Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ronya – Akt 2, Szene 2 ---------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Ihre erste Amtshandlung am nächsten Morgen war es, die Trainerschule zu besuchen. Max und sie verließen am frühen Morgen das Pokécenter und stiefelten durch die vollgepackte Stadt. Es war noch relativ kühl, und eine steife Brise wogte durch die Menge, aber Ronya störte sich nicht daran. Sie genoss das Gefühl des Windes auf ihrer Kopfhaut und der Freiheit und unendlichen Möglichkeiten, das sie hier in der Großstadt verspürte. Seit sie vor zwei Jahren herausgefunden hatte, dass es Schulen für Pokémontrainer in anderen Städten gab, war sie unendlich neidisch gewesen. Ihre eigene Familie besaß keine Pokémon, eine ziemliche Ausnahme in Sinnoh. Statt von Kindesbeinen an den Umgang mit ihnen zu lernen, oder zumindest an offiziellem Unterricht teilnehmen zu können, hatte sie sich all ihr Wissen selbst aneignen müssen. Sie wusste, dass die meisten Kinder in ihrem Alter wenig Interesse an der Literatur hatten, mit der Ronya sich Tag ein, Tag aus beschäftigte, aber das war ihr egal. Dank Thea hatte sie ohnehin nie einen eigenen Freundeskreis gehabt, und selbst wenn, wäre dieser sicher von ihrer Schwester infiltriert worden. Thea … Bei dem Gedanken an ihre letzte Auseinandersetzung wurde Ronya heiß und kalt gleichzeitig. Sie ballte die Fäuste, ihre Kehle zog sich zusammen. Obwohl sie wusste, wie irrational es war, sah sie über ihre Schulter, so als könnte Thea plötzlich in der Menge der Jubelstadtpassanten auftauchen und nach ihr rufen. Ein abrupter Schmerz ließ sie zusammenzucken. Sie sah zu ihrer rechten Hand, an der eine kleine Bisswunde zu sehen war. Max, der die ganze Zeit eng an ihrer Seite lief, hatte sie gebissen. Ronya starrte ihr Pokémon an, das sich flach auf den Boden drückte, ihr aber ungeniert in die Augen sah. Sie atmete tief durch und ging in die Hocke. Mit der nicht blutenden Hand strich sie Max über den Kopf. „Danke. Ich weiß, ich sollte nicht so viel über sie nachdenken. Sie hat nur die Macht über mich, die ich ihr gebe. Aber es ist schwer, loszulassen.“ Die Trainerschule war nicht weit vom Pokécenter entfernt. Vor dem Eingangstor blieb Ronya stehen. Sie hatte ein imposantes Gebäude erwartet, schließlich befanden sie sich in Jubelstadt, Sinnohs Hauptstadt, aber das hier sprengte jeden Rahmen. Ein gewaltiger Komplex aus rotbedachten Gebäuden umringte einen runden Park, der mit Bäumen und Bänken gesprenkelt war. Eine Hausmeisterin kehrte den Steinpfad, der zu den verschiedenen Gebäuden führte. Das Haus zu ihrer Linken war vier Stockwerke hoch, mit kindlich bemalten Hausfassaden und Papierdekorationen, die innen an den Fenstern klebten. Eine Art Pokémon-Grundschule? Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich, was Ronya mit geübtem Auge als Bibliothek identifizierte. Drehtüren ließen trotz der frühen Stunde bereits Trauben von Schülern hinein, und hinter den hohen Glasfenstern konnte Ronya Reihe um Reihe von Bücherregalen erspähen. Ihr Herz klopfte sofort heftiger. In der Mitte dieser beiden Gebäude erhob sich das größte der drei, sechs oder sogar sieben Stockwerke hoch, mit breiten Eingangstüren und diversen Schülern und Schülerinnen, die mit Ranzen und Pokébällen am Gürtel nach innen eilten. Ronya klappte ihre Kinnlade zu und sah zu Maxwell hinunter, der von ihrer Aufregung ganz angesteckt bereits gierig die Bäume beäugte. „Fünf Minuten“, sagte sie warnend. „Dann gehen wir rein.“ Max quietschte und sprintete auf den erstbesten Baum zu. Nachdem Max sich ausgetobt hatte, rief Ronya ihn in seinen Pokéball zurück (an der Eingangstür hing ein „Pokémon verboten“-Schild) und betrat das klimatisierte Hauptgebäude. Innen führte ein langer Gang zu einem Aufzug und einer Treppe nach oben. Davor war eine Rezeption, an der ein älterer Herr saß und sich mit einer Besucherin stritt. Langes, blondes Haar hing in einem perfekt frisierten Pferdeschwanz ihren Rücken hinunter. Sie trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug und hochhackige Schuhe. In der einen Hand hielt sie einen schwarzen Aktenkoffer, mit der anderen umklammerte sie die Hand eines Jungen mit ebenfalls blondem Haar, der neun oder zehn Jahre alt sein musste und gelangweilt in die Luft starrte. Neben den beiden stand ein junges Mädchen, etwa in Ronyas Alter. Sie hatte lockiges, blondes Haar, das ihr rundes Gesicht umrahmte und trug eine weiße Strickjacke über ihrem pinken, rüschenbesetzten Kleid. Als sie Ronyas Blick bemerkte, weiteten sich kurz ihre Augen. Ihr Blick glitt über Ronyas abgetragene Latzhose und dreckstrotzenden Schuhe, dann sah sie schnell weg. Ronya fühlte sich sofort unwohl. Das Mädchen erinnerte sie an Theas Freundinnen, die nur an Mode interessiert waren. Sie sah zurück zu der Frau, die allem Anschein nach die Mutter der beiden Kinder war, und trat etwas näher, um zu lauschen, was trotz der immer noch hereinschlendernden Schüler leicht war, denn die Frau sprach in sehr lauter, energischer Stimme. „—nicht so weit gereist, um mich von jemandem in ihrer Position abwimmeln zu lassen.“ „Ma’am …“ Der Rezeptionist rückte seine Brille zurecht und sah eingeschüchtert zwischen ihr und seinem PC-Monitor hin und her. „Es tut mir wirklich leid, aber alle Kurse sind ausgebucht. Wenn Sie in zwei Monaten wiederkommen könnten …“ „In zwei Monaten?“, fragte die Frau schneidend und lehnte sich über den Tresen. Ronya machte instinktiv einen Schritt zurück. Sie hatte Mitleid mit dem Rezeptionisten, dem inzwischen Schweißperlen auf der Stirn standen. „Sicher haben Sie noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Ich bin durchaus bereit, für Privatunterricht bei den Dozenten zu bezahlen, es geht schließlich nur um zwei Wochen, die wir hier verbringen werden.“ „P-privatunterricht?“ Der Rezeptionist starrte die Frau an. Ronya ebenfalls. Klar, sie sah gepflegt und professionell aus, aber dass sie so reich war … „Na gut, ich werde ein paar Anrufe tätigen. Wenn Sie mir ihre Nummer hierlassen, kontaktiere ich Sie, sobald ich Näheres weiß.“ „Na bitte, so schwer war das doch nicht“, seufzte die Frau. „Der Name ist Heartoline. Ich erwarte die Termine bis spätestens heute Abend. Wir haben schon genug Zeit in dieser Stadt vergeudet.“ Sie kritzelte ihm eine Nummer auf einen Zettel, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und kam direkt auf Ronya zu, die reflexartig zur Seite sprang. Das Mädchen lief seiner Mutter hinterher. „Mamaaa, ich hab Hunger“, quengelte es, dann schloss sich die Tür hinter den Dreien. Ronya atmete erleichtert aus, im genau gleichen Moment wie der Rezeptionist. Sie warfen sich einen kameradschaftlichen Blick zu. Sie ging zum Tresen. „Also … die Kurse sind voll?“, fragte sie schweren Herzens. Der Mann nickte. „Die Wartezeit ist eigentlich eher sechs Monate. Aber das habe ich mich wirklich nicht getraut zu sagen.“ Ronya presste die Lippen zusammen und griff nach Max‘ Ball. Sechs Monate … unter normalen Umständen wäre das kein Problem gewesen. Schließlich hatte sie noch ihr gesamtes Leben vor sich. Aber sie war mehr oder weniger auf der Flucht. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie gewusst, dass die Trainerschule von Jubelstadt der erste Ort wäre, an dem Thea nach ihr suchen würde. Ihre Schwester kannte sie eben doch gut genug, um zu wissen, was für eine Anziehungskraft die Schule mit ihrem geballten Wissen auf sie haben würde. Und nun stand Ronya hier, vor ihrem Traum, und konnte ihn doch nur von außen betrachten. Sie durfte keine Spur hinterlassen, und schon gar nicht durfte sie zu lange an einem Ort bleiben. „Sie haben eine tolle Schule hier“, sagte sie und schluckte ihre Tränen hinunter. „Dürfte ich in die Bibliothek gehen? Nur heute?“ „Ich fürchte, das ist nicht möglich“, sagte der Rezeptionist, und sah dabei so traurig aus, als wäre es sein eigener Traum, den er mit Füßen trampelte. „Nur eingeschriebene Schüler haben Zugang.“ „Ich verstehe.“ Sie straffte ihre Schultern und zwang sich zu einem Lächeln. „Vielleicht komme ich ein andermal wieder. Schönen Tag noch.“ Ohne auf die Antwort zu warten, machte sie kehrt und floh regelrecht aus dem Gebäude. Draußen blendete sie die Sonne. Sie rief Max, der ihre Laune sofort spürte und in ihre Arme sprang. Ronya schaffte es gerade noch zu einem der Bäume, bevor sie einknickte und sich zwischen die Wurzeln fallen ließ. Tränen strömten ihr übers Gesicht. „Es ist nicht fair“, flüsterte sie und drückte Max so fest an ihre Brust, wie sie konnte. „Ich könnte einfach hierbleiben und studieren, aber Thea …“ Thea würde sie finden. Sie würde sich in dieselben Kurse einschreiben lassen, dieselben Seminare besuchen, Ronya auf Schritt und Tritt verfolgen. Ihre Freiheit, die sie sich so hart erkämpft hatte, wäre verloren. Plötzlich fühlte sie wieder den Arm um ihren Hals, der ihr die Luft abdrückte. Nur dass es nicht Tommy war, der sie festhielt, sondern die Angst vor Thea. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)