Ich warte auf dich von NovemberGirl ================================================================================ Kapitel 8: Flucht ----------------- Ich wurde wach, als jemand mich schüttelte. „Wach auf Sophie! Komm schon!“ Ich öffnete die Augen und sag Sebastian neben mir stehen. „Ich hab dir was wärmeres hingelegt, zieh dich schnell um, wir müssen los.“ In seinen Augen stand die Angst, soviel konnte ich selbst im Halbschlaf erkennen. „Was ist denn los?“, fragte ich während ich die Decke zurück schlug. „Sie haben uns gefunden. Ich denke, dein Handy hat uns verraten. Wir haben nicht viel Zeit, zieh dich um, ich warte draußen.“ Dann war er schon weg. „Wer hat uns gefunden?“, rief ich ihm hinterher, aber eine Antwort bekam ich nicht mehr. Wie der Blitz zog ich Hose und Pulli an und dann noch den Mantel, den mir Sebastian eben gebracht hatte. Auch er war etwas zu groß, aber nicht so lang, dass ich darüber stolpern konnte. Die Uhr zeigte mir, dass wir es 3:45 Uhr hatten. Es war also noch tiefe Nacht. Einen kurzen Moment schaute ich in Richtung meines Handys, dass immer noch auf der Kommode stand, dann drehte ich mich aber weg und lief aus dem Zimmer. Ich würde es nicht mehr brauchen und es hatte mich ja schon einmal verraten. Im Flur traf ich wieder auf Sebastian, der mit einer großen Tasche beladen, aus seinem Schlafzimmer kam. „Komm, lass uns so schnell wie möglich hier verschwinden. Sie könnten jeden Moment da sein. Ach verdammt, warum hab ich nicht früher daran gedacht, dass die Polizei dein Handy ausfindig machen kann.“ Damit war auch meine Frage von vorhin beantwortet und irgendwie war ich plötzlich ziemlich erleichtert, dass es nur die Polizei war. Sebastian fluchte und riss einen Schrank im Wohnzimmer auf. Er griff hinein und holte ein paar schmale, in Leder gewickelte Gegenstände heraus. Ich zog scharf die Luft ein. „Das sind Waffen“, flüsterte ich. „Ja, klar. Dachtest du ich kämpfe unbewaffnet gegen die Yeosin? Das wäre glatter Selbstmord.“ Er reichte mir ein Lederpaket. „Hier. Ich will dass du den immer bei dir trägst und dich auch damit verteidigst, verstanden?“ Ich wickelte das Leder ab und hielt einen Dolch in der Hand. Die Klinge war schmal und zierlich, aber ich zweifelte nie an der Schärfe dieses Eisens. Ich nickte. „Dann los. Folg mir.“ Doch statt zur Wohnungstür zu laufen, ging Sebastian in die Küche und öffnete das Fenster. Unter uns auf dem schmalen Weg zwischen den Häusern sah ich schon Polizisten stehen. „Verdammt, sie sind doch schon so nah.“ Wieder fluchte Sebastian. Mir fiel auf, dass ich immer noch nicht wusste, wo genau wir eigentlich waren, aber jetzt war es sowieso nicht von Belang. „Wie kommen wir jetzt hier raus?“ Sebastian zeigte auf das Dach gegenüber. „Dort hin müssen wir. Und von dort können wir über die Dächer verschwinden.“ Von der Seite eines Regals, holte er ein Seil. Bevor ich fragen konnte, was er vorhabe, warf er gekonnt das Seil rüber auf das andere Dach. Die Schlaufe am Ende wickelte sich um ein vorstehendes Mauerteil. Genauso flink zog er das Seil fest an und befestigte das andere Ende an einem Haken unterhalb von unserem Fenster. „Ich zeig dir jetzt wie man sich da rüber hangelt und du folgst mir dann, ok? Du musst keine Angst haben, das ist echt nicht so schwer.“ Ich hatte gar keine Möglichkeit zu antworten. Ich war einfach zu sehr überrascht. Also schaute ich nur zu wie Sebastian sich die Tasche umhängte und dich auf das Fensterbrett setzte. Er schlang die Beine um das Seil und hielt sich mit den Armen daran fest. Dann ließ er sich fallen. Ich unterdrückte einen Schrei. Drei Stockwerke hoch hing Sebastian in der Luft nur an Armen und Beinen. Wenn er losließe fiele er nicht nur zu den Polizisten hinunter, sondern würde zusätzlich einen riesigen Schaden erleiden. Mit angehaltenem Atem schaute ich ihm also zu wie er sich Stückchen für Stückchen über das Seil zog. Als er bei der Mitte war schaute er zu mir. „Los komm, du schaffst das. Du darfst nur nicht hinunter schauen.“ Diesen Fehler macht ich auch gleich und mein Hals zog sich zusammen. „Ich kann das nicht“, flüsterte ich. „Sophie! Vertrau mir, du kannst das.“ Er schaute mich direkt mit seinen grünen Augen an. Ich konnte nicht weg schauen. Wie gebannt schauten wir uns gegenseitig an und ich beruhigte mich langsam wieder. Ich schreckte aus dem Bann auf, als jemand an die Wohnungstür hämmerte. „Machen Sie sofort die Türe auf!“ Aus einem inneren Impuls heraus lief ich zur Küchentür und schloss sie von innen ab. Wie praktisch, dass Sebastian überall an den Türen die Schlüssel stecken gelassen hatte. Solange die Türe von innen geschlossen war, hatten wir mehr Zeit zum Fliehen. Dann kletterte ich auf das Fensterbrett. Mir wurde schon schwindelig wenn ich nur daran dachte hinunter zu schauen. Die Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest packte ich das Seil mit den Händen. Langsam ließ ich mich vom Fensterbrett gleiten. Dann hab es einen Ruck an Armen und Beinen und ich hing in der Luft. Der Mantel hing schwer nach unten. Ich atmete tief durch und schaute in den Himmel. Es war eine klare Nacht. Ich konnte die Sterne hell und klar erkennen und an ihnen hielt ich mich fest, als ich begann umzugreifen und mich vorwärts zu ziehen. Wie aus der Ferne hörte ich Sebastian, wie er mir Mut zusprach und das sich immer mehr entfernende Rufen aus dem Gebäude, dass jetzt hinter mir lag. Ich hörte auch, wie die Wohnungstüre nachgab und die Menschen in die Wohnung eindrangen und wie sie vor der nächsten verschlossenen Türe standen. Ich wusste, ich musste mich beeilen. Die Küchentüre würde nicht lange stand halten können. Also erhöhte ich das Tempo noch etwas. Dies war ein Fehler. Ich konnte gerade noch realisieren, dass meine Beine den Halt verloren und schrie auf, als ich nur noch an den Armen in der Luft hing. Auch Sebastian schrie erschrocken auf und wurde aber halb übertönt von dem Brechen von Holz, als die Küchentüre nachgab. Ich hörte auch, wie die Polizisten mir vom Fenster aus etwas zuriefen, aber ich bekam nicht mit. In meinen Ohren rausche das Blut und die Panik schaltete mein Kopf aus. Sie werden mich bekommen. Es ist zu spät. Und dann finden die Yeosin mich. „Sophie! Es sind nur noch 2 Meter! Beeil dich, wir schaffen das noch!“, drang Sebastians Stimme an mein Ohr. Ich drehte den Kopf und schaute ihn an. In seinen Augen sah ich Hoffnung und ich zog meine Beine mühevoll wieder hoch. Zug für Zug zog ich mich in Richtung dieser Augen, während sich der Weg unter mir mit Polizisten füllte. Schreie und Rufe drangen zu mir hoch, aber ich hielt mich an seinen Augen fest und zog mich weiter. Seine warme Hand zog mich aufs Dach und seine Arme hielten mich. „Ich bin stolz auf dich“, flüsterte er. Dann zerschnitt er das Seil und packte meine Hand. Wir rannten so gut es ging über das halb-schräge Dach. Ich wusste, dass es ein Rennen gegen die Zeit war. Nur so konnten wir jetzt noch entkommen. Sebastian zog mich von Dach zu Dach. Wir sprangen über Meter-tiefe Spalte und kletterten über Feuerleitern zu höheren Dächern. Meine Beine wurden immer schwerer und ich merkte, dass ich nicht mehr lange laufen konnte, aber Sebastians Hand und die Tatsache, dass die Rufe hinter uns immer leiser wurden, trieben mich weiter. Irgendwann kletterten wir durch ein offenes Dachfenster und landeten auf einem Dachboden. Es dämmerte schon. Sebastian schloss das Fenster hinter uns. „Hier können wir erst einmal bleiben. Wir sind weit genug weg. In ein paar Stunden werden sie uns auch erst einmal nicht mehr suchen und wir können endgültig verschwinden. Jetzt müssen wir gezwungenermaßen eine Pause machen.“ Ich setzte mich und lehnte mich an einen Stützpfosten. Irgendetwas sagte mir, dass wir wahrscheinlich wenig Schlaf bekommen würden die nächsten Tage. 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