Closed Barrier Murder von UrrSharrador (Ein Shikamaru Nara-Krimi) ================================================================================ Kapitel 3: Resumption/Assumption -------------------------------- Eigentlich sollte er sich schämen dafür, so ruhig geschlafen zu haben. Sie befanden sich in einem Haus voller fremder Ninjas, und einer von ihnen war definitiv ein Mörder. Gut, Shikamaru schlief mit einem Anbu und der Hokage von Konoha in einem Zimmer, aber trotzdem würde ihm ein wenig Wachsamkeit nicht schaden. Trotz allem war ein Selbstmordversuch das Letzte, das er erwartet hätte. Als Shikamaru nach Tsunade aus dem Zimmer stürmte, war seine Wachsamkeit wohl immer noch nicht ganz gegeben. Bei all dem Wirbel, der in seinen Ohren dröhnte, bemerkte er kaum den Kunai, der ihm direkt vor die Füße flog, und um ein Haar wäre er gestolpert. Er blinzelte. Oushi war jetzt oben auf der Galerie, wo die beiden Treppen sich trafen, und kämpfte anscheinend mit jemandem. Das Haus war noch hell erleuchtet, dennoch erkannte Shikamaru erst auf den zweiten Blick Nuriko, die Riff-Kunoichi. Wortlos heulend drosch sie auf den Anbu ein, wirbelte herum, versuchte davonzulaufen – und im nächsten Moment peitschten von jeder Seite Sandwellen auf sie beide ein, rissen sie auseinander und sperrten sie in ein grobkörniges, braunes Gefängnis. Gaara stand auf der Galerie, die Arme ausgestreckt. Seine Kazekage-Kleidung hatte er gegen seine üblichen Ninjaklamotten eingetauscht. Nuriko versuchte unter großer Anstrengung die Arme zu bewegen, steckte aber fest und ließ keuchend einen zweiten Kunai los. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte Gaara scharf. „Lasst sie nicht los, Kazekage!“, rief Yorino, der den Flur entlangstolperte. Shikamaru und Tsunade waren mit einem Satz oben bei ihnen, ebenso Kumui, während Noi bei Lord Kawarami im Erdgeschoss blieb. „Sie – sie hat den Verstand verloren!“ „Ich habe nicht den Verstand verloren“, ächzte Nuriko. Ihr schwarzes Haar klebte auf ihrer verschwitzten Stirn. „Sie wollte sich umbringen“, sagte Oushi nüchtern. „Yorino wollte sie davon abhalten, aber sie hat sich losgerissen.“ Er deutete auf den Treppenabsatz. „Ich bin eingesprungen und habe ihr den Kunai fortgeschlagen. Dann ging sie auf mich los.“ „Es ist alles meine Schuld! Ich muss dafür büßen!“, schrie Nuriko, dass es Shikamaru in den Ohren klingelte. „Hast du Oniyakushi Tarou getötet?“, fragte Gaara sachlich. Die Kunoichi verstummte mit einem Schlag. „Nein … Wie könnte ich …“ „Dann musst du nicht dafür büßen. Büßen wird sein Mörder.“ „Aber ich war damit beauftragt, ihn zu beschützen!“ Tränen liefen das junge Gesicht hinunter. „Ich habe versagt, versagt, versagt!“ „Wir haben alle mehr oder weniger versagt“, meinte Shikamaru und kratzte sich am Hinterkopf. Vielleicht hätte dem Mädchen auch ein wenig Schlaf gutgetan. Im Schlaf fingen Leute nicht plötzlich an, über Vergangenes nachzudenken und sich Vorwürfe zu machen. Nuriko schien sämtliche Muskelspannung zu verlieren. Wie ein nasser Lumpen sackte sie in Gaaras Sandkäfig zusammen, schluchzend und zerstört. Temari trat zu ihr. „Lass sie los, Gaara.“ Als sich der Sand zurückzog, drückte sie die bebende Kunoichi an sich. „Ganz ruhig. Niemand gibt dir die Schuld. Hast du dir so zu Herzen genommen, was diese Fluss-Schreckschraube gesagt hat?“ Shikamaru war froh, dass Noi gerade nicht in der Nähe war. „Oushi“, sagte Tsunade streng. „Was sollte das?“ „Was meinen Sie?“ „Du hast den Schrei gehört und warst wach – immer noch. Und trotzdem hast du erst eingegriffen, als Yorino bereits versucht hat, seine Kameradin von einer riesigen Dummheit abzuhalten.“ Shikamaru erinnerte sich. Kurz nachdem er zum zweiten Mal heute aus dem Schlaf gerissen worden war, hatte er Oushi in der Halle stehen und Tsunade die Situation erklären sehen – obwohl er längst Nurikos Selbstmordversuch hätte verhindern können. Das Gesicht des Anbus war immer noch hinter der Maske verborgen, als er sagte: „Verzeihung, Tsunade-sama. Ich hielt es nicht für so wichtig.“ „Nicht wichtig?“, fuhr sie ihn an. Dann wurde ihre Miene finster. „Wir sprechen uns noch.“ Oushi verbeugte sich nur und zog es vor, nach unten zu verschwinden. „Also.“ Shikamaru massierte seine Kopfhaut und wandte sich hilflos an Yorino, der aussah, als überfordere die Beinahe-Tat seiner Kameradin ihn völlig. „Kannst du mir sagen, was gerade eben los war, bevor der Kunai-Lärm angefangen hat?“ Er konnte sich erinner, dass die beiden Riff-Ninjas ein neues Zimmer zugewiesen bekommen hatten, hier im Obergeschoss, und sie hatten sich zum Schlafen dorthinein verzogen. Zu bewachen hatten sie ja nun niemanden mehr. „Was ist denn los?“ Taa stürmte die Galerie entlang, im Nachthemd und mit einer lächerlichen Zipfelmütze, die farblich gut zu seinem Bart passte. Seinen Rücken schien er plötzlich gar nicht mehr zu spüren. „Wir … Wir haben ganz normal geredet“, meinte Yorino und betrachtete seine jüngere Kollegin unwohl, die von Temari zu deren Zimmer bugsiert wurde. „Darüber, dass der Tod von Lord Tarou schrecklich ist und dass wir wohl nicht allzu nützlich waren …“ „Und das ist ein perfektes Thema“, stellte Kumui fest. Seine graue Haarmähne war noch zerzauster als üblich, offenbar hatte auch er schon geschlafen. „Ich wusste doch nicht, dass sie gleich durchdrehen würde“, erklärte Yorino und breitete hilflos die Arme aus. „Ich habe immer gehört, dass sie emotional sehr belastbar ist und eine Spitzen-Kunoichi, selbstsicher, stark und pflichtbewusst.“ „Und bei einer Übermacht an zerstörtem Pflichtbewusstsein hört wohl auch ihre emotionale Belastbarkeit auf“, meinte Tsunade. „So junge und erfolgreiche Shinobi sind oft verbissen. Oder eher, sie werden so gut, weil sie sich selbst ihren Wert beweisen wollen. So etwas kommt häufiger vor, als man glaubt. Ich werde nachher nach ihr sehen.“ Für den Moment schienen alle stillschweigend damit einverstanden, dass sich Temari um das Mädchen kümmerte. Sie führte sie in das Zimmer des Kazekage und redete die ganze Zeit beruhigend auf sie ein. Shikamaru hätte nicht gedacht, dass sie so viel Einfühlungsvermögen besaß, aber er stellte fest, dass es ihm gefiel.   Nach den jüngsten Ereignissen schlief niemand mehr – außer dem Feudallord der Flüsse. Yorino schien sich schuldig zu fühlen und suchte Gaaras und Kankurous Nähe, als hoffe er, der Kazekage könnte auch sein schlechtes Gewissen zerstreuen. Die Fluss-Shinobi zeigten sich wie erwartet höhnisch ob der Riff-Ninjas, aber immerhin stocherten sie nicht in offenen Wunden. Als Temari und Tsunade endlich aus Temaris Zimmer kamen, dämmerte es draußen bereits. „Sie schläft“, erklärte die Suna-Kunoichi. „Freiwillig?“, fragte Shikamaru. „Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben“, meinte Tsunade und schüttelte den Kopf. „Das Mädchen hat sich da regelrecht in was hineingesteigert. Wusstest du, dass sie so empfindlich ist?“ Die Frage galt Yorino, der den Mund wie ein Fisch auf- und zuklappte, ehe er eine Antwort über die Lippen brachte. „Ich kannte sie nicht persönlich; wie gesagt hält der Feudallord viel von ihr. Ich habe gehört, dass sie leicht reizbar und ein wenig verbissen ist, aber …“ „Und trotzdem hast du Salz in ihre Wunden gestreut“, stellte Shikamaru fest. Er sagte es ohne Tadel, aber Yorino senkte betreten den Kopf. „Tut mir leid“, nuschelte er. Als klar war, dass niemand mehr an Schlaf dachte, wies Taa das Dienstmädchen Aya viel zu früh an, die Tafel zu decken. Wirklich hungrig fühlte sich Shikamaru auch nicht. Er schlenderte ziellos im Anwesen hin und her, allein diesmal, und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Es fühlte sich an, als hätte er noch nicht alle Möglichkeiten von gestern ausreichend ausgeschöpft – und außerdem glaubte er, dass ihm die Lösung des Falls eher einfiel, wenn er eine Nacht drüber schlief. Aber man ließ ihn ja nicht. Es war vielleicht halb sechs, als er an der Küche vorbeischlurfte, wo der Koch mit unübersehbar schlechter Laune das Frühstück zubereitete. Kross gebratener Speck duftete in dem Raum, der Reiskocher war an. „Sag mal, Miyagi-san“, sagte Shikamaru, „woher kommt eigentlich der Strom hier? Die Barriere schirmt uns von der Außenwelt ab, und ich glaube kaum, dass durch das Felsgestein hier Kabel verlegt wurden.“ Der beleibte Mann sah missmutig auf. „Da ist ein Generator“, sagte er. „Wenn du im Dienerzimmer die Metalltür aufmachst, kommst du in einen kleinen Raum. Das Ding brummt so laut, dass man kaum schlafen kann. Wieso fragst du?“ „Nur so.“ Weil er keinen besseren Plan hatte, suchte Shikamaru den Generator auf und fand alles wie beschrieben. Es war eine monströse Maschine, deren Funktionsweise von außen kaum zu entschlüsseln war. Ansonsten stieß er auf nichts Ungewöhnliches. Was hatte er erwartet? Eine Kiste mit der Aufschrift Gift? Zurück im Flur begegnete ihm Oushi. „Auch planlos?“, fragte er ihn. „Bist du etwa planlos?“, versetzte der Anbu. Er trug seine Maske immer noch. „Ein Ninja sollte immer ein Ziel haben. Ich gehe das Anwesen systematisch ab. Wo ein Mord passiert ist, kann es auch einen zweiten geben. Es ist meine Pflicht, die Hokage zu beschützen.“ Während du die anderen nicht so dringend beschützen musst, dachte Shikamaru und erinnerte sich an das, was Oushi sich vor Sonnenaufgang geleistet hatte. Tsunades Worte gingen ihm durch den Kopf. Die Prioritäten waren klar verteilt: An erster Stelle kam Konoha, dann das Bündnis mit Suna, und dann erst irgendwann die kleineren Reiche. Innerlich seufzte er. Verdammte Politik. Jetzt wollte er umso mehr, dass es einen einfacheren Grund für Tarous Tod gab als politische Zänkereien. „Und ist dir auf deinen Rundgängen schon irgendwas aufgefallen?“, fragte er. „Zweierlei.“ Der Anbu hob die Finger. „Erstens, der Riff-Shinobi. Yorino. Er ist völlig neben der Spur. Hat mich nicht einmal bemerkt, als ich an ihm vorbeigegangen bin.“ Shikamaru bohrte gelangweilt in seinem Ohr. „Er wird in einem ähnlichen Tief sein wie seine Kameradin. Und die Ninjas aus diesem Land sind generell nicht so gut ausgebildet wie wir.“ „Das ist es nicht. Wenn Tsunade-sama plötzlich sterben würde, was würdest du tun?“ Shikamaru stutzte. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Der Schlafmangel machte ihm tatsächlich zu schaffen. „Ich würde vermutlich alles tun, um ihren Mörder zu finden.“ „Eben. Und Yorino tut gar nichts. Er träumt nur vor sich hin.“ Das musste nichts heißen, dennoch nahm Shikamaru sich vor, Tarous Leibwächter genauer im Auge zu behalten. Wer sagte schon, dass dessen eigene Leute frei jeden Verdachts waren? Als sein engster Vertrauter wusste Yorino sicher eine Menge über Tarous Angelegenheiten, womöglich die schmutzigen Seiten seiner Seele oder sonstwas. „Und zweitens?“ „Zweitens Kumui und Aya.“ „Was ist mit ihnen?“ „Die Art, wie sie sich ansehen. Sie kennen sich. Kumui starrt ihr regelrecht hinterher. Aya wiederum gibt sich Mühe, ihm aus dem Weg zu gehen, blickt lieber jeden anderen an als ihn.“ „Und da soll noch einer sagen, Anbu haben’s nicht so mit dem Zwischenmenschlichen“, meinte Shikamaru sarkastisch. Oushi zuckte mit den Schultern. „War nur eine Beobachtung. Vielleicht irrelevant.“ Er ging weiter den Flur entlang, als könnte aus der Küche Gefahr drohen. Shikamaru betrat die Empfangshalle und sah die Fluss-Kunoichi Noi vor der Tür ihres Herrn gähnen. Kumui war nirgends zu sehen. Taa huschte im oberen Stockwerk umher – was gab es eigentlich für ihn immer so Wichtiges zu tun? Weder kochte er, noch deckte er den Tisch. Im Grunde war seine Anwesenheit überflüssig. Tsunade hatte Neuigkeiten für Shikamaru, als er ihr Zimmer betrat. „Ich habe ein paar Versuche mit dem verschütteten Sake angestellt“, sagte sie. „Soweit es mir möglich war, habe ich medizinisches Chakra hindurchgeleitet und anschließend untersucht. Mit Sicherheit kann ich es erst sagen, wenn Shizune mir die richtige Ausrüstung bringt, aber der Sake selbst scheint nicht vergiftet gewesen zu sein.“ „Also ist das Gift wirklich irgendwie in die Schale gelangt“, stellte Shikamaru fest. „Möglich. Falls noch etwas darin klebt, kann ich es jedoch nicht mehr feststellen.“ „Können Sie nicht auch irgendwie die Blutbahnen der Leiche untersuchen?“, fragte er ohne viel Hoffnung. Tsunade schnaubte. „Ich würde es tun, wenn wir dann Gewissheit hätten. Aber es besteht eine vierzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass meine Untersuchungsmethode das falsche Ergebnis liefert.“ „Das ist ziemlich hoch.“ „Eben. Darum halte ich es für besser, wenn wir Tarou in seiner Kryostase lassen und auf Shizune warten.“ Shikamaru seufzte, gähnte, und kratzte sich am Kopf. Wenn nur nicht immer alles so kompliziert wäre … „Tsunade-sama … Sie würden mich nicht zufällig auch in Kryostase versetzen, wenn ich Sie darum bitte?“ Die Hokage runzelte die Stirn. „Abgesehen davon, dass das Jutsu bei Lebenden nicht wirkt, will ich trotzdem, dass du weiterhin versuchst, Hinweise zu sammeln.“ „Mendokusai. Mir bleibt auch nichts erspart“, murmelte er. In dem Moment klopfte es an die Zimmertür und Taa kündigte an, dass das Frühstück bereitet wäre.   Es gab Reis, Eier und Speck und ein paar andere, fürstliche Leckereien. Nur dass heute lediglich ein Fürst übrig war. Als Shikamaru sich an die neu gedeckte Tafel setzte, waren alle bis auf Temari und Oushi versammelt. Der Anbu kam aus dem Gang zur Küche. Vielleicht hatte er es sich nicht nehmen lassen wollen, den Keller noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Er legte seine Maske nicht ab, als er Platz nahm, und Shikamaru fragte sich, ob er überhaupt essen würde. Gestern hatte der Anbu auch keine Anstalten gemacht, Taas Kostbarkeiten anzurühren. Er nahm die Sache mit dem anonymen Leibwächter wohl sehr ernst und würde erst alleine etwas zu sich nehmen. Temari war wohl noch in ihrem Zimmer. Die Kage warteten, bis alle bei Tisch waren, und selbst Kawarami schlug noch nicht zu. Ungeduldig verrenkte er sich den Hals, aber die Tafel stand direkt unter der Galerie, und man konnte von hier aus nicht nach oben zu den Zimmertüren sehen. Wo blieb sie nur so lange? Shikamarus vom Schlafmangel gereizte Nerven mussten es ihm natürlich antun, alle möglichen Szenarien durchzudenken und bei den schrecklichsten hängen zu bleiben. Er sah Temari vor sich, wie sie vergiftet in ihrem Zimmer lag, oder auf der Galerie, keine drei Meter über ihnen … Gerade als er begann, sich wirklich Sorgen zu machen, sah er ihre Hand auf dem Treppengeländer, und kurz darauf kam ihr blonder Haarschopf in sein Blickfeld. Als sie sich auf den Platz Shikamaru gegenüber setzte, seufzte er, halb erleichtert, halb genervt von ihrer Verspätung. Und natürlich interpretierte sie seinen Seufzer falsch. „Ärgerst du dich, weil du immer mal wieder was essen musst, damit dein Körper in Schuss bleibt? Schon anstrengend, nicht?“ Sie wirkte nicht ganz so neckisch wie gestern, als würde sie es eher aus irgendeinem verqueren Pflichtgefühl heraus sagen. „Wir hätten es schneller hinter uns, wenn eine gewisse Person nicht ewig lange die Treppe runter gebraucht hätte“, gab er zurück. Temari zuckte mit den Schultern. „Ich habe noch versucht, Nuriko-chan aufzuwecken.“ „Das hättest du dir sparen können“, mischte sich Tsunade ein. „Sie wird mindestens noch bis Mittag schlafen.“ „Ich werde ihr ihre Portion dann ins Zimmer bringen“, erklärte Aya freundlich. Richtig, dachte Shikamaru. Es war nicht geplant, dass sie länger als bis zum Frühstück blieben. Er fragte sich, wie lange Taas Vorräte reichen würden – oder was er gewillt war herzugeben. Die Kage hatten schließlich deutlich gemacht, dass sie hierbleiben würden, bis der Mord an Oniyakushi Tarou geklärt war. Es war eine unangenehme Situation, in derselben Sitzordnung wie gestern zu essen, wenn zwei der Stühle leer waren. Das Unbehagen äußerte sich bei allen auf andere Weise. Gaara war noch stiller, Kankurou mürrischer, Tsunade ebenso. Die Fluss-Ninjas hingegen diskutierten leise miteinander über den Mordfall. Temari zog Shikamaru kaum auf, und er selbst spazierte über den schwindelnd hohen Hängebrücken der Möglichkeiten. Als seine Gedanken wieder einmal zu Oushi glitten, war es fast, als hätten die Flussleute ihn gehört. „Jeder, der sein Gesicht nicht zeigt, ist verdächtig, finde ich“, sagte Noi, das muskulöse Ninjamädchen. Sie sah Tsunade offen an. „Noch dazu hat euer Anbu eine sehr unauffällige Statur. Wer sagt uns, dass immer derselbe unter seiner Maske ist? Kennt Ihr ihn überhaupt selbst?“ „Oushi ist ein Shinobi aus Konoha und genießt mein vollstes Vertrauen“, behauptete Tsunade. Etwas anderes blieb ihr wohl nicht übrig. Die Diskussion zog sich noch hin und eine Frage von Treue oder Untreue schälte sich heraus, und wieder kam die Versammlung zu keinem Ergebnis, außer dass keine der Fraktionen ihre eigenen Mitglieder verdächtigen wollte. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass für jeden ganz klar irgendjemand aus den anderen Ländern der Täter sein musste. Als die meisten satt waren, schickte Aya sich an, die Reste abzuräumen. „Warte, ich helfe dir“, bot Kumui an und stand auf. „Das ist nicht notwendig!“, sagte die Dienerin eine Spur zu schnell. „Bitte, setz dich wieder. Es ist die Aufgabe der Dienerschaft, die Gäste zu bewirten.“ „Und es ist die Aufgabe von Shinobi, Nicht-Shinobi zu helfen“, beharrte Kumui. „Und es ist viel zu tragen für eine einzige Person.“ „Ich … Du …“ Kumui Graumähne hielt schon einen Tellerstapel in Händen, also seufzte Aya. „Hier entlang, bitte.“ Shikamaru zog eine Augenbraue hoch und folgte den beiden mit seinem Blick, bis sie in der Küche verschwanden. „Es wäre gut, wenn sich die Fluss-Ninjas nicht überall einmischen würden“, sagte Kankurou plötzlich. „Wie meinen?“, fragte Kawarami lauernd. „Vorhin habe ich Kumui gesehen, wie er ins Zimmer der Leiche gegangen ist. Und eure Kunoichi hat, ehe ihr euch an den Tisch gesetzt habt, draußen etwas nachgesehen.“ „Ich habe nur die Barriere überprüft“, verteidigte sich Noi. „Das ist nicht notwendig“, warf Gaara ein. „Als eine der vier, die sie aufgebaut haben, müsstest du spüren, wenn etwas dabei nicht stimmt.“ „Vorausgesetzt, du hast Vertrauen in deine Fähigkeiten“, sagte Kankurou nicht ohne Spott. Noi biss sich auf die Lippen und schwieg. „Ich habe die beiden angewiesen, den Mord aufzuklären“, sagte Kawarami freiheraus. „Dazu dürfen sie tun, was sie für richtig halten.“ „Genau das meinte ich“, erwiderte Kankurou. „Temari und Shikamaru sind diejenigen, die damit beauftragt wurden. Wenn so viele Ninjas hier herumlaufen und alles durcheinander bringen, machen sie es ihnen nur schwer damit.“ „Du glaubst doch nicht, dass ich euch diese Sache so einfach anvertraue?“, höhnte Kawarami. „Jeder weiß, dass Konoha und Suna verbündet sind. Und wir warten eben auf Verstärkung aus Konoha, um die Sache mit dem Gift zu klären – soll ich etwa einfach so glauben, dass das Reich des Feuers nichts damit zu tun hat? Ich werde den Teufel tun und euch die Ermittlungen überlassen!“ Wunderbar. Die Saat des Misstrauens keimte fröhlich vor sich hin. Das würde noch extrem lästig werden. „Wollt Ihr damit etwas sagen, Lord Kawarami?“, fragte Tsunade mit schmalen Augen. „Nur, dass ich vor den großen Shinobi-Ländern auch etwas zu befürchten habe“, erklärte der verhutzelte Mann. „Wenn ein Fürst stirbt, warum dann nicht auch der andere?“ Kumui und Aya kehrte zurück und das Gespräch erstarb. „Ein paar Reste sind noch da“, sagte Graumähne lächelnd. „Und ich helfe dir, die auch noch wegzutragen, ja?“ Ayas Wangen waren leicht gerötet. „Danke“, sagte sie und ihre Stimme klang ein wenig nervös. „Es ist nicht allzu viel. Da du mir deine Hilfe angeboten hast, würde es dich stören, wenn du den Rest allein in die Küche bringst?“ Kumuis Kinnlade klappte hinunter. „Und was tut dann die Dienerin?“ „Ich bringe Nuriko-san ihre Portion. Du wirst doch sicher den Anstand haben, nicht zu einer schlafenden Frau ins Zimmer zu gehen?“ Touché, dachte Shikamaru. Nuriko schlief zwar garantiert noch, aber sie als Schild vor Kumuis Aufdringlichkeit zu benutzen war ein Schachzug, den er Aya nicht zugetraut hätte. Dabei hatte er gedacht, die Dienerin wäre nicht allzu hell im Kopf. Missmutig schlüpfte der Ninja mit der grauen Haarpracht in die Rolle eines Dieners und sammelte die übrigen Teller und Schalen ein, während Aya die Treppe hochstieg. Shikamaru stand ebenfalls auf und streckte sich. Der gemütliche Teil war getan, ab jetzt rief wieder Ermittlungsarbeit. Dabei wusste er gar nicht, wie er weitermachen sollte. Ein Schrei, der in Shikamarus Ohren klingelte, ganz ähnlich dem einen, den er gestern schon gehört hatte. Ein Poltern, oben wurde eine Tür aufgerissen. „Taa-sama!“, hörte er Aya kreischen. „Schnell! Es ist etwas … Es ist schrecklich!“ Wer noch nicht stand, sprang sofort auf. Shikamaru hatte plötzlich ein ganz mieses Gefühl. Wieder hielten sich die Shinobi nicht mit Treppensteigen auf. Während Kawarami und Taa noch die Stufen hinauffluchten, standen die anderen schon vor der offen stehenden Tür und starrten in das Zimmer der Suna-nins. Shikamaru stieß eine leise Verwünschung aus. Es war wieder ein Mord geschehen. Und das, während sie alle zusammen an der Tafel gegessen hatten. Plötzlich wurde ihm übel. Gegen diesen Anblick war Tarous verrenkter Leichnam harmlos. Nuriko lag immer noch auf Temaris Futon – das heißt, das meiste von ihr. Das ehemals weiße Laken war blutdurchtränkt, die rote Spur zog sich über die Holzdienen fort bis zur gegenüberliegenden Wand, wo Nurikos Kopf lag. „Sie ist tot“, murmelte Aya kreidebleich. „Sie ist tot … Ihr Kopf …“ „Das ist doch unmöglich!“, rief Kankurou. „Wir waren doch alle gerade unten!“ „Wenn jemand die Treppen heraufgegangen wäre, hätten wir ihn gesehen“, murmelte Tsunade. Temari hatte die Hand vor den Mund geschlagen. „Oh nein … Denkt ihr, sie ist aufgewacht und hat da weitergemacht, wo wir sie unterbrochen haben?“ Für einen Moment schwiegen die anderen. „Unmöglich“, meinte Shikamaru und diesmal hörte er das Vibrieren seine Stimme, von dem sie gestern gesprochen hatte, selbst. „Hier ist nirgendwo eine Tatwaffe zu sehen.“ „Außerdem sollte sie noch einige Stunden schlafen“, sagte Tsunade überzeugt. „Es kann nicht sein, dass ich einen Fehler gemacht habe.“ „Die Sand-Kunoichi“, krächzte Kawaramis Stimme plötzlich. Er stand schwer atmend neben Taa in der Tür und funkelte Temari an. „Was willst du uns vormachen? Du warst als Letzte in diesem Zimmer!“ „Ja, aber …“ Sie unterbrach sich. „Sie hat noch gelebt, als ich zu euch gegangen bin! Sie hat friedlich geschlafen, ganz sicher!“ „Wir würden doch wohl Blutspuren auf Temaris Kleidung sehen, wenn es anders wäre“, sprang ihr Kankurou bei, als Kawarami nur böse starrte. „Ein guter Ninja kann es vermeiden, dass er mit Blut besudelt wird“, sagte Noi tonlos. „Augenblick.“ Oushi drängte sich nach vorn. Immer noch war er die Ruhe in Person, ganz der Muster-Anbu. Er trat zu Nurikos Körper und streckte eine Hand darüber aus, wie schon heute Nacht über Tarou. Dann ging er noch zu ihrem Kopf und tat dort dasselbe. Schließlich drehte er sich zu Tsunade um. „Diesmal ist es eindeutig. Sie wurde von einem Ninja getötet. Da sind noch Spuren von fremdem Chakra an der Wunde.“ „Und weiter?“, drängte Tsunade. „Kannst du feststellen, wessen Chakra es ist?“ Der Anbu schüttelte den Kopf. „Dazu ist die Wunde schon zu alt. Das Chakra ist schon ziemlich verblasst und hat sich mit Nurikos eigenem vermischt. Was ich aber sagen kann, ist, dass es ein sehr aggressives Chakra war – Wind-Chakra. Der Täter dürfte damit nur einen einzigen Schlag gebraucht haben.“ Shikamaru starrte Temari an und sah, wie das Gesicht der besten Wind-Nutzerin, die er kannte, alle Farbe verlor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)