Sterben nach Wunsch von KiraNear (Path of Amy) ================================================================================ Kapitel 1: Drei/Eins -------------------- „Guten Tag, meine Herren, schön, dass sie so schnell vorbeikommen konnten …“ Die freundlichen Worte seines Gastgebers ignorierend schob sich Sherlock an ihm vorbei, John versuchte sein Verhalten mit ein paar entschuldigenden Blicken zu rechtfertigen. Verwirrt, ob er irgendeinen Fehler gemacht hatte, sah er zwischen Sherlock und Inspektor Lestrade hin und her. „Denken Sie sich nichts, das ist … normal. Nun, lassen Sie uns doch erst mal hinein und Sie erzählen uns genau, was passiert ist.“, meinte Lestrade als einen kleinen Versuch, die Situation ruhig zu behalten. „Selbstverständlich“, murmelte der Mann und führte Lestrade in sein Wohnzimmer, in welchem Sherlock und John sich bereits umsahen. Sherlock auf der Suche nach ein paar ersten Hinweisen und Indizien; John betrachtete eher die faszinierende Innendekoration des Zimmers. „Sie … haben einen schönen Geschmack, Mr. …“ „North, danke schön. Meine Frau hat das hier alles gemacht, sie kann das viel besser als ich. Sie ist die Kreativere und Belesenere von uns beiden. Kann ich Ihnen etwas zum Trinken anbieten? Ich müsste nur mal eben die Gläser raussuchen. Normalerweise macht das meine Frau, wenn wir Besuch empfangen …“ Freundlich wiesen sie sein Angebot ab, Mr. North schloss die Türe hinter ihnen. Seufzend wies er auf seine Sofaecke, auf welche sich alle mit Ausnahme von Sherlock niederließen. Dieser suchte die Terrassentür nach möglichen Einbruchsspuren ab, wurde jedoch nicht fündig. „Also, Sie haben uns angerufen, weil ihre Frau verschwunden ist. Erzählen Sie uns doch, was genau passiert ist, Mr. North. Keine Angst, wir sind hier, um ihnen zu helfen.“ Lestrade setzte sein freundlichstes Lächeln auf, wie immer, wenn er versuchte, Angehörige von Vermissten oder Ermordeten zu beruhigen. Mit einem nicht ganz so freundlichen Ton schnitt ihm Sherlock das Wort ab. „Erzählen Sie uns alles, auch die kleinsten Details, die Sie als unwichtig erachten. Viele Menschen haben … Schwierigkeiten, das zu erkennen und konzentrieren sich dabei auf die falschen Dinge. Die, auf die es letztlich ankommt, denen schenken sie keinerlei Beachtung.“ Dabei nahm er seinen Blick nicht vom Türrahmen, mit der Lupe versuchte er eventuell übersehene Spuren zu finden. „Was Sherlock Holmes auf seine freundliche Art versuchen will zu sagen, ist: Wenn Ihnen irgendetwas einfällt, was eventuell doch mit diesem Fall hier zu tun hat, dann lassen Sie es uns umgehend wissen. Aber erst einmal möchte ich die Geschichte von Anfang an hören. Sagen Sie, wann ist Ihre Frau verschwunden?“ Lestrade betrachtete dabei Sherlock mit seinem Strengen-Vater-Blick, was wie üblich keine Reaktion auf diesen hatte.   Der Mann räusperte sich, nahm einen Schluck aus seinem Whiskeyglas und stellte es grob auf dem Tisch ab. „Es war vor etwa zwei Tagen. Meine Frau kam etwas früher von der Arbeit nach Hause, da sie noch an einem Bericht arbeiten musste. Sie arbeitet in einer größeren Buchhandlung, müssen Sie wissen und ist dort auch für den Social Media Bereich zuständig. Sie kümmert sich um die Facebookpage und den Twitteraccount der Buchhandlung, ebenso aktualisiert sie den Block und berichtet meist von britischen Autoren oder Buchmessen in ganz Europa. Er ist sehr beliebt, wenn auch nicht so sehr wie der Ihre, Herr Watson.“ Johns Wangen liefen rosarot an und ließ den Mann durch Augenkontakt wissen, dass dieser lieber weitererzählen wollte. „Jedenfalls hatte sie mich angerufen, um mir Bescheid zu geben, dass ich den Einkauf für sie übernehmen müsste; sie würde nicht mehr dazu kommen. Als ich dann am Abend zurückkam, war sie nicht hier. Ich dachte zuerst, sie wäre doch zum Einkaufen gegangen und noch unterwegs. Allerdings konnte ich sie nicht am Handy erreichen und sie hat mir auch keinen Zettel hinterlassen wie sonst immer, wenn sie rausgegangen war. Sie hat mir auch keine SMS geschrieben oder mir sonst irgendwie eine Nachricht hinterlassen. Als sie dann nach ein paar Stunden immer noch nicht zurückkam, habe ich mir Sorgen gemacht. Auch hat sie ihren Laptop offenstehen gelassen, was sie sonst auch nicht macht. Weswegen ich dachte, sie wäre wirklich nur kurz weggegangen … erst habe ich es in der Nachbarschaft versucht, aber da hat leider auch niemand etwas von ihr gesehen oder gehört. Ich mache mir Sorgen, dass etwas mit ihr passiert sein könnte. Einfach so zu gehen, das ist nicht ihre Art.“ Lestrade, der sich ein paar Notizen dazu machte, sah zu ihm auf. „Haben Sie sich auch schon bei Freunden von Ihnen erkundigt? Bei Verwandten, Arbeitskollegen?“ Nahezu verzweifelt nickte der Mann, mit den Tränen kämpfend versuchte er die Fassung zu bewahren. „Ja, das habe ich. Allerdings ohne Erfolg. Niemand von ihnen konnte mir weiterhelfen, niemand von ihnen wusste, was mit ihr passiert ist. Weswegen ich bei der Polizei angerufen habe – bitte, findet meine Frau!“   Lestrade nickte, während er sich weitere Notizen machte. Gleichzeitig machte er sich seine Gedanken, ein besorgter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Sagen Sie … wo war ihre Frau in diesem Haus, bevor sie … verschwunden ist?“, fragte er vorsichtig nach. Mit seinem Blick folgte er dem Finger des Mannes, der auf den Nebenraum deutete. „Ich würde sagen, Sie saß an ihrem Laptop und hat wohl an der Rohfassung ihres nächsten Blogeintrags gearbeitet. Zumindest hat sie die letzten Wochen das wohl übernommen, also ging ich davon aus, dass sie es an dem Abend ebenfalls getan hat.“ Er reichte ihm ein Notizbuch, gefüllt mit Zetteln, Notizen und Skizzen über Neuerscheinungen, möglichen Kinoplakaten zu zukünftigen Buchverfilmungen und Autorentermine in der Filiale. Ein wenig blätterte Lestrade darin, suchte die Antwort und wurde nicht fündig. „Ist Ihnen bei Ihrer Frau irgendwas Ungewöhnliches aufgefallen? Hat sie irgendetwas Unnormales gesagt oder getan? Oder sich sonst irgendwie auffällig verhalten, wissen Sie da etwas?“ Ahnungslos schüttelte er den Kopf, was Lestrade aufseufzen ließ. Er merkte schon, dass der Fall für ihn wohl nicht so leicht werden würde wie erhofft. Doch dann fiel ihm ein, dass er nicht alleine hier im Haus der verschwundenen Frau stand. Dass sich Sherlock Holmes zusammen mit Dr. Watson hier befand. Und auch, warum er ihn überhaupt zum Mitkommen hatte bewegen können. „Nun, Mr. North, Sie haben am Telefon angegeben, dass Sie einen der Striche in ihrem Badezimmer gefunden haben … könnten wir den Strich bitte sehen? Könnten Sie ihn mir und Mr. Holmes zeigen?“ „Natürlich, sofort – wenn Sie mir folgen würden?“ Mit zittrigen Schritten ging Mr. North voran, die drei folgten sie ihm die Treppe hinauf ins eheliche Badezimmer. John, der den anderen stumm folgte, bekam ein ungutes Gefühl. Er begleitete Sherlock oft zu irgendwelchen Tatorten. Doch diese waren immer von Tod und Einsamkeit geprägt. Es kam ihm dabei so vor, als wäre nicht nur aus dem Opfer alles Leben gewichen, sondern auch aus der Umgebung, den Wänden, den Gegenständen. Jetzt war er allerdings im Lebens- und Wohnbereich eines noch lebendigen Menschen, der mitten aus seinem Alltag gerissen wurde. Der nun irgendwo dort draußen saß und darauf wartete, dass er wieder nach Hause gehen konnte. John schüttelte den Kopf, doch er wurde das Gefühl nicht los, nichts weiter als ein Einbrecher zu sein. Wie auch das Gefühl, in diesem Moment beobachtet zu werden. Das Gefühl, als wäre seine Anwesenheit an diesem Ort nicht erwünscht …   Erst als Sherlock ihm direkt in die Augen sah, konnte er seine Gedanken wieder auf die Wirklichkeit fixieren. Sein scharfer Blick durchbohrte den seinen, durchsuchte seine Seele und sein Herz. Wie immer bin ich ein offenes Buch für ihn … Beschämt brach er den Augenkontakt ab, der ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war. Er folgte Sherlock zum Ende des Flurs, wo sich Lestrade zusammen mit dem Ehemann den Kopf zerbrach. Das Objekt ihrer Überlegung war ein armdicker Strich, welcher quer über die kompletten Fliesen oberhalb der Badewanne angebracht war. Hier und da war die Farbe heruntergeflossen; und stach im Gegensatz zur restlichen Farbgebung mehr als heraus. Lestrade, Holmes und Watson betraten das Bad, Mr. North musste dagegen vor der offenen Badezimmertüre auf sie warten. „Es ist wie bei den beiden Mordfällen, für die mein Kollege zuständig ist. Auch dort fand man bei den Leichen solche roten Striche, wobei sie etwas anders aussahen. Er hat mich mal zu meiner Meinung dazu gefragt, aber für mich sieht es nur aus wie ein schlechtes Graffiti. Was mich aber wundert, ist, warum jetzt hier auch einer dieser Striche ist … immerhin haben wir diese Information bisher noch nicht an die Presse weitergegeben. Und hier ist auch weit und breit keine Leiche. Was meinen Sie, hängt das zusammen? Wenn ja, was ist der Zusammenhang?“ Sherlock schwieg sich aus; konzentrierte sich auf den Strich vor sich und weniger auf Lestrades Worte. „Sie sagten, bei den anderen Tatorten gab es auch solche Striche? Wie sahen sie aus?“ „Nun, sie hatten in etwa die gleiche Breite und die gleiche Farbe wie diese hier, nur waren es bei den anderen Tatorten mehr. Sie sahen ein wenig anders aus … hat das irgendeine Bedeutung, Sherlock?“ Der Meisterdetektiv trat nahe an den Strich heran; bekam dadurch allerdings keine neuen Erkenntnisse. „Nun, es wäre zuerst einmal hilfreich, etwas mehr über die anderen Mordopfer und die Striche zu wissen. Wer sie waren; ob sie davor auch verschwunden sind und warum sie letztendlich gestorben sind. In jedem Fall gibt es eine Gemeinsamkeit und die, die muss ich hier finden …“ Mr. Norths Gesicht wurde leichenblass, erschrocken taumelte er ein wenig zurück und hielt sich am Waschbecken fest. „Sie meinen also, meine Frau wurde entführt, nur um dann anschließend umgebracht zu werden.“ „Ja, das meine ich“, erklärte Sherlock mit ruhiger Stimme. „Wir müssen nur noch herausfinden, ob die anderen Opfer ebenfalls entführt wurden. Da der Täter nachweislich keine Abweichungen in seinen Ausführungen mag, nehme ich an, dass es bei Opfer eins und Opfer zwei das gleiche Vorgehen gab wie hier. Auf jeden Fall ist es wichtig zu wissen, wie lange er seine Opfer am Leben ließ und schon haben wir unseren Countdown, bis es auch Nummer drei nicht mehr gibt.“ Schniefend vergrub Mr. North sein Gesicht im nächstbesten Handtuch, den Namen seiner Frau murmelnd. „Sherlock, das war nicht passend“ zischte ihm John leise zu und erntete dafür nur einen unverständlichen Blick. „Ich habe doch nur gesagt, wie es im Moment aussieht …“, rechtfertigte er sich. „Kann sein, aber das kann man auch etwas weniger blutig machen. Nicht jeder ist eine emotionale Eiswand wie du, Sherlock!“ Sherlock rümpfte die Nase, schluckte jedoch jegliche Bemerkungen dazu hinunter. Dafür drehte er sich zu seinem Klienten um und klopfte ihm unbeholfen auf die Schulter. „Nun, aber wir schauen natürlich, dass wir Ihre Frau vorher finden. Lebendig und im Ganzen“, fügte er noch hinzu, bevor er von John aus dem Badezimmer hinaus gezerrt wurde. Gleichzeitig beendete Lestrade sein Telefonat, für das er sich heimlich aus dem Bad geschlichen hatte und ging lächelnd auf Sherlock zu. „Nun, ich habe mit meinen Vorgesetzten geredet: Wir sind mit in die Mordfälle involviert. Sie können sich also glücklich schätzen, Sherlock. Nur die Sache hat einen Haken, mit dem sie nicht ganz zufrieden sein werden.“ „Was ist es, wurde der Tatort schon gesäubert?“, fragte er gereizt. „Nein … nur aus einem mir unbekannten Grund hatte sich mein Kollege Anderson für seine Tatortermittlungen ausgeliehen.“ Sherlock, der sich nun mehr um die Nützlichkeit der Tatorte fürchtete, stöhnte genervt auf. „Nicht Anderson! John, wir dürfen keine Zeit verlieren, möglicherweise ist bereits zu viel kaputt, als dass es hilfreich wäre!“ Wie vom Blitz getroffen, schnappte er sich dessen Hand und stürmte die Treppe hinunter in Richtung Ausgang, ohne auf Lestrade zu warten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)