Die Nacht der Krähe von Phinxie (Phinxies Bloodborne Lores) ================================================================================ Kapitel 9: Die Geburt --------------------- Schmerz. Überall Schmerz. Er begann im Kopf, wanderte weiter über den Hals und Rücken, zu den Fingerspitzen, in den Magen, die Beine und schließlich die Fußsohlen. Alles tat mir weh, als ich ganz schwach meine blutverklebten Augen öffnete. Mein Atem war schwach, mein Herz drohte, jede Sekunde aufzuhören zu schlagen. Ich wusste nicht, wie lange ich ohnmächtig dagelegen hatte. Doch ich musste wohl tot genug ausgesehen haben, sodass Pater Gascoigne es nicht für nötig gehalten hatte, meinen den Kopf vom Rest des Körpers zu entfernen. Kein Geräusch drang an meine Ohren, zumindest kein Verdächtiges. Ich hörte das leise Rascheln der Blätter des großen Baumes, der in der Mitte vom Grab Oedons stand, das leise Krächzen der Krähen, den Wind, der heulend durch die zerschmetterten Überreste der Grabsteine pfiff... Aber ich hörte keinen Pater Gascoigne und diese Tatsache beruhige mich ungemein. Ich war noch am Leben. Nachdem, was der Pater mit mir angestellt hatte, hatte ich niemals geglaubt, den Himmel wiedersehen zu können, doch nun erschien mit der volle Mond, dessen Licht das gesamte Grab sanft erleuchtete, wie der schönste Anblick, den ich jemals im Leben gesehen hatte. Ich war noch am Leben. Zwar war ich ohnmächtig geworden, doch ich war nicht gestorben. Nein, nicht ganz… Ein ganz kleiner Teil in mir war gestorben, das spürte ich: Der Teil, der Respekt gegenüber den Jägern gehabt hatte. Ich hatte gesehen, was die Jagd aus Jägern machte, hatte einer wirklichen Bestie in das fellbedeckte Gesicht gesehen… Sie waren es, die getötet werden musste. Nicht die harmlosen Bestien wie die Kleriker-Bestie oder die Werwölfe, nein. Ich verstand die Einwohner Yharnams mit ihrem Hass auf uns Jäger. Und gleichzeitig verspürte ich denselben Hass auf mich selbst, denn ich war eine Jägerin und gehörte somit zu dieser unglücksseligen Partei. Ich hatte den gleichen Fluch in mir, wie auch Pater Gascoigne und ja, er hatte Recht: Nicht mehr lange und auch ich würde als Bestie enden. …ich war noch am Leben. Und alleine diese Tatsache bedeutete mir, dass es nicht an der Zeit war, aufzugeben: Ich musste weitermachen. Ich hatte noch ein paar Blutphiolen in meiner Tasche. Stöhnen hob ich eine Hand und tastete nach ihnen, doch es schien mir, als habe ich sie verloren, aber Pater Gascoigne hatte sie mir abgenommen. Wahrscheinlich letzteres, denn auch ein vom Bestientum befallener Jäger benötigte Blutphiolen, um seine Wunden schnell wieder heilen zu lassen. Ich könnte fluchen, aber dafür war mein Mund zu trocken, meine Lippen zu rissig; wenn ich nicht bald eine Blutphiole bekam, dann würde ich tatsächlich noch sterben. Etwas berührte meine Hand. Erschrocken wollte ich sie zurückziehen, doch dann schien es, als erkannte ich diese… seltsam sanfte Berührung. Langsam neigte ich den Kopf und sah einen der kleinen Boten aus dem Traum der Jäger. Er legte mir eine Blutphiole in die Hand, dann gab er ein kleines, ergiebiges Stöhnen von sich, ehe er verschwand. …die Boten erschienen immer dann, wenn man ihre Hilfe benötigte. Und ich sollte sie auch annehmen. Also hob ich schwerfällig meine Hand und richtete die Phiole mit meinen klammen Fingern aus. Es war eine schwierige Arbeit und beinahe verlor ich das kleine Glasfläschchen, doch dann lag sie richtig und ich musste meinen Arm nur schwer hinabsinken lassen, damit sich die Spitze in meinen Oberschenkel bohrte und ich das lebensrettende Blut zu mir nehmen konnte. Es dauerte ein paar Minuten, doch dann war ich soweit wieder hergestellt, dass ich mich zumindest aufrichten konnte. Langsam hob ich meine Hände und berührte mein Gesicht – bisher war ich ohne Narben aus jedem Kampf gekommen, doch noch nie hatte mich jemand so schwer verletzt, wie Pater Gascoigne. Meine Fingerkuppen fühlten sich rau an und zitterten leicht, als ich über die Narben strich, die sich durch die (zu) schnelle Heilung gebildet hatten: Es waren immerhin auch sehr tiefe Wunden gewesen. Die Narben wanderten von meiner rechten Schläfe hinüber zu meinem linken Kiefer (ich konnte von Glück sprechen, dass meine Augen verschont geblieben waren) und liefen in einem dünnen Narbengeflecht am Hals aus. Ich war entstellt – und niemand würde mich wieder herstellen können. Ein Blick an mir herab sagte mir, dass meine Kleidung vollkommen zerrissen und blutverschmiert war; wahrscheinlich würde sie vollständig auseinander fallen, wenn ich mich zu sehr bewegen wurde und zusätzlich mir war entsetzlich kalt. Ich würde neue benötigen… Aber woher? Meine gesamten, fleißig gesammelten Blutechos hatte Pater Gascoigne an sich genommen und ich würde mir keine neue Kleidung leisten können. Also musste ich mir irgendwie selbst behelfen… Aber das war ein Problem, das ich auch noch später angehen konnte. Erst einmal wollte ich wissen, ob der wahnsinnige Pater auch meine Dolche und meine Schusswaffe mitgenommen hatte. Ich sah mich auf dem Friedhof um – noch immer saß ich auf der harten Erde und krallte die Finger in die wenigen Grashalme, als können sie mir Halt geben. Es würde noch Stunden dauern, bis ich mich vollkommen erholt hatte, aber wenigstens schwebte ich nicht mehr in Lebensgefahr. Zu meiner Freude – und großen Überraschung – entdeckte ich meine Waffen nur wenige Meter von mir entfernt. Langsam kroch ich hin und schnappte sie mir. Sofort fühlte ich mich um einiges sicherer und ich lehnte mich gegen einen der noch heilen Grabsteine, drückte die den Dolch und die Pistole an mich, während ich die Beine an den Körper zog. So blieb ich erst einmal eine Weile sitzen. Zumindest so lange, bis ich mir stark genug fühlte, aufzustehen und diesen Ort des Grauens verlassen zu können, denn ich war mir sicher, dass Pater Gascoigne irgendwann zurückkehren wird. Langsam taumelte ich durch den Torbogen, durch den ich das Grab betreten hatte, wieder hinaus auf die Straße. Ich biss die Zähne zusammen, während ich ging, aber mit jedem Schritt spürte ich, dass ich stärker wurde. Der Wind blies mir ins Gesicht und es fröstelte mir; meine Kleidung war durch das getrocknete Blut steif geworden und knatterte um meinen Körper herum, während sich die Nähte immer mehr und mehr lösten. Ich brauchte irgendetwas… Wärmendes, Schützendes. Ich hörte ein tierisches Kreischen und im nächsten Moment fiel etwas auf meinen Rücken. Reflexartig drehte ich mich, sodass der scharfkantige Schnabel sein Ziel verfehlte und stattdessens ins Leere pickte; schwarze Federn stachen mir in das Gesicht, starr und gleichzeitig warm und flauschig… Die Krähe ließ ihr Leben schnell, genau wie die anderen drei, die mich attackieren hatten wollten. Langsam sank ich auf dem Boden nieder; der Kampf hatte mir wieder viel Energie geraubt, Energie, die ich eigentlich brauchte, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich zitterte immer noch und durch den Kampf war mir nur minimal wärmer geworden. Ich starrte lange Zeit auf die Federn der Krähen und wie wärmend sie sich gegen meine Haut gedrückt hatten… Minuten später war ich damit zugange, die Federn auszurupfen. Ich verletzte mich häufig an den Schäften der einzelnen Federn und blutete aus unzähligen, kleinen Wunden, doch nach ungefähr einer halben Stunde hatte ich bereits eine beträchtliche Menge zusammengesammelt. Danach setzte ich mich hin und nahm mir meinen Mantel vor. Ich runzelte kurz die Stirn, dann schnitt ich mit meinem Dolch die ganz schlimmen Stellen weg: Vorne ein wenig, zudem kürzte ich den Mantel ein kleines Stückchen. Beinahe der gesamte Rücken musste rausgeschnitten werden, ebenso die Arme. Im Endeffekt hielt ich nur noch einen Umhang in den Händen, der durch einen schmalen Bund gehalten würde, aber für meine Zwecke würde es reichen. Dann begann ich, die Federn reinzusetzten. Dafür schnitt ich kleine Löcher in den Mantel, steckte eine Feder hinein und band die Fäden, die beim schneiden entstanden waren, wieder zu. Es war nur eine Notlösung und der Mantel würde nicht lange halten… aber vielleicht lange genug, damit ich ein paar Blutechos sammeln konnte, um in den Traum zurückkehren zu können. Um mich dort zu erholen, mich mit neuen Sachen einzudecken… Ja, das klang nach einem Plan. Mehr konnte ich in meiner derzeitigen Situation auch nicht großartig machen. Stunde um Stunde bastelte ich an meinem Mantel. Meine Finger taten weh und mein Dolch wurde ganz stumpf von der Arbeit (ich würde ihn später schärfen müssen), und der Mond rührte sich nicht vom Fleck. Es schien, als würde die Zeit still stehen. Hin und wieder hörte ich in der Ferne eine Bestie kreischen oder ein Tier jaulen, doch ich kümmerte mich nicht darum. Wie apathisch saß ich auf dem Boden und steckte eine Feder nach der anderen in meinen Mantel, bis jener so aussah, vollständig aus den schwarzen Krähenfedern zu bestehen… Während ich arbeitete dachte ich an das zurück, was passiert war. Und ich spürte wieder diesen ungebändigten Hass auf Pater Gascoigne. Oh ja, er war eine Bestie und er verdiente den Tod… und nicht nur er. So wie er konnte jeder Jäger werden… Und niemand würde sie aufhalten, denn warum auch? Sie waren immerhin Jäger und in den Augen vieler Menschen die Retter. Doch das waren sie nicht, nein. Sie waren eine Plage, wie die Bestien selbst, und mussten aufgehalten werden. Ich ignorierte den Gedanken, dass ich selbst ebenfalls eine Jägerin war – und ich weigerte mich zu akzeptieren, dass ich ebenfalls als Bestie enden würde. Das würde ich nicht, denn ich hatte einem Bestienjäger gegenüber gestanden. Und in dem Moment, wo ich in Gascoignes felliges Gesicht mit der Schnauze und den zwei Reihen spitzer Zähne geblickt hatte, hatte ich mir geschworen, dies bei mir selbst niemals im Leben zuzulassen. Ich besaß meine äußerlichen Narben, doch mit denen würde ich leben können. Aber meine inneren Wunden, die schon bald zu Narben werden würden, die würden noch viel tiefer gehen als die in meinem Gesicht. Und sie würden niemals wirklich verheilen, sondern immer wieder aufreißen, solange ich meine Rache nicht bekommen hatte: Die Jäger waren es, die gejagt werden mussten. Langsam ließ ich meinen fast fertigen Mantel sinken. Inzwischen fühlte ich mich eindeutig besser und auch der Schmerz verging mit jeder Minute. Ich dachte an den Anfang zurück, wie alles begonnen hatte: Mit diesem einen Vertrag. Ich hatte ihn bereitwillig unterschrieben, nur, um anschließend zu dieser Pest von Jägern zu gehören. Ich hatte diesen Vertrag mit meinem eigenen Namen unterschrieben… Ich weiß, dass ich gemeint habe, dass ein kleiner Teil von mir beim Kampf von Pater Gascoigne tatsächlich gestorben war. Und das stimmte auch, denn Sheila, die Jägerin, gab es nicht mehr. Ich wollte keine Jägerin sein… Zumindest keine, wie man es sich vorstellte. Ich nahm einen kleinen, knorrigen Ast in die Hand und ritzte die Buchstaben meines Namens in ein Stück weicher Erde. Sheila. Dann wischte ich das S, das H und das A weg. Eil. Mh… So ganz zufrieden war ich noch nicht. Ich starrte auf die drei Buchstaben und musste unwillkürlich an meine Mutter denken. Sie hatte mich geliebt, genauso, wie ich sie geliebt hatte. Ich dachte oft an die Sachen zurück, die sie mir gesagt hatte, denn häufig waren es schöne Erinnerungen. Sie war ein Mensch, dem ich vertraut hatte, doch dann war sie gestorben und ich hatte alleine klar kommen müssen, doch ohne ihre Stimme, die ich so gut im Gedächtnis behalten konnte, wäre ich niemals so weit gekommen, wie jetzt. Sie hatte Marleen geheißen. „Willkommen zurück, werte Jägerin.“ Die Puppe begrüßte mich auf ihre übliche Art und Weise – ihre Stimme war so sanft und lieb wie immer und ich spürte die Wärme, die von ihr ausging. Ich fühlte mich wohl. Die kleinen Boten begrüßten mich und neigten ihre Köpfe vor mir, als ich langsam die Stufen zu dem kleinen Häuschen im Traum des Jägers hochging. Wie immer saß Gehrmann auf seinem Rollstuhl und er hob den Kopf, blickte mich an. Irrte ich mich, oder weiteten sich seine Augen gar ein Stückchen, als er mich sah? „…Ihr habt… Euch verändert…“, bemerkte er und stützte sich auf seinem Stock ab. „Menschen verändern sich während der Jagd“, antwortete ich und meine Stimme klang gedämpft, dank der Maske, die ich aus dem Schädel einer der getöteten Krähen hergestellt hatte – niemand sollte mein Gesicht sehen. Niemand sollte sehen, was Pater Gascoigne mit mir angerichtet hatte. „Entweder sie bricht einen… oder sie macht einen nur noch stärker.“ Ich trat an die Werkstatt heran und begann damit, meinen Dolch mit langsamen, schwungvollen Bewegungen zu schärfen. Die Federn an meinem Mantel raschelten ungewohnt, dich sie wärmten mich und an das beständige, leise Geräusch würde ich mich bestimmt rasch gewöhnen. Während ich meinen Dolch schärfte, dachte ich an Pater Gascoigne und daran, wie ich ihn töten werde. Töten für das, was er mir angetan hatte. Ich werde ihm von seinem Leid befreien und andere Jäger vor ihm schützen – Jäger, die, wie ich, erkannt haben, wer der wahre Feind in Yharnam war. Nachdem ich meinen Klinge der Gnade geschärft, meine Silberkugeln aufgefrischt und mir neue Blutphiolen gekauft hatte, wollte ich schon wieder gehen, als mich die Puppe aufhielt: „Ihr seid jemand anders.“ Ich schwieg zuerst, doch dann antwortete ich: „Das stimmt.“ „Und wer seid Ihr nun?“, wollte die Puppe mit sanfter Stimme wissen. Ich schlug die Augen nieder – ich hatte den Fluch immer noch in mir, konnte immer wieder in den Traum des Jägers zurückgehen, doch ich wusste, dies hier würde mein letzter Besuch sein. Ich verachtete die Jäger, warum sollte ich dann den Traum nutzen? Das wäre die reinste Ironie und ich ballte meine Hände leicht zu Fäusten, als ich zu der Puppe mit leiser Stimme sagte: „…Ich bin Eileen, die Krähe. Jägerin der Jäger.“ Und mit diesen Worten setzte ich mich an den Grabstein, der mich zurück an den Ort brachte, wo ich hin wollte. An den Ort, wo ich meine Rache hoffentlich bald ausüben würde können: Dem Grab Oedons. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)