Blind Date von May_Be ================================================================================ Kapitel 14: Der Umzug --------------------- Während der nächsten Tage kam Itoe ganz normal zur Arbeit, obwohl ihr der Arzt Ruhe und Erholung verschrieben hatte. Sie sollte ihre Hand schonen und auf keinen Fall belasten. Am besten nahm sie sich drei, vier Tage frei. Doch Itoe weigerte sich, dem Rat ihres Arztes zu folgen. Sie hoffte inständig, dass Makoto wiederkommen würde. Wenn es sein müsste, würde Itoe sie anflehen, ihr den Ring wiederzugeben. Sie hatte sich sogar dazu entschlossen ihr zu erklären, dass der Ring nicht von Kira sondern von seinem Zwillingsbruder stammte. Itoe würde ihr alles erzählen, bis ins letzte Detail. Nur so bestand noch Hoffnung, ihren Ring zurückzubekommen. Makoto schien das letzte Mal davon überzeugt zu sein, dass Itoe weiterhin mit Kira zusammen war. Mochte sein, dass der Ehering sie in dem Glauben ließ. Aber das war schon ziemlich seltsam in Anbetracht dessen, dass sie Kiras Geliebte war und es besser wissen musste. Dennoch bezweifelte Itoe nicht, dass Makoto entweder Kiras feste Freundin oder seine Geliebte war. Er hatte dem nie widersprochen. Nun wollte Itoe endlich klarstellen, dass zwischen ihr und Kira nichts lief, damit Makoto sie endlich in Ruhe ließ. Natürlich war da immer noch dieses Bündnis, die Ehe. Aber das ließe sich einfach regeln. Itoe hatte sich bereits vorgenommen, erneut mit ihm zu sprechen und ihm diesmal zu sagen, dass es an der Zeit war, sich scheiden zu lassen. Diese Ehe hatte keinen Sinn, das hatte er garantiert selbst eingesehen. Besonders nach ihrem letzten Gespräch gab er ihr zu verstehen, dass es vorbei war. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit, wenn sie daran dachte, die Ehe zu beenden. Dann gab es nichts mehr, was sie verband. Sie musste Miros Wohnung verlassen und sich eine neue suchen. Ob sie in Tokio blieb, hatte sie noch nicht entschieden. Vermutlich würde sie nach Yamaguchi zurückkehren. Seit Makoto den Ring gestohlen hatte, vergingen bereits drei Tage, doch die Frau tauchte nicht wieder auf. Vielleicht sollte Itoe sich an Kira wenden und ihm alles erzählen. Mit seiner Hilfe würde sie den Ring eventuell zurückbekommen. Sofort verwarf sie diesen Gedanken wieder. Das war keine gute Idee. Er hatte ihr klar und deutlich gemacht, dass es nichts mehr zwischen ihnen gab. Das würde sie respektieren und mit ihren Problemen selbst fertig werden.   Nach einem langen Arbeitstag kehrte Itoe müde und erschöpft nach Hause. Sie wollte nur noch duschen und ins Bett fallen. Itoe schloss die Wohnungstür auf, schaltete das Licht ein und blieb verwundert vor ein paar Kisten stehen. Wo kamen die denn auf einmal her? War Kira etwa hier gewesen? Er war nämlich der einzige, der außer ihr einen Schlüssel zu Miros Wohnung besaß. Sie musste ihm wohl sagen, dass ihre Wohnung kein Abstellraum war. Itoe wollte ihre Jacke aufhängen, dann fiel ihr auf, dass ein Bild, das über dem Haken hing, fehlte. Sie hielt kurz inne und sah sich dann genauer im Flur um. Alle Bilder, die an der Wand hingen, fehlten. „Was zum...“, murmelte sie erschrocken und betrat hastig das Wohnzimmer. Ihr wurde ganz mulmig, als sie den leeren Raum betrat. Wo waren die ganzen Sachen?! Es war alles weg. ALLLES. Itoe lief ins Schlafzimmer, das ebenfalls leergeräumt war. Nur die Küche und das Bad waren noch vollständig. Allerdings war keine Spur von ihren persönlichen Sachen. Gerade wollte sie in den Flur laufen, um Kira nach dem Rechten zu fragen, als dieser bereits ihre Wohnung betrat. „Kira, meine ganzen Sachen sind weg! Was geht hier vor?!“, fragte sie panisch und machte eine ausholende Geste mit der Hand. Während Itoe verzweifelt versuchte zu verstehen, was hier los war, hob Kira völlig entspannt einen der Kartons, die im Flur standen, hoch. „Ich habe deine Sachen gepackt. Du ziehst um.“ Itoes Herz fing heftig an zu schlagen. „Ich... muss ausziehen?“ Sie traute sich kaum, diese Worte laut auszusprechen. Sie hatte ja selbst gewusst, dass es bald so weit sein würde, aber doch nicht so bald! Kira gab ihr keine Antwort, sagte stattdessen nur, dass sie einen Karton nehmen und ihm folgen sollte. Als er nach draußen trat, blieb Itoe noch einen kurzen Augenblick stehen. Er schmiss sie einfach raus, ohne ihr vorher etwas zu sagen. Fassungslos starrte sie die Kartons an. Wo sollte sie denn hin? Sie hatte nicht einmal eine andere Wohnung. Die einzige Möglichkeit, die ihr blieb, war ein Hotel. Und wo waren überhaupt Miros ganze Sachen? Er hätte sie doch rausschmeißen können, ohne gleich die ganze Wohnung leerzuräumen... Itoe nahm resigniert einen Karton und verließ die Wohnung. Kiras Wohnungstür stand offen, sodass sie hinein spähen konnte. Sie sah ein paar Kartons in seinem Flur stehen und fragte sich, ob es ihre waren. Aber warum sollten ihre Kartons in Kiras Wohnung sein? Kira trat aus seiner Wohnung und sah zu Itoe. „Was stehst du hier rum? Trag sie schon rein.“ Itoe runzelte skeptisch die Stirn. „In deine Wohnung?“, fragte sie vorsichtshalber nach. Kira nickte. „Ja. Du ziehst bei mir ein oder ist das nicht offensichtlich?“ Er ging an ihr vorbei und holte den nächsten Karton. Itoe stand völlig perplex da. Ihr Gehirn konnte diese Information nicht schnell genug verarbeiten. Meinte er das wirklich ernst? Hatte er nicht gesagt, es wäre aus und vorbei? Itoe verstand die Welt nicht mehr. „Willst du hier noch lange rumstehen?“ Kira ging wieder an ihr vorbei, trug den Karton in seine Wohnung. Nun folgte Itoe ihm endlich. Für einen kurzen Augenblick hatte sie tatsächlich gedacht, er würde sie einfach rausschmeißen. Aber dass sie bei ihm einziehen sollte... das war doch sicher nur ein Scherz... Sie trugen die letzten Kartons zu ihm rüber und Itoe versuchte die ganze Zeit über zu verstehen, warum er sie bei sich einziehen ließ. Schließlich hatte er ihr letztes Mal mehr als deutlich zu verstehen geben, dass es aus war. Nachdem alle Kartons in Kiras Wohnung rüber getragen wurden, zog sie ihre Schuhe aus und hing ihre Jacke auf. „Ich hab dir ein paar Schubladen im Schlafzimmer frei geräumt. Du kannst deine Sachen einräumen.“ Itoe stand unschlüssig da und spielte an den Ärmeln ihres Pullovers herum. „Kira, sag mal, warum lässt du mich bei dir einziehen? Ich dachte, es sei vorbei...“ Kira sah sie ausdruckslos an. „Ist es auch. Aber es war Miros letzter Wunsch, schon vergessen?“ Itoe legte leicht den Kopf schief und versuchte sein Verhalten nachzuvollziehen. „Nein, das habe ich natürlich nicht vergessen. Aber wie soll das funktionieren? Wir haben das nicht hinbekommen, als wir getrennt gelebt haben und jetzt, auf engstem Raum? Wie soll das funktionieren?“ Itoe äußerte offen ihre Bedenken. Ihre Freude darüber, dass er sie nicht auf die Straße setzte, hielt sich in Grenzen. Bestimmt wäre es sogar besser, wenn er das tun würde. „Das werden wir sehen.“ Mit diesen Worten ging er voraus ins Schlafzimmer und deutete ihr an, ihm zu folgen. Das war der Kira, den sie am Anfang kennengelernt hatte, dem nur der Wunsch seines Bruders heilig war. Wollte er das wirklich durchziehen? Itoe hatte da ihre Zweifel, ob das nicht in einer Katastrophe enden würde. Sie wollte das gerne ausdiskutieren, aber er schien ihre Sorgen nicht länger anhören zu wollen. So nahm sie einen der Kartons und folgte ihm ins Schlafzimmer.   Kira hatte durch Ren herausgefunden, an welchen Tagen Itoe arbeitete, damit er eine Umzugsfirma engagieren konnte. Ren hatte Kira geraten, sich endlich mit Itoe auszusprechen. Natürlich hatte sein Freund Recht, aber Kira wollte nichts davon hören. Er meinte, Ren sollte sich nicht einmischen und seine klugen Ratschläge für sich behalten. Die Umzugsfirma hatte viele von Miros Sachen in einem Lager verstaut, irgendwie hatte Kira es nicht übers Herz gebracht, alles wegzuschmeißen oder zu verkaufen. Kira zeigte Itoe die Schubladen und Schränke, in denen sie ihre Sachen verstauen konnte und half ihr, ein paar Kisten ins Schlafzimmer zu tragen. Er hatte mit einem größeren Widerstand gerechnet, aber sie war heute ganz handzahm. Nicht dass sie es sonst nicht wäre, aber er hätte wenigstens damit gerechnet, dass sie gegen den Umzug protestieren würde. Während sie ihre Sachen auspackte, ließ er sie allein und beschäftigte sich mit seinen eigenen Sachen. Er musste einige finanzielle Angelegenheiten bezüglich seines neuen Projekts klären, aber das konnte er getrost von zu Hause aus machen. Kiras Wohnung war genauso konstruiert wie die von seinem Bruder, nur war seine spiegelverkehrt. Die Ausstattung unterschied sich aber gänzlich von der seines Bruders. Kiras Wohnung war praktisch eingerichtet aber mit Stil. Er hatte nicht die vollgestopften Regale mit Büchern, keine Musiksammlung oder sonst etwas in der Art. Es war schlicht und modern. Bücher, Musik, Kunst, das alles interessierte ihn zwar genau so wie seinen Bruder, aber er musste aus seiner Wohnung keine Ausstellung machen. Das erdrückte einen doch. Kira nahm seine Unterlagen und ließ sich auf dem Ledersofa im Wohnzimmer nieder. Es war schwer sich zu konzentrieren, wenn man wusste, dass gleich im Nebenzimmer eine andere Person war, dass es sie war. Er war so daran gewöhnt, allein zu sein, dass er jedes noch so leise Geräusch wahrnahm. Kira versuchte sie sich in seinem Schlafzimmer vorzustellen, wie sie ihre Sachen in die Schränke räumte. Aber am liebsten würde er sie sich in seinem Bett vorstellen. Kira schüttelte den Kopf und versuchte sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Da hörte er plötzlich einen lauten Knall, als wäre etwas auf den Boden gefallen. Er legte seine Papiere beiseite und ging ins Schlafzimmer. Eine Kiste schien umgefallen zu sein, der Inhalt lag auf dem Boden zerstreut. Itoe hockte auf den Knien und hielt sich die Hand. Als sie bemerkte, dass Kira ins Zimmer trat, ließ sie diese sofort los und fing an, die Sachen aufzusammeln. Kira kniete sich zu ihr und half ihr wortlos, sein Blick wanderte zu ihrer verbundenen Hand. „Tut deine Hand weh?“, fragte er wie nebenbei und ließ sie nicht aus den Augen. Er spürte deutlich ihre Anspannung. „Es geht schon.“ Sie war eine schlechte Lügnerin. Kira ergriff ihr Handgelenk. Trotz ihrer Proteste sah er sich ihre Hand genauer an. Durch den weißen Verband war bereits an einigen Stellen Blut durchgesickert. „Wie hast du dich verletzt?“ Itoe riss ihre Hand los. „Das geht dich nichts an!“ Sie stand eilig auf und lief aus dem Zimmer. Ihr Ausbruch ließ ihn perplex zurück. Kira sah ihr irritiert hinterher, ohne zu verstehen, warum sie sich so aufregte. Er sammelte die restlichen Sachen, die auf dem Boden zerstreut lagen, auf und ging wieder an die Arbeit. Seine Konzentration war nun vollkommen dahin. Ihn beschäftigte vielmehr die Frage, wie sie ihre Hand verletzt hatte und warum sie so komisch auf seine Nachfrage reagierte.   Itoe schloss sich im Badezimmer ein. Zuerst lief sie in die falsche Richtung, weil in seiner Wohnung alles spiegelverkehrt war. Sie schalt sich einen Dummkopf, weil sie ihm gereizt geantwortet hatte. Jetzt wusste er erst recht, dass etwas nicht stimmte. Allerdings hatte er sie so unerwartet darauf angesprochen, dass ihr spontan keine Lüge einfallen konnte. Darüber hinaus war sie eine ganz schlechte Lügnerin. Besonders wenn er sie mit seinen kühlen, klugen Augen ansah, blieben ihr die Worte praktisch im Hals stecken. Die Wahrheit erzählen wollte sie nicht. Sie wollte nicht vor ihm bloßgestellt werden, sich schwach zeigen. Wenn er erfuhr, dass Makoto ihr das angetan hatte, würde sie sich nur für ihre Schwäche schämen. Itoe seufzte und setzte sich auf den Badewannenrand. Es waren bereits drei Tage seit ihrer Auseinandersetzung mit Makoto vergangen. Trotzdem tat ihre Hand immer noch höllisch weh. Sie öffnete vorsichtig den Verband und betrachtete ihre misshandelte Hand. Das würde sicher ein paar kleine Narben hinterlassen. Itoe wusch vorsichtig das geronnene Blut ab und suchte in Kiras Schränkchen nach schmerzlindernden Salbe und neuem Verband. Sie wurde leider nicht fündig. Früher oder später musste sie das Badezimmer verlassen und auf Kira treffen. Sie hatte nicht viele Optionen, um zu fliehen. Leise öffnete sie die Tür und trat auf den Flur. Sie ging am Wohnzimmer vorbei, wo Kira auf dem Sofa saß und las, und hoffte, dass er sie nicht wieder darauf ansprechen würde. Zum Glück hatte er sie nicht bemerkt und Itoe konnte ungestört ins Schlafzimmer gehen, um Salbe und Verband in einem der Kartons zu suchen.   Später am Abend gegen 23 Uhr war Kira mit seiner Arbeit fertig. Er hatte irgendwann die Gedanken an Itoe verdrängen können. Apropos... Er horchte auf. Stille, als wäre er wieder allein. Kira warf einen Blick ins Schlafzimmer. Einige Kisten waren bereits leer, andere standen noch vollbeladen da und warteten darauf, ausgepackt zu werden. Itoe lag auf dem Bett und schlief. Das Nachttischlämpchen leuchtete gedämpft. Sie hatte sich nicht umgezogen. Vielleicht wollte sie sich nur kurz hinlegen und war dann eingeschlafen. Kira trat leise ans Bett und betrachtete sie. Sein Blick wanderte zu ihrer verletzten Hand, die unter keinem Verband versteckt war. Er ging in die Hocke und ergriff vorsichtig ihre kleine Hand. Ihre sanfte, zierliche, misshandelte Hand war mit feinen Schnittwunden überseht. Woher hatte sie diese bloß? Ihm fiel keine vernünftige Erklärung dafür ein, wie sie zu solchen Schnittwunden kam. Kira legte ihre Hand behutsam auf dem Bett ab. Dann zog er sich aus, ließ nur seine Boxershorts an, schaltete das Licht aus und kroch unter die Decke. Zusammen mit ihr in einem Bett zu liegen, erforderte starke Zurückhaltung. Kira drehte sich auf die Seite, mit dem Rücken zu ihr, und versuchte zu schlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)