Liebe führt, auch in Russland, zu Dummheiten von Lyndis ================================================================================ Kapitel 20: Der letzte Kampf ---------------------------- Kai   Die Endrunde sah ein wenig anders aus, als er es in Erinnerung hatte. Er war sich aber auch nicht sicher, ob die Erinnerungen vollkommen korrekt waren. Es war etwas unerwartet, dass nur die besten vier überhaupt in die letzte Runde kamen, denn die Bewertung der 'Besten', war ohne einen ordentlichen Wettkampf mit Punktesystem doch ein wenig schwierig. Aus diesem Grund musste Kai annehmen, dass sie die Regeln dieses Jahr ein wenig geändert hatten. Volkov schien also zu ahnen, dass etwas nicht stimmte und stellte ihm und Rei jetzt die stärksten seiner Schüler gegenüber, um sie ein für alle Mal auszuschalten. Normalerweise bestand das Finale noch einmal aus mehreren Stufen, in denen die Gewinner der Kategorien gegeneinander antraten. Nun, so war es einfacher und schneller. Es war sowieso schon enorm spät, was ihm allerdings sehr in den Kram passte.   Wie bereits erwartet wurde ihm Boris gegenüber gestellt. Yuriy würde dann gegen Rei kämpfen. Kai hatte seinen Freund bisher nicht wirklich ausmachen können, was ihn ein wenig beunruhigte, aber gleichzeitig auch entspannte. Wenn er irgendetwas Ungutes an Rei sehen würde, seien es nun übermäßige Verletzungen oder sonst irgendwas, was ihren Sieg gefährden könnte, würde er jetzt nur nervös werden und er musste sich dringend konzentrieren. Die Kämpfe würden gleichzeitig stattfinden, in unterschiedlichen Teilen der Halle.   Er machte sich bereit, stellte sich, wie ihm gesagt wurde und sah dabei zu, wie Boris sich vor ihm aufbaute. Volkov war nicht blöd, Boris war der einzige, den er nicht schon kannte. Er war der gewesen, der nach ihm ins Internat kam und damit kannte er auch seine Schwachstellen nicht. Nun, dem wäre zumindest so, wenn er nicht recherchiert hätte. Kai trug eine Trainingshose mit Hosentaschen und darin versenkte er ganz entspannt seine Hände. Zufrieden sah er, wie Boris verärgert die Augen verengte. Er hatte das Signal also verstanden. Natürlich tat man das in einem Wettkampf nicht. Das war respektlos und zeigte, dass man den anderen nicht ernst nahm. Aber das hier war nichts ehren- oder respektvolles und deshalb konnte er das tun. Er selbst war natürlich nicht so locker, wie er nach außen hin gab, aber Boris hatte eine herausragende Schwäche: Er war viel zu leicht reizbar. Natürlich war er auch in einem wütenden Zustand kein leichter Gegner, doch Wut führte schneller zu Fehlern und Unkonzentriertheit und gab Kai so eine bessere Chance. Allerdings musste er dann doppelt so vorsichtig sein, denn Wut ließ auch die Angriffe stärker werden. Wenn er auch nur einmal richtig getroffen wurde, war es aus, das wusste er. Was er aber auch wusste war, dass Boris hauptsächlich Faustkämpfer oder eher Boxer war und deshalb eher selten seine Beine einsetzte. Das würde er sicherlich zu seinem Vorteil nutzen können. Es war alles geplant, jetzt musste es nur auch funktionieren. Der Schiedsrichter gab den Kampf frei doch Kai blieb weiterhin locker stehen, was Boris eindeutig verwirrte. Zum ersten Mal wurde in diesem Turnier wirklich geredet: "Was machst du da, Hiwatari? Willst du mich verarschen?" Doch Kai antwortete nicht einmal. Er stand nur weiter da, mit den Händen in der Hosentasche und wartete darauf, dass Boris angriff. "Du nimmst mich nicht ernst, hm? Na warte, das treibe ich dir noch aus!" Jetzt schon gereizt, schnellte Boris auf Kai zu und versuchte einen Schlag mitten in sein Gesicht zu platzieren. Er verfehlte, als Kai gekonnt auswich.   Er hatte es mit Rei geübt. Ein ganz besondere Technik, von der er bis dahin noch nicht gehört hatte. Es war die Fähigkeit sich selbst zu vergessen und sich vollkommen auf seinen Gegner zu konzentrieren, um letztendlich die Bewegungen voraus ahnen zu können. Natürlich konnte niemand das in 4 Monaten meistern, aber solange Boris gereizt genug war, war er für Kai vorhersehbar. Zumindest glaubte er das.   Schon nach wenigen Augenblicken hatte Boris seine Strategie geändert und somit bewiesen, warum er zu den gefährlichsten Kämpfern im Institut zählte. Kai steckte einen Schlag mitten in die Magengrube ein und krümmte sich zusammen, obwohl sein Geist schrie, dass er in Bewegung bleiben musste. Es ging nicht, er hatte es übertrieben. Ein Schlag in den Rücken drückte ihn förmlich zu Boden und nur das Adrenalin in seinem Körper sorgte dafür, dass er sich zur Seite drehen konnte, um dem Kampfstiefel zu entkommen, der auf ihn zugeschossen kam.   Als er sich wieder aufrichtete, hatte er seine Hände längst aus den Taschen genommen und fixierte Boris, der herablassend grinste. "Kommt davon, wenn man mich unterschätzt." Ego war auch ein großer Feind von erfolgreichen Kämpfen. Vielleicht war noch nicht alles verloren. Es wurde Zeit, die gesamte Technik anzuwenden. Das allerdings war leichter gesagt als getan. Boris konnte unglaublich schnell sein. Etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Er sah die Angriffe nicht kommen und hatte so Mühe sie abzuwehren. Einige wirklich fatale Schläge musste er einstecken, denn sein Gegner schien von überall zu kommen.   Hilflosigkeit und Überforderung erfassten ihn, als er Blut schmeckte. War er tatsächlich nicht gut genug? Hatte er sich übernommen? War er zu übermütig, sich selbst zu sicher gewesen? War alles umsonst? In seinem ganzen Leben hatte er sich noch nie so schwach gefühlt, wie in diesem Moment und zum ersten Mal, wusste er nicht, was er tun sollte. Die Schläge kamen zu schnell und zu sicher. Er fand keine Lücke oder Schwachstelle, ja nicht einmal eine Möglichkeit selbst anzugreifen. Immer dann, wenn Boris aus seinem Sichtfeld verschwand, tauchte er danach an einer vollkommen unvorhersehbaren Stelle wieder auf und landete meistens einen Schlag. Was sollte er tun? War das so nicht sinnlos?   In einem Moment in dem sein Gegner nicht direkt vor ihm war, erhaschte Kai einen kurzen Blick in die Menge. Für einen Moment dachte er, Yuuya dort stehen zu sehen, der ihm zulächelte und ihn stumm anfeuerte. Auf seiner Schulter ruhte eine Hand, die zu Rei gehörte, der ihn aus funkelnden Augen ansah, sich dann entspannte und die Augen schloss.   Das Bild war nur eine Sekunde da, aber es hatte gereicht, um ihm neuen Mut zu schenken. Er konnte es schaffen, er musste. Es stand zu viel auf dem Spiel. Es wurde Zeit, dass er seine eigenen Dämonen endlich bezwang. Ich bin kein erbärmlicher Straßenköter!   Er entspannte sich und ließ die Geräusche seiner Umgebung auf sich wirken. Es dauerte nur einen Atemzug lang, dann schien alles langsamer zu laufen. Plötzlich schien er mehr Zeit für alles zu haben und so sah er auch endlich die Hand auf sich zukommen. Er konnte es sehen und spüren. Schnell hob er die Hand, entspannte seinen Arm an den richtigen Stellen und fing den Schlag einfach mit der hohlen Hand ab. Sein Unterarm bewegte sich dabei gerade einmal einen Zentimeter in Richtung seines Gesichtes, mehr nicht. Es hatte funktioniert. Er hatte den Schlag eines Boxers abgefangen. Einfach so, ohne Schmerzen.   Mit neuem Mut sah er Boris entgegen, der zu irritiert von der Tatsache war, dass seine Schlagkraft einfach verpufft war. Er holte mit der anderen Hand auch aus, doch das Ergebnis war das Gleiche. Frustriert versuchte er seine Hände wieder zurückzuziehen, scheiterte aber kläglich. Stattdessen ging Kai jetzt endlich in den Angriff über. Eine Hand löste er von seinem Gegner um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, die andere behielt er, wo sie war, um Boris in seiner Bewegung zu blockieren. Es folgten einige gezielte Tritte, doch die entlockten dem Anderen kaum ein Keuchen. Dennoch war das mehr als nichts, denn Boris schaffte es jetzt nicht mehr, ihn wirklich anzugreifen. Als Kai die andere Hand von ihm dann endlich los ließ, war der so überrumpelt, dass er den Kinnhaken nicht kommen sah. Er konnte so zäh sein wie er wollte, das knippste sogar ihm die Lichter aus.   Ein Raunen ging durch die Menge, als Boris nicht mehr aufstand und Kai schwer keuchend und deutlich angeschlagen als Sieger aus dem Kampf hervor ging. Kurz darauf war es totenstill im Raum, doch der Schiedsrichter kam nicht einmal dazu, das Ergebnis zu verkünden, als sich alle umher Stehenden plötzlich umwandten und ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenkten. Alarmiert kämpfte sich Kai durch die Menschenmassen, bis er zu deren Zentrum kam. Geschockt blieb ihm der Atem stehen, als er zu den anderen beiden Kontrahenten kam. Rei war blutüberströmt, wobei Yuriy nicht viel besser aussah. Aber sein Freund stand am Rand des Platzes, die Kinder um ihn herum nur darauf wartend, dass er einen Schritt zu viel nach hinten tat, um ihn dann festzuhalten oder zu Fall zu bringen. Etwas, was in diesem Stadium des Kampfes fatal wäre. "Gib auf, Rei. Bevor ich dir wirklich weh tun muss.", hörte Kai Yuriy zischen. Zwischen den beiden waren kaum zehn Zentimeter platz. Wenn der Russe Rei einfach nur ein wenig schubsen würde, wäre alles aus. Scheinbar schwach hatte Rei eine Hand gegen die Brust des anderen gestemmt. Er hatte nicht genug Bewegungsfreiheit um noch zu einem richtigen Schlag ausholen zu können. Kai grinste.   Rei   Yuriy war ein Monster. Ein Monster, das weder Rücksicht noch Schmerzen kannte. Rei hatte gewusst, dass es nicht einfach würde, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass es so brutal wäre. Während seine vorherigen Gegner meist auf Nummer sicher gegangen waren, und seinen Körper angegriffen hatten, zielte Yuriy ständig auf seinen Kopf und riskierte damit aktiv auch selbst einige Treffer. Durch das Training mit Kai hatte er einige Techniken zum Abwehren von solchen Schlägen erlernt, aber es kostete all seine Konzentration, nicht von so einem Schlag erwischt zu werden. Dennoch ging gerade der Anfang des Kampfes nicht gerade glimpflich für sie beide aus. Normalerweise hieß 'sich gegenseitig Abtasten', bei einem Kampf, dass man erst einmal vorsichtig ran ging und erforschte, was der Kontrahent konnte. Sie machten es anders. Abtasten in ihrem Kampf hieß, dem Gegner erst einmal die heftigsten Sachen um die Ohren zu hauen, ohne Rücksicht auf Verluste, und dann zu sehen, was der andere daraus machte. Eine Taktik die Rei wirklich nicht lag und die er auch als vollkommen unsinnig empfand, aber Yuriy hatte ihm keine Wahl gelassen. Das Resultat war, wie nicht anders zu erwarten, dass sie nach den ersten Minuten bereits ziemlich am Ende waren, wobei Yuriy noch fitter aussah. Jetzt aber wurde der Kampf plötzlich langsamer. Sein Gegner schien es gewohnt zu sein, seine Kontrahenten sehr für auf die Bretter zu schicken und musste jetzt die Situation erst neu einschätzen. Eigentlich hätte ihm Rei diese Möglichkeit gar nicht geben dürfen, aber es ging nicht anders. Er brauchte diese Ruhephase. Es folgte das, was gemeinhin als 'Abtasten' galt. Sie probierten einfache, sichere Techniken aus und schauten, wie weit sie kamen. Das machten sie tatsächlich so lange, bis die Massen um sie herum begannen unruhig zu werden.   Niemand von ihnen beiden landete jemals auf dem Boden oder führte Bodennahe Techniken aus. Das war zu gefährlich. Rei wusste noch von ihrem damaligen Trainingskampf, wie schnell Yuriy sein konnte. Glücklicherweise hatte Kai ihm helfen können, die gefährlichsten Angriffe in diese Richtung abzuwehren.   Aber er ließ langsam nach. Er wurde müde. Das hier musste so schnell es irgendwie ging beendet werden. Sein Körper schrie trotz des Adrenalins nach einer Pause, was ihn höchst alarmierte. Die Verletzungen mussten schlimm sein und er hatte einiges an Blut verloren. Lange würde er nicht mehr durchhalten. So griff er zu einer Notfalltechnik. Sie war riskant, denn durchschaute sein Gegner sein Vorhaben, wäre alles aus. Aber er vermutete stark, dass Yuriy zu sehr im Angriff und dem Vernichten seines Kontrahenten spezialisiert war, dass er solche Möglichkeiten nicht kannte.   Als die Versuche des anderen wieder ernsthafter wurden, ging Rei ins ausweichen über. Er ließ sich über den Ring jagen, steckte sogar noch den ein oder anderen weiteren Schlag und Tritt ein. Er musste sich konzentrieren, damit nichts schlimmeres passierte, sonst wäre alles aus. Schließlich war er da, wo er hin gewollt hatte. Ein Raunen ging durch die Menge, als Yuriy ihn an den Rand des Rings gedrängt hatte. Rei wusste, wenn er noch weiter nach hinten gedrückt würde, würden die Kinder, die um sie herum stehen 'versehentlich' dafür sorgen, dass er diesen Kampf verlor. Unehrenhaft, aber hier wahrscheinlich normal. Yuriy zögerte aber tatsächlich kurz, was Rei verwunderte. Es wurde totenstill im Saal. Bedrohlich stand er vor ihm und sah ihn aus eisigen Augen an: "Gib auf, Rei. Bevor ich dir wirklich weh tun muss." Es erstaunte Rei, dass er ihm tatsächlich die Möglichkeit gab, aufzugeben. Aber das würde er niemals tun. Mit festem Blick schüttelte er den Kopf nur um im nächsten Moment den Schlag abzufangen, ohne sich einen Millimeter nach hinten zu bewegen. Er hatte jetzt die perfekte Ausgangsposition. Mit seinem ganzen Körper schlug er Yuriy mit der Faust gegen die Brust. Er musste nicht ausholen dafür, brauchte keinen Platz. Ein Schlag, der aus nur wenigen Zentimetern Entfernung ausgeführt wurde und so viel Kraft hatte, wie ein gewöhnlicher Fausthieb. Er kannte die Schritte die Yuriy zurücktaumeln musste und folgte ihm, den Arm des anderen immer noch abgewehrt nach oben haltend. Mit dem selben Arm konnte er nun ebenso kurze aber Kräfte Schläge gegen dessen Hals setzen, der vollkommen offen vor ihm lag. Yuriy konnte sich nicht mehr wehren, denn er hatte zu viel damit zu tun, sein Gleichgewicht zu halten. Er hatte nur zwei Möglichkeiten: Fallen oder die Schläge zu lassen. Rei brauchte ein paar Schläge, traf dann aber endlich den richtigen Punkt und spürte wie Yuriys Körper erschlaffte.   All das war so schnell geschehen, dass die meisten keine Ahnung hatten, was eigentlich passiert war.   Doch das interessierte Rei wenig. Er durchkämmte die Menge nach Kai. Als sich ihre Augen trafen, erfasste ihn unendliche Erleichterung. Sie hatten es geschafft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)