Liebe führt, auch in Russland, zu Dummheiten von Lyndis ================================================================================ Kapitel 5: Eskalation --------------------- Erschöpft ließ er sich auf sein Bett fallen und starrte an die Decke. Vor zwei Wochen hatte er erfahren, dass er in den Fortgeschrittenen-Kurs aufgenommen worden war und er war sich ziemlich sicher, dass Yuriy bei dieser Entscheidung seine Finger mit im Spiel gehabt hatte. Kurz darauf hatte er dann begonnen jeden Nachmittag nach der Schule mehrere Stunden zu trainieren. Es war hart und es zehrte sehr an seinen Kräften, aber aus irgendeinem Grund hatte ihn der Ehrgeiz gepackt. Er wollte Yuriy besiegen, warum auch immer. Scheinbar war er stolzer was das anging, als er bisher gedacht hatte. Es gab nicht viele Menschen, die ihn besiegt hatten seitdem er angefangen hatte mit dem Kampfsport. Es nagte an ihm, dass jemand ihn dann so einfach geschlagen hatte. Außerdem genoss er das Gefühl des Ehrgeizes, das seitdem durch seine Adern pulsierte und seinem Körper ungeahnte Kraft und Ausdauer gab. Nur deshalb war er in der Lage das alles durchzustehen.   Müde sah er zu seinem Laptop, der zugeklappt auf dem Schreibtisch stand. Er hatte Kai schon lange nicht mehr geschrieben und er wusste, dass er auch heute keine Nachricht von seinem Freund bekommen hatte. Er schrieb nie von sich aus, das hatte er ihm am Anfang gesagt und bisher so durchgehalten. Er wollte Kai gerne etwas schreiben, aber er wusste nicht so recht was. Sein Alltag war momentan sehr eintönig. Er war in der Schule, danach trainieren, dann kam er nach Hause, machte seine Hausaufgaben und fiel danach erschöpft ins Bett. Das war es. Er hatte keine Freunde mit denen er sich traf oder mit denen er auch nur mittags zusammen aß. Er saß alleine. Seit Yuriy vor zwei Wochen bei ihm aufgetaucht war, gingen ihm auch die anderen Neulinge aus dem Weg, mal abgesehen davon, dass einige die Schule gewechselt hatten. Er verstand den Hintergrund nicht ganz, aber vielleicht war es für jene, die nichts mit Kampfsport zu tun hatten, einfach die falsche Schule. Vielleicht hatten die Lehrer ihnen sogar empfohlen zu wechseln, damit ihre Talente besser gefördert werden konnten. Es gab viele Möglichkeiten und ehrlich gesagt, war es Rei egal, was mit den anderen war. Es kümmerte ihn nicht sonderlich, wenn er ehrlich war. Er hatte selbst genug zu tun und genug Sorgen, da konnte er nicht auch noch über irgendwelche Beweggründe von Menschen nachdenken, die er nicht einmal wirklich kannte.   Takao hatte ihm bei ihrem letzten Telefonat gesagt, dass Kai sich merkwürdig verhalten würde. Er konnte es nicht genau benennen, aber er meinte etwas davon, dass er noch reizbarer wäre als sonst schon. Rei hatte Takao geraten, ihm einfach aus dem Weg zu gehen, doch der Japaner war anscheinend zu loyal. Er wollte Kai gerne fragen was los war, doch dann würde er Takao Probleme bereiten, immerhin hatte der sozusagen gepetzt. Es war eine verfahrene Situation, die ihn davon abhielt, überhaupt irgendwas zu schreiben. Dann wiederum dachte er darüber nach, wie es auf Kai wirkte, dass er nicht mehr schrieb und er befürchtete, dass das vielleicht der Grund für die schlechte Laune war. Warum kontaktierte er ihn dann nicht? Rei seufzte deprimiert, als ihm klar wurde, dass der Russe niemals den Anschein erwecken würde, dass er ihn vermisste. Lieber fraß er den Frust in sich hinein. Ja, das war typisch, brachte ihn selbst aber in eine schwierige Lage. Was sollte er tun? Wenn er irgendeine nichtssagende E-Mail schreiben würde, käme das auch nicht gerade gut rüber. Er war nicht einmal in der Lage sich momentan am Wochenende mit ihm über Chat zu unterhalten, weil er während der wenigen Stunden, die sie beide durch die Zeitverschiebung zusammen haben könnten, in der Schule beim Training verbrachte, um den Rückstand an Technik aufzuholen. Frustrierende Situation. Er würde etwas ändern müssen, wenn er nicht wollte, dass seine Beziehung kaputt ging und das wollte er auf keinen Fall, auch wenn es merkwürdig einfach zu ertragen war, dass er kaum mit Kai kommunizierte. Er war wohl von all den Abschieden und Verlusten zu abgestumpft und war allgemein zu beschäftigt um seinen Freund zu vermissen. Dennoch war es merkwürdig...   Vielleicht lag die schlechte Laune aber auch an etwas anderem. Takao hatte ihm begeistert von einem Amerikanischen Austauschschüler erzählt, mit dem er sich angefreundet hatte und den er auch mit zu Kai schleppte. Vielleicht war der also nur genervt, weil er jetzt mit zwei Chaoten klar kommen musste. Rei schmunzelte leicht. Er wäre gerne einmal dabei, wenn die drei aufeinander trafen und er wollte auch den Amerikaner, Max, gerne einmal kennenlernen. Er klang nach einem aufgeweckten, fröhlichen Menschen und wenn er ehrlich war, sehnte er sich etwas nach einem Optimisten in seiner Nähe. Jemandem, der immer lächelte und nie schlecht drauf war. Ein solcher Mensch spendete oft Kraft und Mut, auch wenn die leicht naive Art dieser Menschen nervig sein konnte. Trotzdem könnte er so jemanden gerade wirklich brauchen, denn die Stimmung in dem Internat war drückend und anstrengend. Wie nicht anders zu erwarten, war alles auf Leistung und Ergebnisse ausgelegt. Er war das von den asiatischen Schulsystemen schon gewohnt, aber hier schien alles noch ein wenig schlimmer. Die Kinder, die nichts anderes hatten, als dieses Internat und diese Ausbildung, verzweifelten regelmäßig an dem Druck und die Lehrer schienen nicht wirklich gewillt, etwas dagegen zu tun. Es war alles ein wenig wie 'Friss oder stirb' und erinnerte eher an einen Drill, statt eine normale Schulausbildung. Aber das war wahrscheinlich einfach die russische Kultur. Viele Menschen, auch in der Stadt, wirkten hier abweisend und kühl. Vielleicht war in einem so kalten Land auch das Herz erkaltet. Zusammen mit dem mittlerweile ständig grauem Himmel und den immer weiter fallenden Temperaturen, war das eine sehr deprimierende Atmosphäre. Er war recht froh, dass er sich beim Training davon ablenken konnte.   Vielleicht würde es ihm ja gut tun, mit Kai darüber zu reden? Andererseits war der andere jetzt nicht unbedingt die Art Sonnenschein, die ihn aufmuntern konnte, oder? Ob er vielleicht lieber Takao anrufen sollte? Ein Blick auf die Uhr, zeigte ihm, dass das keine gute Idee war. Es war gerade mitten in der Nacht im fernen Osten. Rei seufzte. Träge nahm er den Laptop zur Hand. Was sollte er schreiben? Er war sich wirklich nicht sicher. Er konnte ihn doch auch nicht die ganze Mail lang nur zujammern, nachdem er sich so lange nicht gemeldet hatte. Aber was sollte er sonst machen? Es gab in seinem Leben derzeit nichts anderes als das. Er würde wohl improvisieren müssen, aber das konnte so schwer ja nicht sein, oder?   Hallo Kai,   Und dabei blieb es dann auch. Er würde ihm morgen schreiben. Bis dahin war ihm sicherlich irgendetwas eingefallen.   ~*~   Träge und schwerfällig öffnete er die Augen, nur um sie kurz darauf wieder zu schließen. Sein Körper fühlte sich taub und schwer an. Nur sein Kopf war ganz und gar nicht taub, denn der schmerzte, als wäre ein Laster darüber gefahren. Das stechende Licht, das jetzt sogar hinter seine Augenlider zu dringen schien, machte es nur noch schlimmer. Genauso wie das nervende Piepen direkt neben ihm, das sich jedes mal wie ein Nadelstich in seinem Kopf anfühlte und einen pulsierenden Schmerz durch seinen ganzen Körper schickte. Noch ehe er die Augen auch nur ein Mal richtig geöffnet hatte, verschwammen seine Gedanken bereits wieder und er verlor sich erneut in einem traumlosen Schlaf.   Als er das nächste Mal erwachte, war das nervende Piepsen noch immer da, aber es fühlte sich nicht mehr so an, als würde man mit einem Messer auf einem Nerv direkt in seinem Kopf herum kratzen. Er seufzte erleichtert, was irgendetwas wohl dazu veranlasste, sich zu bewegen. Denn er hörte etwas in seiner Nähe rascheln. Er wollte sich bewegen, sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht streichen, weil sie ihm über den Augen klebten, doch er konnte nicht. Irgendetwas drückte seinen gesamten Körper auf die Matratze und machte ihn vollkommen bewegungsunfähig. Panik erfasste ihn, doch selbst das dadurch ausgelöst Adrenalin reichte nicht, um seinen Körper in Bewegung zu setzen. Irgendjemand schrie etwas, was nur verzerrt und unverständlich bei ihm ankam. Das Piepen hatte sich in einen schnellen, unregelmäßigen Rhythmus gewandelt.   Eine Hand umfasste plötzlich seine, hielt sie fest und sicher. Die Hand war größer als seine, war aber nicht so rau wie die seines Vaters. Dennoch beruhigte er sich sofort, vielleicht einfach nur, weil er wusste, dass er nicht allein war.   Etwas kaltes streifte seine Stirn und als die Angst wieder begann Besitz von ihm zu ergreifen, griff ihn die Hand fester und ein Daumen streichelte über seinen Handrücken. Es war alles in Ordnung. Ein neues Geräusch drang an seine Ohren, doch er konnte es nicht identifizieren. Er versuchte sich darauf zu konzentrieren, doch es dauert lange, bis er es erkannte. Es war eine Stimme und die Worte drangen nur verzerrt in seinen Geist. Es war so schwer die Worte nicht einfach vorbei schwimmen zu lassen und sich zurückfallen zu lassen, in die einladende Schwärze die ihn umgab. Doch die Hand die seine festhielt, wirkte wie ein Anker in der wirklichen Welt und er wusste, dass es wichtig war, dass er die Worte verstand.   "Herr Kon, hören Sie mich? Herr Kon?" Diese Worte wiederholten sich immer und immer wieder und langsam sickerte auch ihre Bedeutung in sein Bewusstsein. Ja, ja, er hörte sie. Er hörte die Stimme dieser Frau jetzt klar und deutlich. "Herr Kon, wenn Sie mich hören, versuchen Sie bitte einen Finger zu bewegen. Nur einen Finger. Konzentrieren Sie sich darauf." Stille breitete sich um ihn herum aus. Eine Stille, die ihn fast wieder hätte in die Dunkelheit zurückgleiten lassen. Aber da war immer noch die Hand, die ihn unerbittlich fest hielt und ihn nicht weg ließ. Und er wollte diesen Druck um seine Hand erwidern, er wollte, weil es ihm so viel Kraft spendete und so viel halt und weil es sich so richtig anfühlte.   "Seine Hand hat gezuckt" Die Stimme die nun sprach war dunkel und tief und eindeutig männlich. Sie löste ein angenehmes Kribbeln in seinem Körper aus und so etwas wie Erleichterung machte sich in ihm breit. Er war hier definitiv sicher. "Das ist ein gutes Zeichen.", sprach nun wieder die weibliche Stimme. "Herr Kon, ich werde jetzt ihre Reflexe testen. Wenn alles normal ist, wird es kurz etwas pieksen." Irgendetwas stach kurz darauf in eine seiner Zehen und er spürte seinen Fuß leicht zucken. Zu mehr war er nicht in de Lage. "Das sieht gut aus." Die Frau kam wieder näher zu ihm und blieb neben seinem Kopf stehen. "Herr Kon, ich weiß nicht, an wie viel sie sich erinnern. Sie sind in eine Schlägerei geraten und dann mit einem Messer attackiert worden. Die Wunde ist nicht besonders schlimm, aber Sie haben viel Blut verloren. Es scheinen keine Hirnschäden aufgetreten zu sein, demnach steht Ihrer vollständigen Genesung nichts mehr im Weg. Schlafen Sie noch etwas. Wenn Sie wieder aufwachen, sollten Sie in der Lage sein, sich zu bewegen." Und diese Sätze waren wie eine Erlösung, denn er konnte sich wieder fallen lassen und dem erholsamen Schlaf nachgeben, der ihn auch sogleich mit wohlwollenden armen umfing.   ~*~   Erst am nächsten Tag öffneten sich seine Augen endlich, was Kai mehr als erleichterte. Die Panikattacke, wie die Ärztin es später genannt hatte, bei dem sein ganzer Körper begonnen hatte zu zittern und zu zucken, war beängstigend mit anzusehen gewesen. Aber jetzt öffnete er, wie die Ärztin versprochen hatte, sogar die Augen. Sie waren noch etwas glasig und unfixiert, aber sie waren offen und das war die Hauptsache.   "Wie fühlst du dich?" Es kam nur ein leises Stöhnen aus seiner Kehle und selbst das klang krächzend. Also nahm Kai die Wasserflasche, gab davon etwas in ein Glas und half Rei auf, damit er einen Schluck trinken konnte.   Eigentlich sollte er unglaublich sauer auf dieses Häufchen Elend in seinem Arm sein. Und das war er im Prinzip auch, aber nicht jetzt. Nicht gerade. Seine Wut war zweitrangig, ausnahmsweise. Er hatte sich von Takao die Nummer besorgt, weil er sich Sorgen gemacht hatte. Tagelang schon war er mit einem merkwürdigen Gefühl aufgewacht und war auch damit wieder schlafen gegangen und nachdem sich Rei weiterhin nicht bei ihm gemeldet hatte, hatte er sich schließlich die Nummer besorgt. Nur um dann von seinen Eltern zu erfahren, dass er im Krankenhaus lag, weil er abgestochen worden war. Vierundzwanzig Stunden später befand er sich am Krankenbett seines Freundes und hatte kurz darauf mitbekommen, wie er das erste Mal wirklich aufgewacht war. Er würde wieder werden, das war das wichtigste. "Kai", krächzte es vom Bett und glasige Augen lagen nun auf ihm, verwundert und voller Liebe. Dennoch erschreckte es ihn, was er da sah. Die Augen wirkten neben der Erschöpfung stumpf und leer. Vielleicht lag es an der Ausgezehrtheit seines Körpers und seinem wahrscheinlich immer noch unklaren Geist, aber sein Freund wirkte nicht mehr, wie zu dem Zeitpunkt, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Irgendetwas an ihm war anders und das gefiel ihm gar nicht. "Schhh. Ich bin hier. Schlaf noch ein wenig."   Ganz sicher würde er ihn jetzt nicht mehr alleine lassen und der, der ihm das angetan hatte, würde dafür büßen.   ~*~   Diese Idioten! Diese verdammten Idioten! Was hatten die sich nur dabei gedacht? Nicht nur, dass sie sich selbst damit ins Unglück gestürzt hatten, es schadete auch massiv dem Ruf der Schule. Wie hatten sie ein Lichtkind angreifen können!? Und dann auch noch auf so eine feige Art und Weise! Es gab so viele Möglichkeiten jemanden herauszufordern, aber diesmal schien es einfach nur das Ausschalten eines möglichen Konkurrenten gewesen zu sein. Hirnlos und einfach nur dumm. Er war fassungslos und enttäuscht von ihnen allen. Natürlich ging es hart bei ihnen zu, er selbst war mehr als einmal mit einem Messer oder sonstigen Waffen angegriffen worden, aber das war intern geblieben! Dieser Chinese war ein Lichtkind und durfte nicht so angegangen werden. Was hatten die sich nur dabei gedacht!?   Er drängte seinen Ärger zurück, als er vor dem Krankenzimmer ankam. Normalerweise durften sie nicht in die Stadt, aber er als Mitglied des Nationalteams war so oder so öfter draußen und war ausgewählt worden, um den Verletzten zu besuchen. Natürlich übernahm Volkov das nicht persönlich, zumindest nicht, wenn kein Kamerateam sich gleich mit in das Zimmer quetschte, aber das war nicht sein Problem. Er tat, was man ihm sagte.   Er klopfte kurz an die Tür und trat dann ein. Was er sah, beeindruckte ihn nicht wirklich. Rei saß in seinem Bett und aß gerade das Mittagessen. Er war noch sehr blass und seine Hände zitterten, aber das war es auch schon. Ihm selbst war es bewusst, dass dieser Anblick bereits viele erschrecken würde, aber er hatte schon so viel schlimmeres gesehen und selbst erlebt, dass er das wirklich als harmlos empfand. Aber es durfte nicht bemerkt werden, dass das so war. Er durfte nicht unmenschlich wirken, zumindest nicht noch unmenschlicher, als er sowieso schon wirkte. Dennoch war er nicht dazu in der Lage, dem verwunderten Blick seines Gegenübers mit Mitleid zu begegnen, denn ehrlich gesagt wusste er nicht einmal, wie sein eigenes Gesicht auszusehen hatte, wenn er dieses Gefühl widerspiegeln wollte. "Yuriy?"   Offensichtlich reichte es schon, dass er überhaupt da war. Rei war so von dieses Tatsache eingenommen, dass er offensichtlich die fehlenden, aber eigentlich passenden Emotionen in dieser Situation nicht bemerkte. "Hallo Rei", antwortete er etwas steif und ging auf einen kleinen Tisch im Raum zu, um sich von dort einen Stuhl zu nehmen und sich an das Bett zu setzen. "Wie geht es dir?" Glücklicherweise gab es für solche Anlässe feste Skripte, denen man einfach nur folgen musste. Solcherlei Interaktion war ihm ehrlich gesagt zuwider, aber er hatte einen Auftrag und er würde Volkov nicht enttäuschen.   "Gut, denke ich. Was machst du hier?" Die Verwirrung stand dem Anderen ins Gesicht geschrieben. Alles was er tat schien ihn zu verwirren, was auf ihn selbst ein wenig seltsam wirkte, denn in seiner Welt war sein Verhalten vollkommen normal und meist sogar vorhersehbar, solange sein Gegenüber nichts unvorhergesehenes Tat. Und selbst dann gab es spezielle Regeln denen er folgte. Es gab für alles Regeln und das war gut so, denn ansonsten hätte er enorme Schwierigkeiten, sich überhaupt in einer Welt zurecht zu finden. Er mochte Regeln. Er holte ein Packung mit feiner Schokolade aus einem Beutel, den er mitgebracht hatte. "Ich wollte nach dir sehen.", sagte er schlicht. "Im Internat haben wir ein bisschen gesammelt um dir das hier kaufen zu können. Als Entschuldigung sozusagen, dass unsere Kameraden so etwas verwerfliches getan haben und natürlich im Sinne eines Genesungswunsches." Das klang wahrscheinlich zu steif, aber Rei schien das nicht zu interessieren. Er schaute ihn nur verwundert an, mit leicht geweiteten Augen und sah dann auf die Schokoladenschachtel. "Das... das wäre nicht nötig gewesen, ehrlich! Und macht euch keine Sorgen, mir ist klar, dass das einfach nur Schwarze Schafe waren und das nichts mit dem restlichen Internat zu tun hat." Wenn du wüsstest, dachte Yuriy nur bei sich. Natürlich war das mit der Sammelaktion eine absolute Lüge gewesen. Volkov hatte ihm die Schachtel in die Hand gedrückt und ihm aufgetragen, zu behaupten, es käme von den armen Internatskindern, die ja selbst kaum etwas haben. Innerlich verdrehte er die Augen über dieses Schmierentheater, aber natürlich zeigte er es nicht. Stattdessen lächelte er nur das Lächeln, das man von ihm erwartete, als Rei die Schokolade annahm. Ohne zu zögern öffnete er die Packung, doch statt sich selbst etwas zu nehmen, hielt er ihm die Schachtel wieder hin. Verwirrt hob er eine Augenbraue und besah sich die die dunklen Rechtecke vor sich. Was sollte er jetzt tun? War das eine Ablehnung des Geschenks? Das sähe dem Chinesen aber gar nicht ähnlich. "Magst du keine Schokolade?", kam es verwundert vom Bett, was den Russen nun vollkommen aus dem Konzept brachte. Das war in dem Skript, das er im Kopf hatte, aber nicht vorgesehen. Was wurde jetzt von ihm erwartet? "Doch", murmelte er und war selbst überrascht, wie unsicher er dabei klang. Hoffentlich fiel es seinem Gegenüber nicht auf. "Dann nimm dir ruhig ein Stück oder auch zwei." Anscheinend wurde erwartet, dass er sich etwas von dem teuren Zeug nahm. Aber warum? Das ergab doch gar keinen Sinn! Er wollte dennoch nicht auffallen und griff zu. Ja, er mochte Schokolade und er wusste nicht, wann er das letzte mal welche bekommen hatte. Zu Weihnachten wohl, dachte er bei sich, als er das kleine braune Täfelchen zu seinem Mund führte. An Weihnachten spendeten einige Bewohner der Stadt Geschenke und es wurde ein ziemliches Spektakel daraus gemacht. Er war sich nie so sicher ob er sich tatsächlich auf Weihnachten freute oder nicht, aber das war jetzt auch zweitrangig.   Gerade als er den ersten Bissen nahm, ging die Tür auf und er erstarrte, als er sah, wer da hinein kam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)