Mesmerize Me! von Sky- (The Play of Snake and Lion) ================================================================================ Kapitel 6: Das Erwachen ----------------------- „Wenn jemand dich schlägt und du schlägst zurück – wer von euch ist dann der Bessere?“ Dr. Mohinder Singh Jus, Homöopath Als Araphel genug hatte und Sam ohnehin schon völlig ausgelaugt war, ließ er seinen Gefangenen auf dem Boden ließen und schloss die Tür der Zelle ab. Danach verließ er den Keller und wollte sich eine heiße Dusche gönnen und wieder an die Arbeit gehen. Es galt noch, eine Geschäftsabwicklung vorzubereiten, die er unmöglich verschieben konnte und außerdem mussten die gestohlenen Autos transportfertig gemacht werden. Dabei war es schon fast 20 Uhr. Na was soll’s, dachte er sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Manchmal gab es halt viel Arbeit und morgen würde er wahrscheinlich gar nicht die Zeit haben, sich seinem Gefangenen zu widmen. Aber er konnte das Treffen mit Sergej nicht verschieben, insbesondere weil dieser nach dem Tod seines Adoptivvaters quasi eine Art Vaterfigur für ihn geworden war und er brauchte Sergejs Hilfe, um seinem Ziel näher zu kommen, die Yanjingshe zu zerschlagen und ihren Boss zu töten. Immerhin hatte er es am Grab seiner Schwester versprochen und solange er dieses Monster nicht gestoppt hatte, würde es niemals Ruhe geben… keine Vergeltung für die Verbrechen, die Shen zu verantworten hatte. Bei diesem Gedanken fiel ihm ein, dass es morgen auch wieder mal an der Zeit war, Ahavas Grab zu besuchen und so wie er Sergej kannte, würde dieser ihn sicherlich begleiten wollen. Immerhin lag neben ihrem Grab auch das von Stephen Mason, jenem Menschen, der ihnen ein Zuhause, eine Familie und eine Zukunft gegeben hatte. Und dabei hatte es für ihn keine Rolle gespielt, ob diese Zukunft die eines Mafiabosses war und Verbrechen sein Geschäft sein würden. Er konnte damit leben, er konnte mit jeder Last leben und er war es gewohnt, in einer Welt zu leben, die gefährlich war. Er war in ihr geboren worden und das hatte ihn zu einem Kämpfer gemacht. Und doch… ganz egal wie sehr er auch gekämpft hatte… die schlimmste Katastrophe hatte er damals nicht verhindern können. Stattdessen war er Zeuge eines Dämons geworden, der erbarmungslos alles zerschlug, was ihm zuwider war. Jedes Licht… jede Hoffnung. Araphel hatte sich geschworen, nicht eher Ruhe zu geben, bis seine Vendetta gegen Shen beendet war. Vendetta… ein Gesetz, das viel älter war als das Gesetz selbst. Ein dunkler Teil der menschlichen Natur, die auch das erste Gesetz war, was niedergeschrieben worden war: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Beule um Beule, ein Toter für einen Toten. So lautete das älteste von Menschenhand verfasste Gesetz und es hatte sich in die Natur des Menschen eingebrannt und unterschied ihn auch von den Tieren. Die Mafia war nicht bloß ein Verbrechersyndikat, sondern auch Verfechter dieses ältesten Gesetzes. Wer ein hochrangiges Mitglied der Familie tötete, wurde selbst getötet. Und so waren über die Jahre hinweg Blutfehden entstanden, die zahllose Opfer gefordert hatten. Fehden, die niemals enden würden, weil man bereits zu tief drin war und es keinen Ausweg mehr gab. Es wäre vielleicht einfach gewesen, den Mord an seinen Adoptivvater als „rein geschäftlich“ abzustempeln und Araphel wäre auch bereit gewesen, es damit auf sich beruhen zu lassen. Denn es war ein rein geschäftlicher Mord gewesen, weil Stephen Mason ein Hindernis für die Yanjingshe war. Aber an dem Zeitpunkt, an dem Shen es gewagt hatte, seine Schwester mit in die Sache reinzuziehen, obwohl diese nicht einmal zur Mafia dazugehörte, da war es mit dem „rein geschäftlichen“ Kram auch vorbei. Das war längst nicht mehr bloß ein Teil der Mafiageschäfte gewesen, sondern eine direkte Kriegserklärung. Und nach dem, was Shen ihnen beiden angetan hatte, war das einzige, was er verdiente, einen besonders qualvollen und grausamen Tod. Allein der Gedanke daran bereitete ihm eine wahre Genugtuung. Als er ins Bad ging, sich einschloss und seine Sachen mitsamt einer Pistole griffbereit legte (denn er war aufgrund der Fehde mit der Yanjingshe extrem vorsichtig geworden), ertastete seine Hand instinktiv jene Stelle an seinem Rücken, an der er gezeichnet worden war. Wo sich eine Erinnerung besonders tief in seinen Körper gebrannt hatte, dass sie tiefe Narben hinterlassen hatte. Nicht nur auf seinem Körper, sondern auch tief in seiner Seele. Shen Yuanxian. Dieser Mann hatte ihm so gut wie alles genommen und selbst nach vier Jahren ließ dieser keine einzige Gelegenheit aus, um ihn zu verspotten, ihn zu provozieren und diese alten Wunden immer und immer wieder aufzureißen. „Um etwas zu töten, das nicht menschlich ist, muss der Mensch seine Menschlichkeit ablegen. Also werde zu einem Dämon, um einen Dämon zu töten.“ Das hatte Shen ihm vor vier Jahren gesagt. Und die letzten vier Jahre hatte er hart gearbeitet, um die Mason-Familie zum mächtigsten Syndikat in Boston zu machen. Er hatte Menschen erpresst, verletzt, verkauft, manipuliert und getötet. Und doch hatte er es nicht geschafft, Shen zu schlagen. Egal was er tat, dieser Hurensohn war ihm stets überlegen. Er durchschaute jeden Schachzug und selbst Attentate waren wirkungslos, da Shen selbst ein perfekter Attentäter war. Er brauchte keine Leibwächter, er selbst war tödlicher als eine Pistole und beherrschte 27 Kampfkünste, war den Umgang mit Waffen gewohnt und aufgrund seines Charismas und seiner Intelligenz schaffte er es, die Leute auf seine Seite zu ziehen. Es schien so, als wäre er unantastbar und das machte ihn umso wütender. Als er unter der heißen Dusche stand, spürte er erst, wie erschöpft er eigentlich war. Und dabei wartete noch so viel Arbeit auf ihn. In dem Moment musste er daran denken, wenn solche Tage waren, an denen er so lange arbeiten musste. Abends pflegte Ahava dann immer mit einem Tablett in sein Büro zu kommen, nachdem sie Tee und Snacks vorbereitet hatte und sagte dann „Du solltest ein wenig mehr auf dich Acht geben, Bruderherz. Überarbeite dich nicht allzu sehr, okay?“ Sie hatte sich immer sehr rührend um ihn gekümmert, wenn er bis spät in die Nacht arbeiten musste. Seitdem ihre Adoptivmutter sehr früh an Lungenkrebs verstorben war, hatte Ahava immer die Rolle der Frau in der Familie ausgefüllt und ihm Halt gegeben. Sie war der einzige Mensch, den er je gebraucht hatte und obwohl sie ihm mehr als deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie niemals etwas mit der Mafia zu tun haben wollte und die kriminellen Geschäfte nicht gutheißen konnte, war sie dennoch stets treu an seiner Seite geblieben. Und dann war Shen gekommen und hatte alles zerstört. Er hatte ihren Adoptivvater getötet und Ahava auf dem Gewissen. Und schlimmer noch: er hatte sie völlig gebrochen. Doch als er wieder an Ahavas gütiges und sanftmütiges Lächeln dachte und an ihre warmherzigen strahlend blauen Augen, da tauchte plötzlich dieses andere Bild auf. Das von Sam Leens, der dieselben Augen hatte wie Ahava. Und das konnte er nicht akzeptieren. Wieso nur hatte der Bruder jenes Mannes, der Ahava verraten hatte, die gleichen Augen wie sie? Und wieso nur gelang es ihm nicht, sich dazu durchzuringen, ihn endlich zu töten, so wie er es ursprünglich vorgehabt hatte? Was hatte ihn nur dazu getrieben, ihn stattdessen zu retten, in den Keller zu sperren und mit ihm zu schlafen? Das war ganz und gar nicht seine Vorgehensweise. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich! Wieso nur brachte dieser Schnüffler ihn so aus dem Konzept? Er verstand sich selbst nicht mehr. Nachdem er mit der Dusche fertig war und sich angezogen hatte, trocknete er seine Haare nur mit dem Handtuch und wollte in sein Arbeitszimmer gehen, doch da sah er blieb er stehen, als er eine Frau auf ihn zukommen sah. Sie hatte schulterlanges feuerrotes Haar, trug eine weiße Bluse mit hochgekrempelten Ärmeln und eine rote Weste, auch ihre Hose und ihre Stiefel waren rot. An ihrer Hüfte trug sie einen Werkzeuggürtel und in ihrer Hand hielt sie einen Schraubenschlüssel. Es war Christine Cunningham, die Mechanikerin und das einzig weibliche Mitglied der Mason-Familie. Verwundert zog Araphel die Augenbrauen zusammen, denn normalerweise war Christine um die Zeit in der Werkstatt, um an ihrem Plymouth zu schrauben. Und noch etwas fiel ihm auf: sie war kreidebleich im Gesicht und sie hatte Dr. Heian und Morph im Schlepptau. Verwundert fragte er „Ist etwas vorgefallen?“ Wortlos kam Christine näher und man sah ihr an, dass ihre Hände zitterten. Etwas stimmte nicht mit ihr. Araphel ging direkt zu ihr hin und fragte besorgt „Christine, geht es dir nicht gut? Was hast du?“ Doch kaum, dass seine Hand ihre Schulter berührte, drehte sie endgültig durch und schlug mit dem Schraubenschlüssel nach ihm, doch Araphel reagierte noch schnell genug, um ihren Arm festzuhalten, bevor der Schraubenschlüssel ihn noch am Kopf treffen konnte. „Wie kannst du es wagen?“ schrie sie und versuchte wieder zuzuschlagen, doch gegen den Mafiaboss hatte sie keine Chance. Sie war völlig von der Rolle und schien sich gar nicht mehr beruhigen zu können. Doch er verstand nicht so ganz, was dir Ursache dafür war und wieso sie sich so aufregte. „Christine, jetzt beruhige dich doch und erklär mir, wa…“ „Wie kannst du uns das nur antun, du elendes Stück Scheiße?“ schrie sie und unkontrolliert flossen Tränen ihre Wangen hinab. Sie wehrte sich nach Leibeskräften und schien sich in einem Zustand zu befinden, in der sie zwischen einer Raserei und einem Nervenzusammenbruch hin und her schwankte. „Du hast versprochen, dass das nie wieder passiert und dass du uns beschützen wirst. Wie kannst du da nur so etwas tun?“ „Wovon zum Teufel sprichst du?“ „Na davon, dass du einen Menschen im Keller wie ein Tier einsperrst und ihm diese schrecklichen Dinge antust, du Bastard!“ Hieraufhin schien der Tobsuchtsanfall abzuebben und stattdessen ließ Christine den Schraubenschlüssel fallen und ließ schluchzend den Kopf hängen. Und als Araphel sie losließ, verpasste sie ihm eine Ohrfeige, wobei ihr Körper heftig unter den Schluchzern bebte. „Hast du etwa vergessen, was sie uns angetan haben? Wie sehr wir durch diese Leute gelitten haben und welche Hölle wir gesehen haben? War es denn nicht schon schlimm genug, dass uns das passieren musste und dass Ahava gestorben ist und sie… sie…“ Weiter kam sie nicht, ihre Stimme versagte und sie schien einem Nervenzusammenbruch nahe zu sein. Hieraufhin wandte sich Araphel an Morphius und Dr. Heian und forderte in einem scharfen Ton „Erklärt mir, was das zu bedeuten hat!“ „Wir wollen dir die Augen öffnen, Araphel“, erklärte Morphius, der einen Rauchkringel ausblies, nachdem er einen langen Zug von seiner Zigarette genommen hatte. „Auf uns hörst du nicht, darum haben wir Christine die Bänder der Überwachungskameras gezeigt.“ „Ihr habt WAS?“ rief er und bekam nicht wenig Lust, sie beide windelweich zu prügeln. Eine solche Unverschämtheit kam der Beleidigung eines Clanbosses gleich und so etwas duldete Araphel nicht. Doch Christine ließ ihm nicht die Zeit, um sich seinen beiden Untergebenen zu widmen, die sich diese Unverschämtheit erlaubt hatten. Denn da ergriff sie seinen Arm und verpasste ihm mit der anderen Hand eine zweite Ohrfeige. „Ich dachte wirklich, ich könnte dir vertrauen und dass du Shen das büßen lässt, was er getan hat. Aber dass du wie er wirst, ist einfach das Letzte.“ „Christine…“, sprach er nun besänftigend und wollte sie in den Arm nehmen, um sie zu beruhigen, wobei er ihr tröstend über den Kopf strich. „Beruhige dich doch erst mal, Christine. Es ist nicht gesund für dich, wenn du dich zu sehr aufregst und…“ „Hör auf, mich wie deine Schwester zu behandeln“, rief sie und stieß ihn von sich, wobei unaufhörlich Tränen über ihre Wangen flossen. „Hör endlich auf damit, mich wie ein Ersatz zu behandeln. Ahava ist tot, verdammt! Sie ist gestorben, nachdem diese Mistkerle sie endgültig gebrochen hatten. Warum also tust du nur so etwas Schreckliches, wenn du doch selbst weißt, wie sehr wir gelitten haben und was sie Ahava angetan haben… was sie mir…“ Christines Stimme versagte endgültig. Ihre Augen verdrehten sich und sie sank kraftlos zusammen. Sofort war Dr. Heian bei ihr und fing sie auf. „Shit“, kam es von Morphius, der dem Arzt schnell zur Hand ging und half, die bewusstlose Christine zu stützen. „Ich hab dir ja gesagt, dass das passieren wird. Und was jetzt?“ „Ich werde ihr erst einmal etwas zur Beruhigung geben, dann wird sie für eine Weile schlafen. Das Beste wird sein, sie erst mal auf ihr Zimmer zu bringen.“ Damit ging Dr. Heian, der die Bewusstlose bei sich trug und so blieb Morphius alleine mit Araphel zurück. Dieser stand schweigend mit gesenktem Blick da und es war schwer zu erkennen, ob er wütend oder betroffen war. Es war, als hätte etwas seinen Kampfgeist und seinen Willen geraubt und das war ein Anblick, den Morphius noch nie bei ihm gesehen hatte, seit er ihm das erste Mal begegnet war. Natürlich war es ihm alles andere als leicht gefallen, solch eine fiese Methode zu wählen, aber er sorgte sich auch um Araphel und im Notfall musste man auch manchmal zu solch unfeinen Methoden greifen, um sein Ziel zu erreichen. Das war insbesondere in der Welt der Mafia wichtig und vor allem unvermeidlich. Er seufzte und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. „Tut mir wirklich leid, dass wir zu solchen Mitteln gegriffen haben. Aber du wolltest ja einfach nicht hören und hast dich immer weiter verändert. Und jetzt hör mir mal gut zu: die Menschen sind ein dummes Volk. Sie lassen sich manipulieren, belügen, benutzen und sie sind sogar bereit, ihr Leben für einen infantilen Schwachsinn wie einer Gottheit zu opfern. Es gibt nicht gerade viele Dinge, auf die die Menschen sonderlich stolz sein können. Aber ihre Menschlichkeit ist es, die sie erst wirklich zu Menschen macht. Wenn wir unsere Menschlichkeit über Bord werfen, sind wir es auch nicht mehr länger wert, Menschen genannt zu werden. Man nennt uns dann nur Abschaum… oder Dämonen. Wenn deine Schwester sehen würde, zu was dich diese Vendetta gemacht hat, würde sie Tränen vergießen und sagen, dass sie das niemals gewollt hätte. Sie wusste, dass du trotz allem ein guter Mensch bist, genauso wie Christine, Yugure und ich es wissen. Wir sind deine Gefolgsleute und deine Freunde und wenn wir sehen, dass du dich von diesem Kerl manipulieren lässt, werden wir auch jedes Mittel ergreifen, um dich wieder aufzuwecken. Warum hast du Sam Leens in den Keller gesperrt und ihm diese Dinge angetan? Ganz einfach: weil Shen dich zerstören will. Erst will er dir das nehmen, was du liebst und dann nimmt er dir deine Menschlichkeit, damit du genauso ein Monster wirst wie er. Ein Monster, das nichts beschützen, sondern nur zerstören kann. Und bevor es so weit kommt, greifen wir eben ein, das ist nun mal unsere Pflicht: das Oberhaupt der Familie zu beschützen. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel, als dass du dich von ihm manipulieren lassen kannst. Nicht nur das Leben anderer oder dein eigenes oder die Existenz der Familie. Nein, im Grunde ist diese Fehde ein Krieg. Wenn du dich von Shen schwächen lässt, wird er uns vernichten. Dann wird als nächstes der Patriarch folgen und dann wird niemand mehr in der Lage sein, es mit dieser Schlange aufzunehmen, wenn sie erst einmal all ihre Feinde gefressen hat. Darum hielten Yugure und ich es für das Beste, dich auf diese Weise mit der Wahrheit zu konfrontieren, auch wenn es schmerzt. Lass nicht zu, dass dieser Kerl Macht über dich hat und dich noch tiefer in die Finsternis reinzieht. Denn ich weiß nicht, ob wir dann noch in der Lage sein werden, dich zu retten.“ Hier legte Morphius ihm eine Hand auf die Schulter und blickte ihn ernst mit seinen Augen an, die alles mit einem scharfen Zynismus zu betrachten schienen. Augen, die die tiefsten Abgründe der Menschheit erblickt hatten und die Wahrheit im Sumpf dieser Verderbtheit ergründet hatten. „Nach der Tragödie, die sich mit deiner Schwester ereignet hat, willst du sie wirklich einem anderen antun?“ „Ich weiß selbst, dass es nicht der richtige Weg war“, seufzte Araphel und rieb sich die Augen. „Aber nach dem, was Lawrence Ahava angetan hat, ist es nur mehr als fair, wenn er das Gleiche durchmacht.“ „Das würde aber bedeuten, dass du ihn und nicht Sam quälst. Sam ist sein Bruder, das stimmt und ich verstehe, dass du Lawrence das Gleiche fühlen lassen willst, was du erlebt hast. Aber ist das wirklich eine gerechte Rache? Sam ist ein Unschuldiger in dieser Vendetta, auch wenn er uns ständig Probleme macht. Er ist nur eine Person, die für ihre dummen und völlig naiven Ideale lebt und diese verteidigen will. So wie es Ahava getan hat. Willst du, dass sich so eine Tragödie etwa noch mal ereignet wie vor vier Jahren? Hasse den Menschen, aber nicht die Menschheit, ansonsten wirst du letzten Endes nicht besser sein als Shen.“ Wortlos verschwand Morphius und ließ Araphel alleine. Er wusste, dass dieser erst mal seine Ruhe brauchte, um über all das nachdenken zu können und es war ohnehin genug gesagt worden. Während er sich auf den Weg zu Christine machte, um Dr. Heian noch zu treffen, zündete er sich wieder eine Zigarette an. Es wurmte ihn wirklich, dass sie Christine benutzt hatten, um Araphel wachzurütteln. Insbesondere, wo sie aufgrund ihres Zustandes in eine Klinik gehörte. Normalerweise wäre sie dort auch eingeliefert worden, wäre da nicht die Gefahr durch die Yanjingshe so groß. Innerhalb der Mason-Familie war sie sicher und es drohte kaum Gefahr, wenn sie hier blieb und Dr. Heian ein Auge auf sie hatte. Aber dennoch wäre sie in einer Klinik deutlich besser aufgehoben. Dann hätte sie nicht schon wieder einen Zusammenbruch erleiden müssen. Schließlich aber, als er ihr Zimmer erreichte, kam Dr. Heian gerade heraus und schloss die Tür hinter sich. „Und? Wie geht es ihr?“ fragte der Informant besorgt. Dr. Heian rückte seine Brille zurecht und atmete geräuschvoll aus. „Den Umständen entsprechend. Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben und sie wird bis morgen erst mal schlafen. Aber wirklich helfen kann ich ihr nicht und das wissen wir alle. Was sie braucht, ist kein Arzt wie ich. Ich kann nur einen Körper behandeln, doch es ist nicht ihr Körper, der leidet. Sie wird morgen aufwachen als wäre nichts gewesen und vergessen haben, wovon wir gesprochen haben und was sie gesehen hat. Es wird ihr vorkommen, als hätte es diese Szene niemals gegeben. Sie wird in ihrer eigenen Welt weiterleben, die sie sich geschaffen hat und glücklich damit sein. Ich kann ihr nicht helfen und das wurmt mich wirklich, Makoto. Du weißt, ich bin Arzt geworden, weil ich Menschen helfen will. Aber dennoch werden wir oft genug mit der Tatsache konfrontiert, dass es auch für Ärzte Grenzen gibt und sie nicht die Götter in weiß sind, die sie gerne wären. Ich kann keine Wunder vollbringen, ich kann nicht alle Krankheiten und Wunden heilen. Und nicht selten hasse ich meine eigene Unfähigkeit. Sogar mehr noch als diese Kurpfuscher, die mit dem Leben ihrer Patienten spielen, um ihre Fehler zu vertuschen.“ „Jetzt lass den Kopf nicht gleich hängen, Yu-chan. Na komm, der Tag ist noch nicht vorbei und wir haben eh Feierabend. Lass uns doch in eine Bar was trinken gehen und ein wenig über die guten alten Zeiten reden.“ „Welche guten alten Zeiten?“ fragte der Arzt in einem mehr als frostigen Ton und warf Morphius einen eiskalten und giftigen Blick zu. „Wer hat denn bitte dieses impertinente Frauenzimmer geehelicht, nachdem er sie geschwängert hat? Ich für meinen Teil kann mich an keine guten alten Zeiten erinnern.“ „Warum klingt das trotz deiner gehobenen Wortwahl so… schäbig?“ „Weil es so ist. Nein danke, ich habe kein Interesse mit dir noch mehr als unnötig Zeit zu verschwenden. Vielleicht solltest du mal ernsthaft in Betracht ziehen, mal dein Leben besser auf die Reihe zu bekommen, anstatt dich immer so verantwortungslos aufzuführen und dich von einem Fettnäpfchen ins nächste ziehen zu lassen. Glaub bloß nicht, dass ich dir das so schnell verzeihen werde, Makoto. Und nimm endlich diesen bescheuerten Hut ab. Der steht dir sowieso nicht.“ Damit drehte sich Dr. Heian um und ging, wobei mehr als deutlich war, dass er Morphius für heute anscheinend nicht mehr sehen wollte. Dieser seufzte und rückte seinen Hut zurecht, wobei er doch noch letzten Endes lächelte und leise für sich sprach „Du warst es doch, der ihn mir damals geschenkt hat, Yu-chan.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)