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Selbstmord ist keine Lösung......oder?

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Jaaaa, ich weiß, ich hab einfach schon wieder viel zu lange gebraucht^^' Aber erst war da Karneval und dann auch noch so eine hartnäckige Erkältung, die direkt in eine Mittelohrentzündung übergangen ist --_-- Abgesehen davon hat mich dieses Kapitel mit seinem Inhalt wirklich einige Nerven gekostet, das kann ich euch sagen. Ich hoffe jedenfalls sehr, dass es euch gefällt. Komplett anzeigen

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Willkommen

„Bist du dir auch ganz sicher, Carina?“ „Ja doch, Grell. Jetzt tue mal bitte nicht so, als ob du diesbezüglich eine Wahl hättest. Wenn William unbedingt will, dass du mit auf diese Konferenz kommst, dann wird dir schlichtweg nichts anderes übrig bleiben.“ „Da hat sie Recht“, ließ Alice im Hintergrund vernehmen und Grell raufte sich die Haare. „Ja, das ist mir schon klar, aber ich will nicht“, jammerte er. „Diese dämliche Zusammenkunft ist auch noch in Frankreich. Wenn ihr mich fragt, dann hat der dortige Dispatch ohnehin einen an der Klatsche. Bestellen uns dorthin und das nur, weil sie angeblich deinen Lover vor wenigen Wochen gesichtet haben. Als ob wir was für unsere Deserteure könnten. Glauben die vielleicht, wir haben nicht schon genug eigene Probleme?“
 

Carinas genervtes „Er ist nicht mein Lover“ wurde gekonnt ignoriert.
 

„Und außerdem: Was ist, wenn ich weg bin und das Kind kommt?“, schlug Grell die Hände über dem Kopf zusammen, entsetzt bei dem bloßen Gedanken. Carina seufzte. „Jetzt beruhige dich mal, Grell. Bis zur Geburt sind es noch 4 Wochen und diese Konferenz beginnt bereits übermorgen. Hat William dir nicht gesagt, dass sie allerhöchstens zwei Wochen dauert?“ „Ja und wenn schon. Kinder können auch schon früher zur Welt kommen. Und du hattest immerhin schon Wehen.“
 

„Senkwehen“, warf Alice ein. „Das ist was anderes.“ „Und wenn schon, es hätten auch echte Geburtswehen sein können. Ehrlich, mir ist fast das Herz stehen geblieben“, sagte Grell, als er sich daran erinnerte, wie Carina in der Küche plötzlich ein Glas hatte fallen lassen und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Bauch gefasst hatte. „Mir auch“, gestand Carina. Einen Moment lang hatte sie echte Panik bekommen. Natürlich war das Baby schon fertig entwickelt und es wäre nicht allzu schlimm gewesen, wenn es an dem Tag gekommen wäre, aber die Blondine verdrängte die Gedanken an die Geburt zurzeit noch. Es waren nicht einmal die Schmerzen, die ihr solche Angst machten. Vielmehr war es die schiere Vorstellung einen kleinen Menschen aus sich herauszupressen, ein neues Leben in diese Welt zu bringen. Und die ganze Verantwortung, die damit einherging.
 

„Hör zu, Grell. Du musst mitgehen, alles andere würde nur unnötigen Verdacht erregen. Alice und ich werden schon allein zurechtkommen. Mach dir keine Sorgen. In den letzten Tagen war es hier drin“, sie tätschelte sanft ihre riesige Kugel, „relativ ruhig, die Geburt wird bestimmt noch ein wenig auf sich warten lassen. Und wenn nicht, dann schaffe ich das. Vielleicht ist es sogar besser, wenn du das nicht mitbekommst. Gebärende Frauen können ganz schön gruselig werden, habe ich mir jedenfalls sagen lassen“, endete sie und zwinkerte Alice kurz zu, die ihr lang und breit von den Geburten ihrer Schwestern erzählt hatte.
 

Grell zog eine Schnute. „Wenn ich wiederkomme und das Baby ist bereits da, dann bin ich beleidigt, nur dass ihr es wisst!“ Die beiden Frauen lachten. „War ja klar“, sagte Alice, woraufhin Carina gleich im Anschluss ein „Welch große Überraschung“ hinterher schob. „Aber“, begann der Rothaarige sofort wieder energisch und deutete mit seinem rechten Zeigefinger direkt auf die Blondine, „der Name wird nicht verkündet, bevor ich wieder zurück bin.“ Carina grinste. Schon seit Wochen lagen Grell und Alice ihr damit in den Ohren. Zuerst hatten die beiden Paten ihr ständig Namensvorschläge unterbreitet. Als Carina ihnen dann allerdings verkündet hatte, dass sie sich bereits für zwei Namen entschieden hatte, hatte das natürlich schlagartig aufgehört. Seitdem war nicht ein Tag vergangen, an dem der Rotschopf und die Schwarzhaarige sie nicht ungeduldig gelöchert hatten, aber in diesem Punkt blieb Carina hart. Sie würden sich bis zur Geburt gedulden müssen.
 

„In Ordnung“, antwortete sie daher, woraufhin Alice stöhnte. „Toll. Wehe, das Baby kommt wesentlich früher, ich will doch keine Woche ein namenloses Patenkind haben.“
 

„Ach, hier bist du.“ Alice trat in das Kinderzimmer und beäugte ihre Freundin, die mit einer Decke über dem Bauch im Schaukelstuhl saß und leicht vor und zurück wippte. „Ich wusste gar nicht, wie entspannend so ein Stuhl sein kann“, seufzte die 19-Jährige und gähnte. „Glaub ich dir sofort“, sagte Alice und trat ein paar Schritte näher. „Man ist wirklich um jeden Moment der Ruhe froh, oder?“ „Vor allem für die Momente, wo man mal nicht auf die Toilette rennen muss“, die Schnitterin seufzte erneut. Seit das Baby sich langsam in die richtige Position für die Geburt begab, drückte es ihr noch stärker auf die Blase als zuvor und das war neben den Rückenschmerzen einfach das Allerschlimmste. Das war wirklich etwas, worauf sie sich nach der Geburt freuen würde. Endlich wieder ein Leben, ohne den halben Tag im Badezimmer oder im Bett zu verbringen.
 

„Du siehst bedrückt aus“, bemerkte die Rezeptionist, eine ruhige Feststellung. „Doch nicht wegen Grell, oder? Er kommt doch schon in einer Woche wieder. Außerdem…genießt du denn nicht auch diese wundervolle Stille?“ Carina konnte nicht anders, sie musste einfach lachen. „Natürlich ist Stille zur Abwechslung ganz schön, aber um ehrlich zu sein finde ich es schön, wenn Grell um mich herum ist. Auf Dauer fände ich diese Ruhe nämlich unerträglich. Seine Lebhaftigkeit ist doch einfach ansteckend, findest du nicht?“ „Na ja, das kann man manchmal so oder so sehen“, murmelte die Schwarzhaarige und rollte leicht mit den Augen.
 

„Wenn es nicht Grell ist, was ist es dann?“ Die gelbgrünen Augen der Shinigami richteten sich gen Boden, während ihre Wangen einen leichten Rotstich annahmen. „Ich weiß, es ist dämlich, aber…ich kann mich nicht entscheiden, ob ich die Geburt herbeisehne oder mich davor fürchten soll. Irgendwie ist es eine Mischung aus beidem.“
 

„Ach Carina.“ Alice‘ Gesichtsausdruck wurde ganz weich, liebevoll. Sie kniete sich auf die Höhe der werdenden Mutter und legte ihr bestärkend eine Hand aufs Knie. „Das ist doch ganz normal. Nenn mir eine Frau, die keine Angst vor der Geburt hat. Und wenn es tatsächlich eine gibt, die das behauptet, dann hat sie entweder überhaupt keine Ahnung oder sie lügt.“ Die Deutsche lächelte schwach. „Ich hab nur ständig die Befürchtung, dass etwas schief gehen könnte. Nicht um mich mache ich mir Sorgen, mir kann ja nichts passieren. Aber dem Baby…“
 

„Es wird alles gut gehen“, sprach Alice mit einer solchen Zuversicht, das Carina überrascht aufsah. Die Schwarzhaarige drückte aufmunternd ihr Knie. „Glaub mir, es bringt nichts sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Abgesehen davon bist du die stärkste Frau, die ich kenne. Bei jeder anderen Frau würde ich mir vielleicht Sorgen machen, aber nicht bei dir. Mal ganz abgesehen davon“, sie grinste kurz und legte ihre andere Hand nun sanft auf den Schwangerschaftsbauch ihrer besten Freundin, „das hier ist das Kind der ersten weiblichen Seelensammlerin und des meist gesuchten Deserteurs unserer Geschichte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich durchzusetzen weiß.“
 

„Falls es meinen Dickkopf und Cedrics Beharrlichkeit geerbt hat, dann ganz bestimmt“, lachte die Blondine und fühlte sich jetzt wieder etwas entspannter. „Danke, Alice. Ehrlich, ohne dich würde ich durchdrehen.“ „Dafür sind beste Freundinnen doch da“, zwinkerte die Schwarzhaarige ihr zu und erhob sich wieder. „So, ich mach uns dann mal was zu Essen. Worauf hast du Lust?“ „Hmm“, überlegte die Schwangere kurz. „Wie wäre es mit Spaghetti Bolognese?“ „Kein Problem“, erwiderte die junge Frau voller Tatendrang und verließ bereits im nächsten Augenblick das Kinderzimmer, um sich in die Küche zu stürzen.
 

Carinas Lächeln wurde abermals eine Spur schmaler. Sie hatte weder Grell noch Alice etwas davon gesagt, aber in letzter Zeit dachte sie wieder vermehrt an Cedric. Es passierte ganz automatisch, ohne, dass sie etwas dagegen machen konnte. Jedes Mal, wenn sie an ihr Kind dachte, stellte sie sich automatisch vor, wie es mit dem Silberhaarigen hätte sein können. Was sie zusammen hätten haben können. Eine gemeinsame Zukunft, eine Familie. Wenn er ihre Gefühle doch nur erwidert hätte…
 

Die brennende Eifersucht, die Carina am Anfang verspürt hatte, hatte sich mittlerweile in eine tiefer gehende Traurigkeit umgewandelt. Sie konnte damit umgehen, dessen war sie sich bewusst, aber diese Gefühle würde sie ihr Leben lang im Herzen tragen, fast wie ein Brandmal. In dem Teil ihres Herzens, der allein dem Bestatter gehörte…
 

Die nächsten Tage zogen sich schleppend dahin. Nach Carinas Meinung gab es im Leben einfach nichts Schlimmeres als Langeweile. Sie kannte Leute, die sich über zu viel Arbeit beschwerten. Durchaus nachvollziehbar. Aber überhaupt keine Arbeit zu haben, das war deutlich schlimmer. „Man wacht bereits mit dem Gedanken auf, dass wieder ein ganzer Tag vor einem liegt, der irgendwie rumgehen muss. Fragt sich nur wie“, dachte sie genervt. Gestrickt hatte die 19-Jährige mittlerweile wahrlich genug und alles andere – waschen, kochen und putzen – nahm Alice ihr bereitwillig und ohne jegliche Chance auf Diskussion ab. Das einzig Gute, was ihr blieb, war das Lesen von ihren heißgeliebten Büchern, aber das war auch keine Tätigkeit, der sie den ganzen Tag lang nachgehen konnte. Allein schon nicht mit diesen schlechten Augen.
 

Der einzige Lichtblick war, dass Grell übermorgen endlich von der Konferenz zurückkehren würde. Dann würde es zumindest wieder etwas voller im Haus werden und möglicherweise hatte der Reaper ja auch einige interessante Sachen zu berichten. Wobei sie es dem Rothaarigen auch durchaus zutraute, dass er vor Langeweile und Desinteresse mitten in den Besprechungen eingepennt war. „Ich sehe es schon vor mir. Aber sicherlich wird William ihn mit seiner Death Scythe wieder ganz schnell aus dem Reich der Träume zurückholen.“ Allein schon der bloße Gedanke ließ sie grinsen. Ja, nur noch zwei Tage…
 

Allerdings stellte sich noch in der gleichen Nacht heraus, dass das Baby wohl nicht so lange warten wollte.
 

Mitten in der Nacht wurde Carina urplötzlich aus ihrem festen Schlaf gerissen. Blinzelnd und noch im Halbschlaf versuchte sie zu ergründen, was sie gerade geweckt hatte. Um sie herum war alles ruhig, ein Geräusch schien es wohl nicht gewesen zu– Die junge Frau zog scharf die Luft ein, als ein heftiges Stechen ihren Unterleib durchfuhr. Es fühlte sich ein wenig so an wie der leichte Schmerz während ihrer Periode, wenn die Gebärmutter sich ab und zu verkrampfte. Allerdings war dies hier kein leichter Schmerz, sondern eher eine zehnfache Steigerung. Keuchend fasste sie sich an den Bauch. Steinhart. „Oh nein“, murmelte sie, entspannte sich allerdings wieder ein wenig, als die Schmerzen genauso schnell nachließen, wie sie gekommen waren. Vielleicht nur eine besonders starke Senkwehe? So genau kannte sie sich damit immerhin auch nicht aus.
 

Beunruhigt blieb sie im Bett liegen, unfähig einen weiteren klaren Gedanken zu fassen. 5 Minuten vergingen. Dann 10 Minuten. Als schließlich 20 Minuten vergangen waren und Carina gerade wieder versuchen wollte einzuschlafen, kam der Schmerz schlagartig zurück. Erneut verhärtete sich ihr ganzer Bauch, während die Krämpfe sich nun auch wellenartig in ihrem unteren Rücken ausbreiteten. Ihr Mund wurde ganz trocken, während ihr vor Panik im ersten Moment die Luft wegblieb. „Tief durchatmen“, schoss es ihr durch den Kopf, während sie sich vorsichtig ein wenig aufrichtete. Nach zwei langen und tiefen Atemzügen, die ungefähr eine Minute gedauert hatten, ließen die Schmerzen wieder nach.
 

„Alice“, rief sie mit zittriger Stimme, jedoch anscheinend laut genug. Es dauerte keine fünf Sekunden, da stand die Schwarzhaarige in ihrer Zimmertür, eine Petroleumlampe in der rechten Hand. „Ich glaube, ich habe Wehen“, stammelte die Blondine, bevor ihre Freundin auch nur den Mund aufmachen konnte. „Bist du dir sicher? Kein falscher Alarm?“ „Woher soll ich das wissen?“, zischte Carina. Das hier war immerhin ihre erste Geburt. „Ganz ruhig. Das lässt sich leicht herausfinden. Kommen die Schmerzen in regelmäßigen Abständen oder willkürlich? Werden sie stärker oder schwächer?“ „Keine Ahnung“, antwortete Carina kleinlaut. „Die Erste, die ich gespürt habe, hatte ich im Halbschlaf, die Zweite kam erst nach 20 Minuten.“ „Dann warten wir eben auf die Nächste“, erwiderte Alice, stellte die Petroleumlampe auf das Nachttischchen und setzte sich zu der Schnitterin aufs Bett.
 

Gemeinsam warteten sie, während ein angespanntes Schweigen die ganze Zeit in der Luft hing. Dann – pünktlich nach 20 Minuten – kamen die Schmerzen erneut. „Autsch“, keuchte die 19-Jährige reflexartig und nahm kaum wahr, wie Alice über ihren Bauch tastete. „Hmm, dein Bauch ist auf jeden Fall verhärtet. Waren die Schmerzen ein wenig stärker als beim letzten Mal?“ Carina nickte. „Ich glaube schon.“ „Tja, dann hast du definitiv richtige Geburtswehen.“
 

Das Herz sackte der Schwangeren automatisch in die Hose. Jetzt war tatsächlich der Moment gekommen, vor dem sie sich die ganze Zeit gefürchtet hatte. „Grell wird stinksauer sein“, versuchte sie sich selbst ein wenig von der Situation abzulenken. „Och, sei mal nicht allzu vorschnell. Vielleicht schafft er es noch.“ Carina hob eine Augenbraue. „Ähm, er kommt doch erst übermorgen.“ Alice hob nun ebenfalls eine Augenbraue. „Du weißt aber schon, dass die Geburt des ersten Kindes ziemlich lange dauern kann, oder?“ „…wie lange?“, fragte die 19-Jährige, obwohl sie sich sicher war die Antwort nicht wissen zu wollen. „Nun“, begann Alice vorsichtig und lächelte zaghaft, „bei mir hat es um die 10 Stunden gedauert. Bei meiner Schwester ganze 2 Tage.“ Carina stöhnte. Das dürfte doch wohl nicht wahr sein!
 

„Das ist nicht dein Ernst.“ „Doch, natürlich. Deine Wehen haben noch einen Abstand von ungefähr 20 Minuten und dauern auch ca. 90 Sekunden lang an. Wenn die Geburt unmittelbar bevorsteht, dann kommen die Wehen alle 3 bis 4 Minuten und sie verkürzen sich auf unter eine Minute.“ „Na großartig“, jammerte die Shinigami. Diese dämlichen Schmerzen, die mit der Zeit noch an Intensität gewinnen würden, kamen zum Schluss alle 3 bis 4 Minuten? „Jetzt wünschte ich, es gäbe hier so etwas wie einen Geburtsvorbereitungskurs.“ Alice runzelte die Stirn. „Geburtsvorbereitungskurs?“ „Nicht so wichtig. Kann ich irgendwas tun, um das Ganze hier zu beschleunigen?“
 

„Na ja, eine aufrechte Position soll helfen. Oder noch besser, du spazierst vorsichtig ein wenig durch die Hütte. Aber bitte nicht ohne mich, nachher klappst du noch zusammen, das hätte uns gerade noch gefehlt. Oh und auf jeden Fall viel trinken und ab und zu eine Kleinigkeit essen, das hilft den Kraftreserven.“ „Mir ist der Appetit um ehrlich zu sein vergangen“, murmelte Carina und setzte sich sogleich etwas mehr im Bett auf. Eine seltsame Mischung aus Angst und Aufregung legte sich über ihren Geist. Wenn alles gut ging, würde sie ihr Baby bald in den Armen halten. Allein der Gedanke trieb ihr schon beinahe die Tränen in die Augen. Aber jetzt musste sie wohl erst einmal durch diese Schmerzen durch…
 

„Weißt du, was das Schlimmste an der ganzen Situation ist? Der Gedanke, dass das hier noch länger als 10 Stunden dauern kann“, stöhnte Carina sechs Stunden später und stützte sich mit ihrer rechten Hand an der Küchenzeile und mit der linken Hand an Alice‘ Schulter ab. Gegenwärtig war es 05:00 Uhr morgens und viel hatte sich noch nicht getan. Die Wehen kamen jetzt lediglich alle 16 Minuten, dauerten aber immer noch länger als eine Minute. Mit Mühe und Not hatte die junge Frau es geschafft ein kleines Stück Schwarzbrot zu essen und ein paar Schlucke Wasser zu sich zu nehmen.
 

„Na ja, bei manchen Frauen dauert es eben länger“, sagte Alice und warf ihrer Freundin einen mitleidigen Blick zu. Oh ja, auch ihr hatten die Wehen damals schwer zugesetzt. Aber Carina stand noch am Anfang, sie konnte ja sogar noch gehen. Es würde noch wesentlich schlimmer werden, aber die Schwarzhaarige würde sich hüten ihr das zu sagen. Das Einzige, was sie momentan tun konnte, war Carina so gut es ging beizustehen und das würde sie auch bis zum Schluss tun. Sie selbst war damals immerhin auch mehr als nur froh gewesen, als ihre Schwestern bei der Geburt ihres Sohnes dabei gewesen und sie unterstützt hatten. „Komm, lass uns noch einmal bis zum Badezimmer laufen.“
 

„Richtig, genau so. Tief ein- und langsam ausatmen.“ Als die Wehe durchgestanden war, sank Carina erschöpft ins Bett zurück und machte einen ziemlich kläglichen Eindruck. Ihre blonden Haarsträhnen hingen ihr verschwitzt in der Stirn, ihre Haut war von der Anstrengung gerötet und die Hälfte ihrer eigentlich langen Fingernägel hatte sie sich vor Nervosität bereits abgekaut. „Ich bin so müde“, murmelte Carina und Alice schaute ins Wohnzimmer hinüber zu der Standuhr. 18:00 Uhr. „Kein Wunder, du hast jetzt schon seit knapp 19 Stunden Wehen. Zu der Zeit war mein Sohn schon längst geboren.“ „Toll, das hilft mir auch nicht weiter“, stöhnte sie und ließ sich von der anderen Shinigami die Stirn mit einem feuchten Tuch abtupfen.
 

Mittlerweile hatte sich ihre Erholungszeit auf 8 Minuten verkürzt und vor ungefähr einer Stunde war auch endlich ihre Fruchtblase geplatzt, was den Vorgang Gott sei Dank beschleunigte. Dennoch, ihr selbst ging das alles viel zu langsam. „Ich kann nicht mehr“, keuchte sie kraftlos und versuchte sich in eine angenehme Position zu legen. Es funktionierte nicht.
 

„Es wird nicht mehr lange dauern, Carina. Du hast es bald geschafft, da bin ich sicher. Und dann kannst du dein Kind in den Armen halten und schlafen und all die Dinge wieder machen, nach denen du dich während der ganzen Langeweile gesehnt hast.“ Bei dem Wort „gesehnt“ stiegen der 19-Jährigen aus heiterem Himmel Tränen in die Augen.
 

„Ich wünschte, er wäre jetzt hier“, wisperte sie.
 

Alice brauchte einen Moment um zu begreifen, dass sie nicht von Grell sprach. „Ich wünschte Cedric wäre jetzt hier“, flüsterte Carina nun. Ihre Lippen bebten bei jedem einzelnen Wort, dicke Tränen kullerten ihr über beide Wangen. Die Blondine war inzwischen einfach viel zu aufgezehrt, als das sie ihre Gefühle noch länger hinter einer ruhigen Fassade verstecken konnte. Sie wollte ihn hier, an ihrer Seite. Sie wollte, dass er ihre Hand nahm und sagte, dass alles gut werden würde. Sie wollte, dass er ihr gemeinsames Kind in den Armen hielt und die Nabelschnur durchschnitt und möglicherweise ein paar Tränen dabei vergoss. Sie wollte ihn. Die Schnitterin wusste, dass diese Gedanken dumm waren, aber was sollte sie machen? So war es nun einmal.
 

Alice schluckte trocken. „Ich weiß“, sagte sie mit seltsam schwacher Stimme und drückte die Hand ihrer besten Freundin. Natürlich konnte sie es verstehen. Sie selbst war unglaublich froh gewesen, als John bei der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes dabei gewesen war. Ihre Schwestern waren am Anfang strikt dagegen gewesen, es würde sich nicht gehören. Aber schlussendlich hatte sich ihr Mann durchgesetzt und war an ihr Bett geeilt, die bösen Blick der drei anderen Frauen ignorierend. Alice hatte ihn nie mehr geliebt, als in diesem Moment. Und sie konnte erahnen, dass es Carina gefühlstechnisch genauso ging.
 

„Aber“, setzte Carina hinterher und drückte nun ihrerseits die Hand der Schwarzhaarigen zurück, „ich bin froh, dass du hier bist, Alice. Wirklich! Ich bin dir so dankbar. Und das, obwohl ich gerade so unerträglich bin.“ Trotz der Tränen, die immer noch über ihr ganzes Gesicht liefen, lächelte die Schwangere und meinte jedes einzelne Wort komplett ernst. Alice grinste gerührt. „Unerträglich? Du hättest mal meine Schwester Marie sehen sollen, die war wirklich unerträglich. Am Ende hat sie doch tatsächlich Sachen quer durchs Zimmer geworfen. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ihr Sohn ein Einzelkind blieb.“ Carina lachte, musste mittendrin aber abbrechen, weil sich eine erneute Wehe ankündigte.
 

Alice schaute verwundert auf die Uhr. „Das waren jetzt nur noch 5 Minuten. Warte kurz, ich hol schon mal warmes Wasser und Handtücher. Lange wird es jetzt nicht mehr dauern. Kannst du dich alleine unten rum freimachen? Ach warte, ich helfe dir.“ Mit geschickten Handgriffen zog sie ihr das Nachthemd hoch und entledigte sie gleich darauf des Slips. Zu Carinas eigener Verwunderung war es ihr nicht einmal peinlich, dass Alice sie nun unten herum komplett nackt sah. „Ich bin jetzt gleich wieder da. Falls du plötzlich den Drang spürst zu pressen, dann kämpf nicht dagegen an. Die meisten Frauen instinktiv wie und vor allem wann sie pressen müssen.“ „Ist gut“, murmelte Carina keuchend und bereitete sich gedanklich bereits auf die nächste Wehe vor. Alice hatte mit dem, was sie zu Anfang gesagt hatte, jedenfalls Recht gehabt. Die Schübe dauerten wirklich nur noch jeweils eine halbe Minute, aber dafür waren sie auch deutlich schmerzhafter. „Ehrlich mal, dagegen waren die Wunden von meinem Kampf gegen diesen Shinigami kleine Kratzer. Das würde ich jetzt definitiv vorziehen.“
 

„Hey du“, murmelte sie und rieb sich den Bauch. „Ich will dich ja nicht hetzen oder so, aber es wäre echt schön, wenn du jetzt langsam mal kommen würdest.“ Die Antwort kam postwendend in Form einer besonders starken Wehe, die Carina den Kopf in den Nacken legen ließ. „Scheint, als wenn Alice auch hier Recht gehabt hat. Der Apfel fällt nicht besonders weit vom Stamm.“
 

Keine 5 Minuten später kehrte Alice wieder zurück, in der Hand eine Schüssel mit dampfendem Wasser und auf dem Arm ein paar weiche Handtücher. „So, bis das Baby da ist, wird das Wasser auf eine gute Temperatur runtergekühlt sein. Wie sieht es aus?“ „Die Wehen kommen jetzt etwa alle 5 Minuten“, keuchte Carina, die gerade in einer erneuen Schmerzwelle steckte und ihre Zehen fest und unbewusst in das Bettlaken krallte.
 

Die Zeit verging erneut, für Carina allerdings nur sehr mühselig. Nach gut einer halben Stunde verspürte sie dann endlich den lang ersehnten Drang zu pressen. Und Drang traf es wirklich gut, denn er war so stark, so unbändig, dass sie sich ihm unmöglich entziehen konnte. Sie hatte sich früher immer gefragt wieso die meisten Frauen dies als so schwierig empfanden, aber jetzt wusste sie es besser. Nach den 20 Stunden, die sie nun beinahe in den Wehen lag, war ihr Körper einfach völlig ausgelaugt. Kein Wunder, dass sie mit der eigentlichen Geburt nun ihre letzten Kraftreserven aufbrauchen würde.
 

„Okay, bei der nächsten Wehe beginnst du gegen den Schmerz zu pressen, in Ordnung?“ Carina, die froh war nun endlich aktiv etwas tun zu können, nickte. Hoffentlich würde sie jetzt alles richtig machen, denn eigentlich hatte sie überhaupt keine Ahnung, wie genau dieses Pressen von sich ging. Was, wenn sie etwas falsch machte und es ihrem Baby schaden würde? Doch all ihre Sorgen waren unbegründet. Als die besagte Wehe kam, schien ihr Körper mit einem Mal ganz genau zu wissen, was er zu hatte. Automatisch lehnte sie sich in den Schmerz hinein, drückte mit all ihrer verbliebenen Kraft dagegen. Ein angestrengtes Keuchen verließ ihre Lippen, als sich der Schmerz verlagerte. Er war nun nicht länger in ihrem Rücken und im Unterleib, sondern konzentrierte sich allein zwischen ihren Beinen. Es war auch kein Ziehen mehr, sondern eher ein sehr schmerzhafter Druck. Ein Dehnungsschmerz, der sich gleichzeitig so anfühlte, als würde er sie zerreißen, aber eigentlich erträglicher war, als diese verdammten Wehen der letzten 20 Stunden. Es war seltsamerweise eine unglaubliche Erleichterung endlich mitarbeiten zu können. Ein neues Leben in diese Welt bringen zu können.
 

„Sehr gut, du machst das klasse, Carina“, meinte Alice, als Angesprochene sich nach Ende der Wehe völlig fertig zurück in das Kissen fallen ließ. Derweilen kniete die Schwarzhaarige genau vor ihren senkrecht aufgestellten Beinen, ein Handtuch bereits in den Händen. „Mach genau so weiter. Und bloß das Atmen nicht vergessen. Es ist leichter, wenn du während des Schiebens ausatmest.“ „Das sagst du so leicht“, ächzte die 19-Jährige und versuchte irgendwie sich von dem Schmerz zu erholen, wo sie jedoch ganz genau wusste, dass dieser in weniger als 4 Minuten erneut kommen würde.
 

Beim zweiten Pressen wurde der Druck beinahe unerträglich, die Blondine keuchte verzweifelt auf. Mittlerweile war sie schweißgebadet. So gerne wollte sie sich gegen diese Schmerzen wehren – ihr Gehirn schrie quasi danach – konnte es aber einfach nicht. „Das war das Köpfchen“, sagte Alice, woraufhin die Blondine erstaunt aufsah. Ihr…ihr Baby war tatsächlich schon fast da? Gegen ihren Willen stiegen Carina sofort Tränen in die Augen. „Du hast es fast geschafft. Jetzt nicht nachlassen“, murmelte ihre Freundin und hielt den Blick zwischen ihre Beine gerichtet. Carina nickte und war froh, als bei der dritten Presswehe der Druck deutlich nachließ.
 

„Noch einmal, Carina“, forderte Alice, auf ihrem Gesicht lag bereits ein vorfreudiges Lächeln und sie senkte das Handtuch etwas tiefer zwischen die gespreizten Schenkel. Die letzte Wehe war wieder schmerzhaft, aber das war der Schnitterin nun wirklich piepegal.
 

Sie wollte endlich ihr Baby sehen!
 

Und dann ließ der Schmerz auf wundersame Weise ganz plötzlich um ein Vielfaches nach. Für einen Moment kam Carina aus heiterem Himmel alles viel intensiver vor. Sie hörte ihre eigenen abgehackten Atemzüge, spürte jeden einzelnen Schweißtropfen auf ihrer Stirn und sah Alice an, deren Lächeln nun langsam breiter wurde.
 

Dann packte sie eine seltsame Furcht. Sie hörte gar kein Schreien. Sollten Babys nicht sofort nach der Geburt schreien? Eine Sekunde, die Carina aber wie eine halbe Ewigkeit vorkam, verging. Und dann hörte sie tatsächlich etwas. Zuerst hörte es sich eher an wie ein Quaken, wie ein Laut den jemand machte, wenn er sich unter Wasser befunden und versucht hatte etwas von sich zu geben. Doch dann wandelte sich dieser seltsame Laut abrupt um und dieses Mal war es definitiv ein Schrei. Der Schrei eines Neugeborenen. Und Carina begriff.
 

Das war ihr Baby!
 

Langsam, ganz langsam blinzelte sie und hob den Blick. Alice’ Augen glitzerten inzwischen ebenfalls verdächtig und ein schiefes Grinsen lag auf ihren Lippen. In ihren Händen befand sich ein – mit weißem Stoff ummanteltes – Bündel, das sie zu sich gedreht hatte. „Tja“, meinte sie langsam und lachte erstickt auf, während zwei Tränen nun doch über ihre Wangen kullerten. „Scheint ganz so, als würde ich mich in naher Zukunft an rote Wände in meiner Wohnung gewöhnen müssen.“ Und mit diesen Worten drehte sie das Bündel in die Richtung der frisch gebackenen Mutter und Carina konnte zum allerersten Mal ihr Kind sehen.
 

Im Nachhinein hätte sie nicht mehr beschreiben können, was sie in diesem Moment alles fühlte. Es war, als wäre plötzlich die Lautstärke im Zimmer heruntergedreht worden. Alles, was sie in diesem Moment wahrnahm, war das kleine schreiende Baby, das ein wenig protestierend mit den kleinen Ärmchen und Beinchen zappelte. Blut und Käseschmiere bedeckten die helle Haut, die an einigen Stellen noch ziemlich verschrumpelt war, und die bläuliche Nabelschnur verband die junge Frau und ihr Kind weiterhin miteinander. Carina brauchte einige sehr lange Sekunden, um den Sinn hinter Alice’ Worten auszumachen. Die Wette…
 

„E-ein Mädchen?“, stammelte sie und als ihre beste Freundin nickte, brachen bei der Blondine alle Dämme. Tränen quollen ungehindert aus ihren Augen, während sie den Blick einfach nicht von ihrer Tochter abwenden konnte. Cedrics und ihrer Tochter…
 

Die Rezeptionist holte eine kleine Schere hervor. „Du erlaubst?“, fragte sie und als die 19-Jährige nickte, durchtrennte sie vorsichtig die Nabelschnur, um den Säugling kurz abzutrocknen und anschließend vorsichtig auf die Brust seiner Mutter zu legen. Carinas Arme umfingen das kleine Wesen sofort behutsam, damit es nicht von ihrer Brust rutschen konnte. Noch immer liefen ihr die Tränen über das ganze Gesicht. Sie konnte sich nicht daran erinnern jemals eine solche Art von Glück empfunden zu haben. „Hallo, kleine Maus“, flüsterte sie mit bebender Stimme und drückte ihrer Tochter einen zittrigen, aber sehr sanften Kuss auf die Stirn. Es stimmte tatsächlich, was alle sagten. Sobald das Baby erst einmal auf der Welt war, waren jegliche Schmerzen einfach komplett unwichtig.
 

Das Neugeborene hatte sich unterdessen wieder beruhigt und lag nun ganz still auf ihrem Dekolleté, immer noch zugedeckt mit dem nun etwas blutverschmierten Handtuch. „Herzlichen Glückwunsch, Carina“, strahlte Alice und drückte jetzt ihrerseits ihrer besten Freundin einen Kuss auf die tränennasse Wange. „Danke“, nuschelte die Schnitterin, ihre ganze Aufmerksamkeit immer noch bei dem Bündel auf ihrer Brust. Das kleine Mädchen hatte bereits einige helle Haare auf dem Kopf, ob blond oder doch eher silbrig konnte Carina noch nicht ganz genau sagen. Doch es brauchte nur einen Blick und die junge Mutter konnte sehen, dass sie eindeutig die schneeweißen Wimpern ihres Vaters geerbt hatte. Die Augen waren momentan noch geschlossen, aber bei Säuglingen konnte sich die Augenfarbe ohnehin noch verändern, das wusste sie. Aber das war ihr einfach alles gleichgültig. Das hier war ohne jeden Zweifel das wunderschönste und perfekteste Baby auf der ganzen Welt!
 

Ein plötzliches Ziehen in ihrem Unterleib unterbrach ihre Gedanken abrupt. Sie verzog das Gesicht, was auch Alice nicht verborgen blieb. „Keine Sorge, das sind nur die Nachwehen. Die Plazenta muss noch aus deinem Körper raus. Das ist ganz normal.“ „Ach ja, stimmt“, murmelte Carina, die diese Tatsache schon wieder komplett vergessen hatte. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich die Kleine mal kurz untersuche? Nur den Puls, die Atmung und ob auch alles so ist, wie es sein soll.“ „Natürlich“, antwortete die 19-Jährige, verspürte aber trotzdem kurz ein Gefühl der Leere, als Alice ihr Patenkind geübt wieder an sich nahm und zu dem kleinen Tisch ging, wo bereits ein paar Utensilien aufgebaut waren. Während Carina gute 10 Minuten damit beschäftigt war die Nachgeburt aus ihrem Körper auszuscheiden, schaute die Schwarzhaarige sich das Baby ganz genau an. Sie zählte Finger und Zehen, kontrollierte die eben genannten Körperfunktionen, wusch den gröbsten Schmutz vorsichtig ab und ermittelte zum Schluss noch die Größe und das Gewicht.
 

„3200 Gramm und 52 Zentimeter, das sieht super aus. Alles andere scheint auch zu stimmen. Kerngesund, deine Tochter“, lächelte sie und zog dem neuen Erdenbewohner einen der Strampler an, die sie Carina zu Weihnachten gestrickt hatte. Beige und Weiß gestreift, mit kleinen Herzchen auf der Brust. „Gott sei Dank“, atmete die Blondine erleichtert auf und nahm sehnsüchtig wieder ihre Tochter entgegen, die inzwischen tief schlief. Die ganze Prozedur ihrer Patentante schien sie nicht im Mindesten gestört zu haben.
 

„Die Nachgeburt ist auch draußen und scheint vollständig zu sein.“ „Ist ja widerlich“, rümpfte Carina die Nase, als sie die Plazenta in genaueren Augenschein nahm. Alice lachte. „Das dachte ich anfangs auch. Mittlerweile hab ich das so oft gesehen, da macht es mir schon nichts mehr aus. Auf jeden Fall müssen wir die gesamte Bettwäsche austauschen. Glaubst du, du kannst heute schon wieder aufstehen? Nur für ca. 10 Minuten vielleicht?“ „Hey, ich bin immer noch eine Shinigami. Gib mir eine Stunde und mein Körper wird das Schlimmste wieder geheilt haben.“ „Ja, ich will trotzdem nicht, dass du dich überanstrengst. Du hast 20 Stunden in den Wehen gelegen. Ein bisschen Schlaf würde dir ganz gut tun. Nimm dir ein Beispiel an deiner Tochter, die ist wegen der ganzen Strapazen auch direkt eingeschlafen.“ „Ist ja schon gut“, gab Carina sich geschlagen. „Sobald das Bett abgezogen ist, werde ich schlafen. Versprochen.“
 

Eine gute Stunde später schaffte die Shinigami es tatsächlich sich aufzurichten und sogar aufzustehen, wenn auch mit wackeligen Beinen und schmerzenden Gliedern. Das Kind in ihrem Armen regte sich leicht nach der Verlagerung und schlug wenige Sekunden später endlich die Augen auf. Carinas Lächeln war glücklich und betrübt zugleich. Marineblau, wie ihre eigenen menschlichen Augen es gewesen waren. „Ich hoffe, es bleibt bei dieser Augenfarbe. Das würde mir gefallen“, seufzte sie ganz leise, sodass Alice – die momentan das Bett abzog – sie nicht hören konnte. Außerdem hatte Cedric ihre Augen immer besonders gemocht…
 

„So, fertig“, ließ die Rezeptionist verlauten und schaute in dem Moment auf, als das Neugeborene auf Carinas Armen anfing leise Protestlaute auszustoßen. „Sie hat bestimmt Hunger. Komm, probieren wir mal aus wie gut das Stillen funktioniert.“ Carina setzte sich wieder vorsichtig auf das frische Bettlaken und ließ sich von Alice zeigen, wie sie ihr Baby während des Stillens halten musste. „Autsch“, stieß sie überrascht hervor, als ihre Tochter sofort und instinktiv anfing an ihrer rechten Brustwarze zu saugen. „Das tut ja weh.“ „Ja, das ist am Anfang ganz normal. Deine Brustwarzen sind noch extrem empfindlich und müssen sich erstmal an das Saugen gewöhnen. Aber glaub mir, da sich bei deinen Selbstheilungskräften nichts auf Dauer entzünden kann, wird es auch dabei bleiben. An den Rest gewöhnst du dich wirklich schnell.“
 

Carina konnte einfach nicht anders, als fasziniert lächelnd ihr Baby zu betrachten, während es noch einige lange Minuten an ihrer Brust trank. Sanft streichelte sie die kleinen Finger und es dauerte gar nicht lange, da schlief das kleine Mädchen wieder tief und fest. „Komm, ich bring sie in ihr Bettchen. Schlaf ein bisschen, okay? Und mach dir keine Sorgen, ich lasse sie nicht aus den Augen.“ „Okay“, gähnte Carina und ließ sich von ihrer Freundin die Bettdecke überziehen. Alice hatte noch nicht einmal den Raum verlassen, da fielen ihr bereits die Augen zu und wohltuende Dunkelheit senkte sich über ihre Sicht.
 

Geweckt wurde sie 4 Stunden später, als Alice wieder in ihr Zimmer kam und ihre Tochter anscheinend erneut gefüttert werden wollte. Die ehemalige Seelensammlerin fühlte sich nun schon deutlich besser, schlief allerdings nach der zweiten Stillrunde direkt wieder ein. Das nächste Mal erwachte sie erst, als die ersten Sonnenstrahlen des frühen Morgens durch das Fenster auf ihr Gesicht schienen. Mit einem leisen Gähnen setzte sie sich auf und stellte erstaunt fest, dass jegliche Schmerzen verschwunden waren. Natürlich fühlte sie sich nach wie vor erschöpft und schlapp, aber menschlichen Frauen ging es einen Tag nach der Geburt sicherlich deutlich schlechter.
 

Die junge Shinigami betrat zuerst das Badezimmer, um sich zu waschen. Und das hatte sie, wie sie nach einem kurzen Blick in den Spiegel feststellte, auch bitter nötig. Ihre Haare waren verschwitzt und unordentlich, ihr Geruch bei weitem nicht der Beste und immer noch klebte Blut zwischen ihren Beinen. Nach einem ausführlichen Bad, das die Carina allerdings so kurz wie nur möglich hielt, ging sie in das Wohnzimmer und war für einen kurzen Moment überrascht ihre Freundin nirgendwo anzutreffen. Doch ein Blick ins Kinderzimmer genügte und Carina musste sich schwer zusammenreißen, um nicht laut loszuprusten. Alice saß im Schaukelstuhl und schlief den Schlaf der Gerechten. Ihre sonst immer so ordentlichen langen Haare sahen ein wenig zerzaust aus und ihr Kopf hing etwas lose zur Seite. „Ein Bild für die Götter“, dachte die Schnitterin und griff sogleich zum Fotoapparat, um ein Beweisfoto zu schießen.
 

„Hey, Augenblick mal, was ist das denn für ein Bild?“ Auf dem Tisch lag eine Aufnahme, von der Carina gar nicht bemerkt hatte, dass Alice sie gemacht hatte. Es zeigte die Situation von gestern Abend, als ihr Baby gerade erst geboren worden war und zum ersten Mal auf Carinas Brust gelegen hatte. Ein Moment in ihrem Leben, den sie wahrlich niemals vergessen würde. Anscheinend war sie gestern so durch den Wind gewesen, dass sie kaum noch etwas mitbekommen hatte.
 

Auf Zehenspitzen schlich sie zu der kleinen Wiege und sofort ging ihr bei dem Anblick ihres Babys – ihres eigenen Babys, sie konnte es selbst immer noch kaum fassen – das ganze Herz auf. In der Wiege wirkte sie noch viel kleiner, viel zerbrechlicher. Wie ein unvorstellbar wertvoller Schatz aus Glas, der mit allergrößter Vorsicht behandelt werden musste. Behutsam hob sie das Mädchen auf ihre Arme und wiegte sie sanft hin und her, während sie wieder ins Wohnzimmer ging und sich auf die Couch sinken ließ. Alice hatte sich ihren Schlaf nämlich wirklich redlich verdient.
 

Langsam strich sie mit ihren Zeigefinger über die kleine Wange. „Hey“, murmelte sie leise und hauchte gleich darauf einen erneuten Kuss auf die Stirn ihres Babys. „Du weißt gar nicht, wie lange ich darauf gewartet habe dich endlich in den Armen halten zu können. Willkommen auf dieser Welt, mein kleiner Schatz.“
 

Es dauerte gar nicht lange, da wachte ihr Sprössling auch schon wieder auf und schien sich intuitiv näher an ihre Brust zu drücken. Carina war nicht wirklich darüber überrascht. Alice hatte ihr erzählt, dass Säuglinge in den ersten Wochen bestimmt zehn bis zwölfmal am Tag gestillt werden wollten und dazwischen jede Menge Zeit mit Schlafen verbrachten. Während sie die Kleine mit einer Hand an sich gedrückt hielt, knöpfte sie mit den Fingern ihrer anderen gekonnt die Bluse auf, die sie sich vorhin angezogen hatte. Das Saugen tat immer noch weh, aber dieses Mal konnte Carina sich auf den Schmerz einstellen. Hingerissen betrachtete sie das trinkende Kind und kam nicht umhin erneut festzustellen, dass sie das süßeste Wesen unter der Sonne in den Armen hielt. „Wenn dein Papa dich doch nur sehen könnte“, seufzte sie, wurde aber bereits im nächsten Moment durch einen lauten Ruf von draußen abgelenkt. „Huhuuuu, ich bin wieder da, Mädels. Schlaft ihr etwa noch?“
 

Ehe Carina in irgendeiner Art und Weise reagieren konnte, wurde bereits die Tür aufgerissen und Grell stolperte hinein – zu ihrem persönlichen Glück relativ leise. Der Rothaarige wollte gerade den Mund öffnen, als seine gelbgrünen Augen an seiner selbsternannten Schwester hingen blieben und im nächsten Moment groß wurden wie Untertassen. Carina musste sich ein Lachen verkneifen, als sie den schockierten Ausdruck auf seinem Gesicht sah. Neben den riesigen Augen klappte sein Mund immer wieder tonlos auf und zu, während sein Gehirn anscheinend versuchte das Bild zu verarbeiten, das sich ihm bot.
 

Nach 2 Minuten ergriff die Schnitterin dann doch das Wort. „Willst du da Wurzeln schlagen oder möchtest du dir dein Patenkind vielleicht mal genauer ansehen?“ Das löste die Starre des Reapers abrupt. „Ich habe es verpasst“, jammerte er sogleich los und brach natürlich – wie sollte es auch anders sein – in Tränen aus. Wenigstens tat er dies in Zimmerlautstärke. „Sei froh, das war wirklich keine schöne Angelegenheit“, lachte Carina und freute sich darüber, dass ihr bester Freund nun endlich hier war. „Ich hab 20 Stunden in den Wehen gelegen und war wirklich mehr als nur erleichtert, als das gestern Abend endlich ein Ende fand.“
 

„Ich wäre trotzdem gerne dabei gewesen“, murrte er und kam ganz langsam näher, fast schon ein wenig unsicher. „Komm, setz dich neben mich.“ Grell folgte ihrer Anweisung und schaute dann ehrfürchtig über ihre Schulter auf das weiterhin trinkende Baby. Ein schmachtendes Seufzen kam über seine Lippen. „Ich wusste ja, dass aus deinen Genen und denen dieses Idioten nur was Gutes rauskommen kann, aber das hier“, er räusperte sich kurz, da seine Stimme plötzlich ein wenig brüchig wurde, „das habt ihr wirklich super hinbekommen.“ Carina strahlte ihn an. „Dankeschön, Grell.“ „Junge oder Mädchen?“, fragte dieser plötzlich und als Angesprochene lächelnd „Ein kleines Mädchen“ antwortete, grinste der Todesgott breit. „Wusste ich es doch“, triumphierte er und zog ein Taschentuch aus seiner Hosentaschen hervor, um sich die Tränen abzutrocknen.
 

„Ja ja“, kam es aus dem Kinderzimmer und Alice trat heraus, die Haare wieder halbwegs glatt gestrichen. „Über die Renovierung der Wohnung können wir uns ja später noch unterhalten.“ „Worauf du dich verlassen kannst“, feixte der Rothaarige. „So“, meinte Alice und setzte sich an Carinas andere Seite. „Jetzt, wo er wieder hier ist, kannst du uns doch endlich den Namen verraten. Ich platze nämlich schon vor Neugier.“ „Oh ja, ich auch“, freute sich Grell und beide Paten starrten Carina erwartungsvoll an. „Ach ja, da war ja was“, grinste sie, war sich aber natürlich die ganze Zeit über bewusst gewesen, dass ihre Freunde auf diese Information brannten.
 

„Um ehrlich zu sein wusste ich schon ziemlich früh, welchen Namen ich auswählen würde“, begann sie leise und schaute wieder auf ihre Tochter hinab. Schon während ihrer Schwangerschaft hatte sie immer wieder daran denken müssen, wie sie die Gräber von kleinen Kindern und Babys hatte verschönern müssen und welche Blumen sie damals immer gewählt hatte, weil sie für das Sinnbild standen, dass Kinder verkörperten. Reinheit, Unschuld und Jungfräulichkeit…
 

Die weißen Lilien, die – wie sie inzwischen genauer wusste - für die Reinheit der Liebe, die Unschuld, aber auch für den Tod standen.
 

„Lily“, murmelte sie und lächelte.
 

„Ihr Name ist Lily.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  lula-chan
2018-02-23T22:37:23+00:00 23.02.2018 23:37
Ein wirkliches schönes Kapitel. Sehr gut geschrieben.
Jetzt ist die Kleine also endlich auf der Welt. Wie schön.
Armer Grell. Da hat er die Geburt nur um einen Tag verpasst.
Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht, besonders wie Undertaker seine Tochter reagiert (wenn er es denn endlich erfährt), und freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Von:  kagome-san
2018-02-22T19:00:27+00:00 22.02.2018 20:00
Bin gespannt wann untertaker erfährt das er Vater geworden ist XD
Oder ob der klein Ciel vor ihm weiß

schreib schnell weiter
kann es kaum erwarten

lg kago


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