Blind Date von May_Be ================================================================================ Kapitel 11: Wenn Liebe einfach wäre ----------------------------------- Das Zimmer war abgedunkelt. Die Jalousien verschlossen die Fenster, sodass kaum ein Lichtstrahl hinein konnte. Kira mochte die Dunkelheit, er mochte die Nacht. Der Tag verhieß oftmals nichts Gutes, sondern kündete nur den Anbeginn neuer Probleme an, mit denen man sich auseinander setzen musste. Doch diese Nacht hatte ihm keine Ruhe gebracht. Er lag wach auf seinem Bett und starrte die weiß gestrichene Decke an. Er hatte einfach nicht schlafen können, die ganze Nacht nicht. Seine Gedanken ließen ihn nicht los, hielten ihn fest bei Bewusstsein, quälten ihn. Er hätte sie nicht in diesem Zustand allein lassen dürfen, das war einfach nicht richtig gewesen. Gleichgültig, wie wütend er auf sie war. Aber was sagte das bitte über seinen Charakter aus? - Er wollte es gar nicht erst wissen. Zum Glück hatte ihm Ren eine Stunde später, nachdem Kira den Club verlassen hatte, geschrieben, dass Itoe bei ihm war und es ihr gut ging. Das hatte ihn ungemein erleichtert, denn sonst wäre er vermutlich umgekehrt. Kira schloss kurz die Augen, atmete tief durch und öffnete seine schweren Lider. Wie konnte er sich nur so idiotisch verhalten? Itoe war betrunken und nicht ganz bei sich. Sie wusste nicht, was sie sagte. Aber der Alkohol konnte nicht alle ihre Taten rechtfertigten. Hätte sie bloß nicht Yagami geküsst! Diesen Aufreißer! Kira wurde schlecht. Schon allein bei dem Gedanken daran, wurde er wieder wütend und eifersüchtig. Er hatte Yagami nie zu seinen engsten Freunden gezählt, aber er hätte ihn vermutlich umgebracht, wäre er irgendein Fremder gewesen. Doch etwas anderes bereitete Kira größeres Unbehagen. Die Tatsache, dass Itoe Yagami geküsst hatte, tat halb so sehr weh, als die, dass sie sich Miro zurück wünschte. Ich wünschte, Miro wäre noch hier... - Nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, zerbrach etwas in seinem Inneren. Vielleicht war es die Hoffnung, dass er mit ihr ein bisschen Glück finden würde. Mit ihr zusammen zu sein, hatte ihn verändert. Es hatte ihn glücklich gemacht, ihn erfüllt. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass es in seinem Leben noch einmal ein Mädchen geben würde, das er aufrichtig gern hatte. Aber er hatte es sich wahrscheinlich zu einfach vorgestellt, denn es war unmöglich, sie für sich zu gewinnen, wenn ihr Herz weiterhin für seinen Bruder schlug. Die ganze Sache zwischen ihnen war eh schon kompliziert genug und jetzt hatte jeder auf seine eigene Weise, alle Bemühungen zur Nichte gemacht. Hätte er Makoto nicht in seine Wohnung gelassen, sie geküsst und sie bei sich übernachten lassen, hätte Itoe wahrscheinlich auch nicht Yagami geküsst. Aber dieses hätte war nun einmal passiert und ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Kira drehte sich auf die Seite und vergrub sein Gesicht im Kissen. Die Welt hatte sich schon immer mehr um Miro gedreht als um ihn. Sein Bruder wurde von seinen Eltern bevorzugt und verhätschelt. Das lag nur daran, dass Miro seit seiner Geburt ein schwaches Herz hatte. Alle versuchten es ihm recht zu machen und verhielten sich dabei wie die größten Idioten. Nur Kira war anders. Er sagte immer seine Meinung und machte niemandem etwas vor, nicht einmal seinem kranken Zwilling. Vielleicht war das der Grund, warum Kiras Beziehung zu Miro so gut lief. Miro mochte Aufmerksamkeit, aber er hasste heuchlerisches Getue um seine Krankheit und Verhätscheln, als würde er jeden Augenblick den Löffel abgeben. Niemand kannte sein wahres Ich besser als Kira und niemand verstand ihn so gut wie er. Sie waren nicht nur Brüder, sondern beste Freunde, unzertrennlich. Aber es gab auch Tage, da ergriff Kira eine bittere Eifersucht auf seinen Zwilling, weil er selbst von seiner Familie nicht die Zuneigung bekam, die er sich wünschte. Gegen diese Gefühle kam Kira manchmal nicht an. Irgendwann war es an der Zeit gewesen, sein eigenes Leben zu leben und sich abzukapseln. Das entschieden zumindest Miros und Kiras Eltern. Sie mischten sich gerne in ihr Leben ein, als würden sie sich für die beiden aufrichtig interessieren. Doch in Wirklichkeit wollten sie ihre Kinder nach ihren Vorstellungen und Prinzipien leben lassen. Und so kam es, dass beide in ihrem 14. Sommer das erste Mal getrennt wurden. Die Eltern schickten sie in unterschiedliche Sommercamps, weit weg voneinander. Auf diese Weise sollten sie lernen, eigenständig und voneinander unabhängig zu sein. Kira hatte am Anfang Schwierigkeiten, mit der Trennung klarzukommen. Die ersten Tage im Camp waren die schlimmsten. Er fühlte sich einsam, vor allem weil er nicht darin geübt war, Freundschaften zu schließen. Seine Freunde zu Hause waren eher Miros Verdienst, und da Miro und Kira unzertrennlich waren, wurden das letztendlich auch seine Freunde. Und das waren sie noch heute: Katsuya, Ren und Jiro. Sie kannten sich bereits seit der Grundschule. Aber im Sommercamp gab es keinen Miro, der für ihn Freundschaften schließen konnte. Es gab auch keinen Ren, Katsuya oder Jiro. Er war auf sich allein gestellt. Doch schon nach kurzer Zeit der Einsamkeit hatte Kira es eigenständig geschafft, sich anzufreunden. Aus jener Zeit ist ihm besonders ein Mädchen in Erinnerung geblieben. Nur wusste er leider ihren Namen nicht mehr. Nachdem Kira und Miro aus dem Camp zurückgekehrt waren, hatten sich beide auf ihre eigene Weise verändert. Miro war draufgängerischer geworden, hatte angefangen sich extrem für Mädchen zu interessieren und drängte Kira, dieselben Interessen zu entwickeln wie er. Dieser jedoch hatte nur das Mädchen aus dem Sommercamp im Kopf. Sie hatten ihre Adressen ausgetauscht und hatten sich das Versprechen gegeben, einander zu schreiben. Natürlich hatte Kira seinen Teil der Abmachung eingehalten und ihr geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten. Die Enttäuschung saß tief, als er begriff, dass sie ihm nicht antworten würde. Und so endete seine erste Liebe im tagelangen Liebeskummer. Selbst Miros Aufmunterungsversuche blieben erfolglos. Nach dieser schmerzvollen Erfahrung fand Kira die Liebe einfach nur ätzend. Er wollte nie wieder auf diese Art empfinden und das hatte er auch geschafft. Bis jetzt. Im Laufe der Jahre, nachdem sie Vaters Club übernommen und weitere eröffnet hatten, lernte Kira Makoto kennen, aber zwischen ihnen war nie Liebe im Spiel. Zumindest von seiner Seite aus nicht. Bei ihr fand er Trost, Zuneigung und guten Sex, aber nicht dieses Gefühl von damals. Während dieser Zeit hatte Kira sich von seinem Bruder mehr und mehr distanziert und auch Miro hatte sich verändert. Er trank viel, schlief mit unzählig vielen Frauen und probierte auf der einen oder anderen Party Drogen aus. Kira nahm an, dass Miros Krankheit ihm zu schaffen machte, auch er es nie gezeigt hatte, und er deswegen bis an seine Grenzen ging. Miro hasste Schwäche und Hilflosigkeit, aber genau das hatte ihm die Krankheit eingebrockt. Irgendwann kam es zum Streit zwischen den Zwillingen. Worüber, das wusste Kira nicht mehr. Er wusste nur, dass sie nicht im Guten auseinander gegangen waren, dass sie schlimme Dinge zueinander gesagt hatten. Und dann, ohne jede Vorwarnung, war Miro eines Tages einfach verschwunden. Ohne sich zu verabschieden. Ohne einen Brief zu hinterlassen. Ohne sich wenigstens einmal zu melden. Man wusste nicht, wo er war, was er tat und ob er überhaupt noch lebte. Dann tauchte Itoe auf, mit dem Abschiedsbrief in der Hand und der Nachricht über seinen Tod. Sein Bruder war fort. Für immer. Und der Gedanke daran, dass er sich nie richtig bei ihm entschuldigen konnte, machte ihn fertig. Das war mit der Grund, weshalb er sich so verantwortlich gefühlt hatte, Itoe in seine Obhut zu nehmen und somit Miros letzten Wunsch zu erfüllen. Er war ihm was schuldig. Kira erhob sich müde vom Bett. Er fühlte sich schlapp und ausgelaugt, obwohl er sich körperlich nicht angestrengt hatte. Diese schwermütigen Gedanken waren Schuld. Er konnte sie einfach nicht loswerden. Ob Itoe schon zu Hause war? Kira sah auf die Uhr. Es war bereits 9:10 Uhr. Vielleicht sollte er bei ihr vorbeischauen? Diesen Gedanken verwarf er sofort. Es war vorbei. Das hatten sie beide einvernehmlich entschieden.   Kira ging ins Bad, zog sich aus und stieg unter die heiße Dusche. Er hasste sich dafür, was er zu Itoe über seinen Bruder gesagt hatte. Das hatte sie nicht verdient, auf diese Weise zu erfahren. Miro war nicht der ehrenhafte Mensch, den sie in Erinnerung hatte. Diesen Miro gab es schon ewig nicht mehr. Aber er hatte nicht das Recht, so über ihn zu reden. Und er hatte insbesondere kein Recht, ihre Liebe zu seinem Zwilling zu vergiften. Was hatte er sich überhaupt dabei gedacht? Ganz klar, dass er seine Gefühle nicht mehr im Griff hatte. Und warum? Weil er dieses Mädchen in sein Herz gelassen hatte. Ein dummer Fehler. Denn letztendlich gehörte sie nicht ihm, egal, was auf dem Papier stand. Sie war zwar rechtmäßig seine Frau, aber ihr Herz und ihr Körper würden ihm niemals gehören. Das Bild von dem leidenschaftlichen Kuss, den er sich erst gestern gestohlen hatte, breitete sich vor seinem inneren Auge aus. War das wirklich erst gestern gewesen? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Er spürte noch immer ihren Geschmack auf den Lippen. Diese süßen, weichen Lippen. Dieselben Lippen hatte auch Miro geküsst, schoss es ihm jäh durch den Sinn. Scheiße. Warum dachte er denn plötzlich daran... Alles an ihr hatte Miro berührt. Ihre Lippen, ihren Körper, ihr Herz. Wollte er wirklich das Mädchen haben, das seinen Bruder liebte? Kira schüttelte diese Gedanken ab und tröstete sich mit einem anderen. Itoe hatte seinen Kuss erwidert. Sie hatte es zugelassen, also musste er ihr doch etwas bedeuten! Außerdem hatte sein Intermezzo mit Makoto Itoe eifersüchtig gemacht. Sonst hätte sie sich garantiert nicht mit Yagami eingelassen. Aber welche Rolle spielte das noch? Ich bin fertig mit dir! Mit euch beiden! Die Erinnerung an seine vernichtenden Worte brachte ihn auf den Boden der Tatsachen. Es war vorbei. Kira hatte Miros letzten Wunsch mit aller Kraft erfüllen wollen, sodass er krampfhaft versucht hatte, diese Ehe aufrechtzuerhalten. Dabei hatte er gar nicht an seine und schon gar nicht an Itoes Gefühle gedacht. Wie schwer musste es ihr gefallen sein, sich auf diese Beziehung einzulassen. Mit jemandem, der genauso aussah, wie der Mann, den sie geliebt und dann verloren hatte. Für Kira war das ganze aber auch nicht einfach. Er hatte sie zwar noch nie in seinem Leben gesehen, sie war wunderschön, klug, humorvoll, eine Herausforderung. Aber sie war auch jemand, der seinem Bruder unglaublich wichtig war. Itoe hatte ihm bis zum Schluss beigestanden, sie war im Zeitpunkt des Todes an seiner Seite. Wenn sie Miro nichts bedeutet hätte, hätte er sie ganz sicher nicht geheiratet. Aber warum musste er sie an Kira binden? War das seine Rache dafür, dass Kira sich am Ende von ihm abgewandt hatte? Hier, Bruder, ein hübsches Abschiedsgeschenk für dich, das dich immer an mich erinnern wird. So hatte es Kira noch gar nicht betrachtet... Na ja, er würde niemals das wahre Motiv erfahren, also warum sich den Kopf zerbrechen? Miros verrückter Plan hatte aber auch etwas Gutes. Kiras harte Schale bröckelte, je besser er Itoe kennenlernte, seine Gefühle tauten auf und er empfand für sie mehr, als er zugeben wollte. Sein Fehler war, zu hoffen, sie würde dasselbe für ihn empfinden. Es hatte sich sogar danach angefühlt, aber er konnte sich auch irren. Liebe war ein fremdes Gebiet für ihn und es wäre möglich, dass er ihre Gefühle fehlinterpretierte. Besonders nachdem, was sie gestern zu ihm gesagt hatte, war das wahrscheinlich auch der Fall. Distanz würde ihm gut tun. Er brauchte eine klare Sicht auf die Dinge. In letzter Zeit handelte er nicht gerade nach seinen Prinzipien. Zu viele Gefühle vernebelten den Verstand, das war die Devise. Und mittlerweile handelte er fast ausschließlich emotional. Seine Eifersucht, seine Wut. Und das alles nur wegen diesem Mädchen. Aber Distanz hin oder her, Kira hatte endlich begriffen, was er von Anfang an gewusst hatte und nur nicht wahrhaben wollte: Itoe war zwar rechtlich seine Frau, aber ihr Herz würde ihm niemals gehören. Unabhängig davon wie sehr er sich abmühte, sie zu begeistern oder zu beeindrucken. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er machte sich nur zum Affen. Wütend über seine eigene Dummheit und Naivität schlug er mit der Faust gegen die Duschwand. Kira erinnerte sich an die erste Nacht im Club mit ihr. Da war der Abend ähnlich ausgegangen. Itoe hatte sich betrunken und angefangen, Miro zu erwähnen. Damals hatte er das noch toleriert, aber jetzt konnte er das nicht mehr. Sie liebte Miro immer noch, sie brauchte seinen Bruder. Nicht ihn. Kira stellte das Wasser ab und trocknete sich ab. Seine Bewegungen waren automatisch, träge. Er fühlte sich immer noch nicht fit. Die deprimierenden Gedanken machten ihm zu schaffen. Seit wann ließ er sich emotional so niederdrücken? Er war wieder weich geworden. Er hatte sich ihr geöffnet, sie in sein Herz gelassen. Aber damit hatte er sich doch nur zum Trottel gemacht. Es passte nicht zu ihm, so weich und nett zu sein. Das war einfach nicht er, redete er sich ein. Seine Gegenwart war Itoe doch auch zu wider, sonst würde sie sich Miro nicht zurückwünschen. Kira wurde wütend, je länger er über das ganze Dilemma nachdachte. Vielleicht sollte er nicht so leicht aufgeben? Diese plötzliche Wendung seiner Gedanken hatte auf einmal seine volle Aufmerksamkeit. Vielleicht war er an die Sache völlig falsch ran gegangen? Während er so darüber nachdachte, keimte langsam ein neuer Plan auf. Kira war Itoe nicht gut genug? - In Ordnung. Dann würde sie jetzt den anderen Kira kennenlernen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)