Blind Date von May_Be ================================================================================ Kapitel 17: Lass mich dich beschützen ------------------------------------- Die nächsten Tage versuchten sich beide an das Zusammenleben zu gewöhnen. Doch es stellte sich bald heraus, dass sie nicht zusammen sondern aneinander vorbei lebten. Jeder für sich, wie zwei fremde Mitbewohner. Kira war mit seiner Arbeit in den Clubs beschäftigt, während Itoe schichtweise im Restaurant arbeitete. Sie sahen sich meistens nur morgens, wenn sie aufwachten, und abends, wenn sie schlafen gingen. Dadurch dass sie sich kaum zu Gesicht bekamen, konnten sich beide wenigstens von ihren Gefühlen ablenken. Doch jedes Mal, wenn sie sich sahen, fing die Folter von vorne an.   Kira hatte Itoe nicht mehr auf die Handverletzung angesprochen, denn er war davon überzeugt, dass sie ihn weiterhin anlügen würde. Doch so wollte er das nicht stehen lassen. Ihre Verletzung war fast verheilt, aber er war mit seinen Nachforschungen immer noch nicht weitergekommen. Er hatte sich bereits an Ren gewandt und ihn ausgefragt, ob er nicht etwas über den Vorfall wusste. Er konnte sich gut vorstellen, dass Itoe sich seinem Freund anvertraute. Bedauerlicherweise konnte ihm Ren auch nicht weiterhelfen, aber er versprach, Kira zu benachrichtigen, falls er etwas erfuhr. Es war frustrierend. Miro hatte ihm Itoe anvertraut, damit er auf sie Acht gab, sie beschützte. Seine Aufgabe war es, für sie zu sorgen, für sie da zu sein. Doch er hatte auf ganzer Linie versagt. Alles, was er tat, war falsch: Es hatte damit angefangen, dass er für sie Gefühle entwickelt hatte, für die Frau seines Bruders wohlgemerkt; er behandelte sie nicht angemessen, war unfreundlich und würdigte nicht ihre Versuche, sich bei ihm zu entschuldigen. Seine distanzierte Haltung hatte gewisse Gründe, aber es war trotzdem nicht fair. Er hätte sie wenigstens beschützen müssen, doch selbst das hatte er nicht geschafft.   Eines Abends war Kira mit Ren in Matsumi zum Essen verabredet. Kira wählte nur deswegen dieses Restaurant aus, weil Itoe an diesem Tag frei hatte, sonst hätte er garantiert ein anderes Lokal für das Treffen ausgesucht. Davon abgesehen war das die perfekte Gelegenheit etwas über Itoes Verletzung in Erfahrung zu bringen. Schließlich hatte sie gemeint, es handelte sich um einen Arbeitsunfall. Wenn Kira Glück hatte, würden einer der Angestellten aus dem Nähkästchen plaudern, und wenn das nichts brachte, würde er sich direkt an den Chef wenden. Nachdem ihre Speisen serviert wurden und sie mit dem Essen längst angefangen hatten, bekam Kira zufällig ein paar Gesprächsfetzen vom Tisch nebenan mit. Die beiden älteren Frauen unterhielten sich auch laut genug, um weghören zu können. „...grausam, wirklich“, sagte die eine Frau bedauernswert, „und keiner hat etwas unternommen.“ „Und das ist wirklich hier passiert?“, fragte die andere nach, „ich hatte so etwas Schreckliches nicht von so einem angesehenen Restaurant erwartet.“ „Ja, doch. Nanami hat es mir vor ein paar Tagen erzählt. Sie war an jenem Tag hier gewesen und hat es mit eigenen Augen gesehen!“ „Das arme Mädchen. Arbeitet sie heute hier?“ „Ich glaube nicht. Zumindest habe sie heute noch nicht gesehen. Ich an ihrer Stelle hätte hier längst gekündigt. Wenn man mir als Personal nicht einmal zur Hilfe kommt, würde ich keinen Fuß mehr in diesen Laden setzen!“ Kira wechselte einen Blick mit Ren, der genauso erstaunt drein blickte wie er. „Entschuldigen Sie“, meinte Ren an die älteren Damen gewandt und lächelte charmant. „Wir haben zufällig ihr Gespräch mitbekommen. Was genau ist hier denn passiert?“ Bei einem anderen hätte die neugierige Frage sicher aufdringlich gewirkt, nicht aber bei Ren. „Nun ja“, fing diejenige an, die die Geschichte bereits ihrer Freundin erzählt hatte, „vor einigen Tagen wurde hier eine Kellnerin sehr schlimm von einem der Gäste behandelt. Ich weiß auch nicht genau, was passiert ist. Mir wurde das auch nur erzählt. Aber es soll ziemlich heftig gewesen sein.“ Kira spannte sich merklich an. War es denn möglich, dass Itoe diese eine Kellnerin war, von der die Frauen sprachen? Aber wer sollte so grausam zu ihr sein? Und warum? Was könnte Itoe jemandem getan haben, um so behandelt zu werden? Das falsche Gericht servieren? Kira bekam keinen Bissen mehr runter. Wenn das wirklich Itoe war und keiner ihr zur Hilfe gekommen war... Eine tiefe Wut setzte sich in seiner Magengegend an. Wer auch immer es ihr angetan hatte, Kira würde es herausfinden, und dann Gnade ihm Gott.   Als Kira nach dem Treffen mit Ren seine Wohnung betrat, brannte noch Licht im Wohnzimmer. Itoe saß auf dem Sofa und sah sich irgendeine Sendung im Fernsehen an. Kira lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen und beobachtete sie. Das alles wäre so viel einfacher, wenn er sie durch Zufall in einem seiner Clubs kennengelernt hätte. Er hätte sie mit nach Hause genommen, ohne ein schlechtes Gewissen gegenüber seinem Bruder zu haben. Wahrscheinlich hätte er sie dann am nächsten Tag wieder fortgeschickt oder aber auch nicht... Sie schien nicht eines dieser Mädchen zu sein, die man am ersten Abend abschleppen konnte. Um sie musste man sich bemühen. Itoe bemerkte seine Anwesenheit, drehte ihren Kopf in seine Richtung und lächelte. Ihr Lächeln war warm und freundlich. Es fiel Kira schwer, nicht darauf zu reagieren. „Ich habe dich gar nicht hereinkommen gehört“, meinte sie, „wie war das Essen mit Ren?“ Diese Information hatte sie selbstverständlich nicht von ihm erhalten sondern von Ren, ihrem mittlerweile besten Freund. Kira musste gestehen, dass er etwas eifersüchtig auf ihre Freundschaft war. Vor nicht allzu langer Zeit war er derjenige gewesen, mit dem Itoe über vieles reden und dem sie sich anvertrauen konnte. Aber dass dieses kurze Band zwischen ihnen gerissen war, daran war er zum Teil selbst Schuld. „Hat er dir das denn noch nicht erzählt?“, erwiderte Kira trocken, „kannst ihn ja fragen, wie es war.“ Itoes Lächeln verblasste. Sie schien ihre Frage sofort zu bereuen. Sie wandte ihren Blick ab und fixierte wieder den Fernseher. Gerade als er dachte, sie würde nichts mehr sagen, hörte er sie etwas murmeln. „Was?“, fragte Kira nach. „Ich sagte nur, warum du so zu mir bist... Ich versuche mich bei dir die ganze Zeit irgendwie zu entschuldigen, aber...“ „Aber was? Willst du etwa, dass wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“ Itoe schüttelte heftig den Kopf und sah vorsichtig zu ihm. Dabei sah sie wieder wie ein kleiner, unschuldiger Welpe aus. „Nein, natürlich nicht. Aber ich möchte, dass wir wenigstens normal miteinander umgehen. Wir wohnen schließlich zusammen und da sollten wir doch versuchen, das beste daraus zu machen. - Ich weiß, ich habe dich verletzt, aber... wir haben beide Fehler gemacht, Kira.“ Kira schnaubte. Das mochte zwar sein, aber er hatte diese Beziehung, oder was auch immer zwischen ihnen war, nicht verleugnet. Das hatte sie getan. Sie hatte gesagt, dass nichts zwischen ihnen echt sei und dass Miro ihr lieber wäre. Wenn er ehrlich war, dann konnte er sie ein wenig verstehen, Miro war schließlich ihre große Liebe gewesen und er, ja, was war er? Ein Ersatz? Ein Lückenbüßer? „Nein, ich habe einen Fehler gemacht, als ich mich auf diese ganze Sache eingelassen habe. Aber Miro ist mein Bruder und ich werde mich um dich kümmern, so wie er es wollte. Aber erwarte nicht von mir, dass ich alles vergesse.“ Seine Stimme hörte sich schärfer an, als er es beabsichtigt hatte. Aber er war so wütend auf sie - und auf sich. Aber vor allem auf seinen Bruder, der ihm das alles erst eingebrockt hatte. „Das verlange ich doch gar nicht. Aber vielleicht... vielleicht könnten wir versuchen Freunde zu sein?“ Dieser Vorschlag warf Kira völlig aus der Bahn. Freunde? Ernsthaft? Nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war... darauf konnte man doch keine Freundschaft aufbauen. „Weißt du, ich glaube dir nicht...“, meinte er nur und Itoe hob verständnislos die Augenbrauen. Ohne es näher zu erläutern, trat Kira ans Sofa und ging vor ihr in die Hocke. Er war ihr näher, als gut für ihn war. „W-was meinst du damit?“, brachte sie stockend hervor. Kira musterte sie eine ganze Weile, bevor er zur Antwort ansetzte. „Ich glaube dir nicht, dass du nichts für mich empfindest.“ Itoe weitete verblüfft die Augen. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie mit sich rang. „Kira...“ „Was? Willst du mir etwa sagen, dass du nichts fühlst, wenn du in meiner Nähe bist?“ Er ergriff ihre Hand und legte sie an seine Brust, dahin, wo sein Herz schlug. „Schlägt deines nicht genauso schnell, wenn wir zusammen sind?“ Kira sah den rosigen Schimmer auf ihren Wangen und spürte ihren Puls rasen, als er mit dem Daumen über ihr Handgelenk fuhr. Offensichtlich schien ihr seine Nähe unter die Haut zu gehen, genauso wie ihm. Einen Moment lang sahen sie sich tief in die Augen. Er hatte ihr schon damals nicht geglaubt, dass sie nichts für ihn empfand. Ihre Worte hatte ihn zwar verletzt, aber er hatte sie nicht für bare Münze genommen. „Vielleicht bin ich ja nur ein Ersatz für meinen Bruder, aber irgendetwas empfindest du doch für mich.“   Itoe war unfähig etwas zu sagen. Ihr Herz schlug mit einem Mal schneller, kaum hatte er ihre Hand an seinen Oberkörper gelegt. Kiras Worte trafen mitten ins Herz. Sie fühlte sich tatsächlich zu ihm hingezogen. Mehr, als sie sollte. Vielleicht war das zu Anfang tatsächlich nur deswegen, weil er Miros Zwilling war, weil er in gewisser Weise ein Ersatz für sie war, aber mittlerweile... Itoe dachte ihren Gedanken nicht zu Ende, sondern biss sich unsicher auf die Unterlippe. Es wäre nicht richtig, es ihm zu sagen. „Selbst wenn es so wäre. Wir dürfen nicht. Du bist Miros Bruder und ich... ich bin in gewisser Weise seine Frau, Kira, nicht deine“, murmelte sie vorsichtig, „außerdem... was empfindest du schon für mich? Ich glaube nicht viel, wenn du mit Makoto geschlafen hast.“ Dieser Betrug hatte sie so sehr verletzt, dass sie sich sogar auf sein Niveau herunter gelassen hatte. Sie hatte Yagami geküsst und das nicht nur vor irgendwelchen fremden Leuten, sondern vor Kira und seinen Freunden. Sie schämte sich immer noch dafür. Kira ließ ihre Hand los und erhob sich langsam. „Ich habe nicht mit Makoto geschlafen“, sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit. Itoe musste diese Nachricht erst einmal verarbeiten. „Ich habe sie geküsst, ja. Aber nicht mehr. - Und das hab ich nur getan, weil ich dich nicht haben konnte.“ Sein Blick löste Gänsehaut bei ihr aus. „Das ist keine Entschuldigung, ich weiß. Aber ich habe nie gesagt, dass das, was zwischen uns ist, nicht echt sei. Nie.“ Sein Blick war vorwurfsvoll. Itoe verspürte plötzliches Bedauern, als er Abstand nahm. Sie wollte nach ihm greifen, ihn zu sich ziehen und ihm sagen, dass ihre Worte ein großer Fehler gewesen waren und dass das Gegenteil der Fall war. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen und konnte nichts gegen dieses Gefühl unternehmen. Auch wenn es nicht richtig war, es zerrte an ihr. Sollte sie diese Gefühle zulassen? Bevor sie sich entscheiden konnte, wie sie als nächstes vorgehen sollte, wechselte Kira unvermittelt das Thema. „Ich habe herausgefunden, was mit deiner Hand passiert ist. - Arbeitsunfall also, hm? Willst du mir nicht endlich verraten, wer dieser Gast war und warum er deine Hand so zugerichtet hat?“ Itoe spannte sich plötzlich an. Wo kam denn das auf einmal her? Woher wusste er das? Sie hatte geglaubt, er hätte den Vorfall ruhen lassen. „Woher weißt du...?“, hauchte sie kaum hörbar. Sie hatte Ren nichts davon erzählt, auch wenn er sie ebenfalls öfters darauf angesprochen hatte. Niemand wusste es, außer den Beteiligten und den anwesenden Gästen. „Ich war in Matsumi und habe dort ein interessantes Gespräch mitgehört. Außerdem habe ich mit einer deiner Kolleginnen gesprochen. Wie heißt sie doch gleich? Nari?“ Itoe konnte es nicht fassen, dass er ihr nachspionierte. Warum beließ er es nicht dabei, wenn sie nicht darüber sprechen wollte? Aber andererseits wollte er ihr ja nur helfen. „Warum hast du das getan?“, fragte Itoe und legte ihre Arme um sich, als würde sie frieren. Sie wollte nicht, dass er davon erfuhr. Er sollte nicht wissen, dass Makoto sie so zugerichtet hatte. Aber nicht, weil sie diese grausame Person beschützen wollte.... Diese Frage schien Kira wütend zu machen, denn ein dunkler Schatten legte sich über sein makelloses Gesicht. „Sag mal, hältst du mich für ein Monster? Habe ich nicht grade gesagt, ich werde mich um dich kümmern? Du machst es mir echt nicht leicht, auf dich aufzupassen. - Sag mir jetzt endlich, wer es getan hat!“, forderte er diesmal, doch Itoe blieb stumm. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um ihm alles zu erzählen, aber sie brachte kein Wort über die Lippen. Sie war daran gewöhnt, ihre Probleme selbst zu lösen und sie wollte nicht, dass er sie für schwach hielt. Schließlich hatte sie sich sogar Miros Ring abnehmen lassen. Und selbst wenn sie ihm erzählte, dass es Makoto war, würde er ihr überhaupt glauben? „Lass es, Kira. Ich kümmere mich selbst darum.“ Ohne jede Vorwarnung ergriff er ihre verletzte Hand und zog sie somit vom Sofa auf. „Ich hab gesehen, wie du dich darum gekümmert hast! Sag mir jetzt endlich, wer es war!“, schrie er sie an und Itoe zuckte vor Schreck zusammen. Sie hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Sein eiserner Griff umschloss fest ihr Handgelenk. Sie waren fast auf Augenhöhe, da Itoe von ihm hochgezogen wurde. Sie war ihm so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Itoe fühlte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten und sie nichts dagegen tun konnte. Sie hasste sich dafür. Zu weinen, Schwäche zu zeigen... Das tat sie höchstens, wenn sie betrunken war. Doch in diesem Augenblick lagen ihre Nerven blank. Kiras Blick huschte irritiert über ihr Gesicht und er schien für einen Augenblick unsicher zu sein, ob seine Methode, die Sache aufzuklären, richtig war, denn langsam lockerte sich sein Griff. „Ich möchte dich doch nur beschützen“, murmelte er ruhiger und strich zärtlich über ihre Wange, „lass mich dich einfach beschützen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)