濤声 von -aftermath- (Voice of Waves) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Kapitel 2 Nach vornübergebeugt saß er nun auf der Bettkante, strich sich durch das zerzauste rote Haar und schob mit seinem großen Zeh einen der hässlichen Krankenhauslatschen, die man ihm gegeben hatte, zusammen mit der krankenhausinternen Patientenkleidung, bestehend aus einem kurzärmeligen Hemd und einer dreiviertel Hose, von rechts nach links. Wenigstens waren beide Kleidungsstücke nicht steril weiß sondern eher mintgrün, trotz allem noch hässlich und es biss sich mit seinem kirschroten Haar. Seine eigene Kleidung hing im Schrank, blutverschmiert wohlgemerkt. Wenn er auch nur ansatzweise an den gestrigen Tag dachte, kamen ihm schon wieder die Tränen und ihm wurde speiübel. Wie immer war er gefahren, Kyo besaß nicht mal einen Führerschein oder gar ein Auto. Endlich nach Wochen hatten sie es geschafft sich einige Tage freizuschaufeln, besser gesagt sein kleiner Blonder. Sie hatten ihren Jahrestag feiern wollen und hatten ein Zimmer in einem Onsenhotel gebucht. Fünf Jahre waren sie nun schon ein paar und das mit allen möglichen Höhen und Tiefen. Fünf Jahre waren eine lange Zeit, vor allem für den Gitarristen, der sich davor jede Nacht eine andere geangelt hatte und überhaupt gar nicht der Typ für etwas langwieriges war, aber Kyo hatte es geschafft und ihn in diesem Punkt um 180 Grad gedreht. Während er also von der Stadtautobahn abbog, war plötzlich ein Lastwagen von rechts angerauscht, Die hatte noch ausscheren wollen, aber es war nicht geglückt. Und dann war alles ganz schnell passiert, der laute Knall, das knirschende Geräusch von Metall auf Metall, Schreie, Schmerzen, Dunkelheit. Als Die wieder zu sich gekommen war, hatte man ihn gerade aus dem Auto gezogen, ebenso den Sänger und sie auf Tragen gehoben. Die Schmerzen in seinem Körper waren bis dato das schlimmste, was er jemals gespürt hatte, doch durch das Adrenalin in seinem Körper bekam er das nur nebenbei mit. Sofort hatte er zu Kyo gewollt, denn im Gegensatz zu ihm hatte der bewusstlos auf der Bare gelegen. Kein Lebenszeichen von seinem Freund und niemand hatte wohl das gehört, was er geschrien hatte, aber ab da war seine Erinnerung wirr und durcheinander. Gewehrt hatte er sich wohl, denn er hatte einen der Sanitäter geschlagen, da sie ihn von ihm hatten trennen wollen, wo er doch nicht gewusst hatte, was mit seinem Liebsten war! Doch es hatte alles nichts geholfen, auch wenn er getobt hatte, hatten sie ihn nicht zu ihm gelassen, stattdessen hatten sie ihm irgendein Beruhigungszeug gespritzt und abtransportiert. Er konnte von Glück reden, dass er nur eine gebrochene Nase hatte, ein fettes Brillenhämatom, eine riesige Platzwunde an der Schläfe, mehrere geprellte Rippen, ein angeknackstes Handgelenk und ein Schädelhirntraum mit dazugehöriger Gehirnerschütterung. Aber was mit Kyo war, wusste er nicht und es zermürbte ihn, hatte ihn den größten Teil der Nacht nicht schlafen lassen. Auch heute, wo es ihm schon etwas besser ging körperlich, hatten diese dummen Schweine ihn nicht zu Kyo gelassen, er war ja kein Verwandter, auch wenn er doch mit ihm eine Beziehung führte. Doch wem sollte er das sagen, konnte er sie doch schlecht hier und jetzt outen. Schon den ganzen Tag über hatte er die Schwestern gelöchert mit ein und der selben Frage: „Wo ist Kyo?“ Nicht mal essen hatte er können, denn so bald er auch nur etwas Kummer hatte, stellte sich auch sein Appetit ein. Noch nicht einmal, ob seine Familie gekommen war, wusste er, es sagte niemand auch nur ein Wort zu ihm und er hasste diese Ungewissheit. Wenn sie ihn nicht gleich zu Kyo ließen, würde er diesen dummen Latschen dem nächstbesten an den Kopf schmeißen, der es wagte sein Zimmer zu betreten. In diesem Moment öffnete sich quietschend die Tür und Die hob ungeschickt den Latsch vom Boden, um diesen zu schmeißen, bereute es aber gleich wieder, denn ihm wurde augenblicklich schwindelig dank der Gehirnerschütterung. Grimmig starrte er nur noch zu der eintretenden Person und hatte den Latsch mit einem Klatsch zurück auf den Boden fallen lassen. Erleichtert atmete er auf, als er in das vertraute Gesicht des Leaders blickte, der so eben die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Was ist mit Kyo?“, stellte er auch an ihn direkt die einzige Frage, deren Antwort er wissen wollte. Es war ihm egal, wenn er in diesem hässlichen Zimmer noch die nächsten Wochen bleiben musste, so lange er nur zu seinem Freund konnte. Der brauchte ihn doch bestimmt! „Sachte, Die. Du bist ja ganz blass“, entgegnete dieser ruhig und trat nun auf den größeren zu, um sich zu ihm ans Bett zu setzen. Schweigend sahen ihn nun die braunen Knopfaugen des anderen an und er versuchte zu lesen, was in ihm vorging oder was überhaupt vor sich ging. „Ich hab eine gute und eine schlechte Nachricht für dich“, fing Kaoru an zu sprechen, nach einem Moment des Schweigens. „Erst die Gute!“, verlangte Die unterbrechend und krallte sich mit seiner nicht eingegipsten Hand in die Bettdecke unter ihm, so dass die Knöchel seiner Finger weiß hervortraten. Sein Herz raste vor Aufregung, ihm war wieder schlecht, diesmal jedoch nicht von der Gehirnerschütterung, sondern wegen seiner Sorgen. „Kyo lebt, aber..“, druckste der andere herum, strich sich nervös über sein Kinnbärtchen dabei. „Was aber?? Was??“ Die war ein nervliches Wrack und wie gerne hätte er den anderen durchgeschüttelt, bis er eine vernünftige Antwort aus ihm herausgeschüttelt hätte. „..Ich.. Das ist nicht so leicht, verstehst du..? Der Unfall..“ Der sonst so wortgewandte und souveräne Gitarrist suchte anscheinend die richtigen Worte, um es Die schonend beizubringen. Nur wollte der die Wahrheit hören und nicht irgendeinen Mist. „Die Ärzte wissen nicht, ob Kyo von dem Unfall bleibende Schäden zurückbehalten wird. Er.. Er liegt wohl im Koma und.. Sie.. sie müssen warten, bis er erwacht..“ Immer leiser war die Stimme geworden und vor Dies Augen wurde ein Film abgespuhlt, gefüllt mit Erinnerungsbruchstücken von ihm und Kyo. Ihr erstes Treffen, der erste Kuss, Streiterein, Sex, Kuscheln, die erste gemeinsame Wohnung. „...Was.. was kann denn mit.. mit Kyo sein?“, fragte Die brüchig nach, schluckte hart, hatte sich ein dicker Kloß in seinem Hals gebildet. „Der Arzt meinte vorhin, dass.. er.. er könnte so bleiben.. für immer. Sie wissen es nicht. Vielleicht Wachkoma...“ So bedrückt hatte er Kaoru noch niemals zu vorgesehen und die Worte mussten sich erst einen Weg in Dies Gehirnzellen fressen, bis wieder eine Regung in den anderen kam. Die konnte es nicht fassen! Wachkoma? Das hieß Kyo war... war... irgendwie.. tot? Geschockt starrte er mit großen Augen auf den kleineren Mann neben sich, seine Unterlippe bebte und er schnaufte laut. „Scheiße..“, nuschelte er fluchend und raufte sich sein Haar. „Das.. Das ist meine Schuld, allein meine!!“, rief er dann laut und fing so wie die letzten Stunden zu vor auch an zu heulen. „Kaoru.. Wäre.. wäre ich nicht gefahren.. und der LKW.. ich“, schluchzte er, wusste nicht mehr, was er jetzt noch machen sollte. Kyo lag vielleicht im Wachkoma, war nicht mehr hier an diesem Ort. Sein Geist war vielleicht tot! „Shh.. Die.. Das.. Das ist ganz sicher nicht deine Schuld“, sprach der Leader beruhigend, hatte seinen Bandkollegen einfach an sich gedrückt, denn er wusste doch selbst nicht, was sie jetzt tun sollten. „Der Lastwagenfahrer war betrunken und ist von der richtigen Fahrbahn abgekommen..“, murmelte er, als ob die Logik den anderen jetzt beschwichtigen würde. Wie ein Häufchen Elend hing der dünne Mann nun in Kaorus Armen, weinte sich an seiner Schulter aus, während die kleinen Leaderhände über seinen Rücken strichen. Es traf ihn mit geballter Wucht. Kyo war die Liebe seines Lebens, sein ein und alles. Seit er mit ihm zusammen war, ging es ihm viel besser. Kyo gab ihm Mut und unterstützte ihn bei seinen Vorhaben, denn auch wenn man es nicht glauben mochte, war Die ein eher unsicherer Typ. Er war immer für ihn da, einfach immer und das obwohl sie wie Tag und Nacht waren und Kyo ein störrischer Esel, aber er war sein kleiner Dickkopf. „Was.. was mach ich denn.. denn nun?“ Eine rhetorische Frage, denn wenn er selbst schon nicht wusste, was er jetzt tun sollte, wusste Kaoru es schon lange nicht. „Kann.. Kann ich denn nun zu ihm? Warst du schon bei ihm?“ Kaoru seufzte schwer, schüttelte den Kopf. „Noch nicht.. Nein.. Möchtest du denn hin?“ Dumme Frage! Natürlich wollte er das! „Ja... Bitte..“ Schniefend strich sich Die über das zerbeulte, verweinte Gesicht und nickte schwach. „Ich frag die Schwestern wegen nem Rollstuhl und dann gehen wir zu ihm, okay?“ In der Band wussten alle, was da zwischen ihnen war, nachdem sie es geschafft hatten es zwei Jahre geheim zu halten. Sie hatten sich gemeinsam zu ihrem Coming-out innerhalb der Band entschlossen, da es eh irgendwann herausgekommen wäre, so oft wie sie auf engstem Raum zusammen waren. Nichts desto trotz, waren sie beide sehr zurückhaltend, wenn sie in der Öffentlichkeit waren oder auch nur mit den anderen Dir en grey Mitgliedern zusammen waren. Man sah es nicht auf den ersten Blick, denn in Japan ignorierten sie sich genauso auf ihren Konzerten wie auch im Tourbus auf Auslandstouren. Nur wenn man genau hinsah, konnte man die Blicke deuten, die sie sich gelegentlich zuwarfen, voller Liebe und teilweise auch voller Sehnsucht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)