Die Nacht der Krähe von Phinxie (Phinxies Bloodborne Lores) ================================================================================ Kapitel 5: Der Traum des Jägers ------------------------------- Ich wachte auf und fühlte mich… freier. Erleichterter. So, als ob ich Zuhause angekommen war. Und als ich die Augen öffnete, erkannte ich einen bewölkten Himmel und den großen, runden Mond, der friedlich auf mich hinabstrahlte. Ich hörte das leise Rauschen von Gras und Bäumen in der Nähe, das leise Plätschern von Wasser. Unter mir konnte ich die rauen, harten Pflastersteine spüren, auf denen ich lag und ich atmete ruhig und entspannt, so, als ob mein Körper wissen würde, in Sicherheit zu sein. War ist gestorben? Das letzte, woran ich mich erinnern konnte war, dass ich gegen diese… Bestie gekämpft hatte. Diese schwarze Bestie mit rot glühenden Augen und langem, zotteligen Fell – es war ein grausamer Kampf gewesen und danach war meine Kleidung mehr rot als alles andere gewesen. Und dann? Was war dann passiert? Ich kniff die Augen zusammen, versuchte, mich zu erinnern, aber ich schaffte es nicht. Und dieser Ort hier war so friedsam, dass ich auch keine Lust dazu verspürte, ihn wieder zu verlassen – selbst, wenn es mir möglich wäre. Ja, vielleicht war ich doch noch gestorben und dies hier war der Himmel, von dem meine Mutter mir manchmal erzählt hatte. Wo all die guten Menschen hinkamen, wenn ihr Leben verwirkt war. …ich war kein guter Mensch. Ich hatte einen anderen getöteten und in gewisser Hinsicht seine Aufgabe, der er hinterhergejagt hat, gestohlen und hatte dieses Schicksal selbst auf mich genommen. …wenn ich es recht bedachte, dann hatte ich den armen Mann vielleicht sogar gerettet, wenn ich daran dachte, was ich in den letzten Stunden erlebt hatte. „Ihr seid wach. Das ist sehr schön.“ Erschrocken richtete ich mich kerzengerade auf und mein Kopf drehte sich sofort in die Richtung, aus der diese… wunderschöne, sanfte Stimme gekommen war. Auf einer kleinen Mauer saß eine… Frau? Ihre Haut war porzellanweiß und sie trug alte, doch saubere Kleidung. Sie erinnerten ein wenig an eine Puppe, mit dem Korsett, dem Rock, dem Umhang mit den Fransen und den wunderschönen Stickereien drauf, dem Hut mit den Rosen… Sie blickte mich recht ausdruckslos an, doch wirkte auf gar keinen Fall feindselig. Bei ihr musste man sich wohl fühlen und langsam stand ich auf und klopfte mir ein wenig Staub von meiner Kleidung. Neugierig blickte ich die Frau an und fragte: „…wer seid Ihr?“ „Ich bin die Puppe. Ich helfe Euch, stärker zu werden.“ Langsam trat ich ein paar Schritte auf sie zu. Die… Puppe? Eine lebendige Puppe? Ich trat ein wenig näher an sie heran und bewunderte die aufwendigen Stickereien auf ihrem Umhang. Sie sagte nichts weiter mehr, sondern blickte mich ausdruckslos an – ein wunderschönes Gesicht hatte sie, in der Tat. Langsam wandte ich den Blick ab und sah mich um. Die Puppe stand an einer Treppe, die zu einem Holzhaus führte und überall konnte ich Bäume, Gras und Grabsteine sehen. Die Grabsteine waren einen Weg entlang aufgereiht und an einem von ihnen saßen die kleinen Monster, die mich zu verfolgen schienen. In der Ferne, hinter einem Zaun, der das Gebiet wohl abgrenzte, konnte ich nichts anderes als Nebel und hoch in den Himmel ragende Steinsäulen erkennen… „Wo bin ich hier?“, fragte ich vorsichtig. „Ihr seid im Traum der Jäger“, antwortete mir die Puppe sofort. „Der Traum der Jäger?“, wiederholte ich stirnrunzelnd. „Heißt das, hier kommen noch mehr Jäger hin?“ Die Aussicht darauf, Pater Gascoigne hier an diesem idyllischen Ort zu treffen, machte mich nervös, doch die Puppe meinte mit ruhiger Stimme: „Jeder Jäger hat seinen eigenen Traum. Ihr könnt Euch hier ausruhen, Euch stärken, Eure Waffen verbessern… Die Zeit steht hier still und niemand wird Euch stören.“ Ein beruhigender Gedanke. „…stärker werden?“, hörte ich mich fragen. „Wie?“ „Die Blutechos in Euch geben Euch Kraft.“ Blutechos. Noch ein Wort, das ich niemals im Leben zuvor gehört hatte. „Blutechos?“ „Indem Ihr Eure Feinde tötete, gehen ihre Echos auf Euch über – und ich helfe Euch, sie zu nutzen, damit Ihr stärker werden könnt“, erklärte die Puppe mit geduldiger Stimme – ich fragte mich, ob man sie auch aufregen konnte, doch als ich mir das ausdruckslose Gesicht ansah, verwarf ich den Gedanken wieder schnell: Diese… Person wird man wohl nie verärgern können. Langsam wandte ich den Blick von der Umgebung ab und trat auf einen der Grabsteine zu, der nicht von den Boten besetzt war. „Was bedeuten sie?“, wollte ich wissen. „Sie lassen Euch wieder erwachen“, meinte die Puppe und trat langsam neben mich – und obwohl sie nur eine ‚Puppe‘ war, überragte sie mich um mindestens einen Kopf. „In der richtigen Welt. Ihr müsst Euch nur stark genug konzentrieren.“ Ich schluckte. Ich war also nicht ‘tot‘, sondern befand mich in einer Traumwelt, die ich jederzeit wieder verlassen konnte. Das war schon mal… ein beruhigender Gedanke. Oder vielleicht auch nicht – immerhin hatte ich meine Träume noch nie steuern können. Wobei ich mich fragte, ob dies wirklich ein ‘normaler‘ Traum war oder nicht… „Wenn ich erwache, kann ich dann wieder hierhin kommen?“, wollte ich wissen. „Natürlich. Immer, wenn Ihr schlaft, werdet Ihr zurückkehren.“ Ich runzelte die Stirn und wandte mich von dem Grabstein wieder ab, ging langsam auf die Treppenstufen zu. Die Puppe folgte mir mit leisen Schritten, die ich kaum hörte. Ich mochte ihre Gesellschaft und könnte mir ihre Stimme den ganzen Tag lang anhören – sie hatte etwas Beruhigendes an sich. „Und das Haus?“, wollte ich wissen. „Was hat es damit auf sich?“ „In diesem Haus könnt Ihr Eure Waffen stärken“, meinte die Puppe und blieb unten an der Treppe stehen, während ich schon ein wenig hochgegangen war. Ich wandte mich neugierig zu ihr um. „…das heißt, ich kann meinen Dolch verstärken?“ „Ich weiß darüber nicht viel, werte Jägerin. Gehrmann kann Euch mehr dazu erzählen.“ Die Puppe sah mich weiterhin ausdrucklos an und ich stutzte. „…Gehrmann?“, fragte ich, leicht verunsichert. Es war also doch noch jemand hier in… naja, ‘meinem‘ Traum? Ich dachte, ich wäre die einzige, die ihn betreten könne...! „Ja. Gehrmann, der Erste Jäger“, antwortete die Puppe mir und faltete ihre Hände. „Er möchte bestimmt gerne mit Euch sprechen. Er wartet im Haus auf Euch. Geht nur zu ihm.“ Die Puppe wandte sich ab und spazierte den Weg entlang. Ich sah ihr noch eine Weile hinterher, dann blickte ich wieder in Richtung des Einganges des Hauses. Langsam stieg ich die restlichen Stufen hoch und betrat das Haus, sah mich aufmerksam um. Das erste, was mir auffiel, waren die vielen Bücher, die sich überall stapelten – in Ecken auf dem Boden, in Regalen… überall. Alte Bücher, bei denen man Angst hatte, dass sie zu Staub zerfallen würden, wenn man sie in die Hand nähme. Das zweite, was mir auffiel, war der Altar, der sich im hinteren Drittel des Raumes befand, und der erleuchtet war von Kerzen – genauso wie ein Tisch, der links an der Wand stand, und auf dem sich viel Werkzeug befand, dessen Benutzung ich noch nicht kannte. Und dann war da… Gehrmann, wie ich annahm: Ein alter Mann, der in der Mitte des Hauses saß; er trug alte Kleidung, die wahrscheinlich Jägerkleidung war, hatte einen Hut mit breiter Krempe und saß in einem alten, viktorianischen Rollstuhl und seine Hände hielten einen alten Spazierstock. Er sah mich an und ich trat vorsichtig einen Schritt näher. War Gehrmann… tot? Oder die Illusion eines Bildes? Oder war er so etwas wie die Puppe? Diese ganzen Fragen brannten mir auf der Zunge, aber ich traute mich nicht, auch nur eine einzige davon zu stellen. Die Puppe hatte Gehrmann als den ‘Ersten Jäger‘ bezeichnet… ob er wirklich der erste Jäger von allem war? So ganz wollte ich das nicht glauben, aber es schien, als verdiene der alte Mann Respekt. Gehrmann regte sich und blickte mich direkt an. Er keuchte ein wenig und atmete schwer – wie alt war er nur bloß? – dann öffnete er den Mund und meinte mit gebrechlicher, aber klarer Stimme: „Ah… Ihr müsst die neue Jägerin sein…“ Ich blieb ein paar Schritte vor ihm stehen und nickte. „Willkommen im Traum der Jäger… Die Puppe habt Ihr ja schon kennen gelernt. Ich bin Gehrmann – Freund der Jäger.“ „Sheila“, stellte ich mich vor und linste vorsichtig an Gehrmann vorbei zu dem anderen Eingang des Hauses – dieses Mal konnte ich keine Treppenstufen erkennen und mir wurde klar, wie Gehrmann hier hoch gekommen war – ich hatte mich anfangs wegen dem Rollstuhl schon gefragt, ob er die ganze Zeit hier sitzen würde, oder ob er, wie die Puppe, sich auch an anderen Orten in diesem Traum aufhalten würde. „Das alles ist verwirrend…“, meinte Gehrmann und schnappte nach Luft. Ich wandte mich ihm wieder zu und fragte mich, ob ich ihm helfen sollte, aber dann beruhigte sich der alte Mann auch schon wieder und hustete ein wenig. …er sah wirklich sehr gebrechlich aus. Gehrmann musste uralt sein. „Aber Ihr solltet nicht zu viel darüber nachdenken…“ Es schien mir, als wäre dies der einzige gute Rat, den ich bisher gehört hatte: Denke nicht zu viel darüber nach, sondern handle einfach. …so etwas ähnliches hatte Pater Gascoigne zu mir ja auch gesagt. Zielen und Schießen. Nicht nachdenken, handeln. Vielleicht sollte ich ihn wirklich beherzigen. „Tötet einfach ein paar Bestien. Das reicht für den Anfang.“ Daraufhin verzogen sich meine Mundwinkel tatsächlich zu einem kleinen Schmunzeln. Bestien töten klang einfacher, als gedacht… ich streichelte mit einer Hand abwesend den Griff meines Dolches und meinte: „Ich habe bereits eine Bestie getötet.“ Gehrmann reagierte darauf zuerst nicht, doch dann nickte er langsam: „Ja… das habe ich mir schon fast gedacht… Ihr könnt mit der Puppe sprechen…“ Ich runzelte die Stirn. …warum hätte ich nicht mit der Puppe sprechen sollen? Gehrmann musterte meinen verwirrten Gesichtsausdruck und er kicherte ein wenig: „Ihr müsst noch so viel lernen, junge Jägerin…“ Damit hatte er Recht. Und ich sollte auch nicht zu viel darüber nachdenken. Langsam ging ich zu dem Tisch mit den Werkzeugen und nahm stirnrunzelnd eines in die Hand, das wie eine Zange aussah. „Manche Jäger…“, erklang Gehrmanns Stimme hinter mir, „konnten ihre Waffen verstärken. Mit Scherben und Edelsteinen… Doch die Kunst ist schon vor langer Zeit verloren gegangen… Ohne das richtige Werkzeug, kann kein Jäger seine Waffen mit Edelsteinen verstärken.“ „…und wo finde ich dieses Werkzeug?“, wollte ich wissen. Nicht nachdenken. Ich würde noch herausfinden, was es mit den Edelsteinen und Scherben auf sich hatte, ganz sicher. „Das weiß ich nicht…“ Gehrmann hustete wieder und umklammerte seinen alten Gehstock ein wenig fester. „Aber Ihr werdet es finden. Ihr müsst nur genügend Geduld haben…“ Ich trat wieder vor ihm und wollte etwas fragen, irgendetwas, aber mir fiel beim besten Willen keine gute Frage ein. Gehrmann hob eine knochige Hand und deutete nach draußen: „Eure Einsicht wird nach und nach kommen… Ihr werdet stärker werden und Euch als Jägerin behaupten können… Aber dafür müsst Ihr auch wieder erwachen… Und wenn Ihr schlaft, dann kehrt Ihr zurück… Dieser Traum, wir Euer Zuhause werden…“ Ich schluckte, als Gehrmann die Hand wieder runternahm, nickte aber dennoch. „…Danke“, hauchte ich und wandte dem alten Mann den Rücken zu. Das Gespräch war… seltsam gewesen, einseitig. Und doch schien es mir, als würde ich mehr verstehen, als jemals zuvor. Ich hatte Yharnam-Blut in mir, ich war eine Jägerin. Und Jäger töteten Bestien… Und genau dies schien auch meine Bestimmung zu sein. Eine Bestimmung, der ich nicht einfach so den Rücken kehren konnte – ich konnte nicht weglaufen… So, wie ich früher immer weggelaufen war. Pater Gascoigne hatte Recht gehabt: Ich hatte den Fluch auf mich genommen und jetzt muss ich ihn auch nutzen. Was genau dieser Fluch war, wusste ich nicht, aber… Die Einsicht wird kommen, hatte Gehrmann gesagt. Ich ging die Treppenstufen runter und entdeckte die Puppe unweit von mir stehen und eine Blume begutachten. Langsam trat ich auf sie zu und sofort wandte sie sich mir zu: „Werte Jägerin, was kann ich für Euch tun?“ Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und schluckte einmal. Dann sagte ich: „…ich möchte stärker werden. Und Ihr sagtet, Ihr könnt mir dabei helfen.“ „So soll es geschehen“, sagte die Puppe und sah zu mir hoch – ihre Augen waren wunderschön. Sie beugte sich vor und nahm meine Hand in ihre, während sie sich langsam hinkniete. „Schließt die Augen. Die Blutechos sollen zu Eurer Kraft werden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)