Mein kleines Hündchen von NekoBastet (Als Junge geboren, zum Haustier erkoren...) ================================================================================ Kapitel 11: Du bist nun mal mein Freund --------------------------------------- Jeder Moment ist vergänglich. Das wurde Yuuki bewusst, als das Handy von Ada-chan klingelte. „Oh nein!“, rief das Mädchen überrascht und packte hastig die übrigen Sachen vom Lunch ein. Verwirrt sah der Junge zu der Klassensprecherin auf, als sie ihm das Schälchen Reis unter dem Stäbchen weg klaute. „Was ist denn los?“, fragte er, als sie kaum den Anschein machte, dass sie die Situation noch einmal erklären würde. „Guck doch mal auf die Uhr, Baka-ki! In wenigen Minuten ist die Pause rum. Immerhin hat Shin mir noch geschrieben, sonst hätte ich die Zeit selbst noch verpasst!“, zeterte sie hektisch. „Ich bin die Klassensprecherin! Ich komme nie zu spät.“ „Oh man, warum sagst du das nicht gleich? Ich musste letztes Mal schon nachsitzen!“ Sofort machte Yuuki Anstalten, seiner Freundin beim Packen zu helfen. Riku-chan hingegen war die Ruhe selbst und nahm ihr Schälchen sicherheitshalber direkt in die Hand. So konnte es ihr keiner stehlen. Seiichi streckte sich und seufzte gelassen. Obwohl auch er sich ausreichend an dem ihm gebotenen Buffet bedient hatte, sah er keinen Sinn darin, seinem Kleinen beim Einpacken zu helfen. „Baka-ki, hm? Überraschend, dass du darauf hörst, aber niedlich.“ Dass Adoka ihn eben Baka-ki genannt hat, war Yuuki bis dahin überhaupt nicht bewusst gewesen, aber für seinen Zwangs-Freund war dieser Name offensichtlich ein gefundenes Fressen. „Ohhh nein, das kannst du gleich wieder vergessen.“, mahnte Yuuki ihn und warf dem Älteren einen verheißungsvollen Blick zu, der eigentlich Unmut signalisieren sollte. Doch eben dieser Blick kitzelte aus Seiichi ein verspieltes Lächeln heraus. „Wenn du mich immer so wild ansieht, wenn ich dich necke, dann wird das mein neues Hobby.“, säuselte er und legte sich rücklings auf dem Schuldach hin. Ada-chan prustete los, während sie nicht weniger hektisch die übrigen Sachen in die Tüte zurück stopfte. „Dann solltest du mal sehen, was für einen Blick Yuuki drauf hat, wenn er sich über Akira-kun ärgert.“, kommentierte sie gedankenverloren, verstummte aber schlagartig, als ihr das heikle Thema 'Akira-kun' bewusst wurde. Seiichis Augen verengten sich missbilligend. Nicht gegenüber Adoka, sondern bei dem Gedanken an seinen Rivalen. Niemand hatte ihm jemals derart im Weg gestanden, wie dieser trotzige Bengel. „Akira Ryuji schon wieder, hm?“, brummte er nur. Dann stand er auf, klopfte sich die Falten aus der Kleidung und sah in die Runde. „Ich geh dann mal.“ Ada-chan war sich sicher, etwas falsches gesagt zu haben und die plötzlich umgesprungene Stimmung sorgte dafür, dass sie sich unwohl fühlte. „Entschuldigung.“, nuschelte sie reumütig und sah zu Boden, aber eine kräftige Hand tätschelte ihren Kopf. „Ist nicht deine Schuld, kleine Prinzessin. Du bist eine sehr verantwortungsvolle Klassensprecherin.“, erklärte Seiichi und wandte sich dann zu Yuuki um. Er zog den Kleineren auf die Beine. „Kommst du kurz mit?“ Obwohl diese Worte als Frage formuliert waren, war es mehr ein Befehl, dem Yuuki nachkommen musste. Ohne, dass ein Funken Widerstand in ihm aufblitzte und ungeachtet der knappen Zeit, die sie nur noch hatten, ging er mit seinem Senpai um die Ecke des Hausblocks. Hinter ihnen her rief Ada-chan: „Beeilung, wir haben nicht mehr ewig viel Zeit.“ Dann wurde es still. Selbst das Scheppern und Klappern der Lunch-Sachen war nicht mehr zu hören. Als Adokas Stimme verklang, schien auch der Rest der Welt zu schweigen. Nur der Wind traute sich, die Blätter der Bäume weit unter ihnen auf dem Gelände zum Rauschen zu bringen. Yuuki war Seiichi unschlüssig gefolgt. Sie standen nun wieder auf der Seite mit dem Zugang zum Treppenhaus. Seiichi ordnete seine Klamotten noch einmal und pickte einen Krümel von seiner Jacke. In gewisser Hinsicht wunderte sich Yuuki darüber, dass sogar Seiichi in seiner Position noch die Schuluniform trug. Der Jüngere beobachtete seinen Zwangs-Freund dabei, wie er zu seinem hochgebundenen Zopf griff und vorsichtig das Band daraus löste. Unfähig, die Augen von diesem schönen Menschen zu reißen, starrte er das im Wind wehende Haar an, dass sich wie eine schwarze Aura um Seiichi legte. Eine seidig glänzende, federleichte Aura, die das feine Gesicht betonte und die hohen Wangenknochen umspielte, als wollte sie diesen Menschen zu noch übernatürlicher Schönheit verhelfen. Yuuki blieb die Luft weg. „Es ist beinahe erschreckend, wie schön du bist.“, hauchte er unbewusst. Der Auftritt hatte sein Übriges getan, den Jungen Respekt und Ehrfurcht für seinen Senpai empfinden zu lassen. Ein Lächeln schlich sich wieder auf Seiichis Gesicht. „Wenn ich auch jeden etwas abschrecken möchte, so dich auf keinen Fall, mein kleines Hündchen.“, antwortete er auf das Kompliment und zog Yuuki zu sich. Mit einem einzigen Handgriff pinnte er den Kleineren an die weiße Wand des Treppenhauszugangs. Er hielt ihn nicht fest und doch spürte Yuuki nach einem leichten Druck gegen die Griffe des anderen, dass er nicht entkommen könnte. Also sah er beschämt zur Seite. Diese Position des Ausgeliefertseins machte ihn unruhig. „Lass mich los.“, forderte er, obwohl er wusste, dass sein Zwangs-freund dem nicht entgegenkommen würde. Seine Arme wurden über seinen Kopf gezogen, bis Seiichi beide Handgelenke von Yuuki mit einer Hand zusammenhalten konnte. Mit der nun freien Hand drehte der Ältere das Gesicht seines Freundes zu sich. „Wenn du irgendwann zahm bist, lasse ich dich vielleicht mal von der Leine.“, erwiderte er spielerisch. Doch dann wurde sein Ausdruck ernst, wobei er immer noch seine Sanftheit nicht verlor. Seiichi wanderte mit seiner Hand von dem Gesicht des Jüngeren über dessen verbundenen Hals und entlang seiner Seite. Dabei zuckte Yuuki zurück. „Lass dieses Gegrabbel, das kitzelt.“ Sich beschwerend zuckte der Jüngere weg und spannte sich an. Ihm gefiel diese Situation immer weniger. „Ich dachte, du wolltest mit mir reden und nicht mich belästigen.“ „Tun wir doch, aber lass mir doch auch meinen Spaß.“ „Ja, klar... Vergnüg dich ruhig...“ Der Sarkasmus war aus Yuukis Stimme herauszuhören und Ungeduld ließ ihn die Augen verdrehen. Schlagartig riss er sie auf, als er zu spüren bekam, dass Seiichi seinen Sarkasmus offensichtlich als Einladung missverstanden hatte. Ehe er überhaupt reagieren konnte, krachten die Lippen des anderen auf sein. Seiichi küsste ihn. Schon wieder. Gierig drückte sich der Senpai gegen seinen Schützling, bis sich kaum noch ein Zentimeter ihrer Körper nicht berührte. Immer wieder überbrückte er den Abstand ihrer Münder und küsste den Jüngeren, biss ihm auf die Unterlippe und leckte danach beinahe entschuldigend darüber. Und das schlimmste für Yuuki war... Sein Körper antwortete. Nicht gesteuert, nicht gewollt, sondern instinktiv reagierte er zustimmend und verbannte seine Proteste in sein Inneres. Als Seiichi spürte, wie Yuuki sich ihm hingab, wurde er mutiger und ging noch einmal mit seiner freien Hand auf Wanderschaft. Mit einem Ruck zog er das lässig und grob in die Hose gesteckte Hemd hoch. Der Ältere konnte kaum ein Keuchen unterdrücken, als er endlich einmal die zarte Haut seines Freundes unter seinen Fingern spürte. „Deine Haut...ist so weich...“, knurrte er durstig nach mehr gegen Yuukis Lippen. „Und du behauptest, ICH sei schön...“ Während Seiichi sprach, schnappte Yuuki nach Luft. Das Gewicht, das ihn gegen die Wand pinnte, hatte ihm nur noch flache, kurze Atemzüge erlaubt. Ihm blieb nur kurze Zeit zum Hecheln, bis wieder seine Lippen beschlagnahmt wurden. Doch die Zeit genügte dafür, dass Yuukis Verstand wieder einsetzte. Mit der übrigen Kraft, die ihm blieb, drückte er seine Handgelenke gegen den Griff des Älteren. „Nicht... Bitte...“, keuchte er flehend zwischendurch und verfluchte sofort seine Stimme. Diese sagte zwar, was er wollte, verriet aber den Zustand seines Körpers in ihrem Klang. Und dieser Klang forderte mehr von dem, was Seiichi ihm gerade gab. Dennoch sah Seiichi seinem Schützling bei den Worten sofort in die Augen und las aus ihnen, was der Kleinere wirklich meinte. Er hörte auf, Yuukis Lippen zu beanspruchen, doch nicht, ohne noch einmal kurz sanft zuzubeißen und dem Kleineren ein williges Stöhnen zu entlocken. Die dunkelgrauen Augen Yuukis trafen auf die eisigen und gleichzeitig so warmen, stahlgrauen Augen Seiichirous. Yuuki fühlte sich ertappt. Sein Körper hatte ihn verraten, hatte sich der Schönheit und Verführung des Älteren hingegeben und keinen Protest gelten lassen. War er wirklich so leicht zu haben? Nein! Wut kochte in Yuuki hoch. Keine Wut auf das, was Seiichirou mit ihm anstellte, sondern Wut auf sich selbst, dass er so wenig Kontrolle über sich hatte. Konnte da denn wirklich jeder einigermaßen kompatible Mensch ankommen und ihm nach Belieben solche Töne entlocken? Kannte sein Körper überhaupt Grundsätze wie Würde und Ehre? Yuuki fühlte sich billig. Kein Wunder, dass ihm diese Geschehnisse in der alten Schule widerfahren waren, wenn alle außer ihm wussten, wie leicht man ihn haben konnte. Seiichi spürte die Veränderung, die in seinem Freund vor sich ging. Er sah ihn eindringlich an und stierte in seine Seelenspiegel, die erst nach mehr dürsteten und auf einmal den Glanz der Verachtung annahmen. Auch erkannte er, dass diese Verachtung nicht ihm galt. Aber wem dann? Schließlich brachte sich Yuuki dazu, wieder zu sprechen. „Bitte... Mach das... nicht... so viel.“, gab er stotternd von sich. Er schämte sich so sehr, dass er dem silbernen Blick seines Zwangs-Freundes nicht mehr standhalten konnte. Außerdem kämpfte er damit, dass keine der Tränen, die sich angesammelt hatten, seine Augen verließen. Obwohl ihn die Scham und die Wut auf sich selbst beinahe auffraßen, hatte er es nicht geschafft, Seiichi zu bitten, für immer damit aufzuhören. In gewisser Hinsicht tat es gut, jemanden zu haben, der ihn begehrte, der alles für ihn tun würde und der ihm manchmal die Nähe gab, die er sich eigentlich wünschte. Und doch kam er sich falsch vor, eine solche Person in Seiichirou zu suchen, der sich von Anfang an bedingungslos für ihn entschieden hatte. Seiichi ließ die Handgelenke des Jüngeren los, zog ihm das Hemd wieder runter und nahm dann die schmalen Hände seines Freundes in seine. Vom Hochhalten waren sie kalt und blass geworden und zitterten etwas. Er strich darüber, um sich zu wärmen und zu beruhigen. „Eigentlich hatte ich das hier gerade überhaupt nicht vorgehabt.“, gab Seiichi zu und beugte sich runter, bis seine Stirn die von Yuuki berührte. „Aber als du mich so angesehen hast, konnte ich nicht anders.“ „Es... Es war okay.“, fing Yuuki an, korrigierte sich aber sofort. „Ich meine: Es war nicht okay, aber es war auch nicht schlimm. Es ist nur... Dir fällt das so leicht.“ Der Junge zog zweifelnd die Stirn kraus. „Ich will nicht, dass du mich behandelst, als wären wir wirklich zusammen und trotzdem konnte ich mich nicht wehren, als du...“ Er schluckte schwer. Es war hart, diese Selbstzweifel in Worte zu fassen. Seufzend wuschelte Seiichi seinem Freund durchs Haar. „Nur damit das klar ist. Wir. Sind. Zusammen. Ob du willst, oder nicht. Aber du darfst dir wirklich nicht verübeln, dass du so auf mich reagiert hast.“ Ein Lächeln zeichnete sich wieder in dem Gesicht des Älteren ab. Doch diesmal strotzte es vor Selbstbewusstsein und Zufriedenheit, was die Worte, die darauf folgten, nur unterstrichen. „Es geht nun mal jedem so, wenn man sich mir gegenüber gestellt sieht. Keiner kann mir widerstehen.“ Wirklich? Yuuki traute kaum seinen Ohren. Meinte dieser Kerl das gerade ernst? Die Zweifel von Yuuki waren wie weggewischt und machten Platz für pure Entrüstung. „Das ist deine Erklärung für all das??“, fauchte er, entsetzt darüber, dass ein Mensch so viel von sich selbst halten konnte. „Dass du im wahrsten Sinne des Wortes unwiderstehlich sein sollst? Pff, dass ich nicht lache! Du bist echt eingebildet.“ „Was denn?“, verteidigte sich Seiichi. „Offensichtlich ist es dir genauso wenig recht, wenn du denkst, du wärst leicht zu haben.“ Genervt entgegnete Yuuki in ironischen Tonfall: „Dann ist es natürlich viel besser, jemandem auf den Leim zu gehen, der sich selbst ohnehin für perfekt hält.“ „Ich habe nie perfekt gesagt.“ „Nein, nur mindestens so toll, dass sich dir keiner widersetzen kann.“ „Trotzdem bist du der Einzige, bei dem ich will, dass es wirkt!“ „Also gibst du es zu, dass- Moment, wie bitte?“ Dieser Kommentar brachte Yuuki aus dem Konzept. „Der Einzige? Merk dir endlich, dass wir nicht zusammen sind.“ Seiichi hob den Arm von Yuuki mit dem Reif hoch und hielt ihn vor sein Gesicht. „Hier. Armreif. Familiengesetz. Wird das gebrochen, droht Schlimmeres als der Tod. Also sind wir liiert.“ Yuuki erinnerte sich. Das Gespräch hatten sie vorhin schon einmal geführt. „Ich will trotzdem nicht der Einzige für dich sein.“, erwiderte Yuuki trotzig, befreite seine Hände und verschränkte die Arme vor der Brust. Überrascht zog Seiichi die Augenbrauen hoch. „Du willst, dass ich neben dir noch andere habe?“ „Nein! Ich will am besten gar kein Teil deines verfluchten Harems sein.“ „Bist du ja auch nicht.“, stellte Seiichi fest. „Ja, bin ich auch nicht.“, verdeutlichte Yuuki. „Weil du nun mal der Einzige bist...“ „...“ Yuuki war für einen kurzen Moment sprachlos gegenüber solcher Argumentation. Vermutlich wollte sein Zwangs-Freund den Punkt dieser Diskussion überhaupt nicht verstehen. „Du bist unverbesserlich. Ich werde mich nicht wie dein Freund verhalten.“ „Das habe ich nicht erwartet. Deshalb habe ich mir dich ja ausgesucht.“ Damit tätschelte Seiichi den Kopf seines Freundes aus Überzeugung. Yuuki schüttelte den Kopf und damit das Tätscheln ab. „Lass es einfach.“ Einerseits ärgerte er sich über solche Überheblichkeit, andererseits hatte Seiichi allerdings auch recht, dass ihm der Gedanke, einem vermeintlich perfekten Menschen zu erliegen, mehr gefiel, als die Möglichkeit, leicht zu haben zu sein. Eigentlich hatte Seiichi ihn damit gerettet. Dem siegessicheren Blick zu Folge war ihm das auch mehr als bewusst. „Wie auch immer... Worüber wolltest du eigentlich mit mir reden?“, fragte nun Yuuki. Über die 'ungeplante Unterbrechung' hinaus war die eigentliche Intention dieser Unterhaltung unter den Tisch gefallen. Doch dann kamen die beiden Mädchen um die Ecke. „So, ihr hattet jetzt echt genug Zeit. Wir müssen zum Unterricht.“ Yuuki warf Seiichi noch einen fragenden Blick zu und nickte dann Ada-chan entgegen. „Du hast recht.“ Er wandte sich zum Gehen, wurde aber noch einmal aufgehalten, bevor er die Tür zum Treppenhaus öffnen konnte. „Wir sprechen da später nochmal drüber.“, kündigte Seiichi an. Dann winkte er ab. „Ich bleibe noch ein bisschen hier oben.“ Die drei Freunde beeilten sich daraufhin, um noch rechtzeitig zum Biologie-Unterricht zu kommen. Sie erreichten den Saal sogar noch, bevor der Lehrer auftauchte. Von Ada-chan bekam Yuuki einen mitleidigen Blick zugeworfen. „Dann ab nach hinten mit dir.“, verabschiedete sie sich. „Aber bitte stirb nicht!“ Schon traurig, wenn man das vor dem Unterricht sagen musste und es sogar ernst meinte. Yuuki nickte und winkte gespielt lässig ab. Während er die Stufen des Saals erklomm, nickte er kurz zu Shin und Yori hinüber, die schon längst Platz genommen hatten. Dann sah er seinem eigenen Platz in der letzten Reihe entgegen. Erstaunlicherweise war der Tisch neben ihm frei. Kam Akira-kun nicht zum Unterricht? War er nicht sogar schon vor ihm selbst wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden? Immerhin würde es dann diesmal seine erste gewöhnliche Biologie-Stunde werden, dachte sich Yuuki schulterzuckend, breitete die Schulsachen auf seinem Tisch aus und hörte mehr oder minder interessiert dem Lehrer zu, der sich wenige Minuten später im Saal eingefunden hatte. Zunehmend gelangweilt begann Yuuki damit, kleine Stücke Papier aus seinem neuen Heft zu reißen, daraus kleine Kugeln zu rollen und sie mit dem Stift über den Tisch zu kicken. Seine Aufmerksamkeit wurde erst wieder geweckt, als die Tür des Saals aufgeschoben wurde. „Sie sind zu spät, Akira-kun.“, dröhnte der Lehrer feststellend. Akira-kun zuckte nur mit den Schultern. „Wurde aufgehalten.“, antwortete er knapp, würdigte den Lehrer keines Blickes und ging die Stufen hoch zu seinem Platz neben Yuuki. Keiner der Schüler, außer Ada-chan, Riku-chan und Yuuki, traute sich, Akira-kun direkt anzusehen. Ada-chan, weil sie noch immer fassungslos darüber war, was Akira-kun Yuuki angetan hatte. Riku-chan, weil sie vermutlich so empfand wie ihre Freundin. Nach der Reaktion auf dem Dach konnte man aber kaum noch sagen, was wirklich im Kopf dieses Mädchens vor sich ging. Und Yuuki, weil er sofort erkannte, das irgendetwas nicht stimmte. Warum sollte es Akira-kun nach dem Wirbel um die Abwesenheit wegen des Unfalls riskieren, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem er zu spät kam? Trotz all der Geschehnisse kannte Yuuki seinen Erzfeind kaum, aber eine leise Stimme in ihm flüsterte ihm zu, dass hinter dieser Verspätung mehr steckte. Yuuki hatte auch dann noch nicht weggesehen, als Akira-kun neben ihm Platz genommen und seine Sachen ausgepackt hatte. „Hast du 'n Problem?“, zischte Akira-kun scharf aber leise, sodass nur Yuuki es mitbekam. Der Angesprochene schüttelte schnell den Kopf. Er hatte nicht vor, sofort nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wieder seinen Hals zu riskieren. Diese gedankliche Formulierung traf die Situation etwas zu präzise, was Yuuki zum Schmunzeln brachte. Hals riskieren... Wohl war. Doch sofort verschwand das Grinsen, als er daran dachte, dass derjenige, der dafür verantwortlich war, direkt neben ihm saß. Dieser Typ war unberechenbar und gewalttätig... Und bissig. Da sollte Yuuki noch so oft Hund genannt werden, aber immerhin hatte er noch nie jemanden derart gebissen. „Fahr zur Hölle, du krankes Arschloch.“, nuschelte Yuuki zwischen seinen Zähnen hindurch. Diese Worte kamen automatisch aus ihm heraus. Akira-kun räusperte sich und stierte ihn mit mörderischen Blick an. Hatte er das etwa gehört? Verdammt, so laut hatte er das gar nicht sagen wollen. Yuuki beschloss, sich erst einmal wieder dem Unterricht zu widmen. Jetzt, da Akira-kun zu spät gekommen war, hatte der Lehrer wahrscheinlich einen noch genaueren Blick auf die letzte Reihe und er wollte kaum seine Note dafür riskieren, schon wieder mit Akira-kun anzuecken. Außerdem dachte der Lehrer nun doch, dass sie gut miteinander auskämen. Wenige Minuten später bereute Yuuki seine Entscheidung. Trotz der eigentlich aufweckenden, dröhnenden Stimme des Biologie-Lehrers war das Thema trocken. Vererbung. Generationen. Bei Familienangelegenheiten musste Yuuki aktuell hauptsächlich an Seiichi denken, dessen Familientradition es vorsah, dass der Träger ihres Armreifs mit dem Erbe des Clans mindestens zusammen war. Womöglich für immer. Wie konnte er dieses Problem nur lösen? Sollte er etwa tatsächlich bei Seiichis Vater vorsprechen, ihm die Situation erklären und ihn bitten, den Armreif zu lösen? Nein, das wäre keine Alternative. Da konnte er auch gleich zum Handwerker gehen und das Teil aufbrechen lassen – würde dieser Tradition in etwa den gleichen Grad an Respekt erweisen. Gar keinen. Yuuki verzweifelte zunehmend. Entweder, er beschäftigte sich direkt mit den Familienverhältnissen seines 'Freundes', oder, er hörte dem Biologie-Lehrer zu, der über Vererbung redete, was Yuuki zwangsweise wieder zu Seiichi führte. Alles hatte das gleiche Ergebnis. Yuuki raufte sich die Haare und kratzte über die verbundene Wunde an seinem Hals. Sie juckte. 'Was juckt, das heilt.', hatte er die Stimme seiner Mutter im Kopf, die ihm schon von Kindesalter an beigebracht hatte, nicht an Wunden zu kratzen. Und dennoch tat er es. Erst, als plötzlich ein Heft auf Yuukis Tisch landete, sah er von seinen eigenen, unvollständigen Notizen auf. Es war ein grünes Heft, auf dessen Einschlag der Name 'Akira Ryuji' geschrieben stand. Yuuki sah zu seinem Erzfeind hinüber, der aber nur mit eiskaltem, düsterem Blick auf das Heft deutete. Wieder eine Morddrohung? Nicht schon wieder. Seufzend schlug Yuuki das Heft auf und stieß zunächst auf ordentliche, vollständige Biologienotizen. Sie waren sogar mit Datum versehen. Er blätterte weiter. Wenige Seiten später entdeckte Yuuki einen Eintrag mit dem aktuellen Datum. Nur ein Wort stand unter diesem Datum. „Probleme?“ Yuuki runzelte die Stirn. „Was denn? Ich hab dich nicht mal angesehen! Du bist echt empfindlich.“, schrieb er darunter, schlug das Heft zu und reichte es auf Kniehöhe an Akira-kun zurück. Es wurde ihm beinahe aus der Hand gerissen, womit Yuuki seinem Erzfeind einen verwirrten Blick zuwarf. Dann aber schüttelte er genervt den Kopf. Empfindlich war das falsche Wort gewesen. 'Chronisch gestört' hätte es besser getroffen. Kurze Zeit später landete das Heft wieder vor Yuuki. Diesmal war es so umgeschlagen, dass die Seite mit dem Datum direkt außen war. Wie praktisch. Gespannt, was nun für ein provokanter Kommentar zurückkam, beäugte Yuuki das Heft. Was er las, überraschte und ärgerte ihn gleichzeitig. „Ich meine, ob du Probleme mit dem Biss hast. Baka!“, stand dort. Wieder warf Yuuki einen fragenden Blick in Richtung Akira-kun. Erkundigte dieser Kerl sich gerade wirklich nach seinem Befinden?? Was Yuuki allerdings ärgerte, war, dass in dieser Unterhaltung er selbst den aggressiven Part übernommen hatte, schließlich war er es gerade gewesen, der zu viel in dieses eine Wort hineininterpretiert hatte. Aber was sollte so ein Verhalten plötzlich von Akira-kun? Sein Sitznachbar sah nicht zurück. Also blieb Yuuki wohl nichts anderes übrig, als zu antworten. „Es geht.“, schrieb er. „Es juckt und der Verband drückt etwas, aber es scheint gut zu verheilen.“ Damit gab er das Heft wieder unauffällig zurück, nur, um es ein paar Sekunden später wieder in Empfang zu nehmen. Immerhin landete es jetzt nicht mehr urplötzlich auf seinem Tisch. „Ich würde ja sagen, dass es mir leid tut, aber das wäre gelogen. Wird's echt 'ne Narbe?“, stand in feinen, ordentlichen Zeichen im Heft. Akira-kun hatte eine wirklich schöne Handschrift. Das hätte Yuuki ihm gar nicht zugetraut... Obwohl... Er war eigentlich doch ein Musterschüler, nicht wahr? Doch was sollte er nun auf die Frage antworten? „Hättest du wohl gern.“, schrieb Yuuki erst. Doch dann strich er es wieder durch. Eigentlich sinnlos, wenn man bedachte, dass Akira-kun es sicher trotzdem entziffern konnte. „Arschloch... Warum bist du zu spät gekommen?“, stellte Yuuki also lieber eine Gegenfrage. Als er das Heft zurückgab, schnaubte Akira-kun kurz. Das klang für seine Verhältnisse wie ein verächtliches Lachen. Wahrscheinlich hatte er gerade das Durchgestrichene gelesen. „Wurde aufgehalten.“ stand erst dort. Ganz klein hatte Akira-kun aber noch dazugeschrieben. „Gab ein paar Uneinigkeiten mit ein paar Leuten.“ „Du hast dich also geprügelt?“, schrieb Yuuki, konnte es aber nicht verhindern, einen 'O.o'-Smiley dahinter zu setzen. Er hatte am eigenen Leib erfahren, wie gut und gern Akira-kun zuschlagen konnte, aber trotzdem hätte er nicht gedacht, dass sich dieser Kerl am helllichten Tag auf eine Prügelei einlassen würde. „Ich habe nur etwas klargestellt. Das ist kein Prügeln.“, kam als Antwort. Yuuki verdrehte die Augen. „Und mit mir hast du dann auch nur was klargestellt?“, schrieb er wütend, das konnte man an seinen Zeichen erkennen. Er zog die Striche schneller und härter, als es nötig gewesen wäre, was dem Schriftbild eine unangenehme Dynamik verlieh. „Nein, Köter. Dich habe ich erzogen.“ War das sein ernst? Yuuki konnte das nicht genau sagen, aber er vermutete, dass das nur ein schlechter Scherz sein konnte. Unschlüssig, was er darauf erwidern sollte, lag das Heft mit ungeschriebener Antwort vor ihm. Das einzige, was Yuuki dazu bisher vollbracht hatte, war ein '-_-'. Ein Smiley, der Missgunst ausdrückte. „Wirklich... Worum ging es?“, schrieb er schließlich. Diesmal war Akira-kun derjenige, vor dem das Heft lag, ohne, dass er wusste, was er antworten sollte. „Hast du jetzt Angst vor mir?“, schrieb er also, ohne sich in dem Moment bewusst darüber zu sein, welche Relevanz diese Frage tatsächlich hatte. Darüber dachte Yuuki tatsächlich länger nach. Er antwortete einige Zeit nicht mehr, verfolgte zwischendurch sogar den Unterricht. Aus Versehen schrieb er seine Notizen zum Thema in das oben auf liegende Heft von Akira-kun, was ihm beinahe nicht aufgefallen wäre, wenn nicht die Unterhaltung darüber gestanden hätte. So verging ein Großteil der Stunde, bis ein zerknüllter Zettel vor Yuuki landete. „Gib mir zumindest mein Heft zurück, damit ich mitarbeiten kann.“ Yuuki sah zu Akira-kun, der ihn etwas genervt und ungeduldig musterte. Er hatte nicht bedacht, dass Akira-kun das Heft vielleicht auch ohne ihre Unterhaltung brauchen könnte. Gerade, als Yuuki seinen Blick hob, trafen sich die Blicke der beiden Jungen. Yuuki konnte nicht anders, als seinen Erzfeind genauer zu betrachten. Er hatte, auch wenn nicht so perfekt wie Seiichi, ein wirklich schönes Gesicht mit ausdrucksstarken, aber unergründlichen Zügen. Der Sitz der Schuluniform ließ so einige Muskeln unter der Kleidung vermuten. Ohne Zweifel, dieser Junge war trainiert, erfahren und zu vermutlich allem in der Lage. Aber auch etwas anderes stellte Yuuki fest, als er seinen Erzfeind so ansah. „Ich habe keine Angst vor dir.“, schrieb er also ruhig und bedacht in das Heft und gab es Akira-kun zurück. Diese Erkenntnis verwunderte ihn, aber sie war unumstößlich. Sicher machte er sich in Akira-kun mehr Sorgen um sein Wohlbefinden und musste jeden Moment damit rechnen, angefallen zu werden. Der Biss bewies, dass dieser Kerl womöglich tatsächlich in der Lage sein könnte, Yuuki umzubringen. Und trotzdem... Als er Akira-kun angesehen hatte, erinnerte sich Yuuki an die Zeit im Krankenhaus zurück. Dieser gefährlichem, womöglich dezent gestörte Typ hatte neben ihm gelegen, ihm Wärme gespendet und ihm Geborgenheit vermittelt. Außerdem hatte er sich eben schwarz auf weiß nach seinem Zustand erkundigt. So ein Verhalten verstand Yuuki, obwohl die Worte seines Feindes etwas anderes behaupteten, wie eine Entschuldigung. Zwar wäre es nicht das erste mal gewesen, dass er jemandem zu voreilig verzieh, aber entsprach nun mal seinem Charakter. „Solltest du lieber. Oder muss ich dich erst wieder erziehen, bis du dich nicht mehr traust, mich überhaupt nur anzusehen?“, schrieb Akira-kun als unerwartet aggressive Antwort. Was sollte das schon wieder? Eben war noch alles relativ friedlich gewesen und nun wurden Yuuki schon wieder Schläge angedroht? „Du kannst dich echt nicht entscheiden. ??“, zeichnete Yuuki in das Heft. Die Fragezeichen machte er besonders groß. Wieder schnaubte Akira-kun. Irgendwie gefiel Yuuki es, dass er dieses Geräusch als Lachen identifizieren konnte. „Ich habe mich schon entschieden, du merkst es nur nicht.“ „Dann sag mir, wie du dich entschieden hast.“, forderte Yuuki schriftlich. Was daraufhin zurückkam, hätte Yuuki sich auch gleich denken können. „Ich hasse dich. Wenn ich dich sehe, dreht sich mir der Magen um.“ Langsam wurde auch Akira-kuns Schrift dynamischer und damit wütender. Zweifelnd sah Yuuki zu seinem Erzfeind rüber, dessen Blick immer finsterer zu werden schien. „Schade, dass du nicht vor dem ganzen Kurs auf den Boden kotzt.“, stichelte Yuuki absichtlich. „Wenn ich dir nach der Stunde in den Magen schlage, dann kotzt du ja vielleicht.“ Am liebsten hätte Yuuki hinter diese Drohung ein fauchendes Kätzchen gezeichnet. Aber er konnte nicht zeichnen und es hätte Akira-kun wahrscheinlich den letzten Funken Beherrschung gekostet. Ausschlaggebend war aber das Zeichnen. „Lass es. Ich denke trotzdem, dass wir Freunde sind.“, schrieb Yuuki schließlich und überraschte sich selbst mit der Antwort, wie auch gerade, als er bemerkt hatte, dass er sich nicht vor Akira-kun fürchtete. „Du hat ein grausames Gespür für Freundschaften. Erst Seiichi, dann ich. Sind wir deine Opfer?“ Akira-kun verspottete ihn, das merkte Yuuki. Aber er glaubte kaum, dass er mehr als Wut für Akira-kun empfinden konnte, obwohl er ihm solch einen Schaden zugefügt hatte. Hass? Das war ein starkes Wort. Wenn der Junge darüber nachdachte, wen er in seinem Leben tatsächlich hasste, konnte er Akira-kun dort kaum mit einreihen. Also war es kein Hass. Und weil er es nicht ertrug, Akira-kun im geistigen, unendlichen Nichts von bedeutungslosen Personen umher schweben zu lassen, erklärte er ihn eben zu einem Freund. Für Yuuki erschien diese Begründung absolut plausibel. „Wenn, dann warst du mein erstes Opfer. Aber mein Feind bist du irgendwie trotzdem.“, ging Yuuki verspielt auf die Stichelei Akira-kuns ein. „Wie auch immer...“, antwortete Akira-kun. Yuuki sah, wie er den Kopf beim Schreiben schüttelte. Verwirrung. Gerade, als Yuuki das Heft entgegennahm, klingelte die Schulglocke. War der Unterricht etwa schon vorbei? Yuuki hatte doch kaum etwas mitbekommen. Unüberlegt kritzelte er seine Handynummer in das grüne Heft Akira-kuns. Er dachte nicht darüber nach, warum er das tat. Bevor es sich eine Begründung überlegen und etwas dazu schreiben konnte, wurde ihm das Heft vom Tisch gezogen. Yuuki sah auf und erkannte, dass Akira-kun direkt vor ihm stand. Dieser Typ war wirklich verdammt groß, vor allem wenn er stand und Yuuki selbst noch saß. Akira-kun verzog den Mund zu einem unheimlichen Schmunzeln. „Wenn du so zu mir aufsiehst, dann sind deine Augen so groß, wie die eines Welpen.“, kommentierte er, packte dann seine übrigen Sachen zusammen und verließ den Saal. Hosted by Animexx e.V. 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