Submission von Sky- ================================================================================ 5. Kapitel ---------- Unruhig war Ari die ganze Zeit auf und abgegangen und grübelte. Er war besorgt, weil seit gestern von Jace jede Spur fehlte und sich der Junge bis jetzt noch nicht bei ihm hatte blicken lassen. Zuerst hatte er gedacht, der Junge hätte sich zurückgezogen und würde Trübsal blasen, weil sein bester Freund an der roten Seuche erkrankt war. Aber er hätte sich zumindest bei der Essensausgabe blicken lassen müssen, aber selbst da hatte von ihm jede Spur gefehlt. Und er war auch nicht in den Versorgungsgruppen eingeteilt worden, was also bedeutete, dass er eigentlich hier sein müsste. Ari hatte ein paar seiner Leute angewiesen, nach dem Jungen zu suchen, doch bis jetzt gab es keinen Erfolg. Und er bezweifelte, dass Jace so leichtsinnig war und alleine in die Patriarchenbezirke ging. Kein Tramp, der wirklich bei Sinnen war, ging alleine nach oben. Es war viel zu gefährlich und selbst die Prodigies gingen niemals alleine los. Also warum fehlte von Jace jede Spur? Schließlich konnte er es nicht mehr aushalten und ging selbst noch einmal los. Er ging durch den Haupttunnel, der schwach beleuchtet war. Es war Thomas Gauss zu verdanken gewesen, dass sie Wärme und Elektrizität hatten, denn er war der einzige unter ihnen, der genug Ahnung von Technik hatte und in der Lage war, Maschinen und Generatoren zu bauen oder zu reparieren. Es hatte viel Arbeit gekostet, um die alten Tunnel zu einem anständigen Zuhause zu machen. Die alten Gleise und Schienen hatten sie in der Vergangenheit auseinandergenommen und auch die alten Züge und Bahnen demontiert. Inzwischen waren die alten Räume und Zentralen zu Wohnräumen umfunktioniert worden, die alten Bahnhöfe zu Gemeinschaftsräumen und Versammlungsorten und auch die ehemaligen Geschäfte an den Bahnhöfen hatten eine neue Verwendung gefunden. Auch wenn es kaum vorstellbar war, aber sie hatten es geschafft, Waschräume, Küchen und einfache Wohn- und Schlafbereiche für die Tramps zu bauen. Jeder hatte seinen Teil zur Arbeit geleistet und Ressourcen gab es ja genug. Die Patriarchen warfen so vieles auf den Müll, weil sie es nicht mehr brauchten. Und genau das nutzten die Tramps für sich. Insgesamt wurden die Tramps in folgende Gruppen eingeteilt: Versorgung und Sammler. Die Sammler hatten einen relativ sicheren Job, da sich meist nur auf die Mülldeponien begaben, um brauchbare Gegenstände zu suchen. Dementsprechend wurden meist die Kinder eingeteilt, die von einem älteren Tramp begleitet wurden, um sie auf ihre spätere Aufgabe als Versorger vorzubereiten. Obwohl jeder um die Gefahren wusste, gab es viele, die freiwillig in die Versorgungsgruppe gingen. Für gewöhnlich waren das die Älteren, die sich auch entsprechend vorbereitet hatten. Der Grund war vor allem die Stellung: Versorger genossen ein hohes Ansehen in der Gesellschaft der Tramps und wurden oft sogar bevorzugt behandelt. Immerhin riskierten sie tagtäglich ihre Freiheit und Zukunft, um das Überleben der anderen zu sichern. Nachdem Ari „Thinidal”, ein Trampwohnheim wo sich Jace für gewöhnlich herumtrieb, erreichte, hielt er direkt Ausschau nach den Freunden des Verschwundenen. Den ersten hatte er auch gleich schon gefunden. Es war Oscar van Gogh, der gerade dabei war, zusammen mit Marianne Picasso und Lilly Rembrandt die Wände neu zu streichen. Es war vereinbart worden, dass die einzelnen Wohnheime nach und nach erneuert werden sollten, weshalb man entsprechend Material besorgt hatte, um die renovierungsbedürftigen Wohnheime auf den neuesten Stand zu bringen. An den Renovierungsmaßnahmen hatten sich alle zu beteiligen, die nicht zur Versorgungs- oder Sammelgruppe gehörten. Das waren meist jene, die sich sonst auf allgemeine Aufgaben innerhalb der Trampgesellschaft beschränkten. Nicht alle waren von Geburt an sportlich oder gesund. Deshalb hatte Ari festgelegt, dass jeder nach seinem Maße arbeiten sollte. Wer körperlich oder geistig beeinträchtigt war, arbeitete in der Küche, kümmerte sich um die Instandhaltung oder um andere Arbeiten, die täglich anfielen. Und jene, die die entsprechenden körperlichen Konditionen besaßen, waren meist diejenigen, die der Versorgungsgruppe beitraten. Das Wichtigste war aber vor allem der Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft. Jeder leistete freiwillig seinen Beitrag, jeder half dem anderen und keiner kümmerte sich nur um sich selbst. Nur so konnten sie auf Dauer überleben. Indem jeder seinen Beitrag leistete, sicherte er nicht nur seine Existenz, sondern auch die der anderen. Im Gegenzug bekam jeder das, was er zum Leben brauchte. Die einzigen Leute, die eine Ausnahme von der Regel bildeten, waren Kranke und Kleinkinder. Alte Menschen gab es in der Trampgesellschaft ohnehin nicht, da niemand von ihnen älter als 26 Jahre wurde. Die rote Seuche, die sie trotz aller Anstrengungen selbst bis heute nicht vollständig in den Griff bekommen hatten, tötete hauptsächlich immer die Erwachsenen und bis heute standen die Prodigies vor dem Rätsel, warum es ausgerechnet die Erwachsenen treffen musste und nicht die Kinder. Es war aber auch selten vorgekommen, dass Kinder erkrankt waren, allerdings waren die Symptome wesentlich ungefährlicher gewesen. „Hey ihr drei!” rief er den dreien zu, die sofort mit der Arbeit aufhörten und sich zu ihm umdrehten. „Habt ihr Jace Darwin irgendwo gesehen? Er ist seit gestern verschwunden.” Etwas unsicher schaute Lilly Rembrandt zu ihren beiden Freunden und zuckte still mit den Achseln. Daraufhin ergriff Oscar das Wort und erklärte „Wir haben ihn bis jetzt noch nicht gesehen. Ich weiß aber, dass er wohl mit Hitler, Stalin und deren Gruppe unterwegs war. Mandela hatte mit ihm geredet.” „Und wo ist sie?” „Sie ist hinten und bereitet das Essen vor.” Damit wies der 17-jährige auf die andere Seite der Halle, wo sich die „Wohnräume” der Mädchen befanden. „Thinidal” war einst ein U-Bahnhof mit mehreren Gleisen gewesen, war aber wie alle anderen während des 3. Weltkrieges stillgelegt worden. Nachdem sich die Tramps hier niedergelassen hatten, hatte man die tiefen Absenkungen zwischen den Gleisen mit Schutt aufgefüllt und Treppen an den Tunneln gebaut, sodass die Fläche effektiv als Wohnfläche genutzt werden konnte. Ari ging rüber zu den Mädchenquartieren und traf dort tatsächlich auf Anna Mandela, die gerade mit einem Korb Lebensmittel zurückkam, um das heutige Essen vorzubereiten. Sie kniete vor einem Gaskocher und war gerade dabei, eine Brotsuppe zuzubereiten und schien dabei tief in Gedanken versunken zu sein. „Hey Mandela!” rief Ari ihr zu und erschrocken zuckte die Angesprochene zusammen, dass sie beinahe die Suppenkelle fallen ließ. Hastig sah sie auf und ein seltsamer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. War es vielleicht ein schlechtes Gewissen? „Sag mal, hast du Darwin irgendwo gesehen?” Hieraufhin senkte die Angesprochene den Blick und schwieg betroffen, sodass Ari seine Frage noch mal wiederholen musste. Nun seufzte sie leise und senkte den Blick. „Er ist gestern mit Stalin und den anderen losgegangen, um Medikamente gegen die rote Seuche zu holen.“ „Und was ist dann passiert? Sind sie etwa noch nicht zurück?“ Wieder schwieg Anna und Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie begann zu schluchzen und wagte es nicht, Ari ins Gesicht zu sehen. Dann schließlich brachte sie mit zitternder Stimme hervor „Es tut mir leid. Sie haben gedroht, mich an die Patriarchen zu verkaufen, wenn ich etwas sage…“ So langsam wurde der Prodigy unruhig und verlor auch allmählich die Geduld. Er packte Anna grob am Arm und zerrte sie hoch. „Was genau ist passiert? Wo ist er?“ „Die Patriarchen haben ihn gefangen“, antwortete sie unter immer heftiger werdenden Schluchzen. „Die Polizisten haben ihn überwältigt und mitgenommen.“ Augenblicklich ließ Ari sie los und wich zurück. Er hatte das Gefühl, als würde er in einen tiefen und pechschwarzen Abgrund fallen und sein Magen drehte sich um. Jace, schoss es ihm durch den Kopf. Jace ist in der Gewalt der Patriarchen. Bilder schossen ihm durch den Kopf. Erinnerungen an damals als sich die tragische Blutnacht ereignete, die den Tramps ihre Anführerin gekostet hatte. Selbst nach 18 Jahren fiel es ihm schwer zu glauben, dass sie tatsächlich tot war. Nachdem sie damals das Institut, den Krieg und die Hungerkrise überlebt hatten, war er der Ansicht gewesen, dass nichts und niemand ihnen etwas anhaben konnte. Und dann war sie gestorben. Ausgerechnet sie, die es als einzige Prodigy jemals geschafft hatte, ihn in einem Kampf zu besiegen. Es hatte ihm nur allzu deutlich gezeigt, dass selbst Prodigies nicht unverwundbar waren. Jeder von ihnen konnte sterben. Und nun drohte sich dieselbe Tragödie zu wiederholen, nur dieses Mal mit Jace. Das war genug… Ohne ein weiteres Wort zu sagen, hatte Ari „Thinidal“ verlassen und machte sich auf den Weg nach Derry, wo er zusammen mit Aaron, Chris und Thomas wohnte. Dies war damals der Wohnort der Prodigies gewesen, bis die meisten von ihnen in der Blutnacht getötet wurden. Und auch schon davor hatten sie einige Kameraden während des Krieges verloren. Alle Prodigies waren schon früh von den Militärärzten sterilisiert worden, sodass sie sich nicht fortpflanzen konnten. Auf diese Weise wollte die damalige Regierung sicherstellen, dass die Prodigies sich nicht vermehrten und eines Tages zu einer Bedrohung für die Menschheit werden könnte. Thomas Gauss und Chris Disney waren schon recht früh ein Liebespaar gewesen und waren auch schon bereits im Institut unzertrennlich gewesen. Sie beide waren sehr emotionale Menschen, die noch genauso verliebt waren wie am ersten Tag. Und sie ergänzten sich hervorragend, da Chris ein kreativer Zeichner und lebhafter Geschichtenerzähler war und Thomas das Allround-Talent, der alles zusammenbauen oder reparieren konnte. Die beiden passten perfekt zusammen und hatten auch auf dem Schlachtfeld immer zusammen gekämpft. Sie ergänzten sich in ihren Fähigkeiten und in ihren Eigenschaften. Chris war der kreative Visionär, Thomas der handwerklich geschickte Alleskönner. Und außerdem war er obendrein so ziemlich der einzige von ihnen, der mit Chris‘ Obsession für Cartoons und Comics leben konnte. Ari selbst hatte, nachdem er eine recht komplizierte Hassliebe-Beziehung ohne Zukunft hinter sich gehabt hatte, eine Beziehung mit Aaron begonnen. Dieser war das Hirn der Gruppe, war ein cleverer Stratege und nicht ganz so emotional wie Chris und Thomas. Er besaß ein etwas kühleres und auch sarkastisches Wesen und das war bei einem temperamentvollen und sturköpfigen Charakter wie Ari auch von Nöten. Als er die Gruppe fand, waren Aaron und Chris gerade beim Schachspielen und es sah danach aus, als würde Aaron mal wieder gewinnen. Konzentriert schaute er auf das Schachbrett, während die schwarze Dame wie von unsichtbarer Hand über das Feld gezogen wurde und den weißen Springer umstieß. Doch das störte niemanden. Immerhin war Aaron telekinetisch begabt und das Bewegen von Gegenständen mittels Gedanken war für ihn ein Kinderspiel. Chris‘ Begabung lag in der Elektrokinese. Er war in der Lage, die elektrischen Impulse in seinen Nervenbahnen zu verstärken, zu bündeln und in seinem Körper zu speichern oder elektrische Energie zu absorbieren. Meist nutzte er diese Gabe, um Thomas‘ Energiezellen aufzufüllen, oder er versorgte den Generator, wenn es Probleme mit der Stromerzeugung gab. Thomas selbst war ein Cyborg, halb Mensch und halb Maschine und war der einzige Überlebende der Deus ex Machina Reihe. Kein Mensch hatte länger als sechs Wochen nach der Umwandlung überlebt, doch Thomas hatte es geschafft. Rein äußerlich sah er wie ein normaler Mensch aus, doch in seinem Körper steckte hochentwickelte Technologie und tödliches Waffenarsenal. Und aufgrund seiner Scanfähigkeit und detaillierten Analysen war er der beste Mann für alle Arten von Reparaturen. Im Moment war er wieder dabei, irgendeine Maschine zusammenzubauen. „Legt den Kram beiseite, Jungs. Wir machen jetzt ernst!“ Sofort unterbrachen Aaron und Chris ihr Schachspiel und sowohl Thomas als auch sein Freund Chris hatten einen besorgten Gesichtsausdruck, während Aaron eher desinteressiert aussah und lieber damit begann, seine Figuren schweben zu lassen und sie in der Luft kreisen zu lassen. Aber das war typisch Aaron. Er war nicht der Typ Mensch dafür, der Interesse oder Emotionen zeigte und war meist derjenige, der die Ruhe bewahrte und sich einen vernünftigen Plan zurechtlegte. „Was ist denn passiert?“ fragte Chris als Erstes. „Gibt es etwa Probleme?“ „Natürlich gibt es Probleme! Diese verdammten Bonzenschweine haben Jace!“ schrie Ari und schlug gegen einen der Pfeiler, der durch die Wucht dieses Schlages mit einem lauten Krachen einstürzte. Staub wirbelte auf und Trümmer fielen herunter. Erschrocken zuckte der blondhaarige Künstler zusammen und griff instinktiv nach Thomas‘ Arm. Nun schaute auch Aaron auf und ließ seine Figuren zu Boden sinken. „Wie konnte das denn passieren?“ „Er ist mit diesen Schwachmaten losgezogen und von der Polizei geschnappt worden. Mandela hat es mir gestanden. Scheiße verdammt!!!“ Ari konnte sich nicht mehr beruhigen. Er war aufgebracht, fassungslos und wütend und wusste nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Er war nicht nur bloß wütend auf Anna und die Gruppe, die Jace einfach zurückgelassen hatte. Nein, er war vor allem wütend auf sich selbst. Nach der tragischen Blutnacht von vor 18 Jahren hatte er sich geschworen, dass er niemals zulassen würde, dass Jace genauso enden würde wie seine Mutter und all die anderen Tramps und Prodigies, die zu Tode kamen. Er hatte ihn all die Jahre nur widerwillig auf die Versorgungsmissionen geschickt und auch nur nachdem er den Jungen hart trainiert hatte, um sich zur Wehr setzen zu können. Immer und immer wieder hatte er ihm eingetrichtert, sich niemals auf Patriarchen einzulassen oder ihnen zu vertrauen. Und trotzdem hatte er nicht verhindern können, dass Jace in die Hände jener Leute geriet, die dieses verachtenswerte und unverzeihliche Verbrechen begangen hatten. „Wir sollten uns einen guten Plan überlegen“, schlug Aaron vor. „Planlos vorzugehen und alles kurz und klein zu schlagen bringt uns auch nicht weiter. Außerdem dürfen wir laut Waffenstillstandsvertrag die Stadt nicht angreifen, solange keine Tramps getötet…“ „Scheiß auf den verdammten Vertrag“, unterbrach Ari ihn aufgebracht. „Ich hätte jeden von ihnen getötet und die ganze Stadt eigenhändig in Schutt und Asche gelegt, wenn Lia mich damals nicht kurz vor ihrem Tod gebeten hätte, die Patriarchen am Leben zu lassen. Ich hätte es schon damals tun sollen, nachdem sie sie und die anderen brutal gefoltert und ermordet haben, nachdem Lia ihnen geholfen hat. Sie hat sich gegen uns gestellt, weil sie an eine friedliche Zukunft geglaubt hat und was hat es gebracht? Sie ist tot und wir sind alleine. Und was hat dieser Waffenstillstand gebracht? Tramps werden gefangen genommen und versklavt und zum Sterben ins Ghetto abgeschoben. Damit ist jetzt ein für alle Male Schluss. Scheiß auf den Frieden, wir werden ihnen zeigen, wer hier die Stärkeren sind. Und wenn ihr nicht mitkommt, gehe ich alleine!“ Unsichere Blicke wurden ausgetauscht und ein zögerliches Schweigen trat ein. Dann schließlich wagte Chris die Frage „Was genau hast du vor? Wie sieht dein Plan aus?“ „Plan?“ fragte Ari. „Wir vernichten den Bezirk und töten jeden Patriarchen, der sich dort aufhält.“ „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, murmelte Thomas kleinlaut. „Lia hätte das nicht gewollt und wenn wir einfach so angreifen und alle töten, wird es nur wieder in einem Krieg enden. Und wir sind nur zu viert. Wie sollen wir die anderen beschützen, wenn wir nur so wenige sind?“ „Wir werden schon mit denen fertig“, wandte Ari ein, der fest entschlossen war, seinen Plan in die Tat umzusetzen, ganz egal wie die Konsequenzen aussehen mochten. „Immerhin haben wir den Ausbruch, den Krieg, die Seuche und die Hungerkrisen überlebt. Die Patriarchen mögen an der Oberfläche in ihren Prachtbauten und in Reichtum leben, aber wir sind ihnen kräftemäßig überlegen. Ich bin der Stärkste von uns allen, Chris und Thomas sind als Duo unschlagbar und Aarons Telekinese ist keiner gewachsen. Wir starten einen Blitzangriff auf Gomorrha starten. Und wenn sie wagen sollten, einen Gegenangriff zu starten, werden wir sie in die Knie zwingen und ihren Hauptbezirk vernichten.“ „Aber was ist, wenn dabei Unschuldige verletzt werden?“ wandte Chris besorgt ein. „Wir könnten versklavte Tramps oder Zivilisten in Gefahr bringen. Als wir damals im Krieg gekämpft haben, hat Lia niemals einen Unschuldigen verletzt.“ „Sag mal wie naiv bist du eigentlich?“ keifte Ari ihn an und packte ihn am Kragen, woraufhin er ihn von den Füßen zerrte. „Was hat Lias Gutmenscheneinstellung denn bitteschön gebracht? Nichts hat sich geändert und wird sich auch nicht ändern, solange wir uns von den Patriarchen herumschubsen lassen. Wenn wir sie alle töten, sind wir ein für alle Male frei. Und für sein Ziel muss man auch gewisse Opfer bringen. Mir gefällt es genauso wenig wie euch, aber war es nicht Lia, die einst gesagt hat: Manchmal muss man ein Opfer bringen, um unzählige Leben zu retten.“ Doch Chris und Thomas schienen immer noch ihre Zweifel zu haben. Zwar waren sie auch nicht sonderlich zufrieden mit der Situation, aber sie hatten jahrzehntelang unter Lias Führung gelebt und sie als Anführerin respektiert und ihren starken Willen bewundert. Auch wenn sie einige fragwürdige Dinge getan hatte, war ihre Botschaft immer klar und unmissverständlich gewesen: jeder verdient eine Chance und niemals sollte ein Unschuldiger zu Schaden kommen, egal ob Tramp oder Patriarch. Aber Ari hatte leider auch Recht. Lias Pazifismus wurde schamlos von den Patriarchen ausgenutzt und sie und ihre Gefolgsleute waren in eine Falle gelockt und grausam ermordet worden. Danach war nichts mehr so wie es einmal war und Ari war zwar ein starker Anführer, der sich genauso um die Zukunft der Tramps sorgte wie Lia, aber seine Methoden waren anders. Er war rücksichtsloser, war bereit Opfer in Kauf zu nehmen und sein Hass auf die Patriarchen machte es ihm unmöglich, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Er setzte auf rohe Gewalt, Lia hatte damals auf Diplomatie gesetzt. Doch da war noch etwas, das selbst Aaron Anlass zur Sorge gab: Jace. Nachdem dessen Eltern in der Blutnacht ermordet wurden und er alleine als kleines Baby überlebte, hatte Ari ihn großgezogen und hatte eine sehr enge Bindung zu ihm. Auch wenn er sich eher als großen Bruder für Jace sah, war er wie ein Vater für ihn. Und das schränkte ihn in seiner Vernunft noch zusätzlich ein, denn es war allzu offensichtlich, dass Ari den Angriff auf Gomorrha und Zion nur deshalb durchführen wollte, weil Jace in der Gewalt der Patriarchen war. Und diese Tatsache sprach Aaron auch direkt an: „Willst du einen Krieg anfangen, nur weil Jace gefangen wurde? Es sind genügend andere Tramps in Gefangenschaft geraten und wir haben nichts unternommen. Ich denke, du gehst zu persönlich an die Sache heran, Ari.“ „Es geht nicht bloß darum“, erwiderte Ari. „Wenn sie die Wahrheit über ihn herausfinden, wird es eine zweite Blutnacht geben und bevor das passiert, werde ich sie eigenhändig umbringen.“ „Es ist doch eigentlich unwahrscheinlich, dass das passiert“, erwiderte Thomas. „Jace war damals noch ein Baby und außerdem hat er bis heute keine auffälligen Merkmale gezeigt. Es ist ja nicht einmal sicher, ob er sie überhaupt hat.“ „Ich denke eher“, schaltete sich Aaron ein und sah Ari mit einem durchdringenden Blick an „es geht dir eher darum, weil…“ „Worum es mir geht, spielt keine Rolle“, unterbrach Ari ihn wütend. „Und ich fange hier jetzt sicher keine Diskussion darüber an, was meine Beweggründe sind oder ob wir die Sache anders bereinigen können. Ich sage ganz klar: nein, das können wir nicht. Die Patriarchen haben uns schon oft genug hintergangen, jetzt ist die Zeit der Abrechnung gekommen. Wir werden Jace und die anderen Tramps befreien und diesen Bonzen zeigen, wer hier am längeren Hebel sitzt. Die einzige Frage ist: stellt ihr euch auf meine Seite oder seid ihr feige Verräter?“ Unsichere Blicke wurden ausgetauscht und für einen Moment herrschte Schweigen. Natürlich wollten sie alle die versklavten Tramps befreien, aber Aris Methode erschien ihnen ein wenig fragwürdig. Schließlich aber seufzte Thomas geschlagen und nickte. „Also gut, Chris und ich sind dabei…“ Doch Aaron schwieg und hatte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Es war schwer zu erkennen, ob er mitmachen würde oder nicht, oder ob er über irgendetwas anderes nachgrübelte. Er war sowieso ein schwer zu durchschauender Mensch und selbst Ari wusste manchmal nicht, was in seinem Kopf vor sich ging. Wahrscheinlich weil Aaron oft seinen ganz eigenen Gedanken nachging und viel weiter dachte als sein Freund. Und zuerst ging er auch davon aus, dass Aaron ablehnen und wieder die Moralkeule herausholen würde. Doch dann kam es überraschend anders. Ganz anders als der Tramp-Anführer gedacht hatte. „Ich habe einen besseren Plan“, sagte Aaron schließlich. „Ich werde alleine nach Gomorrha gehen und herausfinden, wohin sie Jace gebracht haben. Auf der einen Seite kann ich Aris Beweggründe verstehen und ich stimme zu, dass wir etwas unternehmen müssen. Aber wenn wir planlos in Gomorrha einfallen und alles kurz und klein schlagen, wird es zu folgender Konsequenz führen: die Patriarchen werde die versklavten Tramps als Geiseln benutzen und sogar töten und das können wir ebenso wenig zulassen. Ganz zu schweigen davon, dass uns die Patriarchen angreifen werden und wir dadurch einen weiteren Krieg durchstehen müssen. Deshalb müssen wir diskreter vorgehen. Ich werde mich als Patriarch tarnen, das Auktionshaus infiltrieren und herausfinden, was mit Jace passiert ist.“ „Und warum ausgerechnet du?“ fragte Ari, der ein wenig irritiert zu sein schien über Aarons überraschenden Plan. „Weil ich erstens der Denker bin, zweitens kann ich am besten lesen und schreiben und ich kann meine Telekinese nutzen, um die Verantwortlichen diskret aus dem Weg zu räumen, ohne dass der Verdacht auf uns fällt. Dazu braucht man Köpfchen, mein Lieber. Auch wenn wir den Menschen kräftemäßig überlegen sind, ändert es leider nichts an der Tatsache, dass wir nur noch zu viert sind und in einem Krieg haben wir nicht genug Leute, um die Tramps zu beschützen.“ Auch wenn es Ari nicht gefiel, musste er Aaron in dieser Hinsicht zustimmen. Sie waren nur zu viert und die Tramps waren weitaus zahlreicher, sodass es sich äußerst schwer gestalten würde, sie alle zu beschützen. Also seufzte er geschlagen und akzeptierte den Plan seines Freundes. „Na schön, dann machen wir es so. Aber wenn du ihn nicht finden solltest, werden wir mit meinem Plan fortfahren und alles plattmachen, was uns in den Weg kommt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)