Die Nacht der Krähe von Phinxie (Phinxies Bloodborne Lores) ================================================================================ Prolog: Der Vertrag ------------------- Die kalten Steine Yharnams fühlten sich rau unter meinen nackten Füßen an. Ich hockte wie ein Wasserspeier auf einem der viktorianischen, schmutzigen Sockeln und betrachtete das geschäftige Treiben auf den Straßen. Die Menschen hier waren… langgliedrig; größer, als normale Menschen. Ich selbst stamme nicht aus Yharnam und war selbst für mein Alter – zwanzig Jahre – ziemlich klein. Überhaupt schien mich niemand wirklich zu beachten; aber was war ich auch schon? Eine einfache Bettlerin mit zerrissener Kleidung und ohne Schuhe, die vor wenigen Stunden die Stadt erreicht hatte. Dennoch wirkte Yharnam seltsam, so, als ob sie alle ein großes Geheimnis hüteten. Ich blickte auf den riesigen Scheiterhaufen, den einige Menschen aufstapelten und fragte mich, was geschehen sollte. War irgendein besonderes Ereignis diese Nacht, oder…? Zögernd sprang ich von der sicheren Mauer herunter und huschte durch die Menschenmenge. Die meisten warfen mir nur einen verärgerten Blick zu, wenn ich an ihnen vorbeirannte und sie aus Versehen anrempelte, jedoch interessierte mich das kaum. Wenn ich jedoch nicht ausreichend aufpasste, würde man mich fangen und ins Freudenhaus stecken – ich hatte das besagte Etablissement bereits beobachtet und ahnte, wie es dort abgehen würde. Ich wollte da nicht hin und musste einen Weg finden, in Yharnam Anschluss zu finden, ohne, dass man mich für das Waisenkind hielt, das ich war. Doch ich war eine Fremde – und jeder Blick, den man mir zuwarf, bestätigte dies immer wieder. Ich bemerkte, dass ich anders war, als diejenigen, die hier bereits ihr gesamtes Leben verbracht hatten und versuchte, so unauffällig wie möglich sein – Kopf gesenkt, meine zerrissene Kapuze über den Kopf gezogen. Ich huschte an einer weiteren Gruppe von Menschen vorbei, die noch mehr Holz zu dem Scheiterhaufen trugen und drückte mich an eine Hausecke, ehe ich aus meiner Tasche einen kleinen, dreckigen Zettel kramte – einem Zettel, den ich einem ahnungslosen Wanderer abgenommen hatte, als jener geschlafen hatte. Der Grund, warum ich überhaupt hier war. Ich faltete den Zettel auseinander und sah in wunderschön geschwungener Handschrift zwei Zeilen darauf: Bleichblut. Iosefka‘s Klinik, Yharnam, zur Blutbehandlung. Ich hatte keine Ahnung, was Bleichblut war oder was genau bei dieser Blutbehandlung passierte, jedoch war dies für mich ein kleiner Hoffnungsschimmer, vielleicht endlich eine Heimat zu finden. Ich wollte nicht mehr durch die Welt irren, von einer Stadt zur nächsten. Yharnam war für mich der erste Ort, den ich für mich auserkoren hatte. Und das alles nur wegen einem kleinen Zettelchen von einem armen Wanderer (der jetzt übrigens mit durchgeschlitzter Kehle an seinem inzwischen heruntergebrannten Feuer lag). Doch ich hatte zumindest einen Anhaltspunkt und genau deswegen hatte ich mich nach Yharnam begeben, um diese Klinik zu finden. Ich suchte immer noch, doch ich glaubte, dass ich auf einem recht guten Weg war. Ich lugte um meine Hausecke hervor und trat dann wieder auf die Straße, weg von den Holz schleppenden Menschen und hin auf einen kleinen Platz, auf dem etliche Statuen und sogar ein paar Grabsteine standen. Die Gespräche der Bewohner der Stadt wurden immer leiser, bis sie ganz verstummten und ich trat zögernd durch die Grabsteine hindurch, sah mich vorsichtig um, bis ich eine unscheinbare Tür fand. Ich zerknüllte den Zettel in meiner Hand und trat näher. Auf einem kleinen Messingschild stand in verblichenen Buchstanden: Iosefka’s Klinik. Ich atmete erleichtert aus – ich hatte den Ort gefunden, wo ich hingewollt hatte. Schnell sah ich mich um, doch niemand befand sich hinter mir; also öffnete ich die knarrende Holztür und riskierte einen ersten Blick hinein. Im Innern befanden sich ein paar Liegen, viele Holzregale mit etlichen Büchern, Döschen und Flaschen drin. Der Boden war alt und knarzte unter meinen vorsichtig Schritten, als ich einen Schritt hinein ging. Ich war wachsam und sah mich überall genau um, damit mich niemand aus dem Schatten heraus anspringen konnte. Die Klinik verbreitete eine verlassene und unheimliche Atmosphäre und ich fragte mich, ob sie überhaupt noch bewohnt war. Zögernd blieb ich in der Mitte des Raumes stehen und verschränkte die Arme vor der Brust – es war kalt hier, viel kälter, als draußen. Oder bildete ich mir das nur ein…? Ich wusste es nicht, aber ich wollte es auch nicht unbedingt herausfinden. Am Ende des großen Raumes befand sich eine Treppe. Wenn jemand hier war, dann wahrscheinlich oben, oder? Also ging ich an den ganzen leeren Krankenliegen vorbei, auf die Treppe zu. Jeder Schritt, den ich tat, war laut und wirkt unheimlich in dieser sonst so gespenstigen Stille. Ich nahm die Treppenstufen nach oben und öffnete die Tür mit dem vergilbten, gläsernen Fenster, die sich an dessen Ende befand. Was ich sah, war ein weiterer Raum, jedoch mit weniger Liegen und viel mehr Büchern und anderen Phiolen – ähnlich derer, die ich unten gesehen hatte. Es war dunkel hier oben und ich ging zu einer der Kerzen hin, nahm sie an mich. Ich hatte ein Briefchen mit Streichhölzern bei mir, damit ich mir nachts Feuer hatte machen können, während ich gereist war. Jetzt benutzte ich eines davon, um die Kerze anzuzünden. Schwach leuchtete die Flamme auf und ich wartete, bis sie eine angemessene Größe erreicht hatte, ehe ich die harte Wachskerze in die Hand nahm und in den Raum endgültig hinein ging. Die Bücher in den Regalen zogen meine Aufmerksamkeit auf sich und ich begann, mit die Buchrücken durchzulesen. Blutbehandlung. Die Geschichte der Heilenden Kirche. Der Kodex der Ekelblüter. Die Legende von Byrgenwerth. Alles Sachen, mit denen ich überhaupt nichts anfangen konnte. Ich wollte mir schon eines der Bücher herausziehen, um darin zu lesen, als ich hinter mir ein Geräusch hörte – ein Knirschen von Metall. Ich wirbelte so schnell herum, dass die Kerze beinahe drohte, auszugehen und starrte angestrengt in die Dunkelheit vor mir. Ich hielt den Atem an, obwohl ich wusste, dass es unsinnig war: Denn wer immer da war, konnte mich dank meiner Kerze sehen. Ich überlegte einen Moment lang, die Flamme auszupusten, da meinte eine alte, krächzende Stimme: „Wen haben wir denn hier…?“ War das Iosefka? Nein, das konnte nicht sein… Die Stimme war eindeutig männlich. Aber vielleicht wusste dieser jemand ja, wo Iosefka sich befand? Wenn ich eines auf meinen Reisen gelernt hatte, dann, dass ich niemals zu ängstlich zu sein durfte. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und trat ein paar Schritte vor, bis ich die Person mit dem schwachen Schein der Kerze erhellte, die mich angesprochen hatte. Es handelte sich tatsächlich um einen alten Mann in einem Rollstuhl – daher kam also das seltsame Knirschen und Quietschen. Der Mann hatte einen zerstrubbelten Bart, der sehr ungepflegt aussah und trug einen Zylinder mit breiter Krempe. Dessen Kleidung war fleckig und zerrissen, ähnlich wie meine und ich begann, mich weniger zu fürchten: Ein alter Mann konnte mir nichts tun. Dessen war ich mir sicher. „Ich suche eine Frau namens Iosefka“, sagte ich und meine Stimme klang seltsam schrill in meinen Ohren – ein Zeichen von Angst. So ein Mist aber auch. „Das ist doch ihre Klinik, nicht wahr?“ „Iosefka…?“ Der alte Mann schien zu überlegen. „Die ist gerade eben außer Haus… Aber vielleicht kann ich Euch helfen, mein Kind…“ Die Bezeichnung mein Kind war beleidigend für mich, aber ich ging nicht darauf ein. „Ich, ähm… suche Bleichblut.“ Oder der Mann damit etwas anfangen konnte? Dieser beugte sich ein wenig vor und musterte mich – ich schaffte es endlich, unter seine Hutkrempe zu lugen und musste mich beherrschen, nicht zurückzuweichen. Seine Augen waren von einem Verband bedeckt… war er blind? Oder tat er nur so? Ich hatte das Gefühl, dass in Yharnam alles möglich war. „Bleichblut sagt Ihr… Nun, in Yharnam wird Blutbehandlung praktiziert…“ „Wirklich?“ Ich war aufgeregt – bis vor wenigen Sekunden hatte ich ja geglaubt, das alles sei nur ein Scherz gewesen. „Aber natürlich“, fuhr der alte Mann fort, „Ihr müsst das Geheimnis nur enthüllen.“ Ein Geheimnis enthüllen? Hatte ich vorher nicht gedacht, dass die Menschen hier um irgendetwas wussten…? Augenscheinlich waren meine Instinkte richtig gewesen. „Aber wo soll eine Fremde wie Ihr nur anfangen…?“ „Deswegen bin ich hier hin gekommen“, klärte ich den Rollstuhlfahrer auf. „Ich habe gehört, hier in der Klinik könne man mir weiterhelfen.“ „Nun…“ Der Mann hustete schwer, „zuerst muss etwas Yharnam-Blut in Euch fließen.“ Ich schluckte. Yharnam-Blut…? „Heißt das… ich werde dann ein Einwohner der Stadt?“ Ich klang verunsichert. Der alte Mann kam näher zu mir gerollt und lachte ein wenig. Plötzlich streckte er eine von Falten überzogene Hand aus und zeigte mir ein Bogen Papier. „Hier ist Euer Vertrag“, sagte er zu mir, „Füllt ihn aus und dann können wir mit der Blutbehandlung fortfahren.“ Zögernd nahm ich das Blatt Papier in die Hand und fragte misstrauisch: „Und Iosefka?“ „Iosefka ist nicht da. Sie kommt später wieder. Macht Euch keine Sorgen, mein Kind, ich kann das genauso gut… Jetzt füllt den Vertrag aus, wenn Ihr immer noch das Bleichblut wollt…“ Ich senkte den Blick auf das Geschriebene und trat an eine der Liegen, um die Kerze darauf abzustellen. Ich tropfte ein wenig Wachs darauf, stellte die Kerze hinein und wollte mich dann nach einer Feder umsehen. Der alte Mann reichte mir besagte und dazu noch ein Tintenfässchen. Ich nahm beides an mich, schraubte es auf und senkte den Blick auf die erste Zeile des Vertrages. Ich, Daneben war eine Lücke gelassen und ich schrieb in gut lesbaren Buchstaben meinen Namen hinein. Ich, Sheila, stimme hiermit den Bedingungen der Blutbehandlung, die in Yharnam praktiziert wird, zu. Egal, was danach kommen wird, ich selbst übernehme die volle Verantwortung für mein Tun. Das klang ein wenig seltsam, aber ich dachte mir, dass das wohl in jedem Vertrag so war. Darunter wurden ein paar Angaben von mir verlangt, wie Größe und Gewicht, sowie eine detaillierte Beschreibung meines Aussehens. Seltsam. Warum der Vertrag so etwas verlangte, war mir schleierhaft, aber ich gab mein Aussehen an. Mit meinen lilastichichigen Haaren und den grauen Augen war ich recht einfach von der normalen Menschenmasse zu unterscheiden. Ich war ein eher dünnes Mädchen, jedoch drahtig und ziemlich geschickt. Und ich war ziemlich intelligent – wenn man das nicht war, dann überlebte man auf der Straße nicht lange. Ich füllte alles also genauestens aus, während der Mann hinter mir in seinem Rollstuhl saß und mich beobachtete. Am Ende setzte ich noch meine Unterschrift unter den Vertrag und gab ihm den Mann zurück. Jener rollte zu der brennenden Kerze und faltete den Vertrag penibel, ließ ein wenig Wachs drauf tropfen und drückte dann ein Siegel hinein – woher er das Siegel hatte, hatte ich nicht gesehen. Wahrscheinlich hatte jener es aus seiner Tasche geholt. „Gut. Gezeichnet und versiegelt“, sagte er und steckte den Vertrag ein. Dann deutete er auf eine andere Liege und sagte: „Hier. Neue Kleidung für Euch. Als ein Bürger Yharnams solltet Ihr auch so aussehen… Zieht Euch um. Ich bereite währenddessen alles vor.“ Er rollte weg und ließ mich bei einem Kleiderhaufen alleine stehen. Ich trat heran und befühlte den Stoff ein wenig – die Kleidung war robust, allerdings nichts Besonderes. Ich verstand nicht, warum ich sie anziehen sollte, doch ich folgte der Anweisung und zog mich um. Seltsamerweise passten mir die Hose, das Hemd, die Schuhe und das kleine Cape mit der Kapuze wie angegossen und ich runzelte die Stirn. Man konnte unmöglich meine Kleidergröße wissen… „Seid Ihr fertig?“ Sollte ich jetzt antworten? „Dann kommt her!“ Das Antworten hatte ich somit erledigt und ich ging wieder zu dem Mann hin, der auf eine Liege zeigte. Neben ihm lagen etliche Schläuche und Nadeln, sowie eine Dose mit… Blut? Der Mann… er hatte es also wortwörtlich gemeint, als er gesagt hatte, dass Yharnam-Blut in mir fließen sollte?! Ich dachte ja zuerst, das sei etwas Metaphorisches gewesen, doch anscheinend hatte ich mir geirrt. Ich überlegte, ob ich einen Rückzieher machen würde können – aber dann fiel mit der Vertrag ein. Ich hatte bei allem, was passierte, zugestimmt, ohne überhaupt zu wissen, was passieren würde. Manchmal war ich ein echter Dummkopf. Aber einen Rückzieher zu machen wäre jetzt unheimlich feige und deswegen kletterte ich auf die Liege und sah dabei zu, wie der alte Mann mir mit einer Nadel in die Armbeuge stach, um einen Katheter legen zu können. Ich hatte keine Angst vor Blut und der Schmerz war mir egal. Dennoch war ich ein wenig blass im Gesicht – wer wusste schon, was ich später im Körper haben würde? „Gut“, sagte der Mann und ich legte den Kopf auf die Liege, starrte an die Decke. „Beginnen wir mit der Transfusion. Oh, und keine Sorge.“ Er musste wohl meinen ängstlichen Gesichtsausdruck bemerkt haben. „Was auch passiert… Ihr werdet das alles für einen bösen Traum halten…“ Die Worte waren nicht gerade beruhigend – genauso wenig wie das leicht verrückte Lachen, was daraufhin folgte. Ich schloss die Augen und fragte mich, worauf ich mich hier nur eingelassen hatte… Kapitel 1: Ein Traum - oder doch nicht? --------------------------------------- Ich wachte von einem seltsamen Laut auf. Ein paar Mal blinzelte ich, ehe ich mich ganz leicht bewegte, doch ein scharfer, plötzlicher Schmerz in meinem Arm hielt mich davon zurück, ganz aufzustehen. Ich keuchte leicht auf und neigte den Kopf nach rechts, starrte hinunter auf meinen Arm. Eine große Nadel steckte in der Armbeuge; ein durchsichtiger Schlauch war daran befestigt und mir wurde sofort klar, dass die rote Flüssigkeit, die in meinen Körper rein floss, Blut sein musste. Ich spürte da etwas… in mir. Aber ich konnte es nicht beschreiben. Noch nicht. Ich kniff die Augen zusammen – mein Kopf schmerzte und ich stöhnte leise auf, versuchte ihn zu ignorieren. Ich erinnerte mich zurück; langsam, aber sicher, kamen die Erinnerungen wieder, verschwommen und undurchsichtig. Ich hatte… ich hatte mich zu einer Klinik begeben. Den Namen wusste ich nicht mehr, doch ich hatte diesen alten Mann im Rollstuhl getroffen, einen Vertrag unterschrieben. Einen Vertrag, an dessen Wortlaut ich mich nicht mehr erinnern konnte. Und dann hatte ich mich auf diese Liege gelegt und der alte Mann hatte mit einer Transfusion angefangen – ich konnte mich noch gut an den Schmerz in meiner Armbeuge erinnern und wie ich die Zähne zusammengebissen hatte, um nicht laut aufzuschreien. Yharnam-Blut, hatte er gesagt; es sollte in meinen Adern fließen. Ein Platschen ertönte und ich drehte den Kopf schwerfällig nach links; mein ganzer Körper schmerzte und brannte unangenehm und ich kniff die Augen zusammen, als ich auf den Boden starrte, wo sich eine rote Pfütze gebildet hatte. Beinahe schon fasziniert starrte ich auf die dickflüssige, herumschwappende Flüssigkeit und gleichzeitig spürte ich eine innere Beunruhigung… als würde mich jemand beobachten. Nein – das war kein Gefühl. Aus der Pfütze stachen tatsächlich Augen hervor und ich riss meine eigenen weit und ungläubig auf. Ein wildes, dumpfes Knurren ertönte und dann erhob sich aus der Pfütze – Blut? Ich konnte ihren metallenen Geruch wahrnehmen – eine Kreatur. Es war eine Art… Wolf? Ein Wolf, vollkommen ohne Fell und an dem das Blut in Bächen runterließ fing an, auf mich zuzustarksen – das Blut um seine ellenlangen, schneeweißen Krallen waberte mit ihm mit und es schien, als würde das Monster direkt aus Blut bestehen. Es öffnete das Maul und zeigte mir zwei Reihen schrecklicher, zerklüfteter Zähne und die gelben Augen stachen in der Dunkelheit nur so hervor, fixierten mich, schienen mich zu durchbohren… Ich wollte wegrennen. Aber ich war starr vor Angst. Der Schmerz in meinem Arm, dort, wo die Nadel drinsteckte, wurde immer schlimmer und ein leises Wimmern verließ meine Lippen, während der Blutwolf immer näher und näher stapfte. Es schien, als würde sich ein Grinsen auf seinem Gesicht abzeichnen, so, als wolle er mir sagen: Du kommst hier nicht weg. Du gehörst mir, mir allein! Ein wahnsinniges Kichern hallte in meinen Ohren wieder und versuchte, von der Bestie wegzurücken, doch ich konnte meinen Körper nicht mehr bewegen; es schien, als würde er mir überhaupt nicht mehr gehorchen und ich schüttelte verzweifelt den Kopf und betete, dass die Kreatur verschwinden oder sich in Luft auflösen würde… Ich wollte nicht sterben. Ich war zu jung dafür! Der Blutwolf streckte eine seiner Krallen nach mir aus; sie waren so scharf, dass sie beinahe schon die Luft vor meinen Augen zerschnitten und ich kniff sie zusammen, um meinem Tod nicht direkt in das gierig aufgerissene Maul blicken zu müssen. Ich spürte das kalte, glitschige Horn der Kralle an meiner Wange – und dann ein Aufjaulen. Es wurde warm, unheimlich warm um mich herum und ich zögerte erst noch, doch dann blinzelte ich, um zu schauen, was passiert war. Die Bestie stand immer noch da, aber dieses Mal war sie von Flammen umhüllt. Sie kreischte schrill, es tat in den Ohren weh, dann taumelte sie zurück und fiel in ihre Blutpfütze hinein – das Blut versickerte durch die Dielen und es schien, als sei nie etwas dagewesen. …wie konnte das sein? Träumte ich das alles nur…? Ich war verwirrt, weil alles so verdammt schnell gegangen war und starrte noch eine gefühlte halbe Ewigkeit auf die Stelle, wo die Bestie verschwunden war, so, als glaubte ich, dass sie jeden Augenblick wieder auftauchen würde, um mich mit sich zu nehmen… Etwas berührte mich an meiner Seite. Ich zuckte zusammen und nahm den Kopf herum, starrte leicht nach rechts und auf die weiß-grünliche, faltige Hand mit dünnen, langgliedrigen Fingern, die auf meinem rechten Oberschenkel lag. Mein Mund war zu einem Schrei geöffnet, aber kein Laut drang hervor. Ich spürte noch weitere Berührungen und sah mich um; überall erschienen diese seltsamen Hände und an meinen Füßen tauchte plötzlich ein Kopf auf – ein schrumpeliger, faltiger Kopf mit leeren Augenhöhlen und weit geöffneten Mund. Was war das? Ich war von ihnen umringt und konnte nur hilflos dabei zusehen, wie sie immer höher kletterten, mich überall berührte und immer weiter auf mein Gesicht zu krochen. Nein!, dachte ich mir und spannte mich an, Alles, nur das nicht!. Ich bekam Panik und wollte aufstehen, mir diese verdammte Nadel aus dem Arm reißen und wegrennen. Ganz weit weg von Yharnam und dessen Umgebung. Aber ich konnte mich noch immer nicht bewegen und- Etwas strich über meine Haare. Hätte ich mich nicht schon vorher nicht bewegen können, abgesehen von meinem Kopf, dann wäre ich wohl jetzt wie zur Eissäule erstarrt. Ich schluckte und merkte, dass mein Hals staubtrocken war und ich wohl literweise Wasser trinken könnte, ohne diesen Durst zu stillen. Ganz langsam wanderten meine Augen nach oben und mein Herz setzte für wenige Sekunden aus: Diese kleinen Wesen, die sich überall auf meinem Körper befanden… sie waren da. Sie beugten sich über mich, stöhnten und begannen, mit ihren seltsam trockenen Fingern mein Gesicht zu berühren. Ich presste die Lippen fest aufeinander und spürte, wie mir schwindelig wurde. Das war das Ende, nicht wahr? Ich hätte niemals hierher kommen dürfen… ich hätte niemals diesem Vertrag zustimmen sollen! Was passierte hier nur? Wahrscheinlich war das alles nur ein Traum, aber… aber es fühlte sich so verdammt echt an. So real, als ob das hier wirklich passieren würde. Ich hoffte, dass dem nicht so war und wenn doch, dann… nun, dann wurde ich augenscheinlich wohl verrückt. Verrückte lebten nicht allzu lange, das wusste ich. Der Blick verschwamm wieder vor meinen Augen und ich spürte, wie eine neue Ladung Yharnam-Blut in meine Venen gepumpt wurde; ich spürte, wie es sich dickflüssig einen Weg durch meinen Körper bahnte und wie ich langsam das Bewusstsein wieder verlor. Das letzte, was ich sah, war, dass die seltsamen Wesen mich erreichten und mein Sichtfeld von ihnen ausgefüllt wurde, ehe ich wieder in einen tiefen Schlaf – Ohnmacht? – fiel… Kapitel 2: Erste Begegnung -------------------------- Als ich aufwachte, wusste ich sofort, dass etwas… anders war. Ich konnte es nicht direkt sagen, doch etwas war in mir; ich fühlte es leicht pulsieren, so, als sei etwas Fremdes in meinem Blut. Klar liegt etwas Fremdes in deinem Blut. Yharnam-Blut. Ich schluckte bei diesen Gedanken und richtete mich langsam auf; zögernd sah ich mit um, starrte mehrere Sekunden lang auf den Fleck, wo in der Nacht dieser seltsame Blut-Dämon herausgekrochen kam… Aber ich sah nichts. Kein Blut, keinen Wolfskörper oder dergleichen, sondern nur die alten, knarrenden Dielen der Klinik. Auch diese seltsamen Wesen, die mich überall am Körper berührt hatten, waren nirgends zu sehen. Die Erinnerung an die unheimlichen, kleinen Monster ließ eiskalte Schauer über meinen Rücken jagen und ich schauderte, wünschte mir urplötzlich eine Decke, die ich um meine Schultern schlingen konnte. Warum hatte ich mich noch einmal dazu gezwungen, diesen Vertrag zu unterschreiben? Ach ja. Weil ich darauf gehofft hatte, ein besseres Leben zu kriegen. Um in Yharnam sesshaft zu werden… und weil es kein zurück mehr gegeben hatte. Ich hatte diesen einen Mann getötet, der den Zettel bei sich gehabt hatte. Statt meiner sollte er eigentlich hier sitzen und sich fragen, ob alles, was in der Nacht geschehen war, ein Traum gewesen war, oder nicht. Ich hoffte es doch wohl. Und jegliche Indizien sprachen auch dafür – dennoch, es hatte sich alles so verdammt… real angefühlt. Ich schlang die Arme um mich selbst und setzte mich aufrecht hin; die Liege war so groß, dass ich den Boden mit meinen Füßen beinahe nicht berührte und ich sah mich zögernd um. …war der alte Mann noch da? Die Klinik wirkte so… leer und verlassen. Als wäre niemals jemals hier gewesen. Ich stand auf und verdrängte den Gedanken schnell aus meinem Kopf. Das war völliger Unsinn; der Mann war KEINE Einbildung meinerseits gewesen, sonst hätte er mir ja schlecht das Blut transferieren können, was? Es war kalt in der Klinik und ich rieb mir ein wenig die Oberarme, während ich vorsichtig ein paar Schritte umher ging; die knarrenden Dielen begleiteten mich bei jedem Schritt und ich sah mich aufmerksam um: Es sah nicht viel anders aus als vor wenigen Stunden und schlussendlich blieb ich ratlos stehen und setzte eine verwirrte Miene auf… Was war jetzt genau anders an mir? Oder war überhaupt etwas anderes? Klar, ich hatte irgendeine seltsame Bluttransfusion bekommen, aber mehr auch nicht… Hatte das jetzt sehr viel zu bedeuten oder war das nur ein nettes Extra, damit die Menschen aus Yharnam mich mehr akzeptierten als sonst? Ich wusste es nicht und würde am liebsten nach dem alten Mann rufen, doch ich traute mich nicht. Außerdem sagte mir irgendetwas in meinem Kopf, dass jener gar nicht mehr da war und dass ich ihn auch nicht mehr finden würde, egal, wie lange ich suchen würde. Ich biss mir auf die Lippe und blickte dann zu der Tür, von wo ich den großen Raum aus betreten hatte. Schließlich konnte ich ja nicht ewig blöd hier rumstehen und warten, dass etwas passierte… Als ich die Hand ausstreckte, um die Klinke runterzudrücken, fiel mein Blick auf einen kleinen Zettel, der da am Schreibtisch lag. Neugierig geworden hob ich ihn sofort auf – vielleicht hatte der alte Mann mir ja doch eine Botschaft hinterlassen, damit ich mich besser zurechtfinden würde! Suche Bleichblut, um die Jagd auszubreiten. Bleichblut. Die Jagd. Was sollte das? Ich konnte mit dem Begriff Bleichblut ja nur wenig anfangen und mit Die Jagd noch weniger und drehte sogar den Zettel herum, um zu schauen, ob irgendetwas auf der Rückseite stand, doch nichts, abgesehen von einem alten, verblichenen Kaffeefleck war zu sehen. Ich ließ den Arm wieder sinken und hätte am liebsten enttäuscht gegen einen der Schränkte getreten. Doch ich ließ es sein (wer wusste schon, ob nicht doch jeden Moment jemand reinkommen konnte) und stieß dann mit einem Mal die Tür auf, ging die Treppe runter und wollte diesen verfluchten Ort endgültig verlassen. Ja, verflucht. Ich hätte niemals herkommen sollen – ich hätte den armen Menschen einfach am Leben lassen sollen, hätte seine Taschen nie durchsuchen sollen, denn jetzt war ich hier gelandet. Natürlich wollte ich mich irgendwo niederlassen, aber in jeder anderen Stadt wäre dies einfach so geschehen und niemand hätte von mir irgendein seltsames Ritual verlangt. Ich rieb mir kurz die Augen, ging aber weiter. Vielleicht… vielleicht sollte ich einfach das Beste aus meiner Situation machen – viel geändert hatte sich meiner Meinung nach nämlich nichts. Abgesehen von meiner besseren Kleidung war ich noch immer ohne Hab und Gut… vielleicht sollte ich mir irgendeine Unterkunft für die Nacht suchen. Vorerst. Als ich nach unten in die Eingangshalle der Klinik kam, hörte ich, wie eine Dose zu Boden fiel. Sofort blieb ich stocksteif stehen, spitzte die Ohren und lauschte in die Dunkelheit hinein. Ich hörte ein Kratzen und Scharren, danach ein Geräusch, das sich wie das Schnüffeln eines Hundes anhörte und ich entspannte mich direkt wieder. Nur ein einfaches Straßenköter, der sich hier wohl zurückgezogen hatte, um zu hoffen, etwas zu Fressen zu finden oder sich einen Schlafplatz für die Nacht zu suchen. Nichts Besonderes, nichts Schlimmes. Eindeutig entspannter ging ich weiter, sah mich aber um, in der Hoffnung, den Hund zu entdecken. Wenn ich eines au der Straße gelernt hatte, dann, trotz allem vorsichtig zu sein. Mein Fuß berührte eine leere, halb zerbrochene Glasphiole und sie rollte über das Holz, bis sie schließlich liegen blieb. Ich schüttelte den Kopf; der Hund hatte wirklich eine Menge – Etwas riss mich zu Boden. Ich stieß einen erstickten Schrei aus und versuchte, mich mit den Händen abzustützen, doch das plötzliche Gewicht auf meinem Rücken war zu viel und ich knallte auf den hölzernen Boden. Ein schwaches Stöhnen verließ meine Kehle und ich spürte die Krallen an meiner Schulter – mächtige Krallen. Viel größer als die eines normalen Hundes. Ein Wimmern verließ meine Kehle und der Druck auf meinem Rücken ließ einen kurzen Moment nach; sofort bäumte ich mich auf und versuche auf allen Vieren, wegzukrabbeln. Ich ahnte, dass das Wesen hinter mir kein normaler Hund war, wie anfangs gedacht, und mache zu allem Überfluss auch noch den Fehler, nach hinten zu schauen. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren: Das Wesen vor mir hatte glühend rote Augen; Lange, gebogene Zähne ragten aus dessen Unterkiefer hervor und langes, zotteliges Fell bedeckte den kompletten, langgliedrigen Körper. Die Krallen, jede einzelne fast so lang wie mein Unterarm, gruben tiefe Furchen in das Holz und die Rute des… Monsters zeigte geradewegs nach oben auf die Decke; das Vieh war unheimlich wachsam gerade. Er verzog die Lefzen ein wenig und legte die Ohren aggressiv an. Ich schluckte und sah dabei zu, wie Blut und Speichel an den lagen Fangzähnen runterlief und auf den Boden tropfte. Alles in allem starrte ich dem Monster wohl nur den Bruchteil einer Sekunde in die grauenvollen Augen, ehe ich einen stummen Schrei ausstieß und zusah, dass ich raus aus der Klinik kam. Ich hörte ein Heulen und dann setzte der Hund mir nach. Ein lauter Schrei verließ meine Kehle und ich rannte aus der Klinik heraus; überquerte den Friedhof, über den ich auch herein gekommen war und keuchte schwer – es war zwar kalt und die Sonne stand nah am Horizont, sodass der Himmel in die verschiedensten rot- und Rosatöne getaucht wurde, dennoch bekam ich Schweißausbrüche und wünschte mir, ich wäre niemals von dieser verdammten Liege aufgestanden. Hinter mir hörte ich das Knurren des …Monsters und das Scharren der Krallen auf Stein. Ich lief weiter, bis ich zu einem großen, schmiedeeisernden Tor kam; ich wusste noch, es war geöffnet gewesen, als ich zur Klinik gegangen war, doch jetzt… war es zu. „Nein!“, keuchte ich entsetzt und stemmte meinen schmalen Körper mit wenig Gewicht gegen die viktorianischen Gitterstäbe. Das hundeähnliche Monster kam immer näher. „Bitte nicht!“ Ich drückte verzweifelt, aber das Tor bewegte sich keinen Millimeter. Ich versuchte es kurzzeitig mit Ziehen, wusste aber, dass es ebenso nichts nützen würde. War ich aus reiner Panik so schwach oder hatte das ganz andere Gründe…? Immerhin hatte der alte Mann mir ja auch nicht gesagt, wie lange ich in der Klinik verweilen sollte oder ob Iosefka noch einmal nach mir sehen kam (obwohl ich bezweifelte, dass die Frau überhaupt wusste, was da in ihrer Klinik vonstatten gegangen war). Das Monster kam näher und ich spürte, wie mir die Tränen hoch kamen. Ich wollte nicht sterben! Ich wollte nicht! Ich- Ein Knall ertönte – so laut, dass ich aufschrie und die Hände über den Kopf zusammenschlug, und mich hinkauerte. Es hatte sich wie der Schuss einer Pistole angehört – einer dieser großen Dinger mit Schwarzpulver und Kugeln, die man fünf Minuten lang nachladen musste. Und selbst das war schon schnell. Ich hatte mal jemanden gekannt, der so etwas besessen hatte… Ein zweiter Schuss folgte, dann ein Jaulen. Und als ich die Augen vorsichtig öffnete, erkannte ich, dass der Wolf, der sich eine blutige Schulter leckte, immer weiter zurückzog, anschließend umdrehte und davon galoppierte. Vorsichtig nahm ich meine Arme wieder runter und sah mich um. …wer hatte mich gerettet? Das musste ein verdammt guter Mensch sein! Ich entdeckte jemanden auf der nahen Mauer stehen. Sein langer, schwarzer Mantel umwirbelte seine Beine und der Hut war ihm tief ins Gesicht gezogen; ein Schal flatterte ein wenig im Abendwind, doch da er mit der Sonne im Rücken zu mir stand, erkannte ich nur eine Silhouette. Wer war das? Ich öffnete den Mund, um zu rufen, mich zu bedanken, doch die Silhouette wandte den Kopf, sprang von der Mauer. Er war groß. Und trug eine ziemlich beeindruckende Axt bei sich, die er jetzt lässig über die Schulter schwang. Die Absätze seiner Schuhe klapperten über die alten Backsteine und direkt vor mir blieb er stehen; ich legte den Kopf in den Nacken, schluckte schwer. Würde er mich jetzt auch töten…? Ich rechnete mit dem schlimmsten und wollte irgendetwas sagen, doch kein Wort drang über meine Lippen; meine Kehle war wie ausgetrocknet und noch nie im Leben hatte ich mir so dringend etwas zu trinken gewünscht. Der seltsame Mann ließ einen Dolch in meinen Schoß fallen. „Komm mit“, sagte er mit dunkler Stimme und wandte sich um. Ich starrte eine Weile perplex auf die Waffe auf meinen Oberschenkel, dann schnappte ich sie mir, rappelte mich auf und folgte dem seltsamen Mann. Ich wusste nicht, ob es das richtige war, was ich tat. Aber ich ‘kannte‘ nur ihn und jener schien mir helfen zu wollen. Ich rannte jenen hinterher, der einen anderen Weg aus der Klinik zu wissen schien, und hielt den Dolch dabei fest umklammert; es war ein schöner Dolch, mit gebogener Klinge. Ich war mir sicher, ich würde gut damit umgehen können. Der Mann wartete am Eingang der Klinik. Als er sah, dass ich ihm folgte, ging er weiter, jedoch nie so schnell, dass ich ihn aus den Augen verlieren konnte. Ich ging ihm hinterher, mit einigen Metern an Abstand, falls er mich packen und doch töten wollte, und war wachsam, ob nicht noch so eines von diesen Monstern auftauchten würde. Taten sie aber nicht. Ob der Mann etwas damit zu tun hatte…? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich mich jetzt in Yharnam nicht mehr so einsam und verlassen fühlte, wie am Anfang. Kapitel 3: Pater Gascoigne -------------------------- „Schlecht“, kritisierte Pater Gascoigne mich, als ich versuchte, ihm meinen Dolch in die Hand zu rammen. Er griff nach meinem Handgelenk, drehte sich blitzschnell um und warf mich auf den Boden – mein Kopf knallte gegen den Stein und ich jaulte auf, krümmte mich wie ein Embryo zusammen und zitterte. „Du musst gegen den Schmerz ankommen“, brummte der Mann mit den Kirchengewändern und umlauerte mich wie einen Wolf. „Wie sonst willst du in Yharnam überleben? Und dazu noch in einer Nacht der Jagd?“ „Die Nacht geht ungewöhnlich lange“, erwiderte ich nur und rappelte mich zitternd wieder auf. Bei dem Sturz hatte ich meinen Dolch verloren und ich suchte den mit Rasen bedeckten Boden ab, bis ich ihn hinter einer der Grabsteine entdeckte. Ich eilte zu ihm hin und hob ihn auf, während Gascoigne hinter meinem Rücken meinte: „Die Nacht ist erst dann zu Ende, wenn die Jagd beendet ist.“ „Und wann ist das?“, wollte ich wissen und wandte mich zu ihm um. Der Pater lächelte nur leicht. „Das weiß keiner“, antwortete er und kam mit wehendem Mantel auf mich zu. „Aber du hast Zeit, alles zu lernen, was du für die Jagd brauchst.“ Er setzte sich auf einen der umgekippten Grabsteine und fing an, seine Waffe zu polieren. Mit langsamen, geschmeidigen Bewegungen. Ich seufzte auf und kickte ein kleines Steinchen weg – wir befanden uns auf einem Platz nahe der Oedon-Kapelle, wie Gascoigne mir erklärt hatte. Vorher hatte er mich durch ein Gewirr von verrückten Menschen, wahnsinnigen Werwolfsgestalten und vor sich hin brüllenden Monstern geführt. Er hatte sich durch die Straßen bewegt, als würde ihm ganz Yharnahm gehören und ein jedes Monster war unter seiner Waffe gestorben. Ich hatte versucht mitzuhelfen. Eine Krähe hatte mich an der Schulter erwischt und ein riesiger Schnitt hatte mich zur Seite taumeln lassen, während Gascoigne dieses fürchterliche Tier zur Strecke gebracht hatte. Ich hatte auf dem Boden gelegen und mit die Hand auf die Schulter gelegt, da hatte der Pater mir etwas in den Schoß fallen lassen. „Trink das“, hatte er befohlen und misstrauisch hatte ich das Fläschchen beäugt. „Eine Blutphiole. Das stellt dich wieder her.“ Ich hatte die Blutphiole nicht getrunken und der Schnitt pochte immer heftiger. Und Gascoigne schien gerade nicht daran zu denken, weiter mit mir zu üben, also holte ich sie wieder heraus und sah sie mir genauer an. Sie war mit einem kleinen Korken zu gemacht, doch sie würde sich leicht öffnen lassen. Ich hielt die Phiole in das Licht der untergehenden Sonne und würgte beinahe, als ich das dickflüssige, dunkelrote Blut darin erkannte und schüttelte nur langsam den Kopf. Gascoigne hatte mehrere dieser Blutphiolen während des Kämpfens geleert. Und danach war es ihm tatsächlich immer besser gegangen und seine Wunden waren verheilt. Trotzdem widerstrebte sich alles in mir, selbst Blut zu trinken… „Du bist ein seltsames Mädchen.“ Ich wandte mich Pater Gascoigne zu, der aufgehört hatte, seine Waffe zu polieren: Eine stolze Axt, die er, soweit ich das mitbekommen hatte, sogar zu einer Hellebarde ausziehen konnte. Es war eine interessante Waffe, aber ich hatte mich noch nicht getraut, ihm nach dem Mechanismus zu fragen. „Warum?“, erwiderte ich fragend und umklammerte die Phiole ein wenig stärker. „Du hast die Bluttranfusion beim Alten ohne Widerworte über dich ergehen lassen, aber eine Phiole mit Blut verschmähst du, obwohl sie für dich das einzige Heilmittel darstellt.“ Heilmittel? Was für ein Heilmittel? „Deine Wunde.“ Lässig deutete der Pater auf meine Schulter. „Die Phiole heilt sie. Aber du weigerst dich. Warum?“ „Ich trinke kein Blut“, antwortete ich mit Ernst in der Stimme und klang dabei trotziger, als ich eigentlich gewollt hatte. Pater Gascoigne hob eine Augenbraue und er schnaubte aus. „Mit dieser Einstellung wirst du nicht lange überleben“, brummte er, dann hielt er plötzlich inne und fing an, wie verrückt zu kichern. „Wobei der Tod ja auch eine seltsame Sache ist! Zumindest für eine Jägerin wie dich…“ Ich erwiderte darauf nicht. Pater Gascoigne schien mir verrückt zu sein, genau wie alle anderen Einwohner Yharnams. Aber er hatte mich vor dem Wolf gerettet und ich würde den Teufel tun und wieder alleine durch die Straßen gehen – vor allem, weil ich überhaupt nicht wusste, was ich tun sollte. Es war alles verwirrend. Und viel zu viel für mich. Nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, ich hätte Yharnam wieder verlassen. Ich hätte den Mann nicht umbringen sollen, hätte niemals diesen verdammten Zettel lesen sollen. Doch ich hatte es getan und meine Neugierde hatte über alles andere gesiegt. Ich war ein Dummkopf. „…was ist Bleichblut?“, wollte ich wissen. Gascoigne hörte auf mit seinem Gekicher und hob den Kopf wieder. „Bleichblut?“, wiederholte er fragend. „Ja. Ich habe diesen Begriff nun schon öfters gehört. Ich will wissen, was er bedeutet.“ „Die Heilende Kirche kann dir da mehr helfen“, antwortete Pater Gascoigne und stand wieder auf. „Jeder Jäger sucht nach Bleichblut.“ „Du auch?“, wagte ich mich hervor. „Ich gehöre der Heilenden Kirche an.“ „Und dann kannst du mir nicht sagen, was das ist?“ Daraufhin schwieg Pater Gascoigne und im Innern ärgerte ich mich: Aus diesem Mann etwas rauszubekommen war genauso schwer wie gegen die Dickerchen zu kämpfen, die man überall in Yharnam antreffen konnte. „Warum hast du mich gerettet?“, wollte ich dann wissen. „Und warum hast du gewollt, dass ich mitkomme? Du hättest mich auch einfach… töten können.“ „Du bist eine Jägerin“, sagte Pater Gascoigne stirnrunzelnd. „Jäger töten einander nicht. Wir gehören doch alle zu einer Familie…“ „…ich verstehe“, war das einzige, was ich dazu zu sagen hatte. „Und warum bist du nicht mehr bei der Kirche?“ Gascoigne wandte sich ab und begann, die Treppen zu Oedons Kapelle hochzusteigen. Ich beeilte mich, ihm hinterherzukommen und sagte: „Hast du mich nicht gehört? Warum…“ „Ich habe dich sehr wohl gehört“, fauchte der Pater mich an und es war die erste wirkliche Gefühlsregung, die ich bei ihm vernehmen konnte. „Aber einige Geschichten sollten nicht an die Oberfläche gebracht werden!“ Eingeschüchtert von dem Mann wich ich zurück und schluckte, schlug die Augen nieder. Der Pater richtete sich wieder auf und sagte dann: „Es wird Zeit, dass du deine Waffe kennenlernst.“ „Ich kann mit dem Dolch umgehen“, antwortete ich, doch Gascoigne hörte nicht auf mich, sondern streckte eine behandschuhte Hand aus. „Hergeben“, befahl er mit knapper Stimme. Sie befanden uns mitten auf den Treppenstufen – ich blickte hinter zu dem großen Grab, wo ich gerade eben noch trainiert hatte. Nebelschwaden zogen sich durch die Grabsteine und der Wind heulte leise – oder war dies ein Werwolf in der Ferne? Irgendwo anders hörte ich ein schrilles Kreischen – eines, das ich schon häufiger gehört hatte. Beim ersten Mal hatte es mir einen Schauer den Rücken runtergejagt und ich hatte Gascoigne danach gefragt, doch inzwischen… inzwischen war ich zu der Erkenntnis gekommen, dem Monster, dem dieser Schrei gehörte, lieber nicht zu begegnen. Die Sonne stand dicht am Horizont und tauchte alles immer noch in ein rotgoldenes Licht – ich fragte mich, wie viel Zeit bereits vergangen war… es fühlte sich an, wie mehrere Stunden. Wie lange würde diese… Jagd gehen? „Hergeben!“, befahl Gascoigne schließlich mit mehr Nachdruck und ich erbarmte mich und händigte ihm meinen Dolch aus – ich hatte keine Angst, dass er ihn mir wieder wegnehmen könnte. Es war seltsam und ich vertraute Gascoigne noch lange nicht, doch ich wusste, dass er versuchte, mir zu helfen. Und wer wäre ich, wenn ich die Hilfe abschlagen würde? Tot. Und das musste ich verhindern. Gascoigne nahm meinen Dolch am Griff und spaltete ihn. Einen Augenblick lang starrte ich perplex auf die zwei Klingen, die er in den Händen hielt, dann kniff ich die Augen zusammen, als glaubte ich, dies sei nur eine Illusion. „…wie hast du das gemacht?“, wollte ich wissen und streckte die Hände nach den Dolchen aus. „Das ist eine Trickwaffe der Jäger“, erklärte Gascoigne mir und gab sie mir zurück, damit ich sie mir ansehen konnte. „Deinen Dolch kannst du in zwei Dolche aufteilen, damit du schneller angreifen kannst.“ Ich untersuchte die Griffe und die Klinge und erkannte den kleinen, ausgeklügelten Mechanismus, der es mir erlaubte, die Dolche wieder zusammenzustecken. Ich probierte es aus und ein kleines ‘Knack‘ ertönte, ehe ich wieder nur einen Dolch in der Hand hielt. „Trickwaffen…“, wiederholte ich mit nachdenklicher Stimme. „Spezielle Waffen, die von der Werkstatt der Jäger gebaut worden sind – oder auch von normalen Jägern erfunden. Sie dienen der erfolgreichen Jagd“, erklärte der Pater mir und reichte mir noch etwas: Eine Pistole. Zögernd griff ich nach der zweiten Waffe; sie wog nicht allzu viel und schien leicht zu handhaben zu sein. ‘Leicht.‘ Ich hatte noch nie eine solche Waffe in den Händen gehalten und blickte wieder zu Gascoigne hoch. „Die wirst du brauchen“, brummte er und reichte mir ein Säckchen, das recht viel wog. Ich packte den Dolch in die dazugehörige Scheide, die an meinem Gürtel hin und griff ebenfalls danach. Ich wog es ein wenig in der Hand und blickte dann fragend zu dem Pater. „Quecksilberkugeln. Für die Jagd. Nur damit kannst du die Monster verletzten.“ Alles war darauf ausgelegt, die Monster zu töten. Natürlich, ich war eine Jägerin, aber dennoch… wenn ich an einige Werwölfe dachte, die ich auf dem Weg zu Oedons Grab kennengelernt hatte, dann wollte ich ihnen lieber nicht begegnen, egal, ob ich die passenden Waffen dazu hatte oder nicht. „Du zeigst mir doch noch, wie man damit umgeht, oder?“ Gascoigne runzelte die Stirn, dann meinte er: „Zielen und Schießen.“ Ich unterdrückte ein schweres Aufseufzen – ich hatte es von Anfang an geahnt, dass es in Yharnam nicht leicht werden würde, aber Gascoigne war wirklich… schwer. Ich wusste nicht, was ich genau von ihm halten sollte… vielleicht änderte sich meine Sicht noch während der Nacht der Jagd. Aber bis dahin war es besser, leicht misstrauisch zu bleiben. Vielleicht manipulierte er mich auch die ganze Zeit… Wer wusste das schon? „Diese Stadt braucht uns Jäger. Wir müssen die Kreaturen und Bestien töten, das ist unsere Aufgabe“, sagte Gascoigne und zeigte auf das Grab Oedons. „Wir behelfen uns mit allen möglichen Waffen, um sie zu töten, die Welt vor ihnen zu befreien…Wenn du eine wirkliche Jägerin werden willst“, er wandte sie mir zu und stupste mit einem Finger vor meine Brust, „dann muss du lernen, mit allem umzugehen. Und du musst Sachen akzeptieren, die du vielleicht niemals akzeptieren willst. Aber du musst es tun, um zu überleben.“ Die Blutphiole. Ich wusste genau, was er meinte. „Alles basiert auf Blut. Die Lehren der Heilenden Kirche, einige der Trickwaffen, die Phiolen… und deine Pistole mit den Quecksilberkugeln. All das hängt von deiner Blutfärbung ab! Wenn du das Blut jedoch ablehnst, lehnst du gleichzeitig alles ab, was dir hilft, dich gegen die Bestien zu beschützen… du tätest gut daran, eben dies nicht zu tun.“ Ich zuckte ein wenig vor ihm zurück. Blutfärbung…? Was war das? Und alles hing von meinem Blut ab…? Ich verstand nichts mehr und umklammerte das Säckchen mit Quecksilberkugeln, als würde mein Leben davon abhängen. „Du hast Yharnam-Blut in dir“, grollte Gascoigne mich an, „du hast den Fluch auf dich genommen und jetzt musst du lernen, ihn zu deinem Vorteil zu nutzen!“ Inzwischen war ich mehrere Schritte vor ihm zurückgewichen, aus Angst, er könnte mich angreifen. Gascoigne blickte mich an und ich schauderte bei diesem Blick… er wirkte plötzlich nicht mehr wie ein Mensch, sondern viel mehr wie eine Bestie. Eine furchterregende Bestie. Ich schnappte nach Luft und wandte mich um – rannte die Stufen der Oedon-Kapelle wieder runter, die Pistole und die Kugeln immer noch in der Hand. Ich hörte meine eigenen Schritte, Blut rauschte in meinen Ohren unter hinter mir hörte ich Gascoigne wahnsinnig auflachen. „Die Bestien sind der Feind!“, rief er mir hinterher her. „Kranke Kreaturen!“, brüllte er, „sie alle müssen sterben, damit sie ruhen können! Umbasa!“ Kapitel 4: Zielen und Schießen ------------------------------ Ich lief weiter, so weit mich meine Füße trugen. Fort von der Oedon-Kapelle, fort von Pater Gascoigne, diesem… diesem Monster. Ich schenkte den gruseligen, viktorianischen Verzierungen der Stadt keine Beachtung mehr, sondern hetzte weiter – mein Atem ging stoßweise und mehrmals stolperte ich über einen losen Stein, doch ich fiel nie hin. Die Waffen dicht an meine Brust gepresst rannte ich, der Dolch schlug immer wieder gegen meine Seite, doch es war mir egal, solange ich nur so viel Abstand wie möglich zwischen mich und Pater Gascoigne bringen konnte. Ich hörte ein Stöhnen und warf mich instinktiv zur Seite – und dann sah ich die Zacken der Mistgabel, die genau dort auf dem Boden aufschlugen, wo ich gerade eben noch gestanden hatte. Das Gleichgewicht verlierend stolperte ich noch ein paar Schritte weiter, ehe ich zu Boden stürzte – das Säckchen mit Silberkugeln fiel mir beinahe aus der Hand und ich umklammerte es fester; warum, das wusste ich nicht so genau, doch es schien mir, als müsste ich sie irgendwann nutzen. Der Boden war kalt und klebrig vom Blut der bereits getöteten Bestien. Ich atmete schwer und hob den Kopf, während dieser seltsam langgliedrige Mann – ein Einwohner Yharnams – mit seiner Waffe ausholte, um mich dieses Mal zur Strecke zu bringen. Instinktiv rollte ich mich wieder zur Seite und entging dem Angriff nur knapp. Schnell stopfte ich die Pistole in meinen Gürtel und legte mir die Schlaufe des kleinen Säckchens um das Handgelenk, dann rappelte ich mich wieder auf und blickte dem Mann an. Er hatte kaum mehr Gefühl in seinen Augen, keine Regung war zu erkennen. „Bestie!“, spie er aus und kam auf mich zugeeilt. Ich zog meinen Dolch, umpackte seinen Griff fest, duckte mit unter dem nächsten Schlag der Mistgabel hinweg und stach ihm in den Oberschenkel. Der Mann gab ein Brüllen von sich und versuchte, mich zu packen, aber ich sprang schnell zurück, drehte mich um und rannte wieder davon: Mit seiner Beinwunde würde er mir nicht hinterherlaufen können. Ich war eine schnelle Läuferin und recht geschickt – das hatte selbst Pater Gascoigne grummelnd angemerkt, nachdem ich ein paar Minuten lang mit ihn trainiert hatte. Den Griff des Dolches weiterhin umklammernd rannte ich wieder durch die dunklen Gassen Yharnams. Die Waffe in meiner Hand gab mir ein beruhigendes Gefühl, denn ich fühlte mich nicht mehr so ganz schutzlos wie vorher. Und ich konnte auch jemanden damit verletzten. Pater Gascoigne hatte sie alle getötet, aber den Hass, den er verspürte… den verspürte ich nicht. Wahrscheinlich würde ich einen dieser Werwölfe ebenfalls töten, aber bisher war ich ihnen immer gut entkommen. Aber so kann es nicht ewig weitergehen. Nein, das konnte es definitiv nicht. Ich bog in eine kleine Gasse ein, rannte unter einer Brücke hindurch und entdeckte die Tür eines Hauses. Die meisten Türen waren verschlossen, doch als ich hoffnungslos an dem Griff rüttelte, erkannte ich, dass sie offen war. Ich schlüpfte hinein, schloss die Tür hinter mir und ließ mich dann sofort auf den Boden gleiten, das kalte Holz im Rücken. Ich schnappte nach Luft und hielt mir die Seite, wo sich Schmerzen anbahnten. Meine Schulter pochte und ich biss die Zähne zusammen, als ich sie mit einer Hand vorsichtig befühlte und das Blut ertastete, was langsam wieder raustropfte. Ich nahm die Hand wieder weg und spürte das Gewicht der kleinen Blutphiole in meiner Tasche mit einem mal sehr viel deutlicher als vorher. Du hast den Fluch auf dich genommen und jetzt musst du lernen, ihn zu deinem Vorteil zu nutzen! Pater Gascoignes Worte kamen mir wieder in den Sinn und ich lehnte den Kopf an die Tür. Von draußen hörte ich Schreie und Brüllen und erneut erklang dieses schaurige Kreischen der unbekannten Bestie. Ich schloss kurz die Augen, doch als die Dunkelheit mich umfing, bekam ich Angst, und ich öffnete sie sofort wieder. … Der Pater hatte Recht gehabt: Ich hatte den Fluch auf mich genommen. Und irgendwie schien er etwas mit mir gemacht zu haben… vielleicht sollte ich wirklich versuchen, damit zurecht zu kommen... den Fluch kennenzulernen, um zu wissen, was ich damit alles bewirken konnte. Aber dafür musste ich auch das Blut trinken… Alleine schon der Gedanke ließ mich erschaudern und ich schüttelte den Kopf, obwohl es niemand sehen konnte. Dann fuhr ich mir mit einer Hand über das Gesicht und stand auf: Ich konnte nicht auf ewig in diesem Haus bleiben. Ich durchquerte das Erdgeschoss und rüttelte an der Tür, die direkt gegenüber lag. Verschlossen. Seufzend wandte ich mich um und entdeckte im schwachen Licht eine Treppe, die nach oben führte. …vielleicht konnte ich auf einen Balkon steigen und dann darüber das Haus wieder verlassen. Den Weg zurück wollte ich nämlich nicht mehr einschlagen, aus Angst, Pater Gascoigne könnte mich finden. Und wer wusste schon, was er dann tun würde? Wahrscheinlich würde ich dann Bekanntschaft mit seiner Axt machen. Und diese Art von Bekanntschaft… darauf konnte ich auch gut verzichten. Langsam stieg ich die knarrenden, hölzernen Treppenstufen hoch – das Haus schien verlassen zu sein, überall lagen kaputte Glasflaschen und anderer Kleinteile herum und es knirschte leise unter meinen Schuhen. Dennoch ging ich weiter und entdeckte zu meiner Überraschung eine weitere Tür. „…dann wollen wir mal schauen, wo die hinführt“, murmelte ich leise vor mich hin und streckte die Hand nach dem Knauf aus – er ließ sich drehen und mit einem Quietschen schwang die Tür nach außen auf. Ich trat auf den steinernen Weg und fand mich einer Treppe gegenüber. Vorsichtig ging ich die Stufen hoch und runzelte die Stirn. Ich musste mich auf einer Art… Brücke befinden. Zumindest wirkte es so, mit den ganzen gotischen Wasserspeiern, die in regelmäßigen Abständen aufgestellt waren, den Pflastersteinen und dem Geländer, auf dem die Wasserspeier hockten. Außerdem war ich ja auch nach oben gegangen. Interessant… vielleicht konnte ich mir mal ein Bild von der Stadt machen. Also trat ich weiter vor und wollte mich zu einer Stelle begeben, von wo aus ich einen guten Blick auf die Stadt hatte, als ich hinter mir ein Knurren hörte. Langsam drehte ich mich um und blickte einem auf allen vieren laufenden, rotäugigen und schwarzhaarigen Werwolf in die Augen. Ein paar Sekunden lang schien die Zeit still zu stehen und der Wolf und ich sahen uns an. Dann reagierte ich schnell, wirbelte herum und rannte die Brücke herunter. Der Werwolf jaulte und setzte mir mit großen Sprüngen nach. Ich blickte nicht nach hinten, sondern rannte weiter – dort am Ende der Brücke konnte ich ein Tor erkennen, vielleicht schaffte es ich es, dort rauszukommen! Ich rannte durch einen Torbogen hindurch, noch ein paar Meter weiter, als ich bemerkte, dass ich den Wolf hinter mir gar nicht mehr hörte. Erstaunt über die plötzliche Stille, die auf der Brücke herrschte, drehte ich mich wieder um. Das schwarzhaarige Biest kauerte an dem Torbogen, den ich durchquert hatte, schnüffelte ein wenig herum und warf mir immer wieder angriffslustige Blicke zu, doch er kam mir nicht hinterher gesprungen. Ich runzelte verwirrt die Stirn, doch im nächsten Augenblick war ich sehr erleichtert: Vielleicht war dieser Ort gesegnet worden und Werwölfe konnte ihn nicht betreten? Dann war ich auf jeden Fall erst einmal sicher und konnte meine Gedanken mal richtig ordnen! Ich lächelte ein wenig und wollte mich schon guter Dinge daran machen, mir die Pistole genau anzusehen, als ich ein Kreischen hörte. Ein ohrenbetäubendes Kreischen. Das Kreischen, das ich immer schon in Yharnam gehört hatte. Meine Finger, die das Säckchen mit den Quecksilberkugeln schon halb geöffnet hatte, erstarrten und mir lief ein eiskalter Schauer den Rücken herunter. Ich hob den Blick wieder an und erkannte den riesigen Schatten, der auf dem Tor hockte, durch das ich eigentlich hatte hindurch gehen wollen. Es war eine riesige Bestie mit schwarzem, zotteligen, langen Fell und roten Augen. Die Schnauze war weit aufgerissen und zwei Reihen messerscharfer, silberner Zähne stachen mir ins Auge, jede einzelne von ihnen halb so groß wie ich selbst. Ich starrte die riesigen Klauen an, den zerfetzten Brustkorb, die stämmigen, muskulösen Beine... Ich war vor Schreck regelrecht gelähmt. Jetzt wusste ich, warum mir der Werwolf nicht hinterher gekommen war. Ich ließ das Säckchen fallen und wollte umdrehen und zurückrennen – doch am Torbogen hatte sich ein seltsamer Nebel gebildet, den ich, als ich dort angekommen war, nicht durchdringen konnte. Ich keuchte auf, konnte hinter der Nebelwand noch die Umrisse des Werwolfs erkennen, der dort auf mich wartete und wünschte mir, ich würde mich bei genau jenem auch befinden. Die Bestie hinter mir kreischte noch einmal laut auf. Dann hörte ich, wie sie sprang und auf der Brücke aufkam. …und für mich gab es kein Entkommen. Ich drehte mich wieder um und zog meinen Dolch. Gegen die Größe der Bestie kam mir meine kleine Waffe zwar lächerlich vor, aber es war besser, wenigstens versuchen, sich zu wehren, als sich von dem Monster aufessen zu lassen. Meine Schulter fing wieder an zu schmerzen und ich biss die Zähne aufeinander, während die kreischende Bestie immer weiter auf mich zukam. Sie hob eine ihrer mächtigen Klauen und wollte sie auf mich hinabsausen lassen, doch – getrieben von meiner Angst – duckte ich mich hinweg und lief genau auf die Bestie zu. Ich wusste nicht, was ich tat. Jegliches rationale Denken hatte sich verabschiedet und in meinem Körper kochte das Adrenalin und gab mir Kraft. Ich riss meinen Dolch hoch und rammte ihn in das Bein der Kreatur, die einen schrillen Schrei ausstieß. Ich zog den Dolch, der mit rotschwarzem Blut bedeckt war, zurück und stach erneut zu, erntete einen weiteren Schmerzensschrei dafür. Dann sprang die Bestie zurück und schlug wieder mit ihrer Kralle nach mir – dieses Mal war ich nicht schnell genug und sie erwischte mich am Arm. Ich stieß einen hellen Schrei aus und landete auf dem Boden, purzelte noch ein paar Meter weiter – keuchend blieb ich liegen und umklammerte mit einer Hand die Wunden an meinem Arm, während ich in der anderen krampfhaft den Dolch festhielt, denn genau davon hing gerade mein Leben ab. Dieser Schmerz…! Tränen schossen mir in die Augen und ich keuchte schwer, während das Monster weiter auf mich zugestapft kam. Es kreischte mich an und mehrere Speicheltropfen flogen mir trotz der Entfernung in das Gesicht und machte meine Kleidung nass, doch entgegen meiner Schmerzen war das nur ein geringes Übel. Wenn ich nur etwas dagegen tun könnte…! Du hast den Fluch auf dich genommen und nun musst du lernen, ihn zu deinem Vorteil zu nutzen. Ich wollte nicht sterben. Noch nicht. Also friemelte ich die Phiole aus meiner Tasche, während die Bestie einen weiteren Sprung auf mich zu machte – mit letzter Kraft rollte ich mich unter der Attacke hindurch, ließ dabei meinen Dolch fallen, als ich versuchte, die Phiole aufzustöpseln. Es ging genauso leicht, wie ich erwartet hatte und ich schüttete mir den Inhalt mit einem Mal in den Rachen und schluckte. Es war ein… seltsames Gefühl, den metallischen Geschmack im Mund zu haben, doch gleichzeitig spürte ich etwas anderes… Etwas durchströmte mich und die Schmerzen in meinem Arm versiegten beinahe Augenblicklich, genau, wie die in meiner Schulter. Meine Augen weiteten sich einen Moment und ich keuchte ob des überwältigenden Gefühls, denn auf einmal fühlte ich mich wieder… gesund. Und voller Kraft. Das Gefühl konnte ich aber nicht lange genießen, denn schon sprang die Bestie wieder auf mich zu, doch gestärkt schaffte ich es erneut, ihr auszuweichen. Ich sprang zur Seite und landete auf den Füßen, spürte etwas Rundes, Hartes unter ihnen. Schnell ließ ich den Blick gleiten und erkannte, dass ich mich bei der Stelle befand, wo die ganzen Quecksilberkugeln auf dem Boden lagen… Ohne wirklich nachzudenken riss ich meine Pistole aus meinem Gürtel und kniete mich hin, schnappte mir eine der Silberkugeln. Die Bestie vor mir kreischte und ich konnte ihren nach Blut und Verwesung stinkenden Atem riechen, doch ich versuchte verzweifelt, nicht allzu sehr darauf zu achten. Ich friemelte die Kugel in den Lauf der Pistole und entsicherte sie. Zielen und Schießen, hatte Gascoigne mir geraten. Das Monster sprang auf mich zu. Ich hob die Pistole an, zielte auf ihren Kopf und schoss. Die Kugel traf das Biest direkt in das Auge und es kreischte wie wahnsinnig auf; der Boden erbebte unter meinen Füßen und normalerweise hätte ich jetzt dagestanden und mich gewundert, dass es tatsächlich geklappt hatte, aber ich sah selbst ein, dass ich dafür keine Zeit mehr hatte. Solange die Bestie nun abgelenkt war, rannte ich los – mein Dolch lag weit weg von mir, aber irgendetwas in meinem Körper – war es die Blutgier? – trieb mich an und ich steuerte auf die Bestie zu. Ich verspürte einen ungeheuren Kraftschub und ohne nachzudenken hob ich meine rechte Hand und rammte sie der Bestie in die Wunde, die ich ihm schon vorher zugefügt hatte. Ich wusste nicht, woher die Kraft kam, aber sie pulsierte in meinem kompletten Körper. Ich stieß einen Schrei und meine Finger umklammerten Muskeln und Sehnen und mit einem Ruck riss ich sie heraus. Blut spritzte mir ins Gesicht und durchtränkte meine Kleidung und die Bestie kreischte noch heller. Die Bestie knickte ein und landete auf dem Boden; ich konnte mein Spiegelbild in dem verbliebenen Auge sehen – furchterregend und monströs – als ich ihm die Hand wieder in den Körper rammte, nur dieses Mal durch das verletzte Auge. Die Bestie schrie auf, hieb nach mir, doch sie verfehlte mich, während sich meine Finger in die Hirnmasse gruben und ich sie mitsamt meiner Hand wieder raus zog. Das Monster gab einen letzten, markerschütternden Schrei von sich, dann brach es zusammen und blieb regungslos liegen. Ich stand dort, mit der blutigen, tropfenden Hirnmasse in der einen Hand und starrte auf das tote Monster. Dann ließ ich mich auf die Knie sinken; das Adrenalin verpuffte in meinem Körper und ich fühlte mich ausgelaugt und erschöpft. Ich kroch auf die Brüstung zu und lehnte mich gegen den kalten Stein, schloss die Augen, als wolle ich mich ausruhen. Ich merkte gar nicht mehr, wie einer dieser seltsamen, gruseligen Viecher, die ich in Iosefkas Klinik kennengelernt hatte, erschienen war und an meiner Kleidung zupfte… Kapitel 5: Der Traum des Jägers ------------------------------- Ich wachte auf und fühlte mich… freier. Erleichterter. So, als ob ich Zuhause angekommen war. Und als ich die Augen öffnete, erkannte ich einen bewölkten Himmel und den großen, runden Mond, der friedlich auf mich hinabstrahlte. Ich hörte das leise Rauschen von Gras und Bäumen in der Nähe, das leise Plätschern von Wasser. Unter mir konnte ich die rauen, harten Pflastersteine spüren, auf denen ich lag und ich atmete ruhig und entspannt, so, als ob mein Körper wissen würde, in Sicherheit zu sein. War ist gestorben? Das letzte, woran ich mich erinnern konnte war, dass ich gegen diese… Bestie gekämpft hatte. Diese schwarze Bestie mit rot glühenden Augen und langem, zotteligen Fell – es war ein grausamer Kampf gewesen und danach war meine Kleidung mehr rot als alles andere gewesen. Und dann? Was war dann passiert? Ich kniff die Augen zusammen, versuchte, mich zu erinnern, aber ich schaffte es nicht. Und dieser Ort hier war so friedsam, dass ich auch keine Lust dazu verspürte, ihn wieder zu verlassen – selbst, wenn es mir möglich wäre. Ja, vielleicht war ich doch noch gestorben und dies hier war der Himmel, von dem meine Mutter mir manchmal erzählt hatte. Wo all die guten Menschen hinkamen, wenn ihr Leben verwirkt war. …ich war kein guter Mensch. Ich hatte einen anderen getöteten und in gewisser Hinsicht seine Aufgabe, der er hinterhergejagt hat, gestohlen und hatte dieses Schicksal selbst auf mich genommen. …wenn ich es recht bedachte, dann hatte ich den armen Mann vielleicht sogar gerettet, wenn ich daran dachte, was ich in den letzten Stunden erlebt hatte. „Ihr seid wach. Das ist sehr schön.“ Erschrocken richtete ich mich kerzengerade auf und mein Kopf drehte sich sofort in die Richtung, aus der diese… wunderschöne, sanfte Stimme gekommen war. Auf einer kleinen Mauer saß eine… Frau? Ihre Haut war porzellanweiß und sie trug alte, doch saubere Kleidung. Sie erinnerten ein wenig an eine Puppe, mit dem Korsett, dem Rock, dem Umhang mit den Fransen und den wunderschönen Stickereien drauf, dem Hut mit den Rosen… Sie blickte mich recht ausdruckslos an, doch wirkte auf gar keinen Fall feindselig. Bei ihr musste man sich wohl fühlen und langsam stand ich auf und klopfte mir ein wenig Staub von meiner Kleidung. Neugierig blickte ich die Frau an und fragte: „…wer seid Ihr?“ „Ich bin die Puppe. Ich helfe Euch, stärker zu werden.“ Langsam trat ich ein paar Schritte auf sie zu. Die… Puppe? Eine lebendige Puppe? Ich trat ein wenig näher an sie heran und bewunderte die aufwendigen Stickereien auf ihrem Umhang. Sie sagte nichts weiter mehr, sondern blickte mich ausdruckslos an – ein wunderschönes Gesicht hatte sie, in der Tat. Langsam wandte ich den Blick ab und sah mich um. Die Puppe stand an einer Treppe, die zu einem Holzhaus führte und überall konnte ich Bäume, Gras und Grabsteine sehen. Die Grabsteine waren einen Weg entlang aufgereiht und an einem von ihnen saßen die kleinen Monster, die mich zu verfolgen schienen. In der Ferne, hinter einem Zaun, der das Gebiet wohl abgrenzte, konnte ich nichts anderes als Nebel und hoch in den Himmel ragende Steinsäulen erkennen… „Wo bin ich hier?“, fragte ich vorsichtig. „Ihr seid im Traum der Jäger“, antwortete mir die Puppe sofort. „Der Traum der Jäger?“, wiederholte ich stirnrunzelnd. „Heißt das, hier kommen noch mehr Jäger hin?“ Die Aussicht darauf, Pater Gascoigne hier an diesem idyllischen Ort zu treffen, machte mich nervös, doch die Puppe meinte mit ruhiger Stimme: „Jeder Jäger hat seinen eigenen Traum. Ihr könnt Euch hier ausruhen, Euch stärken, Eure Waffen verbessern… Die Zeit steht hier still und niemand wird Euch stören.“ Ein beruhigender Gedanke. „…stärker werden?“, hörte ich mich fragen. „Wie?“ „Die Blutechos in Euch geben Euch Kraft.“ Blutechos. Noch ein Wort, das ich niemals im Leben zuvor gehört hatte. „Blutechos?“ „Indem Ihr Eure Feinde tötete, gehen ihre Echos auf Euch über – und ich helfe Euch, sie zu nutzen, damit Ihr stärker werden könnt“, erklärte die Puppe mit geduldiger Stimme – ich fragte mich, ob man sie auch aufregen konnte, doch als ich mir das ausdruckslose Gesicht ansah, verwarf ich den Gedanken wieder schnell: Diese… Person wird man wohl nie verärgern können. Langsam wandte ich den Blick von der Umgebung ab und trat auf einen der Grabsteine zu, der nicht von den Boten besetzt war. „Was bedeuten sie?“, wollte ich wissen. „Sie lassen Euch wieder erwachen“, meinte die Puppe und trat langsam neben mich – und obwohl sie nur eine ‚Puppe‘ war, überragte sie mich um mindestens einen Kopf. „In der richtigen Welt. Ihr müsst Euch nur stark genug konzentrieren.“ Ich schluckte. Ich war also nicht ‘tot‘, sondern befand mich in einer Traumwelt, die ich jederzeit wieder verlassen konnte. Das war schon mal… ein beruhigender Gedanke. Oder vielleicht auch nicht – immerhin hatte ich meine Träume noch nie steuern können. Wobei ich mich fragte, ob dies wirklich ein ‘normaler‘ Traum war oder nicht… „Wenn ich erwache, kann ich dann wieder hierhin kommen?“, wollte ich wissen. „Natürlich. Immer, wenn Ihr schlaft, werdet Ihr zurückkehren.“ Ich runzelte die Stirn und wandte mich von dem Grabstein wieder ab, ging langsam auf die Treppenstufen zu. Die Puppe folgte mir mit leisen Schritten, die ich kaum hörte. Ich mochte ihre Gesellschaft und könnte mir ihre Stimme den ganzen Tag lang anhören – sie hatte etwas Beruhigendes an sich. „Und das Haus?“, wollte ich wissen. „Was hat es damit auf sich?“ „In diesem Haus könnt Ihr Eure Waffen stärken“, meinte die Puppe und blieb unten an der Treppe stehen, während ich schon ein wenig hochgegangen war. Ich wandte mich neugierig zu ihr um. „…das heißt, ich kann meinen Dolch verstärken?“ „Ich weiß darüber nicht viel, werte Jägerin. Gehrmann kann Euch mehr dazu erzählen.“ Die Puppe sah mich weiterhin ausdrucklos an und ich stutzte. „…Gehrmann?“, fragte ich, leicht verunsichert. Es war also doch noch jemand hier in… naja, ‘meinem‘ Traum? Ich dachte, ich wäre die einzige, die ihn betreten könne...! „Ja. Gehrmann, der Erste Jäger“, antwortete die Puppe mir und faltete ihre Hände. „Er möchte bestimmt gerne mit Euch sprechen. Er wartet im Haus auf Euch. Geht nur zu ihm.“ Die Puppe wandte sich ab und spazierte den Weg entlang. Ich sah ihr noch eine Weile hinterher, dann blickte ich wieder in Richtung des Einganges des Hauses. Langsam stieg ich die restlichen Stufen hoch und betrat das Haus, sah mich aufmerksam um. Das erste, was mir auffiel, waren die vielen Bücher, die sich überall stapelten – in Ecken auf dem Boden, in Regalen… überall. Alte Bücher, bei denen man Angst hatte, dass sie zu Staub zerfallen würden, wenn man sie in die Hand nähme. Das zweite, was mir auffiel, war der Altar, der sich im hinteren Drittel des Raumes befand, und der erleuchtet war von Kerzen – genauso wie ein Tisch, der links an der Wand stand, und auf dem sich viel Werkzeug befand, dessen Benutzung ich noch nicht kannte. Und dann war da… Gehrmann, wie ich annahm: Ein alter Mann, der in der Mitte des Hauses saß; er trug alte Kleidung, die wahrscheinlich Jägerkleidung war, hatte einen Hut mit breiter Krempe und saß in einem alten, viktorianischen Rollstuhl und seine Hände hielten einen alten Spazierstock. Er sah mich an und ich trat vorsichtig einen Schritt näher. War Gehrmann… tot? Oder die Illusion eines Bildes? Oder war er so etwas wie die Puppe? Diese ganzen Fragen brannten mir auf der Zunge, aber ich traute mich nicht, auch nur eine einzige davon zu stellen. Die Puppe hatte Gehrmann als den ‘Ersten Jäger‘ bezeichnet… ob er wirklich der erste Jäger von allem war? So ganz wollte ich das nicht glauben, aber es schien, als verdiene der alte Mann Respekt. Gehrmann regte sich und blickte mich direkt an. Er keuchte ein wenig und atmete schwer – wie alt war er nur bloß? – dann öffnete er den Mund und meinte mit gebrechlicher, aber klarer Stimme: „Ah… Ihr müsst die neue Jägerin sein…“ Ich blieb ein paar Schritte vor ihm stehen und nickte. „Willkommen im Traum der Jäger… Die Puppe habt Ihr ja schon kennen gelernt. Ich bin Gehrmann – Freund der Jäger.“ „Sheila“, stellte ich mich vor und linste vorsichtig an Gehrmann vorbei zu dem anderen Eingang des Hauses – dieses Mal konnte ich keine Treppenstufen erkennen und mir wurde klar, wie Gehrmann hier hoch gekommen war – ich hatte mich anfangs wegen dem Rollstuhl schon gefragt, ob er die ganze Zeit hier sitzen würde, oder ob er, wie die Puppe, sich auch an anderen Orten in diesem Traum aufhalten würde. „Das alles ist verwirrend…“, meinte Gehrmann und schnappte nach Luft. Ich wandte mich ihm wieder zu und fragte mich, ob ich ihm helfen sollte, aber dann beruhigte sich der alte Mann auch schon wieder und hustete ein wenig. …er sah wirklich sehr gebrechlich aus. Gehrmann musste uralt sein. „Aber Ihr solltet nicht zu viel darüber nachdenken…“ Es schien mir, als wäre dies der einzige gute Rat, den ich bisher gehört hatte: Denke nicht zu viel darüber nach, sondern handle einfach. …so etwas ähnliches hatte Pater Gascoigne zu mir ja auch gesagt. Zielen und Schießen. Nicht nachdenken, handeln. Vielleicht sollte ich ihn wirklich beherzigen. „Tötet einfach ein paar Bestien. Das reicht für den Anfang.“ Daraufhin verzogen sich meine Mundwinkel tatsächlich zu einem kleinen Schmunzeln. Bestien töten klang einfacher, als gedacht… ich streichelte mit einer Hand abwesend den Griff meines Dolches und meinte: „Ich habe bereits eine Bestie getötet.“ Gehrmann reagierte darauf zuerst nicht, doch dann nickte er langsam: „Ja… das habe ich mir schon fast gedacht… Ihr könnt mit der Puppe sprechen…“ Ich runzelte die Stirn. …warum hätte ich nicht mit der Puppe sprechen sollen? Gehrmann musterte meinen verwirrten Gesichtsausdruck und er kicherte ein wenig: „Ihr müsst noch so viel lernen, junge Jägerin…“ Damit hatte er Recht. Und ich sollte auch nicht zu viel darüber nachdenken. Langsam ging ich zu dem Tisch mit den Werkzeugen und nahm stirnrunzelnd eines in die Hand, das wie eine Zange aussah. „Manche Jäger…“, erklang Gehrmanns Stimme hinter mir, „konnten ihre Waffen verstärken. Mit Scherben und Edelsteinen… Doch die Kunst ist schon vor langer Zeit verloren gegangen… Ohne das richtige Werkzeug, kann kein Jäger seine Waffen mit Edelsteinen verstärken.“ „…und wo finde ich dieses Werkzeug?“, wollte ich wissen. Nicht nachdenken. Ich würde noch herausfinden, was es mit den Edelsteinen und Scherben auf sich hatte, ganz sicher. „Das weiß ich nicht…“ Gehrmann hustete wieder und umklammerte seinen alten Gehstock ein wenig fester. „Aber Ihr werdet es finden. Ihr müsst nur genügend Geduld haben…“ Ich trat wieder vor ihm und wollte etwas fragen, irgendetwas, aber mir fiel beim besten Willen keine gute Frage ein. Gehrmann hob eine knochige Hand und deutete nach draußen: „Eure Einsicht wird nach und nach kommen… Ihr werdet stärker werden und Euch als Jägerin behaupten können… Aber dafür müsst Ihr auch wieder erwachen… Und wenn Ihr schlaft, dann kehrt Ihr zurück… Dieser Traum, wir Euer Zuhause werden…“ Ich schluckte, als Gehrmann die Hand wieder runternahm, nickte aber dennoch. „…Danke“, hauchte ich und wandte dem alten Mann den Rücken zu. Das Gespräch war… seltsam gewesen, einseitig. Und doch schien es mir, als würde ich mehr verstehen, als jemals zuvor. Ich hatte Yharnam-Blut in mir, ich war eine Jägerin. Und Jäger töteten Bestien… Und genau dies schien auch meine Bestimmung zu sein. Eine Bestimmung, der ich nicht einfach so den Rücken kehren konnte – ich konnte nicht weglaufen… So, wie ich früher immer weggelaufen war. Pater Gascoigne hatte Recht gehabt: Ich hatte den Fluch auf mich genommen und jetzt muss ich ihn auch nutzen. Was genau dieser Fluch war, wusste ich nicht, aber… Die Einsicht wird kommen, hatte Gehrmann gesagt. Ich ging die Treppenstufen runter und entdeckte die Puppe unweit von mir stehen und eine Blume begutachten. Langsam trat ich auf sie zu und sofort wandte sie sich mir zu: „Werte Jägerin, was kann ich für Euch tun?“ Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und schluckte einmal. Dann sagte ich: „…ich möchte stärker werden. Und Ihr sagtet, Ihr könnt mir dabei helfen.“ „So soll es geschehen“, sagte die Puppe und sah zu mir hoch – ihre Augen waren wunderschön. Sie beugte sich vor und nahm meine Hand in ihre, während sie sich langsam hinkniete. „Schließt die Augen. Die Blutechos sollen zu Eurer Kraft werden.“ Kapitel 6: Rückblick -------------------- Ich sah das Feuer am kleinen Waldrand aufflackern und näherte mich ihm langsam. Bis auf die Knochen war mir kalt und der Hunger nagte an mir wie ein Rudel Wölfe an dem letzten, übrig gebliebenem Stückchen Fleisch. Das Gras und trockene Laub raschelte unter meinen Füßen und ich bemühte mich erst gar nicht, leise zu sein – ich war erschöpft, müde und durchgefroren, nicht mehr zu rationalem Denken fähig. An dem Feuer saß ein einziger Mann und er hatte sich in eine warme Decke gehüllt und schien irgendetwas im Schein des Feuers zu lesen. Als er es Rascheln hörte, blickte er auf und seine Augen trafen auf mich, die dort am Rande stand, gerade eben so, dass sie von dem Scheint des Feuers angestrahlt wurde. Ich wirkte ungefährlich und seine Miene entspannte sich, als er sah, dass ich nichts anderes als ein dünn angezogenes Mädchen war, dass die Arme ängstlich um ihren Oberkörper geschlungen hatte, um sich zu wärmen. „Was tust du hier?“, wollte er wissen und stand auf – seine Stimme klang sanft und in seiner Hand konnte ich ein Buch ausmachen, doch die goldenen Lettern, die den Titel bestimmten, konnte ich nicht entziffern. „Ganz alleine. Es ist gefährlich in der Wildnis.“ Das wusste ich. Ich war mehr als einmal mit Wölfen und Bären aneinander geraten und konnte von Glück sprechen, so schnell rennen zu können, dass ich ihnen stets entkommen war. In den Augen des Mannes musste ich wohl nicht älter als Sechzehn aussehen – obwohl ich bereits schon zwanzig Winter erlebt hatte. Ich spürte bereits die Wärme der knisternden Flammen auf meinem Gesicht und seufzte schwer aus – ich war ungefährlich und zu dieser Entscheidung schien auch der Mann zu gelangen, denn er meinte: „Setzt dich. Ich kann ja niemanden in die kalte Nacht zurückschicken.“ Ich trat näher und ließ mich erschöpft auf den Boden sinken – ganz kurz schloss ich die Augen und genoss die Wärme, dann öffnete ich sie wieder. Der Mann sah mich neugierig an und legte sein Buch zur Seite. Byrgenwerth, konnte ich im Schein des Feuers ausmachen. War das ein Roman? Eine Fantasiegeschichte? Ich hatte dieses Wort noch nie gehört… aber momentan interessierte es mich auch eher wenig. „Wo kommst du her?“, wollte er wissen. „Aus dem Süden“, antwortete ich und zog die Knie an den Körper, um sie mit den Armen zu umschlingen – das Kinn bettete ich auf meine Knie und eine Stimme in meinem Innern schrie mir zu, ich solle verschwinden, diesem Mann nicht einfach so trauen. Ich traute ihm auch nicht. Aber hier war ein Feuer und es war warm. Schlimmer als die letzten Tage konnte es nicht mehr werden. „Bist du weit gereist?“ Ich nickte schwach und blickte in die Flammen; die Holzscheite verbrannten schnell, doch ich hatte den Holzhaufen bemerkt, denn der Mann angesammelt hatte: Wenn man immer nachlegte, könnte das Feuer die ganze Nacht lang brennen. Ich fummelte ein wenig an einem Faden herum, der an den dem Ärmel meiner dünnen Jacke hing und fragte zögernd: „Wohin seid Ihr unterwegs?“ „Nach Yharnam“, kam die prompte Antwort und ich entdeckte ein begieriges Funkeln in den Augen des Mannes. „Ich bin seit Wochen unterwegs, um die Stadt zu erreichen! Ich habe lange geforscht und kann es kaum erwarten…!“ Er sprach voller Begeisterung. Ich setzte mich ein wenig gerader hin und legte den Kopf neugierig schief: „Was ist denn in Yharnam?“ Der Mann grinste und beugte sich ein wenig vor, um im gespielt verschwörerischen Ton zu sagen: „Es heißt, wenn man in Yharnam alles richtig macht, kann man viel Ruhm und Ehre verdienen!“ Die Flammen warfen tänzerische Schatten auf sein Gesicht und unwillkürlich musste ich ein wenig erschaudern. Und gleichzeitig wurde ich neugierig auf Yharnam. Ruhm und Ehre…? Das wäre mal etwas anderes als das Leben auf der Straße, das ich bisher geführt hatte. „…und wie weit ist die Stadt noch entfernt?“ „Eine Wochenreise.“ Der Mann lehnte sich wieder zurück und seufzte wohlig auf. „Ich freue mich schon darauf, die Stadt endlich zu sehen! Sie soll fantastisch sein! Eine Augenweide und voller Geheimnisse und Mysterien!“ Mh. Ich mochte Geheimnisse und Mysterien... Es war spät in der Nacht, als ich die Taschen des Mannes durchsuchte. Hinter mir konnte ich ihn leise vor sich hin schnarchen hören – wir hatten uns noch um einiges Belangloses unterhalten, danach hatte er eine Flasche gezückt und daraus getrunken. Angeboten hatte er mir nichts, aber ich war glücklich um das Feuer gewesen. …wenn man eines auf der Straße lernte, dann war es, dass man jede Chance nutzen sollte. Ich hatte ein wenig ein schlechtes Gewissen, als ich einen runden, roten Apfel in die Hand nahm, weil mich der Mann nicht weggescheucht oder begrapscht hatte, doch dann verjagte ich diesen Gedanken schnell wieder: Er hätte mich am nächsten Morgen weggeschickt. Sein Proviant reichte bis nach Yharnam für genau eine Person und er hätte mich nie mitgenommen. Es war nicht so wie in Büchern und Märchen, wo man jemanden traf, der sich dann ab sofort um jemanden kümmerte… die harte Realität sah anders aus. Ganz anders. Auch für den Mann, der am nächsten Morgen wohl aufwachen und sich wunder wird, wo ich hin verschwunden sei… oder er konnte es sich denken. Ich hatte keine Ahnung. Aber ich glaubte, er würde noch eine Weile schlafen und nichts bemerken, denn als ich probeweise an seiner Flasche gerochen hatte, war mir der stechende Geruch von Alkohol in die Nase gestiegen. Aber ich sah ja auch wirklich ungefährlich aus. Ich tastete weiter und holte noch ein paar mehr Früchte zum Vorschein, als ein kleiner Zettel aus der Tasche fiel. Stirnrunzelnd hob ich ihn auf und faltete ihn auseinander. Bleichblut. Iosefka’s Klinik, Yharnam, zur Blutbehandlung. …musste ich das verstehen? Ich schaffte es nicht, mir große Gedanken darüber zu machen, denn plötzlich hörte ich hinter mir eine Bewegung. Und dann eine verschlafende Stimme: „Hey… was machst du da?“ Ich erstarrte und glaubte wohl, ich hatte mich verhört. Doch dann hörte ich, wie der Mann aufstand und ich tastete umher, bis meine Finger gegen einen der Holzscheitel stießen, die eigentlich verbrannt werden sollten. „Du kleines Miststück…“ Weiter kam der Mann nicht, denn ich drehte mich um und schleuderte ihm das Holzstück direkt gegen den Kopf; er brüllte auf und fasste sich an die Stelle, wo ihn meine behelfsmäßige ‘Waffe‘ getroffen hatte und taumelte zur Seite. Er stolperte über seine Decke und fiel nach hinten – direkt in die Flammen. Sein Brüllen ließ mir einen Schauer über den Rücken jagen und ich rutschte von ihm weg, während mir der Geruch von verbranntem Fleisch in die Nase stieg. Meine Augen tränten wegen dem plötzlichen Rauch, der entstand und die Flammen brannten lichterloh, streckten ihre gierigen Arme gen Sternenhimmel. Ich keuchte schwer und kroch weiter weg – bis es mich überkam und ich mich vornüber krümmte, nur, um mich zu übergeben. "Du...!" Langsam sah ich rüber und erkannte, wie er wieder aufstand, um auf mich zuzukommen - Fett tropfte von seinem Körper und ich wunderte mich, dass er überhaupt noch lebte. Ich stand auf, einen stummen Schrei auf den Lippen und fragte mich, welches Monster hier vor mir stand. Meine Hand huschte zu meiner Hosentasche, in der ich ein kleines Messer aufbewahrte und ich umklammerte den Griff, bis meine Knöchel weiß hervorkamen. Der Mann stürzte auf mich zu. Ich sprang einen Schritt nach hinten und schwang mein Messer mit einer etwas holprigen Bewegung - die Klinge zischte durch die Luft und ich traf den Mann an der Wange. Er stieß einen Schrei aus und stürzte sich nach vorne, direkt auf mich. Wir purzelten in das Graß und ich biss die Zähne zusammen, versuchte, mich nicht noch einmal zu übergeben und hob das Messer an, während sich seine verbrannten Hände um meinen Hals legten. ...dieser Mensch schien keine Schmerzen zu kennen. Ich stieß mit dem Messer nach seiner Kehle und traf ihn - mein Angreifer jaulte auf und ließ von mir ab; schnell glitten seine Finger zu dem Messergriff und zogen daran, während ich die Chance nutzte, um von ihm wegzukrabbeln. Ich blickte über die Schulter zurück und sah, wie er das Messer aus seinem Hals zog. Blut spritzte in alle Richtungen und ich wusste, dass der Mann nicht mehr lange zu leben hatte. Er schrie, bis seine Schreie in ein schwaches Gurgeln übergingen und er vornüber fiel. Sein Körper zuckte noch ein paar Mal, dann blieb er regungslos liegen, das Messer noch immer krampfhaft mit einer Hand umklammert. Ich hatte mich währenddessen zusammengekauert, die Hände über den Kopf geschlagen und gezittert, gehofft und gebettelt, dass es bald zu Ende sein würde. …ich hatte einen Menschen umgebracht. Einen echten Menschen. Ich… Ich richtete mich langsam wieder auf und wischte mir über das Gesicht. Der Mann war tot. Und ich hatte ihn ermordet. Es war... Notwehr gewesen und dennoch hatte ich ihn getötet. Es war eine seltsame Erfahrung... eine, die ich nicht noch einmal machen wollen. Ich blickte zögernd auf den Leichnam und verspürte den Drang, mich erneut übergeben zu müssen. Doch stattdessen versuchte ich, ruhig zu atmen und mich zu sammeln, ehe mein Blick langsam zu dem Rest des Lagers glitt. ...ich wollte weg. Einfach nur weg. Ich schnappte mir die Tasche mir Proviant und steckte mir den kleinen, beschrifteten Zettel in meine Hosentasche. Das Messer ließ ich jedoch zurück, denn ich wollte den Toten nicht anfassen - mir lief es alleine schon bei dem Gedanken kalt den Rücken runter. Meine Hände zitterten immer noch und ich biss die Kiefer zusammen, um nicht loszuweinen. In wenigen Tagen würde es mir besser gehen und ich würde mich besser konzentrieren können… so hoffte ich zumindest. Aber erst einmal weg von diesem Ort. Kapitel 7: Wiedersehen ---------------------- Blut spritzte mir ins Gesicht, als ich dem Werwolf, der mich unter sich begraben hatte, eine Kugel ins Gehirn schoss. Das Monster jaulte und bäumte sich auf; ich zückte meinen Dolch und schnitt ihm beinahe schon elegant die Unterseite auf – Blut und Eingeweide fielen gleichermaßen auf mich herab und die Bestie lebte nicht mehr lange, ehe sie zusammenbrach. Angewidert stieß ich sie von mir runter, dann stand ich auf und klopfte mir den Dreck von meinem Jägermantel. Dann schaute ich mich in der dunklen Gasse Yharnams um - ein paar Leute waren stehen geblieben, um mir beim Kämpfen zuzusehen. Ich sah ihre Mistgabeln und Holzkeulen und funkelte sie wütend an. Sie verschwanden in der seltsam schlurfenden Gangart, welche die schlaksigen Einwohner dieser Stadt auszeichnete. …sie wollten sich nicht mit mir anlegen, das wusste ich. Ich sah auch gefährlich aus – meine Jägerkleidung war blutdurchtränkt und es tropfte stetig herunter, bildete unter meinen Füßen eine kleine, rot-schwarze Pfütze. Ich achtete nicht auf das schmatzende Geräusch, das ich verursachte, als ich durch die Gassen lief. In der Ferne hörte ich weitere Werwölfe jaulen, einzig und allein das Kreischen der Kleriker-Bestie blieb aus. Ich war schon seit Stunden unterwegs. Ich hatte Yharnam erkundigt, so gut es mir möglich war und immer noch war der Mond hoch am Himmel zu sehen; nur langsam verschwand das Abendrot der Dämmerung und hinterließ eine sternenklare Nacht. Die Schatten der Gebäude und Statuen in Yharnam wurden länger und der leichte, aufkommende Neben verlieh der Stadt etwas Geheimnisvolles, Mystisches… und gleichzeitig auf Angsteinflößendes, Grauenvolles. Doch der Nebel war mein Freund – er verdeckte mich vor sich nähernden Feinden, allerdings konnten sich jene auch gut vor mir verstecken; aber meistens war ich schneller, insbesondere gegenüber den Einwohnern Yharnams, die anfangs auf mich gestürzt sind, wie Wölfe auf ihre Beute. Wölfe… Welch eine Ironie. Ich lief weiter die Straße entlang. Das Blut verklebte meine Haare, doch ich würde nicht in den Traum des Jägers zurückzugehen, um mich zu säubern. Ich spürte das gleichmäßige Pulsieren der Blutechos in meinen Adern und die Macht, die sie mir verliehen... es war ein seltsames und doch atemberaubendes Gefühl, das mit jedem toten Gegner wuchs. Ich hatte keine Ahnung,, wie genau dieses... System funktionierte, aber es musste mit dem 'Fluch' zusammenhängen, der in mir sein Unwesen trieb. …ich hatte mich, in den letzten paar Stunden, daran gewöhnt und ich hatte viel gelernt. Unheimlich viel… unheimlich viel… beinahe schon ZU viel für meinen Kopf und meinen Verstand. Einmal, da hatte ich eine seltsame Kreatur gesehen und ich war wahnsinnig geworden – mein Blut hatte förmlich gekocht und mich von innen heraus zerrissen, während ich mich mit letzter Kraft in eine Gasse geschleppt habe, nur, um einzuschlafen, und mich von der Puppe im Traum trösten zu lassen. „Wahnsinn", hatte sie erklärt, „ist einer deiner größten Feinde in dieser Welt. Wenn du merkst, dass du ihm verfällst, nimm das hier zu dir." Sie hatte mir eine kleine, braune Flasche mit der Aufschrift Beruhigungsmittel in die Hand gedrückt. Ich hatte das Geschenk sofort angenommen und bewahrte es seitdem in einer meiner vielen Manteltaschen - im Traum hatte ich auch ein neues Gewand erstanden, das nach meinem Erwachen auf magische Weise direkt neben mir lag - gut greifbar auf. In der Nähe hatte ich einen der Boten gesehen, der mir nur kurz zugenickt hatte, bevor er wieder verschwunden war. Dieser Traum schien ein Universum oder eine Parallelwelt zu sein, den wohl keiner so recht verstand – am allerwenigstens ich selbst. Doch ich hatte beschlossen, die Dinge so hinzunehmen, wie sie waren; ansonsten würde ich wohl dauerhaft dieses Beruhigungsmittel zu mir nehmen müssen, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen, so, wie es wohl vielen der Yharnam-Bürger geschehen war. Eine weitere Sache, die ich nicht verstand war, dass ich aus der Essenz meines Blutes Quecksilberkugeln herstellen konnte. Es war ein schmerzhafter Progress und ich spürte immer einen Anflug von Schwäche, wenn ich dies tat, doch es hatte mir mehr als einmal bereits das Leben gerettet. Dabei stach ich mir mit einer speziellen Phiole in den Oberschenkel und zapfte mein eigenes Blut ab – und nach wenigen Sekunden hatte sich diese Blut mit der Substanz in der Phiole (ich tippte mal stark, dass es sich um Quecksilber handelte…) vermengt und verhärtet, sodass fünf kleine Quecksilberkugeln in der Phiole klimperten, die ich dann nur noch rausholen musste. Und an das Trinken der Blutphiolen, daran hatte ich mich schon lange gewöhnt – beziehungsweise trank ich diese Phiolen nicht mehr, sondern injizierte mir das fremde Blut ebenfalls in meinen Oberschenkel, damit ich keine wertvolle Zeit beim Öffnen der Phiole verschwendete. Alles, was ich bisher gesehen und selbst ausprobiert hatte, war ein unheimlich gut durchdachtes System – ich konnte kaum Fehler entdecken und selbst diese waren so unbedeutend, dass es sich nicht mal lohnte, sie zu erwähnen. Innerhalb von weniger Stunden war ich zu etwas geworden, das sich Jägerin nennen durfte. War ich stolz darauf? Ich wusste es nicht… Ich ging weiter und achtete stets auf meine Umgebung – Unachtsamkeit bedeutete den Tod. „Liebling…!“, hörte ich plötzlich eine Stimme rufen. „Liebling, wo bist du?“ Ich blieb stehen; die Stimme klang lieblich, sanft… und vor allem unschuldig. Dies schien keine Bürgerin zu sein, die dem Wahnsinn verfallen war, sondern jemand, der… …der sich auf die dunklen Straßen hinaus getraut hatte, um nach einer geliebten Person zu suchen. Einen kurzen Moment lang war ich versucht, einfach weiterzugehen – die Frau zu ignorieren und so zu tun, als würde sie nicht existieren. …aber das konnte ich nicht. Ich erinnerte mich daran zurück, dass Gascoigne mir ebenfalls geholfen hatte, obwohl er mich nicht gekannt hatte; klar, er hatte sich später als… Monster entpuppt (zumindest in meinen Augen) und ich war fortgelaufen… aber er hatte mir geholfen, die ersten Stunden in meinem neuen Leben als Jägerin. Also gab ich mir einen Ruck und lief der Stimme nach, die sich langsam zu entfernen schien. Ich entdeckte eine hübsche, blonde Frau mit einem unscheinbaren Kleid und einem hübschen Mantel, die sich beinahe schon verzweifelt um die eigene Achse drehte und dabei rief: „Liebling? Liebling, bitte, antworte mir!“ Ich trat näher und der Klang meiner Schuhe ließ die Frau aufschrecken. Ihre Augen weiteten sich einen Moment, doch dann schien sie sich zu entspannen: „…Ihr seid… eine Jägerin?“ Ich nickte – es war unschwer zu erkennen, blutbespritzt wie ich war und mit den Jägerwaffen im Gürtel. Außerdem schimmerte das Jägerabzeichen an meiner Kleidung… eine wirklich hübsche Brosche und das einzige Teil, das ich vom Blut befreite. Es schimmerte silbern im schwachen Mondlicht und ich meinte: „Dies bin ich. Kann ich… Euch vielleicht helfen?“ Die Frau blickte mich ratlos an, dann senkte sie ihren Blick: „…ich suche meinen Mann“, gab sie zu und unterdrückte ein Aufschluchzen. Ich dachte einen kurzen Augenblick an meine eigene Familie… die nicht mehr lebte. Und wie es sich anfühlte, alleine zu sein – vor allem in dieser seltsamen, verrückten Stadt. „…ich kann Euch helfen“, bot ich schlussendlich an. „Wie sieht er aus?“ Die Frau wirkte mit einem Mal unheimlich erleichtert und in diese Moment war ich froh, ihr meine Hilfe angeboten zu haben: Viele Einwohner Yharnams waren verschroben und seltsam und beschimpften einen wüst, selbst, wenn man einen Werwolf von dessen Tür ferngehalten hatte… Aber diese Frau war anders. Und es freute mich. „Mein Mann ist sehr groß gewachsen… Er trägt die Kleidung der Heilenden Kirche und hat eine große Axt bei sich. Er ist ein Jäger, genau, wie Ihr…“ …eine dunkle Ahnung beschlich mich und mit leiser Stimme fragte ich: „Heißt Euer Mann zufällig Pater Gascoigne?“ Die Frau lächelte und etwas… Liebevolles schlich sich in ihren Blick, als sie meinte: „Ja, das ist er. Er ist immer so lange weg… eigentlich wollte er schon längst Zuhause sein. Ich bin ihn suchen gegangen, während unsere beiden Kinder warten…“ Kinder? Pater Gascoigne hatte Kinder? …fiel es nur mir gerade schwer, sich vorzustellen, wie dieser Mann mit einer so hübschen Frau wie jene, die vor mir stand, ins Bett zu gehen und tatsächlich Kinder gezeugt zu haben? Beim besten Willen, doch der knurrige, grimmige und fordernde Pater schien mir jetzt nicht gerade ein Familienmensch zu sein. Dennoch schluckte ich meine Erwiderung, die mir auf der Zunge lag, herunter und meinte: „Ich habe ihn heute schon gesehen.“ „Wirklich?“ Die Frau wirkte hoffnungsvoll und kam zu mir hin, streckte ihre Hände aus und ergriff die meinen. Ich erkannte eine rote Brosche an ihrem Mantel hängen… eine schöne Brosche. Wirklich, wunderschön. „Wo war er? Und wieso habt Ihr ihn verlassen?“ „Ich…“ Es fiel mir schwer zu erwähnen, dass ich vor Angst vor ihrem Mann weggelaufen bin und entschied mich von daher für eine neutrale Aussage: „Ich habe ihn zuletzt am Grab Oedons gesehen.“ „Oh ja…“, seufzte die blonde Frau, „Er liebt diesen Ort. Könnt… könnt Ihr mich dorthin begleiten?“ Ich wusste nicht so recht, ob ich es nicht gerade bereute, ihr meine Hilfe angeboten zu haben – Pater Gascoigne wirkte auf mich nicht mehr wie ein… Mensch, als ich vor ihm geflohen bin. Er war wahnsinnig geworden und die Vorstellung, diese liebe Frau direkt in seine Arme zu treiben war… „Ich bin übrigens Viola.“ Und dabei lächelte sie mich so lieb an, dass ich nur ergeben aufseufzte. „Euer Mann… wirkte so, als wäre er nicht ganz bei sich gewesen…“, versuchte ich, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, aber Viola winkte nur ab: „Ach ja… manchmal vergisst er uns. Aber ich habe eine Spieluhr, die ein bestimmtes Lied spielt. Wenn er es hört, dann erinnert er sich wieder an uns und alles ist so, wie immer.“ …sie wusste von Gascoignes seltsamen Anfällen – er hatte sie also nicht zum ersten Mal. Und im Endeffekt hatte ich jetzt auch kein schlagfertiges Argument mehr, um sie umzustimmen… …Pater Gascoigne. Eigentlich wollte ich gerade ihn nicht wiedersehen… „…kommt mit“, murmelte ich schließlich und wandte mich um. „Ich begleite Euch bis zum Grab.“ Als wir am Grab ankamen, war es still – und der Ort schien genauso auszusehen, wie ich ihn verlassen hatte, ja, sogar die Nebelschwaden schienen sich keinen einzigen Zentimeter bewegt zu haben – und dank des Mondlichtes wirkte er nun noch viel unheilvoller, als so schon. Und dieser Eindruck wurde von dem am Boden kauernden Pater Gascoigne auch noch verstärkt. Viola neben mir schnappte freudig nach Luft und meinte dann: „Vielen Dank, werte Jägerin! Ab hier komme ich alleine zurecht.“ Ich war mir nicht so sicher, ob das tatsächlich stimmte und nickte daher nur stumm, während ich dabei zusah, wie Viola durch den großen Torbogen ging, um zu ihrem Mann zu gelangen. Irgendetwas sagte mir, dass ich lieber bleiben sollte… und das, obwohl mein Kopf mir sagte, zu fliehen, so schnell ich nur konnte. Doch Pater Gascoigne hockte so seltsam mitten aus dem Platz – er hatte die den Kopf in die Hände vergraben, wippte hin und her und mir war, als würde ich ein Schnauben von ihm hören können. Und Viola marschierte auf ihn zu, als wäre er ein kleines Kind, das sich beim Spielen verletzt hatte. „Liebling!“, rief sie voller Freude. „Liebling, hier bin ich…“ Ich schluckte und zog mich ein wenig weiter in den Nebel zurück, aber nur so weit, dass ich noch genug sehen konnte. Ich sorgte mich um Viola und das, obwohl ich eigentlich keinen Grund dazu haben sollte. Die hübsche Frau hob eine Hand und berührte Gascoignes Schulter. Jener wandte sich sofort um und richtete sich zu seiner vollen Große auf – im schwachen Mondlicht konnte ich seine bleiche, fahle Haut erkennen und… ich blinzelte und kniff die Augen zusammen. …ich hatte Pater Gascoigne kennengelernt, da hatte ich noch in seine Augen sehen können. Jetzt hatte er sie verbunden – warum? Viola zuckte ein wenig zurück und meine Hand schnellte automatisch zu dem Dolchgriff, der an meinem Gurt hing – ich schluckte schwer und betete für Viola, sie möge tatsächlich heil aus dieser Situation rauskommen. „Schatz…“, meinte Viola mit liebevoller Stimme. „Ich bin es. Viola. Ich bin gekommen, um dich zu holen… Unsere Kinder vermissen dich…“ Gascoigne gab einen Ton von sich – eine Mischung aus Schnauben und Knurren – dann nahm er seine gewaltige Axt zur Hand. Ich schnappte nach Luft und Viole ging ein paar Schritte zurück und suchte in ihrer Tasche… Nach… der Spieluhr? Sie hatte mir ja davon erzählt… „Gleich wird es dir besser gehen, Liebling“, meinte sie und kramte hektischer – Pater Gascoigne kam mit jedem Schritt, den er tat, bedrohlich näher. „Ich habe die Spieluhr mitgebracht, und…“ Sie stockte und ich musste meine Ohren spitzen, um ihre nächsten Worte mit anhören zu können: „…die Spieluhr. Ich… ich muss sie vergessen haben…“ Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. „VIOLA!“, brüllte ich im selben Moment, in dem Pater Gascoigne seine Axt hob und seine Frau spaltete – wortwörtlich. Die Schneide der Waffe traf auf ihren Kopf und Blut und Hirnmasse spritzte in jede Richtung – Violas Körper spaltete sich entzwei, bis ich Gascoignes Axt mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden aufkommen hörte; die beiden Leichenteile fielen nach rechts und links zur Seite und ich, die sich, dämlich wie sie war, aus ihrem Versteckt getraut hatte, stand direkt vor ihm. Ich starrte auf die Verbände, hinter denen sich seine Augen befanden hatten – doch jetzt konnte ich nur leere, weiße Hüllen ausfindig machen. Schweiß lief an meinem gesamten Körper herunter und ich wusste nicht, was mich mehr schockte: Der Tod Violas oder die grausame Erscheinung von Pater Gascoigne – einen Mann, der eigentlich wie ich, ein Jäger war. …was war mit ihm passiert? Das konnte unmöglich nur Wahnsinn sein… Ich zog langsam meinen Dolch – Pater Gascoigne lachte und ich hörte, wie er die Luft durch seine Nase einzog. „Ich kenne diesen Geruch…“, schnurrte er und es schien, als würde er mich direkt anstarren; selbst mit blinden Augen. „Du bist die Jägerin, die ich heute schon einmal getroffen habe… Du bist vor mir weggelaufen…“ Er lachte abfällig und ich spürte, wie mein Herz schneller schlug – sehr viel schneller. Der… Jäger vor mir stellte sich breitbeinig hin, nahm seine Axt in die eine Hand und zog mit der anderen seine Pistole. „Bestien…“, schnarrte er, „Bestien überall. Du wirst zu einer von ihnen werden… früher oder später…“ Was? Was redete der Pater da? Ich würde eine Bestie werden…? „Ich werde das nicht zulassen… Mach dich bereit, deinem Ende entgegen zu blicken!“ In dem Moment, wo ich dem Pater in die blinden Augen starrte und ich sein zu einer Fratze verzerrtes Gesicht sah, wusste ich, was aus Gascoigne geworden war: Eine Bestie. Und sie war bereit, mich zu töten. Kapitel 8: Der Tod ------------------ Gascoigne stürzte auf mich zu. Schnell wich ich aus und ich wusste, ich durfte mich nicht von meiner Angst beherrschen lassen. Im Gegenteil: Ich muss der Herr über sie werden, damit ich die Situation unter Kontrolle bekommen konnte. Wenn ich mich vor Panik nicht bewegen könnte, dann würde Pater Gascoigne mich schneller töten, als mir lieb war… Dabei war ich nicht wirklich auf diesen Kampf vorbereitet. Ich hatte bisher nur ein paar Werwölfe getötet, die Einwohner Yharnams, die mich angegriffen hatten und ein paar Krähen, die mir aufgelauert haben, als ich unter der Brücke hindurch gegangen bin. Aber ich hatte noch nicht gegen einen solchen Gegner wie Pater Gascoigne gekämpft. Und die Kleriker-Bestie?, fragte eine flüsternde Stimme in meinem Kopf. …die Kleriker-Bestie, genau. Aber selbst diese schien im Vergleich zu dem verrückten Pater ein Leichtes gewesen zu sein, denn ich war mir ziemlich sicher, dass dieses Wesen nicht besonders intelligent gewesen ist. Zumindest nicht so intelligent, wie der Pater es war: Jener war ein Jäger, ein Mann, der bereits jahrelang immer wieder Nächte der Jagd mitgemacht hatte. Er war ausgebildet worden, war ein hervorragender Kämpfer, wie ich mit eigenen Augen gesehen hatte, und der Hass, den er auf Bestien verspürte, gab ihm die Kraft, die er benötigte, um immer weiter zu machen, sich nicht allzu leicht besiegen zu lassen… Und gleichzeitig war Gascoigne ein liebender Vater und Ehemann gewesen. Seine Frau hatte ihn wirklich geliebt und ich war mir sicher, würde ich mich mit seinen Kindern unterhalten, dann würden auch sie nur Gutes über ihren Vater sagen, egal, ob er manchmal Anfälle hatte und sie vergaß, oder nicht. Und doch hatte jener Mann eiskalt seine eigene Frau getötet, ohne sie auch nur ansatzweise erkannt zu haben. Das hatte mir den größten Schreck verpasst. Liebe, Sheila, hatte meine Mutter mir einmal gesagt, ist stärker als alles andere auf der Welt. In Yharnam galt dies offensichtlich nicht, das musste ich die letzten Minuten (waren tatsächlich nur Minuten seit Violas Tod vergangen?) feststellen. Pater Gascoigne hatte nichts mehr zurückholen können und jetzt stand ich diesem Monster gegenüber. Seine Axt donnerte direkt neben mir in einen der Grabsteine; ich hörte ein lautes Knacken und jener brach entzwei, so, wie Viola zuvor. Ich schluckte und hielt meinen Dolch fest umklammert, während ich über einen weiteren Grabstein hinweg sprang, um hinter jenem Deckung zu suchen. „Stell dich dem Kampfe!“, brüllte Gascoigne mit entgegen und hob seine Schrotflinte. Gerade noch rechtzeitig bückte ich mich hinter den Grabstein und spürte die Kugeln gegen das Granit hämmern, doch er hielt stand. Doch ich hatte keine Zeit zum Ausatmen, sondern musste schnell handeln. Nicht nachdenken. Zielen und Schießen. Auch, wenn Pater Gascoigne nun nicht besser war als die Werwölfe, die er selbst jagte, so waren mir seine Tipps doch im Gedächtnis geblieben. Schnell schoss ich hinter dem schützenden Grabstein hervor und hob meine Pistole. Ich zielte auf den Pater, der mehrere Meter von mir entfernt stand und drückte ab, verließ mich auf mein Glück… Die Kugeln hätten Pater Gascoigne getroffen, wäre jener nicht zur Seite gesprungen, um der gefährlichen Waffe zu entgehen. Er lachte abfällig und ich hechtete hinter einen weiteren Grabstein, während ich versuchte, mich zu erinnern, ob der Pater irgendeine Schwachstelle besaß. Viola hatte von einer Spieluhr gesprochen, aber sie hatte sie selbst vergessen… und das bedeutete, dass ich den verrückten Jäger ganz ohne Hilfsmittel gegenüber stehen musste. Es war eine Vorstellung, bei der es mir eiskalt den Rücken runterlief, denn ich war bei Weitem nicht so gut im Kämpfen wie Gascoigne, der mir Jahre voraus war. Doch wollte ich einfach hier sitzen bleiben und sterben? Nein… ich war bei der Kleriker-Bestie nicht gestorben und auch bei Pater Gascoigne würde ich es nicht. Der Blick in meinen Augen wurde härter und ich steckte meine Pistole weg und entzweite meinen Dolch. Der Pater war ein großer Mann… für seine Größe war er zwar schnell und wendig, doch nicht so geschickt, wie ich es war. Dank meiner zierlichen Gestalt konnte ich mich besser durch die Grabsteine bewegen, würde mich im Schatten verbergen können und Schutz suchen. In einem direkten Zweikampf würde ich Gascoigne niemals besiegen können, denn ein Schlag seiner Axt würde mich wahrscheinlich direkt töten. Ich musste mit den Nebel und die Dunkelheit zu Nutze machen, musste denken wie ein Meuchelmörder, musste leise sein, mich durch die Nacht schleichen, um den passenden Moment abzuwarten, Pater Gascoigne zu verletzten. …wie eine Krähe. Meine Mundwinkel verzogen sich ein wenig ob des seltsamen Vergleichs, der in meinem Kopf entstanden war und ich setzte vorsichtig einen Fuß nach dem anderen auf. Pater Gascoigne war blind, er musste sich auf sein Gehör und seinen Geruchssinn verlassen, um mich zu finden. „Komm heraus…“, schnurrte der Pater und ich hörte seine Stiefel auf der tiefgefrorenen Erde langsam aufstapfen, während er umherging. Ich schlich weiter, versuchte, den Pater zu umkreisen, um ihn von hinten angreifen zu können. Mein Herz pochte bis zum Hals und ich zwang mich, ruhig zu bleiben, nicht zu überstürzt zu handeln – denn dies würde ebenfalls meinen Tod bedeuten. Durch die Spalte der einzelnen Grabsteine hindurch beobachtete ich Gascoigne, der nun regungslos dastand: Er lauschte. Ich verharrte an meinem Platz und überlegte, ob ich meine Schusswaffe ziehen sollte, um ihn in den Rücken zu schießen, als sich der Pater mit einem Mal umdrehte und auf mich zugestürmt kam. Unmöglich! Ich war doch leise gewesen! Doch augenscheinlich nicht leise genug… Gascoigne war mit einem Satz bei mir und er schwang seine Axt horizontal, als wolle er mir den Kopf mit einer geschmeidigen Bewegung abhacken. Ich duckte mich unter de surrenden Schlag hinweg, dann nutzte ich die Kraft und sprang nach oben, während ich beide Dolche in meinen schwitzigen Händen hochriss. Ich sprang den Pater regelrecht an und rammte ihm beide Dolche in den massigen Brustkorb – sein schwerer Ledermantel hielt das meiste ab und ich war mir sicher, seine Haut nur angekratzt zu haben, trotzdem heulte Gascoigne wütend auf, nahm seine Schrotflinte und zielte damit direkt auf mich. Ich wollte mich noch zur Seite werfen, aber dann hätte ich meine Dolche in seinem Körper stecken lassen müssen. Also versuchte ich, mich fallen zu lassen und hoffte, meine Waffen würden durch mein Gewicht herausgleiten, als ich den brennenden Schmerz in meiner Schulter spürte und gleichzeitig den ohrenbetäubenden Lärm hörte. Ein Schrei verließ meine Lippen und ich rollte auf den Boden; eine Hand lag krampfhaft an der Wunde an meiner Schulter, die Gascoigne mit zugefügt hatte, doch meine Dolche, die hatte ich nicht verloren. Über mir hörte ich Gascoigne lachen. „Du hast noch so viel zu lernen… so viel…“ Ich spürte, wie er sich zu mir herabbeugte. „Eigentlich bist du zu jung zum Sterben… aber du musst… ich werde dich erlösen, von allem, und-“ Der Rest ging in einem fürchterlichen Schrei seinerseits unter, denn ich hatte meinen gesunden Arm gehoben und Gascoigne den Dolch direkt in die Wange gestochen. Der Jäger taumelte zurück, brüllte wie wahnsinnig und hielt sich das Gesicht. Schnell kroch ich von ihm fort und kramte in meiner Tasche nach einer Blutphiole, die ich mir sofort in den Oberschenkel injizierte. Ich spürte die Kraft des Blutes in meinem Körper, spürte, wie sich meine Wunde schloss und ich mich besser fühlte. Der Schmerz verschwand, die frische Energie zum Kämpfen kam und Sekunden später stand ich bereits auf den Beinen. „Ich weiß genug“, knurrte ich Gascoigne an und spuckte vor ihm auf die Füße. Gascoigne knurrte zurück und steckte seine Schrotflinte in den Bund seines Gürtels. Dann nahm er seine Axt in beide Hände, betätigte den Mechanismus und verlängerte ihren Schaft um mindestens das Doppelte. Ich schluckte. Gascoigne mit der einhändigen Axt war schon gefährlich genug. Gascoigne mit der zweihändigen Axt war jedoch der Tod persönlich, denn ich hatte gesehen, wie jener mit ihr umgehen konnte. Gleichzeitig erkannte ich noch, wie sich Gascoigne irgendetwas (eine Tablette?) in den Mund steckte und darauf rumkaute… Ich konnte mir keine Gedanken darüber machen, denn schon stürzte er wieder auf mich zu und dieses Mal entkam ich seiner Axt nur schwer. Die Grabsteine, die sich hinter mir befunden hatten, wurden unter dem heftigen Schlag zertrümmert und ich bekam große Augen, während die Panik in mir stieg. Nein!, befahl ich mir innerlich. Ich musste ruhig bleiben. Ich huschte durch den Nebel, während Gascoigne mir hinterherwetzte; es schien kaum noch ein Hindernis zu geben, das ihm standhalten konnte und notgedrungen verschmolz ich meine beiden Dolche wieder zu einem und holte meine Waffe hervor. Ich war vor Gascoigne weggerannt, doch plötzlich blieb ich stehen und wandte mich um. Der Pater keuchte, ich konnte seinen Atem als weiße Wolken vor seinem Mund sehen, während er einen mächtigen Satz auf mich zu machte. Ich hob die Pistole und schoss. Der Schuss knallte in meinen Ohren und mein gesamter Arm vibrierte, doch dies war nichts im Vergleich zu dem Hohegefühl, das ich verspürte, als der Jäger vor mir zu Boden fiel und einen Schmerzensschrei ausstieß. Ich musste ein wenig lächeln, doch ich wusste, ich durfte mich noch nicht in Sicherheit wiegen: Noch lebte Pater Gascoigne und es schien, als würde er sehr… sehr wütend werden. Ich runzelte ein wenig die Stirn, als Gascoignes Schrei sich in ein gefährliches Knurren verwandelte… sein gesamter Körper zuckte und verkrampfte sich und aus seinen Händen, die er sich vor das Gesicht geschlagen hatte, schienen… Haare zu wachsen. Mir gefror das Blut in den Adern und ich stolperte einen Schritt zurück, als Pater Gascoignes Verwandlung geendet hatte: Vor mir stand kein Mann der Heilenden Kirche, kein Jäger, mehr. Vor mir stand eine Bestie. Ich hatte nicht gewusst, dass sich Jäger auch in Bestien verwandeln konnten, aber anscheinend war es bei Pater Gascoigne schon so weit; er war dem Wahnsinn zu sehr verfallen und das war nun das Ergebnis. Ich befeuchtete mir die Lippen mit meiner Zunge und versuchte, ruhig und klar zu denken. Immerhin hatte ich schon mehrere Bestien bekämpft und gesiegt, doch Pater Gascoigne schien… anders zu sein. Wahrscheinlich, weil er immer noch das Denken eines Jägers in sich hatte, gepaart mit der unmenschlichen Kraft und Schnelligkeit der Werwölfe… Er stürzte auf mich zu. Ich wich aus und schoss noch einmal mit meiner Pistole, doch dieses Mal wich Gascoigne geschickt aus, duckte sich unter meinem Schlag mit dem Dolch hinweg und sprang mich an. Ich spürte Krallen in meinem Gesicht und der Schmerz explodierte augenblicklich in meinem Körper. Ich kreischte auf und versuchte, die Bestie von mir runterzustoßen, vergaß dabei alles, was ich gelernt hatte. Ich wollte nur noch weg. Die Krallen blieben nicht in meinem Gesicht - die Schnitte loderten auf, zogen sich weiter hinab, meinen Hals entlang, bis hin zum Brustkorb. Ich hatte das Gefühl, als wolle Pater Gascoigne mich bei lebendigem Leibe häuten, doch der Schmerz war zu groß, als dass ich mich noch bewegen könnte - stattdessen schrie ich meine Pein in den Nachthimmel hinaus, während die Krallen sich weiterhin tief in mein Fleisch bohrten, die Sehnen und Muskeln zerrissen und sogar ein, oder zwei Knochen brachen.. Ich spürte das Blut über meinen Körper fließen und merkte, dass ich mit jedem Atemzug schwächer wurde. Der Schmerz vernebelte mir meine Sinne, der Blick verschwamm vor meinen Augen und selbst meine Stimme ließ mich im Stich. Ich röchelte, schnappte vergeblichst nach Luft und bekam gar nicht mehr so richtig mit, wie Gascoigne von mir abließ. Die Welt erschien mir, als sei ich in Watte gepackt worden. Langsam wurde das Bild vor meinen Augen schwarz-weiß und die Ränder verdunkelten sich, wurden immer breiter und breiter. Mein Körper schien nur noch aus Schmerz zu bestehen, gleichzeitig spürte ich eine plötzliche, vollkommene Ruhe, so, als sei es gar nicht schlimm, was passiert war. Als sei es schon in Ordnung, denn da draußen gab es jemanden, der mich willkommen heißen würde… Ich starb, das wusste ich. Gascoigne sagte irgendetwas, doch nur ein einziges Wort blieb mir im Gedächtnis, als ich das Bewusstsein verlor und es endgültig schwarz vor meinen Augen wurde: „Umbasa.“ Kapitel 9: Die Geburt --------------------- Schmerz. Überall Schmerz. Er begann im Kopf, wanderte weiter über den Hals und Rücken, zu den Fingerspitzen, in den Magen, die Beine und schließlich die Fußsohlen. Alles tat mir weh, als ich ganz schwach meine blutverklebten Augen öffnete. Mein Atem war schwach, mein Herz drohte, jede Sekunde aufzuhören zu schlagen. Ich wusste nicht, wie lange ich ohnmächtig dagelegen hatte. Doch ich musste wohl tot genug ausgesehen haben, sodass Pater Gascoigne es nicht für nötig gehalten hatte, meinen den Kopf vom Rest des Körpers zu entfernen. Kein Geräusch drang an meine Ohren, zumindest kein Verdächtiges. Ich hörte das leise Rascheln der Blätter des großen Baumes, der in der Mitte vom Grab Oedons stand, das leise Krächzen der Krähen, den Wind, der heulend durch die zerschmetterten Überreste der Grabsteine pfiff... Aber ich hörte keinen Pater Gascoigne und diese Tatsache beruhige mich ungemein. Ich war noch am Leben. Nachdem, was der Pater mit mir angestellt hatte, hatte ich niemals geglaubt, den Himmel wiedersehen zu können, doch nun erschien mit der volle Mond, dessen Licht das gesamte Grab sanft erleuchtete, wie der schönste Anblick, den ich jemals im Leben gesehen hatte. Ich war noch am Leben. Zwar war ich ohnmächtig geworden, doch ich war nicht gestorben. Nein, nicht ganz… Ein ganz kleiner Teil in mir war gestorben, das spürte ich: Der Teil, der Respekt gegenüber den Jägern gehabt hatte. Ich hatte gesehen, was die Jagd aus Jägern machte, hatte einer wirklichen Bestie in das fellbedeckte Gesicht gesehen… Sie waren es, die getötet werden musste. Nicht die harmlosen Bestien wie die Kleriker-Bestie oder die Werwölfe, nein. Ich verstand die Einwohner Yharnams mit ihrem Hass auf uns Jäger. Und gleichzeitig verspürte ich denselben Hass auf mich selbst, denn ich war eine Jägerin und gehörte somit zu dieser unglücksseligen Partei. Ich hatte den gleichen Fluch in mir, wie auch Pater Gascoigne und ja, er hatte Recht: Nicht mehr lange und auch ich würde als Bestie enden. …ich war noch am Leben. Und alleine diese Tatsache bedeutete mir, dass es nicht an der Zeit war, aufzugeben: Ich musste weitermachen. Ich hatte noch ein paar Blutphiolen in meiner Tasche. Stöhnen hob ich eine Hand und tastete nach ihnen, doch es schien mir, als habe ich sie verloren, aber Pater Gascoigne hatte sie mir abgenommen. Wahrscheinlich letzteres, denn auch ein vom Bestientum befallener Jäger benötigte Blutphiolen, um seine Wunden schnell wieder heilen zu lassen. Ich könnte fluchen, aber dafür war mein Mund zu trocken, meine Lippen zu rissig; wenn ich nicht bald eine Blutphiole bekam, dann würde ich tatsächlich noch sterben. Etwas berührte meine Hand. Erschrocken wollte ich sie zurückziehen, doch dann schien es, als erkannte ich diese… seltsam sanfte Berührung. Langsam neigte ich den Kopf und sah einen der kleinen Boten aus dem Traum der Jäger. Er legte mir eine Blutphiole in die Hand, dann gab er ein kleines, ergiebiges Stöhnen von sich, ehe er verschwand. …die Boten erschienen immer dann, wenn man ihre Hilfe benötigte. Und ich sollte sie auch annehmen. Also hob ich schwerfällig meine Hand und richtete die Phiole mit meinen klammen Fingern aus. Es war eine schwierige Arbeit und beinahe verlor ich das kleine Glasfläschchen, doch dann lag sie richtig und ich musste meinen Arm nur schwer hinabsinken lassen, damit sich die Spitze in meinen Oberschenkel bohrte und ich das lebensrettende Blut zu mir nehmen konnte. Es dauerte ein paar Minuten, doch dann war ich soweit wieder hergestellt, dass ich mich zumindest aufrichten konnte. Langsam hob ich meine Hände und berührte mein Gesicht – bisher war ich ohne Narben aus jedem Kampf gekommen, doch noch nie hatte mich jemand so schwer verletzt, wie Pater Gascoigne. Meine Fingerkuppen fühlten sich rau an und zitterten leicht, als ich über die Narben strich, die sich durch die (zu) schnelle Heilung gebildet hatten: Es waren immerhin auch sehr tiefe Wunden gewesen. Die Narben wanderten von meiner rechten Schläfe hinüber zu meinem linken Kiefer (ich konnte von Glück sprechen, dass meine Augen verschont geblieben waren) und liefen in einem dünnen Narbengeflecht am Hals aus. Ich war entstellt – und niemand würde mich wieder herstellen können. Ein Blick an mir herab sagte mir, dass meine Kleidung vollkommen zerrissen und blutverschmiert war; wahrscheinlich würde sie vollständig auseinander fallen, wenn ich mich zu sehr bewegen wurde und zusätzlich mir war entsetzlich kalt. Ich würde neue benötigen… Aber woher? Meine gesamten, fleißig gesammelten Blutechos hatte Pater Gascoigne an sich genommen und ich würde mir keine neue Kleidung leisten können. Also musste ich mir irgendwie selbst behelfen… Aber das war ein Problem, das ich auch noch später angehen konnte. Erst einmal wollte ich wissen, ob der wahnsinnige Pater auch meine Dolche und meine Schusswaffe mitgenommen hatte. Ich sah mich auf dem Friedhof um – noch immer saß ich auf der harten Erde und krallte die Finger in die wenigen Grashalme, als können sie mir Halt geben. Es würde noch Stunden dauern, bis ich mich vollkommen erholt hatte, aber wenigstens schwebte ich nicht mehr in Lebensgefahr. Zu meiner Freude – und großen Überraschung – entdeckte ich meine Waffen nur wenige Meter von mir entfernt. Langsam kroch ich hin und schnappte sie mir. Sofort fühlte ich mich um einiges sicherer und ich lehnte mich gegen einen der noch heilen Grabsteine, drückte die den Dolch und die Pistole an mich, während ich die Beine an den Körper zog. So blieb ich erst einmal eine Weile sitzen. Zumindest so lange, bis ich mir stark genug fühlte, aufzustehen und diesen Ort des Grauens verlassen zu können, denn ich war mir sicher, dass Pater Gascoigne irgendwann zurückkehren wird. Langsam taumelte ich durch den Torbogen, durch den ich das Grab betreten hatte, wieder hinaus auf die Straße. Ich biss die Zähne zusammen, während ich ging, aber mit jedem Schritt spürte ich, dass ich stärker wurde. Der Wind blies mir ins Gesicht und es fröstelte mir; meine Kleidung war durch das getrocknete Blut steif geworden und knatterte um meinen Körper herum, während sich die Nähte immer mehr und mehr lösten. Ich brauchte irgendetwas… Wärmendes, Schützendes. Ich hörte ein tierisches Kreischen und im nächsten Moment fiel etwas auf meinen Rücken. Reflexartig drehte ich mich, sodass der scharfkantige Schnabel sein Ziel verfehlte und stattdessens ins Leere pickte; schwarze Federn stachen mir in das Gesicht, starr und gleichzeitig warm und flauschig… Die Krähe ließ ihr Leben schnell, genau wie die anderen drei, die mich attackieren hatten wollten. Langsam sank ich auf dem Boden nieder; der Kampf hatte mir wieder viel Energie geraubt, Energie, die ich eigentlich brauchte, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich zitterte immer noch und durch den Kampf war mir nur minimal wärmer geworden. Ich starrte lange Zeit auf die Federn der Krähen und wie wärmend sie sich gegen meine Haut gedrückt hatten… Minuten später war ich damit zugange, die Federn auszurupfen. Ich verletzte mich häufig an den Schäften der einzelnen Federn und blutete aus unzähligen, kleinen Wunden, doch nach ungefähr einer halben Stunde hatte ich bereits eine beträchtliche Menge zusammengesammelt. Danach setzte ich mich hin und nahm mir meinen Mantel vor. Ich runzelte kurz die Stirn, dann schnitt ich mit meinem Dolch die ganz schlimmen Stellen weg: Vorne ein wenig, zudem kürzte ich den Mantel ein kleines Stückchen. Beinahe der gesamte Rücken musste rausgeschnitten werden, ebenso die Arme. Im Endeffekt hielt ich nur noch einen Umhang in den Händen, der durch einen schmalen Bund gehalten würde, aber für meine Zwecke würde es reichen. Dann begann ich, die Federn reinzusetzten. Dafür schnitt ich kleine Löcher in den Mantel, steckte eine Feder hinein und band die Fäden, die beim schneiden entstanden waren, wieder zu. Es war nur eine Notlösung und der Mantel würde nicht lange halten… aber vielleicht lange genug, damit ich ein paar Blutechos sammeln konnte, um in den Traum zurückkehren zu können. Um mich dort zu erholen, mich mit neuen Sachen einzudecken… Ja, das klang nach einem Plan. Mehr konnte ich in meiner derzeitigen Situation auch nicht großartig machen. Stunde um Stunde bastelte ich an meinem Mantel. Meine Finger taten weh und mein Dolch wurde ganz stumpf von der Arbeit (ich würde ihn später schärfen müssen), und der Mond rührte sich nicht vom Fleck. Es schien, als würde die Zeit still stehen. Hin und wieder hörte ich in der Ferne eine Bestie kreischen oder ein Tier jaulen, doch ich kümmerte mich nicht darum. Wie apathisch saß ich auf dem Boden und steckte eine Feder nach der anderen in meinen Mantel, bis jener so aussah, vollständig aus den schwarzen Krähenfedern zu bestehen… Während ich arbeitete dachte ich an das zurück, was passiert war. Und ich spürte wieder diesen ungebändigten Hass auf Pater Gascoigne. Oh ja, er war eine Bestie und er verdiente den Tod… und nicht nur er. So wie er konnte jeder Jäger werden… Und niemand würde sie aufhalten, denn warum auch? Sie waren immerhin Jäger und in den Augen vieler Menschen die Retter. Doch das waren sie nicht, nein. Sie waren eine Plage, wie die Bestien selbst, und mussten aufgehalten werden. Ich ignorierte den Gedanken, dass ich selbst ebenfalls eine Jägerin war – und ich weigerte mich zu akzeptieren, dass ich ebenfalls als Bestie enden würde. Das würde ich nicht, denn ich hatte einem Bestienjäger gegenüber gestanden. Und in dem Moment, wo ich in Gascoignes felliges Gesicht mit der Schnauze und den zwei Reihen spitzer Zähne geblickt hatte, hatte ich mir geschworen, dies bei mir selbst niemals im Leben zuzulassen. Ich besaß meine äußerlichen Narben, doch mit denen würde ich leben können. Aber meine inneren Wunden, die schon bald zu Narben werden würden, die würden noch viel tiefer gehen als die in meinem Gesicht. Und sie würden niemals wirklich verheilen, sondern immer wieder aufreißen, solange ich meine Rache nicht bekommen hatte: Die Jäger waren es, die gejagt werden mussten. Langsam ließ ich meinen fast fertigen Mantel sinken. Inzwischen fühlte ich mich eindeutig besser und auch der Schmerz verging mit jeder Minute. Ich dachte an den Anfang zurück, wie alles begonnen hatte: Mit diesem einen Vertrag. Ich hatte ihn bereitwillig unterschrieben, nur, um anschließend zu dieser Pest von Jägern zu gehören. Ich hatte diesen Vertrag mit meinem eigenen Namen unterschrieben… Ich weiß, dass ich gemeint habe, dass ein kleiner Teil von mir beim Kampf von Pater Gascoigne tatsächlich gestorben war. Und das stimmte auch, denn Sheila, die Jägerin, gab es nicht mehr. Ich wollte keine Jägerin sein… Zumindest keine, wie man es sich vorstellte. Ich nahm einen kleinen, knorrigen Ast in die Hand und ritzte die Buchstaben meines Namens in ein Stück weicher Erde. Sheila. Dann wischte ich das S, das H und das A weg. Eil. Mh… So ganz zufrieden war ich noch nicht. Ich starrte auf die drei Buchstaben und musste unwillkürlich an meine Mutter denken. Sie hatte mich geliebt, genauso, wie ich sie geliebt hatte. Ich dachte oft an die Sachen zurück, die sie mir gesagt hatte, denn häufig waren es schöne Erinnerungen. Sie war ein Mensch, dem ich vertraut hatte, doch dann war sie gestorben und ich hatte alleine klar kommen müssen, doch ohne ihre Stimme, die ich so gut im Gedächtnis behalten konnte, wäre ich niemals so weit gekommen, wie jetzt. Sie hatte Marleen geheißen. „Willkommen zurück, werte Jägerin.“ Die Puppe begrüßte mich auf ihre übliche Art und Weise – ihre Stimme war so sanft und lieb wie immer und ich spürte die Wärme, die von ihr ausging. Ich fühlte mich wohl. Die kleinen Boten begrüßten mich und neigten ihre Köpfe vor mir, als ich langsam die Stufen zu dem kleinen Häuschen im Traum des Jägers hochging. Wie immer saß Gehrmann auf seinem Rollstuhl und er hob den Kopf, blickte mich an. Irrte ich mich, oder weiteten sich seine Augen gar ein Stückchen, als er mich sah? „…Ihr habt… Euch verändert…“, bemerkte er und stützte sich auf seinem Stock ab. „Menschen verändern sich während der Jagd“, antwortete ich und meine Stimme klang gedämpft, dank der Maske, die ich aus dem Schädel einer der getöteten Krähen hergestellt hatte – niemand sollte mein Gesicht sehen. Niemand sollte sehen, was Pater Gascoigne mit mir angerichtet hatte. „Entweder sie bricht einen… oder sie macht einen nur noch stärker.“ Ich trat an die Werkstatt heran und begann damit, meinen Dolch mit langsamen, schwungvollen Bewegungen zu schärfen. Die Federn an meinem Mantel raschelten ungewohnt, dich sie wärmten mich und an das beständige, leise Geräusch würde ich mich bestimmt rasch gewöhnen. Während ich meinen Dolch schärfte, dachte ich an Pater Gascoigne und daran, wie ich ihn töten werde. Töten für das, was er mir angetan hatte. Ich werde ihm von seinem Leid befreien und andere Jäger vor ihm schützen – Jäger, die, wie ich, erkannt haben, wer der wahre Feind in Yharnam war. Nachdem ich meinen Klinge der Gnade geschärft, meine Silberkugeln aufgefrischt und mir neue Blutphiolen gekauft hatte, wollte ich schon wieder gehen, als mich die Puppe aufhielt: „Ihr seid jemand anders.“ Ich schwieg zuerst, doch dann antwortete ich: „Das stimmt.“ „Und wer seid Ihr nun?“, wollte die Puppe mit sanfter Stimme wissen. Ich schlug die Augen nieder – ich hatte den Fluch immer noch in mir, konnte immer wieder in den Traum des Jägers zurückgehen, doch ich wusste, dies hier würde mein letzter Besuch sein. Ich verachtete die Jäger, warum sollte ich dann den Traum nutzen? Das wäre die reinste Ironie und ich ballte meine Hände leicht zu Fäusten, als ich zu der Puppe mit leiser Stimme sagte: „…Ich bin Eileen, die Krähe. Jägerin der Jäger.“ Und mit diesen Worten setzte ich mich an den Grabstein, der mich zurück an den Ort brachte, wo ich hin wollte. An den Ort, wo ich meine Rache hoffentlich bald ausüben würde können: Dem Grab Oedons. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)