Corrupt Me! von Sky- ================================================================================ Kapitel 5: Let's Talk (2) ------------------------- Es war spät geworden, als Crow die Marshall Street erreichte und in die Bar ging, die den Namen Johnny’s trug. Eine ungemütliche Absteige, in der die Luft stickig war und nach Zigarettenqualm stank. Hier trieb sich allerhand Gesindel herum, wodurch die Bar den Ruf weg hatte, ein Sammelpunkt für Kriminelle zu sein. Und tatsächlich trieben sich hier auch ehemalige Häftlinge herum oder jene, die das Glück hatten, noch nicht ins Visier der Polizei geraten zu sein. An der Bar bestellte er sich einen Scotch und setzte sich an den Tresen. Den Barkeeper kannte er schon seit Jahren. Mick war zwar nicht sein Kumpel, aber kam oft zu ihm, wenn er einfach mal ein wenig reden, oder wie heute einfach nur einen trinken wollte. Neben Satori war er so ziemlich der Einzige, mit dem er redete. „Hey Crow!“ grüßte Mick ihn, der gerade dabei war, Gläser zu wischen. „Was treibt dich wieder hierher? Ich hab dich schon seit knapp einem Jahr nicht mehr gesehen.“ „Mir war einfach danach. Und hier schmecken die Drinks wenigstens.“ In einem Zug leerte er sein Glas und bestellte sich gleich etwas nach. Seine Laune war schlecht, was vor allem daran lag, weil er doch allen Ernstes Christoph etwas aus seinem Leben erzählt hatte. Zum Glück nicht allzu viel, denn außer seinem abgebrochenen Studium und seinem IQ konnte er ja sonst nicht viel vorweisen. Zumindest nichts, was für ihn sprechen würde. „Ich hatte halt viel zu tun, wie du weißt. Die Arbeit im Studio beansprucht mich halt.“ „Weißt du Crow, es ist mir echt ein Rätsel, wieso du ausgerechnet so etwas machst. Hattest du nicht mal gesagt, du willst Arzt werden? Du bist doch so intelligent und du hast Talent, oder nicht? Warum machst du nichts daraus?“ „Finde mit meinem Vorstrafenregister einen Job in die Richtung, geschweige denn eine Uni. Das kannst du vergessen, Mick. Ich hab diesen Traum schon lange aufgegeben und ich hab mich damit arrangiert, dass ich nie in meinem Leben mal Arzt werde. Das ist lange vorbei.“ Er kannte Mick schon seit Jahren und dieser wusste von seiner Geschichte. Wahrscheinlich sah sich der Barkeeper als eine Art väterlicher Freund und war deshalb immer ein aufmerksamer Zuhörer gewesen. Nun, Crow war auch ganz dankbar dafür, denn er hatte sonst niemanden zum Reden. Seit sich dieser Vorfall vor sechs Jahren ereignet hatte, sprach sie eh kein Wort mehr mit ihm und machte auch kein Geheimnis daraus, dass sie ihn dafür hasste, was er getan hatte. Und Crow hatte ihr ohnehin nie verzeihen können, dass sie die Familie zerstört hatte und wegen ihr alles erst so sehr hatte eskalieren müssen. Hätte sie damals nicht dieses Verhältnis angefangen, dann wäre es niemals so weit gekommen. Sie hatte das alles doch provoziert und wäre sie nicht so egoistisch gewesen, dann hätte so vieles nicht passieren müssen. Und er wäre vielleicht nicht im Gefängnis gelandet. Aber ihr die ganze Schuld zu geben, war natürlich auch nicht richtig, das wusste er ja auch. Er hatte ebenso Mitschuld, immerhin war es seine Entscheidung gewesen, dass er damals so gehandelt hatte und so hatte er seinen Absturz vom talentierten Genie mit Studium und Zukunftsperspektiven zum vorbestraften Tätowierer irgendwann einfach akzeptiert und machte sich in der Richtung auch keine Hoffnung mehr. Sein Leben hatte kaum noch Perspektiven, aber es war immer noch besser, als wenn er einfach nur herumgesessen hätte. Und lieber war er ein vorbestrafter Tätowierer mit zerstörten Träumen, als ein aufgeblasener Akademiker, der meinte, er könnte mit allem durchkommen. Arzt würde er nie werden, das war Fakt. Träume hatte er eigentlich keine mehr, auch keine Herzenswünsche. Darum hatte er sich auch damals sein erstes Tattoo umändern lassen, weil es ihm falsch erschien, es noch weiterhin zu haben. Um seinem Herzenswunsch zu folgen, musste man ja einen haben und den hatte Crow schon längst nicht mehr. „Das ist doch schon Jahre her und du hast deine Strafe abgesessen“, meinte Mick schließlich, der ihn wohl aufmuntern wollte. „Und es gibt sicher genug Leute, die Verständnis für solch eine Situation hätten.“ „Ach ja? Glaubst du wirklich, jemand würde Verständnis zeigen, wenn ich ihm erzählen würde, dass ich einen Menschen zu Tode geprügelt habe? Das glaubst du doch wohl selbst nicht.“ Mick schwieg nun und wischte weiter die Gläser. Crow verspürte nicht wenig Lust, sein Glas einfach gegen die Wand zu werfen und sich auf diese Art und Weise abzureagieren. Aber er beherrschte sich und versuchte die Gedanken zu verdrängen. Eigentlich konnte er ja von Glück reden, dass der Richter und die Jury die Umstände berücksichtigt hatten und er mildernde Umstände bekommen hatte. Aber vier Jahre Gefängnis waren dennoch viel gewesen. Und seine Tat hatte er auch nie bereut, auch wenn es Totschlag war. Aber es änderte nichts daran, dass er seiner Mutter auch Mitschuld daran gab, dass sein Leben einen solchen Absturz nehmen musste. „Hey du Pisser, das ist mein Platz!“ Eine Hand packte Crow grob an der Schulter und als er sich umdrehte, sah er einen ziemlich verwahrlosten Kerl mit Zahnlücke, der offenbar nicht gerade zu den freundlich gesinnten Zeitgenossen zählte. Doch er blieb unbeeindruckt und meinte nur „Da steht nirgendwo dein Name drauf, also verzieh dich lieber, sonst werde ich ungemütlich.“ Das schien dem Kerl mit der Zahnlücke überhaupt nicht zu passen. „Willst du etwa Stress, du Würstchen? Verpiss dich sofort, oder ich…“ Bevor der Mann weiterschreien konnte, hatte Crow ihm einen Schlag ins Gesicht verpasst. Wie ein nasser Sack fiel der Mann zu Boden und dann stieß ihm der 28-jährige seinen Stiefel gegen den Brustkorb, als er aufstand und wie ein Mahnmal des Unheils über ihn stand. Seine bernsteinfarbenen Augen funkelten gefährlich und wirkten furchteinflößend und bedrohlich. „Oder was?“ fragte er gereizt. „Willst du Prügel? Die kannst du gerne haben, wenn du es unbedingt darauf anlegen willst.“ „Crow, lass das besser“, mischte sich nun Mick ein. „Lass dich nicht von ihm provozieren und komm wieder runter.“ Die ermahnenden Worte des Barkeepers beruhigten den Tätowierer ein wenig und so setzte er sich wieder. Doch der andere wollte wohl nicht wirklich die Sache auf sich beruhen lassen und war stinksauer. Immerhin hatte der 28-jährige ihm die Nase blutig geschlagen. Etwas wankend kam er wieder auf die Beine und zog ein Messer. „Na warte du Scheißkerl“, knurrte der Kerl mit der lädierten Nase. „Das kriegst du alles wieder zurück!“ Damit wollte er angreifen, doch Crow gelang es, sein Handgelenk zu greifen und es so zu verdrehen, dass das Messer fallen gelassen wurde. Dann packte er den Mann im Genick und stieß ihn mit dem Kopf auf den Tresen und warf ihn daraufhin zu Boden. Das Messer kassierte er selbst und ging damit auf den Angreifer zu, der noch völlig benommen am Boden lag. Mit einer Hand zerrte er ihn am Kragen hoch und hielt ihm die Klinge vor die Nase. „Beim nächsten Mal kastrier ich dich eigenhändig, wenn du mir auf die Nerven gehst. Also verschwinde lieber und such dir einen anderen Idioten, dem du ans Bein pinkeln kannst, oder ich mach gleich hier und jetzt eine Frau aus dir.“ Da der Mann es offenbar doch mit der Angst zu tun bekam, entschied er sich lieber, einen Abflug zu machen und verließ die Bar. Crow drückte Mick das Messer sowie 20$ mit den Worten „Sorry für das Chaos“ in die Hand und ging ebenfalls. Die Lust war ihm nun endgültig vergangen und er hatte einfach nur das Bedürfnis, am besten weit weg zu gehen und nie wieder zurückzukommen. Raus aus der Stadt und vielleicht sogar raus aus diesem Land. Aber was würde es denn bringen? Er würde doch nur davonlaufen und er war kein Feigling, der beim ersten Anzeichen von Problemen das Weite suchte. Dennoch konnte er nichts dagegen tun und war in einer entsetzlichen Machtlosigkeit gegen sein eigenes Schicksal gefangen. Was war sein Leben doch für ein einziger Scherbenhaufen. Aber er war nicht der Typ Mensch, der sich selbst bemitleidete oder jammerte. Er war schon immer ein zäher Kämpfer gewesen und hatte auch das Gefängnis überlebt. Egal wie viele Rückschläge noch auf ihn warten würden, er wusste, wie er sich durchbeißen konnte. Und so ganz hoffnungslos war sein Leben momentan ja auch nicht. Immerhin hatte er Christoph, seinen kleinen Spielgefährten. Der Akademiker mit dem Supertalent für Zahlen… Ja, der war eine wunderbare Abwechslung für zwischendurch und an ihm konnte er auch nach Herzenslust seine sadistische Ader auslassen. Zumindest in einem gewissen Rahmen… vorläufig. Und morgen konnte er ja schon mal mit den Vorbereitungen für die nächste Session beginnen. Dann hatte er wenigstens eine gute Ausrede dafür, sich vor dem Familientreffen zu drücken. Aber andererseits… er war eh nicht erwünscht. Die Familie hatte ihn schon längst aus ihrem Leben gestrichen, da war es auch nicht mehr relevant, ob er dort antanzte oder nicht. Also konnte er sich ohne schlechtes Gewissen um sein Hobby kümmern. Und er hatte auch schon eine Idee, was er mit Christoph so alles anstellen würde. Der Gedanke munterte ihn ein wenig auf und so zündete er sich eine Zigarette an und machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung. Das Haus in der Hampton Street war lediglich sein Hobbybereich, da seine Wohnung irgendwann einfach nicht mehr ausgereicht hatte. Das Haus hatte er ziemlich günstig erworben, da sich mal dort ein Doppelmord ereignet hatte. In solchen Fällen waren die Häuser immer recht günstig und das Geld dafür hatte er sich im Knast „verdient“. Sein Psychologiestudium war ihm beim Kartenspiel zugute gekommen, denn es wurde teilweise mit ziemlich hohen Summen gespielt und das hatte er für sich genutzt. Auch was gewisse „Geschäfte“ innerhalb des Gefängnisses anging, hatte er aktiv mitgewirkt und sich auf die Weise was zusammensparen können. Auch mit dem Tattoostudio hatte er gut verdient, nachdem er es von Keith übernommen hatte, der bei einer Bandenschießerei ums Leben gekommen war. Der Großteil seines zusammengesparten Geldes war inzwischen wieder ausgegeben, aber er kam ganz gut über die Runden und konnte auch sein Hobby finanzieren. Als er nach knappe einer halben Stunde Fußmarsch seine Wohnung erreichte, die in einem riesigen Apartmentblock in einem etwas schmutzigen und heruntergekommenen Viertel lag, dröhnte ihm schon laute Musik entgegen. Genervt seufzte er und öffnete die Tür, woraufhin ihm der ungefilterte Lärm entgegenkam. Er ging direkt ins Wohnzimmer, wo seine Mitbewohnerin Satori gerade dabei war, sich die Fußnägel zu lackieren. Sofort schnappte er sich die Fernbedienung und schaltete die Musikanlage aus. „Verdammt noch mal, musst du die Musik so laut machen?“ „Ist ja schon gut, Crow“, gab die Japanerin zurück und setzte in aller Seelenruhe ihre Arbeit fort. Satori war seine Angestellte, Mitbewohnerin und fast schon etwas wie eine gute Freundin. Aber auch nur fast, denn mit Freundschaft hatte er es schon seit seiner Inhaftierung nicht mehr so wirklich. Satori war eine sehr talentierte und kreative Tätowiererin, war aber chronisch pleite, sodass sie zu der Idee kamen, eine Art Wohngemeinschaft zu gründen. Die meiste Zeit funktionierte es auch, aber an manchen Tagen war auch viel Streit vorprogrammiert. Satori war mit 1,66m fast 30cm kleiner als er, hatte langes schwarzes Haar und ein hübsches mädchenhaftes Gesicht. Ihr Körper war mit diversen Blumentätowierungen, Schmetterlingen und Kolibris versehen und sie war sehr zierlich. Nicht selten wurde sie deshalb noch für sehr jung gehalten, obwohl sie gerade mal zwei Jahre jünger war. „Hast du irgendwie schlechte Laune?“ erkundigte sie sich direkt, doch Crow gab keine Antwort darauf und legte seine Jacke aufs Sofa. Danach ging er erst mal in die Küche und holte sich noch ein Bier. Er hatte irgendwie das dringende Bedürfnis, seinen ganzen Frust und die ganzen Gedanken und Sorgen zu vergessen und sie einfach im Alkohol zu ertränken. Ein echt beschissenes Gefühl und er hasste es. „Deine Mutter hat heute angerufen.“ „Was wollte die denn?“ „Keine Ahnung, sie hat mir nichts Genaueres gesagt. Wahrscheinlich wollte sie nur mit dir reden.“ Crow hätte fast gelacht. Als ob seine Mutter einfach nur so mit ihm reden wollte. Das bezweifelte er arg. Wenn sie gerade kein Geld brauchte, weil sie meinte, sie könne ihn wie eine Weihnachtsgans ausnehmen, nur weil sie das Talent besaß, ihm immer wieder aufs Neue Schuldgefühle einzureden, war sie sicher wieder auf Streit aus und hielt ihm vor, dass sie es bereute, ihn überhaupt auf die Welt gebracht zu haben, weil er eine absolute Schande wäre. Ständig kam sie damit an, dass er ihr das schuldig sei, weil er ihr Leben zerstört habe. Aber die Nummer klappte bei ihm schon lange nicht mehr und inzwischen hatte er eine gewisse Gleichgültigkeit entwickelt, wenn seine Mutter wieder auf der Matte stand und Geld von ihm wollte. „Und was hast du gesagt?“ „Dass du sie nicht mehr sehen willst.“ „Gut…“ Doch Satoris Augen blieben an ihm heften und er ahnte, dass sie nicht locker lassen würde. Er hatte schon oft genug über seine Familiensituation und seine Vergangenheit erzählt, aber wahrscheinlich war es dieses Mal etwas anderes, das sie wissen wollte. Und tatsächlich begann sie nachzufragen, was denn mit der Sache mit diesem Akademiker geworden war und was er wollte. Nun, Crow hatte noch nichts darüber gesagt, aber da Satori zu dem Zeitpunkt im Laden gewesen war, hatte sie natürlich mitgekriegt, dass Christoph ihren Chef sprechen wollte. Und da sie wusste, dass Crow Akademiker wie die Pest hasste, hatte sie sich natürlich gewundert, warum er Christoph nicht hochkant rausgeschmissen hatte. Zuerst dachte er daran, ihr von dem Deal zu erzählen, aber er entsann sich wieder an den Vertrag, den er unterschrieben hatte. Und auch wenn er kam Geheimnisse vor Satori hatte und sie auch von seinem Hobby wusste, würde er nicht gegen den Vertrag verstoßen. Die Gefahr bestand, dass Christoph Schwierigkeiten bekommen könnte und er war nur äußerst ungern dafür verantwortlich. Vor allem wollte er keinen Ärger riskieren, nur um dann wieder im Knast zu landen. „Darüber kann ich nicht reden. Ich bin zur Verschwiegenheit verpflichtet.“ „Wie bitte was? Äh… musstest du eine Schweigepflichtserklärung unterschreiben oder wie?“ „So etwas in der Art.“ „Aha…“, kam es langsam und gedehnt von der Japanerin, die wieder nachdachte und versuchte, für sich selbst ein paar Antworten zu finden. Dann aber kam ihr doch eine Idee und sie fragte, ob es vielleicht mit seinem Hobby zu tun habe. Er sagte dazu nichts, aber man konnte ihr ansehen, dass sie sich schon ihren Teil dachte. Sie grinste breit und kicherte leise. „Na wer glaubt’s denn? Da hast du dir ja einen süßen Kerl geangelt.“ „Hör auf, so einen Blödsinn zu reden. Das zwischen uns hat nichts Tieferes zu bedeuten. Und so etwas Lästiges wie Gefühle werde ich mir ganz sicher nicht antun. Dieser ganze Liebesquatsch bedeutet doch sowieso nur Ärger. Und jetzt lass uns auch nicht mehr weiter darüber reden, okay? Ich will mir gleich die Nachrichten ansehen.“ Und somit schnappte er sich die Fernbedienung vom Fernseher und schaltete den entsprechenden Kanal ein, um sich die Nachrichten anzusehen. Danach würde er sich wahrscheinlich schlafen legen, denn irgendwie fühlte er sich heute ziemlich müde und erschöpft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)