Bloß nicht Slytherin! von SeKaYa (Löwen in der Schlangengrube) ================================================================================ Prolog: -------- Harry fragte sich, ob es ihm vielleicht im nächsten Jahr vergönnt wäre, die Auswahl mitzuerleben. Im letzten Jahr hatte er sie verpasst, da er mit Ron in einem fliegenden Auto nach Hogwarts geflogen war. Zumindest würde er dieses Jahr das Festessen nicht verpassen – und dieses Jahr hatte er auch nicht die Auswahl von jemandem, den er kannte, verpasst.   Er und Hermine versuchten, sich möglichst unauffällig an ihre Plätze am Gryffindortisch zu begeben, aber es war ihnen nicht vergönnt. Wäre es nur Hermine gewesen, hätten sie vielleicht weniger Blicke auf sich gezogen, aber offenbar hatte sich Harrys Ohnmachtsanfall weit herumgesprochen. Zum Glück hatte Ron ihnen ein paar Plätze freigehalten, so dass sie nicht nach Sitzplätzen suchen mussten.   "Was war los?", fragte Ron, aber bevor Harry ihm die Erklärung zuflüstern konnte, erhob sich Dumbledore.   Er verstummte, als der Schulleiter zum Sprechen ansetzte. Es schien, als würde auch dieses Jahr nicht ganz so normal werden, wie Harry es sich erhofft hatte. Dementoren, die rund um die Schule postiert waren, waren wirklich das letzte, was er gebrauchen konnte. Einer allein hatte bereits gereicht, um Harry in Ohnmacht fallen zu lassen. Es wurde zumindest besser, als Dumbledore die neuen Lehrer vorstellte – auf der einen Seite natürlich Professor Lupin, der unscheinbar wirkte, dabei aber fähig zu sein schien. Ganz im Gegensatz zu ihrem vorherigen Lehrer in Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Und dann – Hagrid. Es war eine Überraschung, aber im Nachhinein war es offensichtlich. Ron hatte es bereits gesagt: Nur Hagrid konnte auf die Idee kommen, ihnen beißende Bücher auf die Liste zu setzen.   "Dementoren und zwei neue Lehrer." Harry sah zum Lehrertisch. "Warum habe ich das Gefühl, dass das nicht alles ist?"   Hermine und Ron sahen ebenfalls zum Lehrertisch.   "Bis auf Snapes finstere Miene scheint doch alles normal?" Ron grinste. "Irgendwie gefällt es mir, dass Snape noch angefressener aussieht als sonst. Ich weiß nicht, warum, aber es scheint, als würde Lupin ihn noch mehr ärgern als Lockhart."   Harry nickte. Snape sah mit einem Blick, den er normalerweise für Harry reserviert zu haben schien, quer über den Lehrertisch. Wenn Blicke töten könnten, dann würden sie bereits einen neuen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste benötigen. Vielleicht wäre das ein neuer Rekord, wenn auch kein positiver.   Aber bevor sie weiter darüber sinnieren konnten, erschien das Festessen vor ihnen auf dem Tisch. Trotz aller Ohnmachtsanfälle und Dementoren, Harry fühlte sich ausgehungert. Was auch immer Dumbledore sonst noch zu sagen hatte, es war zweitrangig geworden. Wenn er es nicht sofort erklärte, dann konnte es nicht so problematisch sein, wie es die Dementoren waren. Warum sich also Gedanken machen?   ~*~*~   Als sie am nächsten Morgen zum Frühstück hinunter in die Große Halle gingen, hatte Harry es fast schon wieder vergessen. Vor allem, da in der Großen Halle andere Dinge seine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Da war Draco Malfoy, der mit großer Freude seine Schauspielkünste zum Besten gab – indem er Harrys Ohnmachtsanfall dramatisch nachspielte – und der Rest der Slytherins, der sich köstlich zu amüsieren schien. Das Schuljahr fing ja großartig an.   "Hey", grüßte Rons Bruder George, als Harry sich neben ihn fallen ließ. "Was ist los?"   "Die Slytherins", erklärte Ron und setzte sich gegenüber. "Wer sonst?"   "Ignorier sie", riet George nur und blätterte durch den Stapel Stundenpläne, der ihm gereicht wurde. "Hm, scheint, als wären eure Pläne nicht dabei."   Hermine runzelte die Stirn. "Was soll das heißen, unsere sind nicht dabei?" Sie griff nach dem Stapel und blätterte ihn selbst durch. Aber es blieb dabei: Die Stundenpläne für die Drittklässler waren nicht da.   Harry sah durch die Große Halle. Es schien, als wären sie nicht die einzigen ohne Stundenpläne. Wenigstens das, aber Hermine hatte schon irgendwie recht, wenn sie anfing, sich darüber zu beschweren. Wenngleich Harry es nicht ganz so eng sah, dass sie eine Unterrichtsstunde verpassen könnten, war es doch irgendwie unglücklich. Als er zum Lehrertisch sah, zeigte sich jedoch, dass die Lehrer keineswegs besorgt darüber waren.   Außer, man bedachte die eindeutig unglücklichen Mienen der Hauslehrer. Snape sah so finster drein wie sonst auch, aber McGonagall sah aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Und die vier Lehrer wirkten sich seltsam einig, dass Dumbledore der Schuldige an dieser Misere war.   Besagter Schuldige erhob sich gerade, um ein paar Worte an die Schüler zu richten. "Nach all den Aufregungen gestern hielt ich es für besser, mit dieser Nachricht zu warten. Es ist euch natürlich schon aufgefallen, dass die Stundenpläne der Drittklässler noch nicht verteilt wurden." Er wartete kurz die Zustimmung der Schüler ab, bevor er fortfuhr: "Das liegt darin begründet, dass wir ein neues Projekt ins Leben rufen wollen, dass das Verständnis zwischen den Häusern fördern soll."   Harry sah, wie Snape sich leicht zu seinem Sitznachbarn Flitwick beugte und ihm etwas zuflüsterte. Flitwick sah so wenig begeistert aus wie Snape, was sehr ungewöhnlich war. Was auch immer dieses Projekt war – es sah mehr so aus, als wollte Dumbledore es, und die Lehrer nicht.   "Dieses Projekt wird vornehmlich die Drittklässler betreffen, was die Ausführung betrifft. Für das Gelingen dieses Projekts werden wir jedoch die Hilfe jedes einzelnen benötigen. Um das Verständnis zu fördern, haben wir uns ein System überlegt, durch das jeder die Möglichkeit erhalten soll, die anderen Häuser zu verstehen und kennenzulernen." Dumbledore lächelte in die Runde. "Ich weiß, dass es schwierig wird, aber ich bin zuversichtlich, dass, nachdem wir das Projekt ins Rollen gebracht haben, alle die Erfahrungen, die sie dadurch sammeln können, wertschätzen werden.   Kommen wir zur Ausführung. Um eine möglichst gerechte Methode zu entwickeln und die Machbarkeit im Blick zu behalten, haben wir uns darauf geeinigt, dass die Drittklässler die geeignetste Gruppe für dieses Projekt sind. Dazu werden wir euch per Losverfahren in zwei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe wird bis Mitte Februar den Wechsel vollführen, während die zweite Gruppe dann den Rest des Schuljahrs hat. Die Reihenfolge wird dabei den Durchlauf von Gryffindor, dann Slytherin, Hufflepuff und Ravenclaw vorsehen. Das bedeutet, dass die Gryffindors aus der ersten Gruppe das erste Drittel dieses Zeitraums in Slytherin verbringen werden, die Slytherins in Hufflepuff und so weiter."   Wenn er noch mehr zu sagen hatte, dann wurde es durch das einsetzende Gerede und Gemurmel in der Halle übertönt. Harry konnte es Ron nachfühlen, der lautstark protestierte, aber er brachte keinen Ton hervor. Die Idee allein …! Dumbledore wollte ernsthaft, dass sie für … Wochen nach Slytherin umzogen? Sie würden die erste Nacht nicht überleben. Und überhaupt – sie sollten einen Schlafsaal mit Malfoy teilen? Das war der reinste Wahnsinn.   "Kein Wunder, dass die Lehrer so unglücklich aussehen", bemerkte George neben ihm. Scheinbar konnte er die Sache erstaunlich sachlich betrachten – er war ja nicht direkt betroffen. Vielleicht sah er auch das Streichpotential bei den unfreiwilligen Austauschschülern.   Es gab natürlich noch diejenigen, die weitaus dringendere Fragen hatten: "Was ist mit Quidditch?"   Oliver Woods Stimme übertönte sogar das Gemurmel der Drittklässler am Tisch. Die anderen Gryffindors verstummten und sahen ihn an. Die anderen Mitglieder des Quidditch-Teams hatten nun ähnlich besorgte Mienen aufgesetzt, selbst die Weasley-Zwillinge, die der Sache gelassen entgegengeblickt hatten. Nach Dumbledores Erklärung würde Harry bei mindestens einem Spiel in einem anderen Haus sein – damit brauchte Gryffindor einen neuen Sucher. Und was war mit den anderen Teams? Diejenigen, die keine Drittklässler im Team hatten, würden einen Vorteil gegenüber den anderen  haben!   George machte ein schockiertes Gesicht und schlang die Arme um Harry. "Nein, du kannst uns nicht im Stich lassen!"   Harry schoss die Röte ins Gesicht und er versuchte, sich zu befreien. "Lass das, das ist –"   "Mr. Wood, Sie brauchen sich keine Sorgen machen", übertönte Dumbledore den ausgebrochenen Tumult. "Die Spieler werden für das Training und die Spiele jeweils freigestellt, sofern keine gewichtigen Gründe dafür bestehen, fernzubleiben."   McGonagall beugte sich bei diesen Worten vor und sah hinüber zu Snape, als würde er direkt angesprochen sein. Harry konnte sich das gut vorstellen – Snape würde viele Gründe finden, um Harry vom Quidditchfeld fernzuhalten. Sei es mit Strafarbeiten oder fadenscheinigen Begründungen, wenn es Slytherin einen Vorteil verschaffte, dann würde Snape das in die Tat umsetzen.   "Um die Umstellung in die Wege zu leiten, wird der Unterricht für die Drittklässler heute ausfallen. Dasselbe gilt für den Unterricht in Zaubertränke, Kräuterkunde, Verwandlung und Zauberkunst", fuhr Dumbledore ungerührt fort. "Dadurch können die Hauslehrer ihre neuen Schützlinge sofort in Empfang nehmen und ihnen das Eingewöhnen in ihrem temporären Haus erleichtern."   Snape sah nicht so aus, als würde er irgendwem irgendetwas erleichtern, außer vielleicht den Weg in eine dauerhafte Bleibe auf dem Friedhof. Harry schnitt eine Grimasse. Dumbledore hatte ihnen bereits angedroht, dass die Gryffindors zuerst in Slytherin "zu Gast" sein würden. Er freute sich nicht darauf, in den Kerkern zu wohnen, vor allem nicht umgeben von Malfoy und den anderen Slytherins. Er erinnerte sich an den kurzen Abstecher in den Gemeinschaftsraum der Slytherins im Jahr zuvor und er bevorzugte deutlich die gemütliche Umgebung des Gryffindorgemeinschaftsraums.   Es dauerte nicht lange, da verließen die restlichen Schüler – und Lehrer – die Große Halle. Übrig blieben nur die vier Hauslehrer, Dumbledore und die bedauernswerten Drittklässler. Die Auslosung war eine simple Angelegenheit. Dumbledore hatte zuvor bereits erklärt, dass sie in zwei Gruppen aufgeteilt würden, und die erste Gruppe die ersten Opfer sein würden. Er führte das noch einmal detaillierter aus, aber Harry fühlte sich unfähig, zuzuhören. War es denn nicht genug, dass da draußen ein verrückter Mörder herumlief und rund um die Schule Dementoren postiert waren, die bei Harry Ohnmachtsanfälle auslösen konnten?   "Ich hoffe, wir sind wenigstens in derselben Gruppe", bemerkte Ron düster, als sie zu McGonagall trotteten, um einen Zettel zu ziehen.   Aus den Augenwinkeln sah Harry, dass auch die anderen Häuser sich bei ihrem jeweiligen Hauslehrer einfanden. Ziel des Losverfahrens war es, in jedem Haus zwei gleichgroße Gruppen zu bekommen. Harry hatte den Grund nicht wirklich verstanden, aber das konnte auch daran liegen, dass er sich nicht fähig fühlte, viel mehr aufzunehmen. Rons Worte hatten zudem eine schreckliche Ahnung in ihm aufkeimen lassen. Was, wenn er in einer anderen Gruppe war als Ron und Hermine? Dann würde er das ganze Jahr über allein sein. Sicher, da waren noch die anderen Gryffindors, aber Ron und Hermine waren eben seine besten Freunde.   Er schluckte und griff in die Box mit den Zetteln. McGonagall sah ihn beinahe mitleidig an, aber das war in den letzten Minuten ihr Standardgesichtsausdruck geworden. Harry trat zurück und sah auf den Zettel. Er fühlte sich noch matschiger als er sich bei der Auswahl gefühlt hatte. Er traute sich kaum, nachzusehen.   "Wie ich bereits erklärt habe, wird die erste Gruppe zuerst wechseln", unterbrach Dumbledore Harrys Hadern. "Wenn ihr eure Gruppe gezogen habt, und in der ersten Gruppe seid, dann geht zu eurem neuen temporären Hauslehrer."   Harry schluckte und entfaltete den Zettel. Als hätte er es bereits geahnt, prangte auf dem Zettel eine große, schwarze Eins. So viel zu "Bloß nicht Slytherin". Kapitel 1: ----------- Harry starrte wie betäubt auf den Zettel. Er wagte es nicht, zu Snape hinüberzusehen. Allein der Gedanke, dass Snape von nun an sein Hauslehrer sein würde, selbst wenn es nur ein kurzer Zeitraum war … er bemerkte kaum, wie Ron neben ihm trat, um ihm über die Schulter zu sehen.   "Du bist auch in der ersten Gruppe?" Rons Stimme war eine Mischung aus Erleichterung und Entsetzen.   Harry konnte es ihm nachfühlen. Er war froh, dass er nicht allein sein würde. Aber das war nur ein geringer Lichtblick, wenn er sich die Gesamtsituation ansah: Snape war ihr neuer Hauslehrer. Sie würden sich mit Malfoy einen Schlafsaal teilen müssen. Und da hörte Harrys Phantasie bereits auf, denn wenn er sich wirklich einen Schlafsaal mit Malfoy teilen musste, dann würde er die erste Nacht nicht überleben.   "Komm." Hermine griff nach seinem Arm und zog ihn in Richtung der Slytherins. Offenbar war auch sie in der ersten Gruppe gelandet – wie auch Neville, der weiß wie eine Wand geworden war.   Die Gruppe Slytherins um Snape hatte bereits deutlich abgenommen. Die Slytherins schienen weniger Sorgen zu haben. Vielleicht lag es daran, dass sie nur nach Hufflepuff wechseln würden. Das musste für sie wie Ferien sein, wenn man es mit Snape verglich. Wobei Snape fast schon freundlich zu den Slytherins war – das konnte man von seinen neuen Schützlingen nicht behaupten. Er starrte sie an, als hätten sie ihn persönlich beleidigt, was sie allein schon durch ihre Anwesenheit taten.   "… geht's auch noch langsamer?", ätzte Malfoy, der scheinbar in der zweiten Gruppe gelandet war. Das war natürlich ganz Harrys nicht vorhandenes Glück.   Snape warf Malfoy einen Blick zu, dann sah er mit finsterer Miene auf die vier Neulinge in seinem Haus. "Folgt mir – je eher wir das hinter uns bringen, desto besser."   Er wandte sich um und rauschte ohne ein weiteres Wort aus der Großen Halle. Die Slytherins folgten ihm auf dem Fuße. Harry zögerte einen Augenblick, bevor er sich seinem Schicksal ergab. Wenigstens waren Ron und Hermine bei ihm. Anders würde er dieses Schuljahr nicht überstehen.   Sie mussten sich beeilen, um mit Snape – und den Slytherins – Schritt zu halten. Snape schien die Absicht zu haben, sie abzuhängen. Vielleicht hoffte er, dass sie sich in den Kerkern verirrten und er sie für die Dauer dieses Projekts nicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Harry würde nichts lieber tun, als ihm aus dem Weg zu gehen, aber es sollte nicht sein. Wenigstens kam er sich nicht ganz verloren vor. Auch wenn er nur einmal im Gemeinschaftsraum der Slytherins gewesen war, kam ihm der Weg vage bekannt vor. Das würde helfen, wenn sie niemanden mehr hatten, dem sie folgen konnten.   Snape wartete ungeduldig auf sie am Eingang zum Gemeinschaftsraum. Er sah aus, als würde er Zahnschmerzen haben. Musste die Tatsache sein, dass er Gryffindors in den Slytheringemeinschaftsraum lassen musste. "Das Passwort ist … geheim", sagte er und seine Lippen kräuselten sich zu einem gemeinen Lächeln. "Wenn ihr es wissen wollt, müsst ihr es euch verdienen."   Harry öffnete bereits den Mund um zu protestieren. Wie sollten sie ohne das Passwort in den Gemeinschaftsraum gelangen? Aber Snape ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.   "Das gilt für alle", sagte er und fixierte Harry mit einem durchdringenden Blick. "Für dich, Potter, genau wie für jeden anderen, egal ob Slytherin oder nicht. Wie ihr an das Passwort kommt, ist euch überlassen. Ob ihr die anderen belauscht, ob ihr es durch Hinweise herausbekommt, ob ihr es durch einen Handel erlangt … die Methode ist mir vollkommen gleichgültig. Das einzige, was zählt, ist, dass ihr euren Verstand einsetzt – sofern ihr welchen besitzt." Snapes Blick verfinsterte sich. "Aber seid gewarnt: Wenn ich euch dabei erwische, wie ihr das Passwort einfach so weitergebt, werdet ihr eures Schullebens nicht mehr froh."   Harry hatte das Gefühl, dass Snape damit insbesondere die Gryffindors meinte. Und erstaunlicherweise fixierte er dabei einmal nicht Harry, sondern Neville. Leider zu recht – Harry wusste nur zu gut, dass Neville das Passwort zum Gryffindorgemeinschaftsraum bereits mehrfach vergessen hatte. Aber da konnte er immer einen anderen Schüler fragen. Snape hingegen schien darauf aus zu sein, ihn ewig vor der Steinwand zum Slytheringemeinschaftsraum versauern zu lassen.   "Ihr bekommt einen Hinweis", sagte Snape fast schon gönnerhaft. "Derselbe, den auch die anderen bekommen haben: Das Passwort ist der Name von jemandem, der euch geläufig sein sollte. Schon allein deshalb, weil man sich daran erinnern und es nie vergessen soll. Kurz: Es ist der Name von … ihr wisst schon wem."   Was auch immer das für ein Hinweis sein sollte – Harry konnte daraus nichts Sinnvolles ziehen. Der einzige, den er unter ihr-wisst-schon-wen verstand, war Voldemort, aber selbst für die Slytherins schien das ein seltsames Passwort zu sein. Er sah zu Ron und Hermine, die ebenso verwirrt schienen. Vielleicht gab es ja Hoffnung, denn irgendwie musste Snape sie doch in den Gemeinschaftsraum lassen, oder? Zumindest die Slytherins … aber Snape hatte scheinbar noch einen Trick auf Lager: Statt das Passwort zu nennen und es so zu verraten, strich er einfach nur mit der flachen Hand über die Mauer. Harry wusste nicht, ob er einem bestimmten Muster folgte, aber es erinnerte ihn an das, was der Kobold in Gringotts gemacht hatte. Es hatte auch ein wenig davon, wie man in die Winkelgasse kam. Wie der Eingang zur Winkelgasse öffnete sich der Eingang zum Gemeinschaftsraum der Slytherins.   Snape führte sie in die Mitte des Gemeinschaftsraums und sah sie dann an. Es schien fast so, als würde er auf etwas warten. Erst nach einem Moment realisierte Harry, dass er auf ihre Reaktionen wartete – und mit Sicherheit festgestellt hatte, dass das große Umsehen ausgeblieben war. Harry warf Ron einen Blick zu. Neville und Hermine sahen sich um, wie von ihnen erwartet, aber er und Ron … sie hatten den Gemeinschaftsraum der Slytherins schon einmal gesehen. Auch wenn Harry jetzt versuchen würde, so zu  tun, als wäre der Anblick neu – die Chance war vertan.   Snapes Blick verfinsterte sich einmal mehr, aber er kommentierte es erstaunlicherweise nicht. "Ihr werdet euch einen Schlafsaal teilen", sagte er in einem Tonfall, als müsse er ihnen das Offensichtliche erklären. "Das bedeutet, dass ihr gemeinsam dafür verantwortlich seid, dass besagter Schlafsaal ordentlich ist." Er sah zwischen den Slytherins und den Gryffindors hin und her. "Wenn ich erfahre, dass irgendwer sich vor der Verantwortung drückt …" Er sagte nicht, was dann passieren würde, aber Harry konnte sich vorstellen, dass es ihm nicht gefallen würde.   Dennoch war Harry erstaunt, dass Snape bisher keinen Unterschied machte. In der Praxis würde es ganz sicher anders aussehen, aber dass er zumindest so tat, als besäße er einen Funken Unparteilichkeit, war etwas Neues. Fast war Harry versucht, sich zu kneifen.   "Miss Bulstrode wird, sofern sie keine Einwände hat, weiterhin Stufensprecherin sein", fuhr Snape fort. Er klang nun geradezu gelangweilt, als würde er nur eine Liste durchgehen, weil er alle Punkte abarbeiten musste. "Sollte sich eine Änderung ergeben, so erwarte ich die schriftliche Information bis spätestens morgen Mittag."   Harry hatte keine Ahnung, was ein Stufensprecher sein sollte. Er sah zu den anderen, aber keiner von ihnen schien so recht zu wissen, was die Aufgabe eines Stufensprechers eigentlich war. Harry beschloss, dass Bulstrode keine allzu schlechte Wahl war – sie war weder Malfoy noch Parkinson, und von dem, was er von ihr mitbekommen hatte, war sie sowieso auch nicht sehr gesprächig. So wichtig konnte die Position also nicht sein. Sonst hätte Malfoy doch sicher darauf bestanden, dass er sie bekam, oder?   Snape runzelte leicht die Stirn. "Wir werden sehen müssen, wie wir das mit der Patenschaft organisieren. Grundsätzlich sollte es keine allzu großen Probleme bereiten, solange es nicht auf die Prüfungen zugeht, aber das ist ein Problem für später. Für das erste wird es wie gehabt weitergeführt." Das galt nur den Slytherins, wie es schien.   Harry sah hilfesuchend zu Hermine. Von was für einer Patenschaft redete Snape da? Er hatte davon noch nie was gehört, und so, wie es klang, war das Gang und Gäbe. Nur warum hatte der Rest der Schule nie etwas davon mitbekommen? Der einzige Grund war wahrscheinlich, dass die Slytherins ihr eigenes Süppchen kochen mussten.   "Muss sonst noch etwas geklärt werden?", fragte Snape in einem Tonfall, der ihnen riet, zu verneinen.   Hermine hob zögerlich die Hand. "Was ist mit unseren Stundenplänen?"   Snape verdrehte leicht die Augen. "Natürlich. Wie konnte ich vergessen, dass wir ab jetzt Miss Neunmalklug in unsere Mitte haben … sag mir, Granger, fällt dir nichts Wichtigeres ein als ein Stundenplan?"   Hermine errötete, hob aber fast schon trotzig das Kinn. "Ich nahm an, dass es das einzige ist, das noch fehlt."   Malfoy schnaubte leise, verkniff sich aber jeden Kommentar. Nur Dank Snapes Anwesenheit und der Abwesenheit seiner Bodyguards Crabbe und Goyle, so viel war sicher. Snape schwieg ebenfalls und zog einen Stapel Pergamente aus seinem Umhang. Er tippte sie mit seinem Zauberstab an und überflog sie. Das was er sah, schien ihm nicht zu gefallen.   "Scheint so, als würdest du auf die Pläne warten müssen, Granger", stellte Snape fast süffisant fest. Er runzelte die Stirn. "Diese ganze Angelegenheit beginnt bereits, sich zu einer einzigen Unannehmlichkeit zu entwickeln."   Snape blätterte durch die Stundenpläne, die Brauen zusammengezogen. Harry konnte sich denken, warum: die Wahlfächer der Gryffindors. Die der Slytherins musste er, als ihr Hauslehrer, bereits kennen, aber die der Gryffindors waren ihm vermutlich noch unbekannt. Und ganz offenbar war er der Ansicht, dass sie sich die falschen Fächer ausgesucht hatten, denn sein Blick wurde zunehmend finsterer.   "Was stimmt denn nicht?", fragte Hermine fast besorgt und brach damit die einvernehmliche Stille.   Sie bekam prompt böse Blicke zugeworfen. Snape sah langsam von den Stundenplänen auf. Sein Blick war nicht viel finsterer als zuvor, und es schien auch nicht einmal Hermine zu gelten, aber sie schob dennoch ein hastiges "Sir" hinterher, als wäre es ein Wort zum Abwenden von Unheil. Snape schnaubte leise auf.   "Abgesehen davon, dass die … Idee … des Schulleiters einiges von meiner Planung durcheinanderbringt?", fragte er gespielt freundlich. Sein Blick wanderte erneut zu dem Stapel Stundenpläne in seiner Hand. "Ihr werdet auf die Stundenpläne warten müssen", wiederholte er dann neutral, wobei er Hermine einen geradezu gehässigen Blick zuwarf. Angesichts ihrer sichtbaren Enttäuschung nicht einmal unprovoziert.   Zabini runzelte die Stirn. "Wenn der Grund der ist, den ich annehme – heißt das, wir kriegen alle zwei Monate einen neuen Stundenplan?"   Snapes Blick schien ihn zu erdolchen. "Ich hoffe doch nicht", ätzte er. "Ich habe weitaus Besseres zu tun, als ständig Stundenpläne zu erstellen. Wenn ich nicht wüsste, dass es notwendig ist, würde ich es nicht einmal jetzt tun. Ihr solltet froh sein, dass ich mir die Mühe mache."   Bulstrode stieß Zabini in die Seite, was ihn davon abhielt, etwas zu erwidern. Die Aktion schien für Harry seltsam – er hatte Bulstrode als eine Art weibliche Version von Crabbe und Goyle in Erinnerung. Aber nicht nur, dass sie scheinbar die Stufensprecherin war – sie schien auch deutlich mehr Initiative zu besitzen, als es bei Crabbe und Goyle der Fall war. Zudem Zabini sich nicht beschwerte, sondern sich nur die Seite rieb.   Snape ignorierte die beiden komplett. "Da für heute der Unterricht sowieso für euch ausfällt, könnt ihr die zusätzliche Zeit ja produktiv nutzen. Ich weiß, dass einige von euch die Zeit gebrauchen können." Dabei sah er Harry und Ron an. "Gegen Mittag habe ich vermutlich die erste Planung durch und kann euch den vorläufigen Plan geben."   Die Slytherins nickten. Harry fragte sich, wo eigentlich das Problem war. Hatte sie nicht die Hauptfächer einfach mit den Slytherins zusammen? Wozu musste Snape dann den gesamten Plan umschreiben? Abgesehen davon waren die Wahlfächer doch sowieso schülerabhängig. Harry sah zu seinen Mitgryffindors. Er war sich nicht sicher, welche Fächer sie hatten, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es so viele Schüler gab, die dasselbe gewählt hatten, dass es unterschiedliche Kurse gab. Vor allem dann nicht, wenn man versuchte, mit dem absoluten Minimum von zwei Wahlfächern davonzukommen und es fünf Auswahlmöglichkeiten gab.   Harry beschloss, Hermine später danach zu fragen. Snape schien missmutig genug wegen dieser Sache zu sein, da war es besser, nicht auch noch seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Abgesehen davon, dass man von Snape sowieso keine andere Antwort als beißenden Spott erhielt.   "Wenn sonst nichts ist …" Snape wandte sich zum Gehen. "Ihr wisst, wo ihr mich findet, und ich hoffe, dass ich euch dort nicht antreffe."   Dann rauschte er aus dem Gemeinschaftsraum.   Ron schnitt eine Grimasse. "Was war das denn für eine Ansage?" Er äffte Snape nach. "Als ob wir nichts Besseres zu tun haben, als den zu suchen –"   "Das war Snape-Sprech für 'Macht keinen Ärger'", sagte Bulstrode knapp. "Einen Rat, den ihr euch zu Herzen nehmen solltet. Wenn irgendwer Snape holen muss wegen euch … das, was ihr bisher von ihm gesehen habt, war harmlos dagegen."   Nott schauderte. "Erinner mich nicht daran …" Er schüttelte den Kopf. "Lasst uns den … Gryffindors … den Schlafsaal zeigen – danach können wir vielleicht den freien Tag genießen."   Das war sogar ein fast annehmbarer Vorschlag, wie Harry fand. Kapitel 2: ----------- Der Schlafsaal der Slytherins war etwas, was Harry beim letzten Besuch in der Schlangengrube noch nicht gesehen hatte. Vielleicht war es auch besser so, denn sonst wäre er vom Neid zerfressen worden. Es war nicht so, als wäre ihr Schlafsaal in Gryffindor klein … aber der der Slytherins war größer. Und das war etwas, was ihm sauer aufstieß. Ron schien ähnlich zu empfinden, während Neville sich lieber weiterhin im Hintergrund hielt und sich umsah.   "Oh Mann." Zabini starrte finster auf die drei Schrankkoffer in der Raummitte. "Irgendwie hatte ich trotz allem gehofft, das würde keine dauerhafte Sache."   Harry konnte es ihm nachfühlen. Die Sache gefiel ihm genauso wenig, wenn nicht sogar weniger. Auf der einen Seite war es natürlich genial, wenn er sich im Schlafsaal umsah. Der Raum war ein großes Sechseck, mit einem Bett an jeder Wand. Oder vielmehr ein Bett inklusive integrierter Arbeitsflächen. Das war etwas, was Harry eher von den Ravenclaws erwartet hätte. Aber das, was er auf der einen Seite cool fand, auf der anderen Seite aber einfach nur unfair, war die Sitzgarnitur. Er wusste nicht, ob das Standard in den Schlafsälen der Slytherins war oder ob das einfach daran lag, dass Malfoy hier wohnte, aber die Slytherins hatten tatsächlich Couch, Wohnzimmertisch und Sessel in ihrem Schlafsaal. Nicht das Neuste, was Malfoy fast wieder ausschloss.   "Was zur Hölle ist das?" Ron starrte ebenfalls wie vom Donner gerührt auf die Sitzgruppe.   Malfoy fläzte sich auf die Couch. "Wonach sieht's denn aus, Wiesel?", schnarrte er. "Das ist ein Sofa samt Sessel. Ich wusste ja, dass deine Familie arm ist, aber so arm? Merlin, das ist ja noch schlimmer, als ich gedacht habe." Er kramte in seiner Tasche, zog einen Knut hervor und warf ihn Ron zu, der ihn verdutzt auffing. "Das nennt sich Geld", sagte Malfoy gönnerhaft. "Ich weiß, du hast so etwas noch nie zuvor gesehen, aber –"   "Nicht anfassen!"   Alle drehten sich um. Nott hatte sich schützend zwischen Neville und eine gigantische Topfpflanze gestellt, um zu verhindern, dass Neville ihr näher kam. Die Slytherins nahmen es gelassen hin.   "Das ist Gary", sagte Zabini und deutete auf die Pflanze. "Berührt ihn nicht, atmet nicht in seine Richtung, fasst ihn nicht an – oder Theo könnte euch im Schlaf ermorden."   Nott warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "Ich bin kein Psychopath, Zabini", schnappte er. "Aber diese Pflanze ist empfindlich, und Gryffindors sind nicht gerade für ihre Behutsamkeit bekannt." Er musterte Neville misstrauisch. "Bleib Gary fern oder spür mein Missfallen, Longbottom."   Neville wich verunsichert zurück. Harry konnte es ihm nachfühlen – Nott war definitiv ein Psychopath. Anders konnte man das nicht beschreiben. Überhaupt, wer gab einer Zimmerpflanze einen Namen? Und Gary? Und jetzt streichelte Nott auch noch die Blätter der Pflanze. Harry schüttelte den Kopf. Nott war offensichtlich irre, Malfoy war ein Idiot und das ließ nur noch Zabini übrig. Vielleicht hatte er einen Funken Vernunft in sich, aber es sah schlecht aus.   "... hier sind nur fünf Betten", stellte Neville leise fest.   Alle sahen ihn an. Bis auf Nott, der ihn finster beäugte, sahen alle verwirrt drein.   "Du kannst also zählen", sagte Malfoy. "Gut, dass wir das geklärt haben."   "Wir sind zu sechst", stellte Harry nach einem Moment fest. "Wir haben ein Bett zu wenig."   "Falsch!" Zabini warf sich auf eins der Betten, vermutlich seins. "Ihr habt ein Bett zu wenig. Für uns sind genug da." Er grinste gemein.   Malfoy grinste ebenfalls und deutete auf zwei Betten, die nebeneinander standen. "Die beiden sind momentan frei – prügelt euch drum!"   Die Art, wie Malfoy es sagte, klang beinahe so, als würde er einem Gladiatorenkampf zuschauen wollen. Harry wollte ihm die Genugtuung ganz sicher nicht bieten. Er drehte sich zu Ron und Neville um, die ihn ihrerseits ansahen. Die Situation war vertrackt. Harry wollte ein Bett, das war keine Frage. Am Ende musste er auf dem Boden schlafen, so, wie die Slytherins drauf waren. Aber er wollte sich nicht mit Ron und Neville darum streiten, denn das war es, was die Slytherins wollten. Und wenn die Slytherins etwas wollten, sollte man das komplette Gegenteil davon tun. Die Frage war nur, wie sie das anstellen sollten.   Er konnte hören, wie die Slytherins sich hinter seinem Rücken unterhielten. Er hörte auch ein Klimpern, was wie Münzen klang. Harry knirschte mit den Zähnen. Wetteten die Kerle?   "Also …", begann Harry langsam, aber Ron unterbrach ihn: "Das rechte gehört mir!"   Harry blinzelte. "Was?"   "Das rechte Bett", wiederholte Ron und wies auf besagtes Möbelstück, "ist meins."   Harry sah ihn noch einen Augenblick an, bevor er sich zu Neville umwandte. Eigentlich wollte er sich entschuldigen, weil Neville nun den Kürzeren gezogen hatte, aber Neville kam ihm zuvor. Er entschuldigte sich, dass Harry kein Bett abbekommen hatte. Harry öffnete seinen Mund, um zu protestieren, aber die Slytherins lenkten ihn davon ab.   "Geld her, ich hab gewonnen!" Nott hielt seine Hand auffordernd Zabini und Malfoy vor die Nase. "Ich hab doch gesagt, Longbottom muss man im Auge behalten!"   Malfoy und Zabini schnitten Grimassen, gaben jedoch ihren Wetteinsatz raus. "Ausgerechnet Longbottom", maulte Malfoy. "Der ist doch sonst so ein Feigling."   "Na, vielleicht gegenüber Freunden nicht", sagte Zabini und ließ ein paar Münzen in Notts Hand fallen. "Hat er nicht im ersten Jahr sogar Punkte dafür bekommen?"   "Wie könnte ich das vergessen?", schnappte Malfoy verärgert. "Das war die mieseste Masche, von der ich je gehört habe."   Harry schnaubte leise. Mit miesen Maschen musste Malfoy sich ja auskennen. Er wusste zwar nicht, was die drei genau meinten – die Punkte hatte Neville sich ehrlich verdient, und daran war nichts miese Masche – aber er hatte kein Interesse daran, mehr herauszufinden. Sollten die drei sich doch grün ärgern, er hatte andere Probleme: Wo sollte er schlafen? Sicher, es war noch relativ früh am Tag, aber trotzdem. Er hatte nichts außer seinem Schrankkoffer.   Ron und Neville sahen ihn zwar mitleidig an, aber da sie dabei auf ihren wiederrechtlich eroberten Betten saßen, war Harry nicht gewillt, ihnen so schnell zu verzeihen. Ernsthaft, was waren das für Freunde?   Wenigstens hatte er noch mindestens einen halben Tag Zeit, um sich zu überlegen, wie er die Nacht verbringen würde. Vielleicht konnte er Hermine nach ein paar Zaubern fragen, die den Boden bequemer machten. Und Wärmezauber. Die Kerker waren schließlich nicht gerade gut geheizt, und wenn er im Flur schlafen musste ...   "Die einzigen, die bisher im Flur schlafen mussten, waren die Vertrauensschüler vorletztes Jahr", bemerkte eine Stimme von der Tür her.   Alle drehten sich wie aufs Stichwort um. Harry hatte nicht realisiert, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte, aber er hatte auch nicht gehört, dass der Typ in der Tür geklopft hatte. Auf schaurige Weise sah er aus wie die Erscheinung von Tom Riddle letztes Jahr, aber als Harry genauer hinsah, war es nur eine oberflächliche Ähnlichkeit. Es musste das Alter gepaart mit dem Vertrauensschülerabzeichen sein. Eigentlich waren das auch die einzigen Ähnlichkeiten, denn er war, anders als Tom Riddle, blond, auch wenn er eine dunkle Mütze zu tragen schien.   Malfoy winkte dem Vertrauensschüler. "Sprichst aus Erfahrung, was, Lannister?"   Lannister funkelte Malfoy mürrisch an. "Ich bin nicht Marcus Flint und drehe Ehrenrunden, Malfoy. Ich wurde erst letztes Jahr Vertrauensschüler." Er rümpfte etwas die Nase. "Und ich erinnere mich daran, dass du nicht gerade dazu beigetragen hast, die Sache zu beenden."   Malfoys Gesicht nahm eine hässliche rosa Farbe an, aber er schwieg. Scheinbar erkannte er Lannisters Autorität als Vertrauensschüler größtenteils an. Oder er überlegte sich, wie er ihn fertig machen konnte. Bei Malfoy wusste man nie.   Harry musterte den Vertrauensschüler neugierig. "Warum mussten die Vertrauensschüler im Flur schlafen?"   Lannister machte eine wegwerfende Handbewegung. "Weil Snape der Ansicht war, dass die Unruhestifter sonst sofort wieder ausbüxen." Er warf Malfoy einen finsteren Blick zu. "Vor allem, nachdem jemand einen Aufstand gemacht hat, weil er im Kricket verloren hat."   Malfoy reckte das Kinn. "Die anderen haben gemogelt."   Harry verstand rein gar nichts. Er sah hilfesuchend zu Ron und Neville, die genauso verwirrt dreinsahen. Warum sollten Vertrauensschüler im Gang übernachten, um jemanden am Ausbüxen zu hindern? Und was hatte Kricket damit zu tun? Allein die Idee, dass Malfoy Kricket gespielt und das ins Rollen gebracht hatte, war absurd. Dass Malfoy gemogelt hatte, war auch das einzige an der Geschichte, dass plausibel erschien. Aber die Slytherins schienen nicht daran interessiert, mehr Licht in das Dunkel zu bringen.   Er wusste nicht, wer der Slytherin war – sein Name schien Lannister zu sein und er war offensichtlich ein Vertrauensschüler, aber er hatte noch nie von ihm gehört. Was auf erstaunlich viele Slytherins zutraf, wenn Harry darüber nachdachte. Man sollte meinen, die Namen wären bekannter, aber bis auf einige Quidditch-Spieler hatte Harry keine Ahnung, wie die Slytherins hießen. Selbst die Slytherins aus ihrem eigenen Jahr schienen ihm erstaunlich unbekannt. Mit den Hufflepuffs und Ravenclaws hatte er zumindest hin und wieder geredet, zumindest bevor sie ihn alle für den Erben Slytherins gehalten hatten. Danach ...   "Mein Name ist Alwin Lannister", stellte sich der Vertrauensschüler vor, als hätte er die Verwirrung bemerkt. Er runzelte etwas die Stirn. "Hat euch keiner die Namen der Vertrauensschüler genannt?"   Die Gryffindors schüttelten die Köpfe.   "Nur die ... Stufensprecher?" Neville sah hilfesuchend zu Harry und Ron.   "Genau, Bulstrode." Ron verschränkte die Arme. "Weiß immer noch nicht, warum gerade die."   Lannister schnalzte mit der Zunge. "Weil sie gewählt wurde? Weil sie die beste für den Job ist?" Er schüttelte den Kopf. "Egal. Auch wenn ihr nur zeitweise in Slytherin seid, solltet ihr die Vertrauensschüler kennen." Er hob die Hand, um die Namen abzuzählen.   "Lass es", schnaubte Malfoy. "Die können es sich eh nicht merken. Wenn sie wen finden, der sie ihnen vorliest, können sie einfach die Liste im Gemeinschaftsraum ansehen. Kein Grund, sich damit aufzuhalten."   Lannister runzelte die Stirn. "Du gehst mir auf die Nerven, Malfoy", sagte er missmutig. "Siehst du das hier?" Er deutete auf sein Abzeichen. "Das heißt, dass du die Klappe hältst, wenn ich rede."   Bevor Malfoy was erwidern konnte, bekam Lannister einen Klaps auf den Hinterkopf. Snape war, still wie ein Schatten, hinter ihm aufgetaucht – wie zum Henker machte er das? – und sah finster auf ihn herab. Lannister rieb sich den Kopf, wobei er nach seiner Mütze tastete. Snape drückte sie ihm unwirsch gegen die Brust.   "Es ist mir neu, dass es in den Kerkern regnet", sagte er und hob eine Braue.   Lannister verzog das Gesicht. "Professor", sagte er nur etwas zerknirscht.   Snape musterte ihn. "Ich hoffe, ich brauche kein Abzeichen, damit man mich nicht unterbricht."   "Auf Ihrem Abzeichen würde sowieso Tyrann stehen", sagte Lannister mit einem schiefen Grinsen. "Sir."   Snape schnaubte. "Kaum." Sein Blick durchbohrte den Jungen. "Wenn ich mich recht entsinne, dann hat die sechste Klasse Slytherin in diesem Augenblick Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Und ich war der Ansicht, dass ein gewisser Alwin Lannister Teil dieses Kurses ist. Warum also sehe ich besagten Schüler hier, wenn er doch gleichzeitig im Unterricht von Professor Lupin sitzen sollte?"   Lannisters Wangen färbten sich rot, bevor er eilig davonstob. Nicht, ohne dass Snape ihm nachbellte, dass er in den Gängen gefälligst nicht rennen sollte. Harry fragte sich, ob er gerade träumte. Nicht nur, dass Snape das Frotzeln eines Schülers ignoriert hatte, er bestrafte ihn auch nicht dafür, Unterricht zu schwänzen. Er hatte ja gewusst, dass Snape parteiisch war, aber so? Wäre Lannister ein Gryffindor, er hätte garantiert eine, nein, zwei Strafarbeiten kassiert.   Snape schüttelte den Kopf und sah die Drittklässler vor sich der Reihe nach an. Dann sah er auf die noch unbewegten drei Schrankkoffer in der Raummitte. "Ich war davon ausgegangen, dass selbst Gryffindors nicht aus dem Koffer leben."   Harry starrte ihn finster an. "Wir sind gerade erst angekommen."   Snape hob die Brauen. "Wir haben eine unterschiedliche Auffassung von Zeit, Potter. Was du als gerade bezeichnest, war vor mehr als einer Stunde. Ich schlage vor, dass du dir eine Uhr besorgst, denn auf dein Zeitgefühl ist offensichtlich kein Verlass."   Die Slytherins kicherten hinter vorgehaltener Hand, während Harry versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken. Es würde nichts helfen, wenn er Snape anfuhr – der Mann saß am längeren Hebel, insbesondere jetzt, wo er ihr Hauslehrer war. Selbst wenn Snape ihnen keine Punkte mehr abziehen würde, er würde nur dazu übergehen, sie bis zum Ende ihrer Tage Strafarbeiten ableisten zu lassen. Harry wusste, dass Snape nichts lieber täte. Vor allem, wenn er dafür sorgen konnte, dass Harry deshalb nicht zum Quidditch-Training konnte. Wenn Harry sich Strafarbeiten einhandelte, konnte nicht einmal McGonagall dagegen protestieren. Also biss Harry die Zähne zusammen und schwieg.   Snape studierte ihn einen Moment lang, bevor er sich im Raum umsah. Er bemerkte Neville und Ron auf den leeren Betten und sah zurück zu Harry. "Scheint, als müsstest du auf der Couch schlafen, Potter", stellte er fest. Er ließ seinen Blick an ihm auf- und abwandern. "Von der Größe her müsste es passen. Das spart uns den Aufwand, Möbelstücke dauerhaft zu verwandeln."   Malfoy verzog das Gesicht. "Aber Professor!", beklagte er sich – er wollte offensichtlich nicht seinen Platz aufgeben.   "Wenn es Ihnen nicht passt, Mr. Malfoy, können Sie gerne tauschen", sagte Snape überfreundlich.   Malfoy ruderte sofort zurück. Harry grinste ihn an. Selbst wenn er auf der Couch schlafen musste, das war in Ordnung. Er hatte immerhin zehn Jahre in einem Schrank geschlafen. Außerdem sah das Sofa gemütlich aus. Malfoy funkelte ihn finster an, stand aber hochnäsig wie eh und je auf und stolzierte zu seinem Bett. Vermutlich hätte er sich dramatisch hineinfallen lassen, hätte Snape ihm keinen warnenden Blick zugeworfen. Snape hielt scheinbar nicht viel von Dramaqueens.   "Da das geklärt ist ..." Snape holte etwas aus seinen Roben und warf es den Gryffindors zu. "Man hat mich daran erinnert, dass ihr als Slytherins auch die Hausfarben zu tragen habt. Wenn ihr Schwierigkeiten damit habt ... behelligt wen anders." Er warf ihnen einen finsteren Blick zu und rauschte davon.   Harry betrachtete das Etwas. Es war ... eine Farbpalette inklusive dem Wappen von Slytherin. Er fragte sich, was er damit sollte. Ron und Neville schienen ebenfalls verwirrt zu sein. Dass ihre normalen Schuluniformen die Farben von Gryffindor hatten, war ihnen klar, aber wozu hatte Snape ihnen eine Farbpalette gegeben? Harry steckte sie ein und beschloss, Hermine auch danach zu fragen. Kapitel 3: ----------- Nach Snapes Davonrauschen war Ruhe eingekehrt. Harry, Ron und Neville hatten schweigend ihre Koffer soweit ausgepackt, wie sie sich trauten, und saßen nun zusammen auf Rons Bett und spielten Karten. Es juckte Harry in den Fingern, sich im Reich der Slytherins umzusehen, aber gleichzeitig hatte er die Befürchtung, der unangenehmeren Sorte in die Hände zu laufen. Außerdem warteten sie darauf, dass Hermine sich meldete – wenn sie nicht bereits Opfer der Slytherins geworden war.   Malfoy, Nott und Zabini hatten sich in ihre eigenen Ecken verzogen. Malfoy lag auf seinem Bett und blätterte in einer Zeitschrift, Zabini las ein Buch und Nott war eifrig dabei, irgendetwas zu schreiben. Kurz, jeder ging seinen eigenen Dingen nach. Es war geradezu unheimlich ruhig. Wäre die Umgebung nicht in Slytherinfarben dekoriert und im Kerker, es hätte nicht so gewirkt, als würden sie mitten in der Schlangengrube sitzen.   Eigentlich ein seltsamer Gedanke.   "Hey, Blaise", unterbrach Nott schließlich das Schweigen. "Leihst du mir deinen Verwandlungsaufsatz? Mir fehlen immer noch fast zwei Zoll."   Zabini gab ein mürrisches Geräusch. "Das kommt davon, dass du es immer auf den letzten Drücker machst." Er griff jedoch in seinen Koffer und zog eine Pergamentrolle hervor, die er Nott zuwarf.   Ron schnitt eine Grimasse. "Ihr macht Hausaufgaben?"   Nott und Zabini sahen ihn ausdruckslos an.   "Natürlich machen wir Hausaufgaben", sagte Zabini dann mit einem Stirnrunzeln. "Weißt du, wie fuchsig Snape wird, wenn er erfährt, dass wir sie nicht machen? Außerdem hat er gesagt, wir sollen den Tag produktiv nutzen – und weißt du, wie der Stundenplan aussieht?"   "Vergiss es, Blaise." Nott studierte Zabinis Aufsatz. "Du redest mit Weasley. Du weißt schon, der Typ, der Snape Aufsätze gibt, die er beim Frühstück hingeschmiert hat – inklusive Teilen seines Essens."   Die Slytherins kicherten sich ins Fäustchen, während Ron feuerrot wurde. Harry wurde es ebenfalls, denn auch wenn Nott nur von Ron gesprochen hatte, traf es doch auch irgendwie auf Harry zu. Und die Idee, dass Snape sich damit befassen könnte ... nun, er war schlimm genug in seinem eigenen Unterricht, aber wenn er sich jetzt auch noch in die Hausaufgabenmoral in anderen Fächern einmischte. Harry überlegte, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, seine Aufsätze noch einmal anzusehen. Er hatte es dieses Jahr geschafft, sie alle zu machen, mit Hilfe von Florean Fortescue, aber er hatte den Verdacht, dass er vielleicht trotz allem nicht genug gemacht hatte.   Ron schien ähnliche Gedanken zu hegen. Es war zweifelhaft, dass er den Hausaufgaben entkommen war, aber wenn Harry daran dachte, dass Ron einige Zeit in Ägypten war ... Ron sah Harry leicht verunsichert an. Es war eindeutig, dass er keine Lust hatte, sich jetzt mit Hausaufgaben zu befassen. Sie hatten immerhin einen freien Tag ergattert. Aber wenn Snape wirklich auch darauf achtete, dass man in anderen Fächern Hausaufgaben machte, dann ...   "Neville?", fragte Harry und sah den letzten im Bunde an.   Neville zuckte die Schultern. "Meine Großmutter hat dafür gesorgt, dass ich alles fertig habe."   "Eigentlich bin ich auch fertig, aber wer weiß, welche Standards Snape setzt", murmelte Harry.   Ron kaute auf seiner Lippe. "Ich denke, dass ich alles habe, aber ... ich bin mir nicht mehr sicher. Vielleicht habe ich was vergessen. Fred und George haben mir die Sachen einmal geklaut und ..."   "Hör dir die an." Zabini verzog das Gesicht. "Merlin, wenn ihr euch solche Gedanken macht, dann tut was. So viel dazu, dass die Gryffindors erst handeln und dann denken."   "Nur, wenn es absolut idiotisch ist", warf Malfoy ein. "Sonst drücken sie sich so gut es geht vor Taten."   Harry ignorierte ihn. Stattdessen kramte er in seinem Koffer und holte einige etwas zerknittert aussehende Pergamentrollen hervor. Seine Bücher mussten darauf gefallen sein. Nun, die Rolle mit seinem Aufsatz für Zaubertränke hatte nichts abbekommen, also war das eine Sorge weniger. Wenn sie jetzt noch die richtige Länge hatte, dann war die erste Stunde bei Snape vielleicht kein komplettes Desaster.   ~*~*~   Erstaunlicherweise verging der Vormittag in Ruhe und Frieden. Die Slytherins waren mehr mit sich selbst beschäftigt, als damit, die Gryffindors zu ärgern. Harry fühlte sich den ganzen Morgen über seltsam. Er wusste, dass der Rest der Schule Unterricht hatte – ausgenommen ihres Jahrgangs – und die Stille war auffällig. Hin und wieder waren ein paar der älteren Schüler im Gemeinschaftsraum, weil sie eine Freistunde hatten, aber sie schenkten den Gryffindors auch kaum Beachtung.   Als Harry, Ron und Neville sich mit Hermine trafen, berichtete sie ähnliches. Sie teilte sich den Schlafsaal mit Daphne Greengrass und Millicent Bulstrode und beide waren erstaunlich friedfertig. Gerade bei Bulstrode war es eine Überraschung. Harry konnte sich noch an den Duellierclub im letzten Jahr erinnern, und da hatte sie alles andere als friedfertig gewirkt.   "Bisher haben sie mich nicht einmal beleidigt", sagte Hermine und setzte sich zu den Jungs im Gemeinschaftsraum der Slytherins. Auch so eine Merkwürdigkeit – Gemeinschaft und Slytherin zusammen in einem Satz. "Ich weiß nicht, ob das dicke Ende nicht noch kommt, aber bisher schienen sie sich nicht besonders dafür zu interessieren, dass ich muggelstämmig bin."   "Besser für sie." Ron starrte finster auf eine Gruppe Slytherins am anderen Ende des Raumes. "Wenn auch nur einer von denen was sagt, dann –"   "Dann was?" Hermine sah ihn streng an. "Willst du dich mit dem gesamten Haus anlegen?"   "Nicht zu vergessen Snape", brummte Harry. "Ich bin dafür, dass wir uns verteidigen, aber die Slytherins sind in der Überzahl. Und ich wette, die haben auch kein Problem damit, uns nachts anzugreifen."   Ron verzog das Gesicht. Es passte ihm offensichtlich gar nicht, dass sie zum Nichtstun verdammt waren. Harry fühlte sich auch nicht wohl bei dem Gedanken. Es ging nicht nur darum, dass keiner das Recht haben sollte, Hermine wegen ihrer Abstammung zu beleidigen – was in Slytherin offensichtlich keinen störte, wenn man Malfoys vergangene Auftritte bedachte. Aber wenn sie sich dagegen wehrten, dann hatten sie das gesamte Haus gegen sich, mehr als jetzt schon. Bisher wurden sie mehr ignoriert als alles andere, aber wenn sie Streit suchten ... dann wären sie ihres Lebens nicht mehr sicher.   Harry hätte vorgeschlagen, irgendwo anders hinzugehen, einfach, um der Atmosphäre zu entkommen, aber er erinnerte sich genau daran, dass sie das Passwort noch nicht hatten. Oder vielmehr, dass sie keine Ahnung hatten, was das Passwort sein könnte. Sollten sie also den Gemeinschaftsraum verlassen – und sich auch nicht verirren, weil das in den Kerkern noch eine weitere Möglichkeit war – dann kamen sie nie wieder rein. Er wüsste nicht, welchen Slytherin sie davon überzeugen könnten, sie reinzulassen.   Überhaupt, was war das für ein dummer Hinweis? Der Name von ihr wisst schon wem. Selbst die Slytherins würden doch kaum Voldemort als Passwort benutzen, oder? Den Namen benutzte sowieso niemand wirklich, außer vielleicht Dumbledore.   "Hat einer von euch eine Idee, was das Passwort ist?", fragte Harry leise.   Ron sah einen Moment verwirrt drein. "Passwort?"   "Vom Gemeinschaftsraum", meinte Harry. Er verzog das Gesicht. "Mir fällt nur Vol… Du-weißt-schon-wer ein, und das wird's kaum sein. Und den Namen Tom Riddle kennt auch keiner."   Neville runzelte die Stirn. "Wer ist Tom Riddle?", fragte er verwirrt. "Hat der was mit Du-weißt-schon-wem zu tun?"   Nevilles Frage hing in der Luft wie eine Wolke. Harry sah ihn irritiert an. Im ersten Moment wusste er nicht, was er sagen sollte. Kurz kam ihm der Gedanke, dass Neville es vergessen hatte, aber dann wurde ihm klar: Neville wusste es einfach nicht. Harry hatte Ron und Hermine berichtet, was geschehen war und wem er begegnet war, die ganze Geschichte. Er hatte es zuvor erst Dumbledore erzählt. Aber Neville war nie dabei gewesen. Es war keine Böswilligkeit seitens Harry, dass er es ihm nicht erzählt hatte - es war auch jetzt keine Böswilligkeit, dass er zögerte.   Harry wollte einfach nicht darüber sprechen. Die ganze Geschichte mit der Kammer des Schreckens war ... nun, schrecklich. Und die Tatsache, dass er in gewisser Weise dem Mörder seiner Eltern gegenübergestanden hatte, und dann doch wieder nicht, war verstörend, vor allem, da er ihn erst im Jahr davor gesehen hatte. Oder was von ihm übrig war.   Und dann war da natürlich noch die Umgebung. Der Gemeinschaftsraum war normalerweise ein Ort so gut wie jeder andere, um ein privates Gespräch zu führen, und dieses Mal war der Gemeinschaftsraum sogar ziemlich leer. Aber es war eben nicht der Gryffindor-Gemeinschaftsraum. Sie waren umringt von Slytherins, die es vermutlich brennend interessierte, was sie besprachen. Kammer des Schreckens? Erbe Slytherins? Du-weißt-schon-wer? Genau die Themen, die Harry nicht inmitten von Slytherins diskutieren würde.   "Ja", sagte er nur auf Nevilles Frage. "Wir erklären es dir später." Er sah bedeutungsvoll zu Ron und Hermine, die zustimmend nickten.   "Okay." Neville wirkte etwas verwirrt ob ihrer Reaktion, aber er kannte sie doch gut genug, um nicht weiter zu fragen. Stattdessen kam er auf das eigentliche Thema zurück. "Hat Snape nicht noch etwas anderes gesagt? Ihr wisst schon wer. Das kann jeder sein, der für Slytherin eine Bedeutung hat, oder?"   Hermine zog die Stirn kraus. "Das könnte sein", meinte sie langsam. "Vielleicht ist das Passwort Salazar Slytherin? Bekannter als er kann man in Slytherin kaum sein."   Könnte es tatsächlich so einfach sein? Salazar Slytherin. Eigentlich zu einfach. Snape würde doch sicher nicht so ein simples Passwort wählen, oder? Andererseits … Harry sah zu Ron. Im letzten Jahr hatten sie sich in den Slytherin-Gemeinschaftsraum eingeschlichen und Malfoy hatte gesagt, dass das Passwort Reinblüter war. Harry wusste nicht, was der Hinweis für das Passwort war, aber es klang ziemlich simpel.   "Wir können es schlecht testen", sagte er zerknirscht.   "Warum eigentlich nicht?" Ron grinste. "Einer geht raus und versucht es und die anderen warten drinnen und lassen ihn notfalls wieder rein."   "Das könnte sogar funktionieren." Hermine dachte darüber nach. "Aber vielleicht sollten wir uns direkt ein paar mehr mögliche Antworten überlegen, die wir gleich mit ausprobieren können?"   "Wozu?" Ron starrte sie an. "Wenn es beim ersten Mal klappt, umso besser!"   "Ja, aber –"   "Wir können uns noch mehr Namen ausdenken, wenn es das falsche Passwort ist", sagte Harry, der auch keine Lust hatte, vielleicht unnötig viel Aufwand zu betreiben. "Okay, wer geht?"   Ron schüttelte sofort den Kopf. Er hatte keine Lust, sinnlos gegen eine Wand zu reden. Hermine wollte es auch nicht riskieren – wer wusste, ob die Slytherins die Chance nicht nutzten um sie zu attackieren? Und Neville lehnte ebenfalls ab. Harry runzelte die Stirn. Warum blieb es an ihm hängen?   "Schön!" Er stand ruckartig auf und stapfte zum Eingang des Gemeinschaftsraums.   Sein Abgang ließ ein paar Slytherins aufblicken, aber sie schienen ihn nicht interessant genug zu finden, um ihn längere Zeit zu beobachten. Harry war das nur recht. Er brauchte wirklich kein Publikum, wenn er mit einer Wand redete. Er trat hinaus auf den Gang und atmete tief durch, bevor er sich umdrehte. Der Eingang war bereits wieder verschwunden und nur eine leere, unscheinbare Wand blieb übrig. Wenn er nicht genau wüsste, dass es der Eingang zum Gemeinschaftsraum war, Harry hätte sich gefragt, was er hier eigentlich tat. Ob die Erstklässler auch ständig daran vorbeiliefen, weil sie es vergessen hatten? Harry grinste in sich hinein. Der Gedanke gefiel ihm.   "Merlin, Potter, du bist auch nicht ganz richtig im Kopf, oder?" Ein paar ältere Slytherins kamen den Gang entlang auf ihn zu. "Kein Wunder, dass die anderen dich hier haben stehen lassen."   Harry starrte sie finster an. "Was soll das denn heißen?"   Der Slytherin sah ihn von oben herab an. "Stehst du nicht vor der Tür, weil du das Passwort nicht kennst?"   Harry wurde unfreiwillig rot. In gewisser Weise war genau das der Grund, aber er würde einen Teufel tun, und das erklären. Die Slytherins schienen sich auch so schon genug über ihn zu amüsieren.   "Und ich dachte, Snape hätte mal wieder ein simples Passwort genommen. Ich glaube, bis auf ein paar Erstklässler wusste es jeder am ersten Abend." Einer der Slytherins schüttelte den Kopf. "Gryffindors." Er trat an Harry vorbei und beugte sich zur Wand vor, um das Passwort zu flüstern.   Leider machte er seine Sache so gut, dass Harry nichts hörte. Er hätte die Chance ergreifen und in den Gemeinschaftsraum zurückkehren können – die Slytherins gaben sich keine Mühe, ihn daran zu hindern. Aber er war aus einem bestimmten Grund hier und er wollte es den Kerlen zeigen. Er würde das verdammte Passwort herausfinden, und wenn es das letzte war, was er tun würde! Kapitel 4: ----------- Am Ende war Harry trotz aller Vorsätze erfolglos. Das Passwort war nicht Salazar Slytherin, noch der Name von anderen, mehr oder weniger bekannten Slytherins. Hermine hatte mehrere Namen vorgeschlagen, aber alle Versuche blieben ohne Ergebnis. Die Wand bewegte sich keinen Zentimeter, und die anderen Schüler hatten sich köstlich darüber amüsiert.   Es musste irgendein seltsamer Insider sein, den man nur mit den verkorksten Gedanken eines Slytherins verstehen konnte.   "Ich hoffe, wir können uns gleich wieder reinmogeln", sagte Ron mit einem finsteren Gesichtsausdruck, als sie einer Gruppe Slytherins zum Mittagessen folgten. Ohne jemanden, der ihnen den Weg zeigte, hätten sie sich sicherlich in den Kerkern verlaufen.   "Nun, bisher hat keiner Anstalten gemacht, uns auszusperren", meinte Neville. Sie hatten sich irgendwann mit den Passwortversuchen abgewechselt. "Auch wenn keiner uns das Passwort verraten wollte, haben die uns wieder in den Gemeinschaftsraum gelassen."   Harry schnaubte. Als ob die das aus Nettigkeit getan hatten. Es war viel wahrscheinlicher, dass sie ihnen einfach nur unter die Nase reiben wollten, für wie dämlich sie die Gryffindors hielten. Nein, Harry würde nicht darauf vertrauen, dass sie wieder in den Gemeinschaftsraum kamen, nicht ohne Probleme.   "Wo willst du hin?" Hermine griff nach seinem Arm. "Wir sind am Slytherintisch."   Harry hatte, sobald sie die Große Halle betreten hatten, ganz automatisch den Weg zum Gryffindortisch eingeschlagen. Er war nicht der einzige, dem es so ging – Crabbe und Goyle hatten sich an den Slytherintisch gesetzt, bevor Snape zu ihnen herübergeglitten war und sie zum Hufflepufftisch geschickt hatte. Den anderen Häusern schien es nicht besser zu gehen. Die meisten waren zu ihren ursprünglichen Haustischen gegangen, bevor sie sich an den Wechsel erinnert hatten. Alles in allem war es mehr Chaos als alles andere. Harry folgte Hermine, Ron und Neville mit finsterer Miene zum Slytherintisch. Die Slytherins warfen ihnen missgelaunte Blicke zu, bevor sie sich abwandten.   "Ich war der Ansicht, dass ich eine klare Ansprache bezüglich der Uniformen gehalten hätte." Snape war hinter ihnen aufgetaucht. "Laut dem Verhalten in den letzten zwei Jahren gehe ich nicht davon aus, dass ihr rot-grün-blind seid."   Konnte der Kerl sie nicht einfach in Frieden lassen? Harry grollte. "Wir haben Farbpaletten bekommen", erwiderte er und starrte Snape wütend an. "Wo ist das eine klare Ansprache?"   Snapes Augen verengten sich. "Potter, gewöhn dir einen anderen Ton an, oder du wirst es bereuen." Er schien zu überlegen, sagte dann aber nichts mehr dazu. "Ich erwarte, dass ihr eure Uniformen bis zum Abendessen in Ordnung gebracht habt, sonst wird es Strafarbeiten hageln." Er warf ihnen ein paar Pergamente auf den Tisch. "Das sind eure Stundenpläne."   Dann rauschte er davon, um den anderen Drittklässlern ihre Stundenpläne auszuhändigen. Und er händigte sie wirklich aus – scheinbar waren Harry und die anderen Gryffindors es nicht wert, dass er die Pläne einzeln ausgab, oder sie ihnen in die Hand drückte. Es war ein Wunder, dass er sie ihnen nicht einfach vor die Füße geworfen hatte.   "Ernsthaft?", fragte Ron, der die Pläne keines Blickes würdigte. "Sollen wir unsere Uniformen anmalen, oder was?"   Hermine biss sich auf die Lippe. "Vielleicht sollen wir sie verwandeln?"   Harry sah sie ungläubig an. "Wie soll das denn gehen? Snape muss wissen, dass wir so etwas noch nicht gelernt haben. Sicher, du könntest es vielleicht, aber was ist mit uns?"   "Ihr seid Idioten." Lannister hatte sich angeschlichen und ließ sich neben sie auf die Bank fallen. "Snape erwartet nicht von euch, die Uniformen in die richtige Farbe zu bringen. Er erwartet nur, dass ihr etwas dafür tut."   "Was dasselbe ist", schnappte Ron. "Wer hat dich eigentlich gefragt?"   "Niemand." Lannister griff an Harry vorbei zu einer Schale, die gerade aufgetaucht war. "Aber als verantwortungsbewusster Vertrauensschüler ist es meine Pflicht, euch vor dem gröbsten Unfug zu bewahren."   Harry funkelte ihn nur säuerlich an und ignorierte ihn. Lannister mochte eine bessere Gesellschaft sein als die anderen Slytherins, aber er war ein Slytherin und er war keine gute Gesellschaft. Vor allem dieses neunmalkluge Getue. Warum konnte er nicht einfach klipp und klar sagen, was er meinte? Oder was Snape meinte? Verdammt, warum gab es nicht einfach ein Wörterbuch, damit normale Menschen dieses verwirrende Gefasel verstanden?   Harry sah zu den anderen. Hermine studierte ihren Stundenplan mit leicht zusammengezogenen Brauen, während Ron und Neville eine Diskussion über die Quidditch-Liga gestartet hatten. Harry hätte sich gerne beteiligt, wenn er etwas mehr Ahnung gehabt hätte. Stattdessen griff er lustlos nach seinem Stundenplan. Immerhin, er musste herausfinden, was Snape damit angestellt hatte. Vielleicht hatte er die gesamte Freizeit mit irgendwelchen Arbeiten vollgestopft, einfach, weil er es konnte.   Als er den Stundenplan gelesen hatte, blinzelte er verwirrt. Er beugte sich zu Hermine herüber, aber ihr Stundenplan war noch seltsamer. "Wie kannst du zwei Stunden gleichzeitig haben?", fragte er.   Hermine errötete und zog ihren Plan aus seiner Reichweite. "Ich … ich schätze, da ist ein Fehler", sagte sie nur. "Ich werde mit Professor Mc… ähm, Snape, darüber sprechen."   "So viel dazu, dass er die Dinger überarbeiten musste." Harry schnaubte. "Viel Mühe hat er sich offensichtlich nicht damit gemacht." Er sah wieder auf seinen eigenen Plan. "Weißt du, was Zauberkunde sein soll? Oder ist das auch ein Fehler, und das heißt eigentlich Zauberkunst?"   "Aber da steht auch Zauberkunst", meinte Hermine und deutete auf die besagte Stelle. "Außerdem ist das samstags."   "Wir haben samstags Unterricht?" Rons Ausruf war laut und die anderen Slytherins drehten sich missbilligend zu ihm um. Ron wurde rot und senkte die Stimme. "Ernsthaft? Dürfen die das überhaupt?"   Harry fand das auch äußerst seltsam – und ätzend. Nicht nur, dass sie morgen Unterricht hatten, jetzt hatten sie auch übermorgen Unterricht. Was auch immer Zauberkunde für ein Fach sein sollte. Vom Wochenende würde ihnen nur noch der Sonntag bleiben. Und was war mit Quidditch? Es war garantiert Absicht, dass Snape ihnen auch am Samstag Stunden aufgebrummt hatte. Es mochte nicht erlaubt sein, ihn böswillig mit ungerechtfertigten Strafarbeiten vom Quidditch abzuhalten, aber jetzt konnte er behaupten, dass Harry Unterricht hatte. Und Unterricht ging eben vor Quidditch.   Die vier Gryffindors steckten die Köpfe zusammen und prüften, was noch unerwarteter Weise auf ihren Stundenplänen aufgetaucht war. Da waren Stunden für gemeinsames Lernen – dachte Snape, sie seien Kleinkinder, dass sie sich ihre Zeit nicht selbst einteilen konnten? Und da war auch etwas zur Allgemeinbildung, zumindest sah es so aus. Harry war sich nicht sicher, ob er es richtig interpretierte. Am Ende lief es darauf hinaus, dass sie mehr Fächer hatten, als sie haben sollten. Schön, die meisten waren eine Stunde pro Woche, aber es ging Harry gehörig gegen den Strich.   "Wozu haben wir Wahlfächer, wenn man uns einfach irgendwas auf den Stundenplan schreiben kann?", regte er sich auf.   "Lass mal sehen." Lannister riss ihm den Stundenplan aus der Hand und überflog ihn. "Ist doch normal."   Harry riss ihn wieder an sich. "Was mischt du dich eigentlich ein?"   Lannister deutete nur auf sein Abzeichen und hob eine Augenbraue. "Ich weiß nicht, warum ihr euch aufregt. Das sind Zusatzkurse, die jeder hat – zumindest in Slytherin, wie ich eurer Empörung entnehme. Und Merlin, es ist nicht mal so, als gäbe es Prüfungen darin, auch wenn ich euch rate, euch nicht zu dumm anzustellen. Snape hat schon Leute zurückgestuft, und es ist wirklich demütigend, wenn man als Viertklässler mit den Erstklässlern lernen muss."   Harry sah ihn gehässig an. "Sprichst aus Erfahrung, was?"   Lannister verdrehte die Augen und wandte sich ab. Scheinbar war das ein wunder Punkt. Vielleicht konnten er und Malfoy sich deshalb nicht ausstehen – die gemeinsamen Lernstunden mussten die Hölle gewesen sein. Wenigstens hatte Harry etwas gefunden, was Lannister abschreckte. Der Kerl war einfach viel zu aufdringlich. Hatte er nichts Besseres zu tun, als sich überall einzumischen? Nicht mal Percy war so nervig, trotz seiner hochnäsigen Auftritte.   Mit einem Seufzen sah Harry erneut auf seinen Stundenplan. Diese Zusatzkurse, abgesehen von denen am Samstag, waren in den Stunden, in denen er frei gehabt hätte. Ein Vergleich mit Hermine zeigte, dass sie - sofern man Hermines Stundenplan trauen konnte, mit den doppelt belegten Zeiten - in den Blöcken waren, in denen keiner von ihnen Unterricht hatte. Das war kaum Zufall. Es musste der Grund dafür sein, dass Snape ihre Stundenpläne noch einmal überarbeitet hatte. Wozu er sich die Mühe gemacht hatte, wenn er wusste, dass sie sowieso diese ominösen Zusatzkurse nicht wollten, entzog sich Harrys Verständnis.   "Wie viele von diesen Zusatzkursen haben wir eigentlich?" Ron ärgerte sich noch immer über ihre bloße Existenz. Nicht zuletzt, weil dadurch die ganze Planung für die Freistunden hinüber war.   Ron hatte, genau wie Harry, absichtlich nur zwei Wahlfächer genommen, statt der erlaubten drei. Es war nicht so, dass Harry absolut kein Interesse für die anderen Fächer aufgebracht hätte - auch wenn er Muggelkunde sofort gestrichen hatte und für Arithmantik nichts übrig hatte. Alte Runen hätte zumindest interessant sein können und vielleicht hätte Harry es auch gewählt, wenn er nicht im Vorfeld auch darüber nachgedacht hatte, was neue Fächer für seine Freizeit bedeuteten. Immerhin wollte er auch noch Freizeit haben und Quidditch spielen.   "Wir sollten noch mal mit Snape darüber reden", meinte Hermine mit einem Stirnrunzeln. "Auf meinem Plan passt einiges nicht zusammen, und außerdem kann er uns nicht einfach für irgendwelche Sachen einplanen, ohne uns vorher darüber zu informieren."   Harry war sich sicher, dass Snape das sehr wohl konnte – er hatte es schließlich auch getan. Nur ob er es durfte, das war eine etwas andere Frage. Eine, die Harry ihm nicht stellen würde, denn dann würde es Strafarbeiten hageln. Es war schon schlimm genug, dass Snape sich an ihrer Kleidung aufhängte, ohne ihnen auch nur einen Hinweis zu geben, wie sie das ändern sollten. Überhaupt schien Snape viel zu viel als gegeben hinzunehmen. Erst das mit dem Passwort, dann die Uniformen, jetzt die Stundenpläne ... anstatt einmal eine Erklärung abzugeben, schnauzte Snape sie an, wenn sie etwas nicht wussten.    Aber das war Snape. Snape erklärte nicht mal in seinem eigenen Unterricht etwas, warum sollte er es dann außerhalb tun?   Hermine bestand darauf, dass sie Snape darauf ansprechen mussten. Harry wäre es lieber, einfach nicht zu diesen Zusatzkursen aufzutauchen. Ein Gespräch mit Snape beinhaltete nur Spott, Hohn und Gemeinheiten, und wenn sie Pech hatten, bekamen sie obendrein auch noch Strafarbeiten. Nein, er wollte wirklich nicht mit Snape reden.   "Am besten sofort nach dem Mittagessen", meinte Hermine ernst. "Wenn wir zu lange warten -"   "Das geht nicht", wandte Neville ein. "Wenn wir erst dann zum Gemeinschaftsraum zurückgehen, wenn alle schon weg sind, dann kommen wir nicht mehr rein."   Harry vermutete zwar, dass der wahre Grund für seinen Einwand der war, dass Neville noch mehr dagegen hatte, mit Snape zu reden, als Harry, aber wer konnte es ihm verübeln? Und er hatte ja Recht – sie wussten immer noch nicht das Passwort und es war auch so schon schwierig genug, den Weg zurück zum Gemeinschaftsraum zu finden.   Trotz aller Bemühungen setzte sich Hermine durch. Im Nachhinein fragte Harry sich, wie sie es geschafft hatte – es hatte drei Stimmen dagegen gegeben. Vielleicht war es ihre Drohung, ihnen nicht bei ihren Hausaufgaben zu helfen. Oder es war eine spezielle weibliche Fähigkeit. Sie würden es wohl nie erfahren.   Da Snape bereits die Halle verlassen hatte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihn in seinem Büro aufzusuchen. Hermine klopfte forsch an die Tür. Harry kreuzte die Finger und hoffte, dass er nicht da war. Wie lange mussten sie warten? Wenn Snape nicht sofort antwortete, dann war er bestimmt nicht im Büro. Oder er war beschäftigt. Oder er wusste, dass sie es waren, und wollte nichts mit ihnen zu tun haben. Harry drehte sich bereits um, um zu gehen, als die Tür aufgerissen wurde und Snape vor ihnen stand.   "Was wollt ihr?", blaffte er sie an.   Hermine reckte leicht das Kinn. "Da ist ein Fehler auf meinem Stundenplan."    Sie hielt ihm das Pergament hin, aber Snape starrte es nur an, als hätte es ihn persönlich beleidigt. "Was", fragte er gefährlich leise, "soll dieser Fehler sein?"   Spätestens jetzt hätte jeder normale Schüler, der noch bei Sinn und Verstand war, das Weite gesucht. Harry hatte keine Zweifel, dass Hermine wirklich einen Fehler gefunden hatte, aber so etwas teilte man dem Hauslehrer von Slytherin einfach nicht mit. Nicht von Angesicht zu Angesicht. Nicht einmal per Brief – Snape würde selbst anonyme Briefe zurückverfolgen können. Aber Hermine sah sich im Recht und das sagte sie auch.   "Zum einen fehlt ein Fach", sagte sie ernst und wedelte etwas mit dem Pergament.   Snape hob eine Augenbraue. "Das ist das erste Mal, dass sich jemand beschwert hat, dass zu wenig Unterricht eingeplant ist." Er verschränkte die Arme und machte keine Anstalten, sich den Plan anzusehen. "Ich schätze, dass es um Muggelkunde geht", meinte er dann gelangweilt. "Hiermit informiere ich dich, dass du entweder das Fach ganz aufgibst oder die ersten zwei Monate aussetzt."   Hermine starrte ihn empört an. "Das geht nicht!"   Snape schnaubte. "Und ob das geht. Das ist sogar die Norm." Er sah verächtlich auf sie herab. "Nur weil du der Ansicht bist, etwas Besonderes zu sein, heißt das nicht, dass dem so ist. Vielleicht hast du Professor McGonagall überzeugt – mich beeindruckst du nicht." Er machte eine rüde Geste. "Jeder andere Schüler wäre darauf hingewiesen worden, dass er maximal drei Wahlfächer belegen kann. Aber du bist so gierig, dass du alle fünf haben willst. Da du unfähig bist, eine Entscheidung zu treffen, habe ich sie für dich getroffen, Granger. Für dich fällt Muggelkunde aus, solange du in meinem Haus bist. Es sollte dir ja nicht schwer fallen, den Stoff nachzuholen – immerhin ist es für dich eigentlich sowieso die reinste Zeitverschwendung." Er drehte sich um und verschwand wieder in seinem Büro, ihnen die Tür vor der Nase zuknallend.   Hermine schnappte nach Luft. "So ein –!"   Harry zog sie eilig von der Tür weg. "Sei still!" Er traute es Snape zu, dass er sie von der anderen Seite belauschte. "Lass uns gehen." Kapitel 5: ----------- Neville hatte Recht behalten – als sie zum Slytheringemeinschaftsraum zurückkehrten, nachdem sie sich zuvor fast verirrt hatten, war niemand da, der sie einlassen könnte. Und sie hatten noch immer keine Idee, was das Passwort sein könnte. Aus lauter Verzweiflung hatte Hermine sogar Du-weißt-schon-wer versucht, was ebenfalls nicht funktionierte.   "Ich wette, Snape hat den Slytherins das richtige Passwort erzählt und tut nur so, als müssten wir es erraten." Ron starrte die Steinwand erbost an. "Sowieso, wie sollen Typen wie Crabbe oder Goyle das Passwort erraten?"   "Gar nicht." Harry schnitt eine Grimasse. "Malfoy hat es ihnen gesagt."   Ron schnaubte, was auch ein verunglücktes Lachen sein könnte. Harry wusste es nicht, aber sie waren sich am Ende alle einig, dass es keine Rolle spielte. Malfoy würde es ihnen nicht sagen, und abgesehen davon war er sowieso nicht da. Also mussten sie einen anderen Weg finden.   "Wir können hier warten", sagte Hermine und kaute auf ihrer Lippe. "Oder wir –"   "Wir wären nicht in dieser Situation, wenn du nicht die glorreiche Idee gehabt hättest, mit Snape zu reden!" Ron funkelte sie an. "Wir wussten doch alle von Anfang an, dass es sinnlos ist, aber nein!"   Hermine starrte ihn an, bevor sie ihn ebenfalls anfunkelte. "So? Warum bist du dann mitgekommen, wenn du es doch besser gewusst hast?"   Harry seufzte innerlich. Er wusste, dass Ron Recht hatte – Neville hatte sie gewarnt – aber er wusste auch, dass es nichts half, jetzt darüber zu streiten. Er sah zu Neville, der bislang still gewesen war. Er starrte die Steinwand an und schien in Gedanken versunken. Von der Seite kam wohl auch keine Unterstützung, um die Situation zu entschärfen.   "Vielleicht sollten wir in die Bibliothek gehen", schlug Neville schließlich vor. "Wenn wir uns ein Geschichtsbuch vornehmen, vielleicht bekommen wir einen Hinweis auf das Passwort."   Für einen Augenblick glaubte Harry, sich verhört zu haben. Das klang mehr nach Hermine, wenngleich der leise Tonfall nicht für sie sprach. Sie war deutlich forscher und definitiv davon überzeugt, dass die Lösung aller Probleme in der Bibliothek zu finden war. Aber er hatte sich nicht geirrt. Neville hatte tatsächlich einen Vorschlag gemacht, der sogar Ron und Hermine zum Verstummen brachte. Hermine war sofort dafür, während Ron etwas skeptisch dreinsah. Da er aber keine besseren Ideen hatte und sie auch sonst nichts hatten, womit sie sich beschäftigen konnten – ihre ganzen Sachen waren im Schlafsaal – stimmte er zu.   Die Bibliothek war fast leer. Scheinbar hatte heute noch niemand einen Grund gefunden, sich hier einzuquartieren. Es war ja auch der erste Schultag und dazu kurz nach dem Mittagessen. Nur Hermine würde zu dieser Zeit schon ans Lernen denken.   "Okay, wir könnten uns zuerst Hogwarts: eine Geschichte vornehmen und dann –"   Hermine war ganz in ihrem Element, was Ron nur mit einem lauten Aufstöhnen quittierte. Es konnte natürlich auch daran liegen, dass Hermine als erstes den Wälzer genannt hatte, den keiner der Jungs lesen wollte. Sie hatten sich bereits zwei Jahre lang davor gedrückt und zumindest Harry war fest entschlossen, das auch ein drittes Jahr zu tun. Es war schlimm genug, Binns' Unterricht zu ertragen, da brauchte er sich nicht auch noch in seiner Freizeit langweilige Geschichtsschwarten anzusehen.   "Kennst du das Buch nicht bereits auswendig?", fragte Ron, als Hermine zielstrebig die Regale entlanglief, die drei Jungs im Schlepptau. "Glaubst du, du findest noch was Neues darin?"   "Man lernt nie aus", war Hermines schnippische Antwort.   Harry seufzte ergeben. Es führte wohl kein Weg dran vorbei. Die vier suchten sich einen Tisch und, unter Hermines strikter Aufsicht, begannen, eine Liste mit potentiellen Passwort-Namen zusammenzustellen. Die Wahrheit war jedoch, dass Hermine die meiste Arbeit machte. Harry ließ seinen Blick durch die Bibliothek schweifen, wann immer Hermine sich wieder in ihre Bücher vergrub. Ron ging es scheinbar ähnlich, da er damit begonnen hatte, mit Neville Tic-tac-toe zu spielen.   "Uhm …"   Harry sah auf und blinzelte. Es war ein Erstklässler, so viel war sicher, aber was ihn erstaunte, war, dass es ein Hufflepuff war. Das war ungewöhnlich. Normalerweise würden nicht mal die Gryffindor-Erstklässler sie ansprechen, oder? Selbst letztes Jahr war da nur Colin gewesen, und der war einfach von Natur aus aufdringlich. Harry sah sich um, ob der Junge wirklich mit ihm sprach, aber außer ihnen war niemand in der Nähe.   "Was ist?", fragte Harry, unfreundlicher als nötig.   Der Erstklässler schien in sich zusammenzuschrumpfen. "Ich … ich hab gehört, dass Dumbledore einen Phönix hat ..." Er wrang seine Hände. "Und du warst schon mal in seinem Büro und … nun, das haben sie zumindest gesagt, aber …"   Harry starrte. "Du willst wissen, ob Dumbledore einen Phönix hat?", fragte er ungläubig.   Er hatte mit vielem gerechnet. Vielleicht mit Fragen über die Kammer des Schreckens oder irgendwelchen Fragen dazu, wie er Voldemorts Angriff überlebt hatte, aber das? Das war so absurd normal, dass er Zweifel hatte. Das konnte nicht der Grund sein.   Aber der Erstklässler nickte, feuerrot im Gesicht. "Also ist es wahr?", fragte er.   Harry tauschte einen Blick mit seinen Freunden, bevor er langsam nickte. Das schien alles zu sein, denn der Erstklässler grinste, bedankte sich und rannte davon – was den Unmut von Madam Pince auf sich zog. Harry starrte ihm nach.   "Was war das denn?" Ron schüttelte den Kopf. "Die werden auch immer seltsamer jedes Jahr."   "Besser so als noch ein Colin", meinte Harry nur. "Wenn er nach einem Foto gefragt hätte, wäre ich durchgedreht. Das war wenigstens was Simples."   Neville hmmte. "Ich hatte auch schon gehört, dass Dumbledore einen Phönix hat, aber bisher hab ich noch keine Bestätigung gehört." Er sah zu Harry. "Du hast ihn also gesehen?"   Harry zuckte die Schultern. "Das erste Mal war es eher … na ja, Dumbledore sagte, er wäre in seiner Feuerphase oder so. Er ist in Flammen aufgegangen und ich hatte regelrechte Panik deswegen." Er grinste leicht bei der Erinnerung. Im Nachhinein war seine Reaktion fast lustig. "Und danach hat Fawkes uns geholfen, aus der Kammer zu kommen."   "Fawkes?"   "So heißt der Phönix", erklärte Ron fast missmutig. Die letzte Begegnung mit dem Phönix schien ihm nicht so zu erfreuen – Harry war froh darum. Der Vogel hatte ihm das Leben gerettet.   Neville blinzelte. "Nach … Guy Fawkes?", fragte er dann langsam, als wäre er sich nicht sicher.   "Vermutlich." Die anderen drei sahen ihn verwirrt an.   "Wie … der Guy Fawkes und der Schießpulverplot?"   Hermine zog die Brauen zusammen. "Gibt es noch einen anderen? Das ist zumindest der einzige, der mir einfällt, und es ist zumindest der Bekannteste."   Neville biss sich auf die Lippe. "Kann es sein, dass das Passwort Guy Fawkes ist?"   "Was?" Harry schüttelte den Kopf. "Wie kommst du darauf?"   "Na ja, ich weiß, mein Gedächtnis ist nicht das Beste, aber … vielleicht gerade weil er gesagt hat, dass man es nicht vergessen soll … und da ist doch dieser Spruch." Neville wurde rot. "War nur so eine Idee."   Hermine sah skeptisch drein. "Aber das ist ein Muggel. Die meisten Slytherins dürften den Namen nicht kennen."   Neville nickte niedergeschlagen.   ~*~*~   "Nichts funktioniert!" Hermine starrte wütend auf die Steinwand. "Wir haben alles ausprobiert, aber wir sind keinen Schritt weiter!"   Sie war eindeutig wütend. Harry konnte es ihr nachfühlen – sie hatten Ewigkeiten in der Bibliothek damit verbracht, geeignete Namen zu finden. Aber selbst nachdem sie die gesamte Liste durchgegangen waren, waren sie immer noch da, wo sie angefangen hatten: vor dem Eingang zum Gemeinschaftsraum. Es musste wirklich ein abgekartetes Spiel sein. Sie hatten selbst Snapes Namen als Passwort versucht, ohne Erfolg natürlich, und ihnen gingen nun wirklich die Ideen aus.   Ron lehnte sich mürrisch an die Wand. "Das ist bestimmt so ein Slytherintrick."   "Garantiert." Harry seufzte. "Glaubt ihr, wenn wir zu McGonagall gehen und ihr die Situation erklären, dass sie Snape dazu zwingt, uns das richtige Passwort zu sagen?" Er hatte seine Zweifel, aber McGonagall würde doch sicherlich zustimmen, dass sie an ihre Sachen kommen mussten.   "… naa." Ron schüttelte den Kopf. "Snape findet irgendeine andere Gemeinheit, um sich aus der Affäre zu ziehen. Er behauptet dann, wir hätten es nur vergessen oder so."   Neville beteiligte sich nicht an der Diskussion. Er starrte die Wand mit einem unleserlichen Ausdruck an. Wenn Harry es nicht besser wüsste, würde er fast meinen, Neville versuchte, telepathisch zu kommunizieren. Vielleicht wurde er aber auch nur langsam irre, denn egal was sie auch taten, sie kamen hier nicht weiter. Man sollte meinen, dass es einfacher wäre, mit dem Kopf durch die Wand zu kommen – nicht, dass sie so verzweifelt gewesen waren, das zu versuchen. Einen gewissen Selbsterhaltungstrieb hatten sie dann doch noch.   Dennoch war Harry erstaunt, als Neville einen Schritt nach vorne tat und laut "Guy Fawkes!" sagte.   "Neville, wir hatten doch –" Hermine brach ihren Satz abrupt ab, als die Wand sich bewegte.   Ron fiel mit einem überraschten Aufschrei rücklings in den Gemeinschaftsraum, als die Wand, an der er gelehnt hatte, sich plötzlich auftat. Harry sah zuerst zu Hermine, dann zu Neville. Neville hatte ein breites Grinsen im Gesicht.   "… aber das ist doch ein Muggel", murmelte Hermine fassungslos. "Wie kann das Passwort ein Muggel sein?"   Harry hatte auch keine Ahnung, wie Slytherin an einen Muggel als Passwort gekommen war, aber er fühlte sich irgendwie … reingelegt. Sie hatten sich solche Mühe gegeben, jemanden zu finden, der zu Snapes ominösem Hinweis passte, und dann war die Antwort so simpel? Harry wusste, dass Neville nicht dumm war, aber es passte einfach nicht, dass ihm die Lösung einfiel und ihnen nicht. Ausgerechnet Neville, der die Passwörter für Gryffindor immer wieder vergaß?   Mit gemischten Gefühlen folgte er Neville und Hermine in den Gemeinschaftsraum, um Ron vom Boden aufzusammeln. Die Slytherins im Raum fanden die Szene sehr amüsant. Einige lachten hinter vorgehaltener Hand, andere grinsten.   "Ihr braucht nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen", frotzelte Malfoy.   "Halt's Maul", fauchte Ron, der sich wieder auf die Beine gekämpft hatte. Dann grinste er. "Ist es dir nicht peinlich, dass das Passwort ein –"   "Ich würde das an deiner Stelle nicht tun", bemerkte Bulstrode. "Das könnte als das Passwort verraten gewertet werden – und Snape sieht das gar nicht gern."   "Aber er ist nicht hier!" Ron schüttelte den Kopf. "Merlin, ich hätte nie gedacht, dass Slytherins so feige sind."   Harry konnte ihm nur zustimmen. Es war nicht so, als würde er Snapes Zorn auf sich ziehen wollen. Aber was war schon dabei? Snape war nicht hier – ohne dass es ihm jemand sagte, würde er es nie erfahren. Sicher, man konnte nicht darauf vertrauen, dass die Slytherins nicht sofort zu ihm rannten um zu petzen. Trotzdem: Egal, was es war, sie gaben immer nur dieselbe Leier zum Besten. Tu dies nicht, tu das nicht, sonst wird Snape sauer. Harry hätte nie gedacht, dass Snape so einen Einfluss auf die Slytherins hatte.   "Feige?" Zabini schnaubte hinter seinem Buch. "Nicht lebensmüde trifft es eher." Er warf den vier Gryffindors einen Blick zu. "Ist euch in den Sinn gekommen, dass Snape Mittel und Wege haben könnte, um solche Sachen herauszufinden?"   "Was denn, hockt er vorm Schlüsselloch und lauscht?" Ron lachte.   So abwegig es auch klang, Harry konnte es sich beinahe vorstellen. Nur würde Snape das eher bei den Gryffindors machen – wozu sollte er die Slytherins überwachen? Er bevorzugte sie doch sowieso. Egal, was sie anstellten, Snape fand immer einen Weg, die Schuld Gryffindor zuzuschieben.   Die Slytherins fanden es weniger lustig. Aber statt etwas darauf zu erwidern, wandten sie sich ab. Ihre Gesichter sagten deutlich, dass sie die Gryffindors nicht noch einmal warnen würden. Harry war das nur Recht. Er erwartete von Slytherins sowieso nichts anderes, als dass sie sie ins offene Messer laufen ließen. Alles andere war eher unheimlich. Oder das war das Ziel des Ganzen – ihnen Angst einjagen. Sei es nun durch seltsames Verhalten oder dadurch, Snape zu jemandem zu machen, der absolut alles über einen wusste und dem man nicht entkommen konnte. Letzteres stimmte insofern, dass er als ihr temporärer Hauslehrer die Kontrolle darüber hatte, wie sich ihr Schulalltag gestaltete.   Harry schauderte bei dem Gedanken. Bisher war Snape geradezu umgänglich gewesen, aber das war auch nur der erste Tag. Wie würde es erst morgen aussehen? Nächste Woche? Eines war sicher – sollte er diese zwei Monate in Slytherin überleben, er würde sich nie wieder über McGonagall als Hauslehrerin beschweren. Kapitel 6: ----------- Im Nachhinein wusste er nicht, wie er die Nacht überlebt hatte. Als er aufwachte, hatte er als erstes überprüft, ob noch alle Gliedmaßen vorhanden waren – und ob man ihm nicht irgendwelche zusätzlich angehext hatte. Aber wider Erwarten war alles in Ordnung. Warum nur fühlte Harry sich kein bisschen erleichtert?   Er lauschte einen Moment lang Rons unverkennbarem Schnarchen. Fast war er versucht, alles als einen bösen Traum abzutun. Wenn da nicht diese nervtötende Stimme wäre …   "Raus aus den Federn!" Nott riss ihm mit einem Ruck die Bettdecke weg. "Glaubt ja nicht, dass ich mir eine Strafarbeit aufbrummen lasse, nur weil ihr zu faul zum Aufstehen seid!"   Harry tastete blind umher, nach seiner Brille, seiner Bettdecke, vielleicht auch nach seinem Zauberstab. Er war sich nicht sicher, was er jetzt lieber tun würde. Nott verhexen klang jedenfalls verlockend. Am Ende begnügte er sich damit, sich seine Brille aufzusetzen und Nott, den er nun endlich erkennen konnte, bitterböse anzufunkeln.   Es verlor etwas an Wirkung, da Nott gerade dabei war, Ron unsanft aus dem Bett zu holen, und ihm deshalb den Rücken zugewandt hatte. Schnarchnase war noch die harmloseste Bezeichnung, die Nott für Ron übrig hatte. Harry gähnte herzhaft und sah sich verschlafen um. Neville schien bereits wach zu sein – vermutlich Dank Notts Weckdienst – und suchte seine Sachen zusammen. Dass er noch halb im Land der Träume war, zeigte sich darin, dass er gerade versuchte, seine Beine durch die Pulloverärmel zu stecken.   Harry griff nach seiner Uhr, um herauszufinden, wie viel Zeit sie noch hatten – und erstarrte.   "Es ist erst sechs Uhr!" Er griff nach dem erstbesten, das ihm in die Finger kam – sein Kissen – und warf es Nott an den Kopf. "Du Wahnsinniger!"   Nott drehte sich zu ihm um und rieb sich den Hinterkopf. "War das eine Kriegserklärung, Potter?", fragte er gefährlich leise.   Harry griff nach dem nächsten Wurfgeschoss. "Und ob!", fauchte er. "Wir haben noch mehr als drei Stunden Zeit vor dem Unterricht und du machst hier Panik!" Als nächstes flog sein Turnschuh durch den Raum.   Nott duckte sich weg und der Schuh traf Zabini ins Gesicht. Das war so ziemlich das letzte, an das Harry sich erinnerte, bevor das komplette Chaos ausbrach. Turnschuhe, Kissen, Socken … alles, was sich irgendwie werfen ließ, flog durch die Luft. Früher oder später traf es jeden, und am Ende war unklar, wer wen zuerst angegriffen hatte.   "Was geht hier vor?"   Beim Klang dieser Stimme erstarrte Harry mitten in seiner Wurfbewegung. Er drehte langsam den Kopf, genau zum richtigen Zeitpunkt, um zu sehen, wie Snape getroffen wurde. Im ersten Augenblick waren alle mucksmäuschenstill, während Snape sich langsam von dem Geschoss befreite. Harry hatte zunächst gedacht, dass es ein Umhang war, oder vielleicht ein Pullover. Stattdessen hatte jemand – es war unmöglich, herauszufinden, wer – ihm eine Hose an den Kopf geworfen.   Snape starrte auf das Kleidungsstück in seiner Hand, dann ließ er den Blick durch den Raum schweifen. Harry wusste genau, was Snape sah: ein heilloses Durcheinander. Alles lag wild herum, Kissen, Federn, Kleidungsstücke, Bücher … mindestens eins der Kissen hatte das Zeitliche gesegnet und seinen fluffigen Inhalt im Raum verteilt. Kisseneingeweide, schoss es Harry durch den Kopf und er musste sich auf die Lippe beißen, um nicht hysterisch zu lachen. Snape würde ihn umbringen.   "Ich weiß nicht, warum es hier aussieht wie auf einem Schlachtfeld", sagte Snape langsam. "Und ich will es eigentlich auch gar nicht wissen. Was ich weiß, ist, dass ihr aufräumen werdet. Danach werdet ihr putzen und den Boden wienern. Und dann werdet ihr eine Strafarbeit ableisten." Snape ließ die Hose achtlos fallen. "Am besten ihr fangt damit an, euch präsentabel anzuziehen. Wenn ihr nämlich in fünfzehn Minuten nicht ordentlich im Gemeinschaftsraum steht, werde ich richtig gemein."   Er drehte sich auf dem Absatz um und ging.   Harry starrte ihm ungläubig nach. "... kam es mir nur so vor, oder klang er nicht mal sonderlich wütend?"   "Es kam dir nur so vor." Malfoy pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Wenn er richtig wütend ist, kommt er auf der anderen Seite wieder an und wird unheimlich freundlich."   Er begann damit, die Sachen vom Boden aufzusammeln und ihren Besitzern zuzusortieren. Für einen Augenblick sah Harry nur dabei zu, dann gab er sich einen Ruck. Malfoy war nicht der einzige, den Snape im Gemeinschaftsraum erwarten würde. Präsentabel. Und … in den richtigen Uniformen. Harry starrte panisch auf seinen Umhang, auf dem noch immer das Abzeichen von Gryffindor prangte.   "Hier." Nott warf ihm einen Umhang zu. "Bevor Snape ganz durchdreht."   Die anderen Slytherins taten es ihm gleich, mit dem Ratschlag, einen der älteren Schüler zu fragen, ob sie die Abzeichen anpassen könnten. Harry fiel wieder die Farbpalette ein. Hatte Snape sie ihnen dafür gegeben? Damit sie den richtigen Farbton bei der Verwandlung trafen? Aber er hatte keine Zeit, darüber weiter nachzudenken.   Fünfzehn Minuten waren eine schrecklich kurze Zeit.   ~*~*~   Snapes Blick wanderte an ihnen auf und ab. "Präsentabel ist etwas anderes", sagte er, aber da kein weiterer Kommentar kam, war es wohl zumindest akzeptabel.   Oder, was viel wahrscheinlicher war, er hatte keinen Nerv dazu, sich noch weiter mit ihnen abzuplagen. Denn wenn Harry sich umsah, dann sahen sie zerknittert und zerzaust aus. Immerhin hatte Snape keinen Grund, sie wegen der Farbe ihrer Uniform anzuschnauzen. Er sah sie zwar so an, als wüsste er genau, dass sie sich die Kleidungsstücke ausgeliehen hatten, aber Snape schien das nicht weiter zu stören. Noch nicht.   "Ich werde euch später über eure Strafarbeit informieren", sagte Snape mit zusammengezogenen Brauen. "Ich würde euch raten, bis dahin nicht noch mehr Schwierigkeiten zu machen."   Die sechs Jungen nickten schweigend. Snape warf ihnen noch einen vernichtenden Blick zu, bevor er davonrauschte.   Im Nachhinein fragte Harry sich, warum Snape überhaupt da gewesen war. Es konnte kaum sein, dass er sich Sorgen gemacht hatte. Das war schließlich Snape. Vielleicht hatte er schauen wollen, ob er Beweise vernichten musste. Harry fand es unheimlich, wie einfach er sich Snape dabei vorstellen konnte. So ein bisschen wie Sweeney Todd, nur weitaus gruseliger.   Er würde Albträume haben. Und, wie er kurz darauf am Frühstückstisch feststellte, er würde nie, nie wieder eine Pastete essen.   ~*~*~   Harry hatte kein richtiges Zeitgefühl mehr. Als Nott sie aus dem Schlaf gerissen hatte, war es erst sechs Uhr gewesen – eine normale Uhrzeit, scheinbar, denn die anderen beiden Slytherins hatten sich nicht darüber beschwert. Dann war das Chaos ausgebrochen, bis Snape aufgetaucht und sie zusammengefaltet hatte, metaphorisch gesprochen. Sie sahen mehr zusammengeknüllt und gegen die Wand geworfen aus, wenn man Harry fragte.   Und trotz allem waren sie immer noch viel zu früh in der Großen Halle. Da waren ein paar Lehrer, die sich hinter Zeitungen verschanzt hatten, ein paar vereinzelte Schüler – und ein Großteil des Hauses Slytherin. Offenbar war diese Uhrzeit zum Aufstehen allgemein anerkannt.   "Merlin, müssen wir jetzt immer so früh aufstehen?", fragte Ron entsetzt. Ihm war wohl derselbe Gedanke gekommen. "Ich werde sterben!"   Zabini schnaubte. "Ich sehe schon, du hast Wahrsagen gewählt." Er schien aber ebenfalls nicht gerade ein Morgenmensch zu sein.   Der einzige, der putzmunter war, war Nott. Harry sah sich um und hoffte, Hermine zu entdecken, aber die Mädchen hatten wohl etwas länger Zeit. Oder sie nahmen sie sich einfach. Wahrscheinlich hatte Snape auch gerade so viel Anstand, bei ihnen nicht unerwartet hereinzuplatzen. Harry schnitt bei dem Gedanken eine Grimasse. Das wäre wirklich ein Albtraum. Zum Glück hatte Snape sie nur bei einer erweiterten Kissenschlacht erwischt. Man stelle sich die Alternativen vor.   Oder besser nicht.   "Was haben wir als erstes?", fragte Ron, während er sich tapfer davon abhielt, im Müsli auf Tauchstation zu gehen. "Lass es bitte Geschichte sein, dann kann ich weiterschlafen."   "Ich wünschte, es wäre so." Neville schauderte. "Wir haben Snape."   Harry ließ seinen Löffel fallen und neben ihm ertönte ein lautes Platsch: Ron hatte den Kampf mit der Schwerkraft verloren.   "Was?" Ron richtete sich auf, vor Milch triefend. Er drehte sich um und sah zum Lehrertisch, wo Snape sie mit einem Stirnrunzeln beobachtete. "Der Bastard hat es gewusst!"   Zabini klatschte ihm eine Serviette ins Gesicht. "Natürlich, so wie jeder, der sich den Stundenplan angeschaut hat", ätzte er.   Ron antwortete nicht, sondern trocknete sich das Gesicht. Er murmelte irgendetwas in den Stoff. Seiner Tonlage nach war es besser, ihn nicht zu verstehen. Harry konnte es ihm nachfühlen. Warum mussten sie ausgerechnet Snape als erstes Fach haben? Das war einfach nur ungerecht und unmenschlich. Hatten sie gestern nicht schon genug von dem Mann gesehen?   "Hallo, Jungs!" Hermine strahlte sie an und ließ sich neben sie auf die Bank nieder.  Dann bemerkte sie ihre Trauermienen. "Was ist los?"   "Wir haben Zaubertränke in den ersten beiden Stunden", sagte Neville düster.   "Und Snape hat uns auf dem Kieker", fügte Harry hinzu. "Vor allem nach heute Morgen."   "Wir sind so tot", klagte Ron und ließ den Kopf erneut in die Müslischüssel fallen, um sich zu ertränken.   ~*~*~   "Hey, Leute!"   Harry drehte sich verwirrt um. Dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. "Seamus! Dean!"   Die anderen Gryffindors – die glücklichen, die in der anderen Gruppe gelandet waren – kamen den Gang entlang auf sie zu. Harry hatte das seltsame Gefühl, sie ewig nicht mehr gesehen zu haben, obwohl es erst gestern gewesen war, dass sie noch zusammen am Gryffindortisch gefrühstückt hatten. Es war erstaunlich, wie lang einem ein Tag vorkommen konnte.   Seamus schlug Harry überschwänglich auf den Rücken. "Und?" Er lehnte sich verschwörerisch vor. "Wie ist es in der Schlangengrube?"   Harry schnitt eine Grimasse. "Grün", sagte er dann scherzhaft. "Und scheinbar ist alles verboten, weil Snape es erfahren könnte, oder so."   Ron sah düster drein. "Die sind alle verrückt", sagte er. "Vor allem der da." Er wies auf Nott.   Dean und Seamus sahen zu ihm rüber. "Ernsthaft?"   "Ich dachte, das wäre der, der nur auf dem Papier existiert", meinte Dean.   "Stille Wasser sind tief", murmelte Harry. "Der spricht mit einer Topfpflanze und er hat uns heute Morgen um sechs aus dem Bett geworfen."   "Ihr Armen."   Sie hätten sich vermutlich noch länger ausgetauscht – Horrorgeschichten aus Slytherin und die neusten Nachrichten aus Gryffindor. Und Harry interessierte es auch, wie die neuen Gryffindors sich machten. Padma und Parvati zusammen in einer Klasse könnte für Verwechslungen sorgen, und irgendwie war Harry gespannt, wie sich das entwickeln würde. Auf jeden Fall wäre es ihm lieber, sich mit den Ravenclaws zeitweise einen Schlafsaal zu teilen. Wenn Nott noch mehr seltsame Anwandlungen zeigte …   "Wenn das Kaffeekränzchen dann beendet ist …" Snape stand mit verschränkten Armen in der Tür zum Tränkeklassenraum. "Ihr habt zwei Minuten Zeit, danach gibt es Punktabzug."   Diese Worte waren mehr an die Gryffindors gerichtet, was in diesem Fall Harry, Ron, Neville und Hermine ausschloss. Es war ein äußerst merkwürdiges Gefühl, von Snape nicht offen schikaniert zu werden. Harry machte sich keine Hoffnungen, dass das so bleiben würde, aber immerhin würde Snape sich hüten, ihnen Punkte abzuziehen. Wenn er nicht dazu neigen würde, Strafarbeiten zu verteilen, Harry wäre fast versucht, Snapes Grenzen auszutesten. Würde er sich auch bei Harry zurücknehmen, jetzt, wo er slytheringrün trug?   Die Antwort war: ja und nein. Snape war weitaus toleranter, was bei ihm alles und nichts bedeuten konnte. Harry wurde immer noch Opfer von Snapes bissigen Worten, aber gleichzeitig zeigte Snape eine seltene, nie gekannte Geduld im Umgang mit Neville. Er stauchte ihn nicht sofort zusammen, sondern tat es sehr umsichtig und vorsichtig. Und er sagte ihnen sogar, was sie falsch gemacht hatten, bevor er ihnen Strafen aufbrummte.   Punkte verlor Slytherin keinen. Gryffindor schaffte es, mit einem Minus von sieben Punkten den Raum zu verlassen.   "Glaubst du, Snape hat einen Hau weg bekommen heute Morgen?", fragte Ron als sie sich auf den Weg zur nächsten Stunde machten. "Immerhin, er wurde am Kopf getroffen …"   "Ich tippe fast eher darauf, dass er wie ein Stier ist", meinte Harry. "Wenn er rot sieht, dreht er durch."   Kapitel 7: ----------- "Zum Glück haben wir nach dem Mittagessen nur noch Geschichte", sagte Ron und ließ sich auf die Bank am Slytherintisch fallen. "Was ein Tag!"   Harry konnte dem nur zustimmen. Zaubertränke war unheimlich gewesen, aber ihre erste Stunde Wahrsagen war eine Katastrophe. Nicht, dass die Lehrerin sie irgendwie zusammengestaucht hätte. Nein, viel eher war sie eine übergroße, menschliche Libelle.   "Hey, Weasley!" Zabini warf sich neben ihm auf die Bank. "Ich hab gehört, du wärst ein Seher?"   Ron starrte ihn irritiert an. "Was?"   Zabini grinste. "Milli hat erzählt, man hätte euren Tod vorhergesagt. Und wenn die Wahrsagelehrerin das behauptet – und sie tatsächlich was vom Fach versteht – dann hattest du heute Morgen Recht: Ihr seid so tot!"   "… Milli?", fragte Ron verdutzt.   Harry fand es erstaunlich, dass das alles war, was er aus dem Gefrotzel herausgehört hatte. Er jedenfalls war froh, dass Zabini offensichtlich nur Wissen aus zweiter Hand hatte, denn so oft, wie die Lehrerin ihm den Tod vorausgesagt hatte ... andererseits hatte er gewisse Zweifel an ihren Fähigkeiten. Entweder hatte sie einfach nur danebengegriffen, oder aber sie wusste wirklich nicht, was Sache war. Mitten im Winter geboren, in der Tat.   "Milli", wiederholte Zabini und deutete zu Bulstrode. "Sie hat auch Wahrsagen? Mit euch? Merlin, achtet ihr überhaupt mal auf eure Umgebung?"   Harry sah zu Bulstrode hinüber. Er wusste immer noch nicht, wie er sie einordnen sollte. Er war sich sehr sicher gewesen, dass sie eine Person vom Kaliber Crabbe und Goyle war, nur in weiblich. Etwas kantig, reichlich stämmig, mit einem Hang zu Handgreiflichkeiten. Aber scheinbar war da mehr dran, denn sonst hätte man genauso gut Goyle zum Stufensprecher machen können.   Ron starrte ebenfalls Bulstrode an, aber sein Gesichtsausdruck zeigte, dass er sich an einer anderen Sache aufhängte. "Ernsthaft, wie kann man jemanden mit dem Gesicht Milli nennen?", flüsterte er Harry zu.   Mit einem leisen Seufzen wandte sich Harry seinem Teller zu. Es würde ihm nicht helfen, über die Slytherins nachzudenken. Sie entzogen sich jedem Verständnis. Es gab Momente, in denen Harry ganz deutlich spürte, dass er nicht willkommen war. Und dann gab es Episoden wie gerade, in denen er das Gefühl bekam, im falschen Film zu sein. Er kannte Zabini kaum und trotzdem gab er sich so kumpelhaft, als wären sie befreundet. Nicht beste Freunde, aber als ob sie eben keine Erzfeinde waren. Es war einfach nicht normal.   Noch unnormaler war jedoch, dass Harry beinahe eine freundliche Erwiderung gegeben hätte.   Es war sein Glück, dass Ron derjenige war, der als erster den Mund aufgemacht hatte. Harry wusste nicht, was Zabini für Fächer hatte – in Wahrsagen war er jedenfalls nicht gewesen – aber es schien eindeutig, dass er Wahrsagen für einen Witz hielt. Und Harry war geneigt, ihm da zuzustimmen. Von dem, was er bisher von ihrer Lehrerin, Professor Trelawney, gesehen hatte, war es eine Menge Hokuspokus und so verlässlich wie die Horoskope, die er aus Tante Petunias Klatschzeitschriften kannte. Kurz: Es wurde so lange im Dunkeln gestochert, bis das blinde Huhn ein Korn fand.   Nur das konnte er unmöglich sagen, wenn er dabei einem Slytherin wie Zabini zustimmte. Vor allem nicht, wenn besagter Slytherin sich gerade, wenn auch scherzhaft, über sie lustig gemacht hatte. Harry fühlte sich auch nicht in der Lage, zu fragen, ob es denn richtige Seher gab, mit richtigen Prophezeiungen. Damit würde er nur seine Unwissenheit unterstreichen.   "Was glaubt ihr, was diese Zusatzkurse beinhalten?", fragte Hermine, während sie ihren Stundenplan studierte.   Harry wandte sich zu ihr um, froh über den Themenwechsel. "Die Frage ist eher, wer gibt diese Zusatzkurse?"   Die Frage hatte er sich nämlich insgeheim gestellt, seit Snape diese Kurse angekündigt hatte. Oder weniger angekündigt als aufgezwungen. In Gryffindor hatte es diese Kurse nicht gegeben, also war er davon ausgegangen, dass es eine hausinterne Sache war. Oder vielleicht etwas, was für jedes Haus optional war. Harry hatte ja auch noch immer nicht ganz den Sinn hinter diesen Kursen verstanden, außer dass Snape ihnen möglichst wenig Freizeit lassen wollte.   "Gute Frage." Hermine ließ den Blick nachdenklich über die Leute am Lehrertisch wandern. "Es scheint verschiedene Arten von Zusatzkursen zu geben, also vielleicht gibt es auch mehrere Lehrer?"   "Solange es nicht Snape ist", brummte Ron missmutig. "Oder diese übergroße Libelle."   "Professor Trelawney", sagte Hermine mit einem missbilligenden Blick. "Ernsthaft, Ron, den Namen sollte man sich merken können."   "Wer ist denn Professor Trelawney?", fragte Nott, der sich irgendwann während ihres Gesprächs zu ihnen gesellt hatte. "Noch nie gehört."   "Die Schreckschraube, die Wahrsagen unterrichtet", sagte Ron mit einem düsteren Blick. "Sieht aus wie eine Libelle."   Nott runzelte die Stirn und sah zum Lehrertisch. Da konnte er natürlich lange schauen, denn Harry hatte vorher bereits bemerkt, dass Trelawney sich nicht in der Großen Halle blicken ließ. In der Hinsicht war sie noch menschenscheuer als Snape. Wobei der vermutlich auch nur deshalb auftauchte, weil er Hauslehrer war. Oder weil er Schülern den Appetit verderben konnte.   "Vergiss es", meinte Zabini und stieß Nott an. "Die Frau ist unfähig. Deshalb hat Snape Milli auch tausendmal gefragt, ob sie wirklich Wahrsagen wählen will."   "Nur Milli?"   "Milli ist intelligent." Zabini sah hinüber zum Hufflepufftisch. "Andere … sind es weniger. Ich glaube, Snape hofft, dass sie dadurch, dass sie sich alles frei ausdenken können, bessere Noten abliefern."   "Ah … die Hoffnung stirbt zuletzt." Nott grinste.   Harry verfolgte diesen Austausch mit Verwirrung. Es wirkte erschreckend offen und menschlich auf ihn. Es war nicht so, als wäre es neu – Harry konnte nur vermuten, wen die beiden meinten, aber der Blick deutete doch sehr auf Crabbe und Goyle hin. Die beiden waren zur Zeit, mit dem Rest der Slytherins in ihrem Jahrgang, in Hufflepuff. Der Gedanke war auch seltsam, denn Slytherin und Hufflepuff schien so gar nicht zusammenzupassen. Andererseits, Slytherin passte mit nichts zusammen.   Umso erstaunlicher war es, dass Zabini und Nott sich keine Mühe gaben, sie auszugrenzen. Man sollte meinen, dass sie sich der Tatsache, dass der Feind mitten unter ihnen saß, schmerzlich bewusst war. Aber stattdessen frotzelten und stichelten sie so, als wären sie unter sich. Harry bezweifelte, dass sie sich von der Farbe ihrer Uniformen beirren ließen, immerhin hatten sie sie ihnen geliehen.   Harry sah zu Ron, der genauso verwirrt wirkte. Sie sahen hinüber zu Neville, der mit starrem Blick auf seinen Teller schaute und nichts um sich herum wahrzunehmen schien. Er sah aus, als hätte man ihm mitgeteilt, dass er von nun an jede Stunde Zaubertränke hatte. Dabei hatte Trelawney sich doch eher auf Harry konzentriert … Harry sah zu Nevilles Sitznachbarn, aber keiner der Slytherins sah so aus, als hätte er Neville so etwas erzählt. Malfoy wirkte eher überrascht.   "Ernsthaft, Longbottom, was hast du denn gedacht?", schnarrte er, aber er traf den überheblichen Ton nicht ganz.   Ron sprang sofort auf Nevilles Seite. "Die Frage ist eher, was du angestellt hast, Malfoy!"   "Ach, halt dich da raus, Wiesel", schnappte Malfoy. "Ich rede mit Longbottom."   "Vielleicht will Neville aber nicht mit dir reden", erwiderte Harry finster.   Malfoy schnaubte. "Er hat mich gefragt, ich habe geantwortet – und offensichtlich ist er noch dümmer, als er aussieht, dass er die Antwort nicht bereits erwartet hat." Er stand auf und stolzierte hoch erhobenen Hauptes davon.   Harry durchbohrte seinen Rücken mit einem bösen Blick, bis Malfoy die Halle verlassen hatte. Dann wandte er sich den anderen zu. Am Slytherintisch schien sich eine allgemeine Aufbruchsstimmung breit zu machen. Harry verdrehte die Augen. Natürlich, Malfoy stapfte davon wie ein arroganter Pfau und alles, was grün trug, musste ihm folgen. Wirklich.   "Was hat Malfoy gesagt?", fragte er Neville, fest entschlossen, sich nicht beirren zu lassen.   Neville schnitt eine Grimasse. "Es ist nicht so, wie ihr denkt", antwortete er miserabel. "Ich hab ihn nach diesen Zusatzkursen gefragt und er meinte …" Er seufzte schwer. "Wir werden sehr viel mehr Snape sehen, als wir bisher gedacht haben."   ~*~*~   Nevilles Worte bewahrheiteten sich, als sie sich am Nachmittag zu ihrem ersten Zusatzkurs aufmachten. Harry war sich nach wie vor nicht ganz sicher, was er davon halten sollte, aber mit Nevilles Ankündigung tendierte er dazu, sich bereits jetzt Mittel und Wege zu überlegen, wie er ihnen fernbleiben konnte. Wenn Snape nur nicht auch ihr temporärer Hauslehrer wäre … Harry war sich sicher, dass er einfach eine Krankheit vortäuschen könnte. Aber entweder würde Snape ihn auch mit vierzig Grad Fieber noch als Simulant bezeichnen und zum Unterricht schicken, oder aber er würde ihm irgendein merkwürdiges Gebräu androhen, um ihn zu heilen. Kurz, es gab keine Möglichkeit, Snape zu entkommen, ohne sich aus dem Leben zu verabschieden.   Soweit Harry wusste, gab es in der Zaubererwelt keine Zombies, aber er traute es Snape durchaus zu, Frankensteins Monster zu erschaffen, nur um ihn weiter zu piesacken.   Snape erwartete sie mit verschränkten Armen und finsterem Gesichtsausdruck in seinem Klassenzimmer. Harry bemerkte auch schnell, warum er so missgelaunt war – die Gryffindors waren die letzten, die eintrudelten. Tatsächlich war der gesamte Slytherinjahrgang anwesend, obwohl ein Teil zurzeit in einem anderen Haus war. Hatte Snape sie dazu gezwungen oder waren sie wahnsinnig genug, freiwillig zu kommen?   "Wenn die Herren Schnarchnasen und die Frau Zuspät dann auch da sind …", ätzte Snape ungeduldig.   Harry warf ihm einen bösen Blick zu und ließ sich auf einen Platz in der hintersten Ecke fallen. Er unterdrückte die Erwiderung nur mühsam. Ernsthaft, sie waren nicht so zu spät, wie es bei ihm klang. Vielleicht zwei Minuten, wenn es hochkam. Aber es wäre müßig, mit Snape darüber zu diskutieren.   "Potter!"   Harry schreckte hoch. "Was?"   Snapes Blick verfinsterte sich, während er die Lippen zusammenpresste. Offensichtlich hielt er sich nur mit Mühe davon ab, etwas zu sagen.   Harry brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, warum: Snapes geradezu instinktive Reaktion auf alles, was Harry tat oder sagte, war Punktabzug. Aber würde er jetzt diesem Drang nachgeben, würde Snape seinem eigenen Haus einen Nachteil verschaffen. Harry versuchte tapfer, sich das Grinsen zu verkneifen, aber Snapes Blick sagte mehr als deutlich, dass er kläglich versagte.   "Mach so weiter, Potter", zischte Snape, "und du wirst den Rest deines Lebens bei Strafarbeiten verbringen."   Harry nickte nur und versuchte noch immer, sein Lachen im Keim zu ersticken. Er wusste nicht einmal, warum er es so lustig fand. Vielleicht weil Snape keine Möglichkeit hatte, ihn wirklich zu bestrafen. Selbst unter strikter Auslegung der Schulregeln fiel Unachtsamkeit und das Vergessen des Wörtchens Sir nicht in die Kategorie Verstöße, die eine Strafarbeit rechtfertigten. Snape mochte sein Hauslehrer sein, aber Harry hatte nicht vor, sich kampflos seiner Willkürherrschaft zu unterwerfen.   Snape funkelte ihn noch einmal besonders finster an. "Wenn dann auch unsere Berühmtheit gewillt ist, die Aufmerksamkeit dem Unterrichtsgeschehen zuzuwenden, können wir anfangen." Er wartete, bis Harry zumindest so tat, als würde er zuhören, bevor er sich dem Rest der Klasse zuwandte.   Harry hatte erwartet, dass Snape wie sonst auch kurz sagte, was sie tun würden, ihnen ein Rezept vorsetzte und dann damit begann, sie verbal in den Boden zu stampfen. Stattdessen schien es richtiger Unterricht zu sein. Snape forderte von den Slytherins Hausaufgaben ein – ohne die Gryffindors für das Fehlen zusammenzustauchen – ging auf einige Fragen ein, die Harry keinem Fach zuordnen konnte, und schien generell bessere Laune zu haben als in Zaubertränke.   Es lag nur daran, dass er jedem von ihnen nach einer Viertelstunde ein Pergament aushändigte mit der Ansage, dass sie einen spontanen Test schreiben würden.   "War ja klar, dass er nicht ohne Gemeinheit auskommt", grummelte Ron und entrollte sein Pergament mit spitzen Fingern. Er sah aus wie Tante Petunia, wenn sie Abfall zu entsorgen hatte.   "Shhht!" Hermine warf einen kurzen Blick zu Snape, der am Pult lehnte. "Er könnte dich hören!"   Harry verdrehte die Augen und sah auf das Pergament. Was für Gemeinheiten hatte sich Snape hierfür ausgedacht? Als er die erste Frage las, blinzelte er. Dann las er sie erneut. Und noch einmal. Er musste sich irren. Das war so absurd unmagisch, dass es ein Witz sein musste. Er sah zur Seite. Ron hatte die Brauen zusammengezogen und formte lautlos die Worte, offensichtlich genauso irritiert wie Harry. Hermine kritzelte eifrig auf einem Schmierzettel herum, aber auch sie schien nicht genau zu wissen, was los war. Harry sah zur anderen Seite, wo Neville über dem Test rätselte.   "Potter, Augen auf dein Pergament, oder du bekommst sofort ein Troll." Snapes Stimme klang gelangweilt, aber Harry, auch wenn er nicht wusste, warum er einen Troll bekommen sollte, wandte sich seinem eigenen Test zu.   Eine Erbschaft von 14.000 Galleonen wird so unter den drei Erben William, Henry und Edward aufgeteilt, dass William 2.000 Galleonen mehr erhält als Henry und Edward zusammen, und die Erbschaft von Henry und Edward sich wie 2:1 verhält. Wie viele Galleonen erhält Edward?   Was hatte das mit Zaubertränken zu tun? Oder mit Magie? Wollte Snape sie ernsthaft eine Erbschaft berechnen lassen? Harry hielt inne. Vielleicht war das für Slytherins ja wichtig und deshalb lernten sie das? Aber warum würde Snape sie dann zwingen, ebenfalls hier zu sitzen? Ein Blick auf die anderen Fragen zeigte ihm, dass alle Fragen in dieser Art waren. Wenn Snape ihn nicht bereits ins Auge gefasst hätte, hätte Harry sich erneut umgesehen. Dieser Test war ein Witz.   "Potter, hör auf, dich umzusehen, und mach deinen Test." Snape stand direkt vor ihm. "Du verplemperst deine Zeit – und wenn du nicht bald anfängst, wirst du wirklich ein Troll kassieren."   Harry hätte ihm gerne gesagt, wo er sich seinen blöden Troll hinstecken konnte, aber er begann damit, den Test zu lösen. Oder das zu schreiben, was er für die Lösung hielt. Die ganze Sache kam ihm immer noch seltsam vor, aber es war nicht schwer. Es war auch nicht einfach, aber eigentlich musste er nur genau überlegen, was gefragt war. Logik. Hermine hatte mal gesagt, dass das etwas war, womit Zauberer Probleme hatten, und vielleicht war das hier Snapes Versuch, dem entgegenzuwirken. Der Kerl hatte ein Logikrätsel kreiert, auch wenn Harry sich über den Schwierigkeitsgrad nicht ganz einig war.   Snape sammelte die Tests pünktlich zum Ende der Stunde ein – er ließ sie nicht einmal den Satz zu Ende schreiben – und scheuchte sie davon. Ohne ein weiteres Wort darüber.   "Welcher Hippogreif hat den denn getreten?", fragte Ron und streckte sich. "Erst diese ganze Leier mit den Zusatzkursen und dann stellt er solche dämlichen Tests, die keinen Sinn ergeben –"   "Ich bin mir da nicht so sicher", unterbrach Hermine ihn. "Es war so ein bisschen ein Test zum Allgemeinwissen. Oder Allgemeinbildung? Es hatte Elemente von Mathematik und Politik, wobei ich sagen muss, dass es ungewöhnliche Fragestellungen waren, aber –"   "Ernsthaft?" Harry schnaubte. "Ich hatte das Gefühl, er verarscht uns."   Neville biss sich auf die Lippe. "Meint ihr, wir kriegen Ärger, wenn wir diesen Test nicht geschafft haben? Ich glaube, ich habe nicht mal die Hälfte richtig …"   Ron zuckte die Schultern. "Es ist Snape", meinte er nur. "Ich hab irgendwas hingeschrieben, weil, echt, ich hatte keine Lust darauf. Wie sieht's bei dir aus, Harry?"   "Ich habe die Hälfte der Zeit damit verbracht, mich zu fragen, wieso Snape plötzlich mit so was um die Ecke kommt. Am Ende habe ich nur noch geraten."   Hermine sah sie missbilligend an, warf ihr Haar zurück und stolzierte davon. Harry blinzelte. Hatte sie den Test wirklich ernst genommen? Nun, es war Hermine, sie nahm alles ernst, was schulisch war. Auch wenn Harry hoffte, dass sie inzwischen ihre Prioritäten soweit zusammen hatte, dass sie nicht wieder so etwas wie im ersten Jahr sagen würde. Wir hätten sterben können – oder schlimmer, von der Schule verwiesen! Eigentlich erstaunlich, dass sie bei der Einstellung nicht in Ravenclaw gelandet war.   "Jemand Lust, runter zum See zu gehen?", fragte Harry die anderen beiden Jungs. "Den kläglichen Rest unserer freien Zeit genießen." Kapitel 8: ----------- Harry öffnete die Augen und war einen Moment lang verwirrt. Irgendetwas hatte ihn geweckt – wobei er nicht einmal wirklich traurig war, da er geträumt hatte, dass er kaum atmen konnte. Aber wieso fiel es ihm noch immer schwer, obwohl er wach war. Harry blinzelte und tastete nach seiner Brille. Als er sich aufsetzte, verschwand das Gewicht auf seiner Brust mit einem anklagenden Miau. Harry setzte sich die Brille auf und sah sich um. Im Halbdunkel des Schlafsaals sah er eine kleine schwarze Gestalt umherhuschen. Das nächste Ziel war Malfoy, der mit einem leisen Umpf aufwachte.   "Verdammte –!"   Erneut ertönte ein Maunzen und Harry sah, dass es sich um eine Katze handelte. Malfoy warf dem Tier gerade sein Kissen hinterher und fluchte herzhaft. Dass er dabei die anderen aufweckte, schien ihn wenig zu kümmern.   "Was'n los?" Zabini tauchte mit zerzausten Haaren unter seiner Decke auf. "Draco?"   "Das blöde Biest ist wieder da!", fauchte Malfoy und deutete auf die schwarze Katze, die gerade auf Rons Bett sprang. "Dummes Mistvieh!"   "Schon wieder?" Zabini stöhnte. "Ich hab doch gesagt, wir sollten die Tür mit einem Zauber versperren!"   Nott, ebenfalls wach, schnaubte. "Du weißt, warum wir das nicht getan haben?"   "Weil Lannister das letzte Mal die Tür nicht aufgekriegt hat und zu Snape gegangen ist, um ihm zu sagen, dass wir eine Orgie feiern", half Malfoy Zabini auf die Sprünge, während er sich aus seinem Bett schälte.   Harry hatte keine Ahnung, wie man von einer verschlossenen Tür auf eine Orgie kam, aber wenn das hier ein alltägliches Vorkommnis war, dann konnte er sich von Schlaf bald ganz verabschieden. Dabei hatte er gehofft, dass er wenigstens am Wochenende einmal ausschlafen konnte.   Inzwischen waren auch Neville und Ron wach, wobei letzterer noch zerknitterter aussah als Harry. "Wem gehört die Plage?", fragte Ron und scheuchte die Katze missmutig von seinem Bett. "Und ich dachte, Hermines Monster wäre schlimm genug."   "Granger?", fragte Nott. "Was hat Granger damit zu tun?"   "Ihr Kater", sagte Harry mürrisch. "Groß, orange, … sieht aus, als wäre er überfahren worden."   Malfoy stöhnte laut und ließ sich rücklings wieder ins Bett fallen. "Ein Kater? Ernsthaft? Wir sind verloren!"   Malfoy war definitiv melodramatisch veranlagt, aber Harry war sogar gewillt, ihm zuzustimmen. Nur dachte er da womöglich an etwas anderes. Die schwarze Katze thronte inzwischen auf dem Sofa und begann damit, sich zu putzen, als könne sie kein Wässerchen trüben. Harry war versucht, ein Kissen nach ihr zu werfen. Es war wirklich zum Aus-der-Haut-fahren. Entweder wurde man von Nott aus dem Bett geworfen, oder von einer Katze attackiert … demnächst kam Snape zur Mitternachtsinspektion vorbei.   "Wie viel Uhr ist es?", murrte Ron, der noch immer tapfer versuchte, ins Reich der Träume zurückzukehren.   "Halb sechs", antwortete Zabini mit einem Gähnen. "Man kann genauso gut aufstehen. Merlin, ich hasse diese Katze."   "… lüg nicht." Nott streckte sich. "Aber wir sollten Milli sagen, dass sie besser auf Simon aufpassen soll, sonst landet sie irgendwann in Schwierigkeiten."   ~*~*~   Trotz aller Versuche war es ihnen nicht vergönnt gewesen, noch etwas Schlaf nachzuholen. Die Slytherins hatten scheinbar bereits Aufbruchsstimmung gehabt, und nachdem Harry einmal wach war, fiel es ihm schwer, wieder einzuschlafen. Vor allem, wenn er sich daran erinnerte, dass er heute ja noch einmal einen von Snapes Zusatzkursen besuchen musste. Das zog einen wirklich runter.   Ron starrte mit glasigem Blick vor sich hin und schien kaum etwas um sich herum mitzubekommen. Er aß wie automatisch das, was man ihm auf den Teller legte, was die Slytherins dazu veranlasste, ihm äußerst kreative Toastvarianten vorzusetzen. Harry war beeindruckt, als Ron nicht einmal mit der Wimper zuckte, als er in einen Leberwurst-Marmelade-Toast biss. Er musste wirklich noch halb am Schlafen sein.   "Man sollte eine Studie über ihn machen", meinte Zabini und beobachtete fasziniert, wie Ron den Toast verschlang. "Wenn ich's nicht sehen würde … Malfoy, hast du noch was von dem Chili?"   Malfoy grinste und schob ihm eine kleine Flasche zu. Harry starrte. "Wozu hast zu beim Frühstück Chili dabei?"   "Normalerweise um die Erstklässler zu foppen", sagte Malfoy nonchalant. "Aber Wiesel ist ein besseres Ziel."   Harry wusste, dass er ein schlechter Freund war, da er Malfoy und Zabini nicht davon abhielt, Ron mit Chili verseuchtes Müsli vorzusetzen. Andererseits war er gespannt, ob Ron dieses Mal reagieren würde. Ron löffelte die skurrile Mischung zunächst, ohne eine Miene zu verziehen. Dann färbte sich sein Gesicht langsam rot, als das Chili seine Wirkung entfaltete.   Die Slytherins brachen in Gelächter aus, als Ron schreiend aufsprang und aus der Halle stürmte. Wo er hinwollte, war unklar, denn auf dem Tisch gab es auch Karaffen mit Wasser. Vielleicht ging es einfach ums Rennen. Harry zögerte einen Moment, ob er ihm folgen sollte, entschied sich aber dagegen. Er hatte keine Ahnung, wo er nach Ron suchen sollte, wenn er sich nicht gerade versuchte, im See zu ertränken.   "Was ist denn mit Ron los?" Hermine setzte sich neben Harry. "Er sah aus, als würde er gleich Feuer speien."   Harry deutete auf Malfoy. "Frag ihn", meinte er nur.   Er war nicht wach genug, um sich mit Hermines Neugier herumzuschlagen, und er fühlte sich schuldig, weil er es lustig gefunden hatte. Es war nichts gefährliches, nur ein harmloser Scherz. Etwas, was auch die Weasley-Zwillinge tun würden. Das wirkliche Problem lag nicht im Streich selbst, sondern wer ihn gespielt hatte. Harry sträubte sich dagegen, etwas, was Malfoy tat, lustig zu finden. Auch wenn er es lustig fand.   Hermine verzog das Gesicht. "Ich werde ihn ganz sicher nicht fragen."   Wer konnte es ihr verdenken? Harry sah sich träge in der Halle um – der Slytherintisch war viel besser besetzt als der Rest der Haustische, und Harry fühlte Neid in sich aufsteigen. Warum durfte jeder ausschlafen, nur sie nicht? Und wer war schuld daran?   "Harry, du siehst schrecklich aus. Warum bist du nicht im Bett geblieben?" Hermine musterte ihn neugierig, während sie sich den Teller füllte. "Ich dachte, ihr würdet die Chance nutzen und ausschlafen."   Harry grollte. "Können vor Lachen." Seine Miene verfinsterte sich. "Erst war es Nott, jetzt Simon."   "Simon? Wer ist denn Simon?" Hermine sah am Tisch entlang. "Ein anderer Slytherin?"   "Bulstrodes Katze. Kater. Was auch immer." Harry seufzte und rieb sich über die Augen. "Ich bin so müde … und schau dir Neville an, der ist auf seinem Toast eingeschlafen."   ~*~*~   Snapes Zusatzkurs war etwas, was Harry als spezielle Version einer Willkürherrschaft ansah. Es gab keinen konkreten Unterricht nach Stundenplan – der sagte nur, dass sie zu erscheinen hatten. Aber Snape gestaltete den Inhalt, wie es ihm gerade passte. Die Slytherins schienen das als normal anzusehen, aber Harry ärgerte sich darüber. Wie sollte man sich darauf vorbereiten, wenn man nicht wusste, worauf?   "Weasley, deine Orthographie ist schrecklich", verkündete Snape, den Blick auf einen Stapel Pergamente gerichtet. "Ich kann sehen, dass du dir nicht die Mühe machst, Wörter richtig zu schreiben, obwohl du weißt, wie man sie schreibt. Wenn du ein einziges Wort in drei verschiedenen Varianten schreibst, ist das Faulheit und nicht Dummheit." Snape sah Ron mit einem Stirnrunzeln an. "Vielleicht wird es dir helfen, dich zu konzentrieren, wenn du jeden Aufsatz schreibst, mir zur Korrektur gibst, und ihn dann neu abschreibst, bis die Zahl deiner Fehler sich drastisch verringert hat. Und frag nicht Granger um Hilfe."   Ron wurde rot, aber Harry konnte nicht sicher sein, ob es Wut oder Scham war. Harry wusste nur, dass Snape sich offensichtlich dazu entschieden hatte, diese Stunde dazu zu nutzen, ihre Fehler breitzutreten. Es wunderte ihn nicht, als Snape sich ihn als nächstes vorknöpfte – seine Schrift wäre ein Martyrium für jeden Leser und er würde sich nicht genug beim Schreiben konzentrieren. Neville wurde wegen seines Gedächtnisses niedergemacht und Hermine, weil sie sich einfach nicht an die Aufgabenstellung halten konnte. Kurz, Snape fand bei jedem etwas zu bemängeln.   Hätte Snape nicht auch bei den Slytherins ein paar kleine Kritikpunkte gefunden, Harry wäre explodiert. Aber trotzdem war es auffällig, wie sehr er Harry und die anderen fertig machte. Die Krönung der Stunde war, als Snape ihre Stundenpläne erneut anpasste – Hermine wurde der Kurs am Freitag gestrichen, während Harry, Ron und Neville eine zusätzliche halbe Stunde aufgebrummt bekamen.   Nach Harrys Protest bekam er noch eine Strafarbeit obendrauf.   "Merk dir, Potter: Solange du in meinem Haus bist, hältst du dich an meine Regeln." Snape funkelte ihn finster an. "Wenn dir etwas nicht passt, dann behalt es für dich, bis die zwei Monate vorbei sind." Kapitel 9: ----------- Der Rest des Wochenendes verlief ruhig, sehr zu Harrys Erstaunen. Er hatte weitaus mehr Probleme erwartet, denn sie waren mit den Slytherins auf engstem Raum zusammengepfercht. Vielleicht war es nur die Ruhe vor dem Sturm. Immerhin, das Schuljahr war kaum ein paar Tage alt und noch gab es diese Zeit der Umstellung von Ferien auf Schule. Insbesondere, wenn man auch noch Snape im Nacken sitzen hatte. Snape schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, mindestens einmal stündlich nachzusehen, ob es bereits Tote zu beklagen gab – es war unheimlich, wie er immer wieder aus dem Nichts auftauchte, nur um zu schauen, ob sie sich benahmen. So oft, wie Harry Snape in den vergangenen Tagen gesehen hatte, hatte er ihn in zwei Schuljahren nicht zu Gesicht bekommen, abgesehen vom Unterricht.   Bisher sah es so aus, dass die Gryffindors unter sich blieben, sofern sie nicht dazu gezwungen waren, sich mit den Slytherins zusammenzusetzen. Die Slytherins ignorierten sie größtenteils, abgesehen von Zabinis spontanen Einmischungen, Malfoys Beleidigungen und Notts gelebtem Wahnsinn. Von den Mädchen bekam Harry kaum etwas mit, aber da Hermine sich nie beschwerte, schienen sie sich zurückzuhalten. Musste auch die Neuheit der Situation sein. Harry rechnete damit, dass sie spätestens nach der ersten Woche ihre Maske ablegten und zeigten, wie vorurteilsbehaftet sie wirklich waren.   Harry stellte auch fest, dass er die meiste Zeit mit Büchern verbrachte, und sei es nur, um Snapes Kommentaren zu entgehen. Snape hatte sich zur Genüge darüber ausgelassen, wie faul er und Ron eigentlich waren, dass sie sich keine Mühe gaben und ihre Zeit mit nutzlosem Herumgesitze verbrachten. Es hatte sich nicht viel geändert, außer dass Harry dazu übergegangen war, ein Buch als Alibi dabei zu haben.   Die Situation konnte nicht als optimal bezeichnet werden, aber sie war definitiv nicht schlecht. Und das war bereits mehr, als Harry erwartet hatte.   Erstaunlicherweise war es Hermine, die zwar keine persönlichen Anfeindungen bekam, aber mit der Grundsituation unzufrieden war. Harry wusste nicht, wo genau das Problem lag – Hermine gab dazu auch keine klaren Angaben. Es hatte nur mit Hermines Fächerwahl und Snapes Reaktion darauf zu tun. Harry war dabei gewesen, er wusste, dass Hermine wohl eins ihrer Fächer nicht belegen konnte, weil es mit etwas anderem kollidierte. Er wusste auch, dass Hermine Snape noch einmal allein darauf angesprochen hatte, wobei allein ein relativer Begriff war, denn scheinbar hatte Nott davon gehört.   Die Slytherins hatten ausgiebig im Schlafsaal darüber diskutiert. Es ging dabei vor allem darum, dass Hermine wohl eine Sonderregelung erwirkt hatte, um mehr Fächer belegen zu können – vielleicht war es auch nur eine besondere Fächerkombination. Harry wusste, dass ein paar wenige auch drei Fächer gewählt hatten, was kein Problem war, solange sie in unterschiedlichen Blöcken unterrichtet wurden. So fand der Unterricht in Arithmantik gleichzeitig mit Wahrsagen statt und Pflege magischer Geschöpfe wurde parallel zu Muggelkunde unterrichtet. Wer in dem Muggelkundekurs war, wusste Harry nicht, denn die Slytherins würden das Fach nicht mal mit einer Kneifzange anpacken.   Das Ergebnis am Ende des Tages war, dass Hermine sich darüber ärgerte, dass man ihr Muggelkunde gestrichen hatte, obwohl das Fach für sie komplett überflüssig war. Harry konnte durchaus nachvollziehen, warum Snape in diesem Fall sogar Recht hatte.   "Ernsthaft, Hermine, man sollte meinen, du hättest noch nicht genug Unterricht", grollte Ron. "Dein Stundenplan ist voller als voll, auch ohne Muggelkunde. Ich weiß gar nicht, wo du das noch unterbringen wolltest." Er versuchte, einen Blick auf Hermines Plan zu erhaschen, aber Hermine zog ihn schnell weg. "Außerdem, Snape hat Recht, um Muggelkunde zu belegen, müsstest du dich in Pflege magischer Geschöpfe zweiteilen, denn das Fach läuft parallel."   Hermine zögerte einen Augenblick. "Es gibt noch einen anderen Kurs", sagte sie dann und machte einen sichtlichen Haken an das Thema.   Harry verkniff sich die Frage, ob sie wirklich Interesse an dem Fach hatte oder diesen Feldzug rein aus Prinzip führte. Er wusste, dass er selbst dazu neigte, Snape allein wegen der Tatsache, dass er das Gegenteil sagte, Paroli zu bieten – oder zumindest sich darüber aufzuregen. Hermine mit ihrem gesteigerten Gerechtigkeitssinn schien da prädestiniert.   Es wurde Zeit für einen Themenwechsel. Harry wandte sich Ron zu, der immer noch versuchte, zu verstehen, wie man sich über eine verringerte Stundenzahl aufregen konnte.   "Hast du schon was wegen Quidditch gehört?"   Das war das eine Thema, bei dem Harry bisher noch nicht weitergekommen war. Er wusste, dass es eine konfliktgeladene Sache war – insbesondere jetzt, da sie im Haus des Erzrivalen untergebracht waren. Dumbledore hatte zwar gesagt, dass Quidditch von dem Hauswechsel nicht betroffen sein würde, aber Harry hatte da so seine Zweifel. Das Problem war, dass sie von den Gryffindors fast vollkommen abgeschottet waren. Harry wollte nicht unbedingt mit Snape im Nacken über Quidditch diskutieren, wer wusste, ob Snape das nicht zugunsten seines eigenen Teams ausnutzte.   Ron hatte da bessere Chancen, an Informationen zu kommen, immerhin waren zwei seiner Brüder im Team.    Ron schüttelte den Kopf. "Bisher nicht. Aber die neuen Auswahlspiele sind wohl nächstes Wochenende – samstags. Morgens. Wenn wir bei Snape diesen blöden Kurs haben."   Rons Stimme zeigte, dass er da eine Verschwörung witterte. Harry war sich da nicht so sicher, denn Oliver Wood war derjenige, der die Termine abklärte, und das mit Madam Hooch. Snape hatte darauf keinen Einfluss und er würde auch nur informiert, wenn die Slytherins zeitgleich das Feld haben wollten. Harry hatte eher den Verdacht, dass Oliver keine Ahnung hatte, dass sich die Stundenpläne der Slytherins von denen der Gryffindors unterschieden und Samstagsunterricht eingeplant war.   "… das heißt, ich sollte mit Oliver reden." Harry verzog das Gesicht. "Hoffentlich schmeißt er mich nicht aus dem Team, wenn ich ihm absagen muss."   Ron sah sich um und senkte die Stimme. "Und wenn du einfach krank feierst?"   Harry dachte darüber nach. Es war verlockend, aber wer wusste, ob Snape da nicht auch kontrollierte. Und wie sollte er es dann erklären? Zu krank, um in Snapes Zusatzkurs zu hocken, aber fidel genug, um Quidditch zu spielen. Snape würde dafür sorgen, dass Harry das Quidditchfeld nur noch aus der Ferne zu Gesicht bekam.   "Da habe ich vermutlich mehr Chancen, wenn ich auf Snapes Nachsicht baue." Harry seufzte schwer. "Der wittert garantiert die Möglichkeit, seinem Team einen Vorteil zu verschaffen, wenn er mich vom Spielen abhält. Ich sollte es Oliver schonend beibringen und sonst McGonagall drauf ansprechen."   Irgendwie hatte Harry nur Zweifel, dass selbst McGonagall Snape im Zweifelsfall umstimmen konnte. Sie hatte in der Vergangenheit bereits darauf hingewiesen, dass Harry ein Mitglied ihres Hauses war, so dass sie das letzte Wort hatte. Harry konnte sich gut vorstellen, dass Snape das nicht vergessen hatte und ihr ihre eigenen Argumente vorhalten würde. Laut Dumbledore war Harry ja für die Dauer dieser zwei Monate ein Mitglied des Hauses Slytherin in allen Punkten außer Quidditch. Solange Snape Harry vom Quidditch abhielt …   Vielleicht würde Oliver ja einem spontanen Wechsel nach den zwei Monaten zustimmen. Ab Halloween wäre Harry ein Hufflepuff und das erste Spiel war üblicherweise im November – praktischerweise gegen Slytherin.   ~*~*~   Harrys Kopf schwamm noch immer mit Gedanken zu Quidditch als sie sich am Montagmorgen auf den Weg zu Hagrids Hütte machten, um ihre erste Stunde Pflege magischer Geschöpfe zu haben. Harry hatte sich vorgenommen, am Nachmittag Oliver aufzusuchen, sofern Snape ihm in der letzten Stunde nicht noch eine Strafarbeit aufbrummte. Es war typisch für Harrys Glück, dass sie freitags und montags Zaubertränke hatten. Damit war die Woche bereits gelaufen.   "Was glaubt ihr, wie Hagrid sich anstellen wird?" Ron beäugte kritisch ihr Schulbuch. "Bei dem Buch rechne ich ja mit dem Schlimmsten, ohne ihm zu nahe treten zu wollen."   Harry nickte. "Vielleicht müssen wir nur das Buch zähmen", meinte er scherzhaft. "So zum Einstieg."   Wenn er darüber nachdachte, dann hatte er das Schlimmste sicherlich schon hinter sich. Hagrids Drache Norbert, sein Hund Fluffy, seine Monsterpinne Aragog und den Basilisken in der Kammer des Schreckens – viel schlimmer konnte es nicht kommen, oder? Harry kannte nicht allzu viele magische Geschöpfe, aber wenn er sich ansah, welche die Muggel kannten, dann hatte er einen Großteil bereits kennengelernt. Zentauren? Ja, er hatte sogar auf einem gesessen. Drachen? Er hatte zumindest ein Baby gesehen. Einhörner? Auch das, wenngleich nur ein totes. Er hatte auch die Tentakel eines gewaltigen Kraken gesehen. Phönix, Troll, Kobold, … alles dagewesen.   "Was glaubt ihr, was er uns zeigt?", fragte Harry. "Irgendwie fällt mir nichts ein."   Hermine sah nachdenklich drein. "Da gibt es eine Menge. Laut Plan fangen wir mit Flubberwürmern und ähnlichem an und arbeiten uns dann weiter vor. Ich schätze, er zeigt uns dieses Jahr auch schon Niffler und Kniesel und –"   "Ehrlich?" Ron schüttelte den Kopf. "Wir reden hier von Hagrid, dem Mann, der sich eine monströse Riesenspinne als Haustier gehalten hat und Fluffy für knuddelig hält." Er sah leidend zu Harry. "Ich rechne mit einem tollwütigen Mantikor zum Einstieg."   Am Ende hatte Hagrid keinen tollwütigen Mantikor. Stattdessen hatte er eine Herde Hippogreife.   "Uhm, Hagrid, ist das nicht etwas … fortgeschritten für eine erste Stunde?" Hermine sah unsicher zu den Wesen, halb Pferd, halb Greifvogel. "Und was ist mit der Theorie?"   Harry war kein Fan von Theoriestunden, aber ihm war ebenso mulmig zumute. Hagrids Begeisterung konnte nur darauf zurückzuführen sein, dass sie gefährlich waren. Hagrid winkte all ihre Bedenken ab. Er war wirklich der Ansicht, dass es eine gute Idee war, was wohl nur daran liegen konnte, dass jemandem von seiner Größe kaum etwas gefährlich werden konnte.   "Will der uns umbringen?", fragte Malfoy seine Slytherin-Kumpanen. Außer Greengrass hatten scheinbar alle Slytherins Pflege magischer Geschöpfe.   "Hattest du Zweifel?" Nott hielt sein Schulbuch hoch, das mit einer Kette versehen war. "Ernsthaft?"   Malfoy rümpfte die Nase. "Ich nahm an, es sei einfach ein Zeichen für seine Ungebildetheit."   Harry ballte die Hände zu Fäusten. Wenn es nicht ein schlechtes Licht auf Hagrid geworfen hätte, wenn in seinem Unterricht plötzlich eine Schlägerei ausbrach, hätte Harry sich auf Malfoy gestürzt. Die Versuchung war groß, aber er hielt sich mühsam zurück. Hagrid hatte entweder Malfoy nicht gehört oder er ignorierte ihn, denn er fuhr damit fort, ihnen zu erklären, was sie tun würden.   Es kam wie es kommen musste: Hagrid gab ihnen Anweisungen, die prima funktionierten, solange man sie befolgte. Malfoy tat es natürlich nicht, denn das letzte, was Malfoy tun würde, wäre, sich vor einem Tier zu verbeugen.   "… wisst ihr, ich bin gemischter Gefühle", sagte Ron und sah Hagrid nach, der den verletzten Malfoy zum Schloss trug. "Auf der einen Seite verdient Malfoy es, einfach weil er Malfoy ist – aber auf der anderen Seite …"   "Hagrid ist in Schwierigkeiten", fasste Harry die Situation zusammen. "Die Woche fängt wirklich gut an." Kapitel 10: ------------ "Malfoy, die kleine Made, hat es verdient." Ron war sich dieser einen Tatsache mehr als nur sicher.   Malfoys Verletzung in Pflege magischer Geschöpfe war das einzige Gesprächsthema – auf den Weg zu Verteidigung gegen die Dunklen Künste, wo Professor Lupin ihnen hauptsächlich Fragen zum bisherigen Stoff stellte, auf dem Weg zum Mittagessen, wo die Slytherins miteinander tuschelten und böse Blicke zum Lehrertisch sandten, und genauso in Zauberkunst, wo Flitwick seine liebe Mühe hatte, ihre Aufmerksamkeit auf den Unterricht zu lenken. Es war wenig verwunderlich, da Malfoy ein Slytherin war und sie sich in Slytherin befanden. Die anderen hatten das Gefühl, man hätte einem der ihren ein Unrecht angetan.   Harry war jedoch, genau wie Ron, der Ansicht, dass Malfoy nur sich selbst zu danken hatte. Hagrid hatte genaue Instruktionen gegeben. Es war Malfoy, der sie missachtet hatte. Hermine war eher besorgt, denn Malfoy würde sich nicht so einfach geschlagen geben. Er würde auf Rache aus sein. Dass er wieder gesund wurde, stand für Harry außer Zweifel. Man hatte Harry mal alle Knochen aus dem Arm verschwinden und anschließend nachwachsen lassen – Malfoy hatte wahrscheinlich nicht viel mehr als einen tiefen Kratzer.   "Ich stelle fest, es vergeht nicht einmal eine Woche bevor es erste Mordversuche gibt." Snape tauchte hinter ihnen auf.   Bisher war nur der Slytherinteil der Klasse eingetroffen, deshalb war Snapes Bemerkung fast schon als privat zu nennen. Harry hatte bereits vorher festgestellt, dass Snape sich zuweilen zu fast menschlichen Worten hinreißen ließ, wenn er nicht anderen Häusern gegenüber auftrat. Harry könnte darauf gut verzichten, wenn es bedeutete, Snape weniger zu sehen.   Ron schnaubte. "Höchstens Selbstmord. Es war Malfoy, der sich wie die Schaufel im Walde verhalten hat."   Snape hob eine Augenbraue. "Ein … ungewöhnliches Bild, Weasley. Soll ich nun davon ausgehen, dass du weitaus mehr implizierst, als dein beschränkter Intellekt zulässt, oder annehmen, dass du eine Axt im Walde meintest?"   "Die Schuld liegt allein bei dem großen Idioten", grollte Zabini, bevor Ron etwas sagen konnte.   "Hagrid ist kein Idiot!", fauchte Harry und machte einen Schritt auf Zabini zu.   Snape streckte den Arm aus und hielt ihn davon ab, Zabini an die Gurgel zu gehen. "Genug", sagte er kühl. "Potter, du solltest an deiner Beherrschung arbeiten, auch wenn das wohl ein sinnloses Unterfangen ist."   "Aber er –"   "Er hat einen Lehrer beleidigt!", meldete sich Hermine zu Wort, ihre Wangen gerötet vor gerechtem Zorn.   "Hat er das?" Snape musterte Zabini von oben bis unten. "Ich wusste nicht, dass ihr telepathische Kräfte habt. Ich habe nur gehört, dass er von einem großen Idioten sprach. Namen wurden dabei nicht genannt." Er sah verächtlich zu den vier Gryffindors, obwohl Neville sich geflissentlich im Hintergrund gehalten hatte. "Wenn das nun geklärt ist …"   Snape wies sie an, in die Klasse zu gehen. Harry funkelte ihn zornig an – sie alle wussten, wen Zabini gemeint hatte, aber natürlich stellte sich Snape auf die Seite der Slytherins. Er war fast versucht, in Snapes Hand zu beißen, einfach aus Prinzip. Er tat es natürlich nicht, aber er hatte eine große Freude daran, sich bei jeder Zutat, die er zerdrücken und zerschneiden musste, Snape und die anderen Slytherins vorzustellen.   ~*~*~   "Puh ..." Ron streckte sich. "Der erste Tag ist geschafft!"   Zaubertränke war eine zähe Angelegenheit gewesen, aber wie Ron bereits sagte, der erste Tag war geschafft. Es hatte nicht geholfen, dass die Gerüchteküche am Brodeln war – auch wenn Harry manche Gerüchte fast schon lustig fand. Malfoy wäre gefressen worden, und das, obwohl der so ungenießbar war. Eine andere Variante war, dass ihm der Arm abgerissen worden war. Am Ende waren es alles Übertreibungen, eine schlimmer als die andere. Wenn man nach den Gerüchten ging, hatte Hagrid Malfoy den Hippogreifen zum Fraß vorgeworfen, was natürlich absolut nicht stimmte. Sich da zurückzuhalten war eine Zerreißprobe geworden.   "Und ich hatte gehofft, dass die Sache mit Sirius Black und den Dementoren das einzige Problem dieses Jahr bleiben würde." Harry seufzte schwer. "Wenn Malfoy in Fahrt kommt …"   "Wir müssen Hagrid helfen", meinte Hermine, "aber bevor wir wissen, was Malfoy plant, sind uns die Hände gebunden."   "Glaubst du?" Ron zog die Brauen zusammen. "Kann Dumbledore die Sache nicht klären?"   "Nicht, wenn Malfoy sich nach außen wendet", erwiderte Hermine düster. "Dann ist es keine schulinterne Angelegenheit mehr und Dumbledores Möglichkeiten werden eingegrenzt. Wie letztes Jahr – am Ende hat sich das Ministerium eingemischt."   Harry runzelte die Stirn. "Aber letztes Jahr war auch ein Basilik, von dem niemand wusste, dass es einer ist, im Schloss unterwegs. Da war die ganze Schule in Gefahr – jetzt ist es nur Malfoys eigene Dummheit."   "Und du glaubst, dass es ihn davon abhält, etwas zu versuchen?"   Harry war nicht überzeugt. Sicher, Malfoy würde etwas versuchen. Aber die Frage war doch eher, wie viel Erfolg er damit haben würde. Denn sie alle hatten gesehen, wie Malfoy Hagrids Anweisungen missachtet hatte. Dass die Anweisungen richtig waren, daran bestand doch eigentlich kein Zweifel, sonst müsste Harry sich neben Malfoy im Krankenflügel befinden. Selbst die Tatsache, dass Malfoy noch im Krankenflügel war, hatte mehr damit zu tun, dass er weinerlich tat und Madam Pomfrey übervorsichtig war, als damit, dass die Verletzungen so schwerwiegend waren.   "Wo ist eigentlich Neville abgeblieben?", fragte Ron und sah sich um. "Eben war er doch noch da."   Harry sah sich ebenfalls um. "Wo wir gerade dabei sind – wo ist Hermine hin?"   Sie blickten sich verwirrt an.   "Ist das das nächste Mysterium?" Ron verzog das Gesicht. "Mysteriöses Verschwinden von Schülern."   "Wenn es nur Neville wäre, würde ich ja annehmen, dass er sich verlaufen hat." Harry meinte das nicht einmal böse, denn er hatte teilweise auch schon den falschen Abzweig genommen. Die Kerker konnten sehr schwer zu navigieren sein. "Aber mit Hermine?"   Sie beschlossen, den Weg noch einmal zurück zu gehen. Vielleicht hatte Hermine ja das Fehlen von Neville bemerkt und war ihn suchen gegangen. Aber zwischen dem Gemeinschaftsraum und dem Zaubertränkeklassenraum war von ihnen keine Spur. Der einzige, dem sie begegneten, war Snape, der gerade die Tür abschloss.   Er musterte sie abschätzig. "Was führt ihr im Schilde?", fragte er mürrisch. "Ihr seid kaum hier, weil ihr meinen Unterricht so wertschätzt."   Ron schnitt eine Grimasse, die deutlich zeigte, was er von Snapes Unterricht hielt. Snapes Blick verfinsterte sich.   "Wir suchen nur jemanden", sagte Harry vage. "Ist das verboten?"   Snapes Blick fiel auf ihn. "Nein", sagte er gedehnt, "aber ich habe berechtigte Zweifel daran, dass ihr ein geeigneter Suchtrupp wärt. Ihr würdet euch bei der Suche selbst verlaufen." Er hob eine Augenbraue. "Zudem, wenn die Person, die ihr sucht, Mr. Longbottom ist, dann könnt ihr euch das sparen."   Harry und Ron sahen sich kurz an. "Warum?", fragt Ron misstrauisch.   "Weil Miss Bulstrode in ihrer Funktion als Stufensprecherin den Anstand hatte, das verlorene Schäfchen zurück zur Herde zu führen." Snape verschränkte die Arme. "Wenn ihr dann damit fertig seid, meine Zeit zu verschwenden …"   "Hermine war nicht dabei?", rutschte es Harry raus. Er hielt nicht viel von Bulstrode, aber wenn sie wirklich Neville geholfen hatte … wo war dann Hermine abgeblieben?   Snape runzelte leicht die Stirn, bevor sich seine Miene zunehmend verfinsterte. Harrys Frage musste ihn auf irgendeine zwielichtige Idee gebracht haben, anders konnte er es sich nicht erklären. Snape sah immer missgelaunt aus, aber jetzt machte er ein Gesicht, als ob die Katze den Kanarienvogel gefressen hatte – und deshalb eine Magenverstimmung hatte. Harry starrte ihn an, bis Snape sich auf die Gegenwart zu besinnen schien und sie anpflaumte, dass sie zum Gemeinschaftsraum gehen sollten.   "Ich werde Miss Granger einsammeln", sagte Snape geradezu bedrohlich.   ~*~*~   Harry und Ron hatten Neville wohlauf im Gemeinschaftsraum vorgefunden. Snape hatte die Wahrheit gesagt, als er behauptet hatte, dass Bulstrode ihm geholfen hatte. Nevilles Lächeln war matt, aber ihm ging es gut.   "Abgesehen von einigen Kommentaren war alles okay." Neville führte nicht aus, was das für Kommentare waren, aber Harry konnte es sich denken.   "Damit ergeht es dir besser als Hermine." Ron ließ sich auf das Sofa fallen und streckte Arme und Beine von sich. "Snape ist losgezogen, um sie zu holen." Er sah neugierig zu Neville. "Du hast sie auch nicht gesehen?"   Neville schüttelte den Kopf. "Ich habe länger gebraucht, um meinen Platz aufzuräumen, und als ich losging, war niemand mehr zu sehen. Ich weiß nicht mal, warum Bulstrode noch da war – vielleicht hatte sie noch eine Diskussion mit Snape – aber sie ist die einzige, die ich getroffen habe."   Harry kratzte sich am Kopf. Die Situation gefiel ihm gar nicht. Er hatte keine großen Zweifel daran, dass Snape Mittel und Wege hatte, um Hermine aufzuspüren. Der Mann konnte schlimmer sein als ein Bluthund. Aber wenn Hermine in den Kerkern verschollen war, dann deutete das unweigerlich daraufhin, dass die Slytherins involviert waren. Und Hermine war muggelstämmig, das, was die Slytherins nicht ausstehen konnten. Harry hatte das seltsame Gefühl, dass sie nur auf eine Gelegenheit gewartet hatten. Oder die Sache mit Malfoy hatte sie angespornt, Rache zu üben. An wem übte man besser Rache, als an einer muggelstämmigen Gryffindor?   Seine Sorge erwies sich als unbegründet – Snape kam in den Gemeinschaftsraum, die Miene geradezu mörderisch, und er zerrte eine feuerrote Hermine am Arm hinter sich her. Sie sprangen auf, bereit, Hermine auch gegen Snape zu verteidigen, aber Snapes Blick ließ sie innehalten. Snape zerrte Hermine nach vorne und stieß sie ziemlich unsanft in Rons Arme.   "Ich hoffe, das wird dir eine Lehre sein, Granger", schnarrte Snape. "Das nächste Mal lasse ich dich dort elendig versauern."   Hermine gab ein sachtes Nicken. Snape durchbohrte sie noch einmal mit einem Blick, bevor er herumwirbelte und davonstakste. Harry, Ron und Neville sahen verwirrt Snape nach. Was bei Merlin hatte Hermine angestellt, dass Snape so ungehalten war?   "Was ist denn in den gefahren?", fragte Ron und blickte auf Hermine, die er immer noch im Arm hielt, runter. "Bist du in sein Labor eingebrochen oder was?"   Hermine biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht war noch immer gerötet, aber ob es aus Wut über Snape oder aus Demütigung war, konnte man nicht sagen. Harry tippte auf letzteres, da Hermine sich scheinbar irgendeiner Schuld bewusst war. Sie war einfach viel zu regelkonform. Man sollte meinen, dass sie nach zwei Jahren wusste, dass Snape sich die Regeln gerne so zurechtbog, wie er sie wollte.   "Was dann?", fragte Neville.   Hermine schüttelte erneut den Kopf. "Es ist nichts." Ihre Antwort war wenig überzeugend, und sie sah sich genötigt, das weiter zu erklären. "Erinnert ihr euch daran, dass er mir Muggelkunde gestrichen hat?" Als die Jungs nickten, fuhr sie fort. "Er war nicht begeistert, dass ich trotzdem versucht habe, zum Unterricht zu gehen."   Ron zog die Brauen zusammen. "Deshalb warst du plötzlich weg? Weil du es so eilig hattest, zu Muggelkunde zu kommen?" Er schüttelte ungläubig den Kopf.   Harry wusste auch nicht, was er davon halten sollte. Es war ein Grund, der typisch für Hermine war, so viel war sicher, aber gleichzeitig war es so lächerlich. Hatte Snape sie womöglich direkt aus dem Unterricht geholt? Dann war es kein Wunder, dass sie so peinlich berührt schien. Hermine schwieg und damit schien das Thema beendet. Kapitel 11: ------------ Malfoy blieb die Nacht über im Krankenflügel – nur um sicher zu gehen – und er nutzte es aus, dass er verletzt war, denn er ließ auch die ersten Stunden sausen. Harry wusste spätestens, als er in Verwandlung schließlich auftauchte, dass er aus einer Mücke einen Elefanten machte. Als McGonagall sie anwies, eine eigentlich simple Verwandlung durchzuführen, drückte Malfoy sich davor. Da der Hippogreif seine Zauberstabhand verletzt hatte, war es ihm scheinbar unmöglich, einen Zauber richtig auszuführen.   McGonagall war nicht besonders beeindruckt. "Ich verstehe", sagte sie, auch wenn ihr Blick deutlich sagte, dass sie nichts von Malfoys Ausrede hielt. "Warum versuchen Sie nicht, ob Sie es mit Ihrer anderen Hand schaffen? Wenn das Ergebnis gut ausfällt, werde ich es bewerten, ansonsten wird diese Stunde nicht in Ihre Bewertung eingehen."   Malfoy zögerte sichtlich, willigte aber ein. Etwas anderes blieb ihm kaum übrig. Harry grinste in sich hinein. McGonagall war Malfoy einfach über. Tatsache war, dass Malfoys Arm vermutlich bereits wieder geheilt war, oder Madam Pomfrey hätte ihn nicht in den Unterricht geschickt. Zudem konnte Harry sich nicht vorstellen, dass sie die Lehrer nicht darüber informieren würde, wenn Malfoy nicht an praktischen Übungen teilnehmen konnte. Am Ende war es nur Malfoy, der die Situation ausnutzte, und nichts anderes.   "Ich bin mal gespannt, wie er sich später gibt", murmelte Ron mit einem finsteren Blick auf den Blonden. "Ich glaube nicht, dass er im Gemeinschaftsraum – oder vielmehr noch im Schlafsaal – noch immer den Kranken spielt."   Hermine nickte düster. "Er macht das nur, um Hagrid eins auszuwischen. Wenn Malfoy weiter den Invaliden mimt, dann wirkt das so, als wäre die Verletzung wirklich schwerwiegend. Und Hagrid bekommt Ärger, weil er seine Aufsichtspflicht verletzt hat."   Harry seufzte. "Was können wir tun? McGonagall wird Beweise verlangen, außerdem ist Snape jetzt unser Hauslehrer. Snape wird nichts tun, denn Malfoy ist ein Slytherin und obendrein scheinbar sein Lieblingsschüler."   "Wir müssten Malfoy vor der ganzen Schule dazu bringen, seinen Arm aus der Schlinge zu ziehen", sagte Hermine, bereits halb in Gedanken.   Die Idee an sich war gut, nur wie sollten sie das anstellen? Malfoy würde genau das verhindern wollen, wenn er seine Scharade weiter spielen wollte. Harry fielen nur drastische Maßnahmen ein, aber jede einzelne war eine, die unweigerlich einen Lehrer – allen voran Snape – auf den Plan rufen würde. Abgesehen davon, dass Malfoy damit rechnen würde. Es war eine verdammte Zwickmühle.   "Ein Duell?", schlug Ron vor, auch wenn er nicht überzeugt klang.   Hermine sah ihn schräg an. "Ernsthaft, Ron? Du denkst, die Lehrer würden das zulassen? Zudem ein Duell erfordert, dass Malfoy zustimmt, und es würde kein gutes Licht auf uns werfen, wenn wir einen angeblich Verletzten zu einem Duell herausfordern."   Harry raufte sich die Haare. "Wenn wir ihn angreifen, sind wir die Dummen. Wenn wir irgendetwas sagen, sind wir die Dummen. Wenn wir nichts tun, sind wir am Ende auch die Dummen."   "So klingt das unlösbar", murmelte Neville, der sich zum ersten Mal zu der Sache meldete. Er biss sich auf die Lippen. "Was, wenn nicht er das Ziel ist, sondern seine Umgebung?"   Harry, Ron und Hermine sahen ihn verwirrt an. Es klang so gar nicht nach Neville. Harry hatte keine Ahnung, was genau Neville gerade vorschlug, aber es klang irgendwie sehr … hinterhältig. Sehr Slytherin. Und das war gruselig. Offensichtlich bekam Neville der Aufenthalt in Slytherin nicht.   "Was meinst du?", fragte Hermine. "Er ist das Ziel."   "Ja, schon, aber damit rechnet er. Wenn jetzt aber Nott das Ziel wäre –"   "Okay", unterbrach Ron Neville mit einem Kopfschütteln, "ich weiß, was los ist. Es ist wegen dieser beknackten Pflanze, stimmt's? Weil Nott behauptet hat, dass du mit Pflanzen nicht umgehen könntest, obwohl du gut in Kräuterkunde bist."   Das klang sogar möglich. Harry musterte Neville von oben bis unten. Konnte es sein, dass Neville die Situation ausnutzen wollte? Sicher, keiner von ihnen war ein Fan von Nott, aber das machte ihn nicht zu einem Ersatzziel für Malfoy. Zudem es ihnen nicht helfen würde, Malfoy zu entlarven, wenn sie Nott angriffen. Vielleicht hatte Ron Recht. Neville war nicht der Typ für Alleingänge, aber wenn er ihre Unterstützung hätte … so oder so, das brachte sie nicht mit Malfoy weiter.   "Ich glaube nicht, dass Nott uns da weiterhilft, egal, ob es wegen der Pflanze ist oder nicht. Es bleibt bei Malfoy", sagte Harry mit einem leisen Seufzen und wandte sich an Ron und Hermine. "Es muss einen Weg geben. Denkt noch mal nach – wofür könnte Malfoy seinen Arm brauchen?"   Neville sah beleidigt drein, aber Harry ignorierte ihn. Sie hatten wirklich dringlichere Probleme als Nevilles Rache wegen einer Topfpflanze. Überhaupt, das ließ Nott fast schon normal wirken, wenn es noch andere Leute gab, die genauso besessen von der Pflanze waren.   "Schreiben?", schlug Hermine vor. "Nun … ja, er braucht den Arm dafür, aber … er lässt es andere machen. Vergesst es."   Harry seufzte und sah hoffnungsvoll zu Ron. "Fällt dir was ein?"   "Quidditch?" Ron wurde rot. "Sorry, aber … das ist das einzige, was mir grad einfällt."   "Nein, das stimmt!" Harry klatschte in die Hände. "Er kann so kein Quidditch spielen! Das heißt, Slytherin muss einen Ersatzspieler haben oder zumindest ausbilden."   Hermine sah skeptisch drein. "Das erste Spiel ist erst Anfang November. Das sind zwei Monate. Und selbst wenn er noch nicht wieder fit wäre … da ist immer noch Professor Snape."   Das dämmte Harrys Enthusiasmus. Er traute es Malfoy zwar zu, dass er seine Farce zwei Monate aufrecht hielt, aber Snape würde Malfoy nicht aus dem Team werfen. Er würde sich irgendetwas ausdenken, um Slytherin einen Vorteil zu verschaffen. Genauso wie letztes Jahr. Und trotzdem … bisher war es ihre einzige Chance, Malfoy zu entlarven.   Das einzige, was fehlte, war ein Plan, um sich diese Chance zu Nutze zu machen. Harry sah erneut zu Hermine. Normalerweise war sie diejenige, die einen Plan auf Lager hatte. Leider schien auch Hermine nichts einzufallen. Da waren sie soweit, dass sie eine Idee hatten, aber keinem von ihnen fiel ein, wie sie es umsetzen könnten. Malfoy war im Quidditchteam, berechtigt oder nicht, und die Auswahlspiele sollten diesen Monat stattfinden, wenn die Slytherins einen ähnlichen Terminplan wie die Gryffindors hatten. Das bedeutete, dass sie schnell handeln mussten.   Wobei, apropos Quidditch. "Ich muss mal mit Oliver sprechen." Die anderen sahen Harry verwirrt an. "Wegen Quidditch – ich brauche die Termine. Und ... wenn ich schon dabei bin, kann Oliver mir vielleicht auch was zu den Terminen der Slytherins sagen."   Das letzte war mehr eine fadenscheinige Ausrede, denn eigentlich ging es Harry wirklich nur darum, herauszufinden, wann Gryffindor trainierte. Aber je länger er darüber nachdachte, desto genialer fand er seinen Einfall. Oliver würde bestimmt wissen, wann die anderen Teams das Feld gebucht hatten. So würden sie an die Informationen kommen, ohne Madam Hooch zu fragen und ihren Plan zu verraten – oder es aus den Slytherins herauskitzeln zu müssen.   ~*~*~   Das Gespräch mit Oliver war weniger hilfreich als Harry gehofft hatte. Er wusste nun zwar, wann das Gryffindorteam trainierte, aber es half nicht mit Malfoy. Scheinbar gab es eine ungeschriebene Regel, die verhindern sollte, dass die Gryffindors und Slytherins sich gegenseitig ausspionierten. Oder vielleicht war es auch nur ein Missverständnis und Oliver wollte Madam Hooch nicht fragen, um nicht den Anschein zu erwecken, dass er spionieren wollte. Jedenfalls hatte Oliver keine Ahnung, wann genau die Slytherins trainierten. Harry seufzte und kehrte in den Slytherin-Gemeinschaftsraum zurück.   Ron und Hermine saßen in einer Ecke, möglichst abseits der Slytherins, aber von Neville war keine Spur.   "Wo ist Neville?", fragte Harry und gesellte sich zu ihnen. "Ich dachte, er wäre bei euch …?"   "Er ist im Schlafsaal", murmelte Ron düster.   Vielleicht war er beleidigt? Ron hatte ihn abgewürgt und Harry hatte auch nicht gerade die freundlichste Reaktion auf Nevilles Vorschlag gezeigt. Harry bereute es ein wenig, aber Nott hatte wirklich nichts mit ihrem Plan zu tun. Es würde alles nur komplizierter machen als notwendig, und das auch noch sinnlos.   "Er streitet sich mit Nott", fuhr Ron fort und schüttelte den Kopf. "Wegen … Gary."   Also hatten sie doch recht gehabt. "Nur Neville kann sich wegen einer Topfpflanze aufregen." Harry schüttelte den Kopf.   "Von dem, was ich mitbekommen habe, ging es nicht um die Pflanze per se", sagte Hermine. "Eher … ihre Pflege. Ich glaube, Nott ist mindestens genauso ein Kräuterkunde-Typ wie Neville, so seltsam das auch wirkt. Ihre Diskussion war … hitzig, bevor sie sie in den Schlafsaal verlegt haben."   Harry hatte kein großes Interesse an Pflanzen. Vor allem, wenn er daran dachte, dass die meisten Dinge in Kräuterkunde auch nicht so harmlos waren, wie man es von Pflanzen erwartete. Hoffentlich war die Topfpflanze von Nott nicht so etwas wie eine fleischfressende Teufelsschlinge, nur getarnt. Aber das war Nott – und eine harmlose Pflanze schien nicht zu einem Slytherin zu passen. Andererseits ... Nott wollte nicht, dass die Gryffindors in die Nähe von Gary kamen, was dem Gedanken einer Pflanze als Waffe widersprach. Harry rieb sich den Kopf. Wer verstand schon die wirren Gedanken eines irren Slytherins?   "Vielleicht lenkt es die Slytherins ab", beschloss Harry. "Dann können wir in Ruhe einen Plan wegen Malfoy schmieden."   Hermine warf ihm einen zweifelnden Blick zu. "Aber wir wissen nicht, wann das Team trainiert, und anders kommen wir nicht weiter."   Harry hatte versucht, diese Tatsache zu verdrängen. Auch wenn Quidditch bisher ihre beste Spur war, um Malfoy beizukommen. Man sollte meinen, dass ihre Probleme irgendwann einmal gelöst wurden, statt immer mehr zu werden.   "Es muss doch eine Möglichkeit geben, das rauszubekommen." Harry fuhr sich entnervt durch die Haare.   Ron zuckte die Schultern. "Wenn du's dir so überlegst, das sind Slytherins. Wir würden schon keinem Slytherin unsere Trainingszeiten auf die Nase binden – und die sind tausendmal schlimmer."   Hermine sah sich im Gemeinschaftsraum um, auf ihrer Lippe kauend. Harry lehnte sich in seinem Sitz zurück und überlegte. Ron hatte natürlich Recht, aber sie waren in Slytherin. Sie sollten doch irgendeine Möglichkeit haben. Sie saßen hier doch direkt an der Quelle, wenn nicht hier, wo sonst sollte die Information herkommen? Aber sie konnten auch nicht einfach hingehen und fragen –   "Hermine?" Harry sah verwirrt zu, wie sie aufstand und den Gemeinschaftsraum durchquerte.   Ron runzelte die Stirn. "Was hat sie vor?"   "Hoffentlich nicht, mit der Tür ins Haus zu fallen", murmelte Harry. Er hatte gerade erst darüber nachgedacht, dass sie nicht den direkten Weg wählen konnten, und Hermine war eigentlich diejenige, die nichts ohne einen Plan tat.   Es sah nicht so aus. Sie steuerte keine Gruppe von Slytherins an, auch wenn ein paar von ihnen ihr seltsame Blicke zuwarfen. Hermine ließ sich aber nicht beirren. Und als Harry sah, welches Ziel sie hatte, fragte er sich, ob sie einfach nur genial war oder ob er selbst einfach nur ein Idiot war. Er wechselte einen Blick mit Ron, während Hermine das Schwarze Brett studierte. Es war ... logisch. Es war ... simpel. Und genau deswegen hatte Harry nicht einmal daran gedacht, dass die Lösung so einfach sein könnte. Lannister hatte das Schwarze Brett zuvor schon erwähnt – wenn auch in anderem Zusammenhang. Aber die Existenz eines Schwarzen Bretts wies darauf hin, dass dort alle nennenswerten Informationen zu finden waren.   "Das wäre zu einfach", sagte Ron. "Wirklich. Wenn das die Lösung ist ..."   "Nur die Lösung zu einem Teil unseres Problems", bemerkte Harry finster. "Bei unserem Glück kriegen wir den Termin raus und stellen fest, dass wir damit nicht weiterkommen."   Aber eigentlich war Harry nur sauer, weil sie sich den Kopf zerbrochen hatten, nur um auf diese Lösung zu kommen. Entsprechend gemischter Gefühle war er auch, als Hermine erfolgreich zurückkam und ihnen den geplanten Termin für die Auswahlspiele für Slytherin nannte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)