kühlen konnte.
 

Sousuke kippte in der Zwischenzeit nach hinten auf die Matratze, da er kaum mehr Kraft hatte, sich aufrecht zu halten und sich diese einteilen musste, dass er nicht auf der Stelle in Ohnmacht fiel.

Nie hätte er es für möglich gehalten, dass man wegen körperlicher Schmerzen kollabierte, doch der heutige Tag sollte ihn eines Besseren belehren. Wäre Sousuke nicht so stur gewesen und wollte er Rin nicht zeigen, dass er stark war, hätte es ihn schon auf dem Flur umgehauen. Diese unmenschliche Durchsetzungskraft, dieser Wille, den er aus seiner tiefen Zuneigung zu diesem nahm, halfen ihm zumindest so lange wach zu bleiben, als dass ihm der Rothaarige aus den Klamotten half und ihn dann verarztete.
 

„Das erinnert mich daran, als du mir damals geholfen hast, als ich diese Prellung im Gesicht hatte…“, klang Sousukes Stimme ungewohnt ausgelaugt und schwach, sodass Rin ihn überaus besorgt ansah.
 

„Nicht reden…spar dir die Kraft für was anderes auf“, wies dieser ihn nun an, auch wenn er es süß fand, dass sein Freund sich gerade jetzt an etwas erinnerte, das vor einem halben Jahr geschehen war.
 

„Okay…“, schloss dieser einwilligend die Augen.
 

Zu gerne hätte Rin sofort erfahren, was geschehen war, dass Sousuke offenbar versucht hatte, seine Fesseln zu sprengen, dich diesen zu fragen, traute er sich momentan nicht.

Vielleicht wurden dadurch unliebsame Erinnerungen wach…außerdem glaubte er nicht, dass der Größere die Kraft besaß, ihm zu antworten. Es wirkte immerhin gerade schon so, als würde er sich jeden Moment verabschieden.
 

Ohne lange zu überlegen, zog sich Rin schnell seine Schlafklamotten an und legte sich dann zu seinem Freund ins Bett, darauf achtend, dass er diesen nicht berührte, um ihm nicht weh zu tun. Als er sich und Sousuke zugedeckt hatte, bewegte sich dieser auf einmal und drehte sich zu ihm.

Die hellen Augen zur Hälfte geöffnet, da er zu mehr nicht fähig war, blickten diese Rin verzweifelt an.
 

„Was hast du? Ist dir nicht wohl?“, streckte dieser seine Hand aus, um Sousukes Wange zu streicheln.
 

„Kannst du…näher kommen?“, bat dieser ihn nun.
 

„Aber deine Wunden…“, gab Rin zu bedenken.
 

Gerne hätte er sich nun an seinen Freund gekuschelt, doch dieser besaß erstens nicht die Kraft dazu und zweitens würde jede Berührung diesmal physische Schmerzen auslösen.
 

„…bitte“, war Sousukes Stimme nur noch ein leises Krächzen, das Rin dann doch erweichte.
 

So rückte er näher an den Größeren heran, der sich daraufhin sofort auf ihn stürzte – wenn dies überhaupt so bezeichnen konnte. Sousuke legte einen Arm um Rins Oberkörper, hob den Kopf und bettete diesen dann darauf.

Normalerweise fand dies immer umgekehrt statt, dass Rin den Größeren als Kopfkissen benutzte, doch heute nicht.

Außerdem wirkte es mehr, als würde Sousuke bei ihm Schutz suchen, da er sich nun - soweit es sein Zustand zuließ - einkugelte und sein Gesicht an Rins Hals versteckte.

Dieser begann nun sanft über den braunen Haarschopf zu streicheln und fragte sich einmal mehr, wie man so einem lieben, feinfühligen Menschen so schreckliche Dinge antun konnte.
 

„Ich will kein Monster sein, Rin…“, flüsterte Sousuke kaum hörbar mit schwacher Stimme und kuschelte sich so eng es ihm möglich war an den Kleineren.
 

„Du bist kein Monster“, stiegen Rin die Tränen in die Augen, als er die Worte des anderen vernahm.
 

Wie konnte Sousuke nur so schlecht von sich denken?

Daran war er nicht Schuld…nein, daran waren die kranken Schweine Schuld, die ihn dazu brachten, sich und andere zu verletzen.

Im Grunde war Sousuke nichts anderes als ein Kind, dem man Schreckliches angetan hatte. Das kaum Liebe zu spüren bekommen hatte und wenn, dann war es eine falsche gewesen, die ihn so sehr geschädigt hatte, dass er kaum in der Lage war, tiefere Gefühle für andere zu entwickeln-
 

„Du bleibst bei mir…nicht wahr?“, konnte Rin Sousukes Stimme kaum mehr hören, auch wenn dessen Mund sich so nah an seinem Ohr befand.
 

„Natürlich tu ich das!“, versprach der Kleinere, auf dessen Wangen einmal mehr nasse Spuren erkennbar wurden.
 

„Danke…“, schlief Sousuke endlich erschöpft ein, die liebevollen Worte und Gesten im Schlaf noch genießend.
 

Rin hörte nicht auf, durch die Haare des Größeren zu streicheln und diesen dann mit seinen Armen zu umschließen, leise weinend. Ihm kam es vor, als hätte Sousuke der sein müssen, der weinte und das nicht nur zu diesem Zeitpunkt, sondern auch schon zuvor, als dessen Gefühle durch Rin zum Ausdruck gebracht wurden, der mit seinem Geliebten mitlitt. Er war dazu fähig zu weinen und ihn traf es immer schwer, wenn er mitbekam, was Sousuke alles durchmachen musste. So konnte er oft nicht anders, als dessen Leid nachzuempfinden und sich die Seele aus dem Leib zu weinen.
 


 

Den ganzen Abend über hielt Rin seinen Freund in den Armen, der einen ruhigen, erschöpften Schlaf hatte und gegen elf Uhr nachts wieder erwachte, gerade als der andere dabei war einzuschlafen.
 

„Rin…“, murmelte Sousuke leise und hob den Kopf.
 

Er erinnerte sich im ersten Moment nicht, wie er in Rins Bett gelangt war und warum er nur noch seine Boxershorts trug, doch als er das verheulte Gesicht und die geröteten Augen erblickte, kamen die Bilder vom späten Nachmittag zurück.
 

„Geht es dir besser?“, lächelte der Kleinere leicht und fühlte sich einfach schrecklich, da er glaubte in diesem Moment total grauenhaft auszusehen.
 

Für Sousuke war dessen Anblick nur ein Zeichen dafür, wie sehr der andere an ihm hing und auch, dass dieser wegen ihm gelitten hatte. Das sollte eigentlich nicht sein, denn schließlich hatte er sich geschworen, Rin vor allem Leid zu beschützen und nun war er es, wegen dem dieser traurig war…
 

„Ich spür den Schmerz kaum mehr“, wisperte Sousuke und hob den Kopf.
 

Er musste bestimmt ziemlich schwer für den Kleineren sein, sodass er sich nun aufrichtete und diesen betrachtete. Hoffentlich hatte er ihm keine allzu großen Umstände bereitet, oder ihm gar Schmerzen zugefügt.
 

„Wirklich?“, wollte Rin es gar nicht glauben. „Dabei sahst du so übel zugerichtet aus…“
 

Die Decke fiel nach hinten, als Sousuke sich vollends aufrichtete und man seinen nackten Oberkörper trotz der Lichtverhältnisse gut erkennen konnte. Auf seinem Bauch war kaum mehr eine Spur zu erkennen, sodass Rin seinen Augen nicht trauen wollte. In diesem Augenblick vergaß er auch den atemberaubenden Anblick von Sousukes fast vollkommen nacktem Körper, da er sich vergewissern musste, dass die andern Druckstellen auch besser aussahen.

Somit nahm der die Hände des Größeren in seine und drehte diese dann, um die Handgelenke von allen Seite begutachten zu können. Tatsächlich wiesen diese kaum noch ein Anzeichen auf, dass vor kurzem gewaltiger Druck auf sie ausgeübt worden war.
 

„Wow…wie machst du das?“, staunte Rin fasziniert, aber auch erschrocken zugleich. Nie zuvor hatte er gesehen, dass jemand so schnell heilte.
 

„Ich weiß es nicht…vielleicht hat mir deine Nähe einfach gut getan“, murmelte Sousuke mit leicht geröteten Wangen vor sich hin, da es ihm außerdem unangenehm war, so entblößt vor Rin im Bett zu sitzen.
 

Seit sie zusammen waren, oder besser seit er sich seiner Gefühle bewusst geworden war, fiel es Sousuke nicht mehr so leicht wie zu Anfang, als Rin noch neu in der Klinik gewesen war, sich so freizügig zu präsentieren. Das hing wahrscheinlich damit zusammen, dass er sich nun auch Gedanken darum machte, wie er auf den anderen wirkte.
 

„Du bist süß“, lächelte Rin, nun vor Freunde ganz rot um die Nase.
 

Völlig überfordert mit diesem Kompliment wusste Sousuke nichts zu erwidern, sondern presste die Lippen aufeinander, noch eine Spur röter im Gesicht als zuvor.

Er wollte sich gerade seine Klamotten schnappen, die neben ihm auf dem Bett lagen, als Rin sich plötzlich aufrichtete und seinen Bauch umarmte, sodass seine Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.
 

„Zieh dich noch nicht an, okay?“, bat Rin ihn, noch während er sich an ihn schmiegte.
 

„…okay“, willigte Sousuke ein, der sich vom Kleineren viel zu schnell weichklopfen ließ.
 

So kam es, dass sie wenig später neben einander lagen, diesmal lag Rins Kopf wieder auf Sousukes Oberkörper. Er fuhr andächtig die definierte Bauchmuskulatur seines Freundes nach, der das ein wenig angespannt mit sich machen ließ. Rin fiel natürlich auf, dass dieser es nicht genießen konnte und stoppte.
 

„Soll ich aufhören? Ich hör sofort auf, wenn es dir unangenehm ist“, wollte er wissen, da er immer im Hinterkopf behielt, dass Sousuke dank seines Traumas Schwierigkeiten damit hatte, sich berühren zu lassen.
 

„Ich weiß nicht…“, erwiderte dieser unsicher, da ihm das Streicheln eigentlich gefiel, er nur Angst hatte, dass Rin weiter nach unten gehen würde.
 

„Wenn du es nicht willst, verstehe ich das“, versichere ihm Rin, auch wenn er dabei schon ein wenig enttäuscht aussah.
 

„Es ist okay, wenn du nicht zu weit runter gehst“, gab Sousuke ihm sozusagen die Erlaubnis fortzufahren.
 

„Okay~“, reckte der Kleinere den Kopf, um ihn zu küssen, bevor seine Finger wieder über den muskulösen Oberkörper glitten.
 

So verlockend es auch war, Rin versuchte sich zurück zu halten, sodass er Sousuke nur Gutes tat und ihn nicht an etwas erinnerte. Das war nur äußerst schwierig, wenn er nicht einmal wusste, wie weit er gehen konnte. Das sehr wage Gebot, nicht zu weit nach unten vorzustoßen, half dabei nicht sonderlich viel. Vielleicht sollte er einfach mal nachfragen, auch wenn das das Risiko enthielt, dass Sousuke gar nicht mehr bereit dazu war, sich anfassen zu lassen. Aber früher oder später mussten sie das ohnehin klären, warum also nicht sofort?
 

„Du…willst du darüber reden, was sie dir angetan hat?“, hielt Rin in der Bewegung inne und löste sich nur schweren Herzens von dem erregenden Anblick Sousukes Unterbauchs, um diesem in die Augen sehen zu können.
 

Völlig unvorbereitet auf diese Frage, blinzelte Sousuke seinen Freund an, bevor er erwiderte: „Ich weiß nicht…ich hab so genau noch nie mit jemandem darüber gesprochen.“
 

„Vielleicht hilft es ja, es zu verarbeiten…außerdem wüsste ich dann auch, was ich tun kann und was besser nicht“, redete Rin gut auf ihn ein und signalisierte ihm, dass alles in Ordnung war.
 

„Das stimmt schon, aber ich will dich nicht damit belasten“, drückte sich der Dunkelhaarige darum, weil es ihm unglaublich unangenehm war, alleine daran denken zu müssen.
 

„Hey…wir sind zusammen und wenn du es mir nicht sagst, wem dann?“, brachte Rin ein nicht zu verachtendes Argument hervor. „Weißt du, ich würde dir auch gerne so gut tun wie du mir…“
 

Das war eine schöne Umschreibung dafür, dass er Sousuke auch gerne mal einen runterholen würde, doch sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Denn nun dachte der Größere tatsächlich darüber nach, ob es nicht nur fair wäre, Rin darüber aufzuklären, war er mochte und was nicht, bzw. was bei ihm schlechte Erinnerungen hervorrief.
 

„Wenn du es so sagst, weiß ich nicht, ob das überhaupt geht“, murmelte Sousuke leise, da er sich nun daran entsinnen musste welche Praktiken seine Mutter bei ihm angewandt hatte.
 

„…was hat sie denn gemacht?“, schwanden Rins Hoffnungen schon, als er den Blick und Tonfall des anderen bemerkte.
 

„Sie hat…im Prinzip das gemacht, was ich bei dir tue…also nicht alles, aber zumindest das untenrum“, umschrieb der Größere die Bestandteile seines Traumas so gut er konnte.
 

Ihm lag es nicht, dabei detailliertere Beschreibungen abzuliefern, oder die Dinge beim Namen zu nennen, da er auch so nicht der Typ dazu war und durch seine Erfahrungen noch einmal mehr eingeschränkt worden war.
 

„Nur mit den Händen…?“, fragte Rin vorsichtig nach, da er schon merkte, dass Sousuke sich nicht gut fühlte, weil er sich anspannte.
 

„Ja“, nickte er und schluckte, da ein Gefühl des Ekels in ihm aufkam.
 

„Sollen wir aufhören?“, zog Rin seine Hand schnell zurück und rückte ein wenig von Sousuke weg, der so aussah, als wäre ihm schlecht.
 

„…geht gleich wieder“, atmete dieser tief durch und richtete seinen Oberkörper auf.
 

Dabei griff er nach seinem Shirt und zog es sich über den Kopf, weil er diese ungeschützte Nacktheit gerade nicht mehr aushielt. Das hatte rein gar nichts mit Rin zu tun, doch er konnte selbst dessen Berührungen und Nähe momentan nicht ertragen.
 

„Es ist besser, wenn du heute Nacht in deinem Bett schläfst, oder?“, schlug Rin vor, als er merkte, dass es Sousuke nicht besser ging.
 

Es hatte alles keinen Sinn, wenn dieser sich nicht wohl fühlte und er nahm es dem Größeren auch nicht übel, dass er sich nun erhob und aufstand.

Ein bisschen Abstand würde ihm sicher gut tun, auch wenn Rin sich sicher einsam fühlen würde. Doch so egoistisch wollte und konnte er nicht sein, Sousuke nur bei sich zu behalten, dass er besser schlafen konnte, wenn dieser Qualen erlitt.
 

„Tut mir leid…es geht gerade einfach nicht“, entschuldigte sich Sousuke für etwas, für das er keinerlei Schuld trug.
 

„Du kannst nichts dafür…mach dir wegen mir keine Gedanken“, wollte Rin auf jeden Fall verhindern, dass sein Freund nun auch noch wegen ihm ein schlechtes Gewissen bekam. „Versuch einfach zu schlafen und ruh dich aus…“
 

„Ich versuche es“, nickte Sousuke und warf dem Rothaarigen einen letzten Blick zu, bevor er sich in sein Bett begab.
 

Nicht mal zu einem Gute-Nacht-Kuss war er in seiner derzeitigen Lage fähig und kuschelte sich sogar mit dem Blick zu Wand in seine Decke ein, damit er irgendwie zur Ruhe kam. Ein schlechtes Gewissen wegen Rin hatte er trotz dessen Verständnis‘ zusätzlich zu den Erinnerungen, die über ihn hereinbrachen, mit dem er auch zurechtkommen musste. Dieses war auch nicht erst kürzlich in ihm aufgekommen, sondern hauste schon länger in seinem Verstand, da er wusste, dass sein Freund ihn auch gerne berühren wollte. Es stimmte schon, dass es nicht fair war, wenn alles nur von ihm ausging und er sich – mit der heutigen Ausnahme – nicht einmal entkleidete, während Rin unter ihm stöhnte.

Dessen Anliegen verstand Sousuke schon langsam, doch brachte alles Verständnis nichts, wenn er nicht erstmal seine eigenen Probleme anging, bevor er sich zu etwas zu zwingen versuchte, das dem anderen zuliebe geschah. Würde er es nur irgendwie schaffen, seine Erinnerungen abzuschalten…

Doch wenn das so einfach ginge, hätte Sousuke schon lange keine Sorgen mehr.
 

„Gute Nacht“, murmelte er nun leise, da er Rin zumindest dieses Ritual nicht verwehren wollte und sich danach auch gleich besser fühlte.
 

„Gute Nacht…schlaf gut“, erwiderte dieser bald darauf, auch wenn seine Stimme eine Spur von Verzweiflung trug.
 

Einfach fiel es Rin nicht, alleine einzuschlafen, doch war er sehr erschöpft, sodass ihm bald automatisch die Lieder zufielen. Sousuke hingegen, der den ganzen Abend über geschlafen hatte, benötigte längere Zeit, um zur Ruhe zu kommen, zumal er von seiner Vergangenheit heimgesucht wurde.

Weswegen genau die Erinnerung an das erste Mal in ihm hochkam, als seine Mutter sich an ihm verging, konnte Sousuke nicht sagen, doch diese war nicht weniger schlimm als die folgenden. Damals hatte er nur nicht gewusst, was sie tat…und sich in Folge dessen auch sehr seltsam danach gefühlt. Dieses ungute Gefühl begleitete ihn in seinem Schlaf, ergriff Besitz von seinen Träumen bis er es endlich schaffte, dieses von sich zu stoßen.

Im Alptraum durchschlug er die Manifestation der Erinnerung mit einem rot schimmernden Schwert, das beinahe am Ungeheuer zerbrach, das sich noch einige Sekunden wand, ehe es starb.

Danach verfiel der Traum in tausend Stücke, sodass Sousuke endlich der erholsame Schlaf zuteil wurde, den er sich verdient hatte.

Drei Überraschungen an einem Tag

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Neue Experimente 1

Mitte Mai war es in der Klinik wieder so warm, dass Sousuke beinahe schon vollkommen auf seine Sweatshirtjacken verzichtete, wenn Rin es auch noch immer vorzog, eine über seinen Tops zu tragen. Er war nicht der Typ, der Langarm-, oder ¾ Shirts trug, selbst T-Shirt waren beim Rothaarigen eine Rarität, denn er zog es vor flexibler zu sein, womit man mit einem Tank-Top und einer Jacke oder Weste darüber nie falsch lag. Außerdem fand er, dass es stylischer aussah und man dazu besser eine Kette oder Armbänder tragen konnte.

Die Veränderung des Wetters und der Temperatur wirkte sich auch auf die Insassen und das Personal aus: So war Miho weniger motiviert als im Winter, da sie bei steigender Temperatur ihre Motivation verlor, Dr. Masefield hingegen schien erst richtig in Fahrt zu kommen.

Dieser war drauf und dran, Rins gesamten Körper auf Anomalitäten zu untersuchen, angefangen von dessen Fähigkeit, die Luft sehr lange anzuhalten und den haiartigen Zähnen. Inzwischen musste sich der Rothaarige es auch gefallen lassen, sich des Öfteren bis auf die Unterwäsche auszuziehen, sodass sein Arzt ihn begutachten konnte. Ob dieser dabei etwas entdeckte, wurde ihm nie gesagt, alleine an der Reaktion des Doktors konnte sich Rin ausmalen, ob dieser etwas Interessantes an ihm gefunden hatte.

Meist schien Dr. Masefield jedoch eher enttäuscht, doch wenn er sich ein Mal freute, dann richtig.

So auch an diesem Tag, als Rin sein Shirt ausziehen musste und vom Arzt Am Rücken, an den Seiten, sowie am Hals untersucht wurde. Mit dem Ergebnis war dieser anscheinend nicht zufrieden, da er kurz weg ging, nur um mit einer Wasserschüssel unterm Arm zurückzukehren, die der Rothaarige inzwischen allzu gut kannte.
 

„Don’t move…I’ll apply a little bit of water onto your body“, wurde Rin informiert und dann auch schon unregelmäßig in verschieden großen Mengen nassgespritzt. „Well, this looks way better.“
 

Was genau das nun zu bedeuten hatte, wollte der Patient, der sich wie auf dem Präsentierteller vorkam, nicht wissen. Am Ende hatte der Doktor noch irgendeinen seltsamen Fetisch und geilte sich an seinem nassen Körper auf.

Doch nichts Dergleichen war der Fall, denn Dr. Masefield tippte aufgeregt seine neusten Erkenntnisse in den Computer ein, während es Rin kalt wurde und er leise seufzte.

Wo war er nur hinein geraten?

Zwar war ihm das allemal lieber, als geschlagen, oder elektrischen Schlägen ausgesetzt zu werden, doch wohl fühlte er sich dabei nicht.
 

„Can I put my clothes back on now?“, fragte Rin nun nach, da ihm doch kalt wurde und er keine Lust hatte, sich zu erkälten.
 

Wer wusste schon, wie die Krankenschwestern drauf waren und mit welchen Medikamenten sie einen Erkrankten vollpumpen würden?

Ihm taten ja schon die speziellen Fälle leid, die Pillen eingeflößt bekamen, damit sie Ruhe gaben. Chigusa hatte erzählt, dass man ihr anfangs auch ein Mittel verordnet hatte, dass sie schlafen konnte und den Tag über ruhiger war. Doch als ihr Dr. Watanabe zugewiesen worden war, hatte sie dieses abgesetzt. Seit dem fühlte sich das Mädchen laut ihren eigenen Angaben wieder viel wohler und mehr wie sie selbst, auch wenn sie zugab, dass sie nicht mehr so gut schlief. Die Alpträume von ihren Vergewaltigungen suchten sie noch immer heim, doch das ging Sousuke nicht anders, bei dem man auf jegliche Wunderpillen verzichtete. Dieser wollte diese partu nicht schlucken und wehrte sich auch sonst gegen alles, das man in seinen Körper injizieren wollte. Trotzdem war es einige Male vorgekommen, dass man ihm etwas gespritzt hatte, dass er wieder runterkam oder ohnmächtig wurde. Immer dann, wenn man ihn angekettet und provoziert und die Kontrolle über ihn verloren hatte.

Dr. Kuznetsov sah aber von diesen Methoden ab, wie Rin vor zwei Wochen hatte feststellen dürfen. Dieser bemühte sich dann eben um besonders starke Fesseln, sodass Sousuke sich selbst verletzte, anstatt diese zu sprengen und andere zu gefährden. Dass der Dunkelhaarige sich befreien konnte, wusste er nicht. Hätte Rin es gewusst, würde er Sousuke vielleicht doch für ein Monster halten, oder zumindest für jemanden mit übermenschlicher Stärke.

Menschen waren allerdings auch unter extremen Bedingungen zu scheinbar Unmöglichem fähig. Bei Sousuke geschah dieser Adrenalinausstoß nur eben schneller als bei anderen, hatte aber auch zur Folge, dass er sein Handeln nicht mehr vollständig steuern konnte. Welche Ursachen dieses verfrühte Einsetzen des Kicks hatte, war noch nicht geklärt. Es war nicht auszuschließen, dass das Trauma dies hervorgerufen hatte, aber auch andere Gründe wären möglich, die es noch zu entdecken galt.
 

Nachdem Rin entlassen wurde, traf er sich schon mal mit Kisumi und Chigusa im 6. Stock. Während sie auf Sousuke warteten, inspizierte der Rosahaarige den Schmuck seiner besten Freundin, die seit ihrem Geburtstag alle möglichen Accessoires ausprobiert hatte, letzten Endes aber doch meistens mit den rosafarbenen Blüten im Haar herumlief.

Rin erholte sich unterdessen von seiner Therapie, wobei diese Phase momentan daraus bestand, sich wieder aufzuwärmen, indem er sich mit den Händen die Arme rieb. Es gab wirklich schlimmeres, als ein bisschen Wasser…auch wenn er sich seit dem komisch fühlte.

Seine Seiten schmerzen ein bisschen, genau wie sein Hals, doch großartig sorgte sich Rin nicht darum, da diese schon bald wieder vergingen, genaugenommen mit dem Einsetzen einer angenehmen Körpertemperatur.
 

Als Sousuke aufkreuzte, ging es ihm schon wieder vollkommen gut, sodass er diesem zur Begrüßung zulächelte und ihm Platz machte, dass dieser sich neben ihn setzte.

Der Größere wirkte nur leider nicht ganz so gut gelaunt wie der Rest nach der Sitzung. Daher wollten Chigusa und Rin wissen, wie es ihm ging, doch er wehrte erst einmal ab. Noch wollte Sousuke nicht darüber sprechen, sondern sich zunächst erholen.

Daher fing Kisumi sehr bald an von sich zu erzählen und wie es ihm in letzter Zeit ergangen war.
 

„Scarlett macht sich Sorgen um mich, weil ich in keine Lust mehr auf Sex habe“, pustete er eine rosane Strähne aus den Augen. „Außerdem spüre ich kaum mehr was…“
 

„Inwiefern? Meinst du körperlich, oder emotional?“, hakte Rin nach, den das schon sehr interessierte und nicht nur, weil sie sich allgemein über ihren Therapieverlauf austauschten.
 

„Also emotional bin ich laut Sousuke und einigen Gutachtern ja sowieso schon lange abgestumpft“, lachte Kisumi kurz, ehe er versuchte ernst zu werden. „Nein, diesmal geht es wirklich um meinen Körper…“
 

Mit diesen Worten krempelte Kisumi sein weißes Hemd hoch, von denen er einige auch in anderen hellen Farben besaß, und entblößte somit seinen rechten Unterarm. Auf diesem war ein heller Strich zu erkennen, dessen genauere Bedeutung ihnen bald erläutert werden würde, weswegen die übrigen drei gespannt auf eine weitere Ausführung warteten.
 

„Sie hat mir heute den Arm mehrmals aufgeschlitzt, aber wie ihr sehen könnt, ist er schon fast wieder verheilt“, berichtete Kisumi nun. „Es hat eigentlich auch nicht weh getan…mehr gekitzelt.“
 

„Krass“, staunte Rin nicht schlecht, der über den Arm gebeugt war, und blickte dann zu den violetten Augen hoch, die ihm irgendwie gar nicht gefühlskalt erschienen, auch wenn sein Freund da anderer Meinung war.
 

„Du bist wirklich etwas Besonderes, Shigi“, meinte Chigusa auch beeindruckt, welche dieses Ereignis sofort notierte.
 

„…Sousuke hatte sowas ähnliches Letztens aber auch“, murmelte Rin dann vor sich hin, weil er sich nicht gerne an diesen Tag zurück erinnerte, aber auch, weil er nicht wusste, ob es okay war, darüber zu sprechen.
 

„Ja, aber mich hat man nicht aufgeschlitzt“, entgegnete dieser von sich aus, womit klar wurde, dass er nichts dagegen hatte, über sich zu sprechen.
 

„Warum habt ihr das nicht früher gesagt?“, klang Chigusas Frage schon fast wie ein Vorwurf.
 

„Es war kein schöner Tag…“, erklärte Rin. „Wir wollten uns wohl beide nicht daran erinnern.“
 

„Oh…das verstehe ich“, besann sie sich entschuldigend.
 

„Was ist denn nun passiert?“, wollte Kisumi neugierig wissen.
 

Rin schaute erst zu Sousuke, um sich die Erlaubnis einzuholen, an dessen statt darüber zu sprechen. Als dieser nickte, räusperte sich der Kleinere kurz.
 

„Vor zweieinhalb Wochen hatte Sousuke Druckstellen an den Hand- und Fußgelenken, so wie am Bauch. Als er sich dann ein paar Stunden hingelegt hatte, waren sie fast vollständig verschwunden“, erzählte der Rothaarige. „Und das waren nicht gerade kleine…er ist halb umgekippt wegen den Schmerzen.“
 

„Was ist eigentlich bei euch Jungs los?“, schüttelte Chigusa den Kopf und blickte dann zu Rin. „Sag bloß, bei dir ist es genau so.“
 

„Nein…ich bin normal“, grinste der Junge mit den Haizähnen schief. „Sofern man diese Zähne als ‚normal‘ bezeichnen kann. Ich heile jedenfalls nicht schneller als sonst…also nicht dass es mit aufgefallen wäre.“
 

„Und wir probieren das auch nicht aus“, erstickte Sousuke die Idee, die in den violetten Augen aufkam, im Keim.
 

„Schade…“, schmollte Kisumi ein bisschen, bevor er fortfuhr, da er eigentlich auf etwas Anderes hinauswollte. „Um nochmal auf mich zurück zu kommen…es ist ja nicht nur so, das sich schneller heilte, sondern dass ich nicht mal mehr spüre, wenn ich mich verletze…vom Sex mal ganz zu schweigen…ist das bei Sousuke auch so?“
 

„Nicht dass ich wüsste?“, zuckte Rin mit den Schultern. „Also ich denke mal, dass er schon noch was spürt.“
 

„Ja…tu ich“, nickte dieser, sich nur auf die Schmerzen beziehend, den Sex außen vor. „Ich dachte, mir fallen die Hände ab…ich glaub, so weh getan hat mir noch nie etwas.“
 

„Hm…seltsam“, bemerkte Chigusa. „Ich dachte, ihr wärt euch vielleicht doch ähnlicher als man es vermuten würde, aber anscheinend doch nicht.“
 

„Hm“, war Sousuke wenig begeistert davon mit Kisumi vergleichen zu werden.
 

„Das ist so gemein…“, quengelte der Kleinere nun. „Ich will auch wieder Spaß am Sex haben…oder überhaupt Lust dazu.“
 

„Vielleicht ist das ja nur eine Phase und es wird bald wieder gut“, versuchte seine beste Freundin ihn zu trösten.
 

„Genau. Jeder hat seine Hochs und Tiefs“, stimmte Rin zu, der schon ein bisschen neidisch war, weil er immerhin nicht einmal wusste, wie sich Sex anfühlte.
 

Doch das alles half nicht viel, denn Kisumi jammerte weiter herum und hängte sich dann an Rins Schulter: „Ihr beide habt echt ein Glück…“
 

„Ähm…warum das?“, wollte dieser skeptisch wissen, da er sich nicht mehr sicher war, worüber sie gerade sprachen.
 

Sousuke hingegen ahnte schon Schlimmes, zumal er es gar nicht gerne sah, wenn jemand seinen Freund antatschte, auch wenn es nur die Schulter war. Dass Kisumi diese Person war, verschlimmerte die Lage um das mindestens Dreifache.
 

„Na ihr könnt ficken wann immer ihr wollt und müsst nicht aufpassen, erwischt zu werden…und außerdem fühlt es sich wahrscheinlich auch noch total toll an“, seufzte der Rosahaarige nun allen Ernstes.
 

Chigusa starrte ihn fassungslos an, da man eigentlich ahnen konnte, dass die beiden das nicht taten, genauso wie Rin, dessen Gesichtsfarbe einer Tomate glich. Sousuke verlor schon fast die Fassung, was man daran erkennen konnte, dass sein eines Auge zuckte und er die Zähne zusammenbiss.
 

„Wir-wir machen das nicht!“, stammelte Rin nun geschockt.
 

Seine Vorstellung einer Beziehung sah wohl vollkommen anders aus als die von Kisumi, der davon ausging, dass man sofort in die Kiste sprang. Das war vielleicht bei vielen auch so, doch konnte man sich doch denken, dass zwei Jungs, die ihre erste Beziehung miteinander führten, von denen eine ersthafte Posttraumatische Belastungsstörung samt Berührungsphobie hatte, es da langsamer angehen ließen und nicht unbedingt in den ersten drei Monaten miteinander schliefen.
 

Kisumi sah ihn daraufhin ungläubig an und begriff nicht, dass er schon genug Schaden angerichtet hatte, da er weiter fragte: „Echt nicht? Warum?“
 

„Das geht dich einen Scheiß an“, zischte Sousuke nun, dem der Geduldsfaden riss.
 

Konnte der Typ sich nicht ein Mal zusammreißen und auf die Gefühle anderer Rücksicht nehmen?

Bevor noch etwas Schlimmeres geschah, ergriff Rin schnell die Hand seines Freunds und hielt dessen Arm mit seinem anderen umschlungen, sodass er diesen wenigstens ein bisschen unter Kontrolle hatte.

Sousuke starrte Kisumi noch immer aus seinen türkisenen Augen an, die gefährlich funkelten, sodass er wirkte, als würde er dem anderen jeden Moment an die Kehle springen.

Wenn man seine Vergangenheit und vor allem seine Akte genauer unter die Lupe nahm, war dies gar nicht so unwahrscheinlich…
 

„Ist ja gut…chill mal“, gestikulierte Kisumi unsicher lächelnd mit den Händen, dass der Größere sich beruhigen sollte, das diesen jedoch nur noch mehr in Rage brachte.
 

„Okay, wir sind uns alle einig, dass Shigi zu weit gegangen ist“, schritt Chigusa nun ein, um eine Eskalation zu verhindern. „Shigi, entschuldige dich.“
 

„Na schön…tut mir leid“, senkte dieser den Blick nun und sah Rin und Sousuke dann an.
 

„Schon okay“, seufzte der Kleinere und schmiegte sich leicht an seinen Freund, wodurch er feststellen konnte, dass sich dieser tatsächlich entspannte.
 

„Okay, da wir das jetzt geklärt hätten, können wir auf das eigentliche Thema zurückkommen“, war Chigusa erleichtert, dass es keine Verletzten gab.
 

„Genau, was machen sie bei dir eigentlich gerade, Rin-chan?“, war Kisumi noch vorsichtig in Sousukes Gegenwart und sah diesen immer wieder nervös an.
 

„Ich werde momentan von Kopf bis Fuß durchgecheckt…heute meinte Dr. Masefield mich mit Wasser bespritzen zu müssen“, berichtete der Rothaarige und nahm wieder ein bisschen Abstand zu Sousuke, da er das Risiko von anderen gesehen zu werden doch lieber nicht eingehen wollte.
 

„Und ist was dabei herausgekommen?“, zog die Brünette eine Augenbraue skeptisch nach oben.
 

„Nicht wirklich…also denk ich jedenfalls“, zuckte Rin mit den Schultern. „Mir haben mein Hals und die Seiten ein bisschen weh getan heute, aber sonst…“
 

„Kann ich mal sehen?“, beute sie sich nun vor und Kisumi nickte auch eifrig mit dem Kopf, da es ihn interessierte, ob an diesen Stellen etwas zu erkennen war.
 

„Ja klar…Moment“, ließ Rin nun Sousukes Hand los, um sein Top nach oben zu schieben, dass die anderen die Stelle begutachten konnten.
 

„Also ich seh nichts“, entgegnete Kisumi enttäuscht und Chigusa stimmte zu. „Jetzt der Hals.“
 

Also zog Rin das rote Top wieder nach unten und machte sich dann daran, den Kragen seiner Jacke beiseite zu schaffen, sodass man einen guten Blick auf seinen Hals bekam. Als er den Kopf drehte und die anderen drei die freigelegte Stelle betrachteten, verengten sich Sousukes Augen für einen Moment, er sagte jedoch nichts.
 

„Auch nichts…“, seufzte Chigusa und setzte sich wieder auf ihren Stuhl zurück.
 

„Schade. Wäre cool, wenn Rin so eine Art Mutant ist“, lächelte Kisumi von dieser Vorstellung amüsiert.
 

„Wenn überhaupt, dann bist du das“, gab dieser beleidigt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Dein Freund dann aber auch“, streckte dieser die Zunge konternd heraus.
 

„Hier ist niemand ein Mutant“, griff sich das einzige Mädchen der Gruppe genervt an die Stirn, fassungslos, dass die Streiterei schon wieder losging.
 

Diese verdammten pubertierenden Jungs mit ihrem übermäßig hohen Testosteronspiegel…wer sollte das denn auf Dauer aushalten?

Wenn sie nicht da wäre und schlichtete, würden sich Sousuke und Kisumi früher oder später in die Haare kriegen, begleitet von einem schmollenden, oder verängstigten Rin, der sich nicht anders zu helfen wusste, als mit dämlichen Argumenten aufzukommen.
 

Um einer weiteren unangenehmen Situation vorzubeugen, einschloss sich Chigusa dazu ihrem besten Freund nun mit sich auf dessen Zimmer zu nehmen, da dieser in seinem untervögelten bzw. unbefriedigten Zustand noch mehr Faxen im Kopf hatte als sonst. So gönnte sie Sousuke und Rin eine Verschnaufpause von dessen unüberlegten Fragen und Scherzchen, die vor allem den Größeren provozierten.

Die beiden entschieden sich ebenfalls dazu, auf ihr Zimmer zurück zu gehen, da Rin sich eindeutig in Kuschellaune befand und Sousuke eine Streicheleinheit auch gut tun würde. Seit sie ein wenig über dessen Trauma gesprochen und zumindest einen Punkt angeschnitten hatten, ließ sich der Größere mehr von seinem Freund berühren, wenn er sich auch noch lange nicht für diesen auszog.

Doch als sie an diesem Abend beide duschen gegangen waren und Sousuke schon umgezogen auf seinem Bett lag, hatte Rin das Gefühl, dass er heute ein wenig mehr versuchen sollte. Außerdem wollte er den Körper des anderen auch endlich kennen lernen…schon seit der dessen entblößten Oberkörper kurz nach seiner Ankunft vor Monaten erblickt hatte, fragte er sich, wie sich dessen Muskeln wohl anfühlen würden, von denen er zumindest schon einen kleinen Eindruck bekommen hatte. Mehr als den Bauch hatte Rin allerdings noch nicht erkunden können und sah diesem Abend schon vorfreudig entgegen.

Als Rin aus dem Bad kam, war nur noch Sousukes Nachttischlampe noch an, sodass er sich auf den Weg zu dessen Bett machte. Ungewöhnlich fand der Rothaarige es schon, dass sein Freund in seinem eigenen Bett lag, da sie mit der einen Ausnahme sonst immer bei ihm schliefen, doch störte er sich daran nicht.

Sousukes Bett lag immerhin versteckter als seines, sodass man es von der Tür aus nicht sehen konnte und dies somit eine besondere Sicherheit vor neugierigen Blicken bot. Sie waren zwar auch noch nie annähernd erwischt worden, doch trotzdem tat es gut, zusätzliche Privatsphäre zu haben…vor allem wenn man so schüchtern wie Rin war.
 

Wäre dieser nicht so bedürftig gewesen, hätte es sehr lange gedauert, bis etwas zwischen den beiden passiert wäre. Doch dank seinem durch die Hormone verstärkten Trieb, wurde er in Sousukes Arme geleitet und suchte bei diesem seine Befriedigung.
 

„Kann ich mich zu dir legen?“, fragte Rin sicherheitshalber noch einmal nach, da es auch immer gut sein konnte, dass sein Freund abends mal seine Ruhe haben wollte.

Dem schien aber nicht so zu sein, da er zur Seite an die Wand rückte und somit Platz für den Kleineren schuf, der sich sogleich unter die Decke kuschelte.
 


 


 

Fortsetzung folgt...

Neue Experimente 2

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Zerspringendes Glas

In den nächsten drei Wochen drückte sich Rin darum, Sousuke zu erklären, was er genau getan hatte, doch dieser gab meistens schnell nach, weil ihrer beider Therapie sie doch sehr auslaugten. Was auch immer mit den Ärzten dieser Anstalt nicht stimmte, dass sie ihre jungen Insassen einer solchen Untersuchung unterzogen, die schon an Experimente grenzten, die man bei Labortieren durchführte.

Kisumi erging es da etwas besser, auch wenn er regelmäßig aufgeschnitten wurde, nur um zu sehen, wie lange sein die Heilung benötigte. Wären seine Nervenzellen nicht fast vollkommen lahm gelegt worden, hätte diese Methode schon als ‚Folter‘ bezeichnet werden können, doch er selbst empfand das als eher weniger schlimm. Ihn nervte mehr, dass er keine Lust mehr auf Sex hatte und wenn er es dann mal versuchte, spürte er fast nichts.

Daher ließ Kisumi das mit dem Aufreißen seiner behandelnden Ärztin auch erst einmal sein und auch sonst suchte er nun eher die Nähe seiner Freunde, anstatt sich irgendwo herumzutrieben. Chigusa freute sich sehr darüber, dass ihr bester Freund nicht mehr mit jedem x-beliebigen schlief, sondern ihr mehr Aufmerksamkeit schenkte.

Diese Veränderung hatte nur den Haken: nämlich dass die Jungs nun öfter mal aneinander gerieten, da Kisumi nun nicht mehr ausgeglichen war und Sousuke ohnehin empfindlich auf alles regierte, das mit Rin zu tun hatte. Dieser wiederum hatte auch ein nicht zu verachtendes Temperament, wie Chigusa feststellen durfte. Der ehemals Neue taute so langsam richtig auf und machte sich bemerkbar, wenn ihm etwas gegen den Strich ging.

Dass das auch damit zusammenging, dass Rin ähnliche Probleme wie Kisumi hatte, ahnte sie nicht. Der Rothaarige hatte zwar einen Freund und keine Probleme etwas zu spüren, doch war Sousuke in der letzten Woche so mitgenommen von seiner Therapie gewesen, dass absolut nichts gelaufen war. Des Weiteren hatte Rin weitere Bedürfnisse, die gestillt werden müssten, wozu sein Freund momentan noch nicht in der Lage war.

Kurzum: Die Lage momentan war das reinste Desaster.
 

Chigusa erging es ausnahmsweise auch nicht so gut bei ihren Sitzungen, da Dr. Masefield des Öfteren vorbeischaut und seltsame Dinge anordnete. Der Doktor wohnte ihren Sitzungen meist bei, ehe er sich auf den Weg zu Rin machte, der eine Stunde nach ihr dran war.

Diesen Donnerstag musste sie sich bis auf die Unterwäsche ausziehen, was ihr nichts ausmachen würde, wenn nur Dr. Watanabe im Raum gewesen wäre, doch da der männliche Arzt dabei war, fühlte sie die Panik in sich aufsteigen.

Als dieser dann auch noch damit anfing, die Brünette abzutasten und zu untersuchen, kniff sie die grünen Augen fest zusammen.

Dadurch nahm sie die Berührungen leider noch intensiver wahr und begann ohne jegliche Vorwarnung zu schreien, als er mit der Hand zu tief ging. Der ohrenbetäubende Ton veranlasste die Psychologin dazu, sich die Hände fest auf die Ohren zu pressen, sowie Dr. Masefield beinahe Gehörsturz erlitt, da er zu lange brauchte, um seine Trommelfelle zu schützen.

Chigusa wollte gar nicht mehr aufhören zu schreien und begann ihre Fingernägel in die Haut der Unterarme zu graben, sodass sie diese blutig kratzte. Der Schrei erstickte mit einem Mal und ging in ein jämmerliches Weinen über, als sie auf den Boden sank.

Das Blut unter ihren Nägeln und an ihren Fingern war nicht damit zu vergleichen, was sie mit jeglichem gläsernen Gegenstand in dem Raum angerichtet hatte. Die Scheiben der Schranke waren in tausend kleine Scherben zerplatzt…

Fassungslos starrte die Psychologin erst ihre bisher ruhig gewesene Patientin und dann ihren Kollegen an, der nicht weniger beunruhigt wirkte, auch wenn er sich gleichzeitig zu freuen schien. Seine Sorge galt wohl mehr seinem Gehör, als den Auswirkungen seines Eingreifens und Chigusas Reaktion darauf.

Diese starrte nun weinen auf ihre blutverschmieren Hände, auf welche salzige Tropfen fielen.
 


 

Wenig später machte sich Dr. Masefield auf den Weg zu Rin, allerdings nicht mit der Absicht diesen zu behandeln. Nein, er fand, dass er sich eine Pause verdient hätte, um seinen Erfolg zu feiern, aber auch um sich auszuruhen, da seine Ohren schmerzten.
 

„I’m afraid, you will have to leave“, teilte der Arzt seinem Patienten mit, der ihn nur ungläubig anstarrte. „We’ll see each other tomorrow…don’t miss me too much.“
 

Rin wurde daraufhin einfach stehen gelassen und sah dem seltsamen Mann Mitte 40 nach, ehe er sich verwirrt auf den Weg zurück in sein Zimmer machte. Dort legte er sich aufs Bett und hörte Musik, Sousukes Rückkehr sehnlichst erwartend. Er hoffte doch sehr, dass Dr. Kuznetsov diesen nicht wieder so hart rannehmen würde, da sein Freund in letzter Zeit immer total erschöpft nach seinen Sitzungen war.

Rin fühlte sich schlecht dabei, dass er sich eingestehen musste, dass Sousuke dringend mal wieder bei ihm ran musste…

Auch wenn es erst ein paar Tage her war, dass dieser ihm einen geblasen hatte, spürte er den Druck, der sich aufgebaut hatte und dem dringend Abhilfe verschafft werden musste. Außerdem sehnte sich der Rothaarige nach der Nähe seines Freundes und zwar auch der körperlichen. Er liebte es, wenn sie beide nackt beieinander lagen und sich ihre Körper berührten. Das war bestimmt nicht mit Sex gleichzusetzen, doch Rin gefiel es trotzdem sehr.

Ihm fiel während des Wartens wieder ein, dass er Sousuke versprochen hatte zu zeigen, wie er sich selbst befriedigte…

So peinlich diese Vorstellung war, irgendwie fand Rin diese auch erregend. Vielleicht hatte der andere ja Glück und er würde an diesem Abend endlich offenbaren, weswegen er so gestöhnt hatte.

Sousuke ließ auch nicht zu lange auf sich warten, sodass Rin seine mentalen Vorbereitungen noch gar nicht richtig abgeschlossen hatte, als dieser ins Zimmer trat.
 

„…wie geht’s dir?“, wollte der Kleinere vorsichtig wissen und zog sich die Kopfhörer aus den Ohren.
 

„Es geht…heute war er gnädig und hat mich früher gehen lassen“, teilte Sousuke ihm mit.
 

„Das ist gut“, lächelte Rin erleichtert, auch wenn es ihn wunderte, was heute mit den Ärzten los war. „Dr. Masefield hat mich heute nicht mal untersucht, sondern gleich weg geschickt.“
 

„Hm…seltsam“, fand der Größere, der der Sache nicht über den Weg traute.
 

„Ist heute was Besonderes?“, wollte Rin wissen, doch der andere schüttelte den Kopf. „Wirklich seltsam…“
 

„Vielleicht planen sie was“, vermutete Sousuke, befand sich gerade aber nicht in der Stimmung für Verschwörungstheorien.
 

Auch er musste zugeben, dass er die körperliche Nähe seines Freundes vermisste, auch wenn er dies niemals für möglich gehalten hätte. Vor einem Jahr hatte er noch nicht einmal jemanden berühren können, ohne total in Panik zu geraten und jetzt wurde er sogar ab und zu mit Rin intim. Wie sehr sich das Leben doch mit dem Auftauchen nur eines Menschen ändern konnte…
 

„Kann sein…aber du?“, stimmte Rin zu und blickte Sousuke dabei mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, die Vorfreude, aber auch Scheu widerspiegelten. „Ich geh jetzt duschen…mach es dir schon mal gemütlich~“
 

„…beeil dich aber“, ahnte Sousuke, worauf sein Freund mit dieser Aussage hinaus wollte und befolgte dessen Anordnung.
 

Er zog sich seine Jogginghose schon einmal aus, genau wie die er das ¾ lange Shirt gegen ein T-Shirt austauschte, das er zum Schlafen trug.

Unterdessen bereitete sich Rin im Bad darauf vor, dass er seinem Freund innerhalb der nächsten Stunde sicher zeigen würde, wie man einen Mann sonst noch glücklich machen konnte…jedenfalls manche. Nicht jeder stand darauf, am und im Arsch herum gemacht zu bekommen, auch wenn es sich seiner Meinung nach total geil anfühlte. Wie gut würde es sich dann erst anfühlen, wenn Sousuke sich in ihm versenken würde…

Um nicht schon hart zu werden bevor es losging, schüttelte Rin diese Fantasien schnell von sich ab und stellte das Wasser aus. Sein Freund hatte immerhin gesagt, er solle sich beeilen und zu lange wollte er weder diesen noch sich warten lassen. Ein Glück, dass sich der Rothaarige schon am Morgen beim Duschen rasiert hatte und dieser Durchgang nur den Zweck verfolgte, sich auf das Bevorstehende vorzubereiten.

Die Haare hatte Rin aus diesem Grund auch nicht nass gemacht, sodass er nur seinen Körper abtrocknen und in seine Shorts schlüpfen musste. Auf den Rest der Kleidung verzichtete er diesmal gezielt, da er ahnte, dass er diese ohnehin nicht lange am Leib tragen würde, und sie ihm abgenommen werden würden sobald er das Bad verließ.
 

Das Zimmer war eindeutig ein wenig kälter als das Bad, sodass Rin leicht fröstelte als er in dieses eintrat. Mit der Hoffnung, bald von seinem Freund wieder aufgewärmt zu werden, beeilte er sich, zu dessen Bett zu tapsen.
 

„Bin schon fertig~“, beugte Rin sich zu Sousuke, der in der Zwischenzeit ein Buch aufgeschlagen hatte, und küsste dessen Ohr.
 

Das veranlasste diesen, das Buch sofort beiseite zu legen und Platz zu machen, dass sein Freund sich zu ihm gesellen konnte.

Rin legte sich auch erst einmal neben den Größeren und zog diesen zu sich in einen Kuss, indem er seine Arme um den starken Nacken schlang.
 

„Du bist stürmischer als sonst“, bemerkte Sousuke mit halbgeschlossenen Augen, die mysteriös in der Abendsonne funkelten.
 

„Schlimm?“, fragte der Kleinere sicherheitshalber nach, da er nie wusste, wie weit er gehen konnte, auch wenn sie schon große Fortschritte gemacht hatten.
 

Beim Blasen durfte er die Hände beispielsweise noch immer nicht benutzen, doch damit hatte er sich damit inzwischen arrangiert.

Sousuke schüttelte glücklicherweise den Kopf und küsste seinen Freund als Bekräftigung danach noch auf den Mund.
 

„Gut~“, grinste der Kleinere. „Ich hab heute nämlich was vor~“
 

„…heißt das, du…?“, weiteten sich Sousukes Augen hoffnungsvoll, da er schon gar nicht mehr daran geglaubt hätte, Rin würde ihm es endlich zeigen.
 

Dieser nickte daraufhin und errötete ein bisschen, weil er die Reaktion des Größeren süß fand, aber vor allem, weil das hieß, dass er das hier wirklich durchziehen musste. Wenn er ein Mal sein Wort gab, hielt er sich auch daran.

Von der Vorfreude gepackt, ergriff Sousuke nun die Initiative und legte seine Lippen auf Rins, der seinen Mund auch bald bereitwillig öffnete, um die Zunge des anderen einzulassen. Sich gegenseitig anstachelnd, hob der Kleinere sein Becken bald und drückte sich von unten gegen den Schritt seines Freundes, der zwischen seinen Beinen lag und diesem leicht entgegenkam.

Bald darauf schlang Rin seine Beine um Sousukes, sich weiter an diesen pressend, vollkommen benebelt von der Lust, die in ihm aufkam und sich in den letzten Tagen angestaut hatte.
 

Ihm wurde sehr schnell wärmer, genau wie dem Größeren, der sich sein T-Shirt nun wieder auszog, den durchtrainierten Oberkörper entblößend, über den Rins Finger nun glitten. Er zeichnete die Haarlinie nach, welche nach vom Bauchnabel nach unten führte, stoppte beim Hosenbund jedoch, da er wusste, dass Sousuke es nicht wollte, wenn man ihn weiter unten berührte.

Als Rin stoppte, war es an Sousuke, diesen zu streicheln, über dessen Oberkörper zu fahren und sich an den Brustwarzen zu verweilen, die er gerne in den Mund nahm und an ihnen herumspielte, sodass sie hart wurde. Das hatte meistens auch zur Folge, dass sich noch etwas anderes an Rins Körper verhärtete…so auch dieses Mal.

Schon von den Küssen erregt, keuchte der Kleinere nun auf, als Sousuke sich seinen Brustwarzen widmete, an einer saugte und die mit den Fingern umspielte. So gut sich das auch anfühlte und so sehr es ihn erregte, Rin hatte eigentlich etwas anderes für diesen Abend geplant. So fiel es ihm trotzdem schwer, seinen Freund zu stoppen und sich die Shorts auszuziehen, sodass er nun vollkommen schutzlos unter Sousuke lag.

Dieser betrachtete den Körper des Kleineren fasziniert und wanderte mit den Fingern die Oberschenkel entlang, auf denen zarte, rote Haare wuchsen, die ihm sehr gefielen. Zu Rins Körpermitte hin wurden sie jedoch spärlicher, fehlten im Intimbereich vollkommen, da sich der Kleinere nicht dazu durchringen konnte, diese irgendwo anders als an Armen, Beinen und auch dem Kopf stehen zu lassen. Das war zwar ein wenig schade, doch Sousuke mochte die weiche Haut an diesen Stellen besonders gerne, sodass er sich nun auch nach unten beugte, um seine Lippen auf die Innenseiten der Oberschenkel zu legen und sich dann weiter in die Mitter vorzuarbeiten. Dabei rieb er seine Wangen leicht an der hellen Haut, wodurch Rin ein angenehmes Kribbeln durchfuhr, das durch die etwas stopplige Kinnpartie des Größeren ausgelöst wurde.
 

„Warte…“, stoppe er Sousuke wirklich nicht gerne, da sich dessen Behandlung zu gut anfühlte, doch musste er das irgendwann durchziehen.
 

Wenn er sich ein Mal dessen Lippen hingegeben hatte, konnte er es vergessen noch dazu fähig zu sein, diesem zu zeigen, was er eigentlich sehen wollte.

Gehorsam hielt Sousuke in seiner Bewegung inne und blickte nach oben in die lustverschleierten roten Augen seines Freundes.

Im Prinzip würde es auch funktionieren, wenn Sousuke an dieser Stelle bleiben würde, doch so genau dabei beobachtet zu werden war Rin dann doch zu viel. Daher winkte er den Größeren zu sich hoch, ehe er sich zwei Finger in den Mund steckte und diese befeuchtete. Leider kam er in der Anstalt nicht an Gleitmittel, sodass er meistens auch darauf verzichtete, diese Methode anzuwenden. Aber wenn sein Speichel dickflüssig genug war, konnte er zumindest einen Finger einführen…

Neugierig von Sousuke wurde Rin beobachtet, als er mit knallroten Wangen seine Finger nach unten zu seinem Hintern führte, den Eingang erst umspielte, ehe er sich langsam den Mittelfinger einführte und dabei ein Stöhnen unterdrückte. Das fühlte sich viel zu gut an und wenn er dabei auch noch beobachtet wurde, steigerte das seine Erregung nur noch.
 

„Tut das nicht weh?“, flüsterte Sousuke, fasziniert von dem neuen Anblick.
 

„Nein…“, erwiderte Rin leise und ließ such Zeit, seine Muskeln an den Finger zu gewöhnen, bevor er diesen weiter einführte und leicht bewegte. „Es fühlt sich gut an…“
 

„Kann ich auch was tun?“, fragte der Größere nach und wandte sich nur mit äußerster Anstrengung von dem ab, was sich unter ihm abspielte, dass er dem anderen in die Augen sehen konnte, die allerdings geschlossen waren, wie er nun feststellen musste.
 

„Gib mir deine Hand“, wies Rin ihn an und schnappte sich Sousukes Hand mit seiner freien, die er nun zu seinem Glied führte, das daraufhin umfasst würde.
 

Dieser verstand und begann dann dieses zu stimulieren, während er Rins Finger wieder beobachtete, der sich ein paar Mal rein und raus bewegte, ehe er innen verweilte und sich dort bewegte.

Wenn Sousuke nicht anhand der Reaktion seines Freundes ablesen konnte, dass diesen das offenbar sehr erregte, hätte er gesagt, dass das weh tun musste. Schließlich war dieser Ort doch eigentlich nicht für diese Aktivitäten gedacht…oder etwa doch?

So genau hatte er sich noch nie damit beschäftigt, doch wenn Rin es gefiel, dann würde er sein Bestes tun, diesem demnächst auch auf diese Weise Befriedigung zu verschaffen. Dazu musste er aber erst lernen, was er tun konnte, weswegen Sousuke das Schauspiel aufmerksam beobachtet und dabei beinahe seine eigentliche Aufgabe vergaß.
 

So peinlich Rin diese Aktion auch war, so sehr gefiel es ihm auch, wie Sousuke sich dafür begeisterte. Dessen Hand war auch nicht mehr lange von Nöten, denn sobald sich ein wenig Präejakulat an seiner Spitze gesammelt hatte, hatte er was er wollte. Dieses konnte man nämlich hervorragend als Gleitgelersatz verwenden, auch wenn die Menge nicht für richtigen Sex ausreichen würde…

Sousukes Hand wurde weggewischt, sodass Rin seinen Finger nun herauszog und die Tröpfchen damit aufsammelte, ehe er diesem zurückführte und nun einen zweiten hinzunahm, ehe diesen in ihn glitten.

Als er diese bewegte, konnte er sich kaum mehr zurückhalten und keuchte laut auf, begleitet von seinem erneuten Biss auf die Lippe, sodass ihm ein Blutstropfen das Kinn hinabrann. Diesen Schmerz fühlte Rin aber kaum, da er zu eingenommen von der Sensation war, die sich von seinem G-Punkt ausbreitete, begleitet von Sousukes Blick, der ihm fasziniert folgte.

Dem Größeren gefiel es allerdings gar nicht, dass Rin sich dabei verletztem, weswegen er sich nun dazu verpflichtet fühlte einzugreifen.
 

„Lass mich dir helfen, okay?“, raunte Sousuke leise und kam Rin dabei sehr nahe, sodass er das Blut von dessen Kinn hinauf zu den Lippen ableckte, bevor er ihn küsste.
 

Dabei gelangte auch ein bisschen von dem metallischen Geschmack auf die Zunge des Kleineren, der ihn seltsamerweise noch mehr erregte. So ließ er es auch zu, dass Sousuke sein Hand packte und er somit die Finger aus sich ziehen musste, da der Größere seine Hand nun auf die Seite legte.

Dass er nun selber ran wollte, hätte Rin nicht vermutet, doch als er den Druck an seinem Anus spürte, riss er erschrocken die Augen auf.
 

„W-warte! Du kannst das nicht einfach so machen“, stoppte der Kleinere seinen Freund schnell, bevor dieser ihm noch unbeabsichtigt weh tat. „Du musst es sie erst irgendwie nass machen…“
 

Sousuke nickte verstehend und führte seine Finger nun zum Mund, um es Rin gleich zu tun und diese zu befeuchten, ehe er diese wieder zu dessen Hintern führte. Einen sanften Druck mit zwei Fingern auf dessen Eingang ausübend, entspannte sich die Muskulatur um diesen bald, sodass er eingelassen wurde.
 

Rin keuchte laut auf und klammerte sich an die Schultern seines Freundes, der ihn total um den Verstand brachte. Er war so unglaublich aufgeregt, dass das Blut in seinen Ohren rauschte und schnell von seinem Herz an besonders eine Stelle seines Körpers verteilt wurde.

Sousuke war sehr vorsichtig, sodass es nicht weh tat, als dieser seine Finger weiter in ihn einführte. Auch ließ er ihm tatsächlich Zeit, sich an diese zu gewöhnen, die doch etwas größer und breiter als seine eigenen waren. Dadurch fühlte sich das ohnehin schon ausfüllende Gefühl noch einmal besser an.
 

„Ah~“, keuchte Rin erneut auf, als der Größere sich in ihm bewegte. „…mehr~“
 

Ein bisschen unschlüssig, was er tun sollte, hielt Sousuke noch einen Moment inne, um das neue Gefühl erst einmal auf sich wirken zu lassen. Rins Muskulatur fühlte sich warm um seine Finger an und war mit nichts zu vergleichen, das er kannte. Bevor er diese bewegte, beugte er sich zu seinem Freund herunter, um ihn zu küssen.

Sein Ziel, dass dieser aufhörte seine Lippe aufzubeißen, hatte er schon einmal erfüllt, nun galt es nur noch Rin zum Höhepunkt zu befördern, sodass dieser sich gut fühlen würde.

Wie genau man das in dieser Situation anstellte, wusste Sousuke allerdings nicht, weswegen er sich langsam vortastete und die Bewegungen zu imitieren versuchte, die er zuvor bei Rin beobachtet hatte, als dieser sich selbst befriedigte.

Um dessen Wunsch nach mehr nachzukommen, bewegte er seine Finger nun endlich im Kleineren, der sich daraufhin sofort an ihn klammerte und in den Kuss hinein keuchte.

Prüfend tastete Sousuke die Innenseiten ab und fand dann einen Punkt, der sich ein bisschen anders anfühlte als der Rest, sodass er neugierig an diesem herumspielte, indem er seine Finger daran rieb.

Auf diese Behandlung hin, löste Rin den Kuss sofort und keuchte ungehalten sehr laut auf, während es ein wenig enger um Sousukes Finger wurde. Hieß das nun, dass es dem andern gefiel, oder hatte er ihm etwa weh getan?
 

„Rin? Alles okay?“, wollte Sousuke besorgt wissen und hielt inne.
 

„Nicht aufhören!“, öffneten sich die roten Augen für einen Moment halb, welche von der Lust benebelt waren und in denen kleine Tränen standen. „Bitte…mach weiter…“
 

Verwirrt über diese heftige Reaktion, fuhr Sousuke ein wenig sanfter als zuvor fort, sich diesem Punkt zu widmen, nicht ahnend, was die Stimulation dessen in Rin auslöste. Für dass, dass er keine Ahnung hatte, was er tat, lieferte er einen guten Job ab, auch wenn sich der Kleinere nun eine härtere Behandlung herbeiwünschte, hatte er zu Beginn doch noch Angst gehabt verletzt zu werden.
 

„Mehr…“, keuchte Rin leise und verbarg sein Gesicht an Sousukes Oberkörper, der sich warm anfühlte und eine angenehme Sicherheit ausstrahlte. „Was du auch tust…bitte hör nicht auf~“
 

Noch immer ahnungslos, aber gleichermaßen fasziniert von Rins Reaktion, sowie auch vom Gefühl um seine Finger, traute sich Sousuke nun ein bisschen mehr und wurde schneller in seinen Bewegungen.

Auf genau diesen Punkt zielend, penetrierte er diesen härter, sodass der Kleinere weder seien Stimme, noch seien Lust zurückhalten konnte.
 

„Sousuke…Sousuke~“, entwich Rin immer wieder der Name seines Geliebten, der ihn wortwörtlich um den Verstand brachte.
 

Wenn Sousukes Finger schon so gute Arbeit leisteten, wie geil würde sich dann erst richtiger Sex mit diesem anfühlen?

Von dieser Fantasie beflügelt, zog sich Rins Muskulatur immer wieder um die Finger zusammen, sein Glied begann auch ohne direkte Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen zu pulsieren und er krallte sich in Sousukes Armen fest.

Als dieser seinen G-Punkt erneut traf, schrie er leise auf und erreichte seinen Höhepunkt völlig außer Atem.
 

In seiner Bewegung innehaltend, beobachtete Sousuke Rins Verhalten mit gesenkten Lidern, da ihn dieser Anblick so sehr erregte, dass seine Shorts zu spannen begannen.

Als er seine Finger vorsichtig aus dem Kleineren zog, nachdem sich dieser beruhigte, zog er sich die Unterhose nach unten und ergriff zum ersten Mal seit Monaten seine eigene Erektion.
 

Rin öffnete seine Augen, vollkommen überwältigt von diesem schönen Gefühl, sodass er eine Weile brauchte um zu begreifen, dass Sousuke auch ein Problem hatte, das gelöst werden wollte.

Zuerst richtete sich der Rothaarige allerdings auf und schlang seine Arme um den Hals des Größen, um diesen leidenschaftlich zu küssen, sozusagen als Dank dafür, dass er sich nun so gut fühlte.

Sousuke wurde durch den Kuss dazu veranlasst, von sich abzulassen, was vielleicht auch ganz gut so war, denn hätte Rin ihn nicht zu sich gezogen, wären die Erinnerungen bestimmt wieder über ihn gekommen.
 

„Soll ich dir helfen~?“, raunte Rin noch immer vom Orgasmus benebelt seinem Freund entgegen und trug dabei einen selten anzüglichen Ausdruck in den halbgeschlossenen Augen, die Sousuke in ihren Bann zogen, sodass er nur zustimmen konnte.
 

Kurz darauf, beugte sich der Kleinere auch schon nach unten und nahm sein Glied so weit in den Mund, wie es ihm möglich war. Rin hatte seine Blowjobtechnik inzwischen verbessert und war dazu fähig, nun ungefähr die Hälfte der Erektion seines Freundes in sich aufzunehmen, was eine beachtliche Leitung war.

Angetrieben von den Nachwirkungen von Sousukes Penetration, hielt sich Rin nicht so sehr zurück wie sonst, da seine Hemmschwelle momentan wesentlich niedriger lag.

Das kam dem Größeren insofern zugute, dass die Zunge ungehalten seinen Schwanz umspielte und der Kleinere seinen Kopf bald vor und zurückbewegte, ohne seinen Schaft dabei mit den Zähen zu streifen.

Sousuke hätte ohnehin nicht mehr lange benötig, um seinen Höhepunkt zu erreichen, doch dank Rins atemberaubender Technik, spritzte sein Samen früher als gedacht in dessen Mund.

Bereitwillig schluckte dieser jeden Tropfen, der ihm nicht abhanden kam und wurde sich erst danach langsam bewusst, was er gerade tat. Rins Verstand meldete sich wieder zurück, was zur Folge hatte, dass dessen Wangen rot anliefen und er sich schnell über den Mund wischte.
 

„Das war…wow“, ging Sousukes Atem noch immer schnell, sodass er dieses Kompliment nur leise flüstern konnte.
 

„Danke“, nuschelte Rin peinlich berührt, als er sich nach hinten auf seine Hände stützte und seinen Freund unsicher ansah.
 

Dieser gesellte sich bald neben ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange, sodass er sich langsam beruhigte.
 

„Du warst auch nicht schlecht“, gab der Rothaarige nun zu, was eine maßlose Untertreibung dafür war, welche Gefühle Sousuke in ihm hervorgerufen hatte.
 

„Ich hab dir aber nicht weh getan, oder?“, fragte der Größere trotzdem besorgt nach, da er nach wie vor Angst hatte, seinen Partner zu verletzen.
 

„Nein…du hast mich nur ein bisschen überrascht“, schüttelte Rin den Kopf. „Ich hätte nicht gedacht, dass du das machen würdest.“
 

„Wenn es dir gefällt, mach ich alles“, erwiderte Sousuke daraufhin unwissend, was noch alles zwischen zwei Männern möglich war.
 

Rin hätte ihn in diesem Moment zu gerne gebeten, es ihm auf der Stelle zu besorgen, doch ließ davon ab, da er ahnte, dass es seinem Freund für diesen Abend wohl reichte. Immerhin verlangte es Sousuke immer viel ab, einem anderen so nah zu kommen, auch wenn er diesen liebte.

Verzweifelt, was er tun sollte, seufzte Rin leise und ließ sich auf die Matratze sinken. Warum konnte er nicht zufrieden mit dem sein, was er bisher bekam?

Sousuke tat immerhin sein Bestes ihm jeden Wusch zu erfüllen, sofern es im Bereich des Möglichen lag und er dadurch nicht an seine Vergangenheit erinnert wurde.

Dieser Gedanke brachte Rin auf eine Frage, die er sich zuvor noch nie so direkt gestellt hatte, aber dessen Antwort für ihn essenziell war zu erfahren.
 

„Du, Sousuke…“, setzte der Rothaarige an, als sie nebeneinander lagen und er seinen Kopf auf die Brust seines Freundes bettete, die Hand an diese gelegt.
 

„Ja, was ist?“, erwiderte Sousuke leise, ziemlich zufrieden, aber auch ein bisschen aufgewühlt, weil er doch an seine Mutter erinnert worden war.
 

„…wie weit ist sie eigentlich gegangen?“, stand die Frage nun im Raum, vor deren Antwort sich Rin fürchtete, aber auch wusste, dass er sie hören musste.
 

Wenn Sousukes Mutter ihn nun nicht nur angefasst, sondern auch vergewaltigt hatte? Ob es nicht auch schon als solche zählte, wenn man einen kleinen Jungen auszog und sich an dessen Genitalien bediente, war wiederum fraglich. Doch musste Rin einfach wissen, ob sie den Akt vollzogen hatten…
 

„Das hab ich dir erzählt“, biss Sousuke nun die Zähne zusammen und spannte sich an, wovon Rin auch Wind bekam, da er immerhin auf diesem lag und die verhärteten Muskeln unter sich spürte.
 

„Also hat sie dich nicht dazu gezwungen mit ihr zu schlafen…?“, musste der Kleinere schlucken, da ihm diese Reaktion seines Freundes immer wieder einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ, aber er musste einfach sicher gehen.
 

„Nein…“, klang die Stimme des Dunkelhaarigen auf einmal seltsam weit weg, als die Anspannung seltsamerweise plötzlich wieder von ihm abfiel.
 

Rin beschloss, nicht weiter nachzufragen, da er das wichtigste nun in Erfahrung gebracht hatte. Es war erleichternd zu hören, dass Sousuke zumindest noch auf irgendeine Weise Jungfrau war und somit nicht ganz so sehr wie Chigusa missbraucht worden war. Dass diesen die jahrelange Tortur, von seiner Mutter an diesen Stellen berührt zu werden, aber sehr mitgenommen hatte, war aber unumstritten.

Vielleicht war Sousukes Posttraumatische Belastungsstörung auch weiter ausgeprägt als Chigusas, da er die Nötigung über einen längeren Zeitraum, ja beinahe sein ganzes Leben über, hatte ertragen müssen und ihm dazu auch noch andere körperliche Gewalt angetan worden war.

Rin streichelte seinen Freund liebevoll und küsste dessen Wange, um ihm eine gute Nacht zu wünschen und darauf zu hoffen, dass es Sousuke bald besser gehen würde. Falls in der Nacht etwas wäre, konnte dieser ihn an seiner Seite wissen, immer bereit, ihn zu beruhigen und von den plagenden Bildern abzubringen, die sich des Nachts in sein Bewusstsein schlichen.

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Tatsächlich wachte Sousuke in dieser Nacht ein paar Mal auf und Rin streichelte ihn daraufhin immer wieder, bis dieser sich beruhigte und einschlief. Welche schlimmen Dinge man dem Größeren angetan hatte, konnte sich Rin gar nicht vorstellen und war sich auch nicht sicher, ob Sousuke zuvor ehrlich gewesen war, als er die Frage, ob seien Mutter ihn zum Sex gezwungen hatte, verneint hatte.

Nicht nur mit der Aufgabe, seinen traumatisierten, unruhig schlafenden Freund zu bewachen, sondern auch von den Gedanken um dessen Misere, beschäftigt, bekam Rin auch nicht viel Schlaf, weswegen er am folgenden Tag auch aussah, als wäre ihm der Eyeliner verwischt.

Hätten sie nicht so früh aus dem Bett gemusst, hätten die beiden den Tag wohl in diesem verbracht, doch es war erst Freitag. Das bedeutete, sie mussten jeweils noch eine Therapiestunde durchstehen, bevor man sie für zwei Tage in Ruhe ließe.
 

Vollkommen unmotiviert, begab sich Rin ins Bad und wusch sich, um sich wenigstens ein wenig frischer zu fühlen. Das kalte Wasser im Gesicht half, dass sein Kreislauf in Schwung kam, doch an seiner allgemeinen Erschöpfung änderte es nichts.

Als er ins Zimmer zurückkehrte, saß Sousuke gähnen auf seinem Bett und sah nicht viel besser als er aus, auch wenn er von Augenringen verschont geblieben war. Dafür wirkte sein Blick glasiger als sonst, als er den Kleineren ansah.
 

„Wie geht’s dir?“, trat Rin zu seinem Freund, beugte sich nach unten und küsste diesen liebevoll.
 

Sousuke erwiderte zwar nicht, sah danach aber schon wesentlich besser aus, jedenfalls bis sein Blick zum Hals des Kleineren wanderte, an welchem er verweilte. Ein kritischer Blick verriet diesem, dass da offenbar etwas war, das dem anderen nicht gefiel, oder ihn zumindest nachdenklich stimmte.
 

„Ist was?“, wollte Rin verunsichert wissen und fasste sich automatisch an die Stelle, die so eindringlich vom Größeren angestarrt wurde.
 

Was war das? Das fühlte sich wie…
 

„Ich glaube, du hast Kiemen…“, kam es im dem Moment, als der Hai es selber auch bemerkte, von Sousuke, der ihn daraufhin mit einer Mischung aus Unglaube und Skepsis ansah.
 

„Was?“, kam es ebenso verwirrt von Rin, der wieder ins Bad zurückrannte, um sich im Spiegel betrachten zu können.
 

Sousuke stand auf und folgte ihm, da er ohnehin noch duschen wollte und fand seinen Freund dann mit der Nase schon fast an den Spiegel gepresst vor. Dessen Augen verrieten, dass er das alles nicht wahrhaben wollte, aber auch zu verstehen begann, was mit ihm und den Untersuchungen los war.
 

„…was hat das zu bedeuten?“, flüsterte Rin und fuhr sich immer wieder über den Hals, an welchem sich drei kleine Spalte aufgetan hatten, die tatsächlich wie Kiemen aussahen.
 

Diese wurden allerdings immer kleiner und schlossen sich bald darauf ganz, wodurch der Rothaarige allerdings nicht wirklich beruhigt wurde. Im Gegenteil: Diese Transformation seiner Haut, fand er äußerst beunruhigend.

Aber wenigstens wusste er nun, weswegen Dr. Masefield letztens so begeistert bei seinen Untersuchungen an ihm mit Wasser gewesen war…
 

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Sousuke, vollkommen von seinen eigenen Problemen abgelenkt, doch trotzdem nachdenklich gestimmt. „Anscheinend hast du mehr von einem Hai, als nur die Zähne.“
 

„Das darf doch alles nicht wahr sein“, seufzte Rin genervt und schloss für einen Moment die Augen, ehe er sich wieder ansah.
 

„Glaubst du, es liegt an der Behandlung?“, wollte Sousuke wissen, der auch nicht wusste, was er davon halten sollte.
 

„Keine Ahnung“, drehte sich der Kleinere um und schritt dann aus dem Bad. „Aber geh du erstmal duschen…ich hab Hunger.“
 

„Okay, bis gleich“, nickte der Größere daraufhin und schloss die Tür hinter sich.
 

Eine Viertelstunde später machten sich die beiden Jugendlichen auf den Weg zum Frühstück und trafen dann auf Kisumi und Chigusa, die sich bereits an den üblichen Platz gesetzt hatten. Die Brünette wirkte seltsam abwesend, während ihr bester Freund versuchte, sie aufzumuntern, das jedoch kläglich scheiterte.

Irgendwie hingen allen ihren Gedanken nach, abgesehen von Kisumi, der sich wunderte, was mit seinen Freunden los war. Bei ihm konnte man allerdings auch eine Veränderung bemerken, denn der sonst so freche junge Mann, hielt sich an diesem Tag im Zaun.

Selbst im Unterricht störte er ausnahmsweise nicht und bereitete Miho somit auch keinen Ärger, die sich freuen würde, hätte sie die allgemein bedrückte Stimmung nicht schon längst bemerkt.

Die junge Lehrerin hoffte darauf, dass sich die Situation nach dem Wochenende bessern würde, sonst müsste sie doch einschreiten – auch wenn sie sich nicht sicher war, wie sie das tun sollte. Irgendetwas konnte man aber immer bewirkten, selbst wenn man nur zuhörte, doch dazu musste sich das Gegenüber einem öffnen.
 

Am Mittag in der Mensa, war die Stimmung noch immer nicht viel besser, auch wenn Rin sich langsam mit seinen neusten Erkenntnissen abzufinden begann. Dafür wurde Kisumi Zusehens ruhiger und stocherte nur in seinem Essen herum, es anstarrend, als könne es etwas für seine Gedanken, die er nicht denken wollte.

Chigusa sah unterdessen wirklich nicht gut aus und fummelte schon die ganze Zeit an ihren Ärmeln herum, die eigentlich viel zu lang für diese Jahreszeit waren.
 

„Alles okay bei dir? Du siehst so blass aus“, wollte Rin wissen, als sie in den Fahrstuhl stiegen, um zu ihren Zimmern zurückzukehren.
 

„Ähm…ja klar“, zuckte sie sich ertappt fühlend zusammen und blickte dann schnell zum Rothaarigen nach oben, sich ein Lächeln abringend.
 

„Wenn was ist, sag es mir, okay?“, meinte dieser nur, denn es war offensichtlich, dass es dem Mädchen nicht gut ging.
 

„Okay, danke“, senkte Chigusa den Blick wieder und seufzte leise, ließ den Stoff ihres Oberteils aber nicht los.
 

Sousuke besah die Szene mit einem kritischen Blick, denn auch wenn er wusste, dass er nichts zu befürchten hatte, holte ein Anflug von Eifersucht ihn aus seinen plagenden Erinnerungen zurück, die ihm seit dem letzten Abend durch den Kopf spukten. Er wollte sich nicht erinnern und verdrängte bisher erfolgreich das, was ihn so apathisch machte.

Nur weil Rin nett zu jemand andere war, sollte er sich wirklich nicht so fühlen, doch Sousuke konnte nichts daran ändern, dass er es gar nicht gerne sah, wenn sein Freund sich so verhielt – obwohl wirklich nichts Verwerfliches daran war, jemandem seine Hilfe anzubieten.
 

„Und was ist mit mir~?“, schaltete sich nun Kisumi dazwischen, der sich diese Gelegenheit trotz, oder gerade wegen seines Zustands nicht entgehen ließ.
 

„Dir geht’s auch nicht gut?“, kam es daraufhin mit hochgezogener Augenbraue von Rin, der bisher nicht so viel auf den Rosahaarigen geachtet hatte, weil dieser sich noch am normalsten von ihnen verhielt.
 

„Du kannst so gemein sein“, schmollte dieser nun gespielt. „Sou-chan färbt auf dich ab.“
 

„Wenn du meinst“, rollte der Kleinere darauf nur mit den Augen, weil er diese Aussage nicht ernstnahm und auf eine von Kisumis Launen schob.
 

Meistens lag man mit dieser Vermutung richtig und Kisumi meinte vieles nicht ernst, doch ab und an rutschte ihm auch etwas heraus, das wirklich sehr ernst war. Nur erkannte man diese Hilferufe nicht, weil er mit seiner ironischen Art dafür gesorgt hatte, dass sie versteckt und ungehört blieben.
 

„Chi-chaaaaan“, beschwerte Kisumi sich nun und suchte bei seiner besten Freundin Schutz, indem er sich an sie klammerte. „Du kümmerst dich doch um mich, oder?“
 

„Natürlich“, gab diese sehr schnell nach.
 

Und so kam es dann auch, dass sich ihr Anhängsel als der Fahrstuhl im 2. Stockwerk ankam, nicht auf sein Zimmer verzog, sondern mit zu ihr kam. Sie hatten beide ein wenig Aufmunterung nötig, bzw. Gesprächsbedarf.

Sousuke und Rin eher weniger, weil sie sich meist alles erzählten, doch dafür konnten sie andere Zuwendung gebrauchen.

Ziemlich unerwartet, schmiegt sich der Größere gleich nachdem die Tür hinter ihnen zugefallen war, an den Kleineren und schlang seine Arm so um ihn, dass es wirkte, als wolle er ihn gar nicht mehr loslassen.
 

„Sousuke? Was ist denn los mit dir?“, gab Rin überrascht, aber nicht abgeneigt von sich und tat auch nichts, ums ich aus seiner Lage zu befreien.
 

„Weiß nicht“, murmelte dieser nur leise und schloss die Augen.
 

„Und ich hatte schon die Befürchtung, du würdest dich nach dem von heute Morgen vor mir ekeln“, lachte der Hai leise, auch wenn ihm dieser Verdacht tatsächlich schon aufgekommen war.
 

„Nein…“, stellte Sousuke klar, dass ihm das ziemlich egal war.
 

Sichtlich erleichtert entspannte sich Rin nun und legte seine Hände an Sousukes Unterarme, da er an etwas anderes nicht rankam. Auch lehnte er sich nun gegen den Größeren und schloss die Augen.

Zwar war ihre Gesamtlage alles andere als schön, doch es tat gut, wenn man jemanden hatte, auf den man sich verlassen und an den man sich anlehnen konnte.
 

„Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du zum Geburtstag willst“, griff Sousuke völlig aus dem Blauen wieder das Thema auf, das ihn mehr als es sollte zu beschäftigen schien.
 

„Aber das ist doch jetzt schon ewig her“, wurde Rin aus unerfindlichen Gründen rot und schlug die ebenso roten Augen auf. Offenbar wollte er sich um die Antwort drücken.
 

„Trotzdem…“, ließ sein Freund nicht lockern und erwartete nun die richtige Antwort.
 

„Hm…also wenn du es wissen willst: Du hast mir schon gestern mein Geschenk gegeben“, nuschelte Rin und war gerade froh, dass er den anderen bei diesem Geständnis nicht ansehen musste.
 

„…wie?“, verstand Sousuke nicht so ganz, was damit gemeint war, auch wenn man es sich denken konnte.
 

„Na du hast…das mit mir gemacht“, wurde Rin immer leiser, sowie röter.
 

„Oh…ach so“, verfärbte sich die Haut um die Nase des Größeren nun auch ein wenig, da er begriff. „Das war wirklich, was du wolltest?“
 

„Ja“, gab Rin kleinlaut zu, weil es ihm so peinlich war, da er sich gerade sehr gierig und notgeil vorkam.
 

Schlimm fand Sousuke das nicht, nur hatte er es einfach nicht erwartet, da er es nicht so ganz nachvollziehen konnte. Obwohl, wenn er so darüber nachdachte, mochte er es auch sehr, wenn sein Freund ihm diese Art der Aufmerksamkeit schenkte – auch wenn er sie bedingt durch seine Vergangenheit nicht so nötig wie der dieser hatte.

Viel interessanter fand der Dunkelhaarige es im Moment, was mit Rins Körper passierte, da dieser doch sehr ungewöhnliche Merkmale aufwies, die ihn nicht störten, aber nachdenklich stimmten. Sicher stand auch nicht, ob diese auf natürliche Weise hervortraten, sobald sie die Haut mit Wasser in Berührung geriet, oder ob Dr. Masefield irgendwas mit seinem Patienten angestellt hatte. Wie auch immer er diese Veränderungen hervorrufen sollte, Sousuke erwartete an diesem Ort alles. Hormonelle Behandlungen bei Fröschen hatten beispielsweise auch schon zur vollständigen Geschlechtsumwandlung geführt und bei Menschen war das teilweise auch möglich…warum sollten dann nicht auch andere genetische Veränderungen möglich sein?

Zwar gab es Gesetzte diesbezüglich, doch ob man sich in dieser Anstalt an diese hielt, wagte er zu bezweifeln. Das, was man mit ihm und auch mit Rin anstellte, war sicher nicht legal. An Kisumi wurden offenbar auch Experimente durchgeführt, wie es bei Chigusa aussah, wusste er nicht.

Diese war auch ungewöhnlich still heute. Ob es ihr gut ging?
 

„Du, Rin?“, wollte Sousuke den Kleineren nun auf dieses Thema ansprechen, auch wenn er zuvor noch ein wenig eifersüchtig gewesen war, da sich die beiden nun auch so nahe standen. „Glaubst du, Chigusa geht es gut?“
 

„Ich weiß nicht“, öffnete dieser die Augen langsam und sah nachdenklich ins Leere. „Ich hoffe es.“
 


 

Unterdessen saß Kisumi auf dem Bett seiner besten Freundin und laberte sie mal wieder mit allem möglichen zu, hauptsächlich ums ich selbst von seinen Gedanken abzulenken. Auch ihn plagten Erinnerungen, doch auf andere Weise als wohl Sousuke und Chigusa.

Als er eine Pause einlegte und sich die Kleinere genauer ansah, stellte er erneut fest, wie blass sie doch um die Nase war und auch, dass sie den Stoff ihrer Ärmel gar nicht loslassen wollte.
 

„Chi-chan…geht es dir gut?“, sahen die violetten Augen das Mädchen besorgt an.
 

„Ich…also“, wandte sie den Blick ab, da sie nicht lügen konnte, aber auch nicht wusste, wie sie ihr Erlebnis am Vortag schildern sollte.
 

Dafür ließ sie nun ihr Oberteil los und atmete tief ein und aus. Vielleicht wäre es gut, darüber zu sprechen, auch wenn es sich seltsam anhören würde. Andererseits war Kisumi so gut wie unverwundbar, Sousuke schien auch schnell zuheilen und mit Rin stimmte auch etwas nicht. War es da so komisch, dass sie mit ihren Schreien ein ganzes Zimmer verwüstet hatte?
 

„…was ist das?“, kam Kisumi ihr näher und beugte sich vor, um ihre Unterarme näher zu betrachten, da der Stoff dort ein wenig nach oben gerutscht war.
 

Schnell wollte Chigusa den Ärmel wieder nach unten ziehen, doch der andere war schneller und hielt sie auf, indem er ihren Unterarm packte. Zwar nicht fest, doch wegen ihrer selbst zugefügten Kratzer, tat es weh und sie zuckte zurück.
 

„Haben sie dir was angetan?“, wollte Kisumi weiter wissen, ließ sie aber los, da er verstand, dass er ihr weh tat.
 

„Nein, das war ich selber“, traute sie sich ihm nicht in die Augen zu sehen.
 

„Was ist passiert?“, hakte der Größere weiter nach, welcher nun vollkommen von seinen aufkeimenden Erinnerungen abgebracht wurde.
 

Sie schilderte ihm die Ereignisse, welche sich während ihrer Therapie am Vortag zugetragen hatten, während seien Augen immer größer wurden. Offenbar war es trotz all der bizarren Fähigkeiten, die die Jungs zu haben schienen, beunruhigend zu hören, zu was sie fähig war. Kisumi schien das Ganze eher interessant zu finden, doch von seinem Urteil ausgehend, konnte man unmöglich auf das anderer schließen. Immerhin war er ein Psychopath, der so ziemlich alles amüsant fand und nur ernst wurde, wenn es um sie, oder Hayato ging; also Menschen, die er liebte. Doch das vermutete Chigusa nur, sicher war sie sich auch dessen nicht. Zwar hatte Kisumi sie vor Ryan gerettet, doch das war teilweise auch zu seiner Belustigung geschehen. Die Sache mit seinem Bruder war etwas vollkommen Anderes: Er redete nicht wirklich über seine Familie, aber wenn, dann hieß es immer nur ‚Hayato, Hayato, Hayato‘, daher ging sie davon aus, dass Kisumi seinen kleinen Bruder wirklich sehr gern haben musste. Das war gruselig, wenn man bedachte, was er mit anderen Kindern angestellt hatte, doch wollte sie nicht vom Schlimmsten ausgehen.
 

„Irgendwie ist das cool, dass du sowas kannst~“, grinste Kisumi vor sich hin, bevor ihm der Ernst der Lage wieder bewusst wurde. „Also…abgesehen von…du weißt schon.“
 

„Ist schon okay“, schüttelte Chigusa leicht lächelnd den Kopf, da sie ihren besten Freund kannte und ihm die Bemerkung nicht übel nahm.
 

„Ist aber schon komisch, dass wir alle irgendwas mit unseren Körpern anstellen können, oder dass was Komisches passiert“, bemerkte er danach.
 

„Ja, das stimmt…ich hab mir dazu auch schon einiges notiert“, erwiderte sie daraufhin und holte ihr Notizbuch aus ihrer Nachttischschublade. „Ich bin aber noch nicht dazu gekommen, mir das von gestern aufzuschreiben.“
 

„Hm, wäre cool, wenn du was herausfinden würdest“, nickte Kisumi. „Klar…hattest wahrscheinlich mit anderem zu kämpfen.“
 

„Kann man so sagen, ja“, seufzte die Brünette leise auf, bevor sie ihren Stift zückte und dann doch die Umstände um ihre eigenen versteckten Talente zu notieren begann. Irgendjemand musste schließlich Ordnung in dieses Chaos bringen…
 


 

Am Nachmittag hatte Rin das Glück, dass Dr. Masefield durch Chigusas Einwirken soweit unfähig war, ihn weiter nach Plan zu behandeln, dass er ihn nach einer halben Stunde bereits wieder gehen ließ. Diese war aber auch mehr als genug, da er während der dreißig Minuten immer wieder mit Wasser bespritzt wurde, sodass sich der Rothaarige irgendwann gefragt hatte, ob das eine Art Fetisch des Arztes war.

Da er aber nun um seine Kiemen wusste, schob er es darauf, dass Dr. Masefield diese nur wieder sehen wollte. Das beruhigte ihn nur mäßig, war aber noch immer erfrischender als mit der Vorstellung leben zu müssen, dass ein alter Sack sich an ihm aufgeilte.
 

Zurück im Zimmer, schmiss sich Rin aufs Bett und schaltete Musik an, die er über seine Kopfhörer hörte. Er hoffte nur, dass es Sousuke genauso gut erging und er nicht wieder halb gefoltert wurde.

Dr. Kuznetsov besaß nur leider noch sadistischere Züge als sein Kollege und folterte nicht nur halb, sondern ganz. Natürlich alles zu Forschungszwecken bzw. um dessen Grenzen zu testen.

Sousuke sollte es nicht so glimpflich wie am Tag zuvor treffen, an dem er schnell wieder weggeschickt worden war, denn heute schien der Doktor das nachzuholen, das er verpasst hatte zu tun.
 

Demzufolge musste der Dunkelhaarige so einiges über sich ergehen lassen. Als hätte er wegen seiner hochkommenden Erinnerungen an seine Mutter nicht schon genug um die Ohren, kam nun auch noch die psychische Folter dazu, welche ihn auf eine harte Probe stellte.

Mit körperlichen Schmerzen konnte Sousuke umgehen, doch sobald man auf seinen Schwächen und seiner Vergangenheit herumhackte und ihm falsche Vermutungen unter die Nase rieb, die seine Mutter beleidigten, brach er so weit zusammen, bis ihm eine Sicherung durchbrannte.

In dieser Sitzung schaffte es Dr. Kuznetsov es allerdings nicht, Sousuke wieder so weit zu reizen, als dass er sich losriss und oder einen Tisch zertrümmerte. Dafür war dessen Verstand zu sehr von seiner Vergangenheit umnebelt, als dass er sich großartig auf die Worte konzentrieren konnte, welche ihm in seiner Muttersprache an den Kopf geworfen wurden.

Erst als es persönlicher wurde und Rin wieder zur Sprache kam, wurde Sousuke hellhörig. Er konnte Russisch nicht so gut ausblenden wie zum Beispiel Japanisch, oder Englisch, auch wenn er erstere fast genauso gut beherrschte. Das lag einfach daran, dass es die erste war, die er gelernt hatte, auch wenn er mehr oder weniger zweisprachig aufgewachsen war. Des Weiteren hatte seine Mutter nicht ganz so gut Japanisch gesprochen – mit einem starken Akzent – und somit hatten sie meist auf Russisch kommuniziert. Daher hatte er eine starke Bindung zu dieser und konnte aus selbsterklärenden Gründen auch einfach nicht ignorieren, wenn man Rin beleidigte.
 

Der Russe wusste wirklich nicht, wo Grenzen anfingen und welche man besser nicht überschreiten sollte. Oder es war so, dass er es eben ganz genau wusste und gezielt Sousukes Knöpfe drückte, um diesen zu einer Reaktion zu zwingen. Die zweite Möglichkeit war die wahrscheinlichere und richtige, welche außerdem zu einem Programm gehörte, das sich die beiden Schreckensärzte gemeinsam überlegt hatten, um die Jugendlichen zu testen.

Spätestens als Dr. Kuznetsov Rin als ‚Flittchen‘ bezeichnete, verlor Sousuke die Geduld. Er knurrte und blickte von unten zu dem Arzt hoch, den er aus zornigen Augen anfunkelte.

Man hatte ihn wieder an eine Wand angekettet, doch hatte er dadurch mehr Bewegungsfreiheit, dass sich die Fesseln nur an seinen Handgelenken befanden. So hing sein Körper von den Schlägen zuvor ermüdet, schlapp nach vorne und er kniete auf dem kalten Fliesenboden, der selbst um diese Jahreszeit noch keine Wärme absonderte und sich kalt durch den Stoff der Jogginghose anfühlte.
 

Sousukes Blick sprach mehr als tausend Worte und hatte so viel zu bedeuten wie: Sag das noch ein Mal und ich schlag dir die Fresse ein.

Doch davon ließ sich der Russe nicht beeindrucken und hatte einen Anflug eines dreckigen Grinsens auf dem Gesicht, als er die Lippen zu dem Wort „сука“ formte.

Mit zusammengepressten Zähnen, schnellte der Gefesselte in die Höhe und wollte nach dem Arzt treten, doch dieser hatte bereits mit so einer Reaktion gerechnet, war zurückgewichen und grinste nun breit.
 

Die folgenden Minuten musste Sousuke sich alles Mögliche von Dr. Kuznetsov anhören, der kein Blatt vor den Mund nahm und über wirklich alles und jeden herzog, an dem seinem Opfer etwas lag.

Dieser hörte nicht tatenlos zu, fügte sich aber mit seinen Befreiungsversuchen nur selbst Schmerzen zu und erreichte damit nichts, außer dass er dem anderen gab, was dieser sehen wollte.
 

Sehr zufrieden mit sich, griff der Arzt dann zu einer Spritze, die er mit einer klaren Flüssigkeit auffüllte, ehe er zu Sousuke schritt. Mit einer gezielten Bewegung stach er die Nadel, ohne dass dieser sich großartig wehren konnte, in den Hals, dessen Venen, durch den Stress ausgelöst, hervortraten.

Das Anästhetikum wirkte beinahe sofort, sodass Sousuke schwummrig vor Augen wurde und er seine Bewegungen kaum mehr kontrollieren konnte. So konnte er losgebunden werden, ohne dass die Gefahr bestand, dass er jemanden verletzte, war aber trotzdem noch in der Lage, selbstständig zu laufen.

Normalerweise wäre eine Aufsichtsperson nötig gewesen, um zu gewährleisten, dass Sousuke unbeschadet zu seinem Zimmer zurückkam, aber wie zu erwarten war, bekam er eine ‚Sonderbehandlung‘.
 

„Wir sehen uns dann am Montag wieder“, schob Dr. Kuznetsov seinen Patienten aus der Tür und schloss sie augenblicklich hinter diesem.
 

Kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, fasste sich Sousuke an den Hals, dann an die Schläfe, da sein Kopf sich schwer anfühlte. Die Erinnerung an die Therapiesitzung, die eher einer Folter glich, verblasste dank des Wirkstoffs und er konnte froh sein, dass er noch wusste, wo er hin musste.

Sein Orientierungssinn in Kombination mit dem Anästhetikum bewirkten, dass der Dunkelhaarige viel länger brauchte, um den richtigen Gang einzuschlagen, sodass er viel später als gewöhnlich an 207 angelangte.
 

Die Dosierung war nicht hoch gewesen, dafür intravenös, wodurch der Effekt des Trance-ähnlichen Zustands bereits nachließ, Sousuke sich aber nicht mehr richtig an die Behandlung erinnern konnte.

Seine Sorgen wegen der Erinnerungen an seine Kindheit und frühe Jugend waren kurzzeitig auch gewichen, doch er wusste, dass sich etwas in seinem Unterbewusstsein befand, das hinaus wollte.

Es kroch bereits wieder nach oben, wollte durchbrechen.
 

„Sousuke!“, richtete sich Rin erschrocken auf, als die Tür aufging und er seinen Freund, der gar nicht gut aussah, erblickte. „Wo warst du so lange? Was ist passiert?“
 

Der Ausdruck in seinen Augen war melancholisch, aber auch verwirrt und vor allem trostlos. Er konnte einem einfach nur leid tun.
 

„Ich weiß nicht genau“, erwiderte Sousuke zögerlich und veranlasste Rin dazu, sich zu erheben.
 

Dieser sah auf eine liebevolle Weise besorgt in die türkisenen Augen und strich dann sanft über die leicht stoppelige Wange des Größeren, als er flüsterte: „Es wird alles gut.“
 

Unfähig zu antworten, da Sousuke wusste, dass etwas nicht stimmte, aber dank des Anästhetikums unfähig war dessen Ursache zu orten, und wahrscheinlich auch nichts gut werden würde, reagierte er für eine Weile nicht. In dieser Zeit blinzelte er auch nicht, sein Blick ging nur starr geradeaus.

Als er erkannte, wohin er sah und dass es die besorgten Augen seines Freundes waren, schlug er die Augen nach einem kurzen Lidschlag aus und sie gewannen an Glanz und Klarheit, auch wenn ihm nach wie vor verborgen blieb, was in den letzten zwei Stunden geschehen war.
 

Rin sah erleichtert aus, doch füllten sich seine Augen unweigerlich mit Tränen, die er schnell mit dem Ärmel wegwischte und Sousuke stattdessen ein mildes Lächeln schenkte.
 

„…ich weiß gerade einfach nichts mehr“, gab Sousuke dann überraschend gefasst von sich. „Aber es ist etwas falsch mit mir, oder?“
 

„Nein!“, entgegnete der Kleinere energisch. „Mit dir ist nichts falsch!“
 

„Rin…?“, legte der Dunkelhaarige den Kopf leicht schief und sah dabei ganz schön überrascht, fast ein wenig erschrocken aus.
 

Du hast nichts falsch gemacht…was auch immer dir deine Mutter und diese Leute angetan haben, war nicht deine Schuld!“, erklärte Rin sich und griff dabei nach Sousukes Händen, die er in seine nahm und drückte.
 

Sousuke blickte überrascht von den Händen wieder zu den roten Augen auf, die ihn nach wie vor in ihren Bann zogen, bevor er fähig war das gesagt zu verarbeiten. Auch wollte er nicht verneinen, dass etwas nicht seien Schuld gewesen war, Seiner Meinung nach, war er alleine deswegen schon schuld, weil er sich nicht gewehrt hatte…was auch immer es war, gegen was er sich hätte wehren sollen. Es war ihm für den Moment entfallen, doch unterbewusst enthalten.
 

„…aber es stimmt trotzdem was nicht mit mir. Ich weiß nur nicht, was“, antwortete Sousuke und senkte den Blick.
 

Rin musste wohl oder übel zugeben, dass er darauf keine Antwort wusste und ihm auch irgendwie klar war, dass sein Freund nicht ‚normal‘ war. Egal, ob dessen Verhaltensweisen nun durch seine Traumata ausgelöst worden waren, oder er einige davon schon zuvor besessen hatte, es interessierte ihn nicht.

Insofern, dass er den anderen nicht deswegen verurteilte und ihn so nahm wie er war. Natürlich erschwerte das ihr Zusammenleben, aber es gab wohl immer Streitigkeiten und Schwierigkeiten in einer Beziehung, also konnte Rin sich genauso gut damit auseinandersetzen, wie mit gewöhnlicheren Problemen.

Des Weiteren gab es absolut niemanden, für den er derartig starke Gefühle wie für Sousuke hegte, durch welche ihm Kraft verliehen wurden, diesem zu helfen.
 

„Es ist egal, was es ist…ich werde dir beiseite stehen“, legte Rin nun fest und zog den Größeren zum Bett, auf welches er diesen platzierte.
 

Sousuke hatte es auch nötig, sich mal wieder hinzusetzen, denn er wirkte so, als würde er jeden Moment umkippen. Die Nebenwirkungen machten sich bemerkbar.
 

„Danke“, murmelte er dann, als er saß und die Augen schloss während er sich die Schläfen rieb. „Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen soll.“
 

Die Ernsthaftigkeit dieser Worte, ließ Rin kurz zusammenzucken, bevor er sich besann und neben den anderen setzte. Sousukes breiten Rücken streichelte er behutsam auf und ab, um ihn zu beruhigen und ihm das Gefühl zu vermitteln, dass er nun in Sicherheit war.

Hätte Rin gewusst, was den anderen beschäftigte und was vorgefallen war, hätte er ihm besser helfen können, doch wenn Sousuke nicht einmal selbst wusste, was los war, gab es keinen anderen Weg als darauf zu warten, dass dessen Erinnerungen zurückkehrten.

Ob diese Wiederkehr unbedingt hilfreich wäre, konnte man anzweifeln. Vielleicht wäre die Erkenntnis gut dafür, um das Geschehene zu verarbeiten. Vielleicht konnte man bestimmte Dinge auch einfach nicht verarbeiten und die Erinnerung würde den Verstand auf ewig belasten und sich davon nähren.

War es da besser sich nicht zu erinnern und mit der Unwissenheit zu leben, oder sich über allem im Klaren zu werden und dann damit kooperieren zu müssen?

Es ist nie genug

Am folgenden Tag ging es Sousuke schon erheblich besser, wenn er auch nicht wieder vollkommen fit auf den Beinen war. Nach dieser ‚Behandlung‘ war das auch kein Wunder und auch wenn Rin nicht wusste, was genau ihm angetan worden war – das wusste dieser nicht einmal selbst – ließ die Amnesie durch Medikamente ausgelöst darauf schließen, dass es nichts Gutes sein konnte.

Des Weiteren fiel auch auf, wie oft sich der Dunkelhaarige in den letzten Tagen die Hände waschen ging. Seit Rin ihn kannte, war sein Freund ein sehr sauberer und ordentlicher Mensch gewesen, doch seit diesem einen Abend, als er sich an etwas erinnern zu haben schien, ging es doch ins Extreme über.

Inzwischen war Sonntag und der Größere rannte mindestens ein Mal in der Stunde ins Bad. Außerdem schreckte er so wie am Anfang von Rins Aufenthalt sogar bei dessen Berührungen und Annäherungsversuchen zurück, weswegen der Kleinere beschloss, ihn erstmal in Ruhe zu lassen, auch wenn es ihm schwer fiel.

Am schlimmsten war es, dass sie nicht mehr nachts in einem Bett schliefen, weshalb der Rothaarige kaum ein Auge zudrückte. Ihn erinnerte diese Situation viel zu sehr an seine ersten Wochen an diesem Ort, als er Sousuke noch nicht so nahe gestanden hatte, sie Fremde gewesen waren.

Aber er wusste auch, dass dieser nichts dafür konnte und was immer ihn plagte, eine Ursache hatte, gegen die er nichts unternehmen konnte. Wenn es wegen seiner Mutter war, lag es in der Vergangenheit und war unabänderlich. Wenn es am Umgang der Ärzte mit seinem Großen lag, war er machtlos, da er sich alleine unmöglich gegen eine ganze Organisation wenden konnte. Es war zum Verzweifeln.

Rin lenkte sich am Wochenende mit einem etwas härteren Training ab, bei dem sein Freund nur mäßig mitmachte, was sonst gar nicht seien Art war. Sousuke verbrachte die meiste Zeit mit lesen, duschen und Händewaschen. Des Weiteren hatte er das eigentlich ordentliche Zimmer aufgeräumt und seine Bücher neu sortiert.

In den Augen des Hais vollkommen unnötige Handlungen, doch irgendeinen Zweck würden diese neuen Arrangements für Sousuke schon erfüllen. Wenn es diesem half, sich besser in seiner Lage zurecht zu finden, würde er diesen nicht davon abhalten.
 

„Wo gehst du hin?“, schaute Rin überrascht zum Größeren als er aus dem Bad trat, da er nach dem vielen Schwitzen eine Dusche benötigt hatte.
 

Für gewöhnlich vermied es Sousuke das Zimmer zu verlassen, wenn es nicht unbedingt notwendig war, erst recht am Wochenende. Das war doch einige Fragen auf und stimmte den Hai misstrauisch. Er ging zwar auch ab und zu mal raus, traf sich aber wenn dann mit Kisumi und Chigusa oder holte ihnen beiden Cola.
 

„Nur kurz zur Rezeption. Bin gleich wieder da“, gab der Dunkelhaarige leise, sowie abwesend wirkend zur Antwort und öffnete dann die Tür, durch welche er ohne ein weiteres Wort schritt.
 

Zurückgelassen wurde ein sehr verwirrter, aber auch besorgter Rin, welcher sich auf dem Bett niederließ und seine Haare trockenrubbelte. Währenddessen fragte er sich, was sein Freund so dringendes benötigte, dass er sich an einem Sonntag aus dem Zimmer begab, kam jedoch auf keine zufriedenstellende Antwort.

Lange musste er aber auch nicht auf dessen Rückkehr warten, denn keine zehn Minuten später stand Sousuke, ein wenig verpeilt dreinschauend, schon wieder im Zimmer.
 

„…was hast du dir bestellt?“, wollte Rin vorsichtig wissen und deutete auf den Platz neben sich auf der Matratze.
 

Man konnte Sousuke deutlich ansehen, dass er zögerte, bevor er sich niederließ und dann auch eine Weile brauchte, um die Frage überhaupt zu verarbeiten. In letzter Zeit fiel es ihm Zusehens schwerer, japanische Sätze zu übersetzen, bzw. deren Bedeutung zu verstehen. Den Grund dahinter kannte er nicht, vermutete aber auch, dass es etwas damit zu tun hatte, dass sein Verstand gerade damit beschäftigt war, längst vergangene und vergessene Erinnerungen auszugraben, sodass er kaum Kapazität für andere Dinge mehr übrig hatte.
 

„Handdesinfektionsmittel“, erwiderte er langsam und sah dabei auf den Boden.
 

„Oh…“, blinzelte Rin. „Ach so…“
 

Bedeutete das jetzt, dass er sich vor ihm ekelte, oder vor etwas anderem? Er wusste ja, dass es wahrscheinlich nicht an ihm lag, aber es verletzte ihn trotzdem, dass Sousuke ihn nicht mehr berührte, oder gar küsste, geschweige denn irgendetwas Intimeres. Rin brauchte das einfach, um nicht den Verstand zu verlieren.

Nach all den seltsamen Dingen, die Dr. Masefield mit ihm anstellte, brauchte er tatsächlich einen Ausgleich, so wie es der Größere am Anfang vermutet hatte. Natürlich behandelte der Arzt ihn nicht mehr auf seine angeblich psychische Krankheit Homosexualität, doch die Berührungen des anderen taten einfach immer gut.
 

Sousuke wandte den Kopf nun langsam zum Kleineren um und musterte diesen fast ausdruckslos. Das lag einfach daran, dass sein Verstand gerade so beschäftigt war, dass er kaum etwas um ihn wahrnahm und wenn, dann waren es nur die Keim, der Schmutz und all die schlechten Erinnerungen, die er mit Körperkontakt assoziierte.

Ihm wurde dabei aber klar, dass er dem anderen eine Erklärung für sein Verhalten schuldig war, wusste gleichzeitig aber auch nicht, wie er anfangen, oder was er überhaupt sagen sollte.
 

Den Anfang übernahm dieser dann keine Minute später, indem er weiter nachfragte: „Gibt es einen bestimmten Grund dafür?“
 

„Ich glaub schon“, erwiderte er nachdenklich, doch ihm war der Ursprung seines Verhaltens auch nicht ganz klar.
 

„Hat es was mit der Behandlung zu tun? Oder mit deiner Vergangenheit?“, mutmaßte Rin nun zögerlich, um nicht wieder einen wunden Punkt zu treffen, so wie er es zuvor schon öfter getan hatte.
 

Ganz unschuldig an dessen Zustand fühlte er sich auch nicht, denn immerhin hatte er bemerkt, dass gewisse Dinge seinem Freund nicht gut taten, zu denen er ihn hatte überreden wollen. Nur weil es für andere normal war, in ihrem Alter Sex zu haben, hieß das nicht, dass alle dazu bereit waren. Erstrecht nicht, wenn man traumatisiert und vergewaltigt worden war. Natürlich zwang Rin Sousuke zu nichts, aber ihm fiel wieder ein wie dieser reagiert hatte, als er ihn weiter unten berühren wollte und dass danach erstmal nichts mehr gelaufen war. Diese Berührungen hatten Erinnerungen wachgerüttelt, die besser niemals wieder ans Tageslicht kommen sollten. Auch wenn es nicht mit Absicht geschehen war, die Folgen machten sich doch langsam bemerkbar…zumindest dachte Rin, dass er die Hauptschuld an Sousukes Zustand trug. Dass das nicht stimmte, sollte er bald erfahren, genau wie dass sein Verhalten nur den unaufhaltsamen Prozess beschleunigten.
 

„…oder liegt es an mir?“, senkte der Kleien reden Blick und biss ich auf die Lippe.
 

„Nein!“, wurde Sousuke aus seinen Gedanken gerissen und sein Blick verriet, dass er diese Antwort ernst meinte.
 

„Woran dann?“, war Rin schon erleichtert, aber noch lange nicht beruhigt.
 

„Es ist schwer zu erklären“, gab der Größere daraufhin zu. „Ich hab das einfach manchmal…“
 

„Diesen Waschzwang meinst du?“, wollte der andere sicherstellen, dass sie auch wirklich über das Gleiche sprachen.
 

„Ja…und dass ich das Desinfektionsmittel brauche. Ich weiß aber nicht, warum das so ist…“, seufzte der Größere kaum merklich und ließ die Schultern hängen.
 

„Es hat was mit deiner Vergangenheit zu tun, richtig?“, kam Rin wieder auf seine ursprüngliche Vermutung zurück.
 

„Ich denke schon“, nickte der Größere leicht.
 

„Du kommst ja auch nicht damit klar, wenn dich andere berühren. Ich denke, das ist das gleiche“, überlegte der Rothaarige für seinen Freund laut mit.
 

Das half tatsächlich, dessen Gedanken zu ordnen und dass diesem langsam vor Augen geführt wurde, weswegen er diese Verhaltensweisen an den Tag legte. In ihm stieg der Verdacht auf, dass sein Waschzwang – genau wie die Berührungsangst – auf seine Mutter zurückzuführen war oder vielmehr darauf, was sie mit ihm getan hatte.

Die unsanften Behandlungen, oder vielmehr Foltermethoden, welche man in der Anstalt bei ihm verwendete, taten seinen Störungen nichts Gutes, sondern verstärkten sie noch, waren aber nicht Auslöser dieser. Die Narben auf seinem Rücken und Bauch würden wohl für immer sichtbar bleiben, waren aber nicht mit denen zu vergleichen, die sich in sein Herz eingebrannt hatten, genauso wie die plagenden Erinnerungen, welche seinen Verstand vergifteten und ab und an übernahmen.
 

„Ich glaub, du hast recht“, kam Sousuke nach kurzem Überlegen zu dem Schluss, dass Rin damit richtig lag, dass das alles wegen seiner Erinnerungen geschah, die herauskommen wollten und das teilweise auch taten.

Weil er aber nicht mit ihnen umzugehen wusste, versuchte er sein Möglichstes körperlich diesen Erfahrungen entgegenzuwirken.
 

„Und du bist dir sicher, dass es wirklich nicht an mir liegt?“, überkamen die Zweifel Rin für einen Moment wieder, sodass er seine Hand einfach ausstrecken musste, um Sousukes Schulter zu berühren.
 

Aufgrund der unerwarteten Berührung, zuckte dieser zurück, so als ob ihn tausend Nadeln stechen würden. Als ihm allerdings bewusst wurde, dass es nur sein Freund war, der ihn sanft angefasst hatte und nun ziemlich verletzt aussah, beruhigte sich der Dunkelhaarige augenblicklich wieder und ergriff die noch immer ausgestreckte Hand.
 

„Tut mir leid“, murmelte er und führte sie zu seinem Mund, um den Handrücken zu küssen.
 

„Schon okay“, stammelte Rin verwundert und wurde dabei leicht rot. „Du kannst nichts dafür.“
 

Es waren genau diese Gesten des Größeren, welche sein Herz beflügelten und seine Sorgen für einen Augenblick verschwinden ließen. Es gab bestimmt Hoffnung für sie, irgendwann von diesem Ort wegzukommen…es musste einfach möglich sein. Seine Liebe zu Sousuke bewirkte es, dass Rin nicht durchdrehte und hielt seinen Verstand klar; ohne diesen wäre er schon längst zusammengebrochen. Umgekehrt konnte man Ähnliches behaupten, denn Sousuke ging es seit der Ankunft des Kleineren wesentlich besser.

Auch wenn die Interaktion mit diesem viele seiner Erinnerungen zurückbrachten und ihm ab und an eine schlaflose Nacht bescherten, war es nötig sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, um diese verarbeiten zu können. Des Weiteren ging es ihm so oder so nicht gut, egal ob er sich nun mit seinem Verstand herumplagen musste, dass dieser ihn in Ruhe ließ, oder sich aktiv mit seinen Erlebnissen auseinandersetze. Der Unterschied war lediglich, dass ihn Zweiteres weiterführte, also einen positiven Effekt mit all dem Negativen brachte.
 

Auch wenn Sousuke bewusst wurde, dass er vor Rin nichts zu befürchten hatte und dass er diesem vertrauen konnte, fühlt er sich derzeit einfach nicht in der Lage, mehr als den physischen Kontakt zuzulassen, den sie gerade hatten. Vielleicht würde noch ein bisschen mehr gehen, doch das konnte er nicht mit Sicherheit sagen.

Um seine derzeitige Grenze zu testen, aber auch weil er seinen Freund schon länger nicht mehr geküsst hatte, beugte sich der Dunkelhaarige nun diesem entgegen und schloss eine Augen in der Erwartung, dieser wüsste schon, was er von ihm wollte.

Rin brauchte einige Sekunden, um sich klar zu werden, dass Sousuke ihn küssen wollte, da er mit etwas völlig anderem gerechnet hatte. Mit klopfendem Herzen schloss aber auch er schließlich seine Augen und legte seine Lippen vorsichtig auf die des Größeren.

Es war kein langer, oder intensiver Kuss, doch sie genossen beide diesen Kontakt, dem Sousuke allerdings nicht lange standhielt.

Rin verstand dessen Situation aber und war ihm nicht böse, als sie sich voneinander trennten. Er lächelte ihn sanft an und gab ihm somit zu verstehen, dass alle sin Ordnung war.
 

„Wir schaffen das…zusammen.“
 


 

Am folgenden Tag war die Ruhe wieder vorbei, wobei man sagen musste, dass wohl kaum einer der Jugendlichen Zeit zum Entspannen gehabt hatte. Sousuke aus den bekannten Gründen nicht, auch wenn er sich dank dem Gespräch mit Rin, sowie dessen Anwesenheit besser fühlte, Chigusa dank Dr. Masefields Auftauchen während ihrer Behandlung und den damit ausgeösten Folgen nicht und was mit Kisumi los war, wusste wohl niemand so wirklich. Rin ging es relativ gut und man konnte behaupten, dass er mit seinen Sorgen um seinen Freund genug zu tun hatte, doch belasteten ihn diese seltsamen Tests auch sehr.
 

Miss Amakata bemerkte beim Unterricht erneut, dass ihre Schüler nicht so konzentriert wie sonst waren und konnte sich nun zumindest bei Sousuke denken, woran es liegen könnte. Dieser war am Vortag bei ihr gewesen und hatte sich mal wieder etwas bestellt, das er alle paar Monate benötigte, gewöhnlich in seinen psychisch instabilen. Seit Rin da war, streuten sich diese zwar mehr, doch waren längst nicht Geschichte.

Irgendetwas musste sie tun können, um ihren Schützlingen diesen Aufenthalt erträglicher zu machen!

Ihre Möglichkeiten waren jedoch begrenzt, da sie nicht eingeweiht in die finsteren Machenschaften der Ärzte war, sowie sie auch keine medizinische Ausbildung besaß und wirklich nur zum Unterrichten angestellt worden war. Dementsprechend wenig bekam sie intern mit, da das Pflegepersonal doch eher unter sich blieb, die Ärzte erst recht.
 

Ihre Gedanken schweiften ab und blieben bei Kisumi hingen, da ihre Augen ebenfalls auf diesem ruhten. Auch bei ihm konnte sie sich auch ein wages Bild davon machen, womit dieser zu kämpfen hatte. Höchstwahrscheinlich vermisste er seine Familie und Freunde mehr als er es zugeben wollte. Auch wenn man ihn als Psychopathen eingestuft hatte – womit man wahrscheinlich richtig lag – bedeutete das noch lange nicht, dass er vollkommen gefühlslos war. Als der Rosahaarige neu in der Anstalt gewesen war, hatte er sich ihm einst anvertraut, doch ob die Probleme damals noch aktuell und der Auslöser für dessen ungewöhnlich stilles Verhalten waren, konnte die Lehrerin nicht mit Sicherheit sagen.

In jedem Fall taten ihr ihre Schüler sehr leid, sodass sie an diesem Montag davon abließ, sie allzu sehr zu fordern. Sousuke schien aber ganz froh über ein wenig Ablenkung zu sein, weswegen sie ihrem Spitzenschüler ein paar Aufgaben mehr zusteckte, worüber dieser sich hermachte.

Rin träumte auf dem Platz hinter diesem mehr oder weniger vor sich hin und kritzelte irgendetwas auf seinem Blatt herum. Unauffällig schaute sie ihm über die Schulter und entdeckte einen kleinen Regenschirm mit seinem und Sousukes Namen darunter.

Zunächst schaute Miho irritiert auf das Blatt und hätte sich fast verraten, ging dann aber weiter, wobei sich ein sanftes Lächeln auf ihre Lippen schlich, da sie verstand. Wie lange war es her, dass sie selbst derartige Dinge getan hatte? Nicht allzu lange und sie könnte niemals diese kleinen Gesten vergessen, die man als Teenager vollbrachte, anstatt sich dem Unterricht zu widmen. Jung und verliebt zu sein konnte so schön sein…wenn man nicht an einem so tristen Ort festsitzen würde. Sie wusste auch nicht, ob der Hai eine Chance bei seinem offensichtlichen Schwarm hatte, doch sie freute es, dass er anscheinend einen kleinen Hoffnungsschimmer für sich entdeckt hatte und gönnte es ihm.
 

In wenigen Wochen würden die Sommerferien beginnen und Miho Amakata konnte zu ihrer Familie fahren. Ihr tat es zwar leid, die Jugendlichen während dieser Zeit alleine zu lassen, doch sagte sie sich, dass sie sich das erlauben konnte, immerhin hätten diese während dieser Zeit auch keine Therapiesitzungen. Sie freute sich auf erholsame Wochen, hatte aber jetzt schon ein schlechtes Gewissen, weil ihre Schüler auch während der Ferien nicht aus der Anstalt durften, da diese doch eine geschlossenen war.

Zumindest war die Dachterrasse im Sommer geöffnet und man würde die Insassen auch in den Hof lassen, sofern es eine Aufsichtsperson gab.
 

Wenig später saßen Chigusa und Kisumi auf eben dieser an einem Tisch, die Brünette zeichnete etwas in ihren Notizblock, während der andere mit dem Kopf auf der Tischplatte hing und herumjammerte.
 

„Das ist alles so scheiße…“, beschwerte sich der sonst so euphorische junge Mann. „Ich werde 19 und bekomme jetzt schon keinen mehr hoch.“
 

„Ich bin mir sicher, dass es nur eine Phase ist“, versuchte Chigusa ihren besten Freund halbherzig zu beruhigen, da sie es langsam leid war, immer wieder das gleiche zu hören zu bekommen, zumal diese Probleme in ihren Augen Lappalien waren.
 

Des Weiteren vermutete sie, dass diese Dinge Kisumi zwar schon beschäftigten, doch er von seinem eigentlichen Problem ablenken wollte. Das tat er meistens und zeigte niemals offen seine wahren Gefühle – sofern diese existierten.
 

„Und was wenn nicht?“, schlossen sich die lilanen Augen für einen Moment, bevor sie nach oben zu Chigusa blickten.
 

„Dann kann ich daran auch nichts ändern“, verdrehte sie die grünen und widmete sich ihren Aufzeichnungen.
 

Einige Minuten später, in denen es Kisumi tatsächlich geschafft hatte, den Mund zu halten, richtete er sich endlich wieder auf und setzte sich wie ein normaler Mensch auf den Stuhl, anstatt halb über dem Tisch zu hängen. Nur gut, dass Sousuke gerade nicht im Sichtfeld war, denn dieser hätte bei solch einem Verhalten die Krise gekriegt.
 

„Glaubst du, Hayato geht es gut?“, blickten die violetten Augen schon fast sehnsüchtig in den blauen Sommerhimmel.
 

Überrascht von diesem Themensprung, blickte Chigusa auf. Zunächst konnte sie sich keinen Reim auf diesen scheinbar völlig aus der Luft gerissenen Satz machen, doch als sie den Ausdruck in Kisumis Augen bemerkte, wurde ihn bewusst, dass es wohl das sein musste, worum sich dessen Gedanken drehten.
 

„Ich denke schon“, glätteten sich ihre Gesichtszüge und sie streichelte ihm kurz, aber liebevoll über die Hand. „Mach dir keine Sorgen.“
 

„…danke“, murmelte Kisumi, welcher die Berührung nicht bemerkt hatte, sondern nach wie vor in den Himmel schaute.
 


 

Am Abend nach den Behandlungen, lagen Sousuke und Rin auf dessen Bett. Der Kleinere war damit beschäftigt, seinem Freund durchs Haar zu streichen –das erst nach dessen ausdrücklicher Zustimmung möglich war – und gut auf ihn einzureden. Anscheinen schien es sich nicht nur Dr. Masefiled zum Hobby gemacht zu haben, seine Patienten mental zu quälen, denn sein Kollege stand ihm in nichts nach. Auch wenn es Sousuke laut eigenen Angaben nicht so schlimm wie in der Woche zuvor ergangen war, brach es Rin das Herz mit anzusehen, wie man diesen kaputt machte. Dem Größeren ging es eindeutig nicht gut und man brauchte keinen Abschluss, um das festzustellen.

Wie konnte man einem anderen Menschen nur so schreckliche Dinge antun?

Rin war es unbegreiflich und er glaubte auch, es gar nicht verstehen zu müssen und zu wollen. Das einzige, das er für den anderen tun konnte, war für ihn dazu sein. Wie lange das noch so weitergehen sollte und konnte, wollte er sich nicht ausmalen.
 

„Was hältst du davon, wenn wir mal wieder schwimmen gehen?“, flüsterte der Rothaarige und beugte sich nach unten, um Sousuke auf die Stirn zu küssen.
 

Das ließ dieser zu und schien es sogar zu genießen, auch wenn seien Augenbrauen angestrengt zusammengezogen waren als er nickte.
 

„Gut, dann machen wir das so“, lächelte Rin leicht und ließ sich dann neben den Größeren sinken, noch immer die Finger durch dessen dunkle Haare fahrend.
 

Für unzählige Minuten lagen sie stillschweigend nebeneinander und genossen diesen Moment mehr oder weniger, denn Sousuke wurde immer noch von seinen eigenen Gedanken geplagt, die ungewollte Bilder ungefragt vor seine Augen führten.
 

„Erinnerst du dich inzwischen eigentlich?“, fragte der Kleinere dann nach, als würde er wissen, was ihn beschäftigte.
 

„Nicht so wirklich…aber ich denke, es wird klarer“, erwiderte Sousuke leise, so als ob er dem anderen ein Geheimnis zuflüstern würde.
 

Die Fetzen begannen sich langsam aber sicher zusammenzufügen und das bevorstehende Ergebnis war nichts, das ihm gefiel. Er wollte das Endprodukt nicht sehen, aber es war unausweichlich. Diese Erkenntnis schmerzte, genau wie das Etwas, welches sich aus den Tiefen nach oben grub und ‚seine Vergangenheit‘ schimpfte.
 

„Ich bin für dich da, wenn du was brauchst“, drehte Rin den Kopf zu Sousuke und stoppte die Bewegung seiner Finger kurz.
 

„Ich weiß…danke“, wandte sich der Größere ebenfalls um und sah in die faszinierend roten Augen, welche ihn beruhigten und viel wichtiger: ablenkten.
 

Sie sagen sich genau wie in jener Nacht für eine undefinierbare Zeit in die Augen, in welcher sich Sousuke beruhigte und Rins Herz schneller zu schlagen begann, ehe das des anderen nachzog und es ihm gleichtat.
 

„…wollen wir zum Essen gehen?“, schluckte Rin leicht und erhob sich dann, da er merkte, dass er sich nicht länger im Griff haben würde, wenn sie diesen Blickkontakt aufrechterhalten würden.
 

„Okay“, stimmte Sousuke zu, der wieder ein kaum erkennbares Lächeln auf den Lippen trug.

Heimweh

Zwei Tage später war nicht nur Mittwoch, sondern auch Kisumis Geburtstag, von dem allerdings nur Chigusa – und jeder, der Zugriff auf die Daten der Patienten hatte – wusste. Entgegen jeglicher Erwartung, mochte Kisumi es nämlich nicht, an diesem Tag besonders viel Aufmerksamkeit zu bekommen, auch den Grund hierfür kannte wieder nur Chigusa.
 

Als die Jugendlichen nicht wirklich motiviert im Unterricht saßen, fragte sich ihre Lehrerin, weswegen das Geburtstagskind so traurig aussah und warum sich niemand sonderlich um ihn zu kümmern schien. Sie hoffte sehr, dass die kleine Überraschung, welche sie für ihn bereithielt, seine Laune ein wenig heben würde.

Nach dem Unterricht am Mittag, packten die vier Teenager ihre Sachen zusammen und machten sich auf den Weg zum Mittagessen, doch bevor er abhauen konnte, rief Miho den Rosahaarigen zu sich zurück.
 

„Shigino-kun, warte!“, hielt sie Kisumi davon ab, mit den anderen zu gehen. „Ich hab noch was für dich.“
 

Überrascht blieb der junge Mann stehen und sah sie fragend an, wobei sich sein übliches Grinsen auf die Lippen schlich: „Ich liebe Überraschungen, aber ich bin auch ungeduldig~“
 

Mit diesen Worten kam er zurück zum Unterrichtssaal, in welchem Miss Amakata zu ihrem Pult zurückgegangen war und etwas aus der obersten Schublade holte.
 

„Was ist es?“, kam er freudig erregt zu seiner Lehrerin gehüpft.
 

„Alles Gute zum Geburtstag“, lächelte Miho ihn an, als sie ihm den Brief überreichte. „Es ist zwar nichts von mir persönlich, aber ich denke, dass er dich trotzdem freuen wird.“
 

Perplex nahm Kisumi den Brief, der an seinen Namen adressiert war, entgegen und drehte ihn um. Schon ohne ihn zu öffnen, wusste er, von wem er stammte, denn er kannte die Handschrift seiner Mutter nur zu gut.

Vollkommen überfordert, nahm er den Brief erst einmal an sich und steckte ihn in die Tasche.
 

„Danke schön~“, säuselte er danach Miho zu und machte sich eiligst auf den Weg, aus dem Raum zu kommen. „Bis morgen dann~“
 

Verwirrt blickte Miss Amakata ihrem Schüler hinterher. Das war nicht ganz die Reaktion, die sie sich erhofft und erwartet hatte. Eigentlich hätte sie gedacht, dass Kisumi den Brief sofort öffnen und lesen würde, doch vielleicht wollte er sich das auch für einen späteren, ruhigen Moment aufbewahren, in dem er sich voll und ganz dem Geschriebenen widmen konnte.
 


 

„Wo ist eigentlich Kisumi?“, wollte Rin eine Viertelstunde später wissen, als er und die beiden anderen schon fast fertig mit dem Mittagessen waren.
 

„Ich weiß nicht…Miss Amakata wollte anscheinend noch was mit ihm besprechen“, erwiderte Chigusa, welche mitbekommen hatte, wie ihr bester Freund noch einmal zurückgerufen worden war.
 

„Wird schon nichts Schlimmes sein, oder?“, meinte der Hai daraufhin.
 

„Ich denke nicht“, erwiderte sich nachdenklich, beließ es aber dabei.
 

Sousuke und Rin wussten nichts davon, dass Kisumi Geburtstag hatte und sie würde die beiden auch nicht aufklären, weil sie wusste, dass er an diesem Tag ohnehin schon genug mit sich zu kämpfen hatte. Wahrscheinlich hatte er sich nach dem Gespräch zurückgezogen und tat wieder sonst war…

Chigusa beschloss nach dem Essen auf jeden Fall nach ihm zu sehen und ihn von möglichen Dummheiten abhalten, falls er welche geplant hatte.

Die letzten Jahre hatte er sich nur jemanden gesucht, mit dem er ‚Spaß haben konnte‘, doch ob er auf diese Option auch in diesem Jahr zurückgreifen würde, wagte sie zu bezweifeln. Einerseits spürte er angeblich sowieso nichts mehr beim Sex, andererseits schien seine psychische Verfassung schlechter denn je zu sein.
 

Nach dem Essen ließ sie die beiden Jungs alleine, welche sich nicht viel dabei dachten, dass die Brünette nach Kisumi sehen wollte. Sousuke und Rin gingen gemeinsam zum Aufzug, der sie in den 6. Stock befördert, in welchem sie sich es auf der Dachterrasse gemütlich machten.
 

„Ich hatte schon fast vergessen, wie gut sich die Sonne anfühlt“, schloss Rin genießerisch die Augen und wurde dabei von seinem Freund beobachtete, dem es ein wenig besser zu gehen schien.
 

„Wenn du willst, können wir in den Sommerferien raus gehen“, schlug Sousuke vor, dem es sehr gefiel, den Rothaarigen so glücklich zu sehen.
 

Er würde beinahe alles dafür tun, wenn er dieses Lächeln nur irgendwie erhalten könnte. Der Plan, diesem zur Flucht zu verhelfen, geisterte nach wie vor durch seinen Kopf, doch wie genau er das anstellen sollte, wusste er noch nicht genau. Vielleicht ließe sich etwas mit den Schlüsselkarten machen, oder er könnte etwas anderes umprogrammieren…
 

„Wir können raus?“, öffneten sich die roten Augen schlagartig bei diesem Vorschlag.
 

„Ja, aber nur wenn sich eine Aufsichtsperson auf dem Hof befindet“, nickte Sousuke, dem gerade eben erst klar wurde, dass sein Gegenüber bisher nichts davon gewusst haben musste.
 

„Trotzdem toll~“, sehnte sich Rin schon dem Tag entgegen, endlich wieder einen Fuß nach draußen setzen zu können, wobei seine Augen zu leuchten begannen.
 

Fasziniert von diesem Anblick, brauchte Sousuke eine Weile, ehe er eine Antwort parat hatte und diese auch aussprach. Viel zu sehr beeindruckte ihn der andere immer wieder aufs Neue.
 

„Okay, dann gehen wir sobald wie möglich raus“, nickte der Dunkelhaarige und lächelte ebenfalls.
 

In solchen Momenten offenbarte sich seine wahre Natur, die nichts mit dem gefühlskalten Killer zutun hatte, als den man ihn an diesem Ort hinstellte. Im Grunde war Sousuke eine herzensgute Person, die einfach nur nicht mit Menschen zurechtkam und ein bisschen Zuwendung benötigte, um glücklich zu sein. Seit er Rin hatte, kehrten die Freude und die positiven Emotionen langsam in sein Leben zurück, wofür er ihm unendlich dankbar war. Mal ganz abgesehen davon, dass er sich unsterblich in Rin verliebt hatte, plante er auch nicht, diesen jemals wieder gehen zu lassen…im übertragenen Sinne versteht sich. Immerhin plante er schon seit geraumer Weile, diesen aus der Anstalt zu schmuggeln und zwar egal ob mit oder ihn sich selbst.

Solange er nur seinen Liebsten irgendwie glücklich machen konnte – und das war er in der Anstalt eindeutig nicht – war ihm jedes Mittel recht. Das Gleiche galt bekanntlicherweise, wenn sich jemandem Rin zu sehr näherte, oder ihm gar wehtun wollte. Ob seine Gefühle und Einstellung in dieser Hinsicht ganz so gesund waren, konnte man bezweifeln, doch das interessierte Sousuke herzlich wenig.
 


 

Zur gleichen Zeit kam Chigusa an Kisumis Zimmer an und klopfte an dessen Tür in der Hoffnung, dieser würde ihr mit seinem üblichen Lächeln im Gesicht öffnen.

Leider nur dauerte es schon viel zu lange, bis die Tür sich bewegte, sodass ihr nach der Minute, die sie wartete, schon klar war, dass ihr bester Freund nicht gut gelaunt sein und es auch nicht vortäuschen würde.
 

„Chi-chan…“, blickten die violetten Augen ungewohnt melancholisch durch den Türspalt der Brünetten entgegen, bevor diese aufgerissen und sie in das Zimmer gezogen wurde. „Ich bin ja so froh, dass du da bist!“
 

Das Mädchen wurde überschwänglich umarmt und ziemlich fest gedrückt, was sie nicht unbedingt störte und auch nicht weh tat, aber wirklich sehr überraschend kam. Auch wenn Kisumi erfreut klang, konnte man den traurigen Unterton in seiner Stimme unmöglich überhören.
 

„Was ist denn los mit dir? Ich bekomm keine Luft mehr“, lachte sie unsicher und schob den um einige Zentimeter größeren jungen Mann von sich.
 

Ohne große Umschweife, setzte sich der Rosahaarige auf sein Bett und deutete dann auf ein Blatt Papier, das sich bei genauerem Betrachten als Brief herausstellte.
 

„Meine Familie hat mir geschrieben…also genaugenommen meine Mutter“, klärte er Chigusa auf. „Ich hab noch nicht ganz fertig gelesen, aber…“
 

Kisumis Stimme brach an dieser Stelle und er wirkte, als würde er jeden Moment zu weinen beginnen, fing sich aber und fuhr fort: „Ich glaub, sie will mich nicht mehr…“
 

Chigusas Augen weiteten sich und sie schritt auf das Bett zu, ließ sich jedoch auf den Stuhl gegenüber von diesem sinken, da sie nach wie vor und mehr als je zuvor Probleme mit den Betten anderer Menschen – besonders Männern – hatte.
 

„Warum das denn?“, wurde ihre Stimme weicher und drückte aus, dass er ihr alles erzählen konnte, das ihm auf dem Herzen lag.
 

„Sie hat geschrieben, dass ich zwar immer ihr Sohn sein werde, aber sie einfach nicht vergessen kann, was ich getan habe…und dass sie nicht will, dass ich je wieder in die Nähe von Hayato komme…“, schluckte er den Kloß im Hals herunter und war in diesem Augenblick unfähig, sie anzusehen.
 

Er wischte sich stattdessen mit dem Ärmel seines hochgekrempelten Hemds über die Augen, nahm den Brief erneut in die Hand und drehte ihn um. Anscheinen hatte er wirklich noch nicht ganz zu Ende gelesen.

Insgeheim hoffte Chigusa für ihn, dass im Rest etwas enthalten wäre, das seine Laune zumindest wieder ein bisschen heben würde. Doch wie das nach dieser Nachricht noch möglich sein sollte, war ihr ein Rätsel.
 

Als er weiterlas, weiteten sich die violetten Augen jedoch und sein Gesicht hellte sich für einen Moment auf. Als er zu Ende gelesen hatte, sah er auf eine melancholische Weise glücklich aus, sodass sein Anblick Chigusa wirklich sehr verwirrte.
 

„Du siehst…glücklich aus? Was steht im Rest?“, stellte sie die unnötige Frage, da der andere ohnehin bereits drauf und dran gewesen war, ihr alles zu erzählen.
 

„Sie hat geschrieben, dass Hayato mich vermisst und wiedersehen will~“, flötete Kisumi, wischte sich aber erneut über die nassen Augen, in denen inzwischen kleine Tränen standen, man aber nicht sagen konnte, ob es sich um Freudentränen handelte, oder er jeden Moment einen emotionalen Zusammenbruch erleiden würde. Höchstwahrscheinlich stimmte beides zu.
 

Was Chigusa vom Rest des Briefes halten sollte, wusste sie noch, aber es klang schön, dass Kisumis Bruder ihn vermisste und wiedersehen wollte, wenn seien Mutter es schon nicht tat. Was sie ihm allerdings antworten sollte, wusste sie ebenfalls nicht, da es aussah, als würde alles, das sie sagen würde, den anderen verletzen.
 

„Weißt du was? Wenn ich aus diesem Drecksladen jemals wieder rauskomme, geh ich zu Hayato“, meinte Kisumi nun mit einer Mischung aus Entschlossenheit, Freude und etwas andrem in der Stimme, das man nicht identifizieren konnte und wollte. „Egal, was sie sagt…“
 

Falls wir hier jemals rauskommen“, senkte Chigusa den Kopf und die Stimme.
 


 

Ausnahmsweise schien Dr. Masefield mal wieder einer seiner weniger sadistischen Tage zu haben, sodass er Rin mal wieder nur mit Wasser beträufelte und kurzerhand entschied, ihm dann den ganzen Eimer über den Kopf zu gießen, sodass er sich die Stellen, die sich in Folge des Wasserkontakts transformierten, genau ansehen und notieren zu können. Danach wurde der Hai entlassen und wartete noch immer halb nass auf seinen Freund, für den er sich wünschte, dass dessen Therapiestunde – deren Namen hätte unpassender nicht sein können – ebenso glimpflich wie seine eigene verlief.

Sousuke kehrte diesmal auch nicht völlig mit den Nerven am Ende zurück, sondern sah nur ein bisschen verpeilt aus. Solange es nur das war, konnte Rin damit umgehen, da er diese zeitweise Ahnungslosigkeit irgendwie süß und sympathisch fand. Insgeheim hatte er die Vermutung, dass sein Freund öfter so drauf sein würde, wäre er nicht schon mehrmals durch die Hölle gegangen. Er war sich schon fast sicher, dass dieser Teil seiner Persönlichkeit nichts mit seinem Trauma zu tun hatte, sondern eher einer der wenig übriggeblieben normalen Eigenschaften am Größeren waren.
 

„Alles okay bei dir, du siehst so verwirrt aus“, lächelte Rin und stupste Sousuke auf die Nase, bevor er sich auf die Zehenspitzen stellte, die leicht stoppligen Wangen mit den Händen umfasste und ihn küsste.
 

„ich hab mich nur ein bisschen verlaufen…“, gab dieser zu, als sie den Kuss lösten, wollte daraufhin aber gleich noch einen.
 

„Hast du nicht eine Karte von Chigusa bekommen?“, lachte der Kleinere danach erleichtert, dass alle sin Ordnung zu sein schien, aber auch, weil er das Verhalten des anderen zu süß fand.
 

„Hab sie vergessen“, brummelte Sousuke in seinen nicht vorhandenen Bart und brachte Rin damit erneut zum Lachen.
 

„Die Hauptsache ist, dass du überhaupt zurückgefunden hast~“, wurde ihm dann auch schon wieder ein Kuss auf die Lippen gehaucht.
 

Noch waren sie unschuldig, doch Rin merkte bald, dass er wieder etwas weitergehen konnte. Offenbar hatte Sousuke seine Phase zum Teil überwunden, das nur ihnen beiden zugute kam~
 

Jedoch wurde der ein wenig zu gierige Hai bald gestoppt, als seine Hände unter das Oberteil des Größeren glitten. So weit war dieser anscheinend doch noch nicht…

Wenn er nur für einen Moment nachgedacht hätte, hätte Rin es sich auch denken können, doch er hatte sich einmal wieder zu sehr von seinem Körper leiten lassen, wofür er sich selbsthätte ohrfeigen können.
 

„Tut mir leid“, ließ er den Kopf schuldbewusst gegen Sousukes Oberkörper sinken.
 

„Schon okay…ist ja nichts passiert“, legte dieser seine Arme um den Kleineren und drückte ihn sanft an sich.
 

Er war nur froh, dass er dazu fähig gewesen war, Rin rechtzeitig zu stoppen, denn wenn man bei hm in diesem Stadium zu weit ging, konnte es unschön enden. Schwester Nicole hatte es schon mehrfach zu spüren bekommen, bei ihr hatte er jedoch keine Schuldgefühle. Wenn er seinem Freund hingegen wehtun würde, könnte er sich das niemals verzeihen. Wie man es auch drehte und wendete, er war nach wie vor ein Monster, das sich und sein Handeln nicht immer unter Kontrolle hatte.

Genau davor fürchtete sich Sousuke am meisten: Die Kontrolle zu verlieren und seinem Partner weh zu tun, der der einzige Mensch war, an dem ihm wirklich etwas lag.
 


 

Nach seiner Therapie hatte Kisumi unterdessen mit ganz anderen Dämonen zu kämpfen, die in Form von Erinnerungen über ihn herfielen. Jedoch waren es nicht die schlimmen, verborgenen wie bei Sousuke, die nur sein Unterbewusstsein kontrollierten, sondern die Gedanken an eine perfekte Vergangenheit, von der man wusste, dass sie nie wieder wahr werden würde.

Kisumi saß mit angezogenen Knien auf dem Bett, die Arme um die Beine geschlungen und starrte apathisch auf den Brief, der vor ihm lag. Sein Blick ging ins Leere und verriet, dass er nichts von der Welt mitbekam, die vor seinen Augen lag, da er sich in einer völlig anderen befand. Insgeheim hoffte er jedoch, dass Chigusa wiederkehren und ihn aus diesem Zustand befreien würde. Sie hatte ihm immerhin versprochen zu ihm zurück zu kommen…
 

Tatsächlich wurde Kisumi wenig später von einem Klopfen aus seinen so süßen, düsteren Fantasien über vergangen Tage gerissen, das ihn dazu brachte, schwunghaft vom Bett zu springen, sodass er den Brief – sein neues Heiligtum – nicht zerknitterte.
 

„Chi-chan…“, begrüßte er die Brünette wie am Mittag, sah nun aber noch heruntergekommener als vor wenigen Stunden aus.
 

„Wie siehst du denn aus?“, riss Chigusa die grünen Augen erschrocken auf und fuhr erst einmal durch die zerzausten rosanen Haare, die sich der Größere wohl mehr als einmal gerauft haben musste.
 

Nachdem sie das in Ordnung gebracht hatte, gingen sie ins Zimmer und als die Tür fiel hinter dem Mädchen ins Schloss fiel, kippte Kisumi einfach um.

Chigusa hatte alle Mühe, den schweren Körper zu halten, sodass sie nicht beide fielen. Glücklicherweise war Kisumi nicht körperlich am Ende, sondern nur emotional, sodass er sie nicht mit seinem ganzen Gewicht belastete.

Nichtsdestotrotz sanken sie wenig später zu Boden, weil die Kleinere ihren besten Freund nicht lange aufrecht halten konnte und beschloss, dass das die beste Option wäre, ohne dass einer sich weh tat.
 

„Es ist alles gut…ich bin da“, strich sie schon wissen über den Kopf des Größeren, der sich daraufhin an sie schmiegte und sein Gesicht an ihrem Hals verbarg.
 

Was es auch war, das ihn so aus der Fassung gebracht hatte, bei Kisumi war sich Chigusa sicher, dass es nichts mit der Anstalt oder seiner Therapie zu tun hatte. Nein, seine psychische Verfassung war ganz alleine auf die Abwesenheit seines Bruders zurückzuführen, der wie unschwer zu erkennen war, dessen gesamten Lebensinhalt darstellte.

Die Trennung von diesem, sowie die Distanz wirkten sich unvorteilhaft auf Kisumis ohnehin schon angeschlagene Psyche aus. Wer wusste, was er durchgemacht hatte, bevor man ihn eingewiesen hatte?

Sicher gab es irgendetwas da draußen, dass seine Taten begründete, ihn dazu verleitet hatte…doch das hieß noch lange nicht, dass sie durch irgendetwas zu rechtfertigen waren. Sicherlich fungierten sie als Ventil, doch es war eines, mit dem er anderen schadete und das war durch nichts zu entschuldigen.

Trotzdem tat Kisumi ihr unendlich leid, sodass sie nun fast selber zu weinen begann, als das leise Schluchzen des anderen an ihre Ohren drang. Sie umschlang den weichen Haarschopf mit ihrem Armen und drückte ihn an sich, schloss die Augen und versuchte die Fassung zu wahren.

Auch wenn sie ihren besten Freund unbeschreiblich gern hatte, er war nach wie vor ein Mann und diese Nähe löste immer noch den Angstzustand aus, in dem sie früher jeden Tag gelebt hatte.
 

„Chi-chan…es ist so gruselig…“, nuschelte Kisumi gegen Chigusas Oberteil.
 

Ihm wurde in diesem Moment erst richtig bewusst, wie wichtig ihm seine beste Freundin geworden war und das erschreckte ihn. Hatte er sich doch geschworen, nie wieder jemanden in sein Herz zu lassen, der dann doch nur wieder von ihm gerissen werden würde, den er nicht lieben durfte…

Mit Chigusa war es anders als mit Hayato, aber sie war ihm fast schon genauso sehr ans Herz gewachsen wie dieser, sodass er nicht damit klar kam. Für jemanden, der sonst unfähig war, Mitleid, Schuldbewusstsein und Liebe zu empfinden, kam die Erkenntnis, dass man einen anderen mehr liebte als sich selbst, wie ein Schlag ins Gesicht. In Kisumis Fall war es nicht nur einer, sondern so viele, dass ihn der Schmerz zum Weinen brachte.

Irgendwann hatte er keine Tränen mehr übrig und seine Kehle fühlte sich trocken an, während er die sanften Finger wieder durch sein Haar streichen spürte.
 

„Was ist gruselig?“, wollte die sanfte Stimme des Mädchens wissen, die in diesem Moment so viel stärker und gefasster war als er.
 

Kisumis Schluchzen setzte für einige Sekunden aus, ehe er den Kopf ob und sie aus geröteten Augen ansah.
 

„Ich will diese Gefühle nicht!“, schrie er ihr schon fast entgegen, doch seine Stimme war vom ganzen Heulen kratzig und schwach.
 

Chigusa stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben, da sie mit allem, aber nicht damit gerechnet hatte, dass Kisumi ihr sozusagen gestand, dass er wider jeglichen Erwartens doch dazu fähig war, etwas für einen anderen Menschen zu empfinden, das nicht aus Gleichgültigkeit oder Hass bestand.
 

„Aber es ist ganz normal…es ist nichts, wofür du dich fürchten musst“, schenkte sie ihm ein unsicheres, aber ernst gemeintes Lächeln.
 

„Ich will das aber nicht! Ich wollte das nie wieder, es ist so-“, brach seien Stimme ab und er hustete, da ihm vom Weinen schlecht geworden war.
 

„Shigi…“, tätschelte Chigusa ihm liebevoll den Arm und zog ihn dann wieder in eine Umarmung, da er so wirkte, als könnte er noch mindestens eine gebrauchen.
 

„Ich hab keinen Bock mehr auf den ganzen Scheiß!“, schluchzte er wenig später gegen ihr Oberteil, das inzwischen einige dunkle Flecken von den Tränen, die auf es vergossen wurden, auf der ockerfarbenen Oberfläche aufwies.
 

Unfähig ihm mit Worten weiterzuhelfen, kraulte sie ihm nun einfach den Rücken und hielt ihn eng an sich gepresst, auch wenn es ihr Großes abverlangte. Seit Jahren hatte sie niemanden mehr so nah an ihren Körper gelassen, doch sie sagte sich, dass es okay wäre, weil Kisumi keinen anderen Zweck verfolgte, als sich trösten zu lassen.
 

„Es tut so weh…und ich weiß nicht warum…das soll sich doch schön anfühlen, oder?“, wurde Kismuis Stimme immer leise rund Chigusa wusste nun gar nicht mehr, wovon der anderen überhaupt sprach.
 

„Was ist es denn, das du fühlst? Und gegenüber wem?“, wollte sie mit sanfter Stimme wissen, hielt aber in ihrer Bewegung inne.
 

„Ich weiß es nicht…ich vermisse ihn so sehr und…“, begann Kisumi, den sie noch nie zuvor so aufgewühlt erlebt hatte. „Und dann bist da noch du…“
 

„Ich?“, wurde das Mädchen hellhörig, denn sie wusste nicht, was sie von dieser Aussage halten sollte, dachte sie doch, dass sich das Thema mit ihnen beiden schon lange erledigt hätte.
 

Augenblicklich und unkontrolliert versteifte sich ihr Körper, ebenso wie sie nicht mehr dazu fähig war sich zu rühren, oder Kisumi zu streicheln. Diese Schockstarre nahm sie meistens an, wenn ein Mann mit zweideutigen Absichten sie berührte…

Kisumi bemerkte wohl, dass seine Worte etwas in Chigusa ausgelöst hatten, das er gar nicht so beabsichtig und gemeint hatte, weswegen er schnell versuchte, das wieder richtig zu stellen.

Dazu löste er sich von ihr und sah sie aus wässrigen Augen an.
 

„So meinte ich das doch gar nicht! Ich hab dich einfach nur sehr gerne…ohne dass ich was von dir will!“, stellte er nun eifrig klar, sodass die Brünette sich tatsächlich wieder zu entspannen begann.
 

„Schon okay…ich weiß“, lächelte sie, da sie sich nun endgültig sicher sein konnte, dass sie von Kisumi nichts zu befürchten hatte. „Und was ist mit Hayato?“
 

„Ich weiß es nicht…es ist alles so verwirrend“, senkte der Größere den Kopf, dessen Tränen langsam abebbten und versiegten.
 

„Du hast ihn auch sehr gerne, nicht wahr? Es ist ganz normal, dass es weh tut, wenn man jemanden, den man liebt, vermisst“, erklärte Chigusa ihm dann.
 

„Meinst du?“, war er sich unsicher und nestelte nervös an seinem Hemdkragen herum. „Ich hab das noch nicht gefühlt…kennst du das Gefühl?“
 

„Ja…in gewisser Weise schon“, nickte sie daraufhin. „Als meien Mutter starb, war es schlimm…manchmal vermisste ich sie immer noch und dann tut es sehr weh…genau hier.“
 

Mit diesen Worten streckte sie ihre Hand aus und berührte Kisumis Oberkörper an der Stelle, unter der das Herz saß.
 

„Manchmal bekommt man auch schreckliche Magenschmerzen und es fühlt sich an, als würde man sterben“, erzählte sie mit ruhiger Stimme und lächelte Kisumi dann an, als dieser seine Hand zu seinem Herzen führte und sie über ihre legte.
 

Auch wenn er den Körperkontakt nicht in dem Sinne wahrnahm, spürte er innerlich, dass sein Körper mit einer angenehmen Wärme durchflutet wurde, die sich von dieser Stelle ausbreitete.
 

„Es wird besser, oder?“, wollte Kisumi mit einer kindlichen Neugier und Hoffnung wissen, die sich in seinem Blick widerspiegelten.
 

„Ja, das wird es“, schloss sie lächelnd die Augen. „Und du weißt auch, dass ich immer für dich da bin.“
 

Kisumis Verwirrung wich einem Lächeln, mit dem er die Augen schloss und nun die physische Berührung auf emotionaler Ebene wahrzunehmen begann. Dieser Moment weckte eine neue Hoffnung in ihm, seinen Bruder wiederzusehen, aber auch, die schönen Seiten der Gefühle endlich wieder kennen lernen zu dürfen. Chigusa half ihm sehr dabei und er war unendlich dankbar, sie in seinem Leben zu haben.

Tief im Innersten hegte er den Wunsch, zusammen mit seiner besten Freundin eines Tages von diesem grauenhaft bedrückenden Ort fliehen und zu seiner Familie zurückkehren zu können. Auch wenn seien Mutter ihn nicht mehr bei sich wollte und sein Vater ihn abgeschrieben hatte, das tat schon lange nicht mehr weh. Die einzige Familie, die er brauchte waren Hayato und Chigusa. Der Rest der Welt konnte ihm gestohlen bleiben.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Fühlt euch dazu eingeladen, eure Theorien und Fragen in die Kommentare zu schreiben^^
Ich freue mich auf eine hoffentlich spannende gemeinsame Zeit!

LG und bis bald!

Yu

PS: Wenn ich merke, dass sich genügend Leute dafür interessieren, lade ich einmal in der Woche ein Kapitel hoch, ansonsten passe ich das halt an^^
Ich bitte um euer Verständnis, dass diese Ff viel Arbeit war und ich von euch nichts weiter verlange, als ab und zu mal eine kurze Rückmeldung dazulassen ^^v Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich freue mich auf eure Rückmeldungen, Fragen und Vermutungen ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich freue mich wie immer auf eure Rückmeldungen!

LG Yu Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Last mir doch eure Theorien, Rückmeldungen in den Kommentaren da!
Vielleicht entsteht ja eine interessante Unterhaltung x3

Bis bald~
LG Yu Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke für den Beistand von den üblichen zwei ^^

LG Yu

Was ich von der ganzen Komemntarsituation auf animexx halte, könnt ihr gerne auf meinem Weblog nachlesen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Was ich von der ganzen Komemntarsituation auf animexx halte, könnt ihr gerne auf meinem Weblog nachlesen. Komplett anzeigen
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Kommentare zu dieser Fanfic (23)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kai-RICK
2021-01-25T20:50:41+00:00 25.01.2021 21:50
Ich finde deine Fanfic wirklich genial :-)
Freue mich schon auf das nächste Kapitel.
Allerdings habe ich Angst, was dieser irre Arzt noch so alles mit den Beiden vorhat.
Hoffentlich kommen Sie bald da raus oder bekommen Hilfe von Außen.
Von:  Cesia
2017-02-09T08:44:03+00:00 09.02.2017 09:44
Endlich Mal weitergelesen...
*schäm* U.U

Ich muss sagen ich finde deine Fanfics immer sehr informativ!
Man lernt immer etwas dazu.
Danke für deine Arbeit! *__*
Von:  Cesia
2017-01-31T18:30:41+00:00 31.01.2017 19:30
Ah so langsam sollte ich wieder Mal weiterlesen >.<
Danke fürs uploaden <3
Von:  NaschKatzi
2016-12-29T15:17:00+00:00 29.12.2016 16:17
Ein wunderschönes Kapitel!
Es ist so süß, wie sich die beiden immer näher kommen <3

Von:  NaschKatzi
2016-10-04T15:13:46+00:00 04.10.2016 17:13
Hi^^
Wow...das ist schon grausig, was Kisumi gemacht hat o.O
Nicht schlecht...Er scheint ein echt schlimmer Finger zu sein!!
Rin soll sich ja hüten...zumal Kisumi ihn bereits ins Visier genommen hat...?
Awwwww *3* Rin uns Sousuke sind knuffig und können nicht mehr leugnen, dass sie sich gegenseitig anziehen <3
Uhhhh *o* Die letzte Cola...ist ja so etwas wie ein indirekter Kuss, nicht?
Süß^^
Von:  NaschKatzi
2016-10-03T15:00:28+00:00 03.10.2016 17:00
Hi XD
Es ist so niedlich, wie sich die beiden immer näherkommen :3
Armer Rin Q.Q Es muss schwer für ihn sein, so ganz ohne Familie...ich kann mir nicht vorstellen, dass seine Mutter Bescheid weiß...oder sie hat das alles eingefädelt^^ Man weiß ja nie!
Sousuke...dem geht es ja noch dreckiger...der arme, arme Kerl!!!
Awwwwwwww *o* Rin ist so niedlich!! Sousuke muss unbedingt auf sich aufpassen, ja?
Ansonsten gibts Ärger mit mir!!!
Von:  NaschKatzi
2016-08-20T18:11:24+00:00 20.08.2016 20:11
Hi xD
Endlich ist es raus! Rin steht auf heiße Kerle *3*
Sousuke reagiert zum Glück sehr gechillt auf sein Geständnis. Wäre schlimm für den Kleinen gewesen, wenn sein Zimmerkumpel ihn deswegen ablehnen würde. Wo sie sich doch grade näher kommen XD
Armer Sousuke Q,Q Wer weiß, wie oft er das mit der Krankenschwester schon durchmachen musste Q,Q
Uhhhh, er findet das Rot von Rin hübsch xDD Irgendwie niedlich xDD
Schön zu lesen, dass sie sich immer besser verstehen!!
Ein tolles Kapitelchen!!!

Liebe Grüße
Von:  NaschKatzi
2016-08-12T21:21:04+00:00 12.08.2016 23:21
Hi xD
Tja, Fitness wird nicht so schnell auf Rins Stundenplan stehen. Eigentlich schade, denn so kann niemand seinen heißen Body sehen^^
Hab jetzt den Namen des Mädels vergessen, aber Halluzinationen? Das ist echt heftig und dann mit 13 in diese Klinik?? Langsam Frage ich mich echt, was da abgeht.
Vielleicht liegt Rin gar nicht so verkehrt o.O
Ohhhhhhh Q.Q Armer Sousuke Q.Q Diese dumme Krankenschwester *grummel* Der arme Kerl...
Kein Wunder, dass er nicht angefasst werden will...zum Glück hilft Rin ihm aber trotzdem.
Ein cooles Kapitel!!!!

Liebe Grüße

Antwort von:  King_of_Sharks
13.08.2016 01:56
Hey^^
Nope, definitiv nicht ^^
Muss ja auch niemand ^^v
Chigusa...du weißt schon, Gous beste Freundin... ^^v

Ich spoiler nicht~
Jap, er hat's echt nie leicht...in keinem Universum.
Muss ja...perfect waifu...mot XD
Danke^^

LG Yu
Von:  Cesia
2016-08-09T09:53:02+00:00 09.08.2016 11:53
Ich weiss gar nicht was ich schreiben soll.
Mein Kopf ist so leer :D
Finde Rin einfach nur süss wie er bei Sousuke Herzklopfen bekommt x3
Ps:In der FF ist viel type="bold"][link href="100-Fragen-an-Akaya-und-Mizuki"]100 skaliert.
Solltest du maybe ausbessern.
In dem vorigen Kapitel ist es auch passiert.
Danke für den Eistee ;) und baldige Besserung ö.ö.
Freue mich schon aufs nächste Kapitel x3

Antwort von:  King_of_Sharks
13.08.2016 01:54
...hast du einen Kater, oder einfach nur so? XD

Danke, hab's gelöscht ^^ (das passiert, wenn man das Kapitel einfach aus FF.de kopiert XD)

Im vorherigen hab ich das nicht gefunden OoO
Danke, mir geht's besser ^^
~
Antwort von:  Cesia
15.08.2016 15:18
Ne keinen Kater xD
Hab auch geschaut es ist verschwunden...komisch x.x
Das freut mich :3
Von:  Cesia
2016-08-05T07:00:42+00:00 05.08.2016 09:00
Hab mich heute Früh so gefreut als ich in's Mexx reinschaute und ein neues Kapitel mir entgegensprang.
Ich frag mich was Sousuke im Behandlungszimmer macht oder nicht macht?o_o
Das die so mit seinen Körper um springen.

Und Sousuke zieh doch Rin aus wenn du wissen willst ob er unten auch rote Haare hat xD
Jetzt hast du noch die Gelegenheit!
Nutz sie bevor der Rasierer eintrudelt.

So much Doki Doki~
*_*
*heavy breathing*
Wartet brav auf neues Futter :3


Antwort von:  King_of_Sharks
08.08.2016 20:22
Wuh x3
Das fragen wir uns wohl alle XDDD
Tja...mit denen ist eben nicht gut Kirschen essen ^^

Das würde er nie machen ^^ (Jungfraumännermachen sowas nicht...know you zodiac XD)
Never ever.
Man muss IC bleiben.

Es kommt später noch viel mehr noch viel viel süßeres Zeug~
Right in the kokoro stuff :D

LG Yu
Antwort von:  Cesia
09.08.2016 00:38
Ja...*Finger in den Mund steck,sich weiter fragt*

Mhm kenn mich nicht gut mit Sternzeichen aus.
Aber so wie Kisumi bin ich nicht xD
Oder doch? XD

Ah ich freu mich schon so,du warst ja wd fleißig und hast was hochgeladen *_* werde es dann morgen lesen x3


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