Im Schatten des Universums von UAZ-469 (Machtergreifung) ================================================================================ Kapitel 16: ------------ Zur dunkelsten Stunde, in der Kreaturen schlummerten oder jagten, gesichtslose Schrecken in Träume eindrangen oder ungeschützten Reisenden zwischen den Bäumen auflauerten, ragte ein hölzerner Wachturm gen Himmel empor. Er war nicht von breiter Statur, aggressiver Gestalt oder schwer befestigt, als dass er einem ernsthaften Angriff standhalten konnte. Sogar die Sichtweite war aufgrund der dichten Vegetation eingeschränkt, darum wurde in der Regel erst dann Alarm geschlagen, wenn es bereits zu spät war. Um dieser eklatanten Schwäche bestmöglich entgegenzuwirken, befand sich am Geländer ein Suchscheinwerfer, der zumindest nachts einen besseren Einblick durch das Blattwerk ermöglichte und lichtsensitive Bestien verscheuchte. Immerhin schützte eine Bedachung zuverlässig vor Bedrohungen aus der Luft – sofern sie die Konsistenz von Kartoffeln besaßen. Nur die kratzig klingende Polkamusik gehörte nicht zum ursprünglichen Bauplan… Auf der durch eine Leiter erreichbaren Plattform wachte ein, passend für die gegenwärtig vorherrschende Kühle, dick angezogener Mann über die offenen Zugänge der Siedlung. Den Plattenspieler auf dem Boden platziert und batteriebetrieben, spielte er die schwarzen, runden Tonträger mittels einer nicht mehr ganz funktionstüchtigen Nadel ab. Abseits vom spärlichen Gesang diverser Federtiere war er der einziger Begleiter des Herren während seines Dienstes. Ein morscher Stuhl sollte ihm Ruhepausen bescheren, jedoch wusste er genau, dass eine schlafende Nachtwache eine schlechte Nachtwache war. Und zu schlafen war sein momentan größter Wunsch. Die Augen von Schatten unterlegt, schaute er unentwegt von seiner Armbanduhr zum Dienstplan: Noch eine Stunde, dann konnte er endlich ins Bett fallen, bis zum Morgen die Sorgen vergessen und seinen Rücken entlasten. Das Scharfschützengewehr hing schwer über der Schulter, von Munition und dem Zielfernrohr zusätzlich beladen und hätte er es abgelegt, wäre er sicherlich früher oder später darüber gestolpert, über das Geländer gesegelt und in den Tod gestürzt. Lampen waren auf Anordnung zwecks Tarnung untersagt und der Sternennebel musste darum als Lichtquelle genügen. Moderne Gerätschaften wie Nachtsichtgeräte standen unglücklicherweise nicht zur Verfügung. So stand der Wachmann mit den Armen auf dem Geländer gestützt, sah hinaus in den Horizont, lauschte den schiefen Klängen und fragte sich, ob er sich gleich etwas zu Abendessen zubereiten sollte. Da durchbrach plötzlich ein Stampfen die Idylle und ließ ihn hektisch zu allen Seiten gucken. Sofort verfing er sich in dem Tragegurt des Gewehrs, als er es hastig ausrüsten wollte. Einen Blick durch das Zielfernrohr werfend, erspähte er nur raschelndes Grün – kein Wunder, denn die Vergrößerungsstufe war zu hoch eingestellt. Aber auch mit den niedrigsten Einstellungen konnte er nicht mehr ausmachen und das Stampfen wurde immer lauter. Hatten die Monstrositäten seit ihrer angeblichen Ausrottung gelernt, sich zu tarnen? Dann wäre der Suchscheinwerfer ja nutzlos! Konzentriert lauschte der in die plötzliche Stille. Hatten sie ihn also zuerst gesehen? Ob er zur Sicherheit einen Warnschuss abgeben sollte? Nein, dafür war die große Glocke in einer anderen Ecke vorhanden. Dadurch würde das gesamte Dorf alarmiert und die Miliz mobilisiert werden, während sich Zivilisten in ihren Häusern verschanzten. Völlig machtlos dem Gegner gegenüber, schnellte seine behandschuhte Hand zum Klöppel … „[Warten Sie!]“ Die Finger umgriffen das Lederband, bewegten es aber nicht. „[Wir brauchen dringend eure Hilfe! Wir haben einen Plan, wie wir die Piratenarmee ausschalten können!]“ Der Mann traute dem Braten nicht so ganz, ging rüber zum Scheinwerfer, aktivierte ihn und leuchtete hinunter zum Fuße des Turms. Dort stand ein Herr älteren Semesters mit Schlitzaugen, Spitzbart und Bauernkleidung. Der soll die schweren Schritte gemacht haben, die geklungen hatten, als wäre ein Ungeheuer durch das Holz gewütet? Unmöglich, aber den kannte er doch von irgendwoher ..? „[Wie auch immer, identifizieren Sie sich!]“, rief der Schütze, woraufhin der Senior mit verdecktem Gesicht antwortete: „[Masaru-Ito! Ich war am letzten Tag fort, um mein vom Alien gestohlenes Fahrrad zurückzuholen! Aber dann bin ich im Wald verlorengegangen!]“ Der Wächter sah angestrengt zu Boden und überlegte. War es nicht der, um den es so einen Aufschrei gab, weil bei ihm eine sogenannte dunkle Waffe gefunden worden war? „[Ja, ich glaube, ich kenne Sie]“, entgegnete er, „[Aber wie zum Teufel kriegen Sie diese lauten Schritte hin? Wiegen Sie vielleicht 50 Tonnen?]“ Masaru wollte sich mit der flachen Hand auf die Stirn schlagen, überlegte es sich jedoch wegen der schmerzenden Helligkeit anders. Deswegen erwiderte er: „[Nein, und wenn Sie jetzt so freundlich wären, das Ding abzuschalten, damit wir uns vernünftig unterhalten können?]“ Aber der Schütze schüttelte nur den Kopf. „[Warum sollte ich Ihnen trauen?]“ Danach drehte sich der alte Mann lediglich um, winkte jemandem im uneinsehbaren Dickicht zu und daraufhin setzten die Stampfer wieder ein. Die Wache staunte nicht schlecht, als drei zweibeinige Roboter aus der Blattdecke heraustraten, die von der Höhe her fast bis an die Plattform reichten, ihre großen Köpfe zu ihm wendeten und furchterregende Geschütze preisgaben. „[Heilige Mutter Gottes!]“, sagte er erschrocken, machte umgehend, wie ihn Masaru gebeten hatte, das Licht aus und ließ die Waffe neben sich fallen. Durch die robuste Bauweise würde es den Sturz ohne Schaden überstehen. „[Fürchtet Euch nicht]“, sprach Masaru als Reaktion auf die Angst des Mannes, „[Das sind Verbündete, die uns im Kampf gegen die Banditen zur Seite stehen werden! Sie werden uns nichts tun, solange wir sie nicht provozieren.]“ Zwar konnten sie die zusätzliche Feuerkraft gut gebrauchen, die Versicherung aber überzeugte die Wache nicht wirklich. Was bestärkte Masaru in seiner Annahme, die fremden Truppen würden sie am Ende nicht annektieren? Sich effektiv gegen Aggressoren wehren, konnten die Siedler sowieso nicht. Einer feindlichen Übernahme würde somit nichts im Wege stehen. Höchstens ein Sieg durch zahlenmäßige Überlegenheit wäre möglich, doch zu welchem Preis? „[Na schön, dann glaube ich Ihnen das ausnahmsweise]“, antwortete er mit skeptischer Miene, „[Aber wenn die Aktion vor die Hunde geht, mache ich Sie dafür verantwortlich!]“ Ein flüchtiges Kopfnicken samt gerufenem Dank später, passierte ein kleiner Trupp – es konnten nicht mehr als drei Dutzend Mann sein, davon mehrere Huckepack – den Turm. Trotzdem beobachtete er sie und hielt Stellung nahe der Glocke. Nur für den Fall … „[Könnten Sie bitte Alarm geben?]“ Vor seiner Nase tauchte plötzlich das lächelnde, verdunkelte Gesicht des alten Herren auf und jagte einen kalten Schock durch den Körper des Wächters. Das reflexartige Zurückweichen drängte ihn gar beinahe über das Geländer, wurde aber glücklicherweise noch von Masaru gerettet. Mit einem Gemisch aus abklingendem Schrecken und Wut schalt ihn die Wache: „[Himmel hilf, erschrecken Sie mich nicht so! Was wollen Sie denn noch? Und wie schnell sind Sie eigentlich hier hochgeklettert?]“ Die unwichtigen Punkte ignorierend, entgegnete Masaru: „[Wie gesagt, läuten Sie bitte die Glocke. Nur so können wir mit der Ausführung unseres Plans beginnen.]“ Der Wachmann konnte nicht glauben, was da von ihm verlangt wurde. Für wen hielt sich der alte Sack eigentlich? Wusste er, wofür der Alarm gedacht war? Sicher nicht, um noch in der Nacht sämtliche Dorfbewohner in Panik aus dem Schlaf zu reißen, damit sie für einem fadenscheinigen „Plan“ benutzt werden würden! Nun, Ersteres war korrekt und ausschließlich für reale Notfälle gedacht, und er zweifelte sehr am besagten Notfall. Daher verhärteten sich seine Gesichtszüge, er verschränkte die Arme und fragte: „[Was soll damit bezweckt werden? Mögen Sie mir bitte darlegen, wozu Sie die Dorfbewohner benötigen? Sie wissen, so will ich doch meinen, dass kaum jemand über eine militärische Ausbildung verfügt.]“ „[Ich kenne doch meine Pappenheimer]“, sagte der Rentner abermals lächelnd, „[Wir werden auch keine bewaffneten Bürger brauchen, das kann ich Ihnen schon verraten. Zumindest nicht in dem Sinne von Schusswaffen.]“ Das überzeugte sein Gegenüber sogar noch weniger. Ihm war bewusst, dass Masaru die Zivilisten für den Überfall auf die Piratenarmee einspannen wollte, doch wie, ohne ernsthafte Bewaffnung? „[So so, Sie wollen also die Banditen mit nicht kampfbereiten Bürgern attackieren?]“ Dann schritt er langsam auf den alten Mann zu, legte seine Hände auf dessen Schultern und schüttelte ihn kurz durch, während er sagte: „[Ist das Ihr Ernst?]“ Der Rentner schob die Hände sanft weg, seufzte und meinte kopfschüttelnd: „[Hmpf, mit Ihnen hier und jetzt zu diskutieren, ist Zeitverschwendung. Hören Sie, die Zukunft von Nowaja Moskwa steht auf dem Spiel und wir sind derzeit auf dem besten Weg, den Krieg zu gewinnen. Uns ist es nämlich gelungen, Ustanak aus dem Weg zu räumen.]“ Unverhofft brach der Schütze in gellendes Gelächter aus und hielt sich dabei den Bauch, während Masaru ihn genervt musterte. Auch nachdem er sich etwas beruhigt hatte und etwas erwidern wollte, verfiel er immer wieder in kurze Lachkrämpfe, sodass er alsbald nach Sauerstoff lechzte. „[Ustanak aus dem Weg räumen, der war gut!]“, kommentierte er die Aussage, einen weiteren Lacher unterdrückend, „[Womit denn? Ein Sonderangebot für Diesel?]“ Das erschöpfte die Geduld des Seniors. Ohne der Wache überflüssige Aufmerksamkeit zu widmen, ging er an ihm vorbei und streckte den Arm nach dem Klöppel aus – nur um auf Widerstand in Form eines anderen Arms zu stoßen, was ihn dazu veranlasste, aufs Neue rot anzulaufen. „[Ah ah ah]“, sprach der Wächter belustigt, „[Sie haben das Zauberwort nicht gesagt!]“. Als Reaktion darauf wurde Masaru deutlich lauter: „[Wir haben keine Zeit für Ihren Unfug! Wenn Sie jemanden brauchen, der Ihnen die Langeweile vertreibt, gehen Sie doch zu den Affen!]“ Die Mundwinkel beleidigt nach unten gezogen, ließ der Mann von ihm ab und antwortete: „[Aber ganz im Ernst: Ich kann nicht einfach so das Volk zusammenrufen, ich benötige dazu die Genehmigung des Bürgermeisters, sonst macht er mich einen Kopf kürzer.]“ „[Piotr ist tot. Wollen Sie eine Séance abhalten?]“, fragte Masaru sarkastisch, um dem Einfaltspinsel eine reinzudrücken. Jedoch lieferte ihm sein ungeliebter Gesprächspartner eine gar nicht so überraschende – und umso ärgerlichere – Erklärung: „[Sergej hat seine Nachfolge angetreten. Er ist übrigens immer noch sauer wegen dem gebrochenen Arm.]“ Sergej? Der überlebende Lakai des hingerichteten Bürgermeisters? Mit ihm hatte er gar nicht gerechnet! Das würde die Sache erheblich erschweren, da er voll hinter der Beschwichtigungstaktik von Piotr stand, der keinen anderen Weg sah, als mit den Piraten eine Koexistenz zu führen. Ganz egal wie schlecht sie mit den Zivilisten auch umgingen. „[Hervorragend, dann können wir uns die Sache ja abschminken]“, sagte Masaru angesäuert, „[Der wird uns nie die Erlaubnis erteilen, dieser Feigling. Der würde sogar dann noch Däumchen drehen, wenn Artjom im Wahn alle töten will.]“ Die Wache allerdings zuckte nur mit den Schultern, machte auf betroffen und sprach: „[Dann ist es eben so, Gesetz ist Gesetz. Da kann ich leider nichts machen, so sehr ich auch wollte. Tut mir leid.]“ So leicht wollte der Rentner aber nicht von dannen ziehen. Nach kurzem Nachdenken, kam ihm eine simple, aber doch geniale Idee: „[Sagen Sie ihm, dass Sie überwältigt wurden, in Ordnung?]“ Dazu wollte sein Gegenüber mit erhobenem Zeigefinger und autoritärer Stimme etwas sagen, brachte aber nichts mehr als ein langgezogenes „Äh“ hervor. Ohne ihm die nötige Zeit für eine anständige Antwort zu geben, lächelte Masaru, nahm den Klöppel und läutete. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann erschallten weitere Glocken an den Dorfrändern und die ersten Lichter in den Häusern wurden angeschaltet. „[Ich spendiere Ihnen einen Wodka wenn wir den Krieg hinter uns haben, versprochen!]“ Mit diesen Worten ließ er sich zur Leiter nieder und ließ den verdutzt dreinblickenden Wächter stehen. Während er durch die finsteren Straßen schlenderte und dem Trubel in den Fenstern zuschaute, traten bereits die ersten Dorfbewohner, noch in Nachtwäsche gekleidet, durch die Türen nach draußen. Manche hielten es für eine reale Gefahrensituation und rannten in Panik Richtung Zentrum, Andere machten sich lautstark Luft über die Ruhestörung und Weitere waren schlicht grantig. Der alte Mann hatte Piotr schon mehrmals geraten, die Zahl der Alarmübungen zu reduzieren, um einer vorzeitigen Gewöhnung entgegenzuwirken, aber er war ja nur der durchgeknallte alte Sack und mittlerweile ein verdächtigter Pirat. Warum also sollte je jemand auf ihn hören? Das Zentrum, stets der Treffpunkt bei öffentlichen Ansprachen und Festen, war nichts mehr als ein großer, runder Platz mit einem Podest, der aus Backsteinen errichtet worden war. In der Mitte war ein tiefes Loch, in dem eine Flagge in den Farben weiß, blau und rot steckte. Würde die Piratenarmee nicht regelmäßig für Tributzahlungen in Form von Lebensmitteln und Hygieneartikel vorbeikommen, hätte es das Dorf längst zu einem belebten Markt gebracht. Würde es sich vielleicht noch in dieser Nacht von ihren Fesseln lösen können? Angekommen entdeckte er die ersten Menschenmengen, Tendenz steigend. Ebenso hielt er nach den Imperialen Ausschau und bis auf die AT-STs, die von den Bewohnern erstaunt beäugt wurden, sah er nur Santana auf dem Platz, wie er versuchte, sich nicht von lachenden Passanten stören zu lassen. Offenbar hielten sie seine Rüstung für eine Verkleidung und das Blastergewehr für ein Spielzeug. Um keinen Aufruhr auszulösen, sah er von ihrem Gebrauch ab. Den Trägern der Verletzten hatte er vor Eintritt in die Ortschaft den Weg zum Arzt beschrieben, doch wo war der Rest? Gut, da stand eine Taverne, aber disziplinierte Soldaten würden sich doch nicht vor der entscheidenden Schlacht betrinken! Das sind schließlich Truppen des galaktischen Imperiums! „Na, wo haben Sie Ihre Kameraden gelassen?“, fragte er Santana, der danach die Arme schlaff herabhängen ließ, den Kopf gen Himmel richtete und seufzte. „Wo denn wohl, haben Sie wirklich geglaubt, man könnte sie eine Sekunde lang unbeaufsichtigt lassen?“ Wie auf Bestellung kam ein mächtiges Rumpeln aus Richtung der Schenke, woraufhin eine Sturmtruppe durch ein Fenster neben dem Eingang geschleudert wurde, mit dem Rücken voran auf dem Erdboden landete und liegenblieb. Allerdings erhob er sich rasch und ging mit fuchtelnden Fäusten erneut hinein. „Na ja“, meinte Masaru entfernt optimistisch, „Solange sie nachher nicht zu betrunken zum Schießen sind, ist doch alles im grünen Bereich, oder?“ Santana jedoch hob den Blaster mit einer Hand und hielt sich den Lauf an den Kopf. In der Zwischenzeit hatte sich der Platz reichlich gefüllt und der Senior sah den Zeitpunkt gekommen, eine Ansprache zu halten. Hierfür würde er sich auf das Podest stellen, gegebenenfalls einen Schuss abgeben, um das Augenmerk auf sich zu richten und mit lauter Stimme reden. Dafür brauchte er aber Wasser, also schickte er die Sturmtruppe in die Taverne um eine Flasche Mineralwasser zu organisieren. Natürlich würde früher oder später Sergej auf den Plan treten, darum musste es ihm gelingen, das Volk schnell genug auf seine Seite zu bringen. Doch was gedachte er tun, falls es nicht zum Angriff zu bewegen war? Darüber wollte er sich noch während der Rede Gedanken machen, jetzt galt es zunächst, die Menschen zu binden, bevor sie frustriert in ihre Häuser zogen. So stellte er sich gut sichtbar in die Mitte, ließ seinen Blick über die Massen wandern, räusperte sich und rief: [„Achtung Achtung! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!“] Einige der Umstehenden sahen ihn kurz an – und widmeten sich wieder den Gesprächen untereinander. Hätte er sich ja denken können, dass er auf ordinäre Weise nicht auffallen würde. Wenn er doch bloß ein Megafon oder Ähnliches zur Hand hätte, so blieb ihm derzeit nichts anderes übrig, als auf Santana zu warten. Nach einer Minute tauchte er wieder auf, diesmal mit dunklen Flecken übersät, dem stapfenden Gang nach äußerst wütend und überreichte ihm die gewünschte Flasche mit dem Kommentar, nächstes Mal solle Masaru selber gehen, da er für Irrenhäuser keine Gefahrenzulage erhalte. Offensichtlich war der spontane Überfall nicht gut bei dem Besitzer angekommen. Massaru erkundigte sich, wie dieser denn reagiert hatte. „Ich habe kein Wort verstanden“, erzählte Santana, „Aber er hat wild gestikulierend auf meine randalierenden Männer gezeigt, mich angebrüllt und dann, wohl völlig fertig mit den Nerven, mir eine Flasche Wasser gegeben. Ich glaube, ich soll ihm dafür die ganzen Idioten aus seiner Cantina schaffen, bevor sie seine ganze Einrichtung auseinandernehmen. Zumindest von dem, was noch übriggeblieben ist.“ Weil es für Schadensbegrenzung sowieso zu spät war und der alte Mann die Hornochsen vermutlich nur durch den bevorstehenden Kampfeinsatz aus dem Gebäude locken konnte, war es umso wichtiger, die Bevölkerung endlich zu mobilisieren. Darum fragte er den Soldaten, ob er für einen Moment seinen Blaster als Megafonersatz benutzen könnte. Mit einem knurrigen „Wenn es unbedingt sein muss“ ausgehändigt bekommen, belächelte er die Ähnlichkeit zu einer britischen Maschinenpistole, richtete er den Lauf nach oben und betätigte schließlich den Abzug. Die Schüsse waren keineswegs so laut wie konventionelle projektilbasierte Waffen, doch das charakteristische Knallen in Verbindung mit dem hellen roten Licht zeigte eine bemerkenswerte Effektivität darin, das Augenmerk der Gemeinde auf sich zu lenken. Besonders da sie so etwas nur aus Film und Fernsehen kannten. Für einige Sekunden sicherstellend, dass wirklich alle, ob Frau und Mann, Groß und Klein, Jung und Greis, auf ihn achteten und nicht ihre privaten Geplänkel erneut fortführten, räusperte er sich nocheinmal und rief: [„Achtung Achtung! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!“] Diesmal blieben die Blicke auf ihn geheftet, obwohl er vereinzelt Tuscheln wahrnehmen konnte. Das durfte ihn jedoch nicht stören und deswegen redete er weiter: [„Sicher habt ihr euch alle schon gefragt, warum ihr aus den Betten geläutet wurdet, obwohl kein akuter Notfall vorliegt. Und wo ihr hier steht, wer zum Henker denn diese weiß gekleideten Herren mit ihren zweibeinigen Kriegsmaschinen sind.“] Viele Personen sahen danach Santana und die AT-STs an, was Erstgenannten dazu bewog, sich ein wenig hinter der Flagge zu verstecken – nur um wieder von Masaru neben sich zitiert zu werden. Auf die verärgerte Frage hin, was das denn solle, entgegnete der Senior im Flüsterton: „Ich bin hier leider als Bandit gebrandmarkt und sobald der Pöbel das spitzkriegt, ist hier die Hölle los. Darum erachte ich es als taktisch klüger, wenn Sie im Vordergrund stehen und die Leute mit schwungvollen Reden für unsere Sache begeistern, vor allem weil Sie über Waffen verfügen Darum werden Sie eher ernst genommen als ich.“ „Aber die werden nichts von meinem Gesülze kapieren“, erwiderte die Sturmtruppe, „Können Sie übersetzen?“ „Natürlich. Achten Sie nur darauf, nichts Falsches zu sagen.“ Das war dem Mann zu allgemein gefasst, aber er schlussfolgerte daraus, dem Volk nicht das Blaue vom Himmel zu erzählen und sie nicht mit der Aussage zu demotivieren, wie schlecht es wirklich um sie stand. Nur womit sollte er beginnen? Wäre O'Donnell nur hier … „Sehr geehrte Damen und Herren“, sprach er laut, was von Masaru nach Satzende sofort übersetzt wurde, „Die Piratenarmee ist …“ „Nein nein nein“, wurde er von dem Alten forsch unterbrochen, „Sie müssen zuerst etwas über sich und das galaktische Imperium erzählen, damit die Menschen zunächst wissen, mit wem sie zusammenarbeiten müssen.“ Davon leicht ungehalten, setzte Santana neu an: „Das galaktische Imperium ist auf eur...“ „Sie machen das ganz falsch, Sie müssen …“ „Können Sie mal gepflegt die Schnauze halten und mich einfach machen lassen? Danke.“ Auf der Stelle hielt Masaru den Mund, wenn auch mit verengten Augen. Zufrieden wandte sich der Soldat abermals an sein Publikum: „Habt keine Angst, werte Damen und Herren. Wir mögen, zugegeben, einschüchternd wirken und haben tatsächlich die nötigen Werkzeuge, um das zu untermauern.“ Dann, den Kopf zu Jenen gedreht, die ihn vorhin offenbar für einen Schausteller gehalten haben, fügte er düster hinzu: „Also nein, das ist keine Verkleidung und das Gewehr ist auch kein Spielzeug, sondern hochwertige militärische Ausrüstung.“ Einige Zuhörer lachten und ungeachtet davon redete er weiter: „Denn wir sind treue Sturmtruppen des galaktischen Imperiums aus einer weit, weit entfernten Galaxis und der Krieg gehört zu unserem Job. Aber genau wie ihr sind wir Opfer der verfluchten Piratenarmee, gestrandet auf diesem Planeten, ohne Möglichkeit Verstärkungen anzufordern und von der Heeresführung wahrscheinlich als vermisst, wenn nicht sogar als desertiert gemeldet. Also kann ich euch alle an der Stelle beruhigen, falls ihr früher oder später eine imperiale Invasion befürchtet. Nein, wir sind auf eurer Seite und werden euren gerechten Kampf ausfechten.“ Unter den Menschen brachen Gemurmel und Raunen aus, als ob sich niemand sicher wäre, ob den Sturmtruppen zu trauen sei. In der Hoffnung, jegliche Zweifel über ihre Glaubwürdigkeit zu beseitigen, wollte Santana die seiner Meinung nach aktuell froheste Botschaft verkünden: „Außerdem habe ich euch allen Großartiges mitzuteilen. Etwas um euch zu zeigen, dass die Banditen nicht unbesiegbar sind und realistische Aussichten auf einen Sieg bestehen.“ Er holte tief Luft, wartete ein wenig für den Spannungsaufbau und ließ es letztlich hinaus: „Ustanak ist tot.“ Augenblicklich war das einzige, was er hören konnte, das Säuseln des Windes. Die Menge schwieg zwar, allerdings war diese gespenstische Stille nicht unbedingt das, was er damit zu erreichen gedachte. Jubel hatte er erwartet, mitsamt Getränken frei Haus; aber nicht diese … entgeisterten Gesichter. Spätestens das Geräusch einer schluchzenden Dame, offenbar eine der Wenigen, die seine Sprache verstanden, füllte seinen Magen mit unangenehmer Schwere. So drehte er sich als letzten Ausweg zu Masaru um – der zu seinem Schrecken denselben Ausdruck im Antlitz trug. „Santana, genau das meinte ich damit, bloß nichts Falsches zu sagen“, sagte er ernst, „Das können Sie dem Volk unmöglich als Erfolg verkaufen. Er stand bei denen sehr hoch im Kurs, war quasi ein Volksheld. Sagen Sie jetzt schnell etwas Aufbauendes, bevor die Stimmung endgültig kippt!“ „Das hätten Sie Dödel mir ruhig früher sagen können. Aber na gut, jetzt ist der Schaden schon entstanden …“ Er seufzte kurz und konzentrierte sich wieder auf die Versammelten. „Ich höre gerade, dass Ustanak ein hohes Ansehen genießt. Deswegen entschuldige ich mich für meine eben getätigte Äußerung.“ Von Masaru rasch übermittelt, gelang es ihnen, die Menschen etwas milde zu stimmen. Es musste doch jemanden geben, der für ihre Situation Verständnis aufbringen konnte! „Jedoch ist nicht zu verkennen, dass der Panzer ein Sklave der Banditen war und somit keine andere Wahl hatte, als uns gegen seinen Willen anzugreifen. Ich versichere Ihnen aus erster Hand, er hat gekämpft wie eine Bestie, immer bis zum letzten, ähm, Datensatz. Und wäre es einem von uns misslungen, ihn in letzter Sekunde zu entern, hätte er uns ausnahmslos umgebracht. Könnte er uns hier und jetzt hören, ich bin sicher, er wäre froh, von seinem Leiden erlöst worden zu sein. Legen wir nun zu Ehren des gefallenen Helden eine Schweigeminute ein.“ Eigentlich war Letztes nur, damit er mehr Zeit hatte, seine Worte zu wählen. Aus dem Stehgreif heraus eine flammende Rede zu halten, war eine sehr schwere Aufgabe und mit genügend Vorbereitungszeit hätte Santana bestimmt flüssigere Übergänge eingebaut, statt holprig von Satz zu Satz zu stolpern. Aber da die Menge ruhig blieb und manche Zuhörer sogar Hände falteten, schien sie doch ihre Wirkung zu haben. Nun war der Moment gekommen, die Population in seinen Plan einzuspannen. „Doch auch würde Ustanak garantiert sagen, dass sein unrühmliches Ableben ein großes Loch in die feindliche Defensivlinie gerissen hat und wir nicht mit einem Angriff zögern dürfen. Nein, ausgerechnet sein Tod soll uns dazu inspirieren, Feuer und Flamme werden lassen für den Kampf, den er nie beenden konnte und der nun auf unsere Schultern geladen wurde. Er hat uns aufgetragen, in seine Kettenspuren zu treten und die Piraten für all das zu bestrafen, was sie uns angetan haben! Wenn nicht wir, wer dann?“ Zu seiner Freude stellte er fest, wie die Menschen aus der lockeren, gar desinteressierten Körperhaltung heraus kerzengerade aufrecht standen, sich einander ermutigend klingende Sätze zusprachen, freundliche Blicke austauschten und einer von ihnen streckte sogar seine geballte Faust in den Himmel und rief laut „Aye!“ „Gut gemacht, Santana“, lobte ihn Masaru und klopfte ihm auf die Schulter, „Machen Sie weiter, wir haben es bald geschafft!“ Nicht mehr lange und er hätte sie alle auf seiner Seite. Was konnte da noch schiefgehen? [„Hört nicht auf ihn!“] Plötzlich verstummte jeder, das bislang mühselig aufgebaute Klima erkaltete und der Soldat ärgerte sich schwarz. Warum musste immer etwas seinen Tag ruinieren? Gerne mehrmals? Am Rande des Platzes stand ein Mann, sein bandagierter Arm gut erkennbar vor ihm getragen. Santana wusste nicht wer das war und wandte sich darum an seinen Partner, der deutlich sichtbare Sorgenfalten aufgesetzt hatte. Allein das war ihm Information genug und er überlegte, den Störenfried mit Gewalt entfernen zu lassen. Der Herr zwängte sich durch die Massen, näherte sich dem Podest und stellte sich ganz unverblümt vor den beiden hin. Wer glaubte er eigentlich zu sein und die Redner in den Hintergrund zu drängen? Er schenkte ihnen keinerlei Beachtung, sondern ging sofort zu dem über, wofür er hier war und setzte seinerseits zum Sprechen an. „Wer ist das?“, fragte Santana Masaru mit vorgehaltener Hand und er antwortete: „Das ist Sergej, der neue Bürgermeister, nachdem der Vorgänger von Ustanak erschossen wurde, weil er O'Donnell an die Piraten ausliefern wollte. Er war einer seiner beiden Speichellecker, die auf sein Wort gesprungen sind.“ Das klang noch nicht sonderlich besorgniserregend, daher wollte der Imperiale erfahren: „Ah ja, und inwiefern ist er eine Bedrohung für uns?“ Er fand es darüber hinaus witzig, dass Sergej das Gesprochene nicht zu registrieren schien. Mal sehen, ob der Mann es merken würde, wenn Santana ihm mit einem Schwall aus Flüchen begegnete … „Nicht in dem Sinne, dass er versuchen wird, uns um die Ecke zu bringen. Aber so wie ich ihn kenne, wird er den gleichen Kurs verfolgen wie der amtierende Herr vor ihm. Was sich in dem Fall auf „Den Kopf in den Sand stecken und auf bessere Zeiten hoffen“ reduzieren lässt.“ Santana fand den Mangel an Kampfgeist beklagenswert. So einer soll der Führer des hiesigen Volkes sein? Wahrscheinlich würden sie noch mit dem Imperium friedlich verhandeln wollen, obwohl es sie kurz und schmerzlos erobern würde. Doch solange Sergej sie nicht öffentlich aufknüpfen wollte, wäre noch alles in Lot, richtig? Die anfängliche Idee, den Bürgermeister loszuwerden, verwarf er schnell, da er befürchtete, die Menge gegen sich aufzubringen. Es gab schon genug unnötiges Blutvergießen und noch mehr, nur um seinen Standpunkt klarzumachen, wäre definitiv kontraproduktiv gewesen. Darum hörte lediglich zu und wartete ab, bis der Mann seine Ansprache beendete. Als er dann allerdings merkte, wie sich die Gesichter der Zuhörer verdüsterten, einige ihn hasserfüllt ansahen und sein Nachbar zu schwitzen begann, legte sein Magen an Gewicht zu und sein Organismus stieß Stresshormone aus. „Oh neineineineineinein!“, meinte Masaru beim Anblick der nun in Aufruhr geratenen Masse und stellte sich sofort schutzsuchend hinter die Sturmtruppe. „Was ist, Masaru? Müssen wir sie alle abknallen?“ Der Rentner entschied sich, Sergej die Frage beantworten zu lassen: Dieser bewegte sich etwas ins Abseits, gab die Sicht auf die beiden frei und rief etwas, was die Menschen nur noch mehr anstachelte, sodass sie einem Lynchmob ähnelten. „Er hetzt das Volk gegen uns auf! Tut etwas!“ „Aber was, Sie Schlaumeier?! Soll ich eigenhändig Hunderte von Leuten erschießen?!“ Jedoch war es bereits zu spät. Sogleich stürmten die Ersten auf sie zu, ließen ihnen keine Reaktionszeit und drückten sie zu Boden. Santana durfte eine professionelle Ausbildung sein Eigen nennen, die ihm im Handgemenge gegen wenige Gegner die Oberhand verschaffte – aber ein ganzer Haufen von denen? Unmöglich. Liegend und von mehreren Personen bedeckt, hielten die Angreifer seine Arme und Beine fest. Vielleicht hätte er vorher seinen Helm abgelegen sollen, um zu zeigen, dass er auch „nur“ ein Mensch und kein mechanisch aussehendes Alien war, das wie ein wildes Tier gebändigt werden musste. Den Kopf nach rechts gedreht, in Richtung der Taverne, sah er die restlichen Sturmtruppen, im teilweise torkelnden Gang, mehr oder minder zielgerichtet aus dem Gebäude rennen, die offensichtlich vom Lärm alarmiert worden waren. Die andere Seite offenbarte ihm die AT-STs, ihre Geschütze zu den Menschen drehend. Das würde in einem Massaker enden. Sollen es die Piraten noch leichter haben, den Planeten zu beherrschen? Begriffen die Siedler denn nicht, dass das Imperium ihre einzige Hoffnung war, sie vom Terror zu befreien? Zugegeben, wirklich frei wären sie danach auch nicht, doch müssten sie nie wieder mit der Angst vor plötzlichen Plünderungen leben, die Infrastruktur wäre auf einem modernen Stand und Sicherheit, sowie Stabilität wären gewährleistet. „Ihr macht einen unbegreiflich dummen Fehler!“, brüllte Santana ihnen in einem letzten Versuch zur Rettung entgegen … … da zerschlug ein lautes Geräusch die akustische Kulisse, ertränkte die zahlreichen schwächeren Schallwellen in seiner eigenen und fror jegliche Bewegungen ein. Bis auf eine. Paar Momente darauf prallte etwas Großes dumpf auf Gestein, gemeinsam mit etwas, was wie das Zerplatzen einer Melone klang. Nur leiser und mehrmals hintereinander. Sofort schaute Santana wieder zur anderen Seite, dort wo auch Masaru durch den Mob attackiert und festgenagelt wurde. Jene sahen genauso in seine Richtung und versperrten so die Sicht auf das, was alle in Schockstarre versetzte. Erstaunlich, wie nur ein ohrenbetäubender Knall eine wütende Menschenmenge bremsen konnte. Er zählte nicht die Sekunden, die er hier lag, ehe die Menschen aus Leibeskräften zu kreischen begannen und wie kopflose Hühner quer über den Platz rannten. Wo die lebende Blockade nun verschwunden war, entdeckte er das, was den gerade eben noch zornigen Mob in Panik versetzte. Sergej lag unweit von ihm auf dem Podest, dessen Kleidung vom Wind bewegt wurde und ansonsten reglos war. Wo sich der Kopf befand – oder vielmehr sein sollte – konnte er ausschließlich den Halsansatz erkennen. Dahinter war das Baumaterial von einer roten Flüssigkeit bedeckt, wovon noch etwas aus besagtem Hals rannte und ihr Weg von den Unebenheiten der Steine bestimmt wurde. Auf ungefährer Höhe des Hauptes lagen verteilt fleischige Stücke, kleine, weiße … „Steinchen“ und „Scherben“. Auch als Veteran hatte er seine Mühe, seinen Mageninhalt zurückzuhalten, war er doch eher an die für Blaster und Laser typischen Verbrennungen gewöhnt. Was konnten die „Bleischleudern“, was die Energiewaffen nicht konnten? Aber die größte Frage blieb: Wer hatte den Schuss abgefeuert? Noch eine Schallexplosion. Allerdings ohne dabei etwas zu treffen. Auf der Stelle endete die Panik und die Menschen hielten an. Das nutzte Santana, um dem Schmerz des harten Bodens zu entfliehen, stand auf und versuchte, einen Blick auf den Schützen zu erhaschen. Dank der Leuten um ihn herum, war dies ein Leichtes und er erspähte ihn schnell. Die Wiedersehensfreude hielt sich bei Jenem jedoch stark in Grenzen; zeitweise dachte er gar daran, er würde träumen. Einem Alptraum, um genau zu sein. Eine metallische Stimme gefror das Blut in seinen Adern und nachdem er Masaru ansah, wie sein Gesicht totenbleich wurde und die Augäpfel aus den Höhlen zu fallen drohten, empfand er seine Sorge als berechtigt. So fragte er ihn, unwissend ob er lachen oder weinen sollte, mit ungläubiger Stimme: „Warum stirbt das Ding nicht?“ Der Senior starrte ihn nur an. Außerhalb des Zentrums in einer Gasse stand ein Panzer, von Dellen und Lackschäden überall an Wanne und Turm entstellt. Lediglich die Kanone schien verschont geblieben zu sein. „Fürchtet euch nicht, die Kavallerie ist hier.“ Diese Stimme jedoch … ja, konnte das denn sein? Santana vermochte es sich nicht zu erklären, aber sein Gemüt katapultierte sich in helle Sphären, er schmunzelte und bald darauf lachte er. So wie Masaru. Anschließend setzte sich das Fahrzeug rumpelnd und röhrend in Bewegung, schickte eine schwarze Rauchwolke in den Himmel und überquerte den Platz, wobei die Menschen den Weg räumten. Sie alle blieben merkwürdig gefasst und niemand ergriff die Flucht. War das Angst oder der noch tief in den Erinnerungen der Leute sitzende Respekt der KI gegenüber? Die Fahrt stoppte das Vehikel wenige Meter vor dem Podest, sodass nur eine Armlänge zwischen den beiden und dem Kanonenlauf blieb. Daraufhin öffnete sich vorne unter dem Geschütz eine Luke und jemand streckte seinen Kopf heraus. „Wurde ja auch höchste Eisenbahn, dass dem endlich das Maul gestopft wird.“ Hatte es sich Santana doch gedacht, als er den vertrauten Klang aus dem Lautsprecher gehört hatte. Der Imperiale gestand sich ein, den Kerl massivst unterschätzt zu haben. „O'Donnell!“, stießen Santana und der Alte erfreut hervor, „A-Aber … wie?“ „Erzähle ich euch später, dafür ist jetzt keine Zeit!“, antwortete Wolf bestimmt, „Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir die Gunst der Stunde ausnutzen! Und zwar jetzt!“ „Dem kann ich mich nur anschließen“, kommentierte Ustanak die Aussage, „Die Piraten haben mit mir ihre Trumpfkarte verloren. Sie werden sich aber dennoch aufgrund ihres Arsenals in Sicherheit wiegen und glauben, dass sich niemand gegen sie erheben wird. Ich schlage vor, wir greifen auf der Stelle an und demonstrieren ihnen, wie falsch sie doch liegen.“ Santana war dies nur recht. Er hatte zwar keine Ahnung wie Wolf es geschafft hatte und hätte ihn gerne wissbegierig ausgefragt, doch sie durften den Überfall nicht mehr länger hinauszögern. Wo Ustanak anscheinend zu ihnen übergelaufen war, stand ihnen somit die mächtigste Waffe der Banditen zur Verfügung. Wenn das nicht für das Volk Zeichen genug für ihre neu errungene Überlegenheit war, was dann? Brauchten sie dann noch die List der Scheinarmee? Eines allerdings fiel ihm dann doch auf: Lag es am Lichteinfall des Nebels oder war Wolfs Auge in der Tat gerötet? „Gut dass ihr beiden hier seid“, sagte Masaru seltsam bodenständig, „Wir haben in eurer Abwesenheit einen Plan entworfen, wie wir die Piratenarmee auch ohne Panzer zur Aufgabe zwingen wollen. Vielleicht ist das mit euch nicht mehr nötig, aber wir möchten kein Risiko eingehen. Möchtet ihr ihn hören?“ Wolf und Ustanak bejahten und der Renter fuhr fort, ihnen die Täuschungstaktik zu erläutern mit dem Zusatz, sie als Speerspitze des Angriffs fungieren zu lassen. Während der Kopfgeldjäger von der Idee sofort angetan war, wenn auch etwas über den wegfallenden Kampfanteil enttäuscht, äußerte die KI ihren Unmut darüber, unschuldige Zivilisten noch tiefer in den Krieg zu ziehen. Das wäre insbesondere deswegen prekär, weil eine Kapitulation nicht gesichert war und keiner wusste, wozu Artjom in der Läge wäre, wenn man ihn in eine Ecke gedrängt hatte. Und was war ein Sieg, der teuer erkauft wurde? „Ja meine Fresse, die Leute können doch auch nicht tagein, tagaus ihre Finger in den Hintern stecken und sich zureden, alles werde gut“, meinte Wolf angriffslustig, „Sie müssen lernen, dass sie sich irgendwann wehren müssen, wollen sie nicht der Spielball der Banditen bleiben.“ Die KI grummelte, schien nachzudenken und erwiderte darauf: „Fein. Angenommen, die Piraten ergeben sich nicht und verteidigen sich. Willst du dann die Zivilisten ins Gefecht schicken? Die meisten sind nur Bauern, die noch nie eine Waffe gesehen, geschweige denn in den Händen gehalten haben. Sie werden einen sinnlosen Tod sterben und den Boden mit dem vergossenen Blut rot färben. Es muss eine andere Lösung geben, es muss!“ Schließlich schlug Santana vor, das Volk entscheiden zu lassen, dem sich Ustanak besorgt beugte. So tauchte Wolf wieder ins Cockpit ab, jagte den Motor auf Hochtouren als er das Fahrzeug im Stand drehte und die Front zur Menge hin ausrichtete. Warum benötigte es die manuelle Steuerung eines Fahrers, um ein KI-gesteuertes Gefährt zu führen? Irgendetwas Unerwartetes musste geschehen sein, nachdem der Söldner das Fahrzeug infiltiert hatte. Natürlich lag seine Vermutung darin, dieser habe die Programmierung überbrückt, aber alles alleine mit verhältnismäßig geringem Zeitaufwand? Während Ustanak begann, dem Volk den Plan in ihrer Sprache darzulegen, schloss sich Santana mit Masaru kurz, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Wolf stieß nicht hinzu, möglicherweise weil er bei den Siedlern als Unheilsbringer galt und somit nicht in der Öffentlichkeit agieren wollte. Unter anderem gehörte zum Gespräch die Frage, wie die Formation aufgestellt sein würde, denn ein Marsch wäre bei der schieren Anzahl an Personen unausweichlich. „Ich denke, es wäre der allgemeinen Moral dienlich, wenn wir Ustanak das Manöver anführen lassen würden“, erklärte Masaru, „So käme er zuerst an, würde den Piraten einen schnellen Kampf zu ihren Gunsten suggerieren und erst dann „enthüllen“ wir quasi, dass hinter ihm noch eine ganze Armee versteckt ist, die dann hinter ihm eine breite Linienformation bezieht. Passenderweise auf einer Entfernung, die sie nicht sofort im Scheinwerfer auffliegen lässt.“ Santana dachte einen Moment darüber nach, ob er ihm sagen sollte, dass allein die vielen Schritte die Banditen alarmieren werden, verzichtete dann jedoch mit dem Gedanken darauf, es würde so oder so auf ein Gemetzel hinauslaufen. Sollte nämlich nur einer herausfinden, dass die so genannte „Armee“ aus unbewaffneten Dörflern bestand, würden die Gewehre glühen. Nichtsdestotrotz fuhr der Senior damit fort, Viererreihen als Formation der Wahl hervorzuheben, da die Pfade gerade für Ustanak und Transportfahrzeuge breit genug wären. Die Imperialen selber würden während der Bewegung die Nachhut bilden. Nicht unbedingt das, wozu Santana seine Jungs einteilen wollte, stimmte den Ausführungen in der Form aber zu. Alles andere würde sich nachher daraus ergeben, wie die Banditen reagierten. „Habt ihr noch mehr Einzelheiten?“, fragte schließlich Ustanak, „Bis jetzt scheinen sie mir noch nicht von der Wirksamkeit des Plans überzeugt.“ Diese wurden ihm kurzerhand von Masaru gegeben, sodass sich die KI erneut den Zivilisten zuwandte und redete. „So. Mehr können wir im Moment nicht tun“, sagte der Rentner zur Sturmtruppe, „Ich schlage vor, wir setzen uns in den Panzer zu O'Donnell. Das Volk würde ohnehin ausschließlich Ustanak als Anführer akzeptieren.“ Dagegen hatte der Imperiale nichts einzuwenden, merkte allerdings an, dass er zuvor den verbliebenen Sturmtruppen die Taktik erklären müsse und Masaru schon mal einsteigen solle. So kletterte der alte Mann nach einem misslungenen Klimmzug auf die Wanne, ließ sich dabei von gaffenden Dorfbewohnern nicht stören, entdeckte die demolierte und definitiv nicht mehr vollständig verschließbare Luke auf dem Turm und öffnete sie. Darunter fand er das Innere beleuchtet vor und der Lärm des Motors wurde infolge der Enge nochmals verstärkt. Und trotzdem … fühlte er sich in gewisser Weise Zuhause. Wie lange war es her, dass er mit Ustanak unter einer Flagge vereint gewesen war und gekämpft hatte? Er hätte nicht gedacht, dass es noch einmal dazu kommen würde. Besonders, nachdem die KI vor Kurzem versucht hatte, sie umzubringen. Aber dies durfte ihn nun nicht daran hindern, mit dem Fahrzeug gemeinsam in die Schlacht zu ziehen. Wenn der Krieg vorbei sein sollte und beide überlebten, könnte er mit ihm danach immer noch hart ins Gericht gehen. Also ließ er sich durch die Luke in die Kampfstation nieder und setzte sich auf die rechte Seite, dort wo der Kommandant seinen Platz hatte. Sogleich nutzte er die Bordsprecheinrichtung, um mit dem Fahrer zu kommunizieren. Selbstredend, dass dies mittels hoher Lautstärke geschah. „O'Donnell, hören Sie mich?“ „Klar und deutlich, Masaru. Wie geht’s, wie steht's?“, rief Wolf erheitert und der Rentner musste schmunzeln. Dieses Alien war immer für eine Überraschung gut, das musste man ihm lassen. Nicht nur hatte er das Bombardement unverletzt überstanden, nein, ihm gelang es sogar, die KI aus den Händen des Gegners zu reißen und als Verbündeten zu gewinnen. Wie er das jedoch geschafft hatte, war ihm ein Rätsel. „Hervorragende Arbeit, Wolf! Aber mich interessiert es dennoch brennend, wie Sie das alles bewerkstelligen konnten.“ „Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass dafür keine Zeit ist? Und überhaupt, wo bleibt Santana?“ Als hätte man vom Teufel gesprochen, ging die zweite Turmluke auf und paar Sekunden später saß der Mann auf dem Platz des Richtschützen. Natürlich nicht, ohne dabei die fehlende Beinfreiheit zu beklagen. „Jetzt stellen Sie sich nicht so an, speziell Sie als Soldat müssten die Enge von Militärvehikeln doch gewohnt sein.“ Darauf erwiderte Santana leicht verärgert: „Ja, aber doch nicht so! Ich frage mich gerade ernsthaft, ob es nicht angenehmer wäre, in einem Sarg zu liegen!“ „Ich unterbreche euch nur ungern, aber ich bitte um Silentium“, mischte sich plötzlich Ustanak in ihre Auseinandersetzung ein und ergänzte: „Der Bevölkerung gefällt die Idee nicht, aber wenigstens sehen sie ein, dass sie etwas unternehmen müssen. Die meisten kampfbereiten Männer haben sich dazu bereiterklärt, eine kleine Streitmacht zu bilden. Im Großen und Ganzen haben wir knapp 200 Partisanen, meint ihr, das genügt?“ Santana und Masaru hatten insgeheim mehr erwartet, aber zwingen konnten sie sie nicht. Doch wo nun Ustanak da war, war es ein Leichtes, ihre Unerfahrenheit samt nicht vorhandener Ausrüstung zu kompensieren. Daher antwortete Masaru zuversichtlich: „Das sollte kein Problem sein. Mit deiner Hilfe ist uns der Sieg gewiss. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.“ Nach diesem Austausch erging die Anweisung an Wolf, den Panzer zum Dorfausgang zu fahren und dort zu warten, bis sich die Männer auf den Marsch vorbereitet und in Reihen Stellung eingenommen hatten. Da es im Inneren zunehmend heißer wurde, stiegen Wolf und Masaru aus, um sich vom kühlen Nachtwind erfrischen zu lassen und das Fortschreiten ihres Plans mitzuverfolgen. Nur Santana blieb drin sitzen, inspizierte die vielen Knöpfe und Visiere seines Postens und grübelte über die seines Erachtens nach größte Schwachstelle ihrer Taktik: Die Geheimwaffe. Sollte es ihnen den Sieg auch ohne Ustanak und der Scheinarmee bescheren können, musste es zweifellos etwas äußerst Mächtiges sein. Ein Objekt von ungeheuerlicher Zerstörungskraft, das die Piratenarmee in die Knie zu zwingen vermag – war es ein Fahrzeug? Eine experimentelle Waffe? Oder eine Bombe? Worum auch immer es sich dabei handelte, was würden sie tun, falls die Banditen sie zuerst finden und gegen sie einsetzen würden? Wäre Ustanak in der Lage, sich dagegen zu behaupten? „Kommt schon, wir fahren!“ „Hm, was?“, wurde Santana aus seiner Überlegung gerissen, als auf einmal Wolf sprach und danach Masaru den nebenstehenden Sitz belegte. „Schon fertig?“ Der Kommandant sah ihn an, lächelte und brachte so den Imperialen dazu, selber nachzusehen. Auf den Sitz gestellt und den Blick Richtung Heckbereich, stellte er verblüfft fest, dass die Bewohner wohlgeordnet in Reih und Glied standen. Entweder war ihm sein Zeitgefühl abhanden gekommen oder die Menschen hier waren disziplinierter als ursprünglich angenommen. Endlich war der Moment da … „Ach, und Masaru?“, sagte Ustanak. „Ja?“ „Es tut gut, wieder unter Ihnen dienen zu dürfen.“ Der Herr lächelte. Es kam ihm weiterhin seltsam vor, seine Freude über die Wiedervereinigung hingegen war nicht zu verbergen. Aufgrund dessen dankte er ihm schlicht und erteilte letztlich die Order, das Manöver zu beginnen. Zum Schluss drehte der Motor auf, die 40 Tonnen Stahl nahmen Fahrt auf und Wolf ließ enthusiastisch verlauten: „Whoooohou! Machen wir die Schweine alle!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)