Magnetismus von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 11: Nogitsune --------------------- Der dunkle Geist hatte eine offene Tür gefunden; die Tür in ein neues Zuhause und er hatte nicht die Absicht, wieder zu verschwinden, denn es gefiel ihm hier. Der Verstand dieses Jungen war etwas Besonderes: komplex, flexibel, vielschichtig und abgründig. Der Nogitsune fühlte sich schnell heimisch in diesen Hirnwindungen. Er genoss den Kampf wie eine gute Mahlzeit; die Angst und die Schmerzen, die der Junge empfand waren köstlich und die Verzweiflung und die Gegenwehr des Burschen amüsierten ihn. Es würde ein Riesenspaß werden, dieses Kind zu brechen, denn dieser Stiles war stark! Und er hatte Freunde! Das bedeutete, es gab eine Menge Schaden anzurichten und das machte es noch interessanter! Einmal hatte er das Gesicht seines Gastgebers als Reflexion in einer Scheibe gesehen und hielt einen Moment inne, um sich mit den fremden Zügen vertraut zu machen. Wie unglaublich jung er war! Diese Menschen waren eigenartige Geschöpfe. Sie nahmen sich so furchtbar wichtig; Teenager noch mehr, als ausgewachsene Exemplare und dennoch waren sie kaum haltbarer als Fliegen. In tausend Jahren hatte der Nogitsune viele Gesichter getragen. Menschen waren gekommen und gegangen, ohne große Spuren zu hinterlassen. Bedeutungslos und vergänglich, wie Steine auf einem Spielbrett – gerade noch im Spiel und dann eben nicht mehr, in weniger als einem Wimpernschlag. „…sieben, acht, neun, zehn!“ Zum dutzendsten Mal in wenigen Minuten hatte Stiles seine Finger abgezählt, um sich zu vergewissern, dass er wirklich, wirklich wach war. Restlos überzeugt war er dennoch nicht. Wenn er schlief, fürchtete Stiles, dass etwas Fremdes in ihm die Kontrolle übernehmen, seinen Körper steuern und seine Hände dafür nutzen würde, furchtbare Dinge anzustellen. Wie sonst war es möglich, dass er an fremden Orten erwachte und nicht mehr wusste, wie er dort hingekommen war. Und so blickte er erneut hinab auf diese Hände, die ihm nicht mehr ganz und gar wie die seinen erschienen. Dann zählte er von neuem: Eins, zwei, drei...!“ Das Atmen viel ihm schwer, er konnte nicht aufhören zu Zittern: Eine einzige endlose Panikattacke! Stiles wusste noch immer nicht genau, was ihm zugestoßen war. Es war verwirrend und ergab einfach keinen Sinn. Er wusste nur, dass er noch nie so wahnsinnig große Angst vor irgendetwas gehabt hatte. Und nun war er umgeben von diesem Krankenhausgeruch, der Erinnerungen weckte. Mit einem Schlag war alles wieder da: wie er seine Mutter hier besucht hatte, wie sie von Mal zu Mal weniger sie selbst gewesen war. Und als sie dann schließlich starb, war er es, der mit ihr zusammen gewesen war – neun Jahre alt und ganz allein mit dem Tod! Er hatte den Ausdruck auf dem Gesicht seines Vaters gesehen, den auf dem Gesicht von Melissa McCall. Doch gerade war Scott bei ihm gewesen und irgendwie war dieser Blick am Schwersten zu ertragen. Stiles hatte es seinem besten Freund erklären müssen, dass es scheinbar dasselbe war, wie bei seiner Mutter: Frontotemporale Demenz. Doch Scott konnte das nicht akzeptieren, denn auch er hatte Erinnerungen; Erinnerungen an Wahnsinn und Tod. Es stand quer über sein Gesicht zu lesen: die Möglichkeit, dass seinem besten Freund dasselbe passieren könnte, war für ihn absolut inakzeptabel. „Wenn es das ist, dann werden wir etwas dagegen tun. Dann werde ICH etwas dagegen tun!“ hatte er verkündet. Stiles wusste natürlich, was Scott meinte. Nur dass es auch hierbei eine gute Chance gab, dass Stiles sterben würde. Dann würde er Scott mir der Schuld zurücklassen, ihn getötet zu haben. Und darüber käme dieser sicherlich nie hinweg. Stiles sagte zunächst nichts, doch vermutlich er würde das Angebot ausschlagen, wenn es dazu käme. Nachdem der wachsame Polizisten den kleine Trick mit dem gefälschten MRT-Bild durchschaut hatte, dachte der Nogitsune, es könnte spaßig werden, den Freunden und der Familie vorzugaukeln, dass sie ihren Jungen wieder hätten, während in Wirklichkeit ER die ganze Zeit am Steuer saß und weiterhin ungehindert Schaden anrichtete. Doch der verdammte Druide hatte einen unerwarteten Zug gemacht, ihn vergiftet und zurückgedrängt und nun war der Nogitsune wirklich wütend! Er stand im Schatten und wartete auf seine Chance. Irgendwann musste dieser Junge schlafen und dann wäre er wieder da. Der Abschied von seinem Dad war furchtbar gewesen. Gern hätte Stiles irgendetwas gesagt, dass seinem Vater bewiesen hätte, dass es in Ordnung sei, ihn für zweiundsiebzig Stunden hier in `Eichen-Haus´ zur Beobachtung zurückzulassen, doch was hätte das sein sollen? `Ach komm` Dad, das wird schon! Und in drei Tagen holst du mich wieder ab, wir besorgen uns einen großen Eisbecher und lachen über das alles?´ Wohl kaum! Ein Monster lauerte auf Stiles. Er wusste es und war starr und erstickt vor Angst. Und Worte, egal wie sorgfältig gewählt, würden daran nichts ändern. Aber vielleicht würde er in `Eichen Haus´ ja ein paar Antworten finden; irgendwas, dass ihm endlich einen Vorteil verschaffte gegen seinen übermächtigen Gegner? Und dann hatte er in Malia unerwartet Hilfe hier in `Eichen Haus´ gefunden. Sie war stark und ziemlich listig. Er war froh, eine Verbündete zu haben. Als sie ihn geküsst hatte, tat es wahnsinnig gut, endlich wieder einmal etwas neben der Angst zu fühlen. Er dachte nicht an Derek, während seine Hände über den weichen, schönen Körper des Mädchens wanderten. Er atmete einfach nur durch und genoss das Gefühl. Kaum war Derek zurück in Beacon Hills, gingen natürlich auch die Katastrophen wieder los. Nur eben diesmal noch viel furchtbarer als gewöhnlich. Erst hatte er es nicht glauben wollen, als er von Aiden erfuhr, dass der Nogitsune sich ausgerechnet in Stiles eingenistet haben sollte. Was sollte ein mächtiges Wesen von einem mageren, wehrlosen Burschen wie ihm schon wollen? Er änderte seine Meinung schnell, nachdem es Stiles Hände gewesen waren, die ihn einmal quer durch sein Loft und gegen eine Wand geschleudert hatte, als sei das weiter nichts. Als er ihn an diesem Tag angeschaut hatte, war Derek sich einer Sache plötzlich vollkommen sicher gewesen; dass von dem Stiles den sie kannten nichts mehr übrig sein konnte. Seine Augen waren ihm grausam leer erschienen; nichts mehr von der Wärme, dem Witz und der Intelligenz, die sonst darin lagen. Der Körper war sogar noch magerer und bleicher als gewöhnlich, so als würde alles, was Stiles war, Stück um Stück verzehrt werden. Der Anblick hatte einen sehr bitteren Geschmack in Dereks Mund hinterlassen und er war froh, dass es nicht seine Entscheidung war, wie mit dieser Situation zu verfahren sei, denn er ahnte leider, wie er selbst vorgegangen wäre. Aber nicht Scott! Denn nun war er der Alpha und er würde jedes Mitglied seines Rudels und insbesondere Stiles beschützen und zu retten versuchen, bis zu dessen (oder aber seinem eigenen) letztem Atemzug. Und so lautete nun Dereks Befehl: Stiles retten! Damit hatte er eine Mission und die gab ihm eigenartiger Weise, entgegen seiner eigenen Überzeugung die Hoffnung, dass es tatsächlich noch etwas zu retten gab. Eigentlich sollte es Derek merkwürdig vorkommen, sein ganzes Vertrauen in einen siebzehnjährigen Rudelführer zu setzen, aber sein Instinkt bestätigte ihm, dass Scott der Verantwortung gewachsen war und er auf ihn bauen konnte. Er kannte seine Aufgabe: Er musste seine Erfahrung und seine Stärke in Scotts Dienst zu stellen und das tat er auch mehr als bereitwillig! Überdies behielt er Chris Argent und die Zwillinge für seinen Alpha im Auge, denn er selbst mochte Scotts Entscheidung zwar respektieren; ob das aber auch für diese drei galt, stand auf einem anderen Blatt. Um seine Aufgaben erfüllen zu können, hatte Derek eine eiserne Grundregel für seinen privaten Gefühle in dieser Angelegenheit aufgestellt: Sie existierten nicht! Basta!! Ansonsten hätte er sicher den Verstand verloren. Stiles war dabei erwischt worden, wie er in `Eichen Haus´ herumgeschnüffelt hatte und das Beruhigungsmittel sollte seine Strafe sein. Aber wieso verstand dieser sadistische Bastard mit der Spritze denn bloß nicht, dass auf keinen Fall einschlafen durfte? Dann war es zu spät! Die Nadel fand ihren Weg in seinen Arm. Doch Stiles war noch nicht bereit aufzugeben. So bald er seine Augen schloss, hätte er verloren; das wusste er und so versuchte er alles, um wach zu bleiben: Er lief in seiner gefliesten Zelle hin und her. Er hüpfte auf und ab. Er zählte seine Finger ab, bis sie vor seinen Augen verschwammen Und schließlich begann er, sich selbst hart ins Gesicht zu schlagen. Aber am Ende kam es doch, wie es kommen musste. Stiles war schon nicht mehr bei Bewusstsein, als er hart auf die Fliesen aufschlug! Der Nogitsune schlüpfte zurück in den Jungen wie eine Hand in einen Handschuh. Zeit, ein paar Tatsachen zu schaffen! Der Raum der Stiles in seinem Inneren blieb war winzig, wie eine Abstellkammer. Der Nogitsune war überall, kontrollierte jeden Muskel in seinem Körper und Stiles konnte nichts weiter tun, als wehrlos zuzusehen. Er sah, wie seine Freunde um ihn kämpften und dabei gleichzeitig auch gegen ihn und er konnte den Schrecken in ihren Augen sehen. Er versuchte ihnen zuzurufen, aber er hatte keine Stimme. Es schien aussichtslos und beinahe wünschte Stiles sich, dass sie ihn endlich töten mochten, damit das Böse, dass in ihm hauste gemeinsam mit ihm aus der Welt verschwand. Aber schließlich geschah etwas Unfassbares: Wo Stiles keinen Weg hinaus gefunden hatte, hatten Scott und Lydia hineingefunden und ihn damit gerettet. Stiles hatte dem Nogitsune das Schlachtfeld seines eigenen Körpers überlassen und war dafür neu erstanden. Nun gab es zwei mit seinem Gesicht. Und Stiles Ebenbild hatte bereits eine blutige Spur der Verwüstung hinterlassen, ehe es Scott und den Anderen endlich gelungen war, ihn aufzuhalten. Die Bestattungsunternehmer von Beacon Hills mussten in den nächsten beiden Wochen Überstunden machen. Da waren die Opfer aus dem Krankenhaus, die toten Kollegen von Stiles Vater und ein paar andere Unglückliche, die zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Aber natürlich gab es da auch noch die Opfer, die das Rudel ganz persönlich zu beklagen hatte. Gestern war die Beisetzung von Aiden gewesen. Es hatte geregnet, wie bereits die ganze Woche lang. Es waren nicht viele Menschen gekommen: ein paar Jungs aus dem Lacrosse-Team und der Coach, das Rudel natürlich und Ethan, dessen Hand fest in der von Danny gelegen hatte. Ethan hatte blass und verloren ausgesehen, als er in das Loch in der Erde gestarrt hatte, in welches nun der Sarg mit dem Körper seines Zwillingsbruders versenkt werden würde. Ein rationaler Teil von Stiles wusste, dass es nicht seine Schuld war, doch DER hatte leider in diesem Augenblick nicht das Kommando. Er schlang die Arme um den eigenen Körper und zitterte ein wenig. Derek war unwillkürlich ein wenig näher an ihn herangerückt, ohne ihn jedoch wirklich zu berühren. Es tat im dennoch verdammt gut! Aber heute war alles noch viel schlimmer, denn es war Allison, von der sie alle sich verabschieden mussten. Stiles ließ seinen Blick durch die Runde wandern und schaute in erstarrte Gesichter. Der Blick von Isaak war glasig. Es wirkte, als habe er tagelang geweint und sei nun in einen Zustand der erschöpften Lähmung gefallen. Bei ihm war Chris Argent, der ein Hand auf die Schulter des jungen Werwolfs gelegt hatte, als sei ER es, der IHN trösten müsste. Argent selbst hatte Eis im Blick, so, als dürfte niemand wissen, wie sehr er darunter litt, in kurzer Zeit nach seiner Schwester und seiner Frau nun auch noch seine Tochter, sein einziges Kind verloren zu haben. Offenbar war das etwas, was ein Jäger früh lernen musste; dass Verluste zum Geschäft gehörten! Es ließ Stiles das Blut in den Adern gefrieren. Lydias grüne Augen schwammen in Tränen. In ihrem Gesicht konnte Stiles lesen, dass sie es immer noch nicht ganz begriffen hatte, dass in der dunklen Holzkiste vor ihnen wirklich der Leichnam ihrer besten Freundin lag. Kira hatte sich zwischen Lydia und Scott platziert und jedem der beiden eine ihrer Hände gereicht. Ihr wachsamer Blick ging immer wieder zwischen ihnen hin und her. Stiles wusste, was sie tat: Sie scannte ihre Gefühle, damit ihr nicht entging, sobald einer von ihnen etwas mehr als Händchen halten bräuchte. Stiles beneidete Kira darum, dass sie hilfreich sein konnte, denn er selbst hatte momentan das Gefühl, seinen Freunden rein gar nichts geben zu können. Und Scott konnte er nicht einmal ansehen, weil er diese tiefe Verzweiflung einfach nicht ertragen könnte. Und heimlich fürchtete er auch, eine Anklage in seinem Blick zu sehen. Stiles blickte wieder einmal hinab auf seine Finger und begann zu zählen. Zehn! Nein, all dies war leider kein Alptraum! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)