Stormpaw's Destiny von Kalliope (Warrior Cats - New Clans, New Stories) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Sturm spürte Stolz in jeder Faser seines Körpers, als er mit einem Hauch Genugtuung bemerkte, dass er sowohl Milchpfote als auch Fleckenpfote abgehängt hatte. Es waren zwar nur wenige Herzschläge, die er ihnen voraus war, aber sie hatten ihn definitiv nicht gewinnen lassen, auch wenn sie das Gegenteil behaupteten. Schnaufend pausierten sie unterhalb einer Weide mit tief hängenden Ästen. Nur wenige Fuchslängen entfernt befand sich das Ufer des breiten Bachs, der die natürliche Grenze zwischen dem FeuerClan und dem ErdClan bildete. Der Fluss entsprang im Norden noch hinter dem Gebiet des WasserClans. Dort befand sich auch der Wasserfall, hinter dem die Mondhöhle lag, in der die Anführer und Heiler Kontakt mit dem SternenClan aufnehmen konnten. Von dem Wasserfall aus floss der Bach in südlicher Richtung mittig durch das Territorium des WasserClans und ging östlich vom Heiligen Berg durch einen großzügigen Bogen in das Revier des FeuerClans über, um südlich vom Heiligen Berg die Grenze zwischen FeuerClan und ErdClan zu markieren. Westlich vom Heiligen Berg lag der LuftClan, der keinen Zugang zum Bach hatte, dafür aber einen kleinen See besaß, der vom Regen und einem unterirdischen Zulauf gespeist wurde. All das hatte Milchpfote ihm während der morgendlichen Patrouille erklärt, die kurz vor der Grenze zum ErdClan in ein Wettrennen ausgeartet war. Nun lag das Gebiet des anderen Clans direkt vor Sturms Nase und er erkannte den moosigen, intensiven Geruch wieder, den er bereits am Vortag auf seinem Weg zum FeuerClan-Lager wahrgenommen hatte. Es war der Geruch des ErdClans, mit dem die andere Bachseite markiert war. „Du darfst den Bach niemals überqueren“, wiederholte Milchpfote zum gefühlt einhundertsten Mal. „In der Blattleere ist manchmal alles von einer so dicken Schneeschicht überdeckt, dass man den Bach auf den ersten Blick nicht sehen kann. In diesem Fall orientierst du dich einfach am Geruch oder an den Nadelbäumen. Auf unserem Gebiet wachsen keine Nadelbäume – wenn du unter welchen stehst, ist es schon zu spät.“ „Eigentlich ganz einfach“, munterte Fleckenpfote Sturm auf. Im Laufe des Morgens war Fleckenpfote etwas gesprächiger geworden, auch wenn der Großteil seines Gesprächsanteils darin bestand, dass er die Gefahren der Wildnis betonte und wie wichtig die Einhaltung der Grenzen war. „Nicht weit von hier habt ihr mich gefunden, nicht wahr?“ „Ja, es ist nicht weit. Willst du den Ort sehen?“ Sturm nickte und folgte den beiden Schülern am Ufer des Bachs entlang bis zur südlichen Grenze. Schnell fand er den Baum wieder, unter den er sich in seiner Verzweiflung gekauert hatte. Das war erst einen Tag her, trotzdem kam es ihm vor wie eine Ewigkeit – wie in einem anderen Leben. Nun, da er alle Grenzen des FeuerClans kennen gelernt hatte, begann der Theorieunterricht. Milchpfote dozierte über das Gesetz der Krieger, die Hierarchie im Clan und das Zusammenleben. Bald darauf stieg Fleckenpfote mit ein und beide schwärmten von den Geschichten der großen Krieger, über deren glorreiche Schlachten auch noch lange nach ihrem Tod berichtet wurde. „Steinkralle war in allen Clans für ihre scharfen Krallen bekannt“, erzählte Fleckenpfote mit leuchtenden Augen, wurde aber leiser, als er Milchpfotes bedrücktes Gesicht sah. Etwas gedämpfter fügte er hinzu: „Sie war Milchpfotes Mutter und starb vor drei Monden, als sie die südliche Grenze übertreten hatte, um nahe des Donnerwegs nach Beute zu suchen. Ihr Vater Eisbart brachte sie zwar noch zurück, aber Honigblüte konnte nichts mehr für sie tun.“ „Jetzt jagt sie mit dem SternenClan“, sprach Milchpfote und wechselte schnell das Thema. „Aber einer der größten Krieger war Fuchsauge.“ „Ja, Fuchsauge!“ Fleckenpfote nickte begeistert. „Er war Schwarzsterns einziger Nachkomme. Niemand konnte nachts so gut sehen wie er. Man sagt, dass er so stark war, dass er es selbst mit einem Berglöwen aufnehmen konnte! Und sein Fell war so rot wie das eines Fuchses.“ Milchpfote schaute ehrfürchtig in Richtung Himmel. „Er starb vor fast drei Jahren im Kampf gegen den ErdClan. Apfelpelz und Honigblüte sind seine Nachkommen. Sie waren noch Junge, als es passierte. In diesem Kampf musste Schwarzstern seinen eigenen Bruder Grauwolke töten.“ „Moment, das verstehe ich nicht.“ Sturm war verwirrt. „Wieso hat Schwarzstern seinen eigenen Bruder getötet?“ Milchpfote und Fleckenpfote wechselten einen schnellen Blick. „Schwarzsterns Vater kam aus dem FeuerClan, seine Mutter aus dem ErdClan. Die Loyalität zum Clan steht an oberster Stelle, deshalb wird man verstoßen, wenn man sich einen Partner aus einem anderen Clan wählt. HalbClan-Jungen können sich entscheiden, in welchem Clan sie leben wollen, müssen diesen dann aber als einzige Familie akzeptieren. Schwarzstern hat damals den FeuerClan gewählt und sein Bruder Grauwolke den ErdClan. Aus diesem Grund standen sie sich im Kampf verfeindet gegenüber“, erläuterte Milchpfote. Fleckenpfote wiegte seinen Kopf leicht hin und her. „Es sei denn, man kommt aus dem WasserClan. Die sind echt krass drauf. Kein Clan legt das Gesetz der Krieger so streng aus wie der WasserClan. Wenn es dort HalbClan-Junge gibt, werden sie verstoßen, was den sicheren Tod bedeutet. Auch ihr Elternteil muss den Clan für immer verlassen und es ist, als wären sie einfach von heute auf morgen verschwunden. Als hätten sie niemals existiert. Niemand erwähnt sie je wieder.“ Unwillkürlich sträubte sich sein schwarz-weißes Fell. „Meine Mutter sagt, dass der WasserClan vom SternenClan mit einem Fluch belegt wurde, weil dort kaum Junge geboren werden. Schon seit eineinhalb Jahren hat es keinen einzigen Schüler mehr gegeben.“ „Habt ihr genug gelästert?“ Alle drei zuckten zusammen, als wie aus dem Nichts Haselschweif und Apfelpelz aufgetaucht waren. Haselschweifs buschiger, rotbrauner Schwanz zuckte amüsiert umher. „Dafür, dass du kurz vor deiner Abschlussprüfung stehst, gehst du nachlässig mit deiner Umgebung um, Milchpfote. Du hättest uns kommen hören müssen.“ „Haselschweif, ich …“ Beschämt starrte sie zu Boden. „Es wird nicht wieder vorkommen.“ Apfelpelz gähnte gelangweilt. Sein langes, dichtes Fell war einheitlich dunkelrot, wurde zum Bauch hin jedoch ein wenig heller und an seiner Stirn kam ein dezentes Tigermuster zum Vorschein. Abgesehen von der Größe und dem langen Fell hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit Schwarzstern, der immerhin sein Großvater war. Auch seine Ausstrahlung wirkte kein bisschen autoritär. „Schwarzstern möchte, dass wir uns heute ausschließlich dem Jagen widmen“, erklärte Haselschweif. „Milchpfote und ich werden alleine gehen und den nördlichen Teil des Reviers übernehmen. Sturm, du kannst Fleckenpfote und Apfelpelz hier im Südteil begleiten.“ Dann zuckte sein Schwanz einmal zur Seite und Milchpfote setzte sich augenblicklich mit ihm in Bewegung. „Da waren’s nur noch drei.“ Apfelpelz musterte Sturm neugierig. „Du hast einen ziemlichen Wirbel verursacht, Hauskätzchen. Bin gespannt, ob du wirklich das drauf hast, was der alte Schwarzstern in dir vermutet. Setzen wir uns dort drüben hin und dann sagst du mir, was du riechen und hören kannst.“ Fleckenpfote rollte mit den Augen, als Apfelpelz gerade nicht hinsah. „Das ist Lektion 1, total öde. Als ob ich ein Junge wäre, das gerade erst zum Schüler wurde.“ „Ich kann dich hören, Fleckenpfote“, sagte Apfelpelz ruhig und nahm zwischen den Wurzeln einer Eiche Platz. „Außerdem geht es hier nicht um dich, sondern um Sturm. Sollte er wirklich bei uns bleiben, hat er eine Menge aufzuholen. Wie alt bist du?“ „Acht Monde.“ „Also so alt wie Fleckenpfote. Zwei Monde Ausbildung bist du im Rückstand. Ich weiß nicht, wer dein Mentor werden soll, wenn es soweit ist, aber ich will mir nicht sagen lassen, dass ich meine Arbeit nicht richtig gemacht hätte.“ Etwas lockerer und mit einem Zwinkern fügte er hinzu: „Macht nur unnötigen Stress. Und jetzt Ruhe, wir fangen an.“ *** Die folgenden Tage verbrachte Sturm hauptsächlich mit Fleckenpfote und Apfelpelz. Er lernte im Schnelldurchgang, wie man jagte, welche Wege die Patrouillen nahmen und wie er den Geruch von ErdClan und WasserClan bereits von Weitem erkennen konnte. Apfelpelz gab sich Mühe, verlor nach den ersten paar Tagen aber das Interesse und ließ Fleckenpfote und Sturm fortan die meiste Zeit alleine umherstreifen und jagen. Nach vier Tagen hatte Sturm seine erste Maus ohne fremde Hilfe erspäht und erlegt. Er freute sich ungemein, bemerkte aber, dass Fleckenpfote ihn dabei nicht ohne gewisse Missgunst beobachtete. Der Schüler hatte zwar eine beachtliche Erfolgsquote vorzuweisen, ging bei der Jagd aber dermaßen streng nach demselben Schema vor, dass er lange brauchte, um überhaupt einen Versuch zu starten. Manchmal liefen sie Ahornpfote, Milchpfote oder Rindenpfote über den Weg, doch mehr als ein paar schnelle Worte wurden dabei nicht gewechselt – zumindest mit Ahornpfote und Milchpfote, denn Rindenpfote hüllte sich in stoisches Schweigen. Zuerst dachte Sturm, dass dies an Rindenpfotes Mentorin Rosentau lag, die ihm offen ihre Abneigung entgegenbrachte und ihm schon nach den ersten Tagen geraten hatte das Weite zu suchen, solange er noch konnte. Später merkte er dann, dass Rindenpfote einfach kein Kater der großen Worte war und außer mit seiner Schwester Ahornpfote mit niemandem zu sprechen schien. Weitere Tage vergingen und als die Hälfte seiner Probezeit beim FeuerClan um war, erwischte Sturm Schwarzstern und Honigblüte dabei, wie sie gemeinsam mit Haselschweif tuschelten und dabei immer wieder verstohlen zu ihm herüberschauten. „Hey, ich rede mit dir.“ Genervt schaute Milchpfote ihn an. „Oh, entschuldige. Was hast du gesagt?“ Kichernd stupste Ahornpfote ihren Bruder an. „Ein Flohgehirn ist unser Hauskätzchen also auch noch.“ „…“ „Ja, finde ich auch.“ Lachend verspeiste sie den letzten Rest ihrer Beute. Milchpfote ignorierte Ahornpfotes Lachen und wiederholte betont langsam, was sie gerade gesagt hatte. „Ich sagte, dass Schwarzstern heute Abend verkünden wird, wer ihn zur Versammlung begleiten wird. Heute Nacht ist Vollmond, da treffen sich alle vier Clans auf der Spitze des Heiligen Bergs, der alle vier Territorien miteinander verbindet. Nur eine Pfote voll Krieger dürfen aus jedem Clan mitkommen.“ „Milchpfote hofft jedes Mal, dass Haselschweif sie mitnehmen wird.“ Feixend duckte Fleckenpfote sich unter ihrem Pfotenhieb weg. „Ist doch so. Schüler werden nur selten mitgenommen. Meistens ist es eine Belohnung für besonders gutes Verhalten. Von uns war noch niemand dabei.“ Neugierig ließ Sturm seinen Blick über die verschiedenen Clankatzen schweifen. Rosentau saß zusammen mit ihrem Sohn Blaukralle und dessen Gefährtin Zimtfeder nahe des Eingangs. Unweit von ihnen lagen Eisbart, Schneeflügel und Herbstwolke im Schnee und teilten ihre karge Ration der Frischbeute unter sich auf. Kieselpelz und Herbstfleck streiften umher und Blaufell lag am Rand und döste in den spärlichen Sonnenstrahlen, die durch die graue Wolkendecke drangen. Obwohl der Clan Hunger litt, war Blaufell gut gepolstert, beinahe speckig, was Sturm irritierte. „Alles nur dickes Fell“, betonte der alte Krieger wiederholt, lachte dann und flüchtete sich in seine Tagträume. Wenn Sturm es nicht besser wüsste, würde er Blaufell als den Prototypen des faulen Hauskätzchens sehen, nur dass der Krieger schon sein ganzes Leben im FeuerClan verbrachte. Mit Einbruch der Dämmerung trat Schwarzstern aus seinem Bau und nahm auf dem Felsvorsprung Platz. „Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“ Sogleich kamen die Katzen des FeuerClans zusammen und verteilten sich unterhalb des Vorsprungs. Selbst Falkenherz, die Älteste, verließ ihren Bau und begrüßte ihren Sohn Haselschweif mit einem zärtlichen Lecken des Ohrs. „Heute bei Mondhoch werden mich sieben Mitglieder unseres Clans zur Versammlung begleiten.“ Schwarzstern ließ sich Zeit und schaute jedem einzelnen Mitglied des Clans ins Gesicht, selbst Sturm. „Haselschweif, Schneeflügel, Eisbart, Rosentau, Blaukralle, Rindenpfote und Milchpfote, versammelt euch zu gegebener Zeit am Eingang des Lagers.“ Sein Nicken beendete die kurze Zusammenkunft und der Clan verstreute sich quer über das Lager. Milchpfotes Brust schwoll vor Stolz an. „Ich darf mit!“ „Glückwunsch!“ Fleckenpfote strahlte sie an. „Ich freue mich für dich. Das bedeutet bestimmt, dass du bald eine Kriegerin wirst.“ Milchpfote drehte sich zu Ahornpfote und Rindenpfote um. Ahornpfote sah enttäuscht aus und Rindenpfote … war einfach Rindenpfote. Er schien diese Ehre anzunehmen, ohne sich etwas dabei zu denken. „Was hast du getan, um die Auswahl zu verdienen?“, fragte Milchpfote ihn. „Er ist der beste Kletterer im ganzen Clan“, antwortete Ahornpfote für ihn. Die Traurigkeit, die sie bis gerade überkommen hatte, schien wie weggeblasen. „Nicht wahr, Rindenpfote?“ „…“ „Rosentau und Eisbart sind beide davon überzeugt, dass er schon bald ebenfalls die Kriegerprüfung ablegen kann.“ Seine Schwester erzählte davon, als würde es um sie selbst gehen. „Ach, ist das so? Davon hat Eisbart mir gar nichts erzählt.“ Milchpfote musterte Rindenpfote. Es musste ihr schwer fallen, dass ein Schüler, der zwei Monde jünger war als sie, womöglich noch vor ihr zum Krieger ernannt wurde. „Dann werden wir wahrscheinlich gemeinsam die Prüfung ablegen.“ „…“ „Kann schon sein“, plapperte Ahornpfote munter weiter. „Und wer weiß, vielleicht sind wir dann auch zu dritt. Ich werde jeden Tag noch härter trainieren, damit Eisbart mich ebenfalls für würdig befindet.“ Mit einem kessen Augenzwinkern in Richtung Milchpfote und Sturm verkroch sie sich mit Rindenpfote in den Schülerbau, um ihm dort die Zunge zu geben und über die bevorstehende Versammlung zu reden. „Ahornpfote und Rindenpfote sind toll“, sagte Fleckenpfote schwärmerisch. „Herbstfleck ist so unendlich stolz auf die beiden. Den beiden liegt das Kriegerdasein einfach im Blut.“ „Und uns etwa nicht?“, erwiderte Milchpfote gereizt. „Mäusehirn. Sobald ich die Prüfung ablege, werde ich eine Kriegerin sein, daran besteht kein Zweifel.“ Fleckenpfote gähnte. „Daran besteht wirklich kein Zweifel. Niemand befolgt die Ausbildung so akkurat wie du.“ Mit einem Seitenblick auf Sturm fügte er hinzu: „Wir müssen uns wohl eher Gedanken um das Hauskätzchen machen.“ Diese Worte trafen Sturm mitten ins Herz. Währen der letzten Woche hatte er sich an das Leben im Clan gewöhnt und fühlte sich tausend Mal wohler als bei den Zweibeinern. Er hatte zusammen mit Milchpfote und Fleckenpfote gelacht, stundenlanges Jagen durchlitten und war an ihrer Seite durch Schnee und Eis gelaufen, doch nun fühlte er sich nicht mehr wie ein gleichwertiger Freund, sondern wieder zum Hauskätzchen degradiert. Wütend drehte er ihnen den Rücken zu, marschierte in den Schülerbau und vertrieb dabei Ahornpfote und Rindenpfote. Sollten sie doch alle glauben, dass er nur ein dummes Hauskätzchen war. In ihm steckte der FeuerClan, das spürte er mit jeder Faser seines Körpers – und das würde er ihnen schon noch beweisen. *** Eine Woche reichte ganz offensichtlich noch lange nicht aus, um von den Katzen des FeuerClans akzeptiert zu werden. Sturm war mitten in der Nacht wach geworden, als sich Rindenpfote und Milchpfote gemeinsam mit Schwarzstern, Haselschweif und den ausgewählten Kriegern auf den Weg zur Versammlung aller vier Clans gemacht hatten, war dann jedoch schnell wieder eingeschlafen. Im Morgengrauen wachte Sturm auf und stellte fest, dass die anderen Schüler bereits alle auf den Pfoten waren. Er gähnte, streckte jedes Bein einzeln und trottete dann nach draußen. Vor dem Bau begrüßte ihn Milchpfote mit einem höflichen Nicken; neben ihr saß ihr Mentor Haselschweif. Fleckenpfote und Eisbart kamen gerade dazu. „Gut, dass du wach bist“, sagte Eisbart, setzte sich aber gar nicht erst hin. „Wir vier sind diesen Morgen für die Jagd eingeteilt, du wirst uns begleiten. Lass uns keine Zeit verlieren, der Clan hat Hunger.“ Sturm ließ sich die erste Hälfte der Strecke zurückfallen, holte dann aber wieder auf, weil er beschlossen hatte, dass er den anderen sein Jagdtalent zeigen würde. Die würden schon sehen, dass er es drauf hatte. „Wie war es bei der Versammlung?“, hörte er Fleckenpfote Milchpfote fragen. Der junge Kater hatte seine Ohren neugierig in ihre Richtung aufgestellt. „Waren viele aus den anderen Clans da?“ Kam es Sturm nur so vor oder schwellte Milchpfotes Brust gerade vor Stolz auf die doppelte Größe an? „Natürlich habe ich die anderen Clans gesehen“, antwortete sie gönnerhaft, als wäre es das Normalste auf der Welt. „Silberstern ist so schön, wie immer alle sagen. Ihr Fell glänzt im Mondlicht, als wäre es aus dem Silbervlies am Nachthimmel gemacht.“ „Wow …“ Träumerisch hing Fleckenpfote seinen Gedanken nach und konzentrierte sich erst wieder auf Milchpfote, als er über eine Wurzel stolperte und sein Mentor ihn zu mehr Vorsicht beim Laufen ermahnte. „Sagt man nicht auch, dass sie Mondsterns Schönheit in nichts nachsteht?“ „Ich kann es verstehen“, meinte Milchpfote und auch in ihrer Stimme schwang eine ordentliche Portion von Bewunderung mit. Da hielt Sturm es nicht länger aus. Mit zwei schnellen Sprüngen war er an der Seite der beiden Schüler und drehte neugierig den Kopf in ihre Richtung. „Wer sind Silberstern und Mondstern?“ Fleckenpfote seufzte. „Silberstern ist die Anführerin des WasserClans. Ihre Großmutter, Mondstern, war die einzige Einzelläuferin, die es jemals geschafft hat in den WasserClan aufgenommen zu werden. Noch heute erzählt man sich Geschichten über sie, weil sie den WasserClan vor einem Dachsangriff beschützt hat. Deshalb wurde sie damals erst zur Zweiten Anführerin ernannt. Außerdem soll sie so schnell wie der Wind gewesen sein und ihr Fell so strahlend schön wie der Mond. Sie führte ihren Clan mit Warmherzigkeit und Güte. Schwarzstern hat sie wohl noch gekannt, aber sie starb, als er gerade zum Krieger ernannt wurde.“ „Mit Sicherheit wird die Hälfte aller Geschichten über sie erfunden sein.“ Milchpfote verzog das Gesicht. „Und Silberstern hat kein bisschen ihrer Warmherzigkeit und Güte.“ „Stimmt.“ Fleckenpfote kicherte leise. „Silberstern ist einfach nur streng. Jeder weiß, dass sie den WasserClan mit eiserner Pfote regiert.“ „Genug davon“, knurrte Eisbart genervt. „Ihr vertreibt uns noch das bisschen Frischbeute, das vorhanden ist.“ Alle drei verstummten augenblicklich und verteilten sich nahe des Bachufers an der Grenze zum ErdClan. Da diese Blattleere so hart war, hatte sich auch die Beute zurückgezogen und es gab nur noch wenige Stellen im FeuerClan-Territorium, an dem man überhaupt etwas fangen konnte. Eine dieser Stellen war das Bachufer, an dem sie nun ihr Glück versuchten, doch zur Enttäuschung aller fiel ihre Ausbeute sehr karg aus. Bis zur Mittagszeit waren nur Milchpfote und Haselschweif jeweils eine Maus über den Weg gelaufen und Eisbart hatte auf dem Eis eine Meise erlegt. „Davon werden wir aber nicht alle satt“, kommentierte Sturm hungrig und erntete dafür sogleich einen bösen Blick von Eisbart. „Königinnen, Älteste und Heiler zuerst, das solltest du doch so langsam begriffen haben.“ Sturm duckte sich unter den harschen Worten sofort weg. Er, Sturm, der ach so große Jäger, hatte keinen Beitrag für den Beutehaufen im Lager geliefert. Eisbart hatte Recht, er war noch weit davon entfernt, dass er das Gesetz der Krieger und das Leben im Clan verinnerlicht hatte. Aber er würde nicht aufgeben, bis dem so war. *** Sturms Atmung war im Gleichklang mit seinen Bewegungen, doch sein Herz schlug vor Anspannung schnell. Sein Blick war auf die Drossel fixiert, die seelenruhig zwischen den Bäumen im Schnee scharrte und nach den letzten roten Beeren des Busches suchte, der sich dazwischen erstreckte. Das blaue Gefieder am Kopf wurde immer mal wieder aufgeplustert, dann huschte der rotbraune Körper umher und der Vogel stürzte sich auf die nächste Beere. Nur noch wenige Fuchslängen. Ein kleiner Schritt. Noch einer. Sturm duckte sich so tief in den Schnee, wie er nur konnte, sodass sein graues Fell mit der tristen Winterumgebung und den dunklen Baumstämmen zu verschmelzen schien. Ob Eisbart ihn beobachtete? Vorhin war er noch in der Nähe gewesen. Oh wie würde er staunen, wenn Sturm ihm einen Vogel brachte! Noch ein Schritt. Sturm atmete ein. Aus. Wieder ein. Er spannte die Muskeln zum Sprung, doch in genau diesem Augenblick bemerkte ihn der Vogel und flatterte panisch auf. Sturm sprang, doch seine ausgefahrenen Krallen verfehlten die Flugbahn um einige Schnurrhaarlängen. Frustriert rollte er im kalten Schnee herum, stand wieder auf, schüttelte sich das Fell ab und begegnete dabei den Blicken von Eisbart und Milchpfote, etwas weiter daneben standen Rosentau und ihr Sohn Blaukralle. Rosentaus grüne Augen ruhten auf Sturm und als sie seine Niederlage bemerkte, zuckten ihre Mundwinkel amüsiert nach hinten. „Sieh an, sieh an, sieh an. Die Zweibeiner-Missgeburt will das Fliegen lernen.“ Blaukralle zischte lachend. „Such dir lieber etwas, was deinem Kaliber entspricht, Hauskätzchen. Lass mich kurz überlegen. Wie wäre es mit einer Schnecke? Oder ist dir auch die noch zu schnell?“ Sturm sträubte sein Fell und gab ein leises Knurren in Blaukralles Richtung ab, das der Kater mit dem dichten, einheitlich blauen Fell sofort durch ein lauteres, drohenderes Knurren quittierte. „Das reicht“, sagte Eisbart ruhig, doch als er Sturm einen Seitenblick zuwarf, lag darin eindeutig eine Warnung. Er setzte sich zwischen die beiden Parteien und schaute zu dem Busch. „Dafür, dass du ein Hauskätzchen bist, hast du dich nicht schlecht angestellt.“ Und mit Blick auf Blaukralle und Rosentau fügte er hinzu: „Selbst wir Clan-Katzen haben keine einhundertprozentige Trefferquote, nicht wahr?“ Rosentau ging darauf nicht ein. Stattdessen gesellte sie sich in einer eleganten, fließenden Bewegung neben Eisbart. „Eisbart, mein Lieber, es gehen Gerüchte im Clan um, dass unser kleines Hauskätzchen hier den Anforderungen der Jagd bei Weitem nicht gewachsen ist. Ich wollte mich nur persönlich davon überzeugen, immerhin bin ich eine der Hauptverantwortlichen für die Jagdpatrouillen. Das sollte keinesfalls eine Kritik an deinen Mentorenfähigkeiten sein.“ Sie leckte sich in einer dramaturgischen Pause grazil über die linke Vorderpfote und ließ ihren Blick über Eisbart hinweg bis zu Milchpfote wandern. „Wobei es durchaus verwunderlich ist, dass ausgerechnet dein Fleisch und Blut mit zwölf Monden noch immer nicht zur Kriegerin ernannt wurde.“ Sowohl Eisbart als auch Milchpfote spannten sich unwillkürlich unter dem prüfenden Blick der Katzendame an. In diesem Augenblick erkannte Sturm, dass Rosentau ihrem Namen alle Ehre machte. Sie war so wunderschön wie eine blühende Rose, doch ihr Charakter glich eher den stechenden Dornen. Er hatte schon mitbekommen, dass viele Rosentau als die schönste Katze im Clan bezeichneten. Das leuchtende Grün ihrer Augen machte selbst der saftigsten Sommerwiese Konkurrenz und ihr braungetigertes Fell war seidig und glatt. „Oh, ich wollte dich nicht verärgern, mein Lieber.“ Rosentau erhob sich wieder und schaute Milchpfote betont nachdenklich an. „Ich habe mich nur gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Schwarzstern dich zum Mentor deiner Tochter ernannt hätte. Du hättest aus ihr schon längst eine vollwertige Kriegerin gemacht. Ich bin mir sicher, dass sie dein Talent geerbt haben muss, so wie auch Blaukralle nach mir kommt. Blaukralle, mein Lieber, in welchem Alter bist du noch gleich zum Krieger ernannt worden?“ Ihr Sohn streckte die stolzgeschwellte Brust heraus. „Mit acht Monden, Mutter.“ „Acht Monde.“ Rosentau ging herüber zu Blaukralle und leckte ihm stolz über den Kopf. „Gemeinsam mit Fuchsauge ist er der jüngste Krieger, den der FeuerClan je hatte. Nichts geht über das reine Blut eines talentierten FeuerClan-Mitglieds. Aber ich will dich nicht länger aufhalten, Eisbart. Viel Erfolg noch mit dem Hauskätzchen, mein Lieber.“ Sturm sah zu, wie die beiden zwischen den Bäumen verschwanden, dann sprang er aufgebracht im Kreis herum und stapfte breitbeinig zu Eisbart herüber. Auch Milchpfote ging zu ihm. „Sie ist eine falsche Schlange“, zischte Sturm und sein Schwanz glich einer buschigen Klobürste. „Wieso hast du dir das von ihr gefallen lassen? Sie hat dich vorgeführt, Eisbart!“ Der ältere Kater starrte Rosentau ebenfalls finster hinterher, schüttelte dann jedoch den Kopf. „Rosentau und Blaukralle sind dem FeuerClan treu ergeben. Sie meint nicht böse, was sie sagt.“ „Da bin ich anderer Meinung“, knurrte Sturm noch immer aufgebracht und schüttelte sich. „Sie musste dir unter die Nase reiben, dass Blaukralle ihr Vorzeigesohn ist.“ Dann, nach kurzem Zögern, fragte er etwas kleinlauter: „Ist er wirklich so toll, wie sie gesagt hat?“ Eisbart seufzte. „Ich fürchte ja. Fuchsauge, Schwarzsterns einziger Nachkomme, war ein sehr angesehener und talentierter Krieger. Er vergötterte Rosentau und sie ihn. Die beiden bekamen zwei Kinder, Apfelpelz und Honigblüte, aber kurz nach ihrer Geburt verstarb Fuchsauge. Rosentau hatte immer gehofft, dass ihre Kinder in Fuchsauges Pfotenstapfen treten würden, aber … Nun ja, du weißt ja, wie Apfelpelz ist. Kommt er heut‘ nicht, kommt er morgen. Er war eine einzige Enttäuschung für Rosentau. Dann wurde Honigblüte zur Heilerschülerin ernannt. Ich glaube, Rosentau hätte sich etwas Anderes für ihre Tochter gewünscht, aber sie gibt sich damit zufrieden, weil Heiler ebenfalls in allen Clans angesehen sind. Trotzdem war ihr Wunsch nach einem Nachkommen, der eines Tages Anführer des Clans werden könnte, unerfüllt. Also suchte sie sich den nächstbesten Kater und Blaufell, der sie schon lange anhimmelte, fiel auf sie herein. Blaukralle wurde geboren und Rosentau erzog ihn vom ersten Atemzug zu dem Sohn, den sie sich mit Fuchsauge gewünscht hätte. Man mag davon halten, was man möchte, aber Blaukralle ist tatsächlich überaus talentiert, engagiert und zielstrebig. Niemand im Clan wird etwas Schlechtes über ihn sagen.“ Schweigend hatte Sturm dieser Geschichte gelauscht. Er verstand, dass Rosentau stolz auf Blaukralle war, trotzdem konnte er die beiden nicht leiden. „Wenn Blaukralle in seinem Wurf alleine war, kann sein Blut aber nicht so super sein, wie Rosentau behauptet.“ Überrascht blickte Eisbart ihn an. „Wie meinst du das?“ Sturm knetete den Boden mit seinen flauschigen Pfoten durch. „Na ja … Meine Mutter hat mir das mal erklärt. Wenn man sich immer nur mit dem gleichen Pool an Blut verpaart, leidet irgendwann die Qualität der Würfe darunter. Aus diesem Grund haben ihre Zweibeiner sie immer zu weit entfernt lebenden Katern gebracht, wenn sie Nachwuchs bekommen sollte. Je durchmischter das Blut ist, desto gesünder und kräftiger sind die Jungen, auch wenn es natürlich trotzdem mal schlechte Würfe geben kann.“ „Interessant, aber durchaus möglich.“ Eisbart nickte. „Schwarzstern ist eine HalbClan-Katze, weißt du? Seine Mutter stammte aus dem ErdClan, sein Vater aus dem FeuerClan. Da so eine Verbindung nicht geduldet wird, wurden seine Eltern ausgestoßen, aber sein Bruder Grauwolke und er durften bleiben. Grauwolke wuchs im ErdClan auf, Schwarzstern bei uns im FeuerClan. Sowohl Grauwolke als auch er sind kräftig und gesund. Soweit ich gehört habe, hat Grauwolke sogar einen Wurf mit fünf Nachkommen gehabt.“ „Weil sie gemischtes, gesundes Blut hatten“, stimmte Sturm zu. „Interessant“, wiederholte Eisbart. „Darf ich fragen, wie viele Geschwister du hattest?“ „Ich hatte fünf Brüder und zwei Schwestern, aber ich war der Älteste.“ „Zu acht?“ In Eisbarts Blick schwang eine Mischung aus Überraschung und Respekt mit. „Überaus interessant“, sagte er nun schon zum dritten Mal und murmelte noch einige Dinge vor sich hin, ehe er Milchpfote, die die ganze Zeit mit gesenktem Kopf ihren eigenen Gedanken nachgehangen hatte, und Sturm zurück zum Lager schickte. Den ganzen Rückweg über wurde Sturm das Gefühl nicht los, dass das, was er Eisbart erzählt hatte, in irgendeiner Form wichtig war und seinen Weg zu Schwarzstern finden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)