Where Dreams come true... von CharleyQueens (30 Days Disney Challenge Prompts) ================================================================================ Kapitel 1: Wie zwei Magnete --------------------------- „Kann ich mit dir reden, Jasmin?“ Die schwarzhaarige Frau blickte auf, als sie angesprochen wurde. Zadira stand vor ihr, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie wirkte verärgert und zwirbelte eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern. „Was gibt es?“, fragte sie und widmete sich wieder ihren Fingernägeln. Ihr Nagellack blätterte ab, hatte sie das kleine Fläschchen heute eingepackt? Sie konnte sich nicht dran erinnern. „Du bist die Einzige, die Al noch nicht besucht hat“, fiel Zadira gleich mit der Tür ins Haus. Genervt rollte Jasmin mit den Augen. War klar, dass ihre Klassenkameradin damit ankommen würde. „Und?“ Sie griff nach ihrer Tasche und kramte im Inneren herum. „Ich hatte halt keine Zeit gehabt.“ „Du bist immerhin zweite Klassensprecherin“, erinnerte Zadira sie. „Und deshalb wirst du heute Nachmittag bei ihm vorbeigehen und ihm diese Karte hier vorbeibringen.“ Sie legte einen Umschlag auf den Tisch und Jasmin erinnerte sich daran, dass Mozenrath ihr vor wenigen Tagen ein Stück Papier unter die Nase gehalten hatte mit dem Kommentar „Unterschreib mal“. Sie war in Eile gewesen und hatte eiligst ihren Namen drunter gesetzt. Dafür war das also gewesen. „Und wieso gehst du nicht?“ Jasmin blickte die Klassensprecherin fragend an. „Immerhin bin ich ja nur die Vertretung.“ „Weil ich nachher noch Nachhilfe habe. Du weißt genau, dass es jeden Tag zu spät sein könnte, also wirst du heute hingehen, Jasmin. Außerdem ...“ Sie zögerte. „Außerdem...?“ „Al hat nach dir gefragt“, erklärte sie leise und wirkte sichtlich bedrückt. Es war unverkenntlich, dass Zadira schon seit Ewigkeiten heimlich für Aladdin schwärmte. Leider schien er sie nur als beste Freundin anzusehen. „Mal gucken, wann ich Zeit finde, hinzugehen“, meinte Jasmin unbeeindruckt. Zadira wollte noch etwas erwidern, doch das laute Eintreten des Lehrers ließ sie auf ihren Platz eilen. Nur noch ein kurzes „Wag es bloß nicht, nicht hinzugehen!“   ********************************************************************************   Wieso nur zögerte sie? Sie stand nun seit mehreren Minuten zögernd vor der Krankenhaustür mit der Zimmernummer „35“. Das Zimmer am Ende des Gangs. Es war still hier, viel zu still. Und es roch merkwürdig. So sauber und trotzdem lag der Geruch von Tod in der Luft. Sie mochte diesen Ort nicht. Nein, sie sollte lieber wieder gehen. Wenn sie die Karte vorne abgab, würden die Schwestern diese bestimmt weiterleiten. Sie konnte nicht da rein, konnte ihn nicht sehen. Doch gerade als sie im Begriff war zu gehen, bog eine Schwester um die Ecke. Sie erkannte die Frau, es war diejenige gewesen, die ihr am Empfang den Weg erklärt hatte. „Willst du nicht reingehen“, fragte die Frau mit der rauchigen Stimme und öffnete die Tür zu Aladdins Zimmer. „Ich hab dir Besuch mitgebracht“, rief sie in das Zimmer. „Und dieses Mal ist es sogar sehr hübscher Besuch.“ Der Raum war klein, im vorderen Bereich stand ein leeres Bett. Er lag hinten am Fenster. Als die Krankenpflegerin eintrat, blickte er von seinem Buch auf. Als er Jasmin erblickte, nickte er kurz. Seufzend folgte sie der jungen Frau ins Zimmer. Und während diese nach Aladdins Befinden fragte, ihm Blut abnahm und seinen Tropf austauschte, stand Jasmin nervös neben der Tür. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern bis sie endlich wieder ging. Sie schloss die Tür hinter sich und Aladdin und Jasmin waren allein. „Du kannst ruhig näherkommen.“ Er deutete auf den Stuhl neben sich. „Ich beiße schon nicht.“ Sie ging durch den Raum, stolzierend so wie immer. Als Tochter des Geschäftsführers der Agrabah Corporation Wings, einer großen Flugzeuggesellschaft, die vor allem arabische Länder anflog, war sie immer darauf bedacht gut auszusehen. „Hier, das ist für dich.“ Sie überreichte ihm die Karte, die er kommentarlos auf den Tisch legte, der von Blumen, Beileidskarten, verschlossenen Pralinenschachteln und dergleichen schon überquollte. Sie schluckte nervös. „Willst du es nicht lesen?“, fragte sie irritiert. „Es steht immer das Gleiche drin“, winkte er ab. „Du glaubst gar nicht, wie deprimierend es ist, ständig dieselben Floskeln zu lesen.“ Da hatte er Recht. Sie hatte die Karte ja auch nicht durchgelesen, ahnte sie doch, was dort geschrieben stand. Sie lächelte amüsiert. „Das ist ganz schön langweilig hier“, meinte sie und sah sich um, während sie sich auf den Holzstuhl setzte. „Nicht mal ein Fernseher?“ Aladdin schüttelte den Kopf. „Die Dinger kosten Geld“, erklärte er. „Vater kann sich gerade so den Aufenthalt hier leisten. Außerdem will ich nicht noch mit Nachrichten deprimiert werden. Das würde im Zweifel doch nur den Prozess beschleunigen, so deprimierend wie die sein können.“ „Also sitzt du den ganzen Tag hier rum? Wo ist denn Abu?“ Abu war ein kleiner Affe, der Aladdin immer begleitet hatte. Stets saß der kleine Kerl auf seiner Schulter und war es Anfangs noch ungewohnt, mit diesem Tier in einem Raum zu sitzen, so hatte man sich doch schnell an ihn gewöhnt. Und der kleine Affe wurde zum Maskottchen ernannt. Er und Aladdin waren unzertrennlich. „Sie haben mir nicht erlaubt, ihn hier zu haben“, erklärte er mit Trauer in der Stimme. „Es fühlt sich merkwürdig an ohne ihn. Mein Vater hat ihn an den Zoo gegeben... Du ahnst gar nicht, wie sehr er mir fehlt...“ „Warum besuchen wir ihn dann nicht einfach?“ Die Worte kamen aus ihrem Mund, noch ehe sie sie aufhalten konnte. „Die würden mich doch mit Sicherheit niemals hier rauslassen“, meinte Aladdin abwinkend. „Nun, dann sollten wir ihnen einfach nicht sagen, dass du ausbrechen willst“, erklärte Jasmin abenteuerlustig. Sie ertrug es nicht ihn so zu sehen. So abgeschwächt in diesem sterilen leblosen Raum. Er passte hier nicht hin. „Vertraust du mir?“, fragte sie und streckte ihm die Hand entgegen. Er grinste schief. „Nun, eigentlich ist es ja eh egal. Reichst du mir was zum Anziehen?“ Er deutete zum Schrank. Während Aladdin sich umzog, blickte Jasmin errötend weg. „Also dann lass uns los.“ Er trat zum Fenster und öffnete dieses. Eine Regenrohr hing ein kleines Stück entfernt an der Hauswand. „Wenn wir uns strecken, dürften wir es schaffen. Na los, Prinzessin.“ Er deutete nach draußen. „Ich bin alles andere als eine Prinzessin“, erklärte Jasmin arrogant und setzte einen Fuß auf die Fensterbank. Sie waren gerade mal im zweiten Stock, so tief war das doch gar nicht. Wenn sie stürzte, würde sie sich höchstens was brechen. Einen Arm, ein Bein... Sie spürte Aladdins Blick im Rücken. Jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen. Sie wollte nicht als Feigling vor ihm darstehen. Entschlossen stieg sie auch mit dem anderen Fuß aufs Brett, hielt sich an der Wand fest und streckte sich in Richtung des Wasserrohrs. Gerade so bekam sie das Rohr zu fassen. Sie zögerte kurz, ehe sie sich rüberschwang. Angst durchströmte sie und sie quietschte, als sie für einen kurzen Moment durch die Luft zu fliegen schien. Zitternd rutschte sie das Rohr entlang. Sie hatte es tatsächlich geschafft. „Aladdin, kommst du?“, rief sie nach oben. Und nach wenigen Minuten war auch er unten angekommen. Er strahlte, während sie sich Richtung Ausgang schlichen.   ********************************************************************************   „Du bist gar nicht mal so übel, Jasmin.“ Er blickte sie von der Seite an und lächelte. Sie lagen auf dem nassen Gras eines Hügels im Stadtpark, inzwischen war es Nacht geworden. „Ich weiß“, meinte sie neckend. „Und trotzdem noch total eingebildet“, lachte er. Seine Augen strahlten und er sah viel lebendiger aus. Es hatte ihm gut getan, Abu zu treffen. Das kleine Äffchen hatte sich riesig gefreut, seinen besten Freund wiederzusehen. Umso schwerer war der Abschied gefallen. „Warum hast du das eigentlich gemacht?“, fragte er schließlich, nachdem sie eine Weile lang einfach nur in den Nachthimmel gestarrt hatten. Sie hatte sich an ihn gelehnt, wie warm er doch war. Und diese Oberarme, die sich automatisch um sie geschlungen hatten. „Du scheinst einen schlechten Einfluss auf mich zu haben, Aladdin“, meinte sie lächelnd. „Du bist doch zu mir gekommen.“ „Da siehst du mal wie weit dein Einfluss reicht“, scherzte sie. „Eigentlich hatte mich Zadira darum gebeten“, erklärte sie schließlich ernsthaft. „Du wolltest mich sehen, Aladdin.“ „Na ja, du warst die Einzige, die mich noch nicht besucht hat“, entgegnete er. Sie seufzte und lehnte sich an seine Schulter. „Ich wollte kommen...“, meinte sie leise. „Aber irgendwie...“ Sie blickte ihn an. Diese braunen Augen waren so wild und gleichzeitig beruhigend. „Sei nicht sauer... ich habe es einfach nicht geschafft.“ Er streichelte ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Wir müssen bald zurück. Dabei würde ich mir wünschen, dass diese Nacht nie endet.“ „Du bist viel interessanter, als ich immer gedacht habe. Nie hat mich jemand zu so was überreden können...“ „Das brave Mädchen aus reichem Hause. Du bist total langweilig, Jasmin.“ Neckend blickte er sie an. „Du solltest öfters so etwas unternehmen.“ „Ich würde es mit dir unternehmen. Du weißt nicht, wie anstrengend es ist, immer gut auszusehen, weil überall Fotografen auf einen lauern.“ „Das wäre mir das kleinere Übel, wenn ich dafür keine finanziellen Sorgen hätte.“ Aladdin seufzte laut. „Und wenn ich ...“ Er sprach das Wort nicht aus, doch Jasmin wusste, was er sagen wollte. „Es tut mir so Leid, Aladdin... Das ist einfach nicht fair, du bist doch noch so jung. Warum also du?“ Sie blickte ihn an, verzweifelt und den Tränen nahe. Er legte eine Hand an ihr Gesicht. „Wenn ich eins bereue, dann, dass ich niemals vorher mit dir ein Date hatte. Ich habe dich schon immer so sehr gemocht, Jasmin.“ Er lächelte und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Sei nicht traurig. Ich will dich lächeln sehen. Glaubst du eigentlich an Seelenverwandtschaft, Jasmin?“ Sie nickte nach einer Weile. „Zwei Menschen, die sich ähneln, sind seelenverwandt.“ Aladdin schüttelte den Kopf. „Wenn du zwei Magnete mit dem gleichen Pol aneinander hältst, stoßen sie sich ab. Sie müssen verschiedene Pole haben um sich anzuziehen. Wir sind wie zwei Magnete mit unterschiedlichen Polen. Das ist Seelenverwandtschaft.“ Als er mit seinen Fingern über ihr Gesicht strich, bemerkte sie, dass sie zu weinen angefangen hatte. Sie griff nach seinen Fingern und blickte ihn lächelnd an. „Hättest du das nicht früher sagen können, Aladdin?“ Kapitel 2: Auf der Veranda -------------------------- „Es freut mich, Euch hier begrüßen zu dürfen!“ Sie nickte knapp, bei den scheinbar freundlichen Worten des alten Mannes. Er wirkte unheimlich, seine grauen Augen waren kalt und emotionslos wie ein Stein. Und am liebsten wäre sie nicht hier. Und doch, sie musste hier durch. Es waren wichtige Verhandlungen zwischen Frankreich und ihrer Heimat Agrabah, zu denen ihr Vater sie geschickt hatte. Aladdin und Genie kümmerten sich derweil um andere Angelegenheiten. Es war das erste Mal, dass sie so weit von ihrem Verlobten getrennt war. „Die Freude ist ganz meinerseits, Richter Frollo“, meinte sie und folgte ihm. Er führte sie in ein kleines Zimmer, spärlich eingerichtet mit einem Bett und einem Holztisch, vor dem ein wackliger Stuhl stand. „Ich hoffe, das Zimmer ist zu Eurer Zufriedenheit eingerichtet.“ Mit einer kurzen Verbeugung verabschiedete er sich und ließ die junge Prinzessin allein zurück. Seufzend eilte sie ans Fenster. Nicht einmal gelüftet war der Raum. Was für ein schrecklicher Mensch dieser Frollo doch war. Sie streckte ihren Kopf nach draußen und bemerkte zu ihrem Wohlwollen, dass ein Balkon an das Zimmer angrenzte. Zufrieden öffnete sie den unteren Teil der Holztür und trat nach draußen. Paris war eine schöne Stadt. Es war merkwürdig unter ihren Füßen nicht ständig den Sand zu spüren, sondern stets einen festen Untergrund zu haben. Das Wetter war kühler als bei ihr zuhause, auch wenn man ihr erzählte, dass diese Jahreszeit die Wärmste des Jahres sei. Zuhause würde man über solche Temperaturen lachen. Das war keine Hitze, das Wetter war angenehm. Und die kleinen Gassen waren so malerisch verspielt, mit so vielen Ecken und Winkeln. Überall gab es etwas zu entdecken. Morgen würde sie die Stadt erkunden, nachdem die Gespräche mit dem französischen Kaiserpaar beendet waren. „Haltet die Diebin!“ Ein Aufruhr ließ sie aufblicken. Da war eine Gruppe Soldatin, die eine junge, dunkelhäutige Frau verfolgte. Gerade lief sie unter ihrem Balkon durch, die Soldaten folgten ihr immer noch. Und aus irgendeinem Grund wollte Jasmin ihr helfen. Suchend sah sie sich um und entdeckte einen Krug gefüllt mit Wasser in der Ecke stehen. Der Kleinere der beiden Soldaten näherte sich dem Balkon und sie schüttete ihm das kalte Wasser über den Kopf. Er blieb überrascht stehen, sodass sein Kumpane ihn umrannte. Lächelnd ließ sie nun auch den Krug fallen. „Oh, entschuldigen Sie bitte, meine Herren“, flötete sie mit verspielter Stimme. „Ich habe Sie wirklich nicht gesehen.“ „Ach wissen Sie, sowas kann ja jedem ein Mal passieren“, meinte der Kleinere der beiden mit ein verliebten Lächeln. Sie nickte nur und ging dann wieder in ihr Zimmer. Die junge Diebin hatte nun einen großen Vorsprung gewinnen können. Mehr wollte sie nicht.   *******************************************************************   Die Nacht war hereingebrochen und die Gasse lag im Dunkeln vor ihr. Sie schlich sich trotzdem durch die Gasse, man konnte ja nie wissen. Möglicherweise waren diese nervigen Soldaten ja noch immer in der Nähe. Nein, das war Blödsinn. Die Soldaten würden einer einfachen Diebin niemals so lange auflauern, die lagen längst friedlich schlafend in ihren Betten. Sie seufzte. Gegen ein Bett hätte sie auch nichts einzuwenden. Da war es, das Zimmer dieser mysteriösen jungen Frau, die ihr geholfen hatte. Sie wollte diejenige kennenlernen, die der Ansicht war, dass sie Hilfe gebraucht hätte. Sie hätte diese Soldaten auch alleine abgehängt. Wieso also dachte diese Frau sie müsste ihr helfen? Flink war sie die Hauswand hochgeklettert und auf den Balkon gestiegen. Wie naiv von ihr – die Tür war nur leicht angelehnt. Sie machte einen Schritt nach vorne und ein lautes Knarzen ertönte. „Oh, verflixt“, fluchte sie. Hoffentlich war sie davon nicht aufgewacht. „Wer auch immer da draußen ist, keine Bewegung!“ Die Stimme eines jungen Mädchens erklang und sie hielt inne. Sie hörte das Rascheln einer Bettdecke und dann das Tapsen von Füßen über den Boden, die sich dem Balkon näherten. Dann öffnete jemand die Tür. Diese junge Frau, die sie vor den Soldaten zu beschützen gemeint hatte, war nicht einmal erwachsen, erkannte Esmeralda. Ihr Haar war genauso schwarz wie ihres, jedoch glatt und nicht so widerspenstig wie ihres. Ihre braunen Augen blickten sie erstaunt an. Sie trug ein dünnes, durchsichtiges Nachthemd, das ihrem schlanken Körper schmeichelte. Als die junge Frau ihren Blick bemerkte, verschränkte sie ihre Arme vor ihrer Oberweite. „Wer seid Ihr?“, fragte die junge Frau. „Und was fällt euch ein, einfach in mein Zimmer einzudringen?“ „Die Frage kann ich zurückgeben. Denkt Ihr einfach, ich wäre mit den Soldaten nicht zurecht gekommen? Ich habe Euch nicht um Hilfe gebeten.“ Irgendetwas faszinierte Esmeralda an ihr. Sie war nicht von hier, ihre dunkle Haut und ihr Akzent verriet es. Clopin hatte etwas von einer orientalischen Prinzessin erzählt, die zum Zwecke von Verhandlungsgesprächen nach Paris gekommen sei. Ob sie das wäre? Nein, so jemand würde nicht in so einer heruntergekommen Spelunke hausen. „Ihr seid das also?“, fragte sie überrascht. „Ich habe Euch nur helfen wollen.“ „Hm, verstehe. Ich sah also wie ein hilfloses, armes Mädchen aus, dass sich nicht selbst zu helfen wusste?“ Sie rollte genervt mit ihren Augen und stemmte ihre Faust in die Hüfte. „Gut, beim nächsten Mal werde ich Euch nicht helfen“, entgegnete die andere gähnend. „Kann ich dann bitte wieder schlafen?“ Sie wollte gehen, doch Esmeralda hielt sie fest und zog sie an sich. „Ich bin Euch etwas schuldig, kleine Jasmin“, meinte sie lächelnd. Jasmin war ein passender Name. Wie die schneeweiße Blume. Beide hatten etwas Orientalisches an sich. „Auch wenn ich alleine klar gekommen wäre, Ihr habt mir geholfen. Also, wie kann ich mich erkenntlich zeigen?“ „Ich – ich will nun wirklich keinen Dank“, meinte sie zögernd und wich ihrem Blick aus. Esmeralda schmunzelte. Wie schüchtern dieses Mädchen doch war. So nah war sie nie einer anderen Frau gewesen, das spürte Esmeralda. „Aber ich bin es Euch schuldig, kleine Jasminblüte“, bestand Esmeralda drauf. Gleiche immer eine Schuld aus. So hatte sie es gelernt. Und außerdem faszinierte sie dieses Mädchen. Sie wollte mehr über sie herausfinden. „Das ist wirklich nicht nötig.“ „Denkt Ihr etwa, ich hätte nichts womit ich Euch danken kann? Eine orientalische Prinzessin soll sich in Paris befinden und ich bin mir sicher, sie hat wertvolle Schätze bei sich. Ich bringe dir ein Collier von ihr.“ Die Worte kamen aus ihrem Mund, ehe sie überhaupt darüber nachdenken konnte. Ein Schmuckstück stehlen von einer Prinzessin, die tausendfach besser bewacht wurde, als irgendwelche einfachen Äpfel? Sie stahl doch nur um ihren Hunger zu sättigen, mehr nicht. Doch etwas lag im Blick ihrer kleinen Jasminblüte. „Denkt Ihr denn, es wäre so leicht, die Prinzessin zu bestehlen?“ Was für eine Bredouille. Sie konnte jetzt keinen Rückzieher machen. „Aber natürlich“, meinte sie nun leicht überheblich. „Ich kann alles besorgen, wenn ich es nur will.“ Die junge Frau lächelte verführerisch. „Dann besorgt mir dieses Collier.“ Etwas an ihrem Ton ließ Esmeralda stutzen. Doch sie konnte ihr Gefühl nicht benennen. „Ich werde wiederkommen, sobald ich das Collier habe“, versprach sie und ließ sie dann los. „Das ist ein Versprechen, kleine Jasmin.“ Sie beugte sich vor und hauchte einen sanften Kuss auf ihren Mund. Wie süß sie war. „Bis zum nächsten Mal.“ Kapitel 3: Verwechslungen ------------------------- Li Shang starrte sie fassungslos an. Sie merkte nicht, dass er sie anstarrte, schließlich stand sie unten neben der Tür, unterhielt sich mit einer jungen Schülerin mit wilden, roten Haaren. Sie hatte ihn nicht bemerkt. Er bückte sich und hob seine Tasche hoch, die ihm vor Schreck runtergefallen war. Sie hatte ihr schwarzes Haar offen und trug die dunkelrote Schuluniform mit dem rot-goldkariertem Rock. Das war wirklich Ping. Und Ping war ein Mädchen. Er hatte schon immer eine zierliche Figur gehabt, nein – sie hatte eine zierliche Figur – aber dabei hatte er sich nichts gedacht. Schließlich war Ping ein wirklich guter Batter. Niemand konnte den Ball so weit schlagen wie er. „Shang, was ist denn los mit dir?“ Er blickte auf. Yao stand auf halber Treppe und sah ihn abwartend an. „Komme schon“, meinte er und riss seinen Blick von ihr. „Mensch, was ist los mit dir?“, fragte sein Kumpel ihn. Yao war trotz seiner geringen Größe nicht zu unterschätzen und im Sport schon immer ein ebenbürtiger Rivale gewesen. Seine Gegner unterschätzten ihn meist und waren dann ziemlich überrascht, wenn er sie beim Football einfach umrannte. „Ach, nichts“, winkte Shang ab und sie setzten sich auf eine der freien Bänke auf dem Schulhof. Verdammt, sie stand immer noch da. Und von seiner Position aus konnte er sie wirklich gut sehen. „Und, wie war das Baseballcamp?“, wollte Yao wissen. Shang zuckte mit den Schultern. „Ganz okay“, war alles, was er entgegnete, ehe er seine Limodose öffnete. Jetzt als er darüber nachdachte, hatte sie ihm nie ihren Namen genannt. Er hatte sie einfach nur Ping genannt, weil sie den Tischtennisball gefangen hatte, den er aus Versehen in Richtung des Sofas geschlagen hatte. Und sie hatte ihn nie korrigiert. Er schüttelte den Kopf, fuhr mit einer Hand durch sein Haar. Ping war ein Mädchen. Ein Mädchen mit Brüsten. Und das Schlimmste war, er hatte mit ihm über alle möglichen Sachen geredet. Über Körbchengrößen, was er von Frauen hielt, über Sport. Gott, wie peinlich. Er hatte ein paar ziemlich abwertende Kommentare abgelassen. Wie konnte er nur so blind gewesen sein? Sie war immer in die Kabine zum Pinkeln gegangen, als er fragte, ob sie an den Strand wollen, hatte sie abgelehnt. Na klar, so hätte sie sich ja verraten. Also hatte sie sich auch noch einen Scherz daraus gemacht. Sicherlich erzählte sie ihrer Freundin jetzt von diesem dummen Idioten, der sie für einen Kerl gehalten hatte. Hoffentlich würde er ihr nie, nie, niemals über den Weg laufen. Er musste vorsichtig sein von nun an. Verdammt, das würde ein hartes Schuljahr werden. „Übrigens, was ist eigentlich mit diesem Ping, von dem du mir erzählt hattest?“ hakte Yao nach. Shang seufzte laut. „Ach, nichts.“ Er wollte nicht darüber reden. Wenn er diesen Sommer ungeschehen machen konnte, er würde alles dafür geben. Das Läuten der Glocke kündigte das Ende der Pause an. Zwei Stunden Biologie jetzt, was für ein Traum. Nun, wenigstens war er solange vor ihr sicher. Und vor einer totalen Blamage. Er würde zum Gespött der Leute werden. „Wir sehen uns“, rief er Yao zu, der einen anderen Weg als er einschlug. Sie waren zwar beste Freunde, aber in unterschiedlichen Klassen. Shang winkte ihm noch, ehe er das Klassenzimmer betrat. Er setzte sich an einen der Tische und sah gelangweilt auf sein Handy ohne wirklich hinzusehen. „Guten Morgen Klasse!“ Der Biologielehrer Chi-Fu betrat die Klasse. Er war ein älterer, dürrer Mann mit dünnem schwarzen Haar und Bart. „Wir haben eine neue Mitschülerin. Wenn du dich bitte vorstellen würdest?“ Shang blickte auf. Das durfte nicht wahr sein. Sein Leben war zu Ende. Das war’s, vorbei. Over and out. Vielleicht sollte er wegziehen. In die Wüste oder den Himalaya. „Mein Name ist Fa Mulan“, stellte sie sich vor. „Meine Eltern sind vor kurzem hierher gezogen, weil mein Vater versetzt wurde. Ich hoffe sehr, dass wir gut miteinander auskommen werden.“ „Such dir einfach einen freien Platz“, entgegnete Chi-Fu. „Und ihr anderen, schlagt eure Bücher auf Seite 53 auf. Liest das Kapitel und bearbeitet die Aufgaben.“ Er suchte die Seite und holte Block und Stift aus der Hand. Photosynthese lautete die Überschrift des Kapitels. „Entschuldige bitte.“ Er zuckte zusammen, als er von der Seite angesprochen wurde. Diese Stimme. Wieso musste ausgerechnet der Platz neben ihm frei sein? „Kann ich bei dir in dein Buch reingucken?“ Er nickte und schob es ein Stück zu ihr. Anscheinend hatte sie ihn nicht erkannt. Auch wenn das nicht so bleiben würde. Die Stunde verging und sie hatten kein Wort miteinander gewechselt. Als Nächstes stand Chemie an im gleichen Raum. Er hatte keine Lust das Zimmer zu verlassen und schickte Yao eine kurze SMS. Dann bemerkte er, dass Ping – nein, Mulan – auch sitzen geblieben war. „Ich denke, ich sollte mich bei dir entschuldigen.“ Er blickte sie erstaunt an. „Weshalb?“ „Ernsthaft? Ich hab dich einen ganzen Sommer lang belogen, mich als jemand anderen ausgegeben und du bist nicht wütend auf mich?“ Mulan zog eine Augenbraue hoch. „Shang, so etwas wollte ich nicht. Nur irgendwie hatte ich nie die Gelegenheit es dir zu erklären.“ Sie hatte immer Jungenklamotten getragen. Und sie war ziemlich flachbrüstig, in ihren weiten T-Shirts war ihre Oberweite gut verdeckt. Er zögerte. „Du bist es also wirklich, Ping“, meinte er schließlich. Es gab keinen Zweifel mehr. Düster blickte er sie an. „Du bist ein Mädchen.“ Mulan seufzte. „Ja, das bin ich.“ „Du hättest mir etwas sagen können. Ich hab mit dir über Sachen geredet, die … verdammt, du weißt Sachen über mich, die sonst kaum jemand weiß. Du weißt, wie ich über Frauen denke. Wieso hast du nicht gesagt, wer du bist? Was du bist?“ „Denkst du etwa, mir hat das Spaß gemacht? Ich wollte es ja, aber irgendwie … es war nie die richtige Gelegenheit dafür. Mir hat das Baseballspielen mit dir Spaß gemacht, aber du warst ja der Überzeugung, dass…“ Er erinnerte sich. Frauen können kein Baseball spielen, die würden sich doch nur über ihre Frisur aufregen. Er hatte ziemlich abfällige Kommentare fallen gelassen… „Und, hättest du die Lüge aufrecht erhalten?“, wollte er wissen und verschränkte die Arme vor seinem Oberkörper. „Wir haben Nummern getauscht, wenn du nicht hier wärst, würdest du dich dann immer noch als Ping ausgeben?“ „In einer SMS schreiben, dass ich eigentlich ein Mädchen bin? Du hättest mir doch nie geglaubt… Shang, bitte, hör mir zu. Du hast auf Ping gehört, hat Mulan dann nicht auch ein Recht darauf, dass du ihr zuhörst? Ich bin immer noch derselbe Mensch.“ Er antwortete nicht. „Gut, du bist sauer auf mich.“ Sie stand auf, packte ihre Sachen zusammen. Dabei rollte ihr Stift zu Boden und sie bückte sich um diesen aufzuheben. Reflexartig beugte sich auch Shang vor. Es war ein kurzer Moment, als seine Lippen ihre Stirn berührten. Ihre Haut war warm und ihre Haare rochen süß und lieblich. Er erschrak und zuckte zurück. Geh einfach, flehte er innerlich und wich ihrem Blick aus. „Uhm, ich…“ Sie berührte ihre Stirn, wie er aus dem Augenwinkel sah. „Also dann, wir sehen uns.“ Hastig eilte sie aus dem Raum, ließ ihn alleine zurück. Es dauerte eine halbe Ewigkeit – genauer gesagt bis zur sechsten Stunde – ehe er sein Handy rauskramte und eine SMS abschickte. Ich bin mir sicher, du kennst noch nicht viel von der Stadt. Wenn du magst, kann ich dir nachher alles zeigen. Und es gibt da diesen Chinesen, der macht die besten Frühlingsrollen weltweit. Ihre Antwort kam prompt. Ping muss leider absagen, er hat ein Baseballtraining. Aber Mulan würde sich sehr freuen, wenn du ihr die Stadt zeigst. Kapitel 4: Gespräche -------------------- Sie konnte nicht mehr. Alles, einfach alles hatte sie verloren. Alles, was ihr wichtig war. Ihre Eltern waren viel zu früh von ihr gegangen. Und nun hatte sie auch noch den einzigen Menschen verloren, der ihr etwas bedeutet hatte. Sie schluchzte und versuchte ihr tränennasses Gesicht zu trocknen. Mit diesen Handschellen war es schwer etwas zu machen. Aber die Handschellen schützten sie auch. Durch das dicke Metall konnten ihre Kräfte nicht durchdringen. So konnte sie niemanden verletzen. Es waren schon genug Menschen verletzt worden. Es waren genug Menschen gestorben. Dies hier würde von nun an ihr Zuhause sein. Eine triste Zelle in einem fernen Land. Man hatte sie weggeschafft, damit sie niemanden mehr verletzen konnte. Sie war eine Gefahr für sich und alle anderen. Sie gehörte weggesperrt. Müde legte sie sich auf die harte Pritsche. Ihr war kalt und über eine einfache Decke würde sie sich jetzt sehr freuen. Doch da war keine. Sie wollte die Wachen nicht darum bitten. Ihre Blicke hatten Bänder gesprochen – sie hielten sie für ein Monster. Sie war ein Monster. Es fiel ihr leicht einzuschlafen. Die Reise zu dem Gefängnis hatte lange gedauert, mit Kutsche und einem Schiff waren sie gereist. Die Fahrt war holprig gewesen, eine Gelegenheit zu schlafen hatte sie nicht gehabt. Zu sehr hatten die Gefühle sie wachgehalten. Und sie traute den Männern nicht, die sie zum Gefängnis fuhren. Es waren unheimliche, grobschlächtige Kerle, die bestimmt nichts Gutes im Sinn hatten, wenn sie schlief. Nun aber konnte sie schlafen -  oder war erschöpft genug um endlich ein paar Stunden zu schlafen. Doch ihr Schlaf war unruhig, sie wälzte sich hin und her. Immer wieder diesen einen Namen flüsternd. „ANNA!“ Schweißgebadet wachte Elsa wieder auf. Nach Luft schnappend sah sie sich um und erkannte erst nach einigen Sekunden wo sie war. Eingesperrt in einem Gefängnis fern von ihrer Heimat. Weil ihretwegen Anna zu einer Eisskulptur geworden war. Anna, ihre Schwester. Die nun nicht mehr lebte. Ihretwegen. „Hey, ist alles in Ordnung mit dir?“ Sie blickte auf. Von der Wand neben ihr kam eine weibliche Stimme. Anscheinend gab es in diesem Gefängnis noch weitere Gefangene. Bei ihrer Ankunft hatte sie niemanden bemerkt, aber es war auch dunkel gewesen, als sie angekommen war. Und sie hatte nicht allzu viel auf ihre Umgebung geachtet. „Ja, schon gut.“ Sie hatte keine Lust sich mit irgendjemandem zu unterhalten. Sie wollte alleine sein und vor sich hin vegetieren. Und die Frau von der anderen Seite antwortete auch nicht mehr. Zufrieden legte sie sich wieder hin und versuchte einzuschlafen. Wenn sie schlief, konnte sie vergessen.   ********************************************************************   China war gefallen. Mulan senkte ihren Kopf, während man sie den Gang entlang führte. Die beiden Hunnen brachten sie ins Gefängnis. Dort würde sie den Rest ihres Lebens gefallen. Der Kaiser war tot, Shang war tot. Und sie hatte man gefangen genommen. „Dann Willkommen in deinem neuen Zuhause!“ Die Wache stieß sie nach vorne und sie fiel in die Zelle rein, landete unsanft auf ihren Knien. Hinter ihr fiel die Tür zu. Sie war allein. „ANNA!“ Der Schrei ließ sie aufzucken. Er kam von drüben, aus der anderen Zelle. Sie kroch zu der steinernen Wand, strich über den schwarzen Stein. „Hey, ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie besorgt. Es dauerte eine Weile, ehe eine Antwort kam. Dann war es still. Sie wollte etwas sagen, doch fand sie nicht die passenden Worte. Worüber sollte sie denn schon reden? An diesem tristen Ort gab es doch keinerlei Gesprächsstoff. Und trotzdem, die Stimme dieser anderen Gefangenen hatte so verzweifelt geklungen. Nacht für Nacht hörte sie die Gefangene neben sich weinen und diesen Namen rufen. Anna … Anna …. Anna … Irgendetwas musste vorgefallen sein. „Es tut mir so leid, Anna…“ Erneut hörte Mulan die Andere klagen. „Anna, bitte… verzeih mir doch…“ „Ich bin mir sicher, sie hat dir verziehen“, meinte sie schließlich nach einigen Sekunden. Die Andere hielt inne. „Sie wird mir nicht verzeihen. Meinetwegen ist Anna tot. Ich habe meine eigene Schwester getötet und dabei war sie der einzige Mensch, der mich so akzeptiert hat wie ich bin.“ Das klang … nein, diese Frau war kein skrupelloser Mörder. Ihre Trauer war echt. „Ich bin mir sicher, dass sie dir verzeihen kann. Es war bestimmt nur ein Unfall gewesen.“ Unschuldig im Gefängnis sitzend war wirklich ein schweres Los. Und auch nicht viel besser als der Grund, aus dem sie selbst hier festsaß. „Nein, es war kein Unfall“, erklärte die andere Frau. „Weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte, ist es passiert. Es ist alles meine Schuld. Meine Schuld. Meine Schuld.“ „Aber wenn sie dich wirklich liebt, dann wird sie dir verziehen haben“, entgegnete Mulan. „Und sie würde nicht wollen, dass du dir Vorwürfe machst.“ Es kam keine Antwort mehr. In den nächsten Tagen hörte sie nichts von ihr und beinahe begann Mulan sich zu fragen, ob ihrer Zellennachbarin nicht irgendetwas zugestoßen war. Vielleicht hatte man sie weggeschafft oder dergleichen. „Wieso sollte mich jemand lieben? Ich bin ein Monster.“ Die Stimme war leise und trotzdem verstand Mulan jedes Wort. Sie presste ihr Ohr an den nassen Stein, letzte Nacht hatte es geregnet und das Dach war undicht. „Du klingst aber nicht wie ein Monster“, entgegnete sie. „Du weinst Nacht um Nacht um diese Anna. Ein Monster würde solch einen Schmerz nicht fühlen.“ „Es fällt mir so schwer, das zu glauben… Ich habe Anna schon einmal verletzt. Und dann noch einmal. Ich bin ein Monster…“ „Ich sagte doch, du kannst kein Monster sein. Niemals.“ „Warum bist du hier? Du klingst auch nicht nach einer Kriminellen…“ „Ich habe mich als Mann verkleidet in die chinesische Armee geschlichen, damit mein Vater im Krieg gegen die Hunnen nicht kämpfen muss. Ich wollte meine Familie schützen, doch als man rausfand, dass ich ein Mädchen bin … sie haben mich zurückgelassen und als ich in der Hauptstadt ankam, war es schon zu spät. China war gefallen, der Kaiser wurde hingerichtet und ich wurde gefangen genommen. Mehr gibt es da nicht zu erzählen.“ „Du bist ganz schön verrückt“, entgegnete das Mädchen auf der anderen Seite. „Und mutig.“ Da war ein Lachen herauszuhören. Mulan lächelte. Endlich hatte sie sie auf andere Gedanken gebracht. „Das mit deiner Heimat tut mir Leid“, meinte sie schließlich nach einer Weile. „Wenn ich etwas tun könnte…“ „Es ist vorbei“, schnitt Mulan ihr das Wort ab. „China ist gefallen.“ Bestimmt war schon längst jeder tot, der ihr etwas bedeutete. Vater, Mutter, Großmutter. Sie fehlten ihr so sehr. „Danke“, erwiderte sie schließlich nach einer Weile und Mulan blickte erstaunt auf. „Danke, dass du mich aufgemuntert hast.“ Kapitel 5: Vom Fliegen lernen ----------------------------- „Wovor fürchtest du dich denn?“ Sie lachte und zog sie näher an den Abgrund heran. Sie zögerte, blickte mulmig über den Abgrund. Da unten war nichts. Nichts außer einem Fluss, der von hier oben so winzig aussah. Wie konnte sich Pocahontas nur so sicher sein, dass sie ganz bestimmt in den Fluss fallen würde und nicht daneben? Wenn sie aus dieser Höhe sprangen, dann würden sie doch mit größter Sicherheit auf dem Boden daneben landen. Und dann wäre nur noch Brei von ihnen übrig. „Du bist verrückt, Pocahontas!“ schmipfte Nakoma und ließ sich auf den Boden fallen. Die Felsen waren warm und an vielen Stellen mit Moos bedeckt. „Wieso willst du das nur machen?“ „Das hab ich doch gesagt!“ Pocahontas, die auf einem Felsen nahe dem Fluss stand, drehte sich um und blickte ihre Freundin lachend an. Ihr langes, schwarzes Haar wurde vom Wind verweht, wie so üblich hatten ihre Kleider Löcher und Risse, die sie sich beim Herumstreunern durch den Wald zugezogen hatte. „Um eine Mutprobe zu machen!“ „Pocahontas, diese Mutprobe sollen nur die männlichen Mitglieder unseres Mannes machen“, erinnerte Nakoma sie. „Ja und?“ Ihre Freundin blickte sie verwundert an. „Wir sind keine Männer!“, beharrte Nakoma seufzend. „Also, wieso willst du das dann machen? Lass uns einfach nach Hause gehen… bitte.“ Aber Pocahontas machte keine Anstalten sich fortzubewegen. Stattdessen streckte sie den Arm aus, so als wolle sie überprüfen wie viel Anschwung sie brauchte zum Abspringen. Das Funkeln in ihren Augen verriet eindeutig, dass sie sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen würde. Nakoma schüttelte seufzend den Kopf. Wieso konnte dieses Mädchen nicht ein einziges Mal das tun, was man von ihr verlangte? Nachdem die Jungen vor einer Woche ihre Mutprobe erfüllt hatten um sich als Männer zu beweisen. Sie als Frauen brauchten so etwas nicht zu tun. Ihre Aufgabe war eine ganz andere. Pocahontas schob nachdenkend ihre Unterlippe vor. Sie mochte Nakoma wirklich, aber manchmal war sie so … langweilig. Immer war es Pocahontas, die ein Abenteuer suchte, die sie dazu brachte abzuhauen und im Wald herumzustreunern. So wie es die Jungen taten. Während sie lernen sollten, wie man die erlegten Tiere zubereitete, wie man Kleidung aus den Fellen schuf, die Knochen zu Waffen zu verarbeiten und das Fleisch kochte. Sie mussten lernen wie man sich um die Felder kümmerte, wann das Gemüse reif zum Ernten war. Es war so langweilig. Konnte man es da verübeln, dass sie sich wegschlich? Sie hatte einfach kein Interesse an diesen Aufgaben. „Ich bin sicher, die anderen suchen schon nach uns“, sprach Nakoma weiter und krabbelte auf allen vieren zu Pocahontas, die gefährlich nahe am Abgrund stand. „Jetzt komm schon. Eine falsche Bewegung und du könntest ausrutschen und runterfallen…“ „Dann geh doch einfach wieder!“ Sie streckte dem Mädchen genervt die Zunge entgegen. „Geh und sei ein braves Mädchen wie Mutter es von dir will.“ Sie klang wütend und trat einige Schritte zurück. Dann blieb sie stehen und blickte zögernd zu ihrer Freundin. „Komm schon, Nakoma. Nur dieses eine Mal, mehr will ich doch gar nicht. Lass es uns gemeinsam tun. Wir halten unsere Hände zusammen und ich verspreche dir, dass ich dich nicht loslassen werde. Und du weißt doch, ich bin ein Glückspilz, egal wie tief ich falle, ich überlebe alles. Gemeinsam können wir das schaffen.“ „Du versprichst mir, dass ich wirklich heile unten ankommen werde?“ Pocahontas nickte. „Du kannst ja schließlich schwimmen. Also wirst du überleben.“ Sie zog Nakoma auf die Beine. Ihre Freundin zitterte und sie drückte das Mädchen an sich. „Aber wenn du nicht willst, dann musst du nicht. Man kann nur fliegen, wenn man es will.“ Nakoma zögerte. Schließlich griff sie um ihren Hals und zog die Kette ab, die Pocahontas ihr zum Zeichen ihrer Freundschaft geschenkt hatte. Lächelnd legte sie sie um den Hals ihrer Freundin. „So. Jetzt springe ich mit dir.“ Pocahontas erwiderte ihr Lächeln und drückte sie noch einmal. Dann ließ sie sie los und trat noch einige Schritte nach hinten. Sie atmete ein und blickte entschlossen nach vorne. Und mit einem lauten Kriegsschrei sprintete sie dann nach vorne. Schließlich stieß sie sich vom Boden ab. Wenige Zentimeter sprang sie nach oben, ehe die Schwerkraft sie dann nach unten zog. Und wie ein Vogel breitete sie ihre Arme aus. Das war Freiheit. Das war Fliegen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)