Im Zeichen des Rukh von Erenya ================================================================================ Prolog: Die Pfütze ------------------ Schwarze Flecken... vielleicht eine Sonnenfinsternis. Nein, eine Sonnenfinsternis war nicht fleckig. Genauso wenig wie Jesus eine weiße Kufiya trug, die von seiner Dornenkrone gehalten wurden... Seltsam, oder? Schwarze Flecken... Ist schwarz besser als grün? Wie komme ich auf grün? Ich hole tief Luft und stoße sie, so gut es eben geht, aus. Da hat mich doch beinahe eine Pfütze ertränkt, wie erbärmlich. War das vor oder nach den schwarzen Flecken gewesen? War danach dieser Jesus mit Kufiya da gewesen? Gott mein Kopf fühlt sich so breiig an. Immerhin ich bin nicht in der Pfütze ertrunken. Ich liege hier, auf dem Boden, umgeben von Regalen und Licht und einem blauen, freundlich lächelnden Kopf. Alltägliches ebe- Moment! Pausetaste, bitte! Ein Kopf, blau? Lächelnd? Erde an Hirn! Was ist daran bitte alltäglich? Ich blinzle und registriere erst jetzt, dass ich an einem Ort bin, der mir vollkommen unbekannt ist. Also nicht so bekannt, wie der wo ich herkomme. Keine Ahnung wie ich hier gelandet bin. Vielleicht bin ich doch in der Pfütze ertrunken... Peinlich wenn dem so ist. Dann stehe ich sicher am nächsten Tag in der Zeitung. Zeitung? Äh... Dieser lächelnde Kopf ist wirklich riesig. Ist das normal? Und warum ist er so blau? Halt, halt... Bleib beim Thema. Also wo war ich? Genau der riesige lächelnde Kop- Nein, nein... Warum ist dieser Kopf nur so auffällig? Ich merke, dass ich ihn anstarre, nachdenklich. Er hat immerhin keine schwarze Flecken, nur schwarze Haare. Was waren das nur für schwarze Flecken? Und warum ist dieser Kopf so riesig? Wie groß ist dann erst der Körper? Ich versuche vorbei an den weißen, formlosen Etwasen zu sehen und sehe... Nichts. Moment, da stimmt doch etwas nicht. Selbst ich habe in Biologie nicht so sehr geschlafen. Ein Kopf braucht einen Körper, außer man ist der kopflose Reiter. Und dieser Kopf sieht nicht wie der des kopflosen Reiters aus. Ich bin verwirrt und verwundert. Wie kann dieser Kopf lächeln, ohne Körper, und blinzeln Moment, der Kopf hat geblinzelt! Wie geht das? Das geht doch nur mit einem Körper. Als wolle ich mir das beweisen, versuche ich an mir runter zu sehen und... sehe nichts. Naja fast nichts. Da ist schon etwas. So ein wenig unförmige Masse, die denen der Etwase gleicht. Hatte ich nicht mal so etwas wie einen Körper? Wo war er hin? Meine Brüste, mein Hals, mein Bauch, meine Beine. Wo? Angestrengt verdrehe ich mich und versuche an mir runter zu sehen und doch noch Stummel oder Anzeichen eines ehemaligen Körpers zu entdecken, doch nichts. Sind dann Köpfe doch so normal? Also körperlose Köpfe? Wahrscheinlich. Ernst sehe ich den Kopf an. Aus meiner Sicht ernst, wenn ich aussehe wie die restlichen Etwase, wird er das nicht merken. Zumindest lächelt er weiter. „Und du bist?“, versuche ich fragend hervor zu quetschen. Doch nichts, kein Laut, kein Stimmchen... Oh Mist, haben diese Etwase etwa nicht einmal Stimmbänder? Schande! Wie soll man da ordentlich kommunizieren, he? „Ugo.“ Ich blinzele, oder hoffe zumindest, dass ich das tue, als der Kopf mich ansieht und zu antworten scheint. Ugo? War das eine Lautmalerei so wie 'Ka Bara Bara' oder war das ein Name? Wie kann ich ihn nur fragen, wenn ich keine Stimme habe? Ich gestehe, ich bin nicht gut in Zeichensprache, dafür liebe ich meine Worte viel zu sehr. Argh, Mist. „Das ist mein Name. Ugo.“ Oh Gott, hat er meinen monotonen Ausdruck verstanden? Ein Glück. Moment... wie kann er mich verstehen? Unheimlich. Ich schleiche näher zu ihm ran und bemühe mich mit dieser unförmigen Masse, die man Körper schimpfen soll, einen Arm zu bilden. Ich glaube es klappt. „Es freut mich auch dich kennenzulernen.“ Er versteht mich! Ja! Er versteht mich. Traumhaft. Okay, was kommt als nächstes? Ach ja, die Frage nach dem, wo ich gerade eigentlich bin. Ich drehe mich im Kreis. Sieht aus wie eine Bibliothek. Allerdings nicht wie die meiner ehemaligen Uni. Sicher dauert es eine halbe Ewigkeit die Bücher hier zu lesen. Gut in meiner jetzigen Form, zwei halbe Ewigkeiten. Das macht also eine ganze Ewigkeit. „Du bist im heiligen Palast.“ Ich bin immer noch davon fasziniert das der Ugo-Kopf mich versteht. Wie macht er das? Nicht einmal ich verstehe die anderen Etwase und das obwohl ich gerade ein Etwas bin. Aber gut, ich habe eine Antwort auf meine Frage. Im heiligen Palast also. Wo auch immer das sein soll. Geographisch bin ich sowieso eine Niete. Wobei mich die leise Ahnung beschleicht, ich meine nachdem ich keinen Körper habe, sollte das offensichtlich sein, dass es nicht gerade um die Ecke meiner Heimatstadt liegt oder ein neues Fast Food Restaurant ist. Nachdenklich krieche ich hin und her. Wie also komme ich hier her? Nawwww wenn ich mich nur erinnern könnte. Aber da ist nichts außer Jesus mit Kufiya, schwarze Flecken und die Pfütze. Die war mit Sicherheit kein Portal. Hoffe ich. Sonst mache ich in Zukunft einen großen Bogen um Pfützen. Natürlich nur wenn ich irgendwie zurück nach Hause komme. „Worüber denkst du so angestrengt nach?“, möchte Ugo freundlich wissen. Vielleicht kann er mir ja helfen. Wäre zumindest praktisch. Sofort beginne ich, irgendwie meine Masse zu bewegen und meine Geschichte zu erzählen, während mir im Kopf die Worte zur Benutzung bereit liegen. Meine Bewegungen sind hektisch, aber hey, das wird man mir wohl verzeihen, immerhin passiert einem so etwas nicht jeden Tag. Ugo scheint mir schweigend zuzuhören, versinkt ebenfalls in Gedanken und schließt die Augen. Was ihm wohl gerade durch den Kopf geht. Okay, in Anbetracht der Tatsache, dass er nur ein Kopf ist... klingt das seltsam. Sehr seltsam. Aber gut, vielleicht hat er ja eine Idee. Mir fällt zumindest nichts ein. Meine Hoffnungen ruhen nun also ganz allein auf diesen gigantischen Schädel. „Das ist in der Tat seltsam. Und dann landest du hier bei mir...“ Immerhin sind wir uns in dem Punkt einig. Das es seltsam ist. Sofort mache ich klar, dass das nicht akzeptabel ist. Das ich zurück will, irgendwie und frage mich gleichzeitig, ob Ugo das überhaupt bewerkstelligen kann. Und ob ich meinen Körper dann wieder zurück bekomme. Nicht das ich sonderlich scharf darauf bin wieder diesen Körper zu haben, aber etwas förmigeres, wäre doch schon schick. „Du möchtest also nicht hier bleiben?“ Sofort drehe ich mich im Kreis als würde ich den Kopf schütteln, Gott dieser massige Körper ist wirklich schwer zu bedienen. Das kann ich sicher nicht ewig mitmachen. Ich will meinen Körper zurück, oder zumindest einen Körper. Schließlich bin ich ein Gewohnheitstier und mir fällt es schwer mich an etwas zu gewöhnen, das dauert lange. Eine halbe Ewigkeit. Oder in diesem Körper eine ganze Ewigkeit. Das haben wir ja schon festgestellt. Erneut scheint Ugo nachzudenken. „Du bist sicher nicht in der Pfütze ertrunken?“, fragte er nach. Wahrscheinlich nur um sicher zu gehen. Aber ich bin mir sicher, nicht in der Pfütze ertrunken zu sein. Zumindest hoffe ich das. Dieses Mal hebe und senke ich meinen Körper, als wollte ich nicken. Ugo versteht mich. Weiterhin gestikuliere ich mit allem was ich an Möglichkeiten habe. Der Tod ist für mich einfach keine Option. Nicht bei meinen neun Katzenleben, von denen ich noch fünf übrig habe. Außer das beinahe ertrinken in einer Pfütze zählt dazu, dann sind es nur noch vier. So ernst ich kann sehe ich Ugo an. Zurück, ich will zurück. Ugo bemerkt, wie ernst mir das ganze ist. Sein Kopf rollt, dank der Etwase ein wenig nach vorne. Oder rollt er von alleine und die Etwas halten ihn nur fest? Wahrscheinlich will er ein Nicken symbolisieren. „Dann solltest du gehen.“ Die Etwase drehen Ugo in eine Richtung, in der sich eine Tür befindet. Moment! Wo kommt die gerade her? War die schon immer da? Warum interessiert mich das eigentlich? Das ist eine Tür. Wenn er mich gehen lässt, kann es nur bedeuten, dass diese Tür zurück nach Hause führt. Glücklich darüber zurück zu gehen, wahrscheinlich wache ich dann in meinem Bett auf und merke, dass alles, inklusive der Pfütze, nur ein Traum war, krieche ich auf die Tür zu und höre wie sie aufgeht. Ein letztes Mal wende ich mich Ugo zu und versuche zu winken. Soviel Zeit und Dankbarkeit soll sein, selbst wenn ich im Bett aufwache. Meine Eltern haben bei der Erziehung ja nicht vollständig versagt. Mit aller Macht winke ich Ugo also zu, bevor ich durch die Tür krieche. Ein starker Wind weht mir durch meine offenen, dunkelblonden Haare, die mir meine Sicht verdecken. Ich hebe meine Hände und streiche sie mir hinters Ohr, auch wenn sie kurze Zeit später wieder vor meinen Augen hängen. Moment... Hände? Ich blinzel und starre mit freudiger Fassungslosigkeit auf meinen Körper. Ich habe Hände. Gut nicht dass das neu wäre, aber nach der kurzen Zeit als unförmiger Klops ist das doch schon eine nette Wendung. Begeistert taste ich an meinen Körper hinab. Moment... das sind meine Haare, meine Brüste, meine Hände... verdammt wo ist mein Bauch. Vorsichtig taste ich weiter ab, während mir der Wind um die Ohren pfeift. Mein Bauch ist flacher, ebenso mein Po und meine Hüfte! Wo ist mein Fett hin? Nicht das mich diese Entwicklung jetzt entsetzt. Ich wollte schon immer ein paar Kilo abnehmen, aber das. Wow. Dagegen ist Heidi Klums Nothing-you-can-eat Kur echt ein Witz. Mit einem Grinsen denke ich an unsere Magermodels, als mir plötzlich klar wird, dass ich keinen Grund zum Grinsen habe. Wo bin ich eigentlich? Und warum denke ich erst jetzt an diese Frage? Ich meine, so windig ist es bei uns nicht, glaube ich zumindest. Ich streiche mir also die Haare aus dem Gesicht und sehe unter mir nichts außer weites Blau. Blau, so wie Himmel. Da der Wind mir aber von unten entgegen rauscht, gehe ich nicht davon aus, dass es sich bei diesem Blau um Himmel handelt. Das Blau des Himmels wäre sowieso viel schöner gewesen und hätte nicht so einen leichten Grünstich wie... In mir zieht sich alles zusammen. Langsam dämmert es, was dieses Blau ist. Es kann ja nur eines sein, wenn es nicht der Himmel ist. „WASSER!“, schreie ich panisch und überlege nach einer Möglichkeit dem feuchten Nass zu entfliehen, als ich auch schon auf der Wassermasse aufkomme und von dem Druck in die Tiefe gezerrt werde. Verdammt ich kann nicht schwimmen. Ich hab nicht einmal das Seepferdchen. Für gewöhnlich meide ich Wassermassen die tiefer als eine Pfütze sind. Welch Ironie, dass mich heute schon eine Pfütze beinahe ertränkt hätte. Und da das nicht geklappt hat, fahren die Wassergötter nun die großen Geschütze auf. Hektisch übe ich Bewegungen aus, die mich eigentlich an die Oberfläche bringen sollen. Mein Fett hätte mir jetzt geholfen, der Volksmund sagt ja, fett schwimmt. Kurz verfluche ich die Tatsache, dass ich den Schwimmunterricht hin und wieder erfolgreich geschwänzt und mich im Abitur sogar gut davor gedrückt habe. Mit viel Mühe und Kraft schaffe ich es immer wieder, durch die Oberfläche zu dringen, nur um wieder unterzugehen und den Kampf von neuem zu beginnen. Ich hab nicht einmal die Zeit um Hilfe zu schreien. Ich strample, trete, fluche, ja zum fluchen darüber dass es ausgerechnet Wasser sein muss habe ich Zeit, und hoffe, dass ein Wunder mich errettet. Bis... Etwas meine Handgelenk packt und mich an die Oberfläche zieht. Sicher und mit der Gewissheit, dass ich nicht erneut untergehen werde. Keuchend und schwer atmend, nehme ich nur eines wahr... Dieser Mann, der mich gerettet hat, ist nicht Nick von meiner Arbeitsstelle. Kapitel 1: Balbadd ------------------ Tropfend stand ich da und blickte zu meinem Retter, der mich scheinbar mühelos aus dem Wasser zurück ans Land gezogen hatte. Ich hatte schnell mitbekommen, dass ich nicht weit vom Ufer gewesen sein musste, was meine panische Reaktion natürlich nur noch peinlicher gemacht hatte. Immerhin war dies das Meer gewesen und keine Pfütze. Das rettende Ufer war mit Steinen gepflastert und nicht unweit von mir, sah ich aus dem Augenwinkel einen breiten, langen Holzsteg, welcher darauf hinwies, dass wir wohl in einem Hafen waren. Verdammter Ugo. Ich hatte gedacht er schickt mich nach Hause! Das hier war alles andere aber nicht mein Zuhause! Seufzend strich ich eine nasse Strähne aus meinem Gesicht und sah zu dem Mann, der mich herausgezogen hatte. Als ich sein Gesicht sah, schien es, als hätte Thor den Blitz der Erkenntnis über mich einschlagen lassen. Diese Dreadlocks, diese verdunkelten, hoffnungslosen Augen hätte ich wohl überall wieder erkannt. Aber das konnte doch nicht sein! Wie war das möglich? „Uhm... Danke...“, war alles was ich hervor pressen konnte. Ich war mir ja nicht einmal sicher, ob er mich verstehen würde. Meines Wissens nach sprach er kein Deutsch. Wobei, das was ich gesagt hatte, auch nicht wie deutsch klang. Aber da ich mir der Bedeutung der Worte so bewusst war... Gott ich musste mir den Kopf am Hafenbecken angeschlagen haben. „Wer war das?“, fragte er sofort, ohne auch nur auf mein Danke zu reagieren. Und ich verstand ihn. Seltsam. Sprach er doch Deutsch, war das Deutsch? In meinem Kopf ratterte es. Was meinte er überhaupt mit 'Wer war das?'? Hatte er meinen Sturz ins Meer etwa nicht gesehen? Mein Blick glitt hinter mich, dahin wo ich bis vor wenigen Sekunden noch um mein Leben geplantscht hatte. Vorsichtig sah ich gen Himmel. Da war keine Tür, nichts. Einfach unglaublich... Gemessen an meiner Fallzeit grenzte es an ein Wunder, dass ich den Sturz ins Wasser überlebt hatte. Andere überstanden nicht einmal einen Bauchklatscher. Vielleicht sollte ich mich zur nächsten Turmspringer WM von Stefan Raab melden... nah besser nicht, das Problem, dass ich nicht schwimmen konnte, blieb ja dennoch bestehen. Aber gute Frage, wer war das gewesen? Oder was? Warum war ich bei Ugo gewesen? „Keine Ahnung... Ich erinnere mich an... einen Mann mit Kufiya und Dornen...“, antwortete ich seltsam ruhig, obwohl das nun alles andere als der richtige Moment war um ruhig zu sein. „Diese verdammten Adligen...“, zischte der Mann, den ich sofort wieder ansah. Allerdings erkannte ich nur noch wie die Dreadlocks sich nach einer Drehung ruhig auf seine Schulter legten und er in eine Richtung davon lief, ohne mir weitere Instruktionen zu geben oder irgendetwas zu erklären. Blinzelnd sah ich ihm nach, bis schließlich endgültig die Gewissheit zu mir vor gesickert war, wer dieser Dreadlocksträger war zusammen in Verbindung mit der Tatsache, wer Ugo war. „Kassim... Ugo... Das ist... das ist...“ Das war das Magi-Universum, zumindest würde es das sein, wenn mir noch weitere Figuren aus dem Fandom begegneten und ich zweifelte eindeutig nicht daran. „Was ist denn mit ihr passiert?“ „Weiß nicht... Einer ihrer Freier hat sie wohl versucht zu ertränken.“ „Sollten wir ihr nichts zum überwerfen geben?“ „Spinnst du? Wenn ihr Freier vermögend ist, wird es schon seinen Grund haben, warum sie tot sein sollte.“ Am Rande nahm ich die Blicke wahr, die auf mir ruhten. Ebenso lauschte ich den vertrauten und doch fremden Worten der Bewohner. Ihre Worte verwunderten mich aber. Ich hätte eher gedacht, dass sie sich über meine Klei- Ich blickte an mir hinab und sah... nichts. Also abgesehen von meiner nackten Haut sah ich nichts. Wie von selbst, schlug ich meine Hände vor die Brüste und lief puterrot an. Das war peinlich. Sehr peinlich und wenn ich Ugo das nächste Mal sah, musste ich wirklich ein sehr ernstes Wörtchen mit ihm sprechen. Man schickte eine Frau nicht einfach so nackt in eine andere Welt. Er hatte mich als unförmiges Etwas also doch nicht richtig verstanden. Scheiße. Ich war nackt. Peinlicher konnte das doch nicht sein. Hektisch sah ich mich um, erkannte aber in greifbarer Nähe nichts, womit ich mich verhüllen konnte. Schaulustigen ausgesetzt, hatte ich damit keine andere Wahl als loszulaufen und mir einfach erst einmal ein sicheres Eckchen zu suchen, wo unter Umständen auch Sachen für mich waren. In einer kleinen Gasse hatte ich mich vor den Blicken aller zurückgezogen und sogleich etwas gefunden, dass man gut als Kleidung verwenden konnte. Oder viel mehr dazu machen konnte. Ein großes, schmutziges weißes Tuch hatte dort zerschlissen gelegen und mit aller Kraft die ich noch aufbrachte, das Schwimmen und Rennen hatte mich einiges gekostet, zerriss ich es in zwei Teile. Wobei das obere Teil viel zu schmal geworden war. Doch was nützte Jammern? Ich war kein Schneider, man würde es mir also verzeihen. Dennoch, ich hoffte, dass sich die Stoffteile nicht in Wohlgefallen auflösten, bevor ich vielleicht anständige Sachen hatten. Während ich mir den schmalen ersten Stofffetzen um die Oberweite band, mit dem Knoten mittig, damit ich es fester ziehen konnte, sollte es rutschen, dachte ich über meine Situation nach. Da Kassim hier war, befand ich mich wohl in Balbadd. Da er hier war, befand ich mich storytechnisch entweder vor dem Balbadd Arc oder mittendrin. Das war noch schwer herauszufinden, sollte wohl aber vorerst mein kleinstes Problem sein. Allen Anschein nach war es zumindest noch ruhig genug um nackt in Balbadd spazieren gehen zu können, wobei ich dank provisorischen Brustschutz und Rock darauf nun verzichten konnte. Allerdings... kratzte der Stofffetzen. Verdammt. Warum hatte Ugo mich nicht mit einer kleinen Ausstattung in Form von Sachen hier her schicken können? Aber nein, da machte man das lieber so wie Gott mich erschaffen hatte. Das Schlimmste daran war aber, dass es für die Leute hier kein sonderlich ungewohnter Anblick gewesen zu sein schien. In Deutschland hätte man dafür sofort eine Anzeige wegen öffentlichen Ärgernis bekommen. Seufzend lief ich wieder gen Ausgang der Gasse. Immerhin diese Anzeige würde mir verschont bleiben. Die Frage war nun aber, was machte ich? Balbadd war ein fremdes Gebiet für mich. Für den Fall dass ich länger hier war, brauchte ich eine Unterkunft und dafür wiederum Geld. Letzteres hatte ich genauso wenig wie Klamotten. Sonst hätte ich mir die damit gekauft. Ich brauchte einen Plan. Einen guten, denn in Sachen Überlebenskunst war ich nicht gerade gut ausgebildet. Ich bezweifelte sogar, das mein modernes Wissen dafür reichte, um hier irgendwie kurzzeitig Fuß zu fassen. Von Medizin hatte ich keine Ahnung, geschweige denn vom Recht, was hier sowieso sinnlos war, oder von anderen Sachen. Verdammte Scheune. Langsam, die Arme vor der Brust verschränkt, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Oberweite weiterhin Frischluft suchte, lief ich ein Stück den Weg zurück, den ich gekommen war. Ich wollte an sich zum Hafen zurück, allerdings war mein Orientierungssinn nicht der beste und dank der Aufregung hatte ich mir keine Stände oder Zeichen gemerkt, die mir die Orientierung leichter machten. Das war mal wieder so typisch. Hals über Kopf tat ich etwas, ohne darüber groß nachzudenken. Und das nur dank meiner zu früh agierenden Schamgrenze. Da fragte ich mich doch ernsthaft, wie es Sinbad schaffte sich da noch Menschen zu zeigen. Sicher war das irgend so eine Männersache. Nachdenklich folgte ich dem Weg einfach immer gerade aus. Auch wenn mir klar war, dass ich mich verlaufen würde, was sollte ich sonst tun? Hier würde mir keine Pfadfinderregel meiner Welt helfen. Es gab keine Pfadfinderregeln für das Eindringen in andere Welten, oder viel mehr für das Eindringen in eine imaginäre Welt. Inmitten des Weges blieb ich stehen, als ich realisierte, dass hier, dicht an dicht die Händler ihre Waren verkauften. Neugierig streiften meine Blicke zu den Ständen unter denen man wirklich alles finden konnte. Fische, Juwelen, Früchte. Die Stimmen der Verkäufer wurden lauter, priesen ihre Waren an, als seien sie das beste der Welt, doch in Anbetracht der Kleidung aller Umstehenden, musste ich gestehen, dass sie wohl kaum Erfolg haben würden. Richtig. Da war ja etwas. Balbadd war verarmt. Nur die Adligen hatten genug Geld, die meisten Menschen hingegen litten Hunger und jene die es nicht taten, kämpften doch jeden Tag ums nackte Überleben. Eine grausige Welt, in einem doch sonst so schönen Paradies. Genauer sah ich mich in meiner nähen Umgebung um. Der Hafen, an dem ich befand, wirkte glamourös, vermögend und mächtig. Große Handelsschiffe lagen vor Anker und zwischen ihnen schienen die kleinen Fischerboote friedlich zu koexistieren. Eine Illusion, ganz bestimmt eine schöne Maske die Balbadd zu etwas machte, was es nicht wahr. Eigentlich vollständig Herrscherlos. Ohne eine klare Linie, ohne Chancen. Mich fröstelte es unweigerlich bei diesem Gedanken, weswegen ich sie versuchte von der Wahrheit abzuwenden. Die Illusion war da doch viel schöner. Ich meine, Balbadd war ein Paradies. Saubere Luft, ein weiter Blick aufs Meer, in dessen Ferne man vereinzelte Inseln sehen konnte und das Rauschen der Wellen. Irgendwo, ganz weit von hier weg, musste Sindria liegen. Sinbads Reich, ein noch größeres Paradies, ein wahres Paradies. Nein, nein, nur nicht daran denken, was Balbadd wirklich war. „Bitte, so gebt mir doch etwas Brot. Mein Kind brauch Essen.“ Nicht unweit von mir, riss die Stimme einer Frau mich aus dieser Illusion heraus. Sie wirkte abgemagert und ich war mir nicht sicher, ob das Kind in ihrem Arm überhaupt noch lebte. Flehend klammerte sie sich an einen Seefahrer, der sie leicht, aber für sie doch sehr wuchtvoll von sich stieß, wodurch sie zu Boden fiel. Ein Bild, das wohl alltäglich war, denn niemand schien sich um diese Frau zu kümmern. Unsicher, ob ich ihr helfen konnte und wenn ja wie, beobachtete ich die Frau, die sich aufrappelte und erneut weiter bettelte. Dabei ging sie gezielt auf jene zu, deren Kleidung nicht so zerschunden war, wie die der anderen, die augenscheinlich nur versuchten mit einem kleinen Tageslohn über die Runden zu kommen. Niemand half ihr. Niemand schien ihr zuzuhören. Erneut wurde mir klar, dass dies hier definitiv nicht die Gegenwart sein konnte, auch wenn ich nicht bezweifelte, dass es dieses Bild nicht auch in meiner Welt geben konnte. Hunger und Not gab es auch in meiner Welt, doch dort heuchelten die Menschen wenigstens Anteilnahme. Hier gab es nichts davon zu sehen. Jeder war sich selbst am nächsten. Ein leises Seufzen ausstoßend, lief ich weiter und sah mich etwas um. Seltsamerweise blieb ich am Hafen. Etwas in mir fürchtete sich davor, tiefer ins Innere Balbadds vorzudringen. Vielleicht hoffte ich irgendwo noch eine geheime Tür zu sehen, die mich zurück in meine Welt führte. Doch ich hielt diesen Marsch, bei dem ich immer mehr Leid als Reichtum sah, nicht länger aus. Meine nackten Füße schmerzten, auch wenn ich den Unrat wie bei mir Zuhause eher weniger fürchten musste. Ich schleppte mich allerdings noch bis zu einer Stelle am Hafen, an der ich mich gut unbeobachtet fühlte und ließ mich auf einer Holzkiste nieder. Es verstrich einige Zeit, in der ich meine Gedanken ruhen und meine Umgebung auf mich wirken ließ. Es war wirklich angenehm warm in Balbadd, wenn nicht sogar für mich zu heiß. Mit Sicherheit bekam ich einen Sonnenbrand, denn auch hier besaß ich meine alt typische Kellerbräune, oder Bäckerbräune, wie sie mein alter Herr nannte. Irgendwo musste ich einen Unterkunft finden, um nicht zu verbrutzeln, denn neben dem Ertrinken in einer Pfütze war auch das Sterben an einem Sonnenbrand mehr als lächerlich und erbärmlich. „+~% #§$ &~+?“, stieß ich seufzend aus, stockte aber plötzlich. Was hatte ich da gesagt? Blinzelnd dachte ich darüber nach. Ich hatte doch eben auf deutsch gefragt, was ich tun sollte, oder? „ß$& =§$ ^ß+ $*/^%°?“ Verwundert griff ich mir an die Kehle. Ich hatte mich nicht getäuscht und das war kein Scherz. Ich sprach deutsch, aber ich verstand es nicht als deutsch. Dennoch wusste ich, was ich gesagt hatte, aber ich verstand es nicht so wie ich die Sprache Kassims verstanden oder sie selbst gesprochen hatte. Was war hier nur los? „#/§& =ß= ß $§]?“ What did I say? Das hatte ich definitiv gesagt, aber es kam nicht heraus, wie es herauskommen sollte. Panik kroch in meinem Körper hoch. „#§&§$/ß #§ ^%^+]§ =^$~.“ Meine japanische Vorstellung... ebenfalls vollkommen fremd, obwohl mir bewusst war, was ich sagte. Wie konnte das nur passieren? Meine Hände zitterten bei jedem Wort und jeden Satz, den ich aus einer anderen Fremdsprache kannte. So viele Sprachen und sie alle klangen gleich fremd bis auf: „Mein Name ist Erenya und ich bin in Balbadd...“ Was auch immer die Menschen in Magi sprachen, es war die einzige Sprache die ich verstand. Die einzige, die in meinen Ohren so vertraut klang, als sei sie meine eigene. Was hatte Ugo mit mir gemacht? Oder war das überhaupt Ugos Werk? Ich meine, er hatte mir ja auch diesen Körper, der meinem ähnlich, aber doch anders war, gegeben. Hatte er mir dann auch die hiesige Sprache eingetrichtert? „Was passiert mit mir?“, flüsterte ich leise und holte tief Luft. Es war nicht so, dass ich wirklich Angst hatte, aber was, wenn ich niemanden mehr fand, der meine Sprache verstand oder sprach? Würde ich sie dann nicht über kurz oder lang verlernen? Würde ich meine Geschichten jemals wieder lesen können? Konnte ich hier überhaupt lesen? „Mist“, fluchte ich leise und grub meine Finger in den schmutzigen Stoff des Fetzens, der mir aktuell als Rock diente. Ich wusste augenblicklich wahrscheinlich weniger von mir, als von der Lage des Landes oder über die Charaktere des Magi-Fandoms. Und selbst dieses Wissen war begrenzt. „#§$ #ß% #ß$$^+ ß$& ^ß+ &%{[}^+, #§$ #ß% +ß*/& #ß$$^+ ^ß+^[}~^&°^“, zitierte ich fast exakt einen klugen Mann, der wahrscheinlich nie diese Welt kennengelernt hatte, aber wohl wusste wovon er sprach. Was ich wusste war wirklich nur minimal. Sehr minimal, weswegen ich seufzend meinen Kopf gegen die Hauswand lehnte. Wie alle anderen Gebäude hier am Hafen, war auch dieses auch Lehm und Stein gebaut und mit einem flachen Dach. Keine Ahnung ob das architektonisch so gut war oder nicht, aber mit Sicherheit schützte das Innere einigermaßen vor der prallen Sonne, auch wenn ich mir vorstellen konnte, dass die warme Luft durch jede vorhandene Ritze drang und demonstrierte, wie gut oder schlecht die Erbauer gewesen waren. Das Dach selbst war schon einmal so flach aufgelegt, dass es nicht überstand und so keinen Schatten für Außenstehende bot. Was für eine Gemeinheit. Der Himmel war wolkenlos, sah aus wie unserer. Eigentlich schien sich äußerlich nicht viel von meiner Welt zu unterscheiden, zumindest Natur bedingt. Irgendwie war das beruhigend auch wenn diese Erkenntnis nicht unbedingt mein Kleidungsproblem löste oder das Problem wie ich nach Hause kam, oder wer mich zu Ugo verfrachtet hatte. Stimmt... diese schwarzen Flecken, der Mann mit der Kufiya... Ich versuchte mir mehr in Erinnerung zu rufen, indem ich meine Augen schloss, doch ein starker Schmerz in meiner linken Stirnhälfte, blockierte das. Verdammt. Wie sollte ich da weiter kommen? Wann war ich verschwunden? War ich auf Arbeit gewesen? Fragen über Fragen und je mehr ich stellte, desto schlimmer wurde der Kopfschmerz und die Antworten rückten in immer weitere Ferne. Ich gab auf und starrte stattdessen in den blauen Himmel. Unwissend, was ich als nächstes tun sollte und welche Schritte ich gehen musste, welche nicht. Noch dazu verspürte ich ein Knurren im Magen. Es musste schon einiges an Zeit vergangen sein, seit meiner letzten Mahlzeit. Wobei, dass hatte nichts zu sagen. Ich neigte immerhin hin und wieder dazu, auch mal einen Tag komplett auf Nahrung zu verzichten. Allerdings hatte ich nun nicht mehr genug Fett um eine Ausrede für die Nahrungsverweigerung zu haben. „Sei ruhig...“, murrte ich meinen Magen an, der knurrte als würde er aus einer Schar hungriger Wölfe bestehen. Natürlich hörte er nicht auf mich. Wieso sollte er auch? „Ich sagte sei ruhig, ich hab nämlich keine Ahnung wie ich dich füllen soll... und wenn du nicht die Klappe hältst, kann ich nicht denken...“ Ein Glück war ich ziemlich abgelegen hier, wo ich gerade saß, denn sonst hätte man mit Sicherheit geglaubt, dass ich sie nicht mehr alle hatte. Wer sprach schon mit seinem Magen, als sei er eine Person, die die Worte verstand? Denken... Wie sollte ich mit so einem Loch im Magen denken? Oder mit so vielen offenen Fragen? Wie sollte ich wissen, was ich als nächstes tun sollte, wenn mir diese ganze Welt so vollkommen fremd war? Ohne Geld, ohne Wissen... was sollte ich da schon tun? Ich öffnete meine Augen und sah ratlos in den Himmel, wo seltsame, leuchtende Vögel flatterten. Vögel? Ich versuchte mich auf die beweglichen Wesen zu fokussieren, was schwierig war, da sie so hell zu strahlen schienen. Nein, diese Dinger waren kleiner als Vögel. Seltsam. Solche Wesen kannte ich nicht. Wobei nein, falsch, ich kannte sie schon irgendwie, aber nicht aus meiner Welt. Dennoch, es war unmöglich. Ich sah vom Himmel und ließ meinen Blick durch meine nahe Umgebung schweifen. Hier störte nicht das Licht des Himmels, daher musste ich sie doch rein theoretisch auch hier sehen, wenn mir meine Augen keinen Streich gespielt hatten. Ich musste immer wieder die Augen etwas zusammenkneifen, doch schließlich fand ich diese Lichtvögel wieder. Ich sah sie wirklich, hier ganz in meiner Nähe und sie flogen in Richtung einer Gasse. War das ein Zeichen? Wollten sie mir den Weg weisen? Unsicher, erhob ich mich von meinem Platz und wog die Für und Wider ab. Was hatte ich eigentlich schon zu verlieren? Ich meine, ich war hier bereits verloren. Warum also nicht ein Risiko eingehen und ungefährlichen Irrlichtern, oder wohl eher ehemaligen Seelen folgen? Sie wussten sicher, wie ich weiterkommen würde. Sofort wandte ich mich von der Kiste ab und folgte den Lichtern in die Gasse. Auf irgendetwas musste ich nun vertrauen, denn schlimmer als meine Lage war, konnte sie doch nicht mehr werden. Außer mein provisorisches Oberteil verabschiedete sich, aber das konnte man immerhin wieder festbinden. Wenn ich die Lichtvögel nicht mehr sah, hielt ich inne und versuchte sie erneut zu finden, was meist auch gut funktionierte. Sie wiesen mir einen Weg ins Ungewisse und mit jedem Schritt nagte der Hunger mehr an mir. Ich hatte mich schon viel zu weit vom Hafen entfernt, war an einem Armenviertel vorbei gekommen, hatte das Adelsviertel ansatzweise gesehen und befand mich nun im Mittelpunkt Balbadds. Vor mir erstreckte sich der Palast, in dem eigentlich Alibaba herrschen sollte, doch dort herrschte kein Alibaba. Nur ein gieriger kleiner Zwerg, dem die Belange des Volkes vollständig egal zu sein schienen. Zumindest hatte ich hinter vorgehaltener Hand noch keinen von den Bewohnern gut über den König reden hören. Wenn man sich die düstersten Stellen Balbadds ansah, war das auch kein Wunder. Ohne die Vögel hätte ich mich kaum tiefer in dieses Balbadd gewagt und gerade jetzt, als ich ihnen noch so blind folgte, bereute ich es. Was, wenn mir etwas schlimmes widerfuhr? Konnte es schlimmer werden als ohnehin schon? Unsicher hielt ich in meinen Schritten inne und beobachtet die Vögel, die wissend flatterten. Waren sie gut oder schlecht? War es normal, das ICH sie sehen konnte? Immerhin sahen die normalen Menschen sie nicht, so zumindest die Theorie und Praxis der Serie. Warum also ich? Da stimmte doch etwas nicht. 'Es ist das Magi-Fandom... eigentlich... sollte ich ihnen doch vertrauen, oder?' Ich schluckte schwer, denn so ganz sicher war ich mir nun doch nicht. Nur weil das Magi-Fandom die weißen Lichtvögel immer als ein Zeichen der Guten darstellte, musste das doch nicht auf mich zutreffen. Ich war kein Teil dieser Welt, sondern ein Eindringling. Allerdings, hatte ich eine andere Wahl? Ich sah zurück in die Richtung aus der ich gekommen war. Was dort auf mich wartete, wenn ich wieder zurückging, war doch genauso ungewiss, wie das was vor mir lag, wenn ich den Lichtvögeln folgte. Auch wenn das naiv war. Ich hatte nur die Wahl zwischen zwei Wegen. Vor oder zurück. Es dauerte einige Zeit, bis ich meine endgültige Entscheidung traf und schließlich den Lichtvögeln auch weiterhin vertraute. Vor oder zurück, eine Entscheidung, die ich oft genug in meinem Leben treffen musste. Wie viele andere Menschen auch. Ich weiß nicht, wieso ich so unauffällig wirkte. Vielleicht lag es daran, dass ich wie die anderen hier aussah und man das zerrissene Tuch eben nicht direkt als solches ansah, oder es normal war, dass die Armen sich an dem bedienten, was sie hatten. Die Armen. Auch wenn mir der Gedanke missfiel, ich gehörte eindeutig dazu. Ich hatte in dieser Welt nichts, außer meinem Leben und der Hoffnung, dass die Lichtvögel meine Lage wirklich nicht schlimmer machten. Wobei ich mein Leben auch nicht mehr lange hatte, wenn der Hunger weiter an meinem fettlosen Körper nagte. Vielleicht hätte ich doch besser in der Pfütze ertrinken sollen, dann hätte ich alles schon hinter mir gehabt. Schritt um Schritt setzte ich voran, bis ich plötzlich inne hielt, als die Lichtvögel aufgeregt um zwei Damen herumflatterten. Was wollten sie mir damit sagen? Sollte ich diese Klappergestelle essen? Nein, an ihnen war definitiv nicht genug dran. Satt würde ich davon schon mal gar nicht werden. Wobei, das war auch ein absurder Gedanke, den ich einzig meinem knurrenden Magen verdankte, der sich wieder deutlich bemerkbar machte und scheinbar sagen wollte „Hör auf zu denken, ess einfach was dir entgegen springt.“ Mit Sicherheit würde ich das nicht tun. Kannibal Holocaust sollte nicht sein Remake im Magi-Fandom erfahren. Dennoch, wenn mir die Lichtvögel etwas damit sagen wollten, musste ich es nur herausfinden und das konnte ich nur, indem ich auf die Ladys zuging und sie ansprach. Problem Nummer eins... ich war schüchtern. Glaubte ich zumindest. Manchmal war ich es, andererseits gab es auch Momente in denen ich es nicht war. Was für einer würde es wohl dieses Mal sein? „Entschuldigung!“ Okay, dieses Mal war es nicht die schüchterne Variante, was ich vielleicht auch meinem unglaublichen Hunger verdankte. Hirn und Scham hatten da gemeinsam Feierabend gemacht und waren dem großen Biest gewichen. Die Aufmerksamkeit der beiden Damen wandte sich meiner Wenigkeit zu. Ich setzte ein freundliches Lächeln auf und versuchte nicht ganz so erbärmlich zu wirken, wie ich es wohl gerade tat. „Ich brauche etwas Hilfe.“ Natürlich, fallen wir gleich mit der Tür ins Haus. Erde an Kopf, bitte überlasse nicht nur dem Bauch das Reden! „Ich wurde von Räubern überfallen und sie haben mich im wahrsten Sinne des Wortes nackt gemacht. Ich suche Arbeit womit ich mir Geld für eine Unterkunft verdienen kann. Und für etwas zu essen.“ Misstrauisch sahen mich die beiden Damen an. Kein Wunder. Hätte ich auch gemacht. Aber immerhin erwies sich die Ausrede mit den Räubern doch als sehr glaubwürdig. Ich meine, sie hatten selbst Sinbad... ich meine sie würden selbst Sinbad das letzte Hemd rauben. Unglaublich, dass er so dicht gewesen war, dass er das nicht bemerkt hatte. „Die Räuber schon wieder. Langsam werden sie wirklich zur Qual... Irgendwann schrecken sie nicht einmal vor dem Inneren der Stadt zurück...“ Eine der Frauen, sie hatte langes, blondes Haar, welches sie lockig nach oben gesteckt hatte, wodurch sie mehr Haarvolumen hatte, verschränkte die Arme, während sie scheinbar mit sich selbst, oder ihrer Freundin, die Situation über die Räuber abklärte. Es war eindeutig, dass diese Schönheit, immerhin entsprach sie mehr dem Schönheitsideal, welches meine Welt haben sollte (nicht zu viel nicht zu wenig Frau und schöne Rundungen), nicht mich direkt damit ansprach. „Nun schrecken sie nicht einmal vor Frauen zurück, auch wenn es schon sehr erstaunlich ist, dass sie noch lebt und nicht an Sklavenhändler verkauft wurde.“ Die zweite Frau, sie hatte kurze schwarze Haare und katzenartige, grüne Augen, war während sie gesprochen hatte, näher auf mich zu getreten und betrachtete mich von allen Seiten. „Sie ist eben nichts außergewöhnliches. Wäre sie eine Fanalis, hätte man sicher nicht davor zurückgeschreckt sie zu verkaufen.“ „Wäre sie eine Fanalis, wäre sie nicht ausgeraubt worden“, konterte jene, dich mich abschließend ansah und zurück zu ihrer Freundin, der Schönheit, ging. 'Äh... ich stehe noch hier. Es wäre also nett, wenn Sie meine Frage beantworten oder mich zum Teufel jagen würden, statt vor mir über mich zu lästern.' Hätte ich sagen können, aber ich schwieg und sah die beiden Damen unentwegt an, während sie angeheitert darüber sprachen, was für ein Glück, oder Unglück ich hatte, dass ich nicht versklavt worden war. So sicher war ich mir nicht, denn als normal bezeichnet zu werden, mal davon abgesehen, dass ich normal war, wurde ich nicht gerne. „Oh Richtig, sucht Assad nicht noch ein neues Mädchen? Thymia ist doch ausgewandert.“ Die Schönheit schien auf einmal einen Geistesblitz zu haben und sah mich an, wobei die Blicke ihrer meerblauen Augen eher zweifelnd als prüfend waren. „Wobei... meinst du sie könnte Thymia ersetzen?“ Ihre Worte waren an die Freundin mit den Katzenaugen gerichtet, die ebenfalls nachdenklich drein schaute. Wovon sprachen sie eigentlich? Wen sollte ich wieso ersetzen? „Da fragen wir Assad besser selbst. Er weiß was die Kundschaft mag.“ Als wären sie sich beide einig, was es zu tun gab, packten sie mich, jede von ihnen ergriff jeweils ein Handgelenk, und zogen mich einen Weg ins Ungewisse entlang. Assad entpuppte sich als großer, muskulöser Mann mit gebräunten Teint und schwarzen Haaren. Sein Blick ruhte unverschämt ernst auf mir, während die Hände der beiden Damen, die mich zu ihm geführt hatten, auf meinen Schultern verweilten. Auf dem Weg zum Etablissement hatten sie sich mir als Korean und Lapis vorgestellt. Sie schienen Freunde des grummelig wirkenden Assad zu sein, denn anders als mich, schreckte sie sein Blick nicht zurück. „Und was meinst du, Assad, kannst du ihre Hilfe brauchen?“, fragte die Schönheit Lapis schließlich. „Du brauchst sowieso ein Mädchen!“, ergänzte Korean und versuchte so Assads Entscheidung zu beeinflussen. „Sonderlich hübsch ist sie nicht...“ Das Urteils Assads war für mich nieder schmetternd. Sicher, ich war nicht sonderlich hübsch und wahrscheinlich auch nicht exotisch, aber musste er das so direkt sagen? „Sie ist sehr blass, wirkt kränklich und schwach... so etwas kann ich nicht auf die Kundschaft loslassen.“ Damit schien er seine Entscheidung endgültig gefällt zu haben, doch Lapis Griff an meiner Schulter wurde fester. „W-Warte! Gerade das macht doch ihren Charme aus. Sie wirkt schwach und kränklich. Jeder Kunde wird ihr alles abkaufen, ob Wein oder Früchte, nur damit sie nicht mehr so schwer tragen muss. Du weißt schon, der Beschützerinstinkt. Und wenn sie als Bedienung nicht taugt, dann hat sie sicher andere Fähigkeiten, die dir nützlich sein können, dazu musst du sie aber erst einmal besser kennenlernen.“ Besser kennenlernen? Wovon sprach Lapis? Ich kannte sie und Korean gerade mal zehn Minuten wenn es hoch kam und schon tat sie so, als sei ich eine Brieftaubenfreundin die sie schon seit Jahren kannte. „...“ Assad schwieg auf ihren Einwand, sah mich aber erneut an, als würde etwas durch seinen Kopf gehen. „Kannst du tanzen?“, fragte er schließlich. „Nein.“ „Kannst du ein Instrument spielen?“ „Nein.“ „Kannst du Kunststücke?“ „Nicht wirklich...“ Das Gespräch wurde unangenehm. Ich konnte nun wirklich nicht viel. Und hey, ich beherrschte das Keyboard ein wenig, allerdings war ich weit davon entfernt behaupten zu können, dass ich es spielte. „Kannst du massieren?“ „Vielleicht?“ „Was heißt hier 'vielleicht', kannst du es oder nicht?“ Assads Stimme wurde eindringlicher und mit jeder negativen Antwort die ich gab, schien es ihn mehr auf die Palme zu bringen, dass ich so nutzlos war. „So ein wenig...“ Ja was sollte ich auch antworten. Ich hatte in meiner Welt ein Buch über Massagen, die einzige die ich aber je angewandt hatte, war irgendeine mit der man die Muskeln warm rieb. Ich wusste also gerade so, dass man mit der Streichung begann, bevor man ans Eingemachte ging. „Absolut nutzlos...“ Erneut ein wirklich sehr direktes Urteil. Wahrscheinlich war ich wirklich absolut nutzlos für sein Geschäft. Ich war zumindest kurz davor mich bei Lapis und Korean zu bedanken und zu gehen, als ich wieder diese Lichtvögel bei Assad sah. „Warte!“ Eilig, ohne darüber nachzudenken, als sei es wegen dieser Vögel ein Reflex gewesen, hielt ich Assad am Handgelenk fest. „Ich kann singen und Geschichten erzählen. Niemand hier wird dir so gute Geschichten erzählen wie ich! Damit kann ich deine Kunden sicher unterhalten.“ Das war ein wenig hoch gegriffen. Sehr hoch sogar. In meiner Welt gab es genug Menschen die bessere Geschichten erzählten als ich, aber dieser Job war in greifbarer Nähe und mit ihm das Geld für eine vernünftige Unterkunft, Kleidung und Essen. Wenn diese Lichtvögel mir schon diesen Wink gegeben hatten, durfte ich diese Chance einfach nicht ziehen lassen. Kühl sah mich Assad an, und entzog sich meinem Griff, was ich als eindeutige Geste sah. Das was ich bieten konnte schien nicht gut genug zu sein. „Lapis, Korean, gebt ihr ordentliche Kleidung. Wir werden ja sehen, ob ihre Geschichten wirklich so gut sind.“ Ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen, zog sich Assad in sein Geschäft zurück. Nur langsam sackte das, was er gesagt hatte in meinen Geist. Nur langsam wurde ich mir bewusst, dass ich so eben meinen ersten Job im Magi-Universum ergattert hatte. Kapitel 2: Assad ---------------- Der erste Gedanke den ich in Lapis und Koreans Unterschlupf hatte, war, wie sie das bezahlten. Sie teilten sich gemeinsam eine Art Wohnung oder Zimmer, das sich in einer kleinen Steinhütte, nicht unweit vom Vergnügungsviertel befand. Sie hatten mich auf einem Stuhl platziert und kramten in ihren Kisten, während ich mich umsah. Es war spärlich, fast schon spartanisch eingerichtet und die kleine Feuerstelle, die wohl als Kochbereich diente, schien nicht häufig in Nutzung zu sein. „Sagt mal, Lapis und Korean, woher kennt ihr diesen Assad eigentlich?“ Es war schon merkwürdig, dass zwei Damen wie Lapis und Korean diesen, man nannte es in meiner Welt wohl Zuhälter, kannten. Wobei war er ein Zuhälter? Keine Ahnung. Dennoch, es wirkte seltsam, denn Assad schien mir nicht wie der Typ Mensch zu sein, der viele weibliche Freundinnen hatte. Im Gegenteil. „Wir haben damals eine Zeit lang bei ihm gearbeitet. Das Geschäft sozusagen aufgebaut. Indirekt arbeiten wir auch heute noch mit ihm. Lapis hier arbeitet für einen Obsthändler, der Assad immer beliefert und ich komme regelmäßig vorbei und helfe seinen Mädchen gut auszusehen. Wenn ich das nicht gerade tue, arbeite ich in einer kleinen Schneiderei. Nicht gerade der beste Lohn, aber Assad gibt mir regelmäßig etwas für meine Dienste, so das Lapis und ich immer genug zum Leben haben. Auch wenn Assad nicht so wirkt, hat er doch ein gutes Herz.“ Ich stützte meine Arme auf meinen Oberschenkeln ab und sah zu Korean und Lapis, die während unserer Unterhaltung scheinbar die richtigen Sachen für mich heraussuchten. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass Assad wirklich so ein gutes Herz hatte, allerdings waren da diese Lichtvögel gewesen... Hätten sie mich wirklich in die Fänge eines schlechten Menschen geschickt? Oder hatte ihr Erscheinen bei Assad eine andere Bedeutung gehabt? „Ah, das hier passt garantiert!“ Triumphierend hielt Lapis einen Fetzen blauen Stoffes hoch, der mehr wie ein einzelner BH aussah, als etwas zum Anziehen. Zweifelnd hob sich eine meiner Augenbrauen, als sie mir stolz das „Oberteil“ präsentierte. „Jetzt guck nicht so. Es ist vielleicht nicht so edel, aber alle Mal besser als das was du gerade trägst.“ Wiederworte von mir waren bei Lapis eindeutig nicht erwünscht. Wobei ich gestehen musste, dass sie Recht hatte. Der schmutzige Lumpen hätte sicher keine Kundschaft hinter dem Herd hervorgelockt. Dieser blaue BH hingegen schon. „Habt ihr nichts, was mehr bedeckt? Ich bin nicht der Typ, der gerne viel Haut zeigt.“ Es war ein Versuch die beiden zu überzeugen, mir doch etwas mehr zu geben. Denn ehrlich, ich lief in meiner Welt gerne gut bedeckt herum und daran wollte ich jetzt nichts ändern. „Du weißt schon, wo du arbeiten wirst, oder? Da gibt es eine Kleidungsvorschrift. Noch dazu ist dein Aussehen dein Kapital. Zier dich also nicht so.“ Harsche Worte von Korean. Aber ja, ich wusste wo ich arbeiten würde. In einem Amüsierbetrieb. „Ich werde Geschichten erzählen oder singen, aber keine Männer verführen.“ Das war zumindest mein Plan. Was Assad plante, war mir aber nicht gewiss. Mal ehrlich, wozu musste sich eine Geschichtenerzählerin sexy kleiden? Anfassen war sowieso verboten. „Du wirst aber nicht lange Geschichten erzählen und singen, wenn die Männer deinen Anblick grässlich finden. Und nun hör auf zu diskutieren und zieh endlich diese Lumpen aus. Wir haben nicht viel Zeit für Sonderwünsche.“ Sowohl Lapis als auch Korean ließen keine Widerrede zu. Damit war ich wohl überstimmt. „Aber ich zeige nicht zu viel von meinen Beinen.“ Es war die einzige Forderung die ich noch anbringen konnte, auch wenn ich bereits jetzt ahnte, dass sie vergebens war. Ich hatte einfach keine Chance und mit Sicherheit würde man merken, wenn ich mich unwohl fühlte.   Ich spürte, wie die Schamesröte mir einfach nicht aus den Wangen weichen wollte. Der BH oder das Oberteil, oder wie auch immer man das in Balbadd nannte, verdeckte gerade einmal meine Brüste, wobei oben herum der Ausschnitt tief genug war, dass Männer mit Sicherheit nicht genug Fantasie entwickeln konnten. Hier schien weniger wirklich mehr zu sein. Wäre ich doch nur in Kou gelandet, dort hätte man mich nicht in diese Sachen gesteckt... wobei in Kou hätte man mich wohl nicht einmal in Freiheit herumlaufen lassen. Verdammt. Immerhin hatten beide auf einen Rock verzichtet und mir stattdessen so etwas wie ein paar hellblauer Hosen gegeben, die aufgeplustert an mir hinab hingen und nur noch die Knöchel zeigten. Das war wirklich orientalisch und das einzige Kleidungsstück, welches mir gefiel. „Also am Dekolleté sieht sie noch so... leer aus“, merkte Lapis an und sah zu Korean, die selbst nachdenklich zu mir sah und um mich herum lief. „Und die Haare... so können wir das nicht lassen... Assad wird sie so sicher nicht nehmen.“ Irgendwie verärgerte es mich schon, dass die beiden so taten, als würde meine Aufnahme im Amüsierbetrieb wirklich nur von meinem Aussehen abhängen. Sicher, beide hatten mehr Erfahrung bei so etwas als ich, aber ich hatte nicht vor, mit meinem Aussehen zu glänzen. „Hier, was meinst du, Lapis?“ Ich sah zu Korean, die aus einem kleinen Schmuckkästchen eine Kette mit bläulichen Steinen gezogen hatte. Das Thema war also klar, blau wie das Meer. Das Meer, das mich beinahe ertränkt hätte. Wenn Kassim nicht gewesen wäre... Wo der wohl nun war? Ich versank in meinen Gedanken. In was für einer Zeit der Storyline befand ich mich eigentlich gerade? Gab es die Nebelbande schon? Oder wurden sie erst noch gegründet? Bisher hatte ich noch nichts davon gehört. Fest stand nur, Balbadd ging es schon schlecht. Demnach hatte Ahbmad schon sein bestmögliches getan um die Wirtschaft tüchtig in die Tiefen zu reißen. Oder war Balbadd schon immer so verarmt gewesen? Ob ich Lapis und Korean fragen sollte? Ich war mir unsicher, da ich die beiden so gut wie gar nicht kannte. Jetzt schon solche Fragen zu stellen, hätte mich vielleicht den Kopf oder eher um meine Arbeit bringen können. „Ich hab hier noch ein paar Ohrringe, meinst du die passen ihr?“ Ich seufzte leise, denn das Make-Over, das die beiden mir verpassten schien immer noch kein Ende zu haben. Sie werkelten an meinen Haaren herum, kämmten sie und schienen selbst zu überlegen, wie sie diese besser in Szene setzen konnten. Schließlich einigten sie sich darauf, dass ein geflochtener Zopf wohl das beste aus meinem äußeren herausholen würde, zumindest in Verbindung mit der Steinkette. „Seid ihr fertig?“, fragte ich nach einiger Zeit vollkommen am Ende meiner Kräfte und entnervt. Ich wollte, dass es endlich ein Ende hatte, denn noch mehr Aufhübschung vertrug ich nicht. „Fertig. Ich denke, ein wenig Aufmerksamkeit wirst du damit auf dich ziehen können. Deine blasse Haut lässt dich zerbrechlich wirken. Einige der Männer stehen auf so etwas. Sie werden ganz nett und behutsam bei dir sein.“ Ein verheißungsvolles Lächeln lag auf Koreans Lippen. Das gefiel mir gar nicht. Sie hatte sicher den ein oder anderen Hintergedanken, dass ich mehr tun würde als nur zu singen und Geschichten zu erzählen. Für Assad wäre das sicher ein guter Grund mich dann doch als seine Angestellte zu behalten, aber für mich... Ich wollte mir das gar nicht ausmalen. „Keine Sorge, Assad wird ein Auge auf dich haben. So wie auf alle Mädchen. Und wenn Assad gerade beschäftigt ist, kümmert sich sicher Cecilia um dich.“ Cecilia? Fragend sah ich die beiden an, die einfach breit grinsten. Das war dieses 'Du wirst sehr überrascht sein'-Grinsen. Oder eines mit einer noch diabolischeren Bedeutung. Doch irgendwie glaubte ich den beiden sogar. Assad würde aufpassen und diese Cecilia. Dennoch, es beruhigte mich kein bisschen, dass ich trotz alledem einer Horde Männer ausgesetzt war. Wenn solche wie Aladdin darunter waren... dann Prost Mahlzeit. 'Bloß nicht daran denken, dass macht dich nur noch nervöser', mahnte ich mich und schluckte meine Sorgen weitest gehend runter. Ja. Bloß nicht daran denken, am besten gar nicht denken und einfach meine Arbeit machen. Das hatte mir auch in meiner Welt oft geholfen.   Ehrlich gestanden hatte ich mir ein Freudenhaus immer anders vorgestellt. Auch hier warben die Damen um Männer, aber alles schien gesitteter vonstatten zu gehen. Die Männer aßen, während sie sich von den Mädchen vorschwärmen ließen, wie stattlich sie waren oder die Mädchen überhäuften sie mit Berührungen und Küssen. Etwas, dass ich mir nicht zutraute. Dennoch fragte ich mich, ob es nur dabei blieb und hoffte darauf, dass die Antwort Ja lautete. „So, dann viel Erfolg bei der Arbeit. Wenn du zu versteift bist, frag nach Ameen, er ist hier für die Küche zuständig und gibt dir dann sicher etwas zur Auflockerung.“ Lapis klopfte mir aufmunternd auf die Schulter, bevor sie fast schon fluchtartig das Freudenhaus verließ. So ganz verstand ich nicht wieso, aber wenn ich es recht bedachte, war mir auch nur noch danach so schnell wie möglich wieder hier heraus zu kommen. Leider hatte ich im Gegensatz zu Lapis keine andere Wahl. „Und was jetzt?“, fragte ich mich leise und sah mich um. Ich wusste gar nichts, weder wo ich hin sollte, noch wann ich anfing genau zu arbeiten, oder wo Assad war. „Sie haben dich immerhin ein wenig herausputzen können.“ Ich zuckte zusammen, als ich die kühle Stimme Assads neben mir vernahm. Damit hatte ich nun weiß Gott nicht gerechnet. Wo war der auf einmal hergekommen? Unsicher lugte ich an ihm vorbei, doch hinter ihm war nichts außer einer Wand vor der ein roter Vorhang, seitlich festgebunden war. Einen Geheimgang, sollte es so etwas hier geben, schloss ich also aus. „Komm mit, ich zeige dir erst einmal alles hier.“ Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, lief Assad an mir vorbei, geradewegs in die Richtung, in der einige Gäste mit den Mädchen des Hauses Spaß hatten. Sie schienen sich nicht daran zu stören, dass Assad diesen Rundgang machte und mir alles erklärte. Wie ich es schon in Magi gesehen hatte, befanden sich auch hier Tische und breite Sitzgelegenheiten. Doch anders als ich es in Erinnerung hatte, waren hier auch Sitzplätze, die ausschließlich aus angehäuften Kissen bestanden. Weichen Kissen, wenn ich das richtig sah. Zumindest verführten sie dazu, sich hineinzuwerfen und sich darin zu versenken. Allerdings gehörte das Privileg den Gästen, ebenso die köstlichen Früchte, die an jedem Sitzplatz in einer großen Schüssel aufgetürmt waren. Schon der Anblick ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen und erinnerte meinen Magen daran, dass er noch vor wenigen Stunden randaliert hatte. Ich konnte nicht verhindern, dass ein lautes Grummeln ertönte, ebenso wenig konnte ich verhindern, vor Verlegenheit rot anzulaufen. „Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“ Peinlich, dass Assad das gehört hatte. Nun konnte er sich ja ein Bild davon machen, wie dringend ich diese Arbeit brauchte. „Weiß ich nicht... Mir fehlen ein paar Erinnerungen und ich habe... das Zeitgefühl verloren.“ Es war halb wahr. Ich hatte in der Tat keine Ahnung, wie viel Zeit zwischen meiner Ankunft bei Ugo und meinem Tagesablauf vergangen war. Vermutlicherweise weniger als einen Tag. Wahrscheinlich waren es aber auch nur ein paar Stunden gewesen. Dank den fehlenden Erinnerungen wusste ich es nicht. „Du solltest für diese Mahlzeit dann heute besonders hart arbeiten.“ Bei einer „Tür“ mit großen Bogen, blieb Assad stehen und sah mich an. Verdeckt war die Tür nur mit einem lilafarbenen Tuch, was sich deutlich von den roten Tüchern und Vorhängen an den anderen Wänden anhob. Ein kurzer Blick durch den Raum zeigte mir auch, wieso. Überall wo Türen waren, hingen lilafarbene Tücher davor. Die Wände hingegen waren einfach nur mit rot bedeckt und wenn sie nicht mit Tüchern bedeckt waren, zeigten sich erstaunlich, schön herausgearbeitete Mosaike. Ein Räuspern Assads holte mich wieder zurück zum eigentlichen Thema. Der Besitzer des Freudenhauses schob den Vorhang zur Seite und wies mit einer eindeutig befehlenden Geste an, dass ich den Raum betreten sollte. Ohne diesen stummen Befehl zu verweigern, betrat ich den kleinen Raum, mit den vielen Schränken, einem Herd und einer Art Waschbecken, auf dessen Ablagen sich das schmutzige Geschirr stapelte. „Hier ist die Küche. Wenn ein Kunde Bestellungen aufgibt, geben die Mädchen diese hier ab und holen sie auch von hier. Wir sind nicht so gut besetzt, dass wir uns so etwas wie eine Bedienung leisten könnten. Wenn du also merkst, dass gerade eine Hand benötigt wird und du hast gerade nichts zu tun, wirst du deine Hand bieten, verstanden?“ Seine Worte waren harsch und erlaubten keine Widerrede, soviel wurde mir bewusst, weswegen ich nickte. Gut, kellnern bekam ich sicher noch irgendwie hin, auch wenn ich mich im Restaurant und Eiscafé sehr dämlich angestellt hatte, weil ich einfach keine zwei Teller auf einer Hand tragen konnte. „AMEEN!“ Ungewollt wich ich von Assad weg, als er seine Stimme erhob, so dass seine Stimme an den Wänden und dem Geschirr widerhallte. Er klang nicht erfreut, was mich nicht verwunderte, denn das schmutzige Geschirr stapelte sich bereits wie in meiner Küche. Gut, Ameen war mir schon jetzt sympathisch. „Hör auf zu schreien, Assad. Irgendwann kommst du heiser zur Arbeit, wenn du Stunde um Stunde nur dabei bist mich anzubrüllen.“ Hinter einem der Geschirrberge ertönte eine Stimme, die müde klang. Sie war dicht gefolgt von einem paar Arme, deren Teint ebenso gebräunt war wie Assads. Doch anders als bei dem Besitzer des Freudenhauses, erhob sich kein schwarzhaariger Schopf, sondern ein Schneeweißer. Ebenso waren die Züge des Gesichtes weicher und freundlicher, nicht so hart wie die meines Chef in Spes. „Es ist bald Abend und du hast immer noch nicht den Dreck hier beseitigt? Bist du lebensmüde? Soll ich die Gäste vom Boden essen lassen?“ Es war deutlich zu hören, dass Assad über dieses Chaos nicht sehr erfreut war. Wäre ich als Chef auch nicht gewesen, immerhin brauchte das Etablissement sauberes Geschirr und wenn diese Berge alles an Geschirr war, was sie besaßen, dann war der Boden wohl die einzige, nicht gerade ideale Alternative. „Ich wette deine Mädchen könnten selbst das deinen Kunden schmackhaft machen.“ Ein breites, sorgloses Grinsen lag auf dem Gesicht des Mannes, der aller Wahrscheinlichkeit nach Ameen hieß. „Red keinen Blödsinn und räume gefälligst diesen Dreck weg!“ Eindeutig, Assad duldete keine Wiederworte, was Ameen scheinbar reichlich egal war. Auch wenn er nachgab und anfing einen Stapel Geschirr neben eine große Metallschüssel zu stellen und diesen Teller um Teller zu reinigen. Wie oft das Wasser in dieser Metallschüssel gewechselt wurde, wollte ich dabei gar nicht wissen. Auch wenn es befremdlich für mich war, dass inmitten der Küche, etwas weiter links von Assads Standplatz eine Art Wasserpumpe aus dem Boden ragte. Gab es so etwas überhaupt in Magi Zeiten? „Wer ist überhaupt die Dame neben dir? Erweitern wir jetzt unser Geschäft und nehmen auch Frauen als Gäste? Dann brauchen wir aber ganz viele männliche Mitarbeiter. In den Slums dürftest du da nicht fündig werden.“ Etwas Spottendes lag in Ameens Stimme und schien Assad, dessen Wut immer noch nicht vollständig verraucht war, erneut anzustacheln. Dieses Mal jedoch verschränkte Assad die Arme und versuchte ruhig Blut zu bewahren. „Sie ist heute auf Probe hier. Ich weiß noch nicht ob sie überhaupt für uns geeignet ist, deswegen werden wir einfach mal ihre Talente auf die Probe stellen. Allerdings kann sie das nicht auf leeren Magen, deswegen...“ „Du musst nichts sagen. Ich kriege das Küken schon satt. Sie wird gestärkt ihrer Arbeit nachgehen können, verlass dich auf mich.“ Verächtlich stieß Assad einen Laut der nach einem „Tze“ klang aus, als Ameen ihm ins Wort fiel und mich breit angrinste, während er einen Teller nach dem anderen abwusch. Es war seltsam, wie geschickt und schnell er dabei war, so erschien es mir sogar noch unglaublicher, dass er nicht eher damit begonnen hatte. Ich brauchte selbst für einen viertel Teil des hier angehäuften Geschirrs Stunden. „Schick sie vor, wenn ihr fertig seid.“ Assad schien genug von dem Anblick der Küche, oder viel mehr von Ameen, zu haben und verließ diese. Fast schon erleichtert seufzte ich auf, versteifte mich allerdings, als ich ein belustigtes Lachen von Ameen vernahm. „Er mag zwar streng sein, aber er ist ein guter Kerl. Daran wirst du dich schon gewöhnen.“ Das klappern, dass durch das Erledigen des Abwasches durch die Küche gehallt war, verstummte augenblicklich, kaum dass Assad den Vorhang hinter sich zufallen lassen hatte. „Nur unter der Prämisse, dass er mit meinen Fähigkeiten zufrieden ist. Irgendwie glaube ich aber nicht, dass er mir sonderlich viel zutraut.“ Verübeln konnte ich es ihm nicht, nachdem mein kurzes Bewerbungsgespräch eine einzige Blamage gewesen war. Selbst ich glaubte nicht einmal daran, dass meine Begabungen ausreichen würden. „Ach keine Sorge. Er wird dir heute wie ein Dämon erscheinen. Wenn das wofür du hier bist nicht klappt, wird er dir eine Aufgabe nach der anderen geben, bis er etwas geeignetes für dich gefunden hat. Assad ist nicht der Typ, der jemanden nur Probe arbeiten lässt und denjenigen dann auf die Straße setzt. Vertrau ihm einfach. Oder viel eher, vertrau auf das was du kannst.“ Während Ameen gesprochen hatte, hatte er unter einer Ablage einen Schemel gezogen und ihn für mich vor eben dieser Ablage platziert. „Wie du sicher schon mitbekommen hast, bin ich Ameen. Wie heißt du?“ Ameen zog einen Topf aus einem unteren, steinernen Schrank hervor und griff zu einem der abgewaschenen Teller. Nur schwer konnte ich erahnen was darin war, alles was ich wusste, war das mein Magen schon nach dessen Inhalt schrie. Doch ich musste mich beherrschen. „Erenya... Lapis hatte dich vorhin erwähnt. Sie meinte, wenn ich etwas Auflockerung brauche, sollte ich nach dir fragen.“ Soviel hatte ich mir immerhin gemerkt. Auch wenn mir nicht klar war, wie Ameen mich auflockern sollte. Vielleicht machte er ja Witze oder sorgte in einem Gespräch dafür. Zumindest schien er eher der Typ Mensch zu sein, dessen Lächeln jegliches Unbehagen davon schmelzen konnte. „Brauchst du denn Auflockerung?“ Ein schelmisches Grinsen lag auf Ameens Lippen, als nachfragte. Jetzt wollte ich nicht mehr wissen, wie er mir Auflockerung verschaffen sollte. „Nein. Gerade nicht. Eher etwas zu essen. Danke.“ Kaum dass ich das Wort 'Essen' erwähnt hatte, stand auch schon der Teller gefüllt mit etwas... undefinierbaren vor mir. Misstrauisch beäugte ich die Mahlzeit vor mir und fragte mich, ob ich mit meinem knurrenden Magen wirklich wählerisch sein sollte. Allerdings, war mein Magen bereit für das, was man in Balbadd servierte. „Guck nicht so, dass ist wirklich gut. Bisher ist noch kein Gast wegen meiner Kochkünste gestorben.“ Eines war eindeutig... Wegen Ameens Kochkünste kamen die Gäste mit Sicherheit auch nicht her, wenn das alles so aussah. Ich meine, vor mir stand ein tiefer Teller, in dem irgendein weißer Brei vor sich hin vegetierte. Darin befanden sich grüne und rote Flecken, vermutlich Gemüse oder... Gewürze? Aber gut, ich hatte Hunger und in der Not fraß der Teufel Fliegen. Ich nahm den Löffel, den mir Ameen gereicht hatte und tunkte diesen in den Brei, der nur ein wenig nachgab und sich dem Löffel übergab. Mir zitterte schon die Hand, als ich mir den Löffel zum Mund führte. 'Bitte sei essbar... bitte essbar...' Ich flehte innerlich, dass das was ich nun essen würde, auch wirklich verdaulich für mich war, denn scharfes Essen lag mir so gar nicht und wenn dann nur schwer im Magen. Ich schloss meine Augen und brachte es einfach hinter mich, stellte aber im Nachhinein fest wie dämlich das war, denn es schmeckte wirklich. „Und, ist es so schlimm?“, fragte Ameen spottend, als er sah, wie ich mein erstes Zögern überwunden hatte und nun deutlich tapferer Bissen um Bissen zu mir nahm. „Es ist sogar essbar...“, antwortete ich glücklich und leerte auch schon den nächsten Löffel, wobei mich Ameen entsetzt ansah. „Was heißt hier 'es ist sogar essbar'? Ich bin nicht ohne Grund der Koch hier. Außerdem habe ich bereits gesagt, dass noch keiner wegen meiner Kochkünste gestorben ist.“ Ich befreite den Teller von seinem letzten Bissen und seufzte erleichtert auf. Was für ein schönes Gefühl, wenn diese Leere einer angenehmen Fülle wich. „Tut mir leid. Da wo ich herkomme, sieht die Nahrung bissfester und der Brei, abgesehen von Milchreis und Grießbrei, nicht ganz so weiß aus.“ Nun war es Ameen, der sein Gesicht verzog, als er die Worte Grießbrei und Milchreis vernahm. Anscheinend aß man so etwas hier nicht. „Klingt... widerlich.“ Mir klappte der Mund auf, als ich dieses Urteil hörte. Hatten alle in Balbadd hier ihr Herz auf der Zunge oder was? „Das ist nicht widerlich... na gut abgesehen von Grießbrei. Aber Milchreis mit Kirschen, sauren Kirschen, ist echt lecker. Wobei man kann den auch mit Pflaumen essen. Dadurch bekommt das ganze eine echt geniale Komponenten.“ Ich schwor eben auf Sauerkirschen mit Milchreis und mit Sicherheit würde ich auch noch nach dieser Reise darauf schwören. Außer man servierte mir etwas ähnlich gutes. „Du kommst also nicht von hier. Wo liegt denn deine Heimat? In Reim? Kou?“ Ameen schien selbst kein Interesse daran zu haben die Essensdebatte weiter zu führen, weswegen er das Thema in eine ungeahnt gefährliche Richtung wechselte. Verdammt. Wo kam ich her? Ich meine ich kam aus Deutschland, aber meines Wissens nach, gab es dieses Land nicht in Magi. Gab es überhaupt eine Stadt oder ein Land, dass meiner Heimat nahe kam? Sicher nicht. „Gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich wurde auf meiner Reise von Räubern überfallen. Durch den Schlag auf den Kopf, hab ich einige Erinnerungen verloren. Andere wiederum sehe ich so klar und deutlich vor mir. Aber meine Heimat...“ Innerlich betete ich, dass Ameen mir glaubte. Ich meine so ganz unglaubwürdig war es nicht. Dennoch, der Blick Ameens gefiel mir nicht. Er beäugte mich so misstrauisch. „Ameen, Assad sagt, ich soll dir bei dem Abwasch helfen.“ Erleichterung machte sich in mir breit, als Ameen zur Tür aufblickte, durch die ein Frau kam. Sie war leicht bekleidet wie die Anderen auch, strahlte aber etwas edleres aus. Sie war eindeutig kein Freudenmädchen. Woran ich das genau festmachte? Nun, an ihren Hüften, an der eine goldene Kette hing, die einen dünnen weißen Stoff hielt. Ebenso lag ein genauso dünner, fast durchsichtiger weißen Stoff um ihre Ellenbogen gebunden und ihre blonden Haare, waren mit einem dicken Zopf hochgesteckt. Dennoch reichte ihr Haar bis zu Hüfte. Offen waren sie sicher noch länger, wenn das nicht einfach nur ein Fake-Zopf war. „Welch Ehre, dass du mir in meiner Küche helfen willst, Suleika.“ Erneut hatte Ameen wieder sein Lächeln aufgesetzt und nahm sogleich den Teller, welcher leer vor mir stand, um diesen auf einen Stapel zu stellen. Mit einem Seufzen betrachtete die Frau das Chaos, welches trotz eines bereits abgewaschenen Stapels Geschirr immer noch herrschte. „Deine Küche sollte dir eine Ehre sein, nicht meine Hilfe. Assad macht das nicht mehr lange mit.“ „Ach was, ach was. Du weißt doch, Assad würde nie jemanden raus werfen, mich schon gar nicht. Wer soll sonst für alle hier kochen?“ „Vielleicht die Neue. Du, Neue, kannst du kochen?“ Der Blick der Frau ruhte auf mir und augenblicklich versteifte sich mein Körper, denn ihre blauen Augen schienen mich förmlich zu durchbohren. „Damit würde sich Assad keinen Gefallen tun. Sie kommt aus einem anderen Land und weiß nichts von den Speisen wie man sie hier bei uns zubereitet. Uns würde die Kundschaft noch schneller weglaufen als du tanzen oder die anderen Mädchen sich ausziehen können.“ Mir war nicht ganz klar, ob Ameen die Arbeit der Frauen da draußen respektierte. Zumindest war es nicht das erste Mal, dass er sie als Argumentationshilfe benutzte. „Wie dem auch sei, ich werde dir helfen. In Zukunft machst du deine Arbeit aber alleine.“ Suleika ergab sich einfach Ameen. Wieder jemand, der einer größeren Diskussion mit ihm aus dem Weg zu gehen schien. Oder war das hier normal? „Und dafür danke ich dir. So, Erenya, du bist dann hoffentlich bereit für deinen Auftritt. Assad wartet sicher schon. Husch, husch raus aus meinem Reich.“ Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie Ameen mich am Handgelenk gepackt, zur Tür verfrachtet und im wahrsten Sinne des Wortes aus seiner Küche geworfen hatte. Verwundert blickte ich zurück und fragte mich, was das nun sollte.   Es war als hätte Assad bereits auf mich gewartet, denn kaum dass ich aus der Tür trat, konnte ich ein Räuspern von der Wand zu meiner Rechten hören. Nicht überraschend. „Ich dachte schon, Ameen lässt dich gar nicht mehr gehen. Komm mit, ich zeige dir noch den Rest des Hauses.“ Die Tour war also noch nicht beendet gewesen, aber gut ich hatte auch nicht erwartet, dass bei der Küche Schluss war. Sicher, irgendwo mussten sich die Damen ja auch umziehen, oder sich von Korean aufhübschen lassen. Das taten sie mit Sicherheit nicht in dem Bereich wo sie Gäste empfingen. „Hier ziehen sich die Mädchen um.“ Assad schob einen der vielen lilafarbenen Vorhänge zur Seite und gewährte mir so Einblick in den Raum, in dem bereits zwei Mädchen saßen und sich fertig machten, zusammen mit einer sehr großen und etwas maskulineren Kollegin. „Cecilia, was meinst du, steht diese Farbe mir?“ Die angesprochene, maskuline Dame, wandte sich zu einem der Mädchen und musterte sie ausgiebig mit ihren kleinen Augen. Wäre Alibaba hier gewesen, er wäre wohl auf der Stelle in seiner Bewegung erstarrt, denn mit Sicherheit war das eine Verwandte von Elizabeth. „Ich präsentiere dir Cecilia. Sie ist bei den Kunden sehr beliebt und so gesehen der Stolz des Ladens. Wenn du also länger als einen Tag hier sein willst, halte dich an sie.“ Zweifelnd sah ich Assad an. Mal ehrlich, Cecilia war ein Mannsweib, ich war ein Weibweib. Körperlich gesehen war an mir mehr Frau dran als an Cecilia und Assad hatte mich beim Bewerbungsgespräch als nicht sonderlich hübsch bezeichnet. Was lief in dieser Welt nur falsch, wenn man jemanden wie Cecilia als hübsch ansah? „Sie ist sehr talentiert und hat auch eine einnehmende Persönlichkeit. Dennoch ist sie ein sehr zerbrechliches und fragiles Seelchen. Pass also auf was du sagst, nicht dass sie es sich zu sehr zu Herzen nimmt.“ Alles was Assad sagte, konnte ich nicht so recht glauben. Ich meine, wenn sie wie Elizabeth war, köpfte sie einen Krug mit ihrer Handkante, wie sollte sie da ein fragiles Seelchen sein? Wirklich sehr seltsam. „Assad! Komm doch rein. Ist das die Neue?“ Ich erstarrte augenblicklich, als Cecilia uns erkannte und Assad in den Raum winkte. War das normal das der Chef die Umkleiden einfach so betreten durfte und sogar noch erwünscht war? „Ob sie die Neue ist, entscheidet sich. Sollte sie Probleme haben, greift ihr unter die Arme.“ Assad hatte eine Hand an meinen Rücken gelegt und schob mich harsch in das Zimmer hinein, so dass mich die anderen nun in voller Gänze sehen konnten. Schneller als mir lieb war, stand ich vor Cecilia die von der Größe her mich um mindestens drei Köpfe überragte. Ihre Muskeln waren deutlich ausgeprägter als meine, ebenso ihre Nase, die spitz nach vorne zu ging und wahrscheinlich anderen ein Auge hätte ausstechen können, wenn sie nur nah genug an dieses heran kam. „Keine Sorge, Assad. Sie wird sich hier sicher wohl fühlen. Hier fühlte sich doch bisher jede wohl.“ „Abgesehen von Thymia...“, erwiderte eines der Mädchen, dass mit Cecilia hier gesessen hatte. Ein Blick zu Assad verriet mir, dass dieses Thema wie ein wunder Punkt für ihn war. Selbst die Mädchen verstanden das und wechselten augenblicklich das Thema. „Wir werden uns gut um sie kümmern, Assad. Mach dir keine Sorgen.“ Ich wusste nicht genau, was es war, aber die Mädchen schienen wirklich besorgt um ihren Boss zu sein, was ein deutliches Zeichen dafür war, dass er wohl doch kein schlechter Mann war. Das deckte sich nur mit den Aussagen, die die anderen mir gegenüber bereits getroffen hatten. „Ich zeige ihr noch den Rest des Hauses, macht euch also fertig. Ich bringe sie in ein paar Minuten runter. Haltet ihr einen Platz mittig bei den Kissen frei.“ Erfreut nickten die Mädchen auf Assads Forderung. Scheinbar war sein Befehlston hier gerne gesehen, zumindest zeugte alles, was ich bisher gesehen hatte, abgesehen von Ameens Küche, davon, dass alles hier seine Ordnung hatte. Schon bewundernswert. Ich dachte darüber nach, was ich bisher noch nicht für Seiten bei Assad gesehen hatte, die aber die anderen kannten. Wahrscheinlich waren Äußerlichkeiten doch nicht so prägend wie man mir zu meiner Zeit, in meiner Welt glauben machen wollte. Wobei, eigentlich wollte man mich das nicht glauben lassen, immerhin hatten wir dieses Thema irgendwann in der vierten Klasse der Grundschule gehabt. Äußerlichkeiten sagten nichts über einen Menschen aus. Das traf auch auf Cecilia zu. Wahrscheinlich war sie nicht durch ihr Äußeres charmant, sondern durch das was sie als Person ausmachte. „Dort oben findest du die privaten Zimmer. Einige unserer Kunden ziehen sich gerne mit ein oder zwei Mädchen dahin zurück um ungestört zu sein. Für dich werden diese Zimmer aber nicht in Frage kommen, also musst du sie nicht sehen. Ich zeig dir noch das Bad.“ Assad lief mit mir an der Treppe vorbei, die im Hauptbereich nach oben führte. „Ihr habt ein Bad?“ An sich hätte ich gedacht, dass man hier in diesen warmen Gebieten versuchte Wasser zu sparen, immerhin war dies ein wertvolles Gut, doch Assad schien nicht viel davon zu halten. Wobei, Balbadd lag am Meer. Demnach Wasserknappheit sollte wohl hier noch kein Thema sein. „Nun, wir hatten ein Bad. Momentan ist es nicht in Betrieb.“ Erneut schob Assad einen Vorhang zur Seite und präsentierte mir das Bad, welches wie ausgestorben wirkte. Ich sah steinerne Brunnen, aus denen wohl zu besseren Zeiten in ein tiefes Becken, Wasser gesprudelt war. Neben der Tür standen tönerne Krüge die allesamt leer waren. Aber ich war mir sicher, dass sie einst eine wirklich große Bedeutung für dieses Bad inne gehalten hatten. „Warum ist es nicht in Betrieb?“ Die Neugier war geweckt, denn wenn es nicht an Wasser mangelte, gab es doch keinen Grund das Bad zu schließen. „Wir haben in diesem Bad immer ein paar Zusätze hinzugegeben. Allerdings ist das nicht länger bezahlbar. Daher ist es nicht in Betrieb. Und ich bezweifle, dass es jemals wieder in Betrieb genommen wird.“ Nicht bezahlbar, dass zeigte wohl deutlich, in was für einer Lage sich Balbadd wirklich befand, wenn selbst die Freudenhäuser auf Sparflamme laufen mussten. Dabei schienen sie noch am besten zu verdienen. Der Adel und Reisende schienen sich hier dennoch niederzulassen. Wer brauchte auch ein Bad, solange es Mädchen gab? Da wurde es doch fraglich, in wieweit meine Fähigkeiten reichen würden um die Männer zu unterhalten. Vielleicht war es aber auch gerade das, was die Menschen jetzt brauchten. Unterhaltung und Ablenkung. „Damit hast du alles gesehen. Es wird Zeit, dass du tust, wofür du hier bist. Ich behalte dich im Auge, also streng dich an und zeig, dass du unverzichtbar bist.“ Kaum dass mich Assad wieder daran erinnert hatte, weswegen ich eigentlich hier war, wurde mir ganz anders zumute. Ich hatte mich immerhin schon sehr weit aus dem Fenster gelehnt und gemeint, dass ich die besten Geschichten überhaupt erzählte. Gerade jetzt fiel mir aber keine ein, abgesehen von denen, die aus meiner Welt kamen. Nur ob die für die Männer hier wirklich unterhaltsam waren? Es kam auf einen Versuch an. „Wenn du noch etwas brauchst, geh in das Umkleidezimmer der Mädchen, sie werden dir sicher helfen.“ Was auch immer Assad andeutete, ich würde diese Hilfe sicher nicht in Anspruch nehmen müssen. Ich war mehr oder minder eingekleidet, hatte gegessen und war somit bereit um zu singen oder irgendetwas zu erzählen, was mir aus meiner Welt von Geschichten und Märchen noch geläufig war.   Wie es Assad gesagt hatte, wurde mir ein Platz ziemlich mittig im Gästebereich bereit gestellt. Er wirkte wie eine kleine Insel, bestehend aus verschiedenfarbigen Kissen. Allerdings war diese Insel nicht zu vergleichen mit den Sitzecken, da hier keine Obstschale stand oder sich Gäste darauf tummelten. Sie war viel mehr mein eigener kleiner Bereich, mein eigenes Reich, durch das ich zwar sichtbar für alle drapiert war, aber dennoch unerreichbar wirkte. Irgendwie beruhigte mich diese kleine Insel, sie gebot mir Sicherheit und ich vergaß sogar für den Moment, als ich mich in sie versank, dass Assads wachsame Augen auf mir lagen. Nun war die Frage, was ich erzählen konnte. Was würden die Besucher gerne hören? Was wäre gut für das Geschäft von Assad? Es war schwer sich ein Bild von dem ganzen zu machen, doch da das Portfolio meiner Welt gewaltig war, konnte ich auch aus allen Vollen schöpfen und von jeder Geschichte etwas ausprobieren. „Sehr geehrte Besucher, heute stelle ich euch Erenya vor. Sie ist eine Geschichtenerzählerin aus weiter Ferne und ist heute nur für euch hergekommen, um Geschichten aus ihrer Heimat mit euch zu teilen, auf dass ihr euren eigenen Alltag und unserer Welt entgleitet und euch für wenige Minuten selbst verliert.“ Zweifelnd sah ich zu Assad, als er mich dem Publikum vorstellte. Wahrscheinlich würde das meine Präsentation sein, die exotische Fremde aus weiter Ferne. Sicher. Das würde ihm jeder hier abkaufen. Einen kurzen Moment ließ ich Assads Vorstellung bei den Kunden sacken und blickte schließlich in die Menge. Wieso fiel mir ausgerechnet jetzt die wohl gruseligste Sache ein, die mir mein Horst erzählt hatte? Verdammter Hamster. Zur Erklärung, Horst ist ein Menschenmädchen und kein Hamster. Sie stand nur einfach darauf, wenn ich sie in Geschichten einbrachte und als Horst der Superhamster oder dergleichen bezeichnete. „Wisst ihr, in meiner Welt gibt es viele düstere Geschichten und Legenden. Viele von ihnen sind erfunden, viele von ihnen aber auch wahr. Eine von ihnen, hat sicher jeder schon einmal erlebt.“ Ich versuchte soviel mysteriösen und dunklen Charme wie möglich in meine Stimme zu legen. Ob dies gelang, keine Ahnung, aber die Aufmerksamkeit der Zuhörer lag vollends bei mir. „Einmal erzählte mir eine Freundin folgendes. 'Wenn du Nachts, zwischen zwei und drei Uhr grundlos wach wirst, liegt es meist daran, dass du beobachtet wirst. Selbst dann, wenn du ganz alleine bist.'“ Noch immer schüttelte es mich bei dem Gedanken, wenn ich früh morgens zwischen zwei und drei wach wurde. Danach zog ich mir die Decke über den Kopf und erinnerte mich an den Film Ju-On, in dem das so null funktioniert hatte. Ein Graus alleine zu leben. Die Menge hingegen blieb unbeeindruckt. Klar. Es war Balbadd. Wie sollte ich also diese Erzählung noch retten? Gar nicht. Ich setzte daher ein Lächeln auf und räusperte mich. „Natürlich kann euch hier in diesem Land nichts passieren. Es sind schließlich Geschichten und Legenden aus meiner Heimat. Es gibt aber eine Legende in meiner Heimat, die hört man überall auf der Welt. Zwar nicht in dieser Form, aber in verschiedenen Variationen. Legenden von Frauen mit übernatürlicher Stimme. Eine von diesen Frauen war Lorelei.“ Lorelei. Ja, irgendwann hatten wir ihre Geschichte im Deutschunterricht behandelt. Es gab die verschiedensten Versionen zu ihrer Geschichte. Einmal war sie eine Sirene, einmal eine Hexe, dann ein tragisches Opfer, welches Rache üben wollte. „Loreleis Freund, ein Seemann, kam nicht mehr zurück. Sein Schiff war gesunken, ohne dass dies jemals zu Lorelei vordrang. Seit dem sitzt sie Tag für Tag auf diesem Felsen und singt ihr Lied, welches voller Sehnsucht nach ihrem Seemann ruft. Die meisten Seefahrer, die sonst immer so vorsichtig in diesem Gebiet mit seiner starken Strömung sind, erliegen dem Zauber ihrer Stimme und ihre Schiffe sind dazu verdammt in den Tiefen zu versinken.“ Diese Geschichte schien schon eher nach Balbadd zu passen. Zumindest war es in einer Welt voller Magie wohl nicht unmöglich, dass eine Frau solch eine Wirkung mit ihrer Stimme erzeugen konnte. Gleichzeitig schienen die Mädchen und Frauen, die hier arbeiteten zutiefst ergriffen zu sein. Wer wusste schon, wie viele von ihnen ein ähnliches Schicksal wie Lorelei erfahren hatten? „Sollten Seemänner unter euch sein, die selbst schon von solchen Frauen gehört haben, so bitte ich euch inständig, verschließt eure Ohren mit Wachs, wenn ihr durch solche Gefilde fahrt. So kann der Zauber nicht zu euch vordringen. Der Seefahrer Odysseus hat dies entdeckt, auf seiner langjährigen Heimreise nach Ithaka.“ Fließend ging ich zur nächsten Geschichte über. Ohne allerdings die Namen der Länder zu erwähnen. Städte waren in Ordnung, denn in vielen Geschichten war von Städten die Rede, die längst untergegangen waren. Warum sollte das also nicht auch auf die Städte in meinen Erzählungen zutreffen? Es schien auch niemanden zu stören, dass sie diese Städte nicht kannten. Im Gegenteil, sie lauschten dem Abenteuer des Odysseus und waren damit nicht die ersten, die mit dem tapferen Seefahrer, der es sich mit dem Gott des Meeres verscherzt hatte, mit fieberten. Nachdem dieses Abenteuer erzählt war, spürte ich, wie meine Kehle trocken wurde. Das viele Reden hatte an den Kräften gezerrt und ich brauchte eine kleine Pause, um zu überlegen, welche Geschichte ich noch zum Besten geben konnte. „Hier trinkt.“ Ich sah verwundert auf, als mir ein Becher mit roter Flüssigkeit, von einem älteren Mann mit grauen Bart, gereicht wurde. Seine Augen waren klein und dunkel, fast schon unheimlich, doch ich hatte ja gelernt, dass man Menschen nicht nach ihrem Äußeren bewerten sollte oder auf Grundlage ihrer Augen. „Danke...“ Vorsichtig nahm ich den Becher entgegen und schnupperte dennoch daran. Ich roch deutlich, dass es Wein war. Für einen Moment würde der sicher meine Kehle befeuchten, allerdings würde der Durst hinterher tödlich sein. „Nur keine Sorge. Das ist einfacher Wein.“ Einfacher Wein. Das roch selbst ich, allerdings lag etwas in der Stimme des Mannes, was mir nicht gefiel. Ebenso wenig gefiel mir, dass er sich auf meiner Insel niederließ, als sei es das normalste der Welt. Bisher hatte sich das niemand getraut, weswegen ich etwas zurück rutschte um genug Abstand halten zu können. „Ihr kommt also aus einem entfernten Land? Die Geschichten die Ihr hier zum besten gebt, sind in der Tat sehr befremdlich, wobei die Geschichte des Odysseus doch schon stark an die Reisen König Sinbads erinnern.“ Die Reisen Sinbads? Ich lauschte dem älteren Mann, dessen Kleidung nicht zerschlissen waren, sondern aus besonders edlen Stoff zu sein schienen. Sicher ein Adelsmann oder ein reicher Geschäftsmann. Da war es nicht verwunderlich, dass er von Sinbads Reisen gehört hatte, wobei es wohl kaum einen Menschen gab, der den König Sindrias nicht kannte. „Sagt, woher kommt Ihr genau?“ Ich nippte vorsichtig an dem Becher Wein und überlegte, was ich antworten sollte. Schon bei Ameen hatte die Geschichte mit der vergessenen Erinnerung an den Namen meiner Heimat nicht funktioniert. Noch dazu wirkte es unglaubwürdig, wenn ich so viele Geschichten aus meiner Welt erzählte. Ich schwieg also und versuchte den Blicken des Mannes auszuweichen. Er sollte nicht die Unsicherheit in meinen Augen sehen, doch er rückte näher an mich heran, ergriff mit seinen Daumen und Zeigefinger mein Kinn und zwang mich, ihn anzusehen. „Nur nicht so schüchtern. Ich möchte doch nur mehr über Euch erfahren.“ Da ich den Becher Wein in den Händen hielt, hatte ich nicht mehr viele Optionen diesem Mann auszuweichen, auch wenn mir gerade anders zumute wurde. Doch es schwand genauso schnell wie es gekommen war, als die Hand des Mannes von mir weg gezerrt wurde. „Dhakar... Als Kunde hast du nichts in der Nähe von Erenya zu suchen. Du kannst dir gerne jedes Mädchen hier aussuchen, aber sie ist einzig zum Geschichten erzählen hier.“ Dankbar sah ich zu Assad, der den alten Mann von mir und meinem eigenen kleinen Bereich wegzog. Ein Umstand, der Dhakar nicht zu gefallen schien. „Assad, mein Lieber, ich dachte alle Mädchen hier seien zum Amüsement der Kunden da. Selbst Suleika geht hin und wieder mit dem ein oder anderen Gast auf Tuchfühlung.“ Assads wütender Blick wurde nicht weicher, im Gegenteil, das Feuer der Wut schien noch mehr angeheizt zu sein. „Noch dazu, ich habe mich doch nur nett mit deiner neusten Errungenschaft unterhalten und ihr etwas von meinem Wein angeboten. Du hast also keinen Grund so zu reagieren, oder willst du sie genauso schnell verlieren wie Thymia und die anderen Mädchen? Wie waren ihre Namen? Lapis und Korean?“ Assad ballte seine Hände zu Fäusten, als Dhakar so plötzlich in einer tief sitzenden Wunde zu bohren schien. Seltsam. Vor allem wenn man bedachte, dass Dhakar auch Lapis und Korean angesprochen hatte. Sicher, beide waren hier einmal angestellt gewesen, aber waren sie das nicht mehr wegen Assad? Dabei machten sie nicht den Eindruck als würden sie sich von ihm fernhalten wollen. Noch dazu hatten sie mich an ihn vermittelt. „Sie ist einfach nicht für solche Dienste hier, Dhakar, und nun geh!“ Unwirsch entriss mir Assad den Becher Wein und drückte diesen Dhakar in die Hand, der ihn erbost fixierte, weil etwas von der roten Flüssigkeit auf seine Kleidung getropft war. „Pass nur auf, Assad. Du solltest dir nicht die falschen Menschen zum Feind machen.“ Ohne einen weiteren Wortwechsel zu erlauben, wandte sich Dhakar von Assad ab und lief zu einer leeren Sitzgelegenheit, auf der er sich sogleich niederließ. Zweifelnd sah ich zu Assad. Wenn Dhakar wirklich so einflussreich als Kaufmann, oder was auch immer er machte, war, dann konnte er Assad wohl wirklich gewaltig Ärger machen. „Keine Sorge. Er verbreitet nur heiße Luft. Ameen brauch Hilfe in der Küche, du hast genug erzählt für heute.“ Misstrauisch sah ich Assad an. Mal davon abgesehen, dass er Dhakar irgendwie zu leicht nahm, wusste ich nicht, wie ich seine Worte bezüglich meines nun befohlenen Küchendienstes verstehen sollte. War er mit meinen Geschichten nun nicht zufrieden gewesen, oder doch? Wenn doch, wieso sollte ich dann in der Küche helfen. „Geh!“, forderte er nachdrücklich, weswegen ich mich ohne Wiederworte erhob und in Richtung der Küche ging. Diese Reaktion hatte definitiv Diskussionsbedarf. Vielleicht konnte mir ja Ameen helfen.   Suleika hatte es wirklich geschafft die Berge an dreckigen Geschirr wegzuwaschen. Die Ablagen waren frei und dort türmten sich stattdessen Teller mit Gerichten, die für die Gäste waren. Es herrschte reges Treiben, denn meine Kolleginnen trugen einen Teller nach dem anderen weg, so dass auch bald wieder genug Platz für mehr Teller war. „Ameen?“ Vorsichtig rief ich den Namen des Kochs, der hinter seiner Kochstelle stand und eine Pfanne mit Reis und Gemüse schwenkte, während ein großer Topf auf der hintersten Stelle vor sich hin köchelte, wahrscheinlich mit irgendeiner Suppe. „Schnapp dir ein Messer und schneide das Fleisch.“ Ameen wusste also schon Bescheid und war gleich dazu übergegangen mir Befehle zu erteilen. Zeit genaueres zu erfragen hatte ich damit nicht. Ich griff also nach einem Messer und ging zu dem Braten auf der Ablage, zu der Ameen gewiesen hatte. Keine Ahnung, wie man Fleisch ordentlich filetierte. Ich tat einfach das, was ich immer tat. Loslegen, denn Ameen schien gerade zu beschäftigt, um es mir zu zeigen.   Neben dem Fleisch hatte ich noch viel mehr schneiden dürfen. Gemüse, Obst und Fisch. Wobei letzteres wirklich eine Qual war, denn ich hatte gelernt, dass ich eine Abneigung gegen rohen Fisch hatte, der so frisch war, dass er sich noch wehren konnte. Der Ansturm war allerdings genauso schnell vorbei gegangen wie er gekommen war, so dass Ameen mir eine Pause gestattet hatte, während er einen tiefen Teller mit Suppe füllte und diesen auf die Anrichte stellte. „Also erzähl mal... Wie hast du das Geschichten erzählen verbockt, dass du nun hier Strafdienst schieben darfst?“ Also doch ein Strafdienst? Verdammt. Mit Sicherheit hatten die Geschichten Assad nicht überzeugt. Damit konnte ich mir also gleich wieder Gedanken um einen neuen Job machen. „Keine Ahnung? Ich hatte eher das Gefühl, dass den Kunden die Geschichten gefallen haben.“ Ich fragte mich wirklich, was ich falsch gemacht hatte. Gut, die erste Geschichte war nun nicht so ideal gewesen, aber man musste sich eben vorsichtig ans Publikum herantasten. „Was hast du denn erzählt?“ Ohne zu zögern erzählte ich Ameen die Geschichten die ich auch der Kundschaft zum Besten gegeben hatte, woraufhin mich der Koch doch schon eher überrascht und verwundert ansah. „Dann liegt es nicht an den Geschichten...“, meinte er schließlich und verschränkte gedankenverloren die Arme. Wenn es also nicht an den Geschichten lag, woran dann? War es doch mein Aussehen? Hatte ich nicht genug von mir gezeigt? Oh Gott, hatten Lapis und Korean wirklich recht mit dem Erscheinungsbild? „Mach dir keine Sorgen. Hier trink einen Saft.“ Mit einem breiten Grinsen reichte mir Ameen einen Becher Saft. Anders als bei dem gereichten Wein, trank ich nun mutiger einen Schluck aus dem Becher. Es war Saft kein Wein, als konnte ich mich damit nicht um den Verstand saufen. „Sag mal... Was war eigentlich mit dieser Thymia?“ Der Name Thymia war hier scheinbar allgegenwärtig und schien besonders für Assad ein rotes Tuch zu sein. Nur zu gerne hätte ich gewusst, wieso. „Thymia? Sie hat hier mal gearbeitet. Und naja... Hat sich in einen reichen Gast verliebt. Er hat ihr ganz schön den Hof gemacht. Gerüchten zufolge hat sie schließlich Assads Gutmütigkeit ausgenutzt und ihm viel Geld aus den Rippen geleiert, damit sie mit diesem Gast ein neues Leben anfangen kann. Jeder weiß, dass Assad den Mädchen hier ein neues Leben finanziert, wenn sie etwas besseres gefunden haben. Das hat er damals bei Lapis und Korean gemacht und bei vielen anderen auch. Einige sagen, dass sei Schweigegeld, weil hinter verschlossenen Türen noch mehr als nur seine Barmherzigkeit läuft. Sonst würde Assad das nichts ausmachen, aber bei Thymia... mh... Wer weiß was genau vorgefallen ist. Meide das Thema am besten.“ Das Thema meiden. Das war wohl der klügste Rat den ich befolgen konnte, denn das was Thymia zurückgelassen hatte, schien mir doch schon tiefer zu gehen, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Ob an den Gerüchten etwas dran war? Hatte sie ihn ausgenutzt? Oder war es Schweigegeld gewesen? Der einzige der das sicher wusste, war Assad.   Da Ameen nicht länger Verwendung für mich in der Küche hatte und ich eher im Weg stand, als wirklich hilfreich zu sein, hatte ich auf eigene Faust entschieden, nach Assad zu suchen und mir so vielleicht eine neue Aufgabe geben zu lassen. Gelangweilt herum zusitzen ohne etwas zu tun, hatte ich mehr als genug in meiner Welt. Als ich die Küche verließ, hörte ich bereits angeregte Unterhaltungen von Männern, die eindeutig schon zu tief in ihre Becher geblickt hatten. „Die Nebelbande wieder... Pah! Sollen diese Ratten doch kommen. Meine Wächter gehören zu den besten, die man im ganzen Königreich finden kann. Sie könnten sogar, ohne einen Kratzer den Palast von König Ahbmad stürmen. Was hat der König schon?“ Lautes Gelächter wurde laut. Wahrscheinlich nahmen noch nicht genug Adlige die Nebelbande ernst. Wobei, wie lange gab es diese Gruppe schon? Wurden sie vielleicht schon von Alibaba angeführt? Ohne das es jemand bemerkte, versteckte ich mich hinter einem der roten Vorhänge, der nahe genug am Geschehen dran war, so dass die Adelsmänner mich nicht sehen konnten. „Was tut Ahbmad schon gegen das Gesindel. Seine Soldaten sind nutzlos! Er versteckt sich hinter seinen Palastmauern wie ein kleines unreifes Kind und verschleudert unsere Steuern. Soll die Nebelbande ihn doch mal einen Besuch abstatten, statt uns rechtschaffenen Bürgern.“ Rechtschaffen? Na gut, wenn das ihre Ansicht war, meine war es nicht. Rechtschaffene Bürger hätten sicher nicht nur zugesehen, wie die Ärmsten der Armen noch schlimmere Not litten. Sie waren keinen Deut besser als Ahbmad, der sich selbst im Mittelpunkt seiner kleinen Welt sah. „Wir wissen ja nun, wann es passiert... Wenn der Nebel kommt. Diese Ratten können sich darin also nicht mehr verstecken“, lachte einer der Männer und hob dabei seinen Becher, als wäre das was er wohl plante schon längst beschlossene Sache. Klar. Wenn der Nebel kam. Wie dumm musste man sein um zu glauben, dass sie eine Chance hatten? Es war ja nicht nur ein Nebel. Aber so weit waren die Informationen wohl nicht zu diesen Idioten vorgedrungen. „Lauschen schickt sich nicht“, flüsterte eine vertraute Stimme neben mir plötzlich. Ich zuckte zusammen, als ich neben mir plötzlich Assads Stimme vernahm. War der Typ eine Katze, oder warum konnte er sich so an schleichen? Vor allem wie hatte er mich entdeckt? Ich war doch so vorsichtig dabei gewesen mich zu verstecken und nicht einmal die Gäste hatten meine Anwesenheit in diesem Raum mitbekommen. „Ach was lauschen. Ich hab nach dir gesucht und wollte nicht noch einmal diesem gruseligen Dhakar über den Weg laufen.“ Es war die schnellste und wohl glaubwürdigste Ausrede, die mir eingefallen war. Allerdings schien Assad wie Ameen zur misstrauischen Sorte zu gehören, denn sein Blick sprach Bände. Und wie schon Ameen, beließ er es dabei ohne mir zu sagen, ob er glaubte was ich sagte oder nicht. „Dann wirst du dich wohl an Dhakars Anblick gewöhnen müssen. Er ist immer hier, wenn er gerade in Balbadd ist. Jeden Tag, bis er ablegt. Und er ist nicht der einzige, der so aufdringlich ist. Du solltest dich ab morgen also vorsehen.“ Es dauerte einige Zeit, bis ich realisierte, was Assad gerade indirekt, direkt zu sagen versuchte. Wenn ich mich am nächsten Tag vorsehen sollte... War ich aufgenommen? „Die Geschichten waren gut?“, fragte ich daher, nur um noch einmal sicher zu gehen. „Nicht nur deine Geschichten. Ameen ist mit den Bestellungen schneller als gewohnt hinterher gekommen. Du wirst ihm also nach deinen Geschichten immer in der Küche zur Hand gehen. Mach also weiter so.“ Ich konnte es immer noch nicht glauben, was Assad da gesagt hatte. Ich war genommen. Mein erster Job und ich hatte ihn gleich bekommen. Und das nicht nur wegen meiner Geschichten. Obwohl, vielleicht hatte Ameen auch noch das ein oder andere gute Wort für mich eingelegt. Aber wenn das, was ich getan hatte, wirklich ausreichend gewesen war, dann hatte ich wohl alles richtig gemacht. Selbst beim Fleisch. „Ich danke dir, Assad. Ich werde weiterhin mein bestes geben.“ Es war ein Versprechen, dass ich ihm hier so offen gab. Ich wollte wirklich mein Bestes geben, denn wer wusste schon, wie lange ich hier bleiben würde. Weitreichend gedacht, war so wenigstens die Grundlage für einen längeren Aufenthalt geschaffen. Kapitel 3: Sadiq ---------------- Hochkonzentriert starrte ich auf die Pfanne in meiner Hand. In ihr befand sich gebratener Reis mit Gemüse und durch eine falsche Bewegung wäre der Inhalt dazu verdammt gewesen in den Kochstellen zu verbrutzeln. „In Ordnung. Du holst Schwung. Nicht zu viel, nicht zu wenig, also genug, dass es aus der Pfanne rotiert“, erklärte Ameen mit einem breiten Grinsen, während ich ihm einen bösen Blick zuwarf. „Es wird rotieren, aber ich weiß nicht, ob es wieder in der Pfanne landet.“ Meine Tage in Balbadd zogen fast schon zügig an mir vorbei und ich hatte mich dank Ameen und den anderen schnell in meine neue Arbeit eingefunden. An Tagen wie heute, neigte Ameen sogar dazu, mir etwas von seinen Kochkunststücken beizubringen. Ich versuchte immer eine gelehrige Schülerin zu sein, allerdings gelang es mir immer noch nicht, den gebratenen Reis in der Pfanne zu schwenken, ohne dass die Hälfte für die Flammen der Kochstelle war. „Okay, hol tief Luft und zähl bis drei.“ Ameen hatte echt gut reden. Wobei, bei ihm sah das immer so leicht aus. Ich wollte gar nicht wissen, wie lange er dafür hatte üben müssen. Sicher eine halbe Ewigkeit oder weniger. „Wenn du es schaffst, frage ich Assad für dich um eine Verabredung zu zweit~“, säuselte mir Ameen ins Ohr, wobei ich sofort knallrot anlief. Gott wie ich es hasste, wenn er solche Scherze machte. Nicht das Assad unattraktiv oder dergleichen war, aber musste er mich so damit aufziehen, dass ich für meinen Chef etwas schwärmte? Es waren keine tiefen Gefühle wie Verliebtheit oder dergleichen, sondern nur eine stumme Bewunderung die sich aufgrund meiner Beobachtungen entwickelt hatte und wohl keinem verborgen geblieben waren. Außer Assad selbst, der mich nicht besser oder schlechter als am ersten Tag behandelte. „Hör auf! Schon vergessen, ich habe in meiner Heimat jemanden den ich mag!“ Es war die alltäglich gewordene Diskussion, die Ameen und ich in unserer ungestörten Zweisamkeit in der Küche ausfochten. Der Sieger stand eigentlich schon fest und es würde nicht Ich sein. „Er ist aber nicht da, oder? Ebenso wenig weißt du wie deine Heimat heißt, also wirst du so schnell nicht zurückkehren. Dann kannst du auch hier etwas Spaß haben. Und Assad sowieso. Er ist immer viel zu ernst.“ Ja, es war definitiv die alltägliche Diskussion und wie die letzten Tage hatte ich auch heute vor zu gewinnen, weswegen ich mir bereits eine passable Ausrede zur Seite gelegt hatte, um irgendwie das Offensichtliche nicht ganz so offensichtlich wirken zu lassen. „Jetzt hör doch mal mit Assad auf. Ich mag auch Sadiq sehr.“ Ja Richtig, Sadiq. Er war so etwas wie mein Vermieter und Mitbewohner. Dank Assad, der mir den etwas mageren Mann, mit dem Dauergrinsen, vorgestellt hatte, war ich in Balbadd sogar wohnlich untergekommen und das zu einem recht günstigen Preis. Von dem Geld. das ich hier verdiente, gab ich bis zu vier Dinar an Sadiq ab. Den Rest konnte ich dann für Lebensmittel und Kleidung oder andere Dinge ausgeben. Wobei ersteres auch nicht sonderlich schwer ins Gewicht fiel, da alle Angestellten des Freudenhauses auch hier von Ameen bekocht wurden. „Sadiq ist aber nicht Assad. Und du schmachtest Sadiq auch nicht wie Assad an.“ Sadiq war im übrigen nicht nur ein guter Freund von Assad, sondern auch ein Stammkunde hier im Freudenhaus. Man kann sich also vorstellen, wohin die vier Dinar, die ich ihm gab, wieder hin flossen. Richtig, indirekt zurück zu mir. Ein passabler Kreislauf also. „Halt endlich die Klappe, ich muss den Reis schwenken.“ Da ich immer noch die Pfanne in der Hand hielt und Ameen wieder kurz davor war diese Diskussion zu gewinnen, fokussierte ich meine Gedanken lieber auf etwas, das für diese Diskussion gesorgt hatte. Dieses Mal zögerte ich aber nicht länger, sondern schwenkte den Inhalt der Pfanne, wobei wie schon anfangs gedacht, der Inhalt sich großteils in die brennenden Feuerstellen ergab. „Verdammt...“, fluchte ich leise und stellte die Pfanne ab, um wenigstens das zu retten, was noch nicht seinen Weg in die tiefen Löcher gefunden hatte. „Das wird noch, das wird noch. Du musst einfach an der Technik arbeiten.“ Ameen hatte bemerkt, wie mich dieser Fehlschlag ärgerte. Kein Wunder, wenn ich nicht gerade Geschichten erzählte, verbrachte ich die meiste Zeit hier in der Küche und half ihm bei der Zubereitung der Gerichte. Ich hatte sogar gelernt mit sehr frischen Fisch umzugehen. „Immerhin bekommen wir daraus noch ein paar Portionen. Das ist besser, als wenn alles in die Flammen gegangen wäre.“ Ich wusste, dass Ameen dies sagte um mich zu beruhigen oder zu trösten, allerdings wusste er nicht, dass er damit eher noch ein imaginäres Messer durch mein Ego jagte. In meiner idealen Welt, war ich perfekt. Da waren solche Fehlschläge nicht geduldet und ich hasste mich, wenn es zu solchen kam. Deswegen versuchte ich mich so selten an neuen Dingen. Versagen war wohl das Schlimmste. „Ich schneide noch etwas Gemüse...“ Gefrustet wandte ich mich von den Kochgeschirr ab und ging zu meiner Arbeitsstelle, auf der noch genug Gemüse lag, welches nur darauf wartete von meiner gnadenlose Klinge zerhackt zu werden.   Ich hatte einfach zu viel Gemüse geschnitten, weswegen mich Ameen schließlich aus seiner Küche geworfen und ich mich in das Umkleidezimmer der Mädchen zurück gezogen hatte. Meinen zweiten Zufluchtsort, wenn die erste Zuflucht mir verwehrt wurde. Doch ich war nicht alleine, denn wie gewohnt saßen hier bereits die Mädchen, die sich auf den späten Abend vorbereiteten. Mit Hilfe von Cecilia, die gerade Suleika ihren Zopf band. Sie hatte wirklich so langes Haar und es faszinierte mich immer noch, wenn sie diese offen ließ und ihr fast bis zu den Knöcheln gingen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie schwer sich das anfühlen musste. Suleika war die erste die mich bemerkte und mir sogleich ein spöttisches Grinsen schenkte. „Was? Hat Ameen dich schon wieder rausgeworfen? Wenn du weiter so machst, ist deine Daseins-Berechtigung bald erloschen.“ Suleika und ich... sagen wir es so, wir würden niemals Freunde werden. Das verdankte ich allein schon der Tatsache, dass sie Ameens feste Freundin war, was natürlich auch erklärte, warum sie regelmäßig beim Abwasch half. Sie schien mich dafür zu hassen, dass ich soviel mehr Zeit mir ihrem Freund verbrachte als sie, die draußen für die Männer tanzte. An sich, wenn ich das richtig beobachtet hatte, war Suleika die Nettigkeit in Person, aber irgendwie waren wir einander einfach nicht grün. Ihre negativen Gefühle mir gegenüber beruhten immerhin auf Gegenseitigkeit. „Ameen hat leider nicht mehr genug Arbeit für mich. Ich bin mit meinem Küchenmesser wohl einfach zu flink für ihn.“ Es war nicht so, dass ich wirklich zu flink war, eigentlich war ich für meine Ansichten noch zu langsam, denn Ameen schnitt das Gemüse um ein vielfaches schneller als ich, was nur bewies, dass er eben ein ausgebildeter Koch war. Aber das musste ich Suleika ja nicht unter die Nase reiben. „Cecilia, dauert es noch lange?“ Da unsere Nettigkeiten wie immer zu nichts führten, entschied sich Suleika, dass es wohl besser war, wenn sie mich ignorierte. Deswegen waren ihr ihre Haare für diesen Augenblick sogar wieder wichtiger. „Alles sitzt, Liebes. Du kannst deine Vorführung beginnen.“ „Danke.“ Liebreizend lächelte die schöne Suleika Cecilia an. Ein Lächeln, welches mir wohl verwehrt bleiben würde, aber ich war auch nicht sonderlich wild darauf, dass sie mich mochte. Das wäre einfach unrealistisch gewesen. Suleika erhob sich von ihrem Platz und ging auf mich zu, da ich immer noch an der Tür stand und mich seit dem kleinen Wortwechsel nicht vom Fleck bewegt hatte. „Rosa steht dir übrigens nicht...“, zischte Suleika mir noch zu, ehe sie das Zimmer verließ und meine Anspannung mit sich nahm. Ich wusste nicht wieso, aber immer wenn ich ein paar Worte mit Suleika wechselte, verkrampfte sich alles in mir, als müsste ich meine Körperspannung bewahren um bei einem Drahtseilakt nicht von diesem zu fallen. Dennoch ihre zuletzt gesagten Worte ließen mich zweifeln, weswegen ich an mir hinab sah. Ja, ein rosa Top, welches nicht ganz so viel Ausschnitt zeigte und immerhin etwas über den Bauch ging, zu der rosafarbenen Ballonhose wäre auch nicht meine erste Wahl gewesen, aber Sadiq hatte gemeint, dass es mir stehen würde. So ein Lügner. Wobei, warum interessierte es mich überhaupt, dass Suleika mich hübsch fand? Seufzend und mit dem Kopf schüttelnd ging ich zu Cecilia, die nun einen Platz vor sich frei hatte. „Wie sieht es heute aus?“, fragte ich nur und schob meine Haare etwas zur Seite, so dass Cecilia meine nackten Schultern sehen konnte. Seit ich in Balbadd angekommen war, hatte es kein einziges Mal geregnet und die kurzen Strecken die ich von der Arbeit zu meiner Unterkunft zurücklegen musste, reichten, um mir einen Sonnenbrand auf die Haut zu zaubern. Leider kannte man hier so etwas wie Sonnencreme nicht. Vorsichtig tastete Cecilia die befallenen Stellen am Rücken ab und fuhr sie nach, so dass ich mir selbst ein Bild von der Großflächigkeit machen konnte. „Es ist wieder etwas schlimmer geworden...“, erklärte Cecilia schließlich, weswegen ich erneut seufzte. Zwar war mein Körper nicht komplett befallen, da ich unter der Kleidung doch geschützt war, weswegen ich schon nach wenigen Tagen auf etwas längere Kleidungsvarianten umgestiegen war, doch eben jene freien Hautpartien, die immer noch der brutzelnden Sonne ausgesetzt waren, wurden nicht besser, so dass sich auf meiner weißen Haut immer deutlicher rote Flecken abzeichneten, die ich nicht einmal mehr mit Make-Up abdecken konnte. „Und ihr habt wirklich nichts, womit ihr euch vor der Sonne schützen könnt?“ Es war nicht das erste Mal, dass ich diese Frage stellte, denn wenn es nach mir ging, würde dieser Sonnenbrand bald verschwinden. Doch bisher gab es keine Chance, dass dies der Fall sein würde. „Leider nicht. Ich habe das aber auch wirklich noch nie gesehen, dass jemand so einen schlimmen Ausschlag von der Sonne bekommen hatte.“ Ich verdrehte genervt die Augen auf Cecilias Worte. Wie oft musste ihr noch erzählen, dass ich nicht allergisch auf die Sonne reagierte, sondern das eine normale Reaktion meines Körpers war? Aber gut, das mit der UV-Strahlung könnte ich wohl noch dutzende Male singen und sie würde es nicht verstehen. In Balbadd war ich vielleicht nicht die einzige, die etwas hellhäutiger war, aber doch schon eine Rarität mit der Reaktion auf Sonnenlicht. Die meisten Mädchen waren schon so daran gewöhnt, dass sie keinen Sonnenbrand mehr bekamen, weswegen diese Reaktion wohl wirklich wie ein Ausschlag erschien. „Erenya, erzählst du uns noch einmal die Geschichte der zwei Königskinder?“ Ich sah zu zwei Mädchen auf, die sich gerade umzogen. Ehrlich, in Balbadd hatte ich schon mehr nackte Brüste gesehen als mir lieb waren und dieser Anblick war für mich immer noch alles andere als gewohnt. Dennoch versuchte ich immer meine Verlegenheit zu überspielen, meist mit einem Grinsen. „Schon wieder? Ihr müsstet die doch fast auswendig kennen.“ Es gab da dieses Lied, welches ich in der Regelschule einmal gelernt hatte. Ein Lied das die Geschichte zweier Königskinder erzählte, die aber keine gemeinsame Zukunft hatten. Ich hatte es einmal vor den Gästen gesungen, was besonders die Mädchen berührt hatte. Seitdem baten sie mich regelmäßig, es entweder wieder vor Publikum vorzutragen, oder wenn ich, wie gerade, hier im Umkleidezimmer war. „Bitte sing es noch einmal für uns.“ Da auch Cecilia Feuer und Flamme für solche Schnulzgeschichten war, konnte ich mich doch nicht länger verwehren, weswegen ich mich seufzend ergab. „Na schön. Wenn aber eine von euch auch nur ansatzweise ihre teure Schminke mit Tränen verschmiert, singe ich es nie wieder.“ Es war eine Drohung, die ich einfach nicht einhalten konnte. Sie hatten schon oft ihre Kohlestiftaugen verschmiert. Zwar nicht vor den Gästen, aber hier. Zum Glück war abgesehen von Cecilia gerade niemand geschminkt. „Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb. Sie konnten zusammen nicht kommen, denn das Wasser war viel zu tief, das Wasser war viel zu tief. 'Ach Liebster, könntest du schwimmen, so schwimm doch herüber zu mir! Drei Kerzen will ich anzünden und die sollen leuchten auch dir, und die sollen leuchten auch dir.'“ Ich gab mein bestes um den Mädchen ihr Lieblingslied so gefühlvoll wie möglich nahe zu bringen. Wenn sie mich schon um so etwas baten, dann wollte ich das nicht halbherzig angehen, nur weil sie keine zahlenden Kunden waren. Sie waren immer Kolleginnen.   **~~**   Ich hasste es morgens aufzustehen, ob in meiner Welt, oder dem Magi-Fandom. Morgende vor der Arbeit waren alle gleich grausam. Gähnend erhob ich mich aus dem provisorischen Bett, welches Sadiq mir in einer kleinen Ecke des riesigen Gemeinschaftsraumes zurecht gelegt hatte. Es bestand ausschließlich aus Kissen und ich fragte mich immer noch, warum Sadiq so viele Kissen besaß, um einfach mal ein Bett für jemanden wie mich zu arrangieren. „Morgen~“ Die glockenhelle und muntere Stimme Sadiqs erklang und wurde von mir wie gewohnt mit einem Brummen erwidert. Er würde es wohl nie lernen, dass ich einige Zeit brauchte, um wach zu werden und schließlich ein Mensch zu sein. „Du bist früh immer so grummelig. Du weißt doch, wer den Tag mit einem Lächeln beginnt, wird viel Gutes ernten.“ Sein Lächeln, welches nicht einmal der Schatten seiner dunkelbraunen Haarsträhnen verdunkeln konnte, wich nicht und an sich war ich kurz davor ihn wie eine wilde Raubkatze anzuspringen und ihm zu zeigen, was er Gutes erntete, wenn er mir so früh am Morgen auf die Nerven ging. Doch da er mir das Frühstück, in Form eines Fladenbrotes mit Gemüse und anderen Sachen, ans Bett brachte, wollte ich die mich fütternde Hand nicht beißen. „So schweigsam wie immer. Du wirst dich wohl nie an mich gewöhnen, oder?“ In der Tat, wenn man es recht bedachte, sprachen Sadiq und ich nie viel. Meist das Nötigste, was aber eher an mir lag. Auch wenn Sadiq nett und freundlich war, hielt ich doch aus irgendwelchen Gründen einen gesunden Abstand zu ihm. Vielleicht lag es daran, dass er ein geborener Lügner war. Am Anfang hatte ich ihn gefragt, was er so tat, wenn er nicht gerade im Freudenhaus war, doch er antwortete auf diese Frage immer anders. Beim ersten Mal, war er noch ein Händler gewesen. Im Freudenhaus hatte er schließlich einem anderen Kunden erzählt, dass er ein Diplomat war. Am selben Tag hatte ich ihn erneut nach seiner Berufung gefragt und da war er plötzlich ein Fischer gewesen. Egal wann ich ihn fragte, sein Beruf war immer ein anderer, was mir nur deutlich sagte, dass er log und etwas zu verbergen hatte. Darauf angesprochen hatte ich ihn aber noch nicht. Ich redete mir stattdessen ein, dass er Undercover für irgendeine Mission hier war, um das Leben in Balbadd zu verbessern, wobei ich behaupten würde, dass den meisten Menschen die nicht aus diesem Königreich stammten, das Königreich selbst nicht interessierte. Schweigend aß ich mein Fladenbrot Sandwich. Ich war verwundert, denn Sadiq neigte dazu mir jeden Tag eine andere Kombination zu reichen. Heute war es ausschließlich mit Gemüse belegt und einer Art Käse die ich freiwillig wohl nie gegessen hätte. Da mir Sadiq aber nie sagte, was es war, aß ich es ohne zu fragen und erweiterte meinen Geschmackshorizont. Er hatte bisher nur einmal ein wirklich schlecht schmeckendes Sandwich gemacht. Es war zu scharf und für mich damit nicht essbar gewesen. Doch Sadiq hatte aus diesem Fehler gelernt und vermied das großzügige Würzen mit Kräutern aus der Hölle. „Waf ift daf?“, fragte ich mit vollen Mund, als ich absolut nicht darauf kam, was er mir da für Käse gereicht hatte. Zumindest hatte ich bei Ameen noch nie so etwas gesehen, geschweige denn gegessen. „Gute Frage... ich weiß nicht mehr wie der Käse hieß... oder von welchem Tier er stammt. Ich hab ihn gestern auf dem großen Markt erworben.“ Der große Markt? Stimmt, ich war noch nie wirklich auf dem großen Markt hier in der Stadt gewesen. Bisher war ich zu sehr mit der Arbeit beschäftigt gewesen. Wenn man es sogar recht bedachte, kannte ich so ziemlich nichts von Balbadd. Das musste sich ändern, denn sonst würde ich mich irgendwann verlaufen. Den großen Markt kennenzulernen, wäre sicher schon ein erster Schritt gewesen. Ich schluckte hastig den letzten Bissen runter und sah zu Sadiq, der mich wie gewohnt beim Essen beobachtete. Manche Menschen hatten schon komische Fetische und Sadiqs gehörten zu den seltsamsten. „Gehst du mit mir heute auf den großen Markt? Ich muss erst abends arbeiten und hab noch den ganzen Morgen Zeit.“ Verwundert sah mich Sadiq nun an. Es lag wohl daran, dass ich es bisher vermieden hatte, ihn groß um etwas mehr als meinen kleinen Schlafbereich zu bitten. Wie gesagt, wir hatten nicht viel Gesprächsstoff miteinander und taten generell vollkommen verschiedene Dinge, so dass wir uns wirklich nur sahen, wenn er im Freudenhaus oder hier war. „Du lebst gefährlich, wenn du mich so etwas fragst, Erenya. Du kennst mich nicht. Vielleicht bin ich ein Sklavenhändler, der dich auf dem Markt dann verkauft.“ Ich hob zweifelnd eine Augenbraue und sah Sadiq an. War das nun der neue Beruf den er mir gegenüber annahm? „Wirklich jetzt? Du kennst auch mich nicht. Vielleicht ist diese ganze Sache mit dem Gedächtnisverlust auch nur Tarnung von mir und raube dich aus.“ Wenn er dieses Spiel spielen wollte, konnten wir das gerne zu zweit spielen. Wir wussten immerhin beide nicht viel voneinander. „Ich weiß wahrscheinlich mehr über dich, als du glaubst.“ Ein dunkler Schatten legte sich über Sadiqs Blick, ebenso wurde seine Stimme tiefer und dunklerer als zuvor, was mir schon einen hauchzarten Schauer über den Rücken jagte. „Du solltest mir wirklich nicht vertrauen, Erenya. Ich bin ein ganz schlechter Umgang für dich. Ich nutze die Gutmütigkeit von Menschen wie Assad und dir schamlos für meine eigenen Pläne aus. Du solltest deinen bisher gewahrten Abstand zu mir also besser aufrecht erhalten, bevor du es bereust.“ Es war schon gruselig, wie ernst Sadiq, der sonst immer lächelte und einen auf froh und munter machte, wurde. Hatte er mich wirklich die ganze Zeit getäuscht? Wenn ja, warum sollte er mich dann vor sich warnen, wenn er wirklich so ein schlechter Mensch war, wie er mir gerade glauben machen wollte? Erneut wusste ich Sadiq nicht wirklich einzuschätzen und mir wurde nur umso mehr bewusst, wie wenig ich ihn kannte. „Willst du immer noch, dass ich dir den großen Markt zeige?“, fragte er schließlich, wobei der Anflug eines kleinen Lächelns auf seinen Lippen zu sehen war. Sollte er mir wirklich noch den Markt zeigen, nachdem er mich indirekt bedroht hatte? Was wenn er seine Warnung wahr machte? Was wenn er wieder nur log? Er war immerhin ein geborener Lügner. Ich wusste ehrlich nicht, was ich tun sollte. Ich war hin und her gerissen zwischen der Neugier mehr von ihm zu erfahren und der Angst, dass er ausnahmsweise wirklich nicht gelogen hatte. „Kannst du mir den Weg beschreiben?“ Es war die Vorsicht, die gewonnen hatte. Denn ich war wirklich nicht scharf darauf als Sklavin irgendwohin verschifft zu werden. „Kluges Mädchen.“ Sanft legte Sadiq seine Hand auf meinem Kopf und strich über diesen, als wäre ich ein kleines Kind, welches er damit belohnen wollte. Ich war mir wirklich so gar nicht sicher, was ich von ihm halten sollte. Was das Ganze nicht wirklich leichter machte, schließlich lebten wir zusammen. Er konnte ja schon jetzt wer weiß was machen. Es würde, abgesehen von den Kollegen im Freudenhaus, niemand merken.   **~~**   Sadiq hatte mir auf einem Stück Pergament oder wie man das Papier hier nannte, einen Weg aufgezeichnet, der wirklich mehr als genau detailliert war, weswegen ich ohne Probleme meinen Weg zum großen Marktplatz gefunden hatte. Doch meine Erwartungen, hier das blühende Leben Balbadds zu sehen, mit Händlern die alles Mögliche feilboten, wurden enttäuscht. Die große Fläche, die einst sicher einmal genau diese Erwartungen von mir erfüllt hatte, war wie ausgestorben. Der Platz war überschaubar. Ich bereute es sogar ein wenig, dass ich Sadiq nicht einfach mitkommen lassen hatte, denn hier hätte er mich sicher nicht verkaufen können. Selbst die Kundschaft war überschaubar. Dennoch, ich war hier her gekommen, um mich umzusehen, also würde ich auch nicht so schnell von meinem Vorhaben abweichen. Ich versuchte es sogar positiv zu sehen, indem ich mir einredete so immerhin nicht unter der Menge untergehen zu können. In aller Ruhe lief ich die wenigen Stände ab. Es war das gewohnte Bild. Obsthändler, Fischhändler, Stoffhändler... Alles was ich schon am Hafen gesehen hatte, fand ich auch hier. Allerdings war besonders bei den Stoff- und Schmuckhändlern der Stil ein anderer gewesen. Ich kam nicht genau darauf was anderes war, aber es wirkte, als seien gerade diese Farben oder der Schmuck nicht aus der Region, weswegen ich besonders an diesen Ständen etwas länger verweilte. „Haben Sie etwas gefunden?“, fragte einer der Händler, als ich mir gerade wertvollen Schmuck ansah. Nicht das ich vor hatte, diesen zu kaufen, aber mich faszinierte das Design. Es war eine Brosche, die aus einem glatten, roséfarbenen Stein gefertigt war. Man hatte diese in die Form einer Lotusblüte gebracht, welche hier sicher nicht allgegenwärtig war. „Woher kommt dieser Schmuck?“ Ich war nun wirklich neugierig geworden, weswegen ich den Händler direkt fragte. Doch von diesem kam nur ein leises Glucksen. „Sie kommen nicht von hier, oder? Balbadd ist eine Handelsstadt. Seit König Ahbmad aber mit Kou verkehrt, werden Sie hier überwiegend einheimische Sachen und Dinge aus dem Kaiserreich Kou finden. Dieser Schmuck hier zum Beispiel wurde im Kaiserreich Kou hergestellt.“ Ich nickte immer wieder auf die Erklärung des Händlers hin, um zu zeigen, dass ich verstanden hatte. So weit waren wir also schon. „Waren aus Kou können Sie ausschließlich mit Huang, der dortigen Währung, zahlen. Dort hinten finden Sie einen Händler, der Ihnen Dinar gegen Huang tauscht.“ Der Händler verwies in einen hinteren Bereich, wo ein kleiner Stand war. Er wirkte nicht so einladend wie alle anderen hier und doch war dort eine kleine Schlange von Menschen zu sehen. Ärmliche Menschen, reiche Menschen, hier war wirklich das ganze Leben Balbadds zu sehen. „Selbst in der Stadt gibt es einige Läden, die nur noch mit Huang bezahlt werden wollen. Der Umtausch von Dinar in Huang kostet nämlich einen kleinen Zuschlag. Das ständige Getausche ist für viele Händler daher nicht mehr tragbar.“ Ich musste bisher wohl Glück gehabt haben, denn ich hatte ohne Probleme mit Dinar bezahlen können. Allerdings, wenn das so war, musste ich auf kurz oder lang wohl etwas von meinem Geld in Huang tauschen. So dass ich von beiden Währungen immer etwas bei mir hatte. „Danke, für diese Informationen.“ Ich nickte dem Händler zu und ging auf die „Wechselstube“ zu. Die Schlange schien auch schneller kleiner zu werden. Zumindest kam ich Schritt für Schritt voran, während sich andere Besucher hinter mir einreihten. „Wie ich soll dir drei Dinar für einen Huang geben? Gestern wolltest du noch zwei für einen.“ Der Mann vor mir schien äußerst erregt, was mich anhand der Informationen die ich bekam, nicht verwunderte. Genauso wenig wunderte mich aber auch, dass der Huang scheinbar nicht sicher war. Dass die Deflationsrate beim Huang scheinbar sehr schwankend bis ungefestigt war, zeigte nur, wie unbedacht dieses Papiergeld-System eingeführt worden war. „So ist das eben mit Angebot und Nachfrage.“ Es war eine einfache Erklärung, die der Wechsler gab. Eine die vollkommen aus der Luft gegriffen war und nur zeigte, dass er von dem System selbst keine Ahnung hatte. Wütend zahlte der Mann vor mir seine Dinar, um endlich zehn Huang in den Händen zu halten. Es war nun an mir, meine Dinar in Huang zu wechseln. Ich griff also in meinen Beutel und zog neun Dinar hervor. Keine Ahnung wie weit ich damit kommen würde, ich hoffte aber, dass drei Dinar für den Anfang genügten. Ohne große Diskussionen gab mir der Wechsler das geforderte Geld, wobei er doch sehr erfreut darüber schien, dass nicht erneut ein Kunde über seine Wechselmethoden murrte. Ich entfernte mich von dem Stand und begutachtete das Papiergeld. Es hatte schon große Ähnlichkeit mit dem was ich aus meiner Welt kannte und ich fragte mich, wie Kou darauf gekommen war und ob sie diese Währung wirklich gut bedacht hatten. Immerhin war das hier nur Papier, ohne Wert einfach mit einer Prägung. Anders als die Dinar, die in Gold gemessen eigentlich mehr Wert sein sollten. Dennoch, der Huang entwertete den Dinar, was für die Wirtschaft von Balbadd kein gutes Zeichen war.   Meine Befürchtungen mit den Huang wirklich nicht weit zu kommen, hatten sich schnell bestätigt. Nur dank des Händlers, bei dem ich mir Papier, Tinte und eine Feder erworben hatte, konnte ich mit meinen drei Huang alle drei Dinge erwerben, für gewöhnlich kostete allein die Tinte drei Huang. Gruselig wenn man das bedachte. Insgesamt hätte ich nämlich sechs Huang zahlen müssen. Da der Händler aber ein Stammkunde im Freudenhaus zu sein schien, ich muss gestehen unter allen Gästen hatte ich mir sein Gesicht nicht gemerkt, hatte er es mir für die Hälfte verkauft. Noch ein positiver Effekt des Jobs also. Danach hatte ich mich auf dem großen Markt schließlich gut umgehört, welcher Stand Huang wollte und welcher nicht. Da aber hier ausschließlich mit Papier bezahlt wurde, war der große Markt nicht weiter interessant für mich, auch wenn die Gewürze und einige der ausländischen Delikatessen doch schon dazu verlockten noch ein paar Dinar umzutauschen. Dennoch, ich hatte noch ein weiteres Ziel, welches ich ansteuern wollte. Der Hafen. Dort, so hatte man mir gesagt, zahlte man noch mit Münzen, weswegen ich auch hier genauer nachsehen wollte, was der Hafen zu bieten hatte. Seit meiner Ankunft war ich immerhin nicht mehr dort gewesen. Ein Händler hatte mir freundlicherweise beschrieben, wie ich zum Hafen kam, allerdings war seine Beschreibung nicht so exakt und genau wie die Sadiqs gewesen, so dass ich mich schnell verlaufen hatte und mich nun in den Slums befand. Keine Ahnung wie genau ich hier her gekommen war, aber „Laufen Sie die Straße bis zur ersten Kreuzung entlang und biegen Sie erst links, dann rechts und schließlich wieder links ab“ war nicht gerade eine genaue Beschreibung. Ich überlegte einen Moment, ob ich einfach zurückgehen sollte, allerdings... Vielleicht war es nicht schlecht die Slums zu sehen. Wo sonst konnte man das ungeschönte Leben Balbadds so genau sehen wie hier? Auch wenn ich entschlossen war, die Slums zu erkunden, waren meine Schritte doch schon sehr zögernd. Ich wusste nicht, was mich hier erwartete und ein gewisser Teil in mir wollte sich auch vor der grausamen Wahrheit verschließen. Immerhin hatte ich gerade ein angenehmes Leben. Ich war vielleicht auch nicht reich, aber ich hatte mehr zum Leben als diese Menschen hier. Für mich als jemand, der Leben konnte, gab es damit keine Probleme. Für die Menschen hier hingegen schon. Ein Schrei riss mich aus meinen Gedanken, als ich einfach strikt dem Weg entlang vorbei an heruntergekommenen Unterkünften, entlanglief. Ich hielt in meiner Bewegung inne und sah mich um. Niemand war hier, aber die Schreie hallten unaufhörlich durch die Umgebung. Ich folgte ihnen in eine Seitengasse, von wo nun auch eine männliche Stimme drang. „Du verdammte Hure! Was erdreistest du dich, mir zu sagen, dass ich dir nicht genug zahle? Alles was ich dir billigen Stück Fleisch zahle, ist schon zu viel!“ Ein Knall hallte durch die Gasse und meine Schritte wurden schneller, denn dieses Knallen, es klang eindeutig als würde man auf etwas einschlagen. Mit einem Stock oder einer Peitsche. Ein Geräusch, welches ich zu gerne nie gehört hätte, aber hier in den Slums auch keine Seltenheit war. Niemand schien eingreifen zu wollen, jeder war sich selbst der Nächste. Das musste aufhören. Ich dachte gar nicht darüber nach, dass ich mich vielleicht selbst in Gefahr brachte und lief immer schneller auf den Urquell der Töne zu, bis ich sie schließlich sah. Eine halbnackte Frau, die am Boden lag. Risse zeichneten sich auf ihrer Haut ab, während der Mann, in wesentlich edlerer Kleidung, immer wieder mit einem Stock ausholte und auf die wimmernde Frau einschlug. „Hey!“ Mein Schrei hallte durch die Gasse und zog die Aufmerksamkeit des Mannes auf mich. „Lassen Sie die Frau in Ruhe! Sie bringen sie noch um!“ Die Frau am Boden, nutzte die Unaufmerksamkeit des Mannes und erhob sich wankend, um so etwas von ihrem Peiniger wegzukommen. Ein gutes Zeichen, dass sie sich so weit noch bewegen konnte, allerdings hatte ich diese ganze Situation nicht richtig bedacht, denn nun fokussierte sich die Wut des Mannes auf mich, dem es nicht gefiel, dass man sich in seine Angelegenheiten einmischte. „Was willst du Miststück? Pass auf wie du mit mir redest!“ Er schien sein erstes Opfer vollständig vergessen zu haben, mich allerdings dafür um so mehr anzuvisieren, denn er stürmte mit erhobenen elastischen Stock auf mich zu. Erschrocken wich ich zurück und folgte meinen noch vorhandenen Trieben, die mir rieten, dass die Flucht wohl besser war. Ich wandte mich auf der Stelle um und lief so schnell ich konnte, mein erworbenes Gut fest in den Händen, den Weg zurück wie ich ihn gekommen war. Der Adelsmann aber folgte mir und war sogar schneller, als seine fülligere Statur vermuten ließ. Um meine Kondition stand es selbstverständlich nicht so gut, noch dazu machte sich der Sonnenbrand gerade schmerzhaft bemerkbar, da mein weißes Oberteil, welches ich mir für meine Freizeit besorgt hatte, auf den roten Stellen rieb. Schwer atmend lief ich einfach nur, was meine Beine hergaben, endete aber in einer Sackgasse, die sich durch aufgestapelte Kisten bemerkbar machte. Sie waren zu hoch aufgestapelt, so dass es für mich keinen Weg gab, darüber zu klettern. „Hab ich dich, du Miststück...“, knurrte der Adelsmann schwer atmend hinter mir. Mit dem Wissen was kommen würde, wandte ich mich zu ihm um. Er war selbst langsamer geworden, denn er hatte mich in der Falle. Einige Meter vor mir blieb er stehen und auf seiner Fratze zeichnete sich ein gehässiges Grinsen ab, bevor er erneut loslief und mit erhoben Stock auf mich zukam. Im Geiste spürte ich bereits den Schlag des Stockes und schloss die Augen, weil ich meinen Angreifer so einfach nicht ins Gesicht sehen wollte, doch der Schlag blieb aus. Verwundert sah ich auf und entdeckte den Mann bewusstlos am Boden liegen. Ein Blick durch die Gasse verriet mir, was passiert war. Er war mitten in einen Holzbalken gelaufen, der aus einer kleinen Seitenstraße herausragte. Seltsam, vorher war dieser Balken nicht da gewesen, aber nun... „Mieses Schwein...“ Eine Stimme kam aus der Seitenstraße. „Du vergreifst dich nicht noch einmal an schwachen Frauen.“ Der Balken wurde fallen gelassen und aus der Gasse trat eine Frau, deren Anblick eine Erinnerung in mir wach rüttelte. Rastazöpfe, wie die von Kassim. Piercings an den Ohren und einer an der Unterlippe. Ja, ich kannte diese Frau inoffiziell, sie war ein Mitglied der Nebelbande und sie hatte mich gerettet. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Ich nickte bloß auf ihre Frage, denn ich hatte mit etwas anderem gerechnet, als damit gerettet zu werden. Mein Herz raste wie wild und das nicht nur, weil ich schnelles Weglaufen einfach nicht gewohnt war, sondern einfach, weil das Adrenalin mir einen deutlichen Schub wegen der anstehenden Gefahr verpasst hatte. „Du bist kein Bewohner der Slums.“ Ihre Worte klangen harsch, als sie aufgrund meiner Kleidung diese Feststellung tätigte und ich nickte erneut. „Was suchst du dann hier?“ „Verlaufen“, antwortete ich wahrheitsgemäß, wobei ich mehr nicht zustande brachte. „Und er? Warum verfolgt er dich?“ War das hier ein Verhör? Oder warum misstraute sie mir? Ich meine der Typ wollte mich verprügeln, mehr in Nöten konnte man doch nicht sein, oder? „Er hat eine Frau verprügelt und ich habe dabei gestört.“ Eine Zeit lang beäugte mich das Mitglied der Nebelbande kritisch, ließ allerdings von dem Verhör ab und lief in Richtung des Ausganges der Gasse. „Komm mit, ich bring dich hier besser weg. Jemand wie du gehört nicht hier her.“ Jemand wie ich? Das klang doch schon arg böse, auch wenn ich aus ihren harschen Worten einen Hauch Sorge herauszuhören glaubte. An sich waren die Mitglieder der Nebelbande ja auch keine schlechten Menschen. Sie teilten das was sie stahlen schließlich auch. Und im Prinzip wünschten sie sich auch ein besseres Leben für die Menschen in den Slums und in ganz Balbadd. Was ich nachvollziehen konnte. Schweigend lief ich hinter der Frau her und versuchte mich zu erinnern, wie sie hieß. Ihr Name war mir leider nicht so geläufig wie der Kassims, was nicht verwunderte, immerhin war sein Name auch nach dem Balbadd-Arc noch häufiger gefallen. „Wohin wolltest du?“ Vollkommen unvorbereitet riss sie mich aus meinen Gedanken, weswegen ich zu ihr sah. Richtig, ich hatte ihr ja erzählt, dass ich mich verlaufen hatte. „Zum Hafen.“ Irgendwie brachte ich es einfach nicht über mich mit ihr vollständige, viele Sätze zu reden. Sie wirkte furchteinflößend, vielleicht lag das aber auch eher daran, dass ich wusste, dass sie ein Mitglied der Nebelbande war. Verdammt. „Du folgst einfach diesem Weg. Immer geradeaus.“ Sie wies mir eine Richtung und wenn das wirklich alles war, was ich tun musste, war ich zufrieden. „Uhm... Danke. Also auch wegen vorhin.“ Sie hatte sich wirklich meinen Dank in doppelter Hinsicht verdient, denn wegen ihr hatte ich mich nicht verlaufen. Noch dazu blieb ich von blauen Flecken verschont. Sie schien sich allerdings nicht sonderlich viel aus meinem Dank zu machen, denn sie wandte sich von mir ab und lief zurück in die Tiefen der Slums, die ich in Zukunft wohl besser mied. Zumindest sagte mir das meine Vernunft.   Auch wenn ich den Hafen lange nicht mehr gesehen hatte, hatte sich nichts hier verändert. Reges Treiben zwischen arm und reich herrschte, während Seemänner die Fracht eines riesigen Schiffes entluden. Die Flagge, welche im Wind wehte, zeigte deutlich das Wappen des Kaiserreichs Kou, was mir nur offenbarte, dass hier wohl der Nachschub für den großen Markt kam. Seltsam, wenn man bedachte, wie verarmt Balbadd mittlerweile schien. Vielleicht war das hier auch viel eher der Nachschub für das Königshaus, denn sie schienen die einzigen zu sein, die sich soviel Waren noch leisten konnten. Oder waren auf dem Schiff sogar Mitglieder der Kou-Familie? Erneut von Neugier angetrieben, weil ich schon gerne noch ein paar mehr „vertraute“ Gesichter sehen wollte, suchte ich mir einen Platz, durch den ich das Schiff besser sehen konnte. Doch nichts. Nur fremde Gesichter waren zu sehen, was mich doch schon ein wenig entmutigte. Abgesehen von Kassim und der Frau heute, hatte ich wirklich keine bekannten Magi-Fandom Charaktere gesehen. Keinen Sinbad, keinen Aladdin, keinen Alibaba... War ich vielleicht viel zu früh hier gelandet? Waren Aladdin und Alibaba vielleicht gerade noch beim Dungeon-Arc? Oder war Alibaba gerade auf den Weg nach Balbadd? Seufzend wandte ich mich vom Anblick des Schiffes ab. Wann ich das erfahren würde, stand wohl noch in den Sternen. Fakt war, dass seit meiner Ankunft gut zwei Wochen vergangen waren. Zwei Wochen... Wie lange würde ich noch hier bleiben? Wie viele Menschen würden noch ein Teil meines Lebens hier werden? Würde ich jemals wieder zurückkehren? Ich blickte hinaus aufs weite Meer, während ich zurück zum Hafeneingang ging. Ich gehörte nicht in diese Welt und doch hatte ich es geschafft mir in kurzer Zeit etwas wie ein Leben aufzubauen. Doch was, wenn ich niemals die bekannten Gesichter aus dem Magi-Fandom sehen würde und einfach nur tagein tagaus dazu verdammt war hier zu leben? War das mein Schicksal? Mich fröstelte dieser Gedanke unweigerlich. Das hier war einfach nicht mein Leben. Es durfte das nicht werden, auch wenn ich mich für den Moment damit arrangieren musste.   **~~**   Seit meines ungewollten Ausfluges in die Slums waren ungefähr drei Tage vergangen. Dank der Arbeit hatte ich allerdings nicht die Zeit erneut einen Rundgang durch Balbadd zu machen, so dass mir viele Wege und Gebäude noch vollkommen fremd waren. Noch dazu fehlte mir in gewisser Weise die Routine bestimmte Wege erneut zu gehen und so die Stadt besser kennenzulernen. Das war einfach deprimierend. Mir fehlte auch das Wissen, wann Assad, der sich in den letzten Tagen wahrlich als Sklaventreiber herausgestellt hatte, mir wieder etwas Zeit und Spielraum gab, um noch den ein oder anderen Rundgang zu machen. „Ich kann echt nicht mehr, Ameen...“, jammerte ich herum und ließ mich erschöpft auf einen Schemel sinken. Der Koch lachte nur und platzierte vor mich einen Becher mit Saft. „Ich habe vier Geschichten erzählt, das Gemüse geschnitten, dutzende Teller getragen, Die Zimmer oben aufgeräumt, mit Cecilia das Umkleidezimmer aufgeräumt... Ich kann nicht mehr... Mein Sonnenbrand tut weh, mein Körper ist taub und ich habe lange nicht mehr ausgeschlafen...“ Ich weiß, an sich hatte ich nur einen normalen, balbaddischen Arbeitstag im Freudenhaus hinter mir, aber für mich, die noch nie körperlich so hart hatte schuften müssen, war es die Hölle gewesen. Selbst nach über zwei Wochen. Wobei... Besonders an diesem Tag hatte ich das Gefühl, dass Assad mich härter als gewöhnlich hatte schuften lassen. Hatte ich etwas falsch gemacht? Wofür bestrafte mich der Dämon nur? „Ja, Assad sollte aufpassen, nicht das du noch irgendwann das Ebenbild von Cecilia wirst.“ Finster sah ich Ameen an. Es gab echt Scherze, die er sich sparen konnte, was er nur zu gut wusste und dennoch fürchtete er sich nicht, sie auszusprechen. „Idiot...“, murmelte ich und entleerte den Becher Saft mit wenigen großen Zügen. „Erenya...“ Ich schrak auf, als ich Assads Stimme vom Eingang hörte, denn sie bedeutete an diesem Tag nichts Gutes. Ich fürchtete bereits, irgendwelche Säcke schleppen zu müssen und das nur weil Assad scheinbar noch nicht genug davon hatte mich zu quälen. Sklaventreiber. „Du kannst gehen. Sadiq wartet auf dich.“ Okay, ich gebe zu, dass waren nicht die Worte, die ich erwartet hatte zu hören und doch hörte ich sie. Sadiq wartete auf mich? Das war wirklich selten. Für gewöhnlich brachte er mich nicht zur Arbeit oder holte mich ab. Er betrat das Freudenhaus alleine und verließ es auch wieder so. „Sadiq? Der Sadiq?“, fragte ich um sicher zu gehen. „Kennst du einen anderen?“ Nein. Natürlich nicht. Damit hatte Assad Recht. Immerhin, seine Antwort war klar und deutlich. „Dann, uhm... Bis morgen, Ameen. Einen schönen Abend noch, Assad.“ Ich erhob mich von meinem Schemel und verließ die Küche, in den Gästebereich, wo auch wirklich Sadiq mit einem breiten Grinsen stand und mir zu winkte. Gruselig. Irgendwas ging doch hier vor sich, oder wurde ich einfach paranoid, weil ich wie ein Tier geschuftet hatte? „Lust auf eine kleine Reise durch die Stadt?“ Misstrauisch beäugte ich Sadiq, als er mir diese Frage stellte. Es war definitiv etwas seltsam dabei. Ich meine, er hatte mich nicht auf den großen Markt begleiten wollen und nun wollte er mit mir durch die Stadt reisen? „Du meinst 'Lust auf eine kleine Reise zum Sklavenmarkt'?“ Ich bemühte mich nicht, mein Misstrauen zu verbergen, was Sadiq auch ganz offen bemerkte. Doch sein sorgloses Lächeln schwand nicht. Im Gegenteil er nahm meine Hand und sah mir tief in die Augen, als wollte er versuchen irgendeinen bedeutungsschwangeren Moment voller Liebe und Gefühle zu erwecken. „Du hast dir das sehr zu Herzen genommen. Dabei weißt du doch, dass ich ein Lügner bin. Niemals könnte ich dich auf einem Sklavenmarkt verkaufen. Du bist doch meine Mieterin.“ Welch Ironie, dass ich mir nicht sicher war, was nun die Lüge war. Das jetzt, oder das vom Tag, an dem ich alleine auf dem großen Markt gewesen war. Sadiq wusste das ganz genau. „Lass mich vor Assad nicht wie einen Bösewicht dastehen.“ Seine Worte waren mehr ein Flüstern, denn Assad stand bereits hinter uns und betrachtete diese ganze Szene mit einem strengen, fast schon erbosten Blick. „Ist ja gut, ist ja gut. Dann zeig mir halt etwas von der Stadt. Wie kann ich Nein sagen, wenn du so aufdringlich bist?“ Ich seufzte inbrünstig und ergab mich Sadiqs Willen. Ich war in so etwas einfach nicht gut. Im 'Nein' sagen meine ich. Fragte man mich auf Arbeit: „Hey~ Erenya, willst du eher nach Hause gehen und so weniger Geld verdienen?“, antwortete ich mit Ja. Solange man mich überrannte und mir nicht die Zeit zum nachdenken gab, oder mich unter Druck setzte, konnte man definitiv mit einem „Ja“ rechnen. Immer. „Dann folge mir. Ich zeige dir einige der wohl schönsten Orte Balbadds.“ Einige der wohl schönsten Orte Balbadds? Warum klang das aus Sadiqs Mund so, als hatte er wirklich vor mich auf dem Sklavenmarkt zu verschachern? Wobei, gab es hier in Balbadd überhaupt einen Sklavenmarkt? Ich war mir da nicht ganz so sicher. Bei Kou hingegen war ich mir sicher, aber hier in Balbadd... Es zeigte sich erneut, dass mein Wissen über diese Welt mehr als begrenzt war, aber vielleicht konnte Sadiq das ja ändern, natürlich nur, wenn er mich nicht auf dem doch vorhandenen Sklavenmarkt verkaufte.   **~~**   Ich kannte dieses Hotel nur aus dem Anime, doch in Natura wirkte es noch viel glamouröser und unbezahlbarer. Unglaublich, einfach unglaublich. „Hier ist das wohl nobelste Hotel Balbadds. Diplomaten, Könige, Vertreter verschiedener Königreiche steigen hier ab und genießen den puren Luxus. Hier wird den Gästen jeder Wunsch erfüllt und Gerüchten zufolge ist das Essen hier sogar noch luxuriöser als das was König Ahbmad zu sich nimmt.“ Ich staunte wirklich nicht schlecht, als ich vor dem Gebäude stand, auch wenn mir ehrlich nicht klar war, warum Sadiq mich hierher gebracht hatte. Das Hotel stand im wohl pompösesten Teil des Adelsviertels und das Kommen und Gehen war geschäftiger als am großen Markt. „Natürlich beziehen auch sehr vermögende Händler ihre Zimmer hier. Allerdings liegen diese außerhalb der Preisklasse deines Gehaltes.“ Ich wurde hellhörig, als die Betonung von Sadiqs Worten mehr auf meinem Gehalt lag. „Und deines reicht dafür?“, fragte ich und sah zu Sadiq, der mich breit angrinste. „Natürlich, ich bin immerhin ein Prinz.“ Und wieder hatte er seinen Beruf gewechselt. Wobei, konnte man Prinz als Beruf sehen? Eher als Berufung. „Dann kannst du mir sicher sofort eines der Zimmer zeigen, oder?“ Es war eine Herausforderung, mit der ich sehen wollte, wie Sadiq sich in seinen eigenen Lügen verstrickte. Sicher, er war kein armer Schlucker, dass zeigte seine saubere Kleidung und der Besitz eines eigenen Hauses mit der schmucken Innenausstattung, nur zu deutlich, aber mit Sicherheit besaß er keine so großen Ersparnisse, um auch nur eine Nacht hier in dem Hotel unterkommen zu können. „Du bist heute ganz schön mutig, Erenya. Mich zu bitten, mit dir zusammen ein Hotelzimmer zu beziehen. Steckt hinter deinem unschuldigen Aussehen, doch eine Femme Fatal?“ Die Schamesröte schoss mir augenblicklich in die Wangen. Er hatte mich entwaffnet, ohne sich selbst als Lügner zu outen. Wie konnte ich jetzt, nach seinem Spruch, noch darauf beharren mit ihm ein Zimmer zu beziehen? Unmöglich. „Lassen wir es... Das wir uns gemeinsam deine Unterkunft teilen, reicht ja schon.“ Eilig winkte ich ab und wandte meinen Blick wieder zu dem Hotel. „Sag mal, Sadiq... Ist es hier immer so geschäftig?“ Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass man an so einem Ort immer herumlief wie ein aufgeschreckter Schwarm Bienen. Es schien fast so, als bereitete man sich auf einen hohen Besuch vor. Vielleicht auf den Besuch von Sinbad? Bei dem Gedanken klopfte mein Herz wie wild. Ich hatte ja schon den Wunsch, den König Sindrias mitsamt seiner zwei Begleiter zu sehen, aber ich wusste nicht, ob ich bereit dafür war, wenn das so plötzlich geschah. „Ich habe gehört das ein paar wichtige Diplomaten aus Kou her gekommen sein sollen. Genaueres weiß ich aber auch nicht. Es sind Gerüchte, die im Adelsviertel kursieren.“ Im Adelsviertel? Erneut sah ich Sadiq an. Er wurde immer mysteriöser, denn wenn er solche Informationen aus dem Adelsviertel hatte, konnte das doch nur bedeuten, dass er häufiger dort vor Ort war. Erneut fragte ich mich, wer Sadiq wirklich war.   Als Sadiq mich tiefer in das Adelsviertel führte und seine Schritte so gezielt waren, wurde mir nur noch mehr deutlicher, dass er wohl öfter hier her ging. Er schien wirklich alle Schleichwege zu kennen und führte mich so, unbemerkt von den Adligen die hier in Saus und Braus lebten, in einen wunderschönen Garten. „Und das, werte Prinzessin, ist der Garten Eden von dem Ihr neulich erzählt habt.“ Dunkel erinnerte ich mich daran, dass ich die Geschichte von Adam und Eva erzählt hatte, allerdings mit ein paar Abweichungen um Diskussionen über Gott und die Welt zu vermeiden. Dennoch war die Vorstellung von dem Paradies bei allen gleich gut gefruchtet, scheinbar auch bei Sadiq, der an diesem Abend zugegen gewesen war. Er hatte sich augenscheinlich wirklich viele Gedanken darüber gemacht, denn der Garten entsprach so ziemlich dem, was man sich als Paradies in einer solchen Stadt wie Balbadd wirklich vorstellte. Grün überall, verschiedene Blumen und ein Baum der voller Früchte hing. Sadiq ging auf eben diesen Baum zu und pflückte einen rosafarbenen Pfirsich, den er mir entgegenhielt. „Und hier ist die Frucht, die Euch von allen Zaubern erlösen wird.“ Sadiq sagte das mit so einer ernsten und glaubwürdigen Stimme, dass ich nicht anders konnte als zu lachen, während ich den Pfirsich nahm. An ihm war echt ein Schauspieler verloren gegangen, auch wenn man ihm im Privaten keine einzige Rolle abgekauft hätte. „Und du willst ein Prinz sein?“, fragte ich belustigt und biss in den Pfirsich, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob das hier als Mundraub galt, oder ob jemanden dieses kleine Paradies gehörte. Mit Sadiq an meiner Seite, war es leicht diese Gedanken auszublenden. „Wie Prinz? Ich bin doch ein Leibwächter.“ Berufswechsel Nummer zwei. Ich war gespannt, wie oft er seinen Beruf heute noch wechseln würde. Viel hatte er sicher nicht mehr zur Auswahl. Dennoch, es warf nur wieder einmal mehr die Frage auf, wer Sadiq wirklich war. Ob ich ihn fragen und er mir die Wahrheit sagen konnte? Oder hatte er mir die Wahrheit unter all den Lügen schon preis gegeben und ich hatte es bloß nicht bemerkt? „Du Sadiq... Wer bist du wirklich?“ Unter all der Flut von Gedanken, war es meinem Hirn doch tatsächlich gelungen den Befehl, diese Frage zu stellen, wirklich zu geben. Erwartungsvoll, sah ich den Mann vor mir an, dessen Blick ernst wurde, sich aber von mir abwandte, so als versuchte er meinem Blick auszuweichen. „Das könnte ich dich auch fragen... Wer bist du wirklich, Erenya?“ Eine Gegenfrage. Damit wollte Sadiq definitiv vom eigentlichen Thema ablenken. Aber nicht heute, nicht mit mir. „Ich habe dich gerade gefragt, wer du bist. Du lenkst schon wieder ab. Ich will mehr von dir wissen und du weichst aus, oder erzählst Lügen. Warum? Was willst du mit all diesen Lügen verbergen?“ Ein tiefes Seufzen folgte auf meine Fragen und wie schon an dem Tag, an dem ich Sadiq darum gebeten hatte, mich zum großen Markt zu bringen, verfinsterte sich sein Blick. „Solltest du nicht selbst erst offener mit anderen werden, bevor du verlangst, dass sie offen mit dir sind? Du sagst, dass du nicht mehr weißt woher du kommst und doch kannst du so viele Geschichten aus deiner Heimat erzählen. Von deiner Heimat weißt du noch alles, aber nicht wie sie hieß oder wie du hier her kommst? Sag mir, Erenya, wer von uns beiden ist da der größere Lügner?“ Ich hatte schon lange Zeit geahnt, dass es Misstrauen wecken müsste, wenn ich so viel von meiner Heimat erzählte, allerdings nicht woher ich kam oder wie ich her kam. Allerdings war ersteres schwer zu erklären und zweiteres entsprach sogar der Wahrheit. „Du bist nur ehrlich wenn du schläfst, denn im Schlaf versuchst du nichts zu verheimlichen. Du redest dann von all diesen Menschen und Dingen, die es hier in diesem Königreich nicht gibt. Ebenso wenig gibt es diese Dinge in Kou. Und...“ Sadiq hielt in seinen Erklärungen inne und schenkte mir einen erzürnten Blick, der mich wenige Schritte zurückweichen ließ. „Du sprichst eine Sprache die es hier nicht gibt... Wer bist du also?“ Oh verdammt, ich sprach also hier auch im Schlaf und das nicht nur in der allgegenwärtigen Sprache, sondern auch der mir bekannten deutschen. Natürlich würde da jemand misstrauisch werden, wenn er das hörte und da ich bei Sadiq wohnte, war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er es mitbekommen hatte. „Hast du noch nie von Dingen geträumt, die es nirgends gibt? Ich bin Geschichtenerzählerin, natürlich denke ich mir da Sachen aus, die hier nicht existieren, die aus einer anderen Welt kommen könnten. Dafür ist mein Kopf und meine Fantasie ja da, sich so etwas auszudenken.“ Es musste logisch klingen. Nur einmal musste das, was ich sagte logisch klingen, bevor Sadiq die Wahrheit aus mir heraus presste. Schweigend sah er mich an, seufzte tief auf und setzte sein gewohntes Lächeln auf, was mir die Sicherheit gab, dass er mir glaubte. „Wenn du das so willst... dann erwarte nicht, dass ich ehrlich zu dir bin.“ Seine Worte straften dieses falsche Lächeln lügen. Er glaubte mir kein Stück und doch würde er nicht weiter bohren. Vielleicht deswegen, weil er sich mir dann auch nicht öffnen musste. „Komm mit, ich zeig dir den Palast.“ Die Stimmung war eindeutig ruiniert, weswegen das Paradies nicht mehr so paradiesisch wirkte und es wohl wirklich besser war, wenn wir es verließen. Dennoch, dass Unbehagen über die Ungewissheit, wer Sadiq wirklich war, schwebte immer noch wie ein Damoklesschwert über mir.   Vielleicht war es die Ruhe vor dem Sturm, aber die Tore des Palastes waren mit einer großen Anzahl von Wachen besetzt. Ich erinnerte mich an die Bilder, als die Bewohner versuchten hier einzudringen um ihren aufgestauten Emotionen Luft zu machen, doch wahrscheinlich würde das noch einige Zeit weiter brodeln müssen, bis das so weit war. „Und hier lebt sie... Die Königsfamilie.“ Im Gegensatz zum Hotel und dem Garten „Eden“ sparte sich Sadiq größere Erklärungen für diesen Ort. Ihm schien dieses riesige Symbol, welches der Palast für das Königshaus war, nicht sonderlich zu interessieren, geschweige den von Bedeutung zu sein. Ob hier etwas vorgefallen war? „Warst du schon einmal im Palast?“ Auch wenn das Gespräch von zuvor noch tief in meinen Gedanken saß, hatte ich nicht aufgegeben. Ich wollte immer noch mehr über Sadiq wissen. „Ich war hier mal Berater, natürlich.“ Eindeutig eine Lüge. Sadiq machte sich gerade nicht einmal die Mühe das zu verbergen. Im Gegenteil, damit zeigte er mir noch mehr, dass er nichts von sich Preis geben würde. „Wie ich sehe wird Ahbmad aber auch heute keinen Fuß vor die Tür setzen. Feigling.“ Es war die einzige, wohl ehrliche Regung, die ich von Sadiq mitbekam. Der Hass auf Ahbmad. Ein Hass, der sicher weite Wellen schlug und das nicht nur in Slums. Mit Sicherheit gab es auch Menschen im Adelsviertel, die den König gerne entthront wussten, aber mit Sicherheit nicht genug Mumm aufbrachten, um das nach außen hin offen zu zeigen. „Sag mal, Sadiq... Wenn Ahbmad entthront werden würde, wer würde Balbadd dann regieren?“ An sich war das keine schwierige Frage und die Antwort lag schon auf der Hand, noch bevor die Frage selbst überhaupt gestellt war. „Sicher derjenige, der ihn vom Thron stürzt.“ Genau das hatte ich mir gedacht. Schließlich, wenn ich mich recht entsann, arbeitete Kassim mit seiner Nebelbande darauf hin. „Aber wird es Balbadd dann besser gehen? Was kommt dann? Was würde jemand aus den Slums, der plötzlich König wäre zum Beispiel tun?“ Wie weit waren solche Pläne gedacht? Hatte man sie überhaupt überdacht? König sein war ja schön und gut, aber wenn man letzten Endes den Wandel auf den blutigen Pfaden des Volkes weiterführen wollte, war das doch nicht richtig, oder? „Es wäre ein steiniger Weg. Die Frage ist, ob das Volk Balbadds sich dessen bewusst ist und ob sie dann noch die Kraft haben, auch dieses Hindernis zu überqueren.“ Sadiqs Blick, obwohl er auf dem Palast ruhte, schien doch in weite Ferne zu gehen, so als wäre er gar nicht in dieser Welt. „Bitte, lasst mich zum König!“ Ein verzweifelter Schrei erweckte meine Aufmerksamkeit die sich nun auf die Wachen richtete, die einer alten, verwahrlosten Frau den Weg versperrten. „Verschwinde! Der König empfängt euch Gesindel nicht!“ Mit brachialer Gewalt stießen die Wachen sie von sich, doch die alte Frau dachte nicht daran, aufzugeben und versuchte erneut an den Wachen vorbeizukommen. Wieder versperrte man ihr den Weg. „Komm mit... Das musst du nicht sehen.“ Als wüsste Sadiq, was kommen würde, griff er nach meinem Arm und zog mich von dem Geschehen weg. Die verzweifelten Schreie der Frau, hallten jedoch in meinen Erinnerungen wieder und erweckten nur zu deutlich ein Bild von dem, was ihr blühte, weil sie in ihrer Hoffnung den Willen besessen hatte, sich gegen einen Befehl der Wachen aufzulehnen.   **~~**   Selbst am nächsten Tag, als ich wieder meinen gewohnten Weg zur Arbeit ging, war mir dieses Bild von der alten Frau vor dem Palast nicht aus dem Kopf gegangen. Ich hatte nun einiges an Facetten von Balbadd gesehen, doch hinter ihnen verbarg sich immer wieder diese schleichende Vorahnung, dass die Stadt bald, symbolisch gesehen, in Flammen stehen würde. Wie viele Wochen würde bis dahin vergehen? Oder waren es vielleicht, ohne meines Wissens, nur Tage? Mit diesen Gedanken im Hinterkopf betrat ich Assads Freudenhaus, welches für diese Zeit ungewöhnlich leer war. Ich sah keines der Mädchen und auch keinen Gast, abgesehen von Assad, der sich mit einem großen, hünenhaften Mann unterhielt. „Wie immer...“, hörte ich Assad sagen, wobei sein Blick ernster als gewohnt auf dem Hünen hing, der nur nickte. „Wir sehen uns dann“, schien die Antwort des Mannes zu sein, der sich von Assad abwandte, wodurch ich nun erkannte, wer dieser Mann war. Ein Mitglied der Nebelbande. Bzw. einer der drei die diese magischen Utensilien besaßen. Ihn hätte ich sicher nicht vergessen, denn mit seinem verbundenen Auge, der Narbe und den Dreadlocks war es ja wohl eindeutig, dass er einer von Kassims Leuten war. Doch was machte er bei Assad? Was hatten sie besprochen? „Hast du nicht gesagt, dass die Mädchen erst später kommen?“ Das Nebelbandenmitglied hatte mich bemerkt, was kein Wunder war, da ich ja schon so offen an der Tür stand und auch nicht daran gedacht hatte, mich zu verstecken. „Erenya ist immer viel zu früh da. Mach dir keinen Kopf um sie.“ Genau. Warum sollte man sich einen Kopf um mich machen? Assad war wirklich der Charmebolzen in Person. Dennoch, das Mitglied der Nebelbande beäugte mich misstrauisch. Wie schon die Frau aus den Slums. Wirkte ich wirklich so verdächtig? Oder hatte mir Ugo bei meiner Ankunft hier irgendetwas verpasst, was andere sahen, aber ich selbst nicht? Wenn ja, würde Ugo das bereuen. Definitiv. „Steh nicht wie angewurzelt da, geh ins Umkleidezimmer.“ Wie gewohnt war an Assads Aufforderungen keine höfliche Bitte gebunden. Es war ein Befehl und wie gewohnt folgte ich diesem auch. Es war sowieso besser Assad nicht zu widersprechen, oder sich gegen ihn aufzulehnen. Zumal hinter diesem Befehl wohl eine Methode steckte, die mich vor dem Nebelbandenmitglied schützen sollte. Zumindest redete ich mir das ein. Gleichzeitig aber fragte ich mich, ob Assad nicht vielleicht selbst ein Mitglied der Nebelbande war. Als Besitzer des Freudenhauses hätte das sicher niemand von ihm gedacht. So konnte immerhin er verdeckt handeln und agieren und Kassim und seine Anhängerschaft mit wichtigen Informationen versorgen. Das klang doch logisch, oder? Im Umkleidezimmer ließ ich mich auf der Sitzbank vor dem Spiegel nieder und betrachtete mich in dessen Reflexion. Von dem Mir aus meiner Welt, war abgesehen von den dunkelblonden Haaren und den braunen Augen nicht mehr viel übrig geblieben. Hätte ich nicht gewusst, dass ich mich gerade selbst ansah, ich hätte es wohl nicht bemerkt. Doch mich sah nicht nur diese Unbekannte im Spiegel an. Ich sah auch die roten Flächen auf meiner Oberweite und Schultern, die sich scheinbar wie ein Geschwür auszubreiten schienen. Vorsichtig strich ich über die betroffenen Stellen und spürte nur bei der hauchzarten Berührung einen seichten Schmerz durch meine Schulter fahren. Wenn das weiter so ging, verbrannte ich wirklich noch, aber niemand schien ein Mittel dagegen zu wissen. Es war einfach deprimierend. „Hier, Suleika hat mir das für dich gegeben...“ Ich zuckte zusammen, als Assads Spiegelbild so plötzlich hinter mir aufgetaucht war, als wäre er eine Katze. Er hielt seinen Arm über meine Schulter und reichte mir so ein irdenes Töpfchen mit einem großen Korken. „Suleika?“, fragte ich nur misstrauisch. Vorstellen konnte ich mir nicht, dass sie mir irgendetwas geben wollte. „Gegen deine roten Flecken. Die Salbe soll kühlen und noch dazu gegen die Sonne schützen. Du solltest dich später bei ihr bedanken.“ Misstrauisch nahm ich das Töpfchen entgegen und entkorkte es, wobei ich an diesem schnupperte. Die Salbe roch nicht schlecht. Sie hatte eigentlich fast gar keinen Eigengeruch, weswegen man sie wohl wirklich ohne Bedenken auftragen konnte. Dennoch ließ ich nicht alle Vorsicht fahren und stippte mit dem Finger in die Salbe, die sich sofort an meine Fingerspitze schmiegte und wirklich eine gewisse Kühle über die betroffene Stelle gab. Den kleinen Tropfen verrieb ich auf einer Stelle an meinem Arm und spürte sofort ein wohltuendes, kühles Ziehen. Sofort war alle Vorsicht vergessen, ich wollte nur noch, dass der Schmerz endlich wich und ich ohne größere Bedenken weiter in die Sonne gehen konnte. „Wer war das eben gerade eigentlich?“ Da Assad noch nicht das Zimmer verlassen hatte, dachte ich mir, dass er vielleicht nichts gegen eine seichte Konversation einzuwenden hatte. Und das einzige Thema was mir gerade in den Sinn kam, war eben der Besuch des Nebelbandenmitgliedes. „Hassan? Er ist ein alter Freund von früher.“ Ein alter Freund? War es wirklich nur das? Vertraut hatte mir das Gespräch nicht gewirkt, was vielleicht auch daran gelegen hatte, dass ich nicht viel von der Unterhaltung mitbekommen hatte. Dennoch schien Assad nicht interessiert daran, mit mir über dieses Thema zu reden, weswegen sich erneut die Stille zwischen uns legte. „Soll ich deinen Rücken einsalben?“ Deswegen war er also nicht gegangen. Er hatte mir noch mit der Salbe helfen wollen, weswegen ich ihm das Töpfchen entgegenhielt und ihm meinen Rücken zuwandte, wobei ich meine Haare nach oben hob. Schweigend setzte er sich hinter mich und rieb mir die Salbe auf die freien Stellen meines Körpers, was mir angenehme Schauer über den Rücken jagte, dank der erfüllenden Kühle. Wahrscheinlich musste ich Suleika wirklich danken, auch wenn ich keine Ahnung hatte wie. „Hast du dich bereits eingelebt?“ Die Frage Assads kam doch schon sehr spontan, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass er doch noch mit mir reden wollte. „Es geht... Vieles ist noch so ungewohnt. Zum Beispiel, dass einige Orte hier Huang verlangen. Oder ein Freudenhaus nicht gleich bedeutet, dass die Mädchen schlecht behandelt werden. Balbadd ist sehr facettenreich, allerdings glaube ich nicht, dass ich hier her gehöre.“ Es war nicht das erste Mal, dass ich diesen Gedanken hatte. Das hier war eben nicht meine Welt oder meine Heimat. Es war egal wie viele schöne Seiten Balbadd hatte, ich wollte in meinem tiefsten Inneren wieder zurück in meine vertraute Umgebung. „Wenn du dich nicht hier her gehörig fühlst, solltest du gehen.“ Assads Worte klangen schon sehr harsch, auch wenn er wohl recht hatte und doch kam mit ihnen gleichzeitig die Angst, meinen Platz hier zu verlieren. „Nur wohin?“ Meine Frage war eher ein leises Flüstern. Ich wusste nicht wohin. Meine Welt würde ich hier nicht finden. Das hatte ich schnell verstanden. Es würde nicht einfach so eine Tür mitten im Weg auftauchen, die mich zurück nach Hause brachte. „Das weißt nur du. Solange du aber keine Bestimmung für dich gefunden hast, wirst du das nicht wissen.“ Meine Bestimmung? Hatte ich vielleicht eine Bestimmung in dieser Welt? Wenn ja, was war das für eine? War es vielleicht meine Bestimmung den Weg zurück zu finden? Aber wie sollte ich dann wissen, wo ich danach suchen sollte? „Wenn dir noch nicht klar ist, was deine Bestimmung ist... kannst du hier bleiben. Solange bis du dir dessen bewusst bist. Sag einfach Bescheid, wenn du sie gefunden hast.“ Assad erhob sich von seinem Platz und ich konnte beobachten, wie er in Richtung der Tür ging. Ein gutes Herz. Ja, das hatte Assad eindeutig, auch wenn er es hinter harschen Worten nur zu gut zu verstecken wusste.   **~~**   Es war zum Haare raufen. Es ergab sich überhaupt keine wirkliche Gelegenheit sich bei Suleika zu bedanken. Sie ging mir die meiste Zeit aus dem Weg und wenn sie keine Chance dazu hatte, waren es Assad oder Ameen, die mich mit Arbeit überhäuften. Die einzige Möglichkeit, die ich an diesem Tag noch hatte, um Suleika zu danken, war vor ihrer Tanzeinlage. Dafür hatte ich sogar in Ameens Küche noch schneller als gewohnt geschuftet, so dass er keine andere Wahl hatte, als mich rauszuwerfen, da es keine Arbeit mehr gab. Erleichtert, es rechtzeitig zu schaffen, verließ ich die Küche und betrat den Gästebereich. „Du Hure! Was soll das heißen, du bietest deine Dienste nicht mehr an!“ Die Stimme desjenigen, der die sonst so ausgelassene Stimmung durchbrach, war eindeutig die von Dhakar, der mit hochroten Kopf vor Suleika stand. Ihre Haltung verriet deutlich, dass zwischen ihnen etwas vorgefallen sein musste, was weder ihr, noch ihm gefiel. „Sonst bist du dir doch nicht zu fein und nimmst jeden Mann der dich bezahlt ins Bett.“ Ein Blick durch den Raum verriet mir, dass Assad bereit war ein zugreifen. Doch nicht nur er, auch Sadiq, der heute wieder zu Gast war, hielt sich bereit, denn Dhakars Wutausbrüche waren legendär dafür, dass es mehr als einen Mann brauchte, um ihn aus der Balance zu bringen. „Es ist vorbei. Das heißt es. Ich bin nur noch als Tänzerin hier im Geschäft. Also fass mich nicht mit deinen dreckigen Pfoten an und verzieh dich!“ Suleikas Worte hätten deutlicher nicht sein können und gossen Öl ins bereits entfachte Feuer. Vollkommen außer sich, wandte sich Dhakar um und griff zu dem Schwert eines Seemannes, der es achtlos hatte neben sich hatte liegen lassen. Sofort griffen Sadiq und Assad ein, liefen auf Dhakar zu, der bereits seinen Arm erhoben hatte und das Schwert auf Suleika niedersausen ließ. Gestört in der Ausführung durch Assad, der ihn am Schwertarm packte, stieß er meinen Chef mit grober Gewalt von sich und schlug um sich, so dass die verbliebenen Gäste Deckung suchten. Selbst Sadiqs Versuche den rasenden Gast zu beruhigen schienen fruchtlos, so dass Suleika weiterhin in Gefahr schwebte. Sie hatte diese jedoch erkannt und war bereits zurückgewichen, während Assad nach einem Kissen griff und dieses auf Dhakar schleuderte. Der Kaufmann nutzte seine Waffe aber dafür, um das Wurfgeschoss zu zweiteilen, so dass die Füllung wie klumpiger Schnee zu Boden fiel. Nichts schien ihn aufhalten zu können. Sein Fokus lag viel zu stark auf Suleika, die verängstigt die Treppen hinauf lief. Selbst die Ablenkung, die Sadiq und Assad boten, wirkte nur minder und verschaffte Suleika gerade genug Vorsprung um in einem der Zimmer des oberen Stockwerkes zu verschwinden. Dhakar jedoch schien entschieden zu haben, sich nicht länger von den beiden Männern stören zu lassen und setzte auf die Treppe zu.   Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr genau seht, wie etwas geschieht, es aber nicht begreifen könnt, dass ihr es getan habt? Wenn ihr euch selbst wie von einer höheren Sphäre beobachtet, aber wisst, dass ihr keine Kontrolle über euren Körper habt? So einen Moment hatte ich gerade. Mein Körper hatte sich wie von selbst auf die Treppe zu bewegt. Schnell und ohne, dass mein Kopf diese Handlung so schnell verarbeiten konnte. Erst als ich Dhakar vor der Treppe den Weg versperrte und dessen erhobenes Schwert sah, welches mich aus dem Weg schaffen sollte, wurde mir bewusst, was für eine Dummheit ich unbewusst begangen hatte. Mit gemischten Gefühlen dachte ich an das Gespräch mit Assad zurück, dass ich meine Bestimmung finden sollte, um zu wissen wo ich hingehörte. In Anbetracht meines nahenden Todes, würde ich dazu aber nicht mehr kommen. Immerhin ertrank ich nicht in einer Pfütze. Dhakar ließ das Schwert ungebremst auf mich niedersausen und auch wenn Sadiq und Assad versuchten rechtzeitig zu ihm zu kommen, um ihn daran zu hindern, war es doch zu spät. Ich hatte bereits abgeschlossen, als das Schwert nahe über mir plötzlich zu halten schien. Von einer hell leuchtenden Macht, oder vielmehr den Rückstoß seiner eigenen, taumelte Dhakar zurück und sah mich mit großen Augen an. War das wirklich passiert? Erneut holte Dhakar aus, doch wie schon zuvor, prallte sein Schwert an etwas Leuchtenden ab. Etwas, das wie eine Barriere aus Licht war und mich umgab, als sei es ein magischer Schutzmantel der zu mir gehörte. Sadiq und Assad, die das mit angesehen hatten, fassten sich schneller als Dhakar und überwältigten gemeinsam den Mann, der entwaffnet zu Boden sank, mich aber immer noch mit diesen ungläubig geweiteten Augen ansah. Kapitel 4: Borg --------------- Nachdem Assad zusammen mit Sadiq Dhakar aus dem Freudenhaus geworfen hatte, hatte dieser mir mit recht eindeutigen Worten befohlen, mich in das Umkleidezimmer der Mädchen zurückzuziehen. Die anderen Mädchen schienen diesen Wink ebenfalls verstanden zu haben und hatten sich aus dem Zimmer zurückgezogen. In dem kurzem Moment der Ruhe, versuchte ich zu realisieren, was da eben passiert war. Dieser Schutzschild... Ja, er war mir nicht fremd aus dem Fandom. Allerdings besaßen ihn nur Magier. Nur Magier... 'Als ich ankam, habe ich die Rukh gesehen...' Ich erinnerte mich sofort wieder an meinen ersten Tag, als ich diese Lichtvögel gesehen hatte. Durch sie war ich überhaupt erst zu Assad gekommen. Diese Lichtvögel konnten ebenfalls nur Magier sehen. Zu Beginn hatte ich mir nichts dabei gedacht, ich meine, ich kam nicht aus dieser Welt. Vielleicht hätten da die hiesigen Regeln für mich nicht gegolten, aber Borg... Wieso Borg? Ich verstand das einfach nicht. Ich konnte das nicht glauben. An mir war so gar nichts magisch, ich beherrschte nicht einmal Zaubertricks. „Verdammte Scheune...“, wisperte ich leise und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Meine Arme hatte ich auf der Schminkkommode abgestellt, deren Wand der Spiegel war, über den die Mädchen sich begutachten konnten. Ich konnte mein Ebenbild zwischen einer Lücke meiner Finger sehen und erneut sah mich dieses fremde Ich an. „Borg...“ Erneut kam mir das Wort für diese Barriere in den Sinn. Ich sah Rukh und konnte Borg einsetzen. Das war doch ein blöder Scherz. Zufälle. Mit Sicherheit waren das nur Zufälle. Vielleicht ein Schutzmechanismus, den Ugo mir geschenkt hatte. Auch wenn ich nicht verstand, was es mir bringen sollte, Rukh zu sehen. Doch die weitaus wichtigere Frage war gerade, wie erklärte ich das Sadiq und Assad, oder sonst wem hier? Hätte ich nicht vorher wissen können, dass ich Borg konnte? Ich meine, dann wäre ich niemals auf die Idee gekommen diese „Von Räubern überfallen“ Geschichte zu erfinden. Nachdem jeder hier gesehen hatte, dass ich Borg konnte, würde mir das doch keiner mehr glauben. Mal davon abgesehen, dass sie sowieso misstrauisch genug waren. Verdammte Scheune. „Und, hast du dir eine neue Lüge zurecht gelegt?“ Schuldbewusst zuckte ich zusammen, als ich Assads Stimme hörte. Ich vermied es aber, ihn anzusehen, denn ich konnte es einfach nicht. Nicht mehr nachdem das mit Borg passiert war. „Nein... Weil ich ehrlich selbst nicht verstehe, was passiert ist.“ Ich holte tief Luft und seufzte auf. Wie sollte das auch ein normaler Mensch wie ich verstehen? Das war doch alles etwas viel. Erst landet man in einem anderen, nicht realen Universum und dann konnte man Borg. Ein Gutes hatte es ja, ich war nicht in einer Blutlache ertrunken. Die Pfützen und Meere dieser Welt hatten damit noch die Chance das zu erledigen. „Wer bist du?“ Assad hatte alles Recht dazu mich zu hinterfragen. Dennoch konnte ich ihm das einfach nicht sagen. Wie sollte er das auch verstehen? „Du würdest mir meine Geschichte nicht glauben... Aber... eines ist wahr. Ich weiß wirklich nicht, wie ich hierher gekommen bin. Bis eben wusste ich nicht einmal, dass ich... dass ich das kann.“ Ich vermied es den Namen des Schutzschildes auszusprechen, denn ein klein wenig Glaubwürdigkeit wollte ich mir doch noch erhalten. „Wie du willst... Morgen reden wir aber noch einmal über das gerade... Glaub nicht, dass du mir damit davon kommst.“ Ich horchte auf, als ich die Worte Assads vernahm. Ich hatte mit vielen gerechnet, aber nicht damit, dass er mich am nächsten Tag wieder sehen wollte. Wobei ich glaubte, dass der nächste Tag wohl das letzte Mal sein würde, dass ich ihn jemals wieder sah. Wer würde auf Grundlagen von Lügen schon jemanden wie mich in seinem Lokal arbeiten lassen? „Sadiq wartet übrigens draußen auf dich. Ihr solltet beide gehen. Ich kümmere mich um den Rest hier.“ Indirekt, war es für diesen Abend doch noch ein Rauswurf. Ich ergab mich also Assads Befehl und seinem Hausrecht, mit dem Wissen, dass ich am nächsten Tag wiederkommen würde. Dennoch war mir nicht klar, was dann kommen würde. Ebenso wusste ich nicht, was mich nun bei Sadiq erwarten würde. Ein unangenehmes Gefühl, wenn man es recht bedachte. Immerhin hatte dieser ja schon genug Misstrauen mir gegenüber. Doch das jetzt... Ich wollte eigentlich gar nicht wissen, was es in ihm ausgelöst hatte.   Die Atmosphäre die zwischen Sadiq und mir beim Gehen herrschte, war förmlich greifbar. Wir sprachen nicht miteinander sondern liefen einfach nebeneinander her. Mir fehlten die Worte um mit meinem Vermieter zu sprechen und ich wollte das Ganze nun auch nicht schlimmer machen und so vielleicht meine Unterkunft verlieren. Wieder von null anfangen, konnte ich einfach nicht. „Du bist also eine Magierin?“, fragte Sadiq schließlich und war derjenige, der diese Stille in sich zusammenbrechen ließ. „Nein.“ Momentan war dies für mich die ehrlichste Antwort, die ich geben konnte. Ich selbst sah mich nur wegen Borg nicht als Magierin. „Du versuchst immer noch zu lügen, nachdem Assad und ich diesen magischen Schild um dich gesehen haben? Entweder bist du unsagbar dumm oder einfach nur naiv.“ Sadiq gab sich nicht die Mühe seine Worte zu verschönern. Dieser lebensfrohe, dauerlächelnde Mann, den ich kennengelernt hatte, war wohl nur für Menschen bestimmt, die nicht wie ich waren. „Ich weiß wie das aussehen muss... aber... Ich bin keine Magierin. Da wo ich herkam, war ich nie eine. Ich bin über diese ganze Sache ebenso überrascht wie ihr und weiß gar nicht was das soll. Ich konnte so etwas noch nie.“ Wo war mein Borg geblieben, als ich vom Auto angefahren wurde? Richtig, da hatte ich keinen. Wieso ich also plötzlich hier Borg einsetzen konnte, blieb mir ein Rätsel. Aus meiner Sicht, hatte sich an meinen Taten und meinem Können nichts verändert und ich wäre froh darüber gewesen, wenn das auch so geblieben wäre. „Du willst also sagen, dass du plötzlich über Nacht zur Magierin wirst?“, fragte Sadiq, wobei seine Stimme deutlich machte, dass die Worte wie er sie sagte, für ihn nicht glaubwürdig klangen. Recht hatte er auch damit. Im Magi-Universum wurde man nicht einfach so über Nacht zur Magierin. „Ich bin ja auch keine Magierin... Wie oft noch. Ich bin ein normales Mädchen. Das eben war vielleicht Glück. Vielleicht war einer der Gäste ein Magier oder so.“ Diese Erklärung klang doch logisch, auch wenn eine nagende Gewissheit in mir schrie, dass sie falsch war. Niemand unserer Gäste konnte so etwas. Und wenn ich mich richtig erinnerte, waren Magier nicht in der Lage einen Borg um andere Menschen zu zaubern. Das höchste der Gefühle war ein Borg als Schutzschild einer Insel, oder Stadt. „Ein Gast also? Glaub nicht das du damit durchkommst.“ Sadiq war plötzlich inmitten des Weges stehen geblieben. Verwundert hielt ich inne und wandte mich gerade rechtzeitig zu ihm um, um zu sehen, wie er einen Dolch zog, mit dem er auf mich zu stürmte. Wie angewurzelt blieb ich stehen und sah zu, wie Sadiq ausholte und seine Klinge schließlich an meinem Borg abprallte. Damit, war auch diese Ausrede dahin und die Gewissheit, dass ich Borg besaß, wog nur noch tiefer in meinem Herzen. „Willst du mir immer noch weiß machen, dass es nicht von dir kommt?“ Sadiq steckte seinen Dolch weg und lief wieder weiter. Warum hatte er in dem kleinen Handgemenge gegen Dhakar nicht auch diesen Dolch gezogen, wenn er ihn die ganze Zeit bei sich getragen hatte? Seltsam. Oder... hatte er befürchtet sonst jemand anderen zu verletzten? „Na gut, es mag vielleicht von mir kommen, aber ich habe das wirklich noch nie beherrscht! Woher sollte ich da also wissen, dass ich das kann?“ Ein tiefes inbrünstiges Seufzen kam von Sadiq, als ich ihm erneut folgte. „Du verstehst es nicht. Es geht nicht darum, dass du das kannst, es geht darum, dass damit dein Lügengebilde in sich zusammenbricht. Du sagtest, dich haben Räuber überwältigt und niedergeschlagen, weswegen du Teile deiner Erinnerung verloren hast, aber wenn du diesen Schutz beherrschst, dann ist das unmöglich. Und so etwas lernst du nicht einfach so über Nacht. Jeder Magier kann diesen Schutz von Geburt an.“ Ich biss mir auf die Unterlippe. War ja klar, dass so meine größte Lüge aufflog. Doch was sollte ich machen? Was sollte ich ihnen erzählen, damit sie endlich zufrieden waren? „Ja, ich wurde nicht von Räubern überfallen... Ich erinnere mich dennoch an nicht viel... Nur an diesen Mann in Kufiya mit Dornenkranz... schwarze Flecken und ehe ich mich versah, war ich in einem seltsamen Raum. Unförmig, so gar nicht ich... Da war aber jemand, der mich wegschicken konnte und plötzlich war ich hier in Balbadd, nackt, beinahe ertrunken im Hafenbecken und vollkommen ahnungslos. Verdammt, ich weiß doch auch nicht was passiert ist und ihr fordert Antworten und Wahrheiten... Die Wahrheit würdet ihr doch gar nicht verstehen...“ Ob es richtig war, Sadiq gegenüber so viel zu sagen? Ich wusste es nicht. Er schwieg aber, den ganzen Rest des Weges und auch als wir zu Hause waren. Glaubte er mir nun? Oder hielt er mich immer noch für eine Lügnerin? Es war nicht ersichtlich, alles was ich dankbar aber bemerkte war, dass er mich immer noch in unserem Heim willkommen hieß.   **~~**   Das sich etwas in unserem Verhältnis geändert hatte, wurde deutlich klar, als ich am nächsten Morgen erwachte und mich kein fröhlich lächelnder Sadiq begrüßte. Er stand nicht da, mit einem gefüllten Fladenbrot und reichte es mir oder beschwerte sich darüber, wie grummelig ich so früh am Morgen war. Sadiq, war überhaupt nicht da und der große Gemeinschaftsraum wirkte ungewohnt leer. Super... wirklich ganz super, was mir diese Aktion vom Vorabend alles eingebrockt hatte. Nichts mehr würde so sein wie vorher. Dazu musste ich nicht erst noch mit Assad dasselbe Gespräch führen, wie am Abend mit Sadiq. Ich konnte also auch gleich mein ganzes Hab und Gut zusammenpacken und mich nach meiner letzten Schicht verabschieden. Nur wo sollte ich dann hin? Gab es für mich keinen Ort, an dem ich mich in Sicherheit bringen konnte? Gedankenverloren packte ich meine Sachen wirklich in einem braunen, großen Tuch zusammen. Kleidung, Tinte, Papier, Feder... alles was ich mir hier erarbeitet hatte. Auch wenn es mir jetzt schwer fiel, unter diesen Umständen, Sadiq zu verlassen, konnte ich auch nicht länger bei ihm bleiben, denn die Zeit zurückdrehen, konnte ich ebenso wenig. Dennoch, ich wollte nicht undankbar sein. Auf einem Stück Pergament schrieb ich „Danke für alles“ und platzierte es so, dass er es später am Abend sehen würde. Oben drauf lagen die vier Dinar, meine letzte Miete. Es war schon schade, denn ich hätte gerne mehr über Sadiq erfahren, wer er wirklich war und was seine Ziele waren. Wieso er immer log... So viel hätte ich gerne gewusst, aber all das würde mir nun verschlossen bleiben.   Mein gepackter Reisesack ruhte schwer auf meinen Schultern, war aber nichts im Vergleich zu der Last meiner Lüge, die ich ausgesprochen hatte, ohne zu wissen, was meine Fähigkeiten hier waren. Borg... Mir ging es einfach nicht aus dem Kopf, wieso ich plötzlich Borg konnte. War das Ugos Werk gewesen? Ich war mir nicht sicher, ob Ugos Macht so weit reichte, dass er wirklich jemanden zu einem Magier machen konnte, aber vielleicht lag das doch außerhalb seiner Fähigkeiten. Es gab somit keine logische Erklärung für das alles hier. 'Oder doch in der Pfütze ertrunken...' war der einzig logischste Gedanke den ich fassen konnte. Wäre ich tot in meiner Welt, dann wäre das vielleicht eine Erklärung gewesen. Allerdings war tot sein immer noch keine Option für mich. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als mich von hinten plötzlich jemand packte und in eine Seitengasse schleifte. Mein Reisesack ruhte zwischen meinem Angreifer und mir und war alles, woran ich mich klammern konnte. Der Mund wurde mir zugehalten, während ich das Flüstern meines Angreifers vernahm. „Miese Hexe.... du wirst schon sehen, was du davon hast.“ Auch wenn seine Stimme nur geflüstert war, erkannte ich doch deutlich Dhakar dahinter. Erst als er sich sicher zu sein schien, dass niemand hier her fand, stieß er mich von sich, so dass ich zu Boden fiel. „Nun lernst du, was es bedeutet, mich öffentlich bloßzustellen, Hexe.“ Unpraktisch landete ich auf meinem Reisesack, betete aber, dass ich nicht gerade das Tintenfass zerstört hatte, auch wenn ich zweifelte, dass es bei meiner Körpermasse heil geblieben war. Dennoch, wahrscheinlich sollte ich im Moment andere Sorgen haben, denn Dhakar zog ein Schwert, welches dieses Mal sein eigenes zu sein schien und ging damit auf mich zu. „Was willst du? Du weißt doch, dass Waffengewalt nichts bringt!“ Immerhin das hätte er am Tag zuvor verstehen sollen. Sadiq hatte mir ja sogar bewiesen, dass es nicht nur eine einmalige Sache gewesen wäre. „Dann schlage ich so lange darauf ein, bis es bricht...“, war die Antwort des Mannes, der sofort ausholte und die Klinge auf mich niedersausen ließ. Wie am Tag zuvor aber, prallte es an der leuchtenden Kuppel um mich herum ab. Ich war sicher. Nur würde mein Borg das lange durchhalten, wenn er vor hatte, mich länger unter Beschuss zu nehmen? Seine Kaskade an Angriffen und Schlägen brach nicht ab. Auch wenn er bisher doch eher gut für mich aussah, wusste ich wirklich nicht, wie lange ich das durchhalten konnte. Ich musste mir etwas überlegen. Etwas, womit ich Dhakar los wurde. Während seine Angriffsreihe nicht abbrach, nutzte ich die Chance und beobachtete meine Umgebung genau. Nichts. Hier war absolut nichts, was ich für meinen Vorteil nutzen konnte. 'Wenn du dein Leben retten willst, dann kämpfe darum und werfe deinem Angreifer wenn möglich Dreck ins Gesicht.' Schon ironisch, dass mir ausgerechnet jetzt dieses Zitat von Toshizou Hijikata aus Hakuouki Reimei-Roku einfiel. Er hatte es einst zu Ibuki gesagt, um diesem zu erklären, dass im Kampf ums Überleben alle Mittel Recht sind. Nur gab es hier keinen wirklichen Dreck. Verdammt. In meinem Kopf arbeitete es. Ich hatte nicht viel und es war fraglich, ob Dhakar das, was ich aufzubringen hatte, nicht mit Leichtigkeit abwehren würde. Allerdings... Wenn ich keinen Dreck zum blenden hatte... „Was ist den los, Dhakar? Ist das schon alles was du kannst? Wie langweilig.“ Es kostete mich viel Beherrschung und vor allem auch Mut, dem Händler diese Worte so glaubwürdig wie möglich zu übermitteln. Ein Fehler und meine halbgegorene Idee würde schief gehen. Um meine Worte zu unterstreichen, erhob ich mich und nahm in einer flüssigen Bewegung meinen Reisesack vom Boden auf. Meine ganze Haltung sprach dafür, dass ich gehen wollte. Etwas, das Dhakar verhindern wollte und ihn in Rage versetzt, denn seine Schläge wurden kräftiger, schneller. „Gib es auf. Du wirst mir nicht einmal einen Kratzer zufügen.“ Noch etwas mehr, ich brauchte noch etwas mehr Selbstsicherheit um diesen Mann zu blenden. Diesen Mann, der schon jetzt Stück für Stück sein Hirn abschaltete und nur noch nach Rache dürstete. Noch etwas mehr. „Du miese Hexe, halt die Klappe!“ Dhakar hob sein Schwert, dass war der Moment auf den ich gewartet hatte, weswegen ich meinen Reisesack noch nicht geschultert hatte. Den Sack mit beiden Händen umgriffen, holte ich aus und schlug in Dhakars ungeschützte Seite. Auch wenn mein Gepäck nicht hart genug war, um diesen Mann von den Füßen zu reißen, so hatte die Wucht doch dafür gesorgt, dass er in seinem Vorhaben inne hielt und der Schreck ihn zur Seite taumeln ließ. Da war sie, meine Chance. Ich lief los. Immer mit dem Gedanken, einfach nur weg von diesem Mann zu kommen. Weit weg. Doch ich hörte schon nach wenigen Schritten, wie er mir nachsetzte. War auch klar gewesen, immerhin reiste ich mit leichtem Gepäck. „Bleib stehen, Hexe!“, brüllte Dhakar mir nach, während ich gen Ausgang der Seitengasse lief. Als ob ich auf ihn hörte, was dachte sich dieser Idiot dabei? Ich musste einfach nur hier raus, doch Dhakar war mir schneller auf den Fersen, als ich es erwartet hatte. Wenn das so weitergegangen wäre, hätte er mich eingeholt, doch glücklicherweise entdeckte ich einen Haufen Holzbretter, die an die Wand gelehnt waren. Mit einem gezielten Schlag meines Sackes, brachte ich diese dazu, kurz vor Dhakar zusammenzubrechen und ihn damit den Weg zu versperren. Ich nutzte diese Gelegenheit und lief schneller und schließlich, erreichte ich die von Menschen bevölkerte Straße. Unweit jeglicher Zwielichtigkeit. Ich hatte es also geschafft. Dennoch, ich nahm weiterhin die Beine in die Hand, denn je weiter ich von dieser Gasse wegkam, um so besser. Im Freudenhaus angekommen, stellte ich meine Sachen erst einmal im Umkleidezimmer der Mädchen ab. Ich kramte mir sogar noch ein paar neue Kleidung heraus, da ich am Morgen bei Sadiq nicht dazu gekommen war, mich noch einmal umzuziehen. Immerhin hier konnte ich das ja tun. Dafür gab es ja dieses Zimmer. Schnellstmöglich schlüpfte ich in mein neues, lilafarbenes Oberteil und einer fliederfarbenen Ballonhose. Meine Haare kämmte ich mir mit einer der Bürsten, die jedes Mädchen hier benutze und ließ sie offen. „Ah, Erenya, hier bist du. Wir haben dich schon gesucht.“ Ich sah auf, als ich Cecilia sah, die das Zimmer betrat und mich freundlich anlächelte. Immerhin ein freundliches Gesicht begrüßte mich an diesem Tag. „Ich hatte unterwegs ein paar Differenzen“, erklärte ich kurz angebunden und klippte mir mit Hilfe des Spiegels ein paar Ohrringe an die Ohrläppchen. Unglaublich, dass die echt welche zum Klippen hatten. „Hast du gut geschlafen? Ich meine... nach der Sache mit gestern, hätte niemand wirklich gut schlafen können.“ Sorge trat in Cecilias Stimme, als sie sich neben mich setzte und ausgiebig musterte. Richtig, sie wusste sicher auch von meinem Borg. Toll. „Es war nicht gerade die erholsamste Nacht...“, gab ich zu verstehen, wobei meine Augenringe wohl ebenfalls eine deutliche Sprache sprachen. „Keine Sorge. Alles wird gut. Auch wenn es vielleicht in nächster Zeit etwas hektisch wird, Assad bekommt das hin.“ Sanft strich mir Cecilia über den Kopf. Schon unglaublich, dass sie wirklich so einfühlsam war. Sie war die große Schwester des Hauses, die, denen sich die Mädchen ohne einen geringsten Zweifel anvertrauten. „Du bist mir nicht böse, weil ich gelogen habe?“, fragte ich schließlich. Mal ehrlich, ich wäre pissig gewesen. Aber Cecilia schien mir gegenüber nicht anders als sonst. Sie hatte keinerlei Anzeichen gemacht, dass sie mir meine Lüge übel nahm oder nun deswegen auf Abstand gehen würde. Sie war wirklich eine wunderbare Frau. „Du wirst schon deine Gründe haben. Auch wenn Männer das nicht verstehen. Jede Frau hat ihr ein oder anderes kleines Geheimnis. Und du hast uns ja nichts böses gewollt. Im Gegenteil, obwohl Suleika und du keine Freundinnen seid, hast du versucht sie irgendwie zu beschützen. Warum sollten wir dir das, wegen einer unbedeutenden Lüge, böse nehmen?“ Cecilias Worte waren Balsam auf meiner Seele. Immerhin bei ihr hatte ich nicht verspielt. Bei den Männern um mich herum sah es wohl anders aus. „Egal was kommt, Erenya. Die Mädchen und ich, wir sind immer für dich da. Wenn du also Hilfe brauchst, sag Bescheid.“ Vorsichtig strich Cecilia mir eine Haarsträhne zurück. Ich spürte, wie sie etwas mit dieser machte und als ihre Hand wieder weggezogen wurde und ich den Spiegel sah, erkannte ich eine kleine Blumenspange. Eine nette Geste, die mich zu Tränen rührte und mir nur noch mehr zeigte, dass ihre Worte nicht einfach nur leer waren.   Als Cecilia das Zimmer verlassen hatte, wartete ich darauf, dass Assad reinkommen würde. Er hatte ja gesagt, dass wir das Gespräch vom Vorabend noch weiterführen würden. Nur was konnte ich ihm erzählen? Zumindest nicht mehr als ich es bei Sadiq getan hatte. Wahrscheinlich verlor ich in diesem Gespräch meine Arbeitsstelle und war wieder auf Stufe eins. Wo sollte ich mein Geld verdienen? Wo leben? Dabei hatte Assad mir doch versprochen, dass ich solange hier bleiben konnte, bis ich meine Bestimmung gefunden hatte... Allerdings waren die Umstände da auch noch anders gewesen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich wirklich noch einmal hier blicken lässt.“ Unverkennbar erfüllte Assads Stimme den Raum, als er diesen betrat. Immerhin klang er nicht mehr ganz so erbost, was mir nur deutlich zeigte, dass er sich abreagiert hatte. Ein gutes Zeichen vielleicht. „Du sagtest, dass wir heute noch darüber reden, also widersetze ich mich deinem Befehl nicht.“ Natürlich hätte ich einfach nicht hingehen können, aber ich wusste sowieso nicht wohin und einfach zu gehen, ohne sich für alles zu bedanken erschien mir doch recht... idiotisch. „Du hast also nichts von dieser Fähigkeit gewusst und dich dennoch vor Dhakar geworfen, obwohl du wusstest, dass es dein Ende hätte sein können?“ Logisch betrachtet, eine gute Frage. Denn hätte ich von Borg gewusst, wäre mein Verhalten nicht seltsam gewesen. So hingegen, wirkte es lebensmüde. „Ich wusste rein gar nichts davon. Bis Dhakar mit dem Schwert zugeschlagen hat. Ich selbst hab auch gedacht, gleich zu sterben und dachte noch daran, dass dieser Tod immerhin nicht ganz so erbärmlich ist, wie in einer Pfütze zu ertrinken.“ Schweigen trat zwischen uns ein und es wirkte so, als müsse Assad sich meine Worte erst einmal durch den Kopf gehen lassen. „Hör zu, ich werde dich nicht fragen, wer du bist oder woher du kommst. Schweigen ist mir lieber, als irgendwelche Lügen... Aber tu so etwas niemals wieder. Auch wenn du diese Gabe hast, musst du dich nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen.“ Ich hatte wirklich mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Assad das so einfach hinnahm. Auch wenn ich ihm dankbar dafür war. Assad war eben doch ein guter Mensch. „Was macht eigentlich der Reisesack dort?“, fragte Assad schließlich, als er sich im Zimmer umsah und mein Gepäck in der Ecke bemerkte. „Ich bezweifle das Sadiq mich länger bei sich leben lässt. Deswegen... habe ich meine Sachen gepackt.“ Ich mühte mir ein Lächeln ab, als wollte ich damit sagen, dass es schon okay sei. In Wahrheit war aber nichts davon okay. „Hat er das gesagt?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und ein tiefes Seufzen kam von Assad, der sich mit seiner Hand durchs dunkle Haar fuhr. „Heute Nacht kannst du hier schlafen... Aber du solltest das schnell mit Sadiq klären.“ Ich sah ihn verwundert an. Wusste er etwa mehr? Oder warum war er sich so sicher, dass Sadiq mich nicht herauswerfen würde? Ich wusste es nicht, oder war mir viel mehr nicht sicher. „Ihr Frauen müsst immer alles gleich über dramatisieren. Hör zu. Sadiq hätte dich nicht rausgeworfen, genauso wenig ich. Du bist zwar nicht ehrlich zu uns, das ändert aber nichts daran, dass du ein guter Mensch bist. Wir haben mit dir gearbeitet und gelebt, denkst du, da lassen wir dich wegen einer Lüge fallen?“ Das hatte ich in der Tat gedacht. Aber Assad zeigte mir deutlich, dass ich damit einen Fehler gemacht hatte. Ich würde also weiterhin hier arbeiten dürfen und wenn sich die Sache etwas beruhigt hatte, konnte ich erneut mit Sadiq sprechen und würde vielleicht wieder bei ihm wohnen. Ich konnte es nicht glauben. Das ganze war wie eine Last, die mir genommen wurde und jegliche Zweifel in Form kleiner Tränen aus mir herausfließen ließ.   **~~**   Ich konnte voller Stolz behaupten, dass es auch in Balbadd Dinge gab, die ich aus meiner Welt kannte. Gerüchte und Klatsch und Tratsch. Von alledem war ich momentan ein Opfer in Assads Freudenhaus. Zwar blieb die Kundschaft nicht aus, doch wenn ich meine Geschichten erzählte, tuschelten die Kunden hinter vorgehaltener Hand. Es gab sogar das Gerücht, dass viele meiner Geschichten auf wahren Begebenheiten beruhten. Das ich die Lorelei war und nur nach einem neuen Hafen Ausschau hielt, um arme Fischer zu ertränken. Einmal bekam ich sogar mit, wie ein Kunde behauptete, dass meine Haare in Wahrheit Schlangen waren und man mir nicht in die Augen sehen dürfte, weil ich einen sonst versteinerte. Ich wusste doch, dass ich ihnen niemals die Geschichte der Medusa hätte erzählen dürfen. Dank der Mädchen im Freudenhaus war dies aber erträglich. Sie schafften es sogar, dass ich über einige der dümmsten Gerüchte lachen konnte. Und so war das Arbeiten nicht ganz so dramatisch. „Und als er das Schwert aus dem Stein zog, wusste jeder im Land, dass er der rechtmäßige König war.“ Ich hatte gerade die Geschichte von König Arthur, oder viel mehr den Teil, wie er das Schwert aus dem Stein gezogen hatte, beendet, als mich eine zierliche Hand an der Schulter berührte. Verwundert, weil es noch nicht meine Zeit war, den Platz zu räumen, sah ich auf und erkannte Suleika, die mich ernst ansah. Seit dem Vorfall vor einigen Tagen, hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt, weswegen es mich doch sehr verwunderte, dass sie es nun war, die ein Gespräch mit mir zu suchen schien. „Ameen braucht dich heute eher in der Küche.“ Überrascht darüber, suchte ich im Gästeraum nach Assad, doch Suleika stellte sich in mein Blickfeld und schien noch ernster zu werden. „Assad sagt, du sollst sofort zu Ameen in die Küche.“ Das war seltsam, denn in der Regel war es Assad immer persönlich, der mir den Arbeitsantritt in der Küche mitteilte. Wahrscheinlich war er aber gerade beschäftigt. Das wäre zumindest nicht neu für seine Verhältnisse gewesen. Ich erhob mich von meinem Platz und folgte Suleika in die Küche. Sofort als Ameen mich erblickte, konnte ich seine Verwunderung erkennen. Ebenso sah er zu Suleika, die mich hier her gebracht hatte. „Was macht ihr beide hier?“ Auch wenn Ameen diese Frage nicht gestellt hätte, wäre mir sofort klar gewesen, dass etwas nicht stimmte. Suleika hatte mich also nur unter einem Vorwand in die Küche gelockt. Doch wozu? Wieso Ameens Küche? „Ameen, diese Frau...“ Suleika setzte zu ihrer Rede an und fixierte dabei Ameen felsenfest, während sie mich grob am Oberarm packte und vor sich zerrte. „... diese Frau ist der Grund, warum du immer noch mit mir zusammen sein kannst. Wäre sie nicht gewesen, wäre ich wohl tot.“ Ich verstand immer noch nicht ganz, was das hier sollte, und warum Suleika Ameen das erklärte. Er musste doch schließlich wissen, was an dem einen Tag passiert war. Jeder wusste es. Oder verbarg sich mehr hinter ihren Worten? „Ah, verstehe. Dann sollten wir uns bei ihr bedanken. Die Frage ist nur, wie?“ Ein verspieltes Lächeln lag auf Ameens Lippen, als er zu Suleika sah, die schwer mit sich zu kämpfen schien. Diese ganze Szene war absurd. Ich meine, Ameen wusste es doch, was passiert war, warum spielte er dann bei Suleikas Trauerspiel mit? „Sie kann die Tante unseres Kindes werden.“ Irgendwie wurde das ganze immer surrealer. Die Tante ihres Kindes? Warum sprachen die beiden überhaupt so, als sei ich nicht hier? „Hat die Tante der Kinder eurer Familie nicht das Recht, das Neugeborene zu benennen?“, fragte Ameen mit gespielter Verwunderung und Suleika nickte. „M-Moment. Wie Kind? Tante? Hä?“ Ich musste meiner Verwunderung einfach Luft machen, denn sonst würde mir keiner hier erklären, was los war. „Suleika ist schwanger. Weswegen sie nur noch tanzt. Auch wenn ich es nicht gerne gesehen habe, hat sie hin und wieder Männer mit sich hoch genommen. Aber nun erwarten wir beide ein Kind. Du hast also sowohl Suleika, als auch unser Baby gerettet, Erenya.“ Meine Augen weiteten sich. Mal davon abgesehen, dass ich nicht wusste, wie Ameen nach Suleikas Affären sagen konnte, dass es sein Baby war, hatte ich nicht einmal bemerkt, dass Suleika schwanger gewesen war. „Wenn du damit einverstanden bist... hätte ich gerne, dass du die Tante des ungeborenen Kindes wirst und ihm oder ihr dann auch einen Namen gibst.“ Mit einem roten Schimmer auf den Wangen, erklärte Suleika, was sie auf ihre Weise wohl schon indirekt versucht hatte zu sagen. Ihr war diese ganze Situation nicht angenehm, wen wunderte das auch, wir waren einander nie wirklich grün gewesen und wahrscheinlich musste sie eine Menge Stolz herunter schlucken, um mir dies als Zeichen ihres Dankes zu gewähren. Eine nette Geste, auch wenn sie nicht nötig war, immerhin hatte mich Suleika vor dem Tod durch Sonnenbrand bewahrt. Aber wenn ich ihr Angebot ablehnte, würde sie das sicher falsch auffassen. „Dann sagt Bescheid, sobald es so weit ist. Ich werde eurem Kind einen würdigen Namen geben.“   Als ich wieder aus der Küche kam, bemerkte ich schnell, dass wir neue Kundschaft hatten. Kundschaft, die allerdings nicht wie die normalen Stammgäste aussah. Sie trugen Kleidung, die man nur im Kaiserreich Kou trug, was deutlich machte, dass dies hier wohl das Fußvolk des Diplomaten war. Zumindest, wenn Sadiq mit seiner Vermutung des Diplomatenbesuches, wirklich Recht behielt. Naja warum auch nicht. „Erenya...“ Schuldbewusst zuckte ich zusammen, als ich Assads Stimme hinter mir hörte. Ich hatte meinen Posten verlassen, ohne seine Genehmigung zu haben, mit Sicherheit konnte das nichts gutes bedeuten. „Wenn du ein paar Geschichten kennst, die eher aus dem Kaiserreich Kous stammen könnten... erzähl sie.“ Geschichten aus dem Kaiserreich Kou? Geschichten die asiatisch genug angehaucht waren, um diese Kundschaft zufrieden zu stellen? Verdammt. Ich konnte doch nicht die Geschichte von „The Ring“ erzählen. Alles was ich wusste, betraf die japanische Mythologie und die Geschichte der Shinsengumi, aber mehr? „Ich werde es versuchen“, gab ich nach. Mehr als versuchen und scheitern konnte ich ja nicht. Und wer wusste schon, wie diese Gäste reagieren würden. Ich meine, ich konnte mich ja vielleicht irgendwie rantasten. Oder... zur allerhöchsten Not, wenn die Muse mich küsste, etwas erfinden. Mit viel Glück war das aber nicht nötig. Ich kehrte also zurück zu meinem Platz, ließ mich auf diesen nieder und holte tief Luft. „Willkommen zu meiner Geschichtsstunde. Da wir heute Gäste von weit her haben, habe ich mir gedacht, dass ich euch eine Geschichte erzähle, die man in meiner Heimat erzählt. Sie erklärt die Entstehung eines Landes welches dem mächtigen Kaiserreich Kou sehr ähnlich war.“ Ich lächelte den Zuhörern zu und begann die Geschichte der Urgötter Japans zu erzählen. Eine die stark an den Orpheus-Mythos erinnerte, von dem ich zum Glück noch nie erzählt hatte. Sonst wäre diese Geschichte wohl auch nicht ganz so gut angekommen. Aber selbst die einheimischen Gäste schienen interessiert an dieser Geschichte zu sein. „Als er die Unterwelt verließ, schrie Izanami ihm nach: 'Dafür werden 1000 Menschen täglich ihr Leben lassen! Traurig über diese Worte seiner verblichenen Geliebten, antwortete Izanagi: 'Dann werde ich täglich 1500 Menschen das Leben schenken.'“ Ich hatte die ganze Geschichte mit der Verfolgung durch die Yomotsu Shikome etwas ausgeschmückt, um so die Zuhörer bei der Stange zu halten. Mit Erfolg, denn als die letzten Worte gesprochen wurden, setzte langsamer Applaus der Landesmänner von Kou ein.   **~~**   Die Männer von Kou schienen nun täglich zu kommen, so dass ich jeden Abend versuchte ein paar Legenden aus der japanischen Mythologie einfließen zu lassen. Zumindest so weit wie ich damit kam, denn sonderlich belesen war ich dafür auch nicht. Das, was ich wusste, kannte ich aus Spielen und leider weidete nicht jedes Spiel die japanische Mythologie aus. Doch darum musste ich mir keine Sorgen machen, denn auch mit den anderen Geschichten kamen die Männer klar und amüsierten sich mit den Frauen, oder trösteten sie, wenn eine Geschichte erneut zu traurig war. Die Gerüchte, die um mich herum blühten, waren mir egal geworden. Ich war mir dem Vertrauen der Mädchen hier sicher und auch dem Assads und Sadiqs, auch wenn letzterer kein Wort mehr mit mir sprach und unsere Beziehung um einiges an Grad herunter gekühlt war. Es gab kein Frühstück mehr ans Bett und mehr denn je schien Sadiq den Abstand zwischen uns zu vergrößern und nicht mehr mit mir reden zu wollen. Einzig, dass ich weiterhin vier Dinar zahlen brauchte und noch bei ihm lebte durfte, zeugte davon, dass ich ihm nicht egal war. Dennoch war nach Hause kommen das wohl traurigste an meinem Alltag. Ich zog mich an diesem Abend, vor Feierabend in das Umkleidezimmer der Mädchen zurück. Nur eine Kollegin saß dort und wusch sich den Schweiß der Arbeit mit Seife, die nach Patschuli roch, ab. Ein klares Zeichen, was sie zuletzt mit einem Freier getan hatte. Aber ich war schon lange nicht mehr in der Lage dazu, sie dafür zu verurteilen. Besser hier, als in den Slums zu einem Hungerlohn unter der ständigen Gefahr ermordet zu werden. „Brauchst du Hilfe?“, fragte ich vorsichtig, als sie auf mich aufmerksam wurde, doch sie schüttelte nur mit dem Kopf und wusch sich mit einem Schwamm, den die Mädchen auf einen Stock gesteckt hatten, den Rücken. So konnte sie selbst die schwierigen Stellen erreichen. Nebenbei summte sie eine Melodie, die mir unbekannt war, die sie aber in den letzten Tagen schon häufiger vor sich hingesummt hatte. Ich hatte schon viele Lieder hier im Freudenhaus und in Balbadd gehört, aber das, welches sie summte, noch nicht. „Woher kommt denn diese Melodie?“ Neugierig sah ich zu dem Mädchen, dass selig zu lächeln schien. Seltsam, in Anbetracht der Tatsache, dass sie vor wenigen Minuten ihren Körper an einen Mann verkauft hatte. „Ich hatte einen Kunden, der dieses Lied gesungen hat, bevor er ging. Ich habe mir den Text leider nicht gemerkt, es ging aber um ein Kind, dass seine Mutter verloren hat. Irgendwie geht mir diese Melodie nicht mehr aus dem Kopf.“ Die Melodie des Liedes, welches sie gesummt hatte, hatte mir zwar verraten, dass dieses Lied nicht voller eitel Sonnenschein war, aber so eine Geschichte? Eine, die soviel Wahrheit enthalten konnte? „Was passiert mit dem Kind?“, fragte ich leise, denn ich wollte doch hoffen, dass es nicht so traurig weiterging. Doch das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, nach dem Teil, als die Mutter verschwunden war, bin ich eingeschlafen.“ Sie lächelte mich entschuldigend an, machte aber schließlich ihren Reinigungsakt weiter, bevor sie sich abtupfte und wieder anzog. „Schon okay. Vielleicht kannst du mir den Herren ja irgendwann einmal vorstellen, damit ich das Lied auch lerne.“ Ich winkte ihr noch zum Abschied, bevor ich das Zimmer wieder verließ. Eine Geschichte von einem Kind, dass seine Mutter verloren hatte. Vielleicht brauchte ich so eine noch in meinem Repertoire. Schaden würde es jedenfalls nicht.   **~~**   An der Hitze der Nächte hatte sich nichts geändert. Ich nutzte die warme Abendluft an Tagen wie diesen sogar, um noch einmal einen kleinen Rundgang zu machen, bevor ich in mein einsames Heim zurückkehrte. Gewisse Wege hatten sich eingeprägt, doch ich vermied es zu dicht an Seitengassen entlang zu laufen. Irgendwo war sicher noch Dhakar und er würde nur auf eine Gelegenheit warten, mich erneut alleine aufzufinden. Doch anders als zuvor, war ich in gewisser Weise vorbereitet. Ich hatte mir einen kleinen Dolch zugelegt, den ich gut unter meiner Kleidung versteckt hielt, aber dennoch im äußersten Notfall griffbereit hatte. Ob ich ihn einsetzen konnte, war zwar eine andere Geschichte, aber immerhin fühlte ich mich im Moment nicht ganz so bedroht oder schutzlos. „Wir können doch nicht immer nach ihm suchen!“ Ich sah auf, als ich die verärgerte Stimme eines Mannes hörte, dessen Temperament wohl an der kurzen Schnur hing. Seine Kameraden, die in derselben Uniform neben ihm herliefen, versuchten ihn zu beschwichtigen, doch es half nichts. „Beruhige dich... Er wird schon wissen was er tut. Er ist doch kein kleines Kind.“ Es waren Krieger aus Kou, die scheinbar einen Rundgang machten oder vielmehr einen Suchtrupp nach einer entsprechenden Person bildeten. Wenn sie clever waren, suchten sie im Freudenhaus, denn es würde mich nicht wundern, wenn die gesuchte Person dort war. Ich verkniff mir allerdings diese Hilfestellung, allein schon aus dem Grund, dass ich meine Abendruhe genoss und mir lästige Fragen ersparte. „Und wenn wir einfach jemanden fragen? Vielleicht hat man ihn gesehen.“ Ein dritter Krieger schien die Idee zu haben, doch der Anführer des Suchtrupps verschränkte genervt die Arme. „Er wird klug genug sein und sicher nicht in voller Montur durch die Stadt laufen. Man wird ihn wohl von den anderen hier nicht unterscheiden können. Fragen ist also nutzlos. Ich schwöre euch, wenn ich ihn in die Finger kriege...“ Schweigend lief ich an den Kriegern vorbei und musste schon etwas schmunzeln. Wen auch immer sie suchten, die Person erwartete großen Ärger. Sicher war es ein Krieger der seine Pflicht aufgrund des Klimas hier vernachlässigte und etwas Spaß haben sollten. Den ganzen Tag einen wahrscheinlich hier ansässigen Diplomaten zu bewachen konnte auch schon zu ermüdend sein. Aber das war nicht mein Problem. Meine wogen in den Feierabendstunden schwerer. Vor allem in jenen Momenten, als ich endlich mein Ziel, den Hafen erreichte. Der schwache Wind ließ die Luft am Hafen etwas kühler erscheinen, zumindest wehte er mir Tropfen des Meeres zu, die sich wohltuend auf meine Haut ergaben und langsam an dieser abperlten, während der Wind sie immer wieder etwas trocknete und so einen wohligen Schauer über meinen Rücken jagte. Der Hafen war mein Lieblingsrückzugsort am Abend geworden. Zwar musste man hier vorsichtig wegen Diebe und dergleichen sein, aber es war ruhig und ich konnte über viele Dinge einfach so in Ruhe nachdenken. Heimlich suchte ich natürlich doch noch nach der Tür, die mich zurück zu Ugo brachte, aber immer noch blieb sie mir verborgen. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn das Abenteuer nun auf einmal endete. Nicht das ich sonderlich erpicht darauf war, dass irgendjemand von meinem Borg erfuhr und ich so in noch mehr Schwierigkeiten kam. Das die Gäste ihre Gerüchte streuten, reichte doch schon. „Ob ich wirklich ein Magier bin?“ Diese Frage spukte mir immer noch im Kopf herum. Ich fühlte mich nicht anders als in meiner Heimat. Damit meine ich, dass ich keinen Magoi-Fluss oder dergleichen spürte. Wobei ich mir auch nicht sicher war, ob man das Magoi in sich fließen spürte. Ich spürte so gesehen... Nichts abgesehen von meinem Puls und meinem Herzschlag. Ein Magier... Damit wäre ich schon in gewisser Weise etwas besonderes. Zwar nicht die einzige, aber im Vergleich zu den nicht magischen Menschen besonders. Obwohl, wenn ich keine Zauber beherrschte, war mein Borg auch schon das einzige Besondere. Ich lachte leise bei diesem Gedanken besonders zu sein. Nein. Ich war nicht besonders. Ich war auch nur ein nicht magischer Mensch, der nicht einmal aus dieser Welt stammte. Das war wohl der einzige Grund für Borg und die Lichtvögel die ich sehen konnte. Wobei ich mir bei letzteren manchmal nicht so sicher war, so schwach wie sie vor meinen Augen umher flatterten und sonderlich hilfreich waren sie schon lange nicht mehr gewesen. Borg war alles was ich hatte. Eine Schutzbarriere um nicht sofort vor die Hunde zu gehen. Genau das war es. Ich hatte entschieden das alles als genau das zu sehen. Ich war kein Magier. Borg war nur ein Schutz, den mir Ugo vielleicht mitsamt des Körpers geschenkt hatte, mehr nicht. Mit diesem abendlich gefassten Entschluss, entschied ich, dass es besser war, zurück nach Hause zu gehen. Die Wege waren nun düsterer, aber noch hell genug um seine Angreifer zu erkennen. Ich wollte die letzten Lichtstrahlen der Sicherheit also nutzen, um nicht doch noch mein Glück und Ugos Schutz zu verspielen. Schnellen Schrittes lief ich den vertrauten Weg zum Hause Sadiqs zurück. Hinter jeder Ecke vermutete ich bereits einen Dieb oder Mörder, weswegen meine Sinne bis aufs äußerste angespannt waren. Es war nicht mehr weit und meine Schritte wurden noch schneller. Ich hatte nur das Ziel, schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Meine Schritte stoppten allerdings wenige Meter vor dem Ziel, als mir eine Gestalt entgegenkam, die ich bisher nur einmal gesehen hatte. Bewegungslos stand ich einfach inmitten auf der Straße und sah ihn an, der mich noch nicht bemerkt hatte und näher auf mich zukam. Erst wenige Schritte vor mir, schien er meine Präsenz zu registrieren und er sah mich genau an. Kassim. Schweigend standen wir einander gegenüber und schienen einzuschätzen, warum der andere seinen Weg nicht einfach fortsetzte. Warum tat ich es eigentlich nicht? Wie sollte sich schon Kassim an das nackte Mädchen erinnern, welches er aus dem Hafenbecken gezogen hatte? Was erwartete ich hier eigentlich? „Du bist doch die Geschichtenerzählerin von Assad, oder?“ Ganz ruhig Erenya, er fragte nur, ob ich Assads Geschichtenerzählerin war. Kein Grund zur Panik. Immer mit der Ruhe. Ich versuchte mir einzureden, dass dies einfach nur eine normale Frage war. Sicher, wenn Assad irgendetwas mit der Nebelbande zu tun hatte, dann wusste Kassim, wer welche Aufgabe in Assads Betrieb hatte und dass es eine Geschichtenerzählerin gab. Allerdings, woher sollte er wissen, dass es ausgerechnet ich war? „Ja“, antwortete ich knapp. Was sollte auch schon Schlimmes daraus resultieren einfach nur ehrlich zu sein? In diesem Moment. Na gut, abgesehen von den Gerüchten die besagten, dass ich Männer versteinerte oder hier neue Schiffe im Meer versenken wollte. Das wäre suboptimal, wenn Kassim solchen Gerüchten Glauben schenkte. „Man redet in letzter Zeit viel von dir. Du hast einen Schwertangriff durch einen Schutzschild überstanden. Das hätte ich an dem Abend gerne mit eigenen Augen gesehen.“ Ich wich etwas zurück, als ich die Worte Kassims hörte. Verdammtes Volk aus Balbadd. Oder hatte Assad ihm das erzählt? Konnte ich ihm gar nicht trauen? „Das war Glück... Das hat nichts zu bedeuten...“ Genauso hatte ich es beschlossen. Es hatte nichts, rein gar nichts zu bedeuten. Es war einfach nur ein Schutz, den mir Ugo geschenkt hatte, mehr nicht. Es war bedeutungslos. „Es bedeutet viel. Du unterscheidest dich von anderen Menschen. Denn nicht jeder besitzt einen natürlichen Schutzschild. Du aber schon und du kannst das nutzen, um das Richtige zu tun.“ Borg nutzen um das Richtige zu tun? Es war ja schon gruselig, dass Kassim davon wusste, dass Borg bei bestimmten Leuten ein natürlicher Schutzschild war, aber das ich damit das „Richtige“ tun konnte? „Ich muss nach Hause.“ Ich beließ sein Gesagtes einfach kommentarlos im Raum stehen. Sicher, wenn ich Borg nur irgendwie einsetzen konnte... ich konnte vielleicht der lebende Schutzschild werden. Aber wollte ich das? Mein Borg war mit Sicherheit nicht stark genug um den Angriff mehrerer Personen gleichzeitig abzufangen. Es war also sinnlos darüber nach zu denken. Und noch sinnloser war es, Kassim zuzuhören. Ohne ihn weiter anzusehen, lief ich an dem Nebelbandenmitglied vorbei. Nach Hause, ich musste einfach nach Hause. „Du willst einfach so, vor deiner Bestimmung weglaufen?“ Ich hielt inne. Meine Bestimmung? Konnte ich in Borg meine Bestimmung sehen? Wie sollte mir Borg dabei helfen, zu wissen was ich hier sollte? Wobei... wenn mein Borg vielleicht stark genug war... Was, wenn ich es nicht einsetzte? Was wenn ich jetzt einfach nach Hause ging und weiter machte wie bisher? Andererseits, was wenn ich Kassim weiter zuhörte? Würde ich dann enden, wie es mit Alibaba passiert war? Wobei, wenn ich lang genug überlebte und mich vielleicht an Kassim hielt... Ja... vielleicht konnte ich Borg, um die anderen zu treffen und so einen weiteren Schritt zu mir nach Hause zu finden. Kapitel 5: Nebelbande --------------------- Ich stand mit dem Rücken zu Kassim und ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen. In Anbetracht meines Wissens, was in Balbadd passieren würde, war es doch nur klug, sich der Nebelbande anzuschließen. Allerdings, wollte ich als Kanonenfutter enden? Es war schon eine schwierige Frage. „Du musst dich nicht sofort entscheiden, aber du solltest es bald tun. Viele Möglichkeiten wirst du dafür nicht mehr haben.“ Etwas Drohendes schwang in seinen Worten mit. Oder viel mehr etwas Wissendes. Kein Wunder. Wahrscheinlich plante er bereits den Sturz des Königs und sammelte nur noch ein paar Männer und Frauen, um diesen Plan Wirklichkeit werden zu lassen. Sollte ich? Oder sollte ich nicht? Ich war mir unsicher. Ich blickte über meine Schulter zu Kassim, der sich zu mir umgewandt hatte und mit seinen ernsten, stechenden Augen ansah. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er hatte gezielt auf meine Schwachstelle zugegriffen. Meiner Planlosigkeit über meine Bestimmung hier. Sicherlich hatte er das von Assad erfahren, ebenso von meiner Fähigkeit Borg. Warum hatte Assad ihm das erzählt? Erwartete er etwa, dass ich mich dieser blutigen Revolution anschloss? Wobei, würde es für mich so gefährlich sein, wie ich vermutete? Immerhin war Assad ein herzensguter Mensch. Er hätte mich doch niemals in Gefahr oder Kassim auf die Idee gebracht, dass ich hilfreich sein könnte, wenn mir dadurch Schlimmes widerfahren konnte, oder? Noch dazu, ich wusste doch was passieren würde. Alibaba würde der Chef werden, er würde später auf Aladdin treffen, einen kurzen Kampf mit Sinbad haben, Sinbad würde der Nebeltruppe beitreten... Das waren doch genau die Personen, die ich treffen musste, wenn ich nach Hause wollte, oder etwa nicht? Kassim wandte sich von mir ab und ging weiter seines Weges. Ich beobachtete ihn noch ein Stück, bis er endgültig in der Dunkelheit verschwunden war und ich es für besser erachtete, wirklich zurück in mein einsames Heim zu kehren.   Als ich Zuhause ankam, erwartete mich ein ungewohntes Bild. Wobei so ungewohnt war es nicht, denn es lag immerhin einige Tage zurück, dass ich es zuletzt gesehen hatte. Dort saß Sadiq, auf der Sitzbank und lächelte mich freudig an. Vor ihm stand ein Teller mit einem gefüllten Fladenbrot, welchen er anhob, kaum dass er mich erblickte. Mit dem Teller in der Hand kam er auf mich zu und hielt mit diesen mit seinem gewohnten, freundlichen Lächeln entgegen. Misstrauisch blickte ich ihn an, denn nachdem er wirklich Tage nicht mehr mit mir gesprochen hatte, sollte dieses Lächeln und dieses Sandwich für mich sein? Wirklich? „Willkommen zurück. Ich hatte dich eigentlich viel früher erwartet, Liebes, aber da du erst jetzt kommst, ist das Gemüse nicht mehr ganz so knackig.“ Erneut sah ich auf das Sandwich, welches mir Sadiq entgegenhielt. Ich erkannte Fleisch, viel Fleisch, und eine große Portion Gemüse. Wenn ich es recht bedachte, hatte ich wirklich etwas Hunger und warum sollte ich mir nicht einen Snack in Form von einem leckeren, Sadiq-bereiteten Sandwich gönnen? Dankbar nahm ich daher den Teller an und ging zu unserer Sitzgelegenheit auf der ich mich sogleich niederließ. Sadiq folgte mir, ohne mich jedoch eine Sekunde aus den Augen zu lassen, was in gewisser Weise schon seltsam war. „Ich habe unterwegs jemanden gesehen... Der Mann, der mich aus dem Hafenbecken gezogen hat.“ Ich griff zu dem Sandwich und drückte es gut zusammen, so dass mir beim ersten Biss nicht gleich die halbe Füllung herauspurzelte. Das wäre eine Verschwendung gewesen, die ich Sadiqs Gutmütigkeit einfach nicht antun wollte. Noch dazu, wenn er mich so gespannt beobachtete. Ohne zu zögern biss ich in das Sandwich mit dem leckeren Fleisch, welches eine fruchtige Note hatte und entgegen dem was Sadiq zur Begrüßung gesagt hatte, war das Gemüse doch noch ganz knackig. Wie sehr hatte ich doch diesen Geschmack vermisst und diese Geste eines Sandwichs dass... Die Freude verstarb just in dem Moment, als sich dieses Ding als Brotlaib aus der Hölle entpuppte. Meine Nase juckte, die Augen tränten und in Mund und Rachen breitete sich plötzlich ein Schmerz aus, den ich nicht in Worte fassen konnte. Ich sah mein Leben an mir vorbeiziehen, während ich den einzigen Bissen, den ich genommen hatte, herunter würgte und hoffte, dass Magen und Ich das überleben würden. „Hilfe...“, keuchte ich unter der Nachwirkung der Schärfe hervor und sah zu Sadiq, der mir einen Becher entgegen hielt. Sofort nahm ich diesen und leerte ihn in einem Zug, geduldig wartend, dass die Schärfe abklang, der Schmerz aber noch etwas nachhallte. „Das war...“ „Deine Strafe für das Lügen“, erklärte Sadiq mit einem breiten Grinsen, wobei er mir damit keine Chance ließ ihn für diesen Mordversuch zur Rechenschaft zu ziehen. Schmollend sah ich ihn an, was ihn wohl dazu veranlasste in lautem Gelächter auszubrechen. „Schon gut, schon gut. Ich mach dir ein Neues. Reicht das als Friedensangebot?“ Ich war mir nicht sicher, ob ich dieses Angebot annehmen sollte. Ich meine, wir sprachen hier von Sadiq, der mich fast vergiftet hatte. „Soll das ein zweiter Mordversuch sein?“ Misstrauisch geworden, sah ich Sadiq an, der sich die Hand auf die bedeckte Brust legte und das Gesicht verzog, als hätte ich mit meinen Worten irgendwie schwer verwundert. „Prinzessin, Ihr verletzt mich zutiefst. Niemals würde ich Euer Leibeswohl ein zweites Mal gefährden.“ Ich hob eine Augenbraue. Sicher? War er sich da wirklich sicher? „Außerdem, woher soll ich so schnell einen Mieter finden, der pünktlich vier Dinar pro Tag zahlt?“ Entrüstet über die letzte Bemerkung, rammte ich Sadiq meine Faust in die Seite. Er zuckte zusammen, lachte aber, wahrscheinlich weil mein Geknuffe alles andere als schmerzhaft war und es ihn höchstens gekitzelt hatte. „Jetzt hör auf! Das ist doch nicht fair. Erst schmollst du mich tagelang an und nun tust du so, als sei nichts passiert. Könntest du mir bitte sagen, wo wir aktuell stehen? Haben wir nun nur ein Vermieter-Mieter Verhältnis, oder sind wir wieder Freunde?“ Es war doch klar, dass ich nach den Tagen des Schweigens Gewissheit haben wollte. Wer hätte das nicht gewollt? Vor allem nach diesem Mordanschlag. „Wir haben nie aufgehört, Freunde zu sein. Aus meiner Sicht.“ Sadiq erhob sich von seinem Platz und nahm das Sandwich mit sich in den Kochbereich, wo er bereits neue Zutaten für ein weiteres Fladenbrot mit Füllung hervorholte. So ganz konnte ich nicht glauben, was er da sagte. Hatte er eben eingestanden, dass wir Freunde waren? Er, der eigentlich gemeint hatte, dass ich Abstand wahren sollte? Er, der mich die letzten Tage ignoriert und angeschwiegen hatte? War das nur wieder eine seiner Lügen? Oder meinte er es doch ernst? Was es aber auch war, mir gefiel die Illusion, dass er hier einer meiner Freunde war.   **~~**   Die alltägliche Routine des morgendlichen Aufwachens mit Sadiqs Sandwichs und seinem Lächeln, war wieder eingekehrt. Ich fühlte mich nicht länger einsam in den vier Wänden, doch es nagten gerade auch größere Probleme an mir, die ich niemanden mitteilen konnte. In den ruhigen Minuten, wenn ich für mich war, führte ich eine Pro- und Kontraliste für den Beitritt bei der Nebelbande. Es sprach vieles dafür. Einer der wohl stärksten Punkte war, dass ich dann Aladdin und die anderen mit großer Gewissheit treffen konnte. Noch dazu konnte ich helfen Balbadd vielleicht besser zu machen. Dagegen sprach nur, dass ich mein Leben nicht als Diebin führen wollte und die Tatsache, dass ich nicht wusste, ob ich es bis zu Aladdins Ankunft überhaupt überleben würde. Es fanden sich immer mehr Gründe für das Pro und das Kontra und irgendwann hatte ich eine vollkommen ausgeglichene Liste, so dass die Unsicherheit nur noch tiefer wog und ich noch weniger wusste was ich tun sollte. So auch an diesem Tag, als ich im Freudenhaus vor dem Spiegel saß. Ich war alleine im Umkleidezimmer und grübelte über der Liste, die ich erstellt hatte. Generell wäre diese nun der Punkt gewesen, an dem ich mir mein Handy geschnappt und in meinem Freundeskreis herum gefragt hätte, was sie an meiner Stelle tun würden, doch ich hatte weder Empfang noch ein Handy. Die einzigen Personen die ich hier kannte waren meine Kollegen und Sadiq. Letzteren wollte ich gar nicht erst fragen, genauso wenig wie Assad, der ja augenscheinlich ein inoffizielles Mitglied der Nebelbande war. Auf die beiden Männer konnte ich also gar nicht bauen und Ameen... nah, vergessen wir Ameen. „Erenya, das Essen ist fertig. Hilfst du beim Tisch decken?“ Ich zuckte zusammen, als ich Suleikas Stimme hörte, die plötzlich im Zimmer ertönte. Ein Blick zur Tür ließ mich erkennen, dass sie wirklich hier war, zusammen mit einem Stapel Teller, der darauf wartete, auf einem großen Tisch in der Mitte des Raumes drapiert zu werden. Ich erhob mich von meinem Platz und ging auf Suleika zu, der ich die Hälfte der Teller abnahm und zusammen mit ihr zum großen Tisch brachte. „Was serviert Ameen heute?“, fragte ich neugierig, während ich die Teller verteilte. Es war so etwas wie eine Tradition, dass die Mädchen ein bis zweimal die Woche gemeinsam zu Mittag aßen und sich so für das Abendgeschäft vorbereitete. Manchmal stießen auch Ameen und Assad hinzu, doch das war eher seltener der Fall, da sie als einzige Männer am Platz nicht viel von den doch eher weiblichen Gesprächen hier hatten. „Ein neues Gericht. Kare oder hieß es Köri... Es war ein schwerer Name.“ Ich musste etwas schmunzeln, denn wenn Suleika Curry meinte, hatte Ameen dieses Rezept zusammen mit mir Balbadd tauglich gemacht. Was mich natürlich nun in hohe Erwartungen für das Mittagessen versetzte. Mir war klar, dass es nicht wie Zuhause schmecken würde, aber mit Sicherheit schaffte Ameen auch aus dem modifizierten Rezept eine Kreation, die sich hier blicken lassen konnte. „Mädels, hier ist der Topf!“ Mit einem triumphierenden Singsang kam Cecilia in das Zimmer und platzierte den Topf in der Mitte. Egal wer hier saß, die Person würde gnadenlos alle Teller auffüllen müssen und kam als Letzte in den Genuss des Currys. Regel Nummer eins war also, sich weit vom Topf entfernt hinzusetzen. „Dann müssen nur noch die anderen kommen.“ Ich wollte mir gerade einen Platz suchen, als Cecilia mich packte und mit sanfter Gewalt auf den Platz, direkt vor dem Topf platzierte. „Na, na. Vor dem Essen müssen wir noch ein ernstes Gespräch führen. Wir drei, meine ich.“ Fragend sah ich zu Cecilia, die sich links von mir gesetzt hatte und zu Suleika, deren Platz zu meiner Rechten war. „Wie, ernstes Gespräch? Hab ich etwas falsch gemacht?“ „Nein, nein. Ganz und gar nicht. Aber unter uns Frauen gesagt, wir wissen doch, dass etwas mit dir nicht stimmt. Schon seit du heute früh hier hereingekommen bist, wirkst du so abwesend. Also sag schon, was bedrückt dich? Ist es Liebeskummer? Wegen wem? Assad oder Sadiq?“ Ich verstand erst jetzt, was Cecilia meinte, auch wenn ich ihre Aussage, dass ich abwesend wirkte, nicht ganz bestätigen konnte. Ich war wie immer her gekommen, halt nur etwas gedankenverlorener. Und vor allem, was sollte das mit dem Liebeskummer? „Äh... nein, es ist kein Liebeskummer“, erklärte ich und versuchte das Missverständnis zu klären, als Suleika mir ins Wort fiel. „Dann führt ihr also doch eine komplizierte Dreiecksbeziehung. Wollen sie, dass du dich endlich für einen von ihnen entscheidest?“ Okay, was war das hier? Irgendein Klischee aus einem Liebesroman? Wie kamen die beiden nur auf so eine Idee? „Es hat nichts mit den beiden zu tun, oder mit irgendeiner romantischen Beziehung. Es geht darum, dass ich eine Entscheidung treffen muss, aber nicht weiß welche.“ Ich seufzte inbrünstig auf und hoffte, dass die beiden einfach nicht weiter fragten. Schon dass sie auf die Idee kamen, dass ich für Assad oder Sadiq, die ich noch nicht einmal lange genug kannte, etwas empfinden könnte, war absurd. „Ich wurde von jemanden aus einer Gruppierung gefragt, ob ich ihnen nicht helfen mag... Allerdings ist ihre Art wie sie ihre Ideale durchsetzen, nicht gerade das was ich mir unter richtig vorstelle. Doch sie haben einige Mitglieder, die ich unbedingt kennenlernen muss, damit ich wieder nach Hause komme. Nur frage ich mich, ob es das wert ist wie Kanonenfutter zu enden. Gleichzeitig habe ich Angst, wenn ich mich gegen sie entscheide, dass ich für immer hier bleiben muss und niemals zurückkommen...“ Es war zwar noch nicht alles, was mir auf dem Herzen lag, aber zumindest konnten sich Suleika und Cecilia so ein Bild von meiner Situation machen. „Moment, verstehe ich dich richtig, du würdest dieser Gruppierung nur beitreten, um diese bestimmten Mitglieder zu treffen?“, fragte Suleika nach, wobei das Entsetzen aus ihrer Stimme deutlich herauszuhören war. Ich nickte stumm und sah sie an, doch sie schüttelte fassungslos mit dem Kopf. „Erstens, wenn du diese Personen wirklich treffen müsstest, um nach Hause zu kommen, wird es sicher mehr als diese eine Möglichkeit geben, Wenn es der Weg ist, der vom Schicksal bestimmt ist, dann kannst du auch hier arbeiten und sie werden zu dir finden. Dafür musst du dich aber nicht irgendeiner Gefahr aussetzen. Zweitens, was wenn diese Personen dich genauso wenig nach Hause schicken können wie wir? Dann hängst du bei einer Gruppierung fest, die dich für ihre Ideale opfert. So kommst du auch nicht nach Hause.“ Es klang für mich so, als versuchte Suleika mir gerade, diese Sache mit der Nebelbande auszureden. Zumindest wirkte sie nicht auf mich, als versuchte sie zu sagen 'Ja, tritt der Gruppierung bei'. Dabei waren ihre Argumente aber wirklich vernünftig und nicht einmal von so weit hergeholt. Wer garantierte mir, dass ich durch Aladdin zurückkommen konnte? War vielleicht nur der Wunsch der Antrieb gewesen, überhaupt den Beitritt bei der Nebelbande in Betracht zu ziehen? „Und wenn es meine Bestimmung ist?“ „Ach, Erenya. Was deine Bestimmung ist, entscheidest du alleine und wenn dir diese Gruppierung Magenschmerzen bereitet, können sie unmöglich deine Bestimmung sein. Eine Bestimmung ist immerhin etwas, hinter dem man voll und ganz steht ohne zu zweifeln oder zu zögern.“ Auch Cecilia hatte ein gutes Argument hervorgebracht. Allerdings war ich mir immer noch nicht sicher, ob es eine Bestimmung für mich gab. „Aber vorerst... Für wen würdest du dich entscheiden, Assad oder Sadiq?“ Das ging schnell. So schnell, wie bei Cecilia, hatte ich noch nie einen Themenwechsel erlebt, auch wenn ich zugeben musste, dass mich dieser kurze Small Talk mit Cecilia und Suleika doch einen kleinen Schritt näher zu seiner Entscheidung gebracht hatte. Mir fehlte nur noch das endgültige kleine Gewicht, das diese Entscheidung festigte.   Lebhaft wie immer war das Essen von statten gegangen und ich hörte Dinge, die ich besser niemals gehört hätte. Ehrlich, die Damen hier wussten mit Zweideutigkeiten um sich zu werfen, dass mir schon die Ohren schlackerten und es fast schon an Erregung öffentlichen Ärgernisses grenzte. Ich versuchte mich daher so gut es ging aus diesen Gesprächen herauszuhalten und hing den Gedanken an Kassim und seiner Nebelbande nach. Da es einiges an Gerüchte über meinen Borg und mich gab, wäre sicher nicht nur mein Leben in Gefahr, sondern auch das der Mädchen. Die sichere Variante war also nicht beizutreten. Was sollte Kassim mir schon tun? Abgesehen dass er mir vielleicht unter die Nase rieb, dass er mich gerettet hatte und so weiter und so fort. An sich war nicht beizutreten, für alle die doch sichere Wahl. Noch dazu hatte Suleika Recht. Warum sollte ich etwas erzwingen, was womöglich sowieso passieren würde? Was wenn in dem Moment meine Rettung hier durch die Tür trat, wenn ich bei der Nebelbande vergammelte? „Er war so niedlich und das kann man nicht von jedem Gast behaupten“, kicherte eines der Mädchen und hielt sich dabei die Hand vor den Mund. Ich hörte nur noch breite Zustimmung und fragte mich, ob ich irgendetwas verpasst hatte, die letzten Tage. Wenn sie über einen Gast sprachen, musste ich diesen doch auch kennen, aber einer der niedlich war, war mir nicht aufgefallen. Vielleicht meinten sie auch einfach nur, dass er vom Charakter her sehr niedlich war. Dann konnte ich das auch nicht wissen. „Mädchen!“ Die ernste Stimme Assads durchbrach die ausgelassenen Gespräche der Damen, die sofort aufsahen. „Wir werden heute Abend nicht öffnen. Der König wird in kurzer Zeit eine Rede halten und ich bezweifle, dass danach die Gäste wild auf etwas Unterhaltung sind.“ Sofort schienen die Mädchen zu verstehen, was Assad meinte, ich allerdings blieb vollkommen außen vor und wie immer ahnungslos. „Wer von euch also die Rede hören will, kann gehen.“ Assad verließ das Zimmer wieder und Schweigen machte sich breit. Mein Blick wanderte über die Gesichter der Mädchen, die scheinbar nicht so recht wussten, was sie nun tun sollten. „Erklärt mir das jemand? Warum wird das Geschäft geschlossen, wenn der König eine Rede hält?“ Ich musste einfach fragen, denn anders würde ich das wohl nicht verstehen. Wie auch, wenn diese Welt mir so fremd war? „Wenn König Ahbmad eine Rede hält... Ist die Stimmung meist getrübt. Die meisten Gäste brauchen dann einen Tag um die Nachrichten sacken zu lassen. Die einzigen die dann kämen wäre der Adelsstand und Assad hasst den Adelsstand.“ Auch wenn das was Cecilia mir erzählte alles andere als logisch klang, musste ich das wohl so hinnehmen. Dennoch war die Frage schon da, was Ahbmad wohl verkünden würde. „Also Mädels, räumen wir auf und gehen dann nach Hause.“ Das Geschirr klapperte und alle taten wie Suleika es angeordnet hatte. Wahrscheinlich würde sie gleich in der Küche helfen, sonst würde sich das Geschirr bis zum nächsten Tag wieder stapeln. Auch ich kam ihrer Order nach und nahm den Teller mitsamt Löffel auf und verließ das Zimmer. „Erenya...“ Beinahe hatte ich das Geschirr fallen gelassen, als Assads Stimme seitlich von mir erklang. Gerade rechtzeitig hatte ich mich aber fangen können, weswegen ich zu meinem Chef sah, der an der Wand gelehnt stand und scheinbar auf mich gewartet hatte. „Oh Gott, Assad! Musst du mich so erschrecken?“ Ich spürte noch wie mein Herz wild gegen meine Brust hämmerte und sah meinen Chef an, der jedoch keinen Mundwinkel verzog und dem das ganze nicht einmal Leid zu tun schien. „Ich möchte, dass du mich zu der Rede des Königs begleitest.“ Verwundert hoben sich meine Augenbrauen über Assads Worte. In der Regel wäre ich nicht zu dieser Rede gegangen, schon allein aus dem Grund, dass mich politische Reden nicht die Bohne interessierten und ich nicht unbedingt Ahbmads Gesicht sehen musste. „Du solltest mit eigenen Ohren hören, wie es wirklich um unser Land steht und dann für dich entscheiden, ob du deine Bestimmung nicht woanders suchen willst.“ Meine Bestimmung woanders suchen? Was hatte Assad nur auf einmal? War ich ihm zu teuer? Tat ich zu wenig? Wollte er mich rauswerfen? Oder wollte er mich damit in die Fänge der Nebelbande treiben? Ich wusste das nicht, doch wenn Assad wollte, dass ich ihn begleitete, konnte ich mich dem wohl nicht entgegensetzen. „Na schön. Warte hier. Ich bin gleich wieder da.“ Da ich Assad nicht länger warten lassen wollte, brachte ich schnellstmöglich das Geschirr in die Küche, wobei ich bemerkte wie Cecilia und Suleika mich mit einem breiten Grinsen bedachten. Sie hatten das Gespräch zwischen mir und Assad bemerkt und natürlich ging mit beiden sofort die Fantasie durch. Ich wollte gar nicht wissen, wie sie mit den anderen Mädchen hinter meinem Rücken über mich und Assad reden würden. Frauen halt.   Es hatten sich viele Bewohner Balbadds hier versammelt, vor allem die Schicht aus den Slums und eben die normal verdienende Bevölkerung fanden sich hier ein. In ihren Gesichtern stand die Angst deutlich geschrieben, was mir nur verriet, dass die letzten Reden alles andere als positiv gewesen waren und sie sich auch von dieser hier nicht viel erhofften. „Hier entlang...“ Ich spürte Assads Hand die nach meiner griff, als er sich seinen Weg durch die Menge bahnte, zielsicher und ohne, dass jemand ihn weg zustoßen oder den Weg versperren zu schien. Er schaffte es sogar mit mir im Schlepptau sein Tempo zu halten, bis er weit genug vorne zu sein schien, dass auch ich einen guten Blick auf den Balkon hatte, von dem aus sich Ahbmad an sein Volk wenden würde. „Wie du sicher merkst, ist der Adel hier nur schwach vertreten. Sie müssen sich keine Sorgen machen, egal was Ahbmad erzählt. Ihre einzige Sorge ist eine Bande von Dieben, die derzeit alles klaut, was dem Adel gehört. Allerdings wird sich der König nicht dazu äußern, weil er sie nicht ernst genug nimmt, auch wenn sie ihm ein Dorn im Auge sind. Bezüglich des Schutzes hat der Adel schon lange das Vertrauen in den König verloren.“ Auch wenn seine Stimme nur ein Flüstern war, konnte ich Assads Worte und Erklärungen doch gut genug verstehen, was nicht sonderlich verwunderte, da ich dicht an seiner Seite stand. Immer noch hielt Assad meine Hand fest umschlungen, so als wollte er vermeiden, dass ich während der Rede verloren ging. Sein Blick hingegen lag starr auf den Balkon gerichtet, wie der von so vielen anderen auch. Ich richtete meinen Blick ebenfalls auf den Balkon, auf den just in diesem Moment Ahbmad mit seinen Beratern trat. Sofort wurde es um mich herum laut. Die Bewohner Balbadds nutzten diese Chance um Ahbmad ihr Leid entgegen zu brüllen, doch diesen schien das nicht im geringsten zu interessieren. Mit einem Blick des Ekels und der Missbilligung sah er auf uns hinab und setzte schließlich zu seiner Rede an. „Bewohner Balbadds! Ich weiß, dass ihr aufgrund unserer wirtschaftlichen Lage harte Zeiten durchmacht.“ Schon jetzt interessierte mich das was Ahbmad sagte nicht die Bohne. Dieser Heuchler, dieser kleine dicke, machtgierig Bastard. Was wusste er schon? Nichts. Er hatte noch nie einen Fuß außerhalb seines Palastes getan und sich hier umgesehen. Wie konnte er da wissen, was sein Volk wirklich durchmachte? „Einst war Balbadd der strahlende Mittelpunkt des Handels, doch über die Jahre haben wir dieses Strahlen verloren. Doch noch ist nichts verloren, Volk von Balbadd. Das Kaiserreich Kou hat uns helfend die Hand gereicht und uns versprochen, dass wir mit ihrer Hilfe wieder zum Mittelpunkt des Handelns werden können. Darum, Volk von Balbadd, zeigt eure Dankbarkeit und heißt das Kaiserreich Kou, welches uns so gnädig seine Unterstützung bietet, willkommen!“ „Das ist doch wohl ein schlechter Scherz“, zischte Assad erzürnt und zum ersten Mal seit meiner Ankunft konnte ich eine klare Emotion in Form reinen Hasses, in seinen Augen ablesen. Doch er war nicht der einzige, der diese Worte als etwas weniger Gutes sah, was mir deutlich bewusst wurde, als die Stimmen um mich herum wieder lauter wurden. „Ihr seid undankbar! Ich tue was ich kann, um euch Gesindel zu helfen und ihr..:“ Ahbmad schien ganz und gar nicht zu gefallen, dass sein Volk nicht himmelhoch jauchzend über seine Entscheidung war und beugte sich etwas mehr über den Balkon. Selbst von meiner Entfernung aus konnte ich sehen, dass er kurz davor war, den Wachen einen äußerst unklugen Befehl zuzurufen, doch eine Hand, umgeben von schwarzen Lichtvögeln, hielt ihn zurück. Ich musste einige Male blinzeln und erkannte schließlich einen Mann, der breit grinsend hinter Ahbmad stand und ihm etwas zuflüsterte. Eine Dornenkranz hielt seine Kufiya fest am Kopf und mich beschlich ein ungutes Gefühl. Dieser Dornenkranz... Die Kufiya... sofort erwachte wieder die Erinnerung an den Mann, den ich vor meiner Ankunft in Ugos heiligen Hallen gesehen hatte. Unbewusst drückte ich Assads Hand etwas fester und starrte wie gebannt auf diesen Mann. „Hey...“ Assads Stimme holte mich erst wieder in die Realität zurück und ich erkannte, dass dieser Mann nicht der aus meinen Erinnerungen war. Dennoch war die Ähnlichkeit, obgleich er einen Schnurrbart hatte und ich sein schielendes Gesicht nur zu genau sehen konnte, viel zu verblüffend. „Es tut mir leid... ich... nein es ist nichts.“ Obwohl ich am liebsten Assad von meinem Verdacht erzählt hätte, konnte ich es einfach nicht und starrte stattdessen weiter diesen Mann an, um den sich die schwarzen Lichtvögel sammelte, als sei er die Lichtquelle, von der sie sich nähren wollten. „Komm, gehen wir, bevor der König uns seine Lakaien auf den Hals hetzt.“ Es fiel mir schwer meinen Blick von diesem Mann mit den schwarzen Lichtvögeln abzuwenden und doch ließ ich mich von Assad vom Ort des Geschehens führen.   **~~**   Auch wenn die Rede Ahbmads mich nicht wirklich interessiert hatte, ging mir das Ereignis doch nicht aus dm Kopf. Meine Gedanken waren bei diesem Mann, der an der Seite des Königs gestanden hatte und jenem aus meiner Erinnerung doch schon in gewisser Weise ähnelte. Es war schon ein seltsamer Zufall. 'Vielleicht sollte ich meine Fandomkenntnisse prüfen...' Ich wusste unbewusst, dass ich etwas Wichtiges übersah. Oder viel mehr etwas zu vergessen haben schien, was mich einige Schritte hätte weiterbringen können. Wobei konnte das sein? Nein, ich hatte nichts vergessen... ich war mir sicher, dass ich nichts vergessen hatte in Bezug auf das Magi-Fandom. Dazu waren diese kaum vorhandenen Kenntnisse sowieso noch zu frisch gewesen. Mein Kopf schien lediglich an einigen Stellen zu blockieren, besonders bei dem Versuch mich zu erinnern, was an diesem einen Tag vorgefallen war. Vielleicht war es etwas traumatisches gewesen. „Prinzessin...“ Gebeutelt von der Nacht, weil ich diese Gedanken einfach nicht loswerden konnte, wandte ich mich in meinem Bett aus Kissen um und erblickte Sadiq, der mich zwar wie gewohnt anlächelte, in dessen Augen aber doch ein Funken Sorge lag. „Morgen...“, nuschelte ich leise und erhob mich. Ich war sowieso schon seit Stunden wach, hatte mich aber einfach nicht aus dem Bett quälen können. Keine Ahnung ob Sadiq das aufgefallen war, aber mit Sicherheit bemerkte er, dass ich im Gegensatz zu anderen Morgenden nicht ganz so grummelig war. „Schlecht geschlafen, was?“ Wenn Sadiq immer noch lauschte, während ich schlief, war ja klar, dass er wohl mitbekommen hatte, wie ich mich in meinen Träumen selbst mit den Erinnerungen gequält hatte. Dafür erntete er also ein wohl vertrautes Grummeln. „Was machen wir nur mit dir? Du musst mehr raus an die frische Luft, Spaß haben und mal wieder lachen, sonst endest du bald wie Assad.“ Was hatten alle immer nur mit Assads Ernsthaftigkeit. Sicher, das ein oder andre Lächeln hätte ihm sicher auch gut gestanden, aber wenn er nicht lächeln wollte, dann wollte er eben nicht. Genauso wenig war mir nach Spaß. „Ich hab eben gerade eine Menge im Kopf... Mit Spaß kann ich das sicher nicht loswerden“, murrte ich und nahm das Sandwich, welches Sadiq mir entgegenhielt. Wobei ich dieses ausgiebig musterte, denn seit seinem letzten Mordanschlag, traute ich seinen Sandwichs keinen Meter über den Weg. „Ich schwöre, es ist essbar. Aber zurück zum Thema. Vielleicht brauchst du einfach mal etwas Ablenkung. Ich meine du gehst arbeiten, kommst nach Hause, gehst ins Bett und am nächsten Tag hast du genau denselben Trott. Du brauchst eindeutig mal eine Abwechslung, danach siehst du alles in einem vollkommen anderen Licht.“ Ich hörte Sadiq zu, während ich vorsichtig in das Sandwich biss. Er hatte recht, das Sandwich war essbar. Bei dem Rest war ich mir nicht ganz so sicher. Ich meine Suleika und Cecilia hatten mir ja schon ein wenig mit meiner Entscheidung ob Nebelbande oder nicht, geholfen. „Und woher soll ich diese Abwechslung bekommen?“ Bei Sadiq klang das so einfach. Er nahm eben doch alles etwas zu sehr auf die leichte Schulter. „Du arbeitest in einem Freudenhaus, wie kannst du da wohl Abwechslung bekommen?“ Ein zweideutiges Grinsen zeichnete sich auf Sadiqs Gesicht ab, so dass es nicht schwer war zu verstehen was er meinte, was mich gleich dazu brachte, sein Sandwich doch als Waffe zu einem erneuten Mordanschlag zu sehen, da ich mich an diesem verschluckte. „SPINNST DU! ICH BIN NICHT SO EINE! BOAH, SADIQ!“ Mir war der Appetit gründlich vergangen, weswegen ich Sadiq das Sandwich entgegenwarf und mich aus meinem Bett erhob. Mein Fluchtinstinkt war geweckt, ich wollte nur noch raus und am besten den ganzen Tag nicht mehr mit Sadiq reden. Er war wirklich so ein Idiot. So ein verlogener Idiot.   Es hatte wirklich den ganzen Weg zur Arbeit gebraucht, bis ich mich abreagiert hatte. Immerhin, eines musste man ihm zu Gute halten, ich hatte den Mann mit Kufiya wieder erfolgreich verdrängt und konnte mich auf die Arbeit fokussieren. Dafür würde ich Sadiq also danken, nicht aber für seine doch sehr anzüglichen Gedanken. Im Umkleidezimmer der Mädchen sammelte ich noch etwas meine Gedanken und überlegte, was ich den Gästen heute für eine Geschichte erzählen könnte. Die letzten Tage hatte ich häufiger auf die japanische Mythologie zurückgegriffen, doch gerade nach der Rede Ahbmads, war es vielleicht wieder besser, auf eine Geschichte zurückzukommen, die etwas einheimischer war. „Alibaba und die 40 Räuber...“, wisperte ich leise. Wenn ich ehrlich war, war das neben Aladdins Wunderlampe, hier eher die Disneyfassung, eine der wenigen arabischen Geschichten, die ich noch kannte. Zumindest erinnerte ich mich dunkel daran. „Ist das der Titel der Geschichte, die du heute erzählst?“ Eines der Mädchen, welches sich gerade im Zimmer umgezogen hatte, schien meine etwas lauter ausgesprochenen Gedanken gehört zu haben. Sie waren immer so neugierig, worüber ich erzählen würde, auch wenn mein Repertoire sich allmählich dem Ende neigte. „Ich denke ja. Es könnte ganz gut nach Balbadd passen.“ Natürlich würde es passen, immerhin gab es in dieser Geschichte einen Kassim. Ich entschied aber, zum Wohle meiner Unversehrtheit, diesen Namen ausnahmsweise abzuändern. Da Assad ja augenscheinlich gut mit Kassim auskam, hätte dieser ihm sonst von der Geschichte erzählt und Kassim diese als Kriegserklärung gesehen, immerhin wurde in der Geschichte sein Ende beschrieben. „Also Mädels, lasst euch nicht von den Gästen ärgern.“ Ich vermied es den Mädchen viel Spaß zu wünschen, denn ich war mir immer noch nicht sicher, ob das was sie taten wirklich Spaß für sie war. Manchmal klang es so, allerdings wenn dem nicht so war, setzte ich mich nur in ein Fettnäpfchen und das wollte ich doch vermeiden. Ich erhob mich von meinem Platz und ging aus dem dem Zimmer, zielstrebig auf mein Reich zu, dem aufgetürmten Stapel Kissen, der so bequem und meine kleine eigene Rettungsinsel war. Noch während ich auf meinen Platz zuging, grüßten mich einige der Stammgäste und es schien, als wäre wirklich alles so normal wie vor einigen Tagen. Vergessen waren die Gerüchte und wohl auch mein Borg, was mich innerlich noch mehr beruhigte. Ich konnte wieder ein temporärer Teil dieser Welt werden, ohne mich abstrakt zu fühlen. So konnte ich doch noch eine Zeit weiterleben, oder? Ohne Krieg, ohne Gewalt, ohne die Nebelbande. Richtig? Ich ließ mich in meine Kissen sinken und holte tief Luft. Es war seltsam wie aufgeregt ich heute war. Dabei war es doch nicht das erste Mal, dass ich Geschichten hier erzählte. „Willkommen, hochgeehrte Gäste. Ich freue mich, euch auch heute wieder eine meiner Geschichten zu erzählen. Sie trägt den Titel Alibaba und die vierzig Räuber.“ Ich hielt kurz inne und überlegte, wie ich am besten die Geschichte begann. Die Aufmerksamkeit meiner Zuhörer war mir zumindest gewiss. „Alibaba war der Sohn eines Händlers. Er und sein großer Bruder Nasir führten ein gutes Leben bis sein Vater verstarb und Nasir das Geschäft des Vaters übernahm. Nasir heiratete eine wohlhabende Frau, wohingegen Alibaba sein Herz an eine nicht vermögende Dame verschenkte. Eines Tages, als Alibaba Holz sammelte, entdeckte er eine Gruppe Räuber, die vor einer Höhle standen als sie 'Sesam öffne dich' sagten, schob sich ein magischer Fels zur Seite und offenbarte eine verborgene Höhle, in die die Räuber sich zurückzogen. Alibaba wartete, bis die Räuber wieder herauskamen und kam aus seinem Versteck, als diese erneut loszogen um zu plündern und zu rauben.“ Die Stille die herrschte, während ich meine Geschichte erzählte, war wirklich unglaublich. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, aber gut, ein aufmerksames Publikum war immer noch besser als ein grölendes. Ich erzählte ihnen, wie Alibaba etwas von dem Schatz aus der Höhle entwendete und die Frau Nasirs mit einem Trick vom Reichtum des Schwagers erfahren hatte und dies ihrem Mann berichtete. Während ich erzählte war mir selbst bewusst, wie ähnlich das ganze im Bezug auf die Dungeons klang. Türen, die mit Sesam Öffne dich aufgingen, Schätze die dahinter warteten. „Nasir suchte diese Höhle auf, nachdem Alibaba ihm von ihr erzählt hatte, doch in ihrem Inneren hatte er vergessen, wie der Spruch hieß, mit der er die Tür öffnen konnte. Das Unvermeidliche trat ein und die Räuber entdeckten den Dieb, der für seine Tat büßte. Als Nasir nicht nach Hause kam, machte sich Alibaba Sorgen und ging auf die Suche. Sein erster Weg führte ihn zu der Höhle in der er den zerstückelten, aufgespießten Körper, seines Bruders entdeckte. Geschockt aber doch noch bei Sinnen, nahm er die Körperteile seines Bruders mit sich und bat die Sklavin Morgiana, dass sie dafür sorgen sollte, dass der Tod seines Bruder wie ein Natürlicher erschien. Niemand sollte erfahren, dass sein Bruder von Räubern zerstückelt worden war. Morgiana tat alles, wie ihr geheißen wurde, besorgte Erkältungsmedizin von einem Apotheker und erzählte, dass ihr Herr krank war. Jeder würde glauben, dass Nasir wegen dieser Krankheit verstorben war, allerdings nur, wenn sein Körper in einem Stück beerdigt wurde. Sie bestach einen Schneider, der ihren Herren zusammennähte ohne Fragen zu stellen so dass sie letzten Endes Nasir beerdigen konnten.“ Ich machte kurz Pause und griff zu einem Becher Saft, den mir eines der Mädchen gereicht hatte. Dankbar lächelte ich sie an und nutzte diesen kurzen Moment um über meine weiteren Worte nachzudenken. „Man könnte meinen, dass dies nun das Ende war, doch das ist es nicht. Die Räuber waren nicht dumm und bemerkten, dass die Leichenteile des Eindringlings fehlten. Ihnen war klar, dass noch jemand von ihrem Geheimnis wusste, weswegen sie in die Stadt gingen und dort auf den Schneider trafen. Dieser erzählte ihnen, dass er vor kurzem den Körper eines Mannes zusammengenäht hatte. Die Räuber tricksten ihn aus, so dass er einem von ihnen den Weg zu Alibabas Haus zeigte. Da die Häuser sich wie ein Ei dem anderen glichen, markierte der Räuber die Tür mit einem Kreuz. Morgiana, die das bemerkte, griff zu einer Liste und malte ein Kreuz an jede Tür. Als der Räuber seine Mitstreiter mitbrachte, konnten sie nicht Alibabas Haus ausmachen, wofür der erste Räuber mit seinem Leben bezahlte. Am nächsten Tag, ließ sich ein zweiter Räuber das Haus Alibabas zeigen. Dieses Mal schlug dieser eine Kerbe in den Holzbalken an der Türschwelle. Auch das bemerkte Morgiana, die eine ähnliche Kerbe in die Türschwellen der anderen Türen schlug. Wieder, als die Räuber ankamen, konnten sie Alibabas Haus nicht ausmachen und wieder starb ein Räuber für sein Versagen.“ Man konnte deutlich in den Gesichtern der Zuhörern sehen, dass sie gespannt waren, wie diese Geschichte ausgehen würde. Immer wieder, wenn es Morgiana gelang Alibaba vor den Räubern zu retten, nickten sie erkennend. „Als der Anführer, der sich persönlich den Weg hatte zeigen lassen, verkleidet als Händler zu Alibaba kam und ihm Krüge voller Öl verkaufen wollte, wusste Alibaba nicht, dass in Wahrheit nur in einem Krug Öl war. In den anderen saßen die restlichen Räuber, die darauf warteten, ihre schändliche Tat zu vollbringen. Erneut war es Morgiana, die diesen Plan durchschaute und verhinderte. Sie ertränkte die Räuber mit Öl und rettete Alibaba so erneut. Als der Anführer der Räuber bemerkte, was seinen Kameraden geschehen war, floh er und Alibaba schenkte Morgiana zum Dank die Freiheit.“ Es war schon Ironisch. Der Alibaba hier hatte Morgiana ebenfalls die Freiheit geschenkt, auch wenn sie diesen nicht wirklich vor Räubern gerettet hatte. Der Alibaba aus der Geschichte, wäre nicht so selbstlos gewesen. Anders als der Alibaba aus dieser Welt. Ob es daran lag, dass er Sinbad als Vorbild hatte? „Morgiana hat es den Räubern wirklich gezeigt!“, rief einer der Gäste und hob dabei sein Glas um auf die Sklavin anzustoßen. Einige taten es ihm gleich, doch mein Grinsen ließ sie zögern. „Ja, sie hat es ihnen wirklich gezeigt. Aber der Anführer der Räuber gab nicht auf. Als Händler getarnt, freundet er sich mit dem Sohn Alibabas an. Dieser hatte Nasirs Geschäft übernommen und lud den Anführer der Räuber zu Alibaba nach Hause ein. Morgiana erinnerte sich aber noch gut an das Gesicht des Mannes, der schon einmal ihren Herren hatte umbringen wollen. Während des Essens, führte sie einen Tanz mit Dolchen auf und versenkte einen von diesen in das Herz des Räubers. Als Alibaba das sah, war er zuerst wütend auf Morgiana, als er jedoch selbst den Anführer der Räuber wieder erkannte, war er ihr zutiefst dankbar. Alibaba hatte schon lange gemerkt, dass Morgiana sich in seinen Sohn verliebt hatte und diese Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhte. Auch wenn es nicht dem Standard entsprach, erlaubte er beiden zu heiraten. Was aber aus dem Schatz geworden war und wo er sich befand, das behielt Alibaba für sich, doch man kann sich sicher sein, dass für dieses Diebesgut kein Blut mehr vergossen wurde.“ Applaus kam auf, als das Ende der Geschichte gekommen war und es fühlte sich seltsam an. Nicht dass sie das erste Mal applaudierten, aber ich fühlte eine Erschöpfung, die ich lange nicht mehr gespürt hatte. Ich trank meinen Becher mit Saft aus und sah in die lächelnden Gesichter der Menschen hier. Etwas in mir, sagte mir, dass genau das alles war was ich wollte. Menschen Lächeln sehen. Ob ich das als Mitglied der Nebelbande konnte? Ich dachte an die Gruppe Rebellen und erinnerte mich an die ernsten Gesichter. Bei ihnen gab es kein Lächeln und wenn, dann war diese Freude falsch. Hass durchzog ihre Schlachten. Schlachten, die ich nicht schlagen wollte, weil ich es nicht konnte. Ein Blick durch den Raum zeigte mir, wie viele Gäste bereits zu uns gestoßen waren. Heute würde ich wohl früher meinen Dienst bei Ameen antreten. Die Männer wurden gut genug unterhalten und da Alibaba und die vierzig Räuber mich genug Kräfte gekostet hatte, entschied ich, es bei dieser einen heute zu belassen. Ich erhob mich aus meinen Kissen, wurde aber plötzlich von lauten Gelächter auf etwas oder viel mehr jemanden aufmerksam. Er saß da, in einem kleinen Berg von Kissen, links und rechts von ihm zwei Mädchen, die scheinbar über einen Scherz von ihm lachten und auf Tuchfüllung gingen. Sein rotes Haar, hing in langen Strähnen jeweils über eine Schulter hinab, wobei er drei Strähnen im Gesicht geflochten hatte. Sein Anblick war mir vertraut, auch wenn er plötzlich viel jünger schien. Viel zu jung um hier zu sein. Er war sicher noch nicht volljährig, doch das schien die Mädchen nicht zu stören, als sie ihren Service brachten und sich der junge Mann das gefallen ließ. „Wenn Ihr soviel arbeitet, kann ich euch mit einer Massage Entspannung bringen“, säuselte eines der Mädchen wobei ihre Hand etwas unter sein halb offenes Oberteil glitt. In dem Moment hatte ich genug, so gerne ich auch ein Gespräch mit diesem Kunden gewagt hätte. Aber nein. Nicht unter diesen Umständen. Sollte er seine „Entspannung“ mit „Happy End“ bekommen, ich kümmerte mich lieber um das Gemüse und Fleisch in der Küche.   Das Gemüse und Fleisch in der Küche waren bereits geschnitten und mein Blick ruhte böse auf Ameen, der mich unschuldig ansah. Der Tag war ja wirklich herrlich. „Ameen, du hast mich jetzt nicht absichtlich arbeitslos gemacht, oder?“ Ich konnte es nicht glauben, dass er wirklich schon meine ganze Arbeit erledigt war. „Wir müssen vorarbeiten. Das ganze Haus ist heute voll und ich brauch deine Hilfe beim Kochen. Die Kou-Leute sind Vielfraße.“ Ameen lachte und verwies auf einen Platz neben sich am Herd. Immerhin war die Kochstelle groß genug für zwei. „Na schön. Darf ich die Hähnchenspieße machen?“ Bei meiner Ankunft hatte Ameen gefragt, ob ich noch ein Rezept hatte, dass dem Gaumen der Kou-Leute vielleicht schmeicheln konnte. An sich hätte ich ihm dieses jetzt gegeben, doch wenn ich ihm schon beim Kochen helfen würde, konnte ich sie auch gleich zubereiten. „Mach nur, mach nur. Gemeinsam bekommen wir die Meute satt.“ Ich zweifelte nicht daran, dass wir die Menschen da draußen satt bekamen. Irgendwie freute ich mich sogar, endlich wieder kochen zu können. Zuhause hatte ich das immer gerne für Freunde gemacht. Ihr Lächeln dann zu sehen oder zu hören, wie sie Nachschlag forderten, weil es ihnen schmeckte, war daran einfach das Beste. Zwar würde ich Ameen nicht den Rang als Koch streitig machen, aber vielleicht würden meine improvisierten Yakitori-Spieße legendär werden oder viel eher, Balbadd tauglich. „Also schön, dann legen wir mal los. Sag mir was ich neben den Spießen machen soll und ich tue es.“ Ich war wirklich zu allem fest entschlossen, hatte sogar schon vergessen, dass da draußen ein kleiner Prinz sein Happy End bekam. Vielleicht hatte ich während des hitzigen Gefechts mit Töpfen und Pfannen ja noch die Chance Ameen zu fragen, warum halbe Kinder noch ins Freudenhaus durften und keiner sich darum zu kümmern schien.   Für gewöhnlich verließ ich immer früher Assads Lokal, doch da ich heute selbst zum Koch des Hauses mutiert war, hatte ich einen längeren Dienst. Etwas enttäuscht hatte ich im Gästebereich bemerkt, dass der kleine Prinz und seine Leute nicht mehr hier waren. Schade, denn damit war mir eine Gelegenheit entgangen, mit einem, mir doch bekannten Charakter aus Magi reden zu können. Ich seufzte inbrünstig, als ich das Lokal verließ und schüttelte den Kopf. „Dabei hätte ich schon gerne mal Hallo gesagt...“, sagte ich zu mir. Wobei, vielleicht hätte ich nicht einmal dieses 'Hallo' herausbekommen. Chance verpennt, eindeutig. Da war eindeutig das Happy End im Weg gewesen. Ein weiteres Mal seufzte ich auf. Wirklich schade. „Mit jedem Seufzer entflieht dir etwas Glück, sagt man in meiner Heimat.“ Ich sah auf und erkannte ihn, der von dem ich geglaubt hatte, dass er schon längst mit seinen Leuten weggegangen war. Mit einem breiten Grinsen stand der Prinz da, seine Wangen waren gerötet, was er wohl dem Genuss des ein oder anderen Bechers Weines verdankte. Doch er schien noch nüchtern genug um nicht zu lallen während er sprach. Was machte er noch hier? Verwundert und wahrscheinlich mit dem dümmlichsten Gesichtsausdruck den ich zu bieten hatte, sah ich zu dem Prinzen. Ja, was machte er noch hier? „Hahahahaha, wirklich unbezahlbar dieser Blick, Geschichtenerzählerin.“ Immerhin einer amüsierte sich über meinen verdammt, selten dämlichen Blick. Damit hatte ich ja schon einmal einen Pluspunkt gesammelt, ungewollt. „Du... ich meine Sie waren doch mit den anderen Männern des Kaiserreiches Kou hier. Sollten Sie dann nicht mit den andren gemeinsam zurück zu ihrer Unterkunft gehen?“, fragte ich und ohrfeigte mich innerlich, dass ich den Prinzen aufgrund seines jungen Alters beinahe gedutzt hatte. Assad hätte dir das niemals verziehen, wenn sich der Kleine deswegen über mich beschwerte. „Sie langweilen mich. Und alleine gehen ist auch langweilig. Aber du kannst mir sicher noch ein paar Geschichten erzählen, oder?“ Ein gelangweilter Prinz war kein guter Prinz. Vor allem dann nicht, wenn er aus dem Kaiserreich Kou kam. Aber sollte ich ihn wirklich dahin bringen, wo er hingehörte, also wahrscheinlich in das Hotel, welches mit Sadiq einmal gezeigt hatte? „Ich könnte eines der Mädchen holen. Sie würden Sie sicher gerne nach Hause begleiten. Ich gehe nämlich nicht mit Gästen oder Fremden mit.“ Ja, niemals mit Fremden mitgehen, dass war eine Lektion die mir meine Mutter eingebläut hatte. Und ehrlich, man arbeitete in einem Freudenhaus nicht um dann einen Kunden einfach nur nach Hause zu bringen. Ich musste, so gerne ich den Prinzen nach Hause gebracht hätte, eine klare Linie ziehen. „Kouha Ren, das ist mein Name und ich bevorzuge deine Begleitung. Deine Geschichten sind unterhaltsamer als die anderen Mädchen.“ Argh, wie schaffte er das nur? Er entkräftete damit meine Ausrede, dass ich nicht mit Fremden mitging. Sicher ein Name machte uns noch lange nicht zu Bekannten, aber als Prinz des Kaiserreichs hatte sein Name doch schon eine gewisse Wirkung. Mir blieb keine andere Wahl. „Also schön, ich begleite Euch ein Stück. Ein paar kleine Geschichten kann ich Euch ja noch erzählen.“ Vielleicht war es wirklich besser Kouha zu begleiten. Nicht das er der Nebelbande noch über den Weg lief. Er schien mir gerade immerhin unbewaffnet zu sein. Gut, ich hätte ihn nicht beschützen können, aber mit meinem Dolch, den ich immer noch bei mir trug, konnte sicher auch er etwas anfangen. Außerdem, was hatte Sadiq gesagt, ich brauchte mal etwas Abwechslung. Es war schon einmal eine Abwechslung, dass ich einen Gast nach Hause brachte. Solange es nur bei diesem Service blieb, war das doch mal etwas besonderes. „Ich kenne ein Gedicht, mit dem kann ich Euch mindestens fünf Minuten unterhalten“, erklärte ich und grinste breit. Gott, das Gedicht war so einfach und dumm, aber unser Dozent in der Uni hatte es wirklich geschlagene fünf Minuten rezitiert, ohne dass es langweilig geworden war. „Ein Hund kam in die Küche und stahl dem Koch ein Ei. Da nahm der Koch den Löffel und schlug den Hund entzwei. Da kamen viele Hunde und gruben ihm ein Grab und setzten drauf 'nen Grabstein, darauf geschrieben stand: Ein Hund kam in die Küche und stahl dem Koch ein Ei. Da nahm der Koch den Löffel und schlug den Hund entzwei. Da kamen viele Hunde und gruben ihm ein Grab und setzten drauf 'nen Grabstein, darauf geschrieben Stand: Ein Hund kam in die Küche...“ Ich beschloss beim dritten Mal, dass ich es dabei beließ, denn sicher wusste Kouha, worauf es hinauslaufen sollte. Doch begeistert schien er nicht. Ich sag ja, ein dummes Gedicht. „Wirklich, ein Löffel?“, fragte Kouha schließlich und sah mich an, als erwartete er von mir eine logische Erklärung, warum es ein Löffel war. Woher sollte ich das wissen? „Ein Messer wäre viel effektiver gewesen.“ „Deswegen ist es ja eine Geschichte, da muss die Logik keine Rolle spielen. Vielleicht war der Löffel ein magisches Utensil oder so. Zum Beispiel gibt es da die Geschichte von dem Rattenfänger von Hameln.“ Als wollte ich ihm beweisen, dass der Löffel wirklich ein magisches Utensil sein konnte, griff ich als Beispiel auf eine Geschichte meiner Kindheit zurück. Die Geschichte vom Rattenfänger, der mit seinem Flötenlied, dass scheinbar magisch schien, Ratten aus Hameln und später sogar deren Kinder weglocken konnte.   Wir hatten ein wirklich langsames Schritttempo hingelegt, um nicht zu schnell beim Hotel anzukommen. Zumindest hatte Kouha das Tempo vorgegeben und ich mich diesem nur ergeben. Er hatte schon einigen Geschichten gelauscht, meist kleine Märchen der Gebrüder Grimm, bis er sich räusperte. „Ich kenne auch eine dramatische Geschichte aus Kou. Es ist eine Ballade, die noch nicht viele zu Ohren bekommen haben. Du kannst dich also glücklich schätzen, Geschichtenerzählerin.“ „Du kannst mich auch Erenya nennen.“ Wann es genau passiert war, weiß ich nicht, aber irgendwie war ich von der höflichen „Sie“-Form auf das Dutzen gekommen und Kouha schien nichts dagegen zu haben. Also änderte ich diese Anrede auch nicht mehr. „Vier Tauben saßen dort und pickten immer fort. Körner bekamen sie viel, so dass Fliegen nur noch schwerer fiel, denn das Gefieder war zu schwer, doch sie fraßen immer mehr. Der Tag der Tage kam, der der ersten Taube das Leben nahm. Ein Gurren wie ein Schrei, das Herz wurde schwer wie Blei. Die Taube fiel tot um, die andern guckten dumm. Drei Tauben saßen dort und pickten immer fort. Körner bekamen sie viel, so dass Fliegen nur noch schwerer fiel, denn das Gefieder war zu schwer, doch sie fraßen immer mehr. Der Tag der Tage kam, der der zweiten Taube das Leben nahm. Ein Gurren wie ein Schrei, das Herz wurde schwer wie Blei. Die Taube fiel tot um, die andern guckten dumm. Zwei Tauben saßen dort und pickten immer fort. Körner bekamen sie viel, so dass Fliegen nur noch schwerer fiel, denn das Gefieder war zu schwer, doch sie fraßen immer mehr. Der Tag der Tage kam, der der dritten Taube das Leben nahm. Ein Gurren wie ein Schrei, das Herz wurde schwer wie Blei. Die Taube fiel tot um, die andere guckte dumm. Eine Taube saß am Ort und pickte immer fort. Körner bekam sie viel, so dass Fliegen nur noch schwerer fiel, denn das Gefieder war zu schwer, doch sie fraß immer mehr. Der Tag der Tage kam, der der vierten Taube das Leben nahm. Ein Gurren wie ein Schrei, das Herz wurde schwer wie Blei. Ein Spieß dreht sich herum, die Tauben an ihm gucken dumm. So knusprig braun und zart, sie fraßen für diesen Tag.“ Ein breites Grinsen lag auf Kouhas Lippen als er sein Lied zum Besten gab. Eindeutig selbst erfunden, aber die Geschichte war kreativ. Noch dazu klang sie wie die Kaiserreich-Fassung der zehn kleinen Negerlein. „Die Tauben wurden also von dem Spieß getötet und dann gegrillt? Wie tragisch traurig.“ Es war von meiner Seite aus nicht ernst gemeint, dass dieses Lied traurig war, aber es hatte einen gewissen Unterhaltungswert. „Bringst du mir mehr Lieder bei?“ Es war interessant Geschichten aus Kou zu hören, auch wenn Kouha sie nur erfunden hatte, allerdings mochte ich seine Stimme und die Art wie er sang. Er fesselte mich damit und gewann damit mein wild schlagendes Fangirl-Herz. „Ein Lied für ein Lied. Du bist also dran, mir eines zu singen.“ Ich lachte leise und schüttelte den Kopf. Kouha war wirklich eine Nummer für sich, aber es tat gut mit ihm zu reden. „Also schön. Dann gibt es für dich ein ganz besonderes.“ Ich war zwar nicht eingesungen, aber dennoch wollte ich Kouha seine Bitte nicht verwehren, weswegen ich mich räusperte. „Ich bin der Doktor Eisenbarth willewillewitt, bumbum! kurier die Leut´ nach meiner Art willewillewitt, bumbum! Kann machen dass die Blinden gehen willewillewitt, bumbum! Und dass die Lahmen wieder sehn Gloria Victoria willewillewitt juchei hassa, Gloria Victoria, willewillewitt bumbum.“ Es machte Spaß Kouha ein Lied aus meiner Kindheit zu singen. Die Geschichte von Doktor Eisenbarth der ein sogenannter Kurfuscher war und seine Patienten umbrachte. An sich ein trauriges Lied, aber im Zusammenhang mit der fröhlichen Melodie war dieses Lied doch eher witzig. Kouha verstand diesen Witz und lachte mit seiner klaren Stimme, was nur dafür sorgte, dass ich ihn noch sympathischer fand. Ich war nun froh, ihn begleitet zu haben, denn sonst hätte ich wohl nicht soviel Spaß gehabt. „Hey, Kouha. Ich wette ich kann dir aus der Hand lesen.“ Ein breites Grinsen lag auf meinen Lippen, als ich stehen blieb. Das Hotel war nicht mehr weit, aber ich wollte noch etwas tun, womit ich Kouha vielleicht in Erinnerung bleiben würde. Ich hielt ihm meine Hand entgegen und wartete darauf, dass Kouha mir seine gab. Er sah mich nur fragend an, willigte aber schließlich mit einem Grinsen ein. Es diente immerhin seiner Unterhaltung. Vorsichtig und sanft, fuhr ich die Linien seiner Handfläche nach. Ein paar Schwielen waren zu sehen, was deutlich zeigte, dass er eben schon jetzt ein Kämpfer war. Dann hatte er sich diesen Abend eindeutig verdient. „Du wirst auf einer Reise jemanden mitnehmen... Ihr werdet Freunde. Allerdings... Pass gut auf dein Gefolge auf, Gefahren drohen...“ Ich ärgerte mich, dass ich die Chance hatte, ihm alles zu sagen, es aber nicht tat. Zu sehr wollte ich doch nicht in das Fandom eingreifen. Vielleicht verstand Kouha ja, was ich meinte und würde nicht die Hälfte seiner Männer verlieren. Er sollte nicht darunter leiden. „Kouha...“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Nein, ich durfte nicht mehr sagen. „Du bist witzig. Das ist wirklich eine sehr genaue Aussage über meine Zukunft.“ Kouha schien nicht verärgert darüber, dass ich nichts genaueres sagte. Im Gegenteil, er hielt es mehr für einen Witz den ich gemacht hatte und lachte. Ob er gelacht hätte, wenn ich ihm erzählt hätte, dass ich aus einer anderen Welt kam? Sicherlich. Er nahm es einfach nicht ernst, genauso wie meine Vorhersage, weswegen ich lächelte. „Pass dennoch auf dich auf, sonst kannst du beim nächsten Mal nicht bei mir auf meinem Kissenberg sitzen. Das ist ein Privileg, welches ich nur dir gewähre. Also bleib bloß gesund.“ Es wäre in der Tat ein Privileg gewesen. Niemand durfte zu mir und Assad hätte mich sicher just in diesem Moment erschlagen, wenn er das gehört hätte. „Und du musst unbedingt mal nach Kou kommen, dort kannst du noch viele Geschichten lernen. Natürlich musst du mir dann auch Neue erzählen.“ Kouha und ich liefen weiter. Unsere Worte hatten irgendwie etwas von einem Abschied und das einzig Tröstliche daran war, dass es nicht ein Abschied für immer war, sondern nur für unbestimmte Zeit. Ich wollte Kouha wieder sehen. Ohne Zweifel. Und deswegen, durfte ich der Nebelbande nicht betreten. Das wusste ich nun endgültig. „Prinz Kouha Ren!“ Vom Hotel aus kamen ein paar Wachen zu Kouha gelaufen. Sie schienen erleichtert, dass der Prinz es doch noch heil her geschafft hatte. Kouha hingegen schien von seinem Begrüßungskomitee nicht begeistert. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht, als die anderen schon wieder ohne euch zurückkamen.“ Das klang mir nun gar nicht so, als hätte Kouha die anderen nach Hause geschickt, sondern viel mehr danach als hätte Kouha sich abgesetzt. Ich kicherte leise, hielt mir aber die Hand vor dem Mund, damit die Wachen es nicht hörte. Irgendwie passte es zu Kouha. Weil die anderen langweilig gewesen waren, hatte er sich also abgesetzt und mir die wohl schönste Abwechslung der letzten Wochen verschafft. Kapitel 6: Kassim ----------------- Kouhas Wachen hatten schwer mit sich zu kämpfen, dem Prinzen keine Standpauke zu halten, den so gar nicht zu interessieren schien, dass sie sich wirklich um ihn gesorgt hatten. Er spielte gelangweilt mit einer Haarsträhne und schwieg. Niedlich. „Erenya, soll ich eine Wache bitten dich nach Hause zu bringen? Es ist schon spät und wird immer nebeliger.“ Seine Wachen ignorierend, wandte sich Kouha an mich und lächelte mich breit an. Indirekt fragte er doch nur danach, ob er mich nach Hause bringen sollte. Besser war es aber, wenn er hier bei seinen Leuten blieb. „Das geht schon, mach dir und deinen Leuten nur keine Umstände, Kouha.“ Ich hob abwehrend meine Hände und winkte ab. Nebel war in Balbadd, da es sich um eine Hafenstadt handelte, nichts seltenes und an sich auch nicht bedrohlich. Bedrohlicher waren da nur die Gestalten die hier hausten. Aber mit Borg hatte ich einen kleinen Schutz und mit dem Dolch noch ein Mittel zur Verteidigung. „Der Nebel hier ist wirklich seltsam... Hast du schon einmal roten Nebel gesehen?“ Die Wachen Kouhas hatten scheinbar entschieden, ihrem Prinzen doch noch Zeit zu geben, sich ordentlich zu verabschieden, doch ich wurde hellhörig, als ich hörte, was für eine Farbe der Nebel hatte. In der Regel war er weiß. „Verdammt...“ Der Nebel reichte uns bis zu den Knöcheln und mit dem Tempo, mit er stieg, konnte es nicht mehr lange dauern, bis wir die Hand vor Augen nicht mehr sahen, oder von Sinnen waren. Roter Nebel... kein gutes Zeichen. „Komm mit...“ Ich zögerte nicht lange und griff nach Kouhas Hand und zog ihn die Treppen hinauf. Er schien verwundert zu sein, dem Nebel keine Bedeutung beizumessen. Besser er hielt mich jetzt für verrückt, als das er Kassim und seinen Leuten unter die Fittiche kam. Wir hatten erst wenige Stufen zurückgelegt, als Kouha mir Widerstand leistete und inmitten auf dem Weg stehen blieb. „Was ist los?“ Kouhas Blick war genauso verwundert, wie es der Blick seiner Wachen war, die allerdings bereits von dem roten Nebel eingehüllt waren, dessen Wirkung sich tückisch entfaltete. „Ihr werdet angegriffen... Du musst schnell ins Hotel und deine Männer holen.“ Verständnislos sah Kouha mich an. Hatte er noch nicht von der Nebelbande gehört? Sprach man hier in dem Hotel überhaupt davon? Wobei, mit Sicherheit verschwieg man dieses gefährliche Detail, immerhin wollte man ausländische Gäste nicht verschrecken. „Das ist ein Angriff der Nebelbande. Du musst dich von diesem Nebel fernhalten!“ Mein Herz klopfte wie wild, als ich Kouha ernst ansah. Er war ohne eine Waffe, ohne Wachen, denn die zwei die noch immer unterhalb der Treppe herumwankten, konnte man locker als ausgeknockt ansehen. Ihm durfte nichts passieren, auch wenn ich nicht wusste, wie man das ganze Hotel beschützen sollte. Ehrlich, ich ging nicht davon aus, dass ich nun plötzlich auch noch Superman-Kräfte bekam und zur Heldin des Tages mutierte, aber ich wollte nicht, dass auch nur einer aus dem Kaiserreich Kou hier sein Leben lassen musste. „Geh ins Hotel, Kouha“, forderte ich noch nachdrücklicher, doch Kouha rührte sich keinen Millimeter, stattdessen zeigte sich dieses Grinsen auf seinen Lippen. Das Grinsen, das ich zum ersten Mal gesehen hatte, als er auf seiner Reise mit Aladdin die Räuber umgebracht hatte. „Sie wollen mir also wirklich diesen Abend ruinieren?“ Mir gefror das Blut in den Adern, als ich diese Worte hörte. Was wollte Kouha ohne seine Waffe ausrichten? „Kouha, ich glaube das ist jetzt nicht der richtige Augenblick..:“ Ich stockte, als mich Kouha mit diesem Blick ansah und zuckte zurück. Es war eindeutig, dass man ihn nicht aufhalten konnte und doch... dieser Nebel. Ich sah die Treppe hinab und erkannte die Silhouetten von Menschen in ihnen. Sie waren hier, die Nebelbande. Kurz sah ich zu Kouha. Er war im Gegensatz zu ihnen nicht bewaffnet. Ich griff an meinem Rücken, wo, gut unter Sachen verborgen mein Dolch ruhte und zog ihn hervor. „Hier, wenn es unbedingt sein muss, Kouha.“ Auch wenn es nicht sein Schwert war, mit Sicherheit wusste Kouha mit dem Dolch besser umzugehen, als ich es konnte. Er hatte schließlich eine Kampfausbildung genossen. „Und du?“ Obwohl da dieser wahnsinnige Ausdruck in seinen Augen lag, hörte ich deutlich die Sorge heraus, weswegen ich ihn anlächelte. „Keine Sorge. Ich werde hier ohne einen Kratzer rausgehen.“ Zumindest war das das Ziel. Ohne einen Kratzer herauszugehen. Wenn ich Glück hatte, war der Borg stark genug und konnte jeglichen Angriff aushalten. Wobei ich konnte natürlich auch im Inneren Schutz suchen und die anderen holen, so dass Kouha nicht alleine kämpfen musste. „Da stehen noch zwei!“, hörte ich es von unten rufen. Zu spät. Viel zu spät. Ss gab keine Möglichkeit mehr zu fliehen.   Kouha stürzte sich in die Schlacht, wohingegen ich auf der Treppe wie versteinert stehen blieb. Es war schon seltsam, dass dem Prinzen dieser rote Nebel nichts auszumachen schien, während seine Wachen beide vollkommen von Sinnen waren und nicht einmal bemerkten, dass dieser Nebel ihre Sinne betrog. Sie mussten weg von dort, raus aus dem Nebel. Da der Nebel noch nicht bis zu mir hochgewirbelt war, holte ich tief Luft und lief hinab zu den Wachen. Sie sahen irgendetwas, was nicht dort war und kämpften gegen unsichtbare Mächte. Ich musste vorsichtig sein, wenn ich nicht in ihrem unsinnigen Gemetzel landen wollte. Dennoch bestand meine Priorität darin, sie irgendwie aus dem Nebel zu bekommen. Da mir die Luft aber auch schneller knapp wurde, als mir lieb war, entschied ich, es doch in einer eher offensive Art zu tun. Von hinten schlich ich mich an einen der Wachen an und legte meine Hände in dessen Rücken, um ihn in Richtung der Treppen zu schieben. Doch der Wächter bewies seine Reflexe, denn obwohl er Dinge sah, die nicht da waren, schien er Berührungen noch wahrzunehmen. Erschrocken wich ich zurück, zwar nicht rechtzeitig genug, aber dennoch weit genug, dass die Klinge des Schwertes an meinem Borg kratzte. Doch das war nicht das Schlimmste, das mir hätte passieren können. Vor Schreck hatte ich ausgeatmet, tief geholt und den Nebel inhaliert. Seine Wirkung brauchte nicht lange und ich verlor mich in einer Szenerie, geschrieben von meinem Herzen und meiner Schwäche.   Kurz nur war meine Sicht verschwommen bevor sie wieder klarer wurde. Ich stand noch vor dem Hotel, allerdings war ich alleine. Keine Kampfgeräusche waren zu hören, keine Menschen zu sehen, weder Kouha noch die Männer der Nebelbande. Es war unheimlich und schnürte mir die Luft zum atmen förmlich ab. Genau das hatte ich gefürchtet, allein zu sein in einer fremden Welt, die nicht die meinige war. „Ist hier jemand?“, rief ich und wandte mich um. Überall nur Leere, keine Menschenseele. Mein Herz schlug schneller und durch den Nebel versuchte ich irgendetwas zu erkennen. Schemen, Schatten, irgendetwas, dass menschlich war, oder mir helfen könnte. „Wähle die Tür...“ Eine Stimme erklang plötzlich hinter mir und ließ mich herumfahren. Dort standen zwei Türen, einfach so. Und sie schienen einfach nur auf die andere Seite zu führen, nicht in irgendein Haus. Immerhin standen sie inmitten des Weges. „Du willst nach Hause, dann wähle deine Bestimmung.“ Es gruselte mich schon ein wenig, da diese Stimme eindeutig von den Türen zu kommen schien, aber formlos war. Sie erinnerte mich an diese eine spezielle Stimme aus der Creepypasta Ben Drowned, welche ich immer wieder gerne als Hörspiel genoss. Doch sie mischte sich mit etwas... Mit der Stimme von Kassim und einer dritten. Diese Mischung wirkte unheilvoll und fast schon bedrohlicher als die Hörbuchstimme von Ben selbst. „Meine Bestimmung wählen?“, wisperte ich leise und sah mich um. Was lag hinter diesen Türen? Was würde mich erwarten? Ich zögerte. „Du kannst nicht weglaufen!“ Wie ein Grollen, hallte die Stimme in meinem Kopf wider. Dieses Zitat war so prägnant für das, was ich gerne getan hätte. Weglaufen, einfach weg, mich verkriechen und hoffen dass ich am nächsten Morgen wieder in meiner Welt erwachte. In meinem Bett, in meiner Kleidung, ohne Sonnenbrand, ohne Borg... 'So einfach taucht eben die Tür zu dir nach Hause nicht auf der Straße auf', mahnte ich mich in Gedanken und sah auf die Türen. Wohin würden sie führen? 'Komm schon, die waren vorher nicht da... reiß dich zusammen...' „Wähle!“ Je deutlicher die Stimme meiner eigenen Gedanken war, desto lauter wurde die geisterhafte Stimme, die mich zum wählen zwingen wollte. Verdammter Nebel. Irgendwo in meinem Kopf ruhte die Gewissheit, dass dieser magische Nebel mit meinen Hoffnungen und Ängsten spielte. Doch es gelang mir einfach nicht, die Gewissheit zu fassen und so vielleicht aus dem Zauber zu brechen. 'Dagegen kann Borg dich eben nicht beschützen.' Es war schon ein ironischer Gedanke der wirklich wahr war. Da waren Magier und Magi schon körperlich schwach und nur durch Borg auf natürliche Weise geschützt, aber wenn es um geistige Schwäche ging, oder um ihre eigenen Ängste und Wünsche, waren sie nicht sicher. 'Wenn ich zurückkomme, sollte ich diese Geschichte niederschreiben. Keiner könnte Mary Sue schreien.' Meine Gedanken wurden immer lächerlicher, zynischer, ließen mich aber diese fordernde Stimme überhören. Meine Dozenten hatten Recht, Zynismus half einen über jede beschissene Situation hinweg. Fast hätte ich sogar über meine Gedanken gelacht, doch diese Chance hatte ich nicht, denn ein Ruck durchzog meinen Körper, als ich zurück gezogen wurde. Ich stolperte rückwärts, spürte die Treppenstufen unter meinen Füßen, die ich nicht gerade vorsichtig Stück für Stück nahm. Es grenzte an ein Wunder, oder viel mehr lag es an der Tatsache, dass die Treppenstufen flacher als bei mir Zuhause waren, dass ich nicht stolperte und mich auf den Allerwertesten setzte. Der Nebel schwand und genauso schnell die Illusion, die mich dank meiner Gedanken wohl sowieso nicht mehr so fest im Griff hatte. Dennoch war ich verwundert darüber, wer mich aus der Nebelsuppe befreit hatte. Kouha war mit Sicherheit zu sehr beschäftigt gewesen die Mitglieder der Nebelband aufzumischen. Noch dazu waren wir alleine gewesen. Ich sah zurück und erkannte einen weiteren Wächter in Uniform eines Kou-Kriegers. Wo war der auf einmal hergekommen? Mein Blick richtete sich wieder die Treppe hinab. Am Boden lagen Teile von Rüstungen der Kou-Krieger. Nicht viele nur ein paar. „Verdammt, was sind das für Typen?“, fluchte der Krieger hinter mir und sah auf das Schlachtfeld, über das auf einmal eine riesige Klinge schnitt. Kouhas Klinge. Schreie tönten über den Platz. So viele Tode. So viele sinnlose Tode. Das war sie jetzt, meine Welt, wenn auch vielleicht temporär. Tod und Kampf gingen hier Hand in Hand miteinander. Musste das sein? Musste das wirklich so sein? Fassungslos sah ich auf das Kampffeld. Kouha war wirklich in seinem Element. Es war furchterregend, wie erbarmungslos er die Mitglieder der Nebelbande mit seinem Nyoi Rentou niedermetzelte. Die Nebelbande hatte keine Chance, wenn dieser Kampf so weiterging. „Gebt nicht nach!“ Mein Blick wurde auf eine Person, etwas weiter von Kouha entfernt, gerichtet. Eine Person mit einem der unheilvollen Schwerter. Kassim. „Passt auf die drei mit den Dreadlocks auf. Der Typ dort...“ Ich wies dem Soldaten in Kassims Richtung der sich scheinbar nur darum scherte, was um ihn herum geschah. „Der Nebel seines Schwertes darf nicht zu Kouha vordringen. Und der Typ mit der Augenbinde, kommt seinem Schwert nicht zu nahe, aber das wisst ihr sicher schon.“ Ein bitteres Grinsen lag auf meinem Lippen. Natürlich wussten sie das schon. Die Rüstungsteile am Boden bewiesen es, ebenso die Krieger, deren Rüstung bereits zu Teilen kaputt war. Gott, wie lange war ich dieser verdammten Illusion nur erlegen gewesen? „Hier, Prinz Kouha Ren sagte, dass Ihr euch damit schützen müsst.“ Ich sah zu dem Krieger, der mir meinen Dolch reichte. Scheinbar war ich wirklich lange genug weggetreten gewesen, so dass genug zwischen meinem geistigen Bewusstsein und meiner Abwesenheit geschehen war. Verdammt. Der Krieger drückte mir meinen Dolch in die Hand und stürmte, ohne zu zögern auf das Schlachtfeld. Das waren sie also, die Anhänger Kouhas. Und ich stand hier, auf der Treppe, ohne zu wissen, was ich tun konnte. „Der kleine Zwerg nervt.“ Von meiner Position aus, hatte ich eine perfekte Sicht auf das Schlachtfeld. Die Nebelbande, getrieben von ihrer Verzweiflung, blickte durch Kouha ihrem Ende entgegen. Kassim bemerkte das der Prinz es war, der wohl die größte Bedrohung für seine Leute bedeutete. Er reagierte sofort und hob sein schwarzes Schwert, aus dem dunkler... nein schwarzer Nebel stieg, der mit unnatürlicher Schnelligkeit auf Kouha zu waberte. „Mein Herr!“ Wie versteinert sah ich, dass eine Magierin, die ich nur zu gut kannte, aus dem Nebel schritt und sich zwischen den schwarzen Nebel und Kouha warf. Ich fragte mich kurz, wie sie das hatte sehen können, denn ihre Augen waren von dicken Verbänden und Talismanen verdeckt und doch, war sie zielgerichtet dazwischen gegangen. „Junjun!“ Durch ihren Ruf aufmerksam geworden, hatte sich Kouha umgewandt, nachdem er erneut drei Leute der Nebelbande in die Abgründe der Hölle geschickt hatte. Er sah nur noch, wie Junjun statt seiner von dem schwarzen Nebel gefesselt wurde und zu Boden sank. Das musste aufhören. Dieser Wahnsinn hier musste auf der Stelle aufhören. Kassim durfte nichts passieren, Kouha und seinen Leuten durfte nichts passieren. Fester umschloss ich meinen Dolch und stieg Schritt für Schritt die Treppenstufen hinab. Ich dachte nicht darüber nach, dass ich wieder dem roten Nebel verfallen könnte oder dass ich absolut keine Ahnung hatte, wie man kämpfte. Das hier musste einfach aufhören. Es war der einzige Gedanke, der mich in diesem Moment beseelte, der mich alle Ängste und Zweifel vergessen ließ, als hätten sie nie existiert. Es war auch kein Mut der mir antrieb, sondern nur dieser eine Gedanke, sowohl Kouha als auch Kassim beschützen zu wollen und zu müssen. Was tat ich hier eigentlich? Ich lief Schritt für Schritt an den Kämpfenden vorbei, Kassim und Kouha im Fokus haltend. Letzterer erhob sein Schwert und war bereit Junjun zu rächen, auch wenn ihr kein größerer Schaden widerfahren war. Aber der schwarze Nebel schlang sich immer noch wie eine eiserne Fessel um ihren Körper. Das hier war das ungeschönte Spiegelbild von dem was Balbadd ausmachte. Hass und Leid. Wut und Trauer. Das musste aufhören. Kouha ließ sein Schwert niedersausen, welches von einer Sekunde zur anderen gigantisch groß wurde. Auf seinem Gesicht lag dieses zufriedene Grinsen welches ich fürchte und sich so sehr von dem lächelnden Jungen unterschied, den ich auf dem Weg hier her hatte kennenlernen dürfen. Ich würde eine große Dummheit begehen und damit wohl mein Leben beenden, soviel war mir klar, als meine Schritte schneller wurde und ich mich zwischen Kassim und Kouha warf. Ich hatte eine Dummheit begangen, die nicht einmal mein Borg aufhalten konnte. Doch das hier musste aufhören.   Das mein Arm noch an mir hing, verdankte ich wohl nur Kouhas schnellen Reflexen und der Tatsache, dass er sein Schwert genauso schnell schrumpfen lassen konnte, wie es wuchs. Auch wenn meine Schulter mehr als nur angekratzt war und der Stoff meines bauchfreien Oberteils bereits mit Blut tränkte. Ich spürte den tiefen Schmerz, der mir Tränen in die Augen trieb und ja ich war kurz davor loszuweinen wie ein kleines Kind. Ich hasste Schmerzen, ich fürchtete sie. „Erenya!“ „Du!“ Von einer der beiden Seiten hörte ich einen entsetzten Ruf wohingegen die andere Stimme eher ausdruckslos war. Ich ließ meinen Dolch fallen und brach wie ein Häufchen Elend in mich zusammen, während ich mit der rechten Hand versuchte zu ertasten, wie tief der Schnitt in der Schulter wohl war. Doch außer Feuchte spürte ich nichts. „Was soll das! Ich hätte dich umbringen können!“, rief Kouha mir erbost zu. Ich hatte ihn an seinem Spaß gehindert, was mir irgendwie Leid tat. Aber Kassim durfte hier und jetzt nicht sterben. „Tut mir leid, Kouha...“, rief ich ihm zu, wobei man mir deutlich anhörte, dass ich weinte. Wahrscheinlich wäre der Tod in zwei Hälften geteilt zu werden wesentlich schmerzloser oder schneller von statten gegangen als das hier. „Ich hab meinen Borg wohl etwas überschätzt.“ Hatte ich nicht. Ich wusste ja, dass Dshinngefäße gerne mal einen Borg ohne Probleme zerschlagen konnten. Dass ich das wusste, musste Kouha aber nicht wissen. Verdammt tat meine Schulter weh. Mal davon abgesehen, wurde mein ganzer Arm langsam taub und der Schmerz zog sich fast schon durch jede Ader. „Wir kümmern uns nachher um diese Verletzung. Erst einmal bringen wir das hier noch zu Ende. Geh also zur Seite und hilf den anderen.“ Kassim schien es nicht wirklich zu interessieren, dass ich jetzt wegen ihm verletzt war. Klar, das Fußvolk opferte sich für seinen König. Tze. Noch dazu hatte er mein Handeln falsch verstanden. Gut, mein Handeln hatte auch eine etwas missverständliche Botschaft rübergebracht. „Du gehörst zu ihnen?“, fragte Kouha, immer noch diesen wahnsinnigen Ausdruck in den Augen. Wenn er nun sein Schwert erhob und es niedersausen ließ, würde er mich nicht mehr verschonen, so viel stand fest. „Es wurde heute schon zu viel Blut vergossen. Ihr solltet mich beide aber nicht falsch verstehen. Ich stehe hier mit Sicherheit nicht, weil ich entschieden hätte Kanonenfutter für die Nebelbande zu werden.“ Mit tränenverschmierten Gesicht sah ich zu Kassim, der scheinbar schon verstand, was meine Worte bedeuteten. Dass ich mich entschieden hatte und diese Entscheidung nicht zu seinem Gunsten gefallen war. „Damit sind wir quitt. Du hast mich beim Hafenbecken aus dem Wasser gezogen, als ich beinahe ertrunken wäre und ich habe nun verhindert, das Kouha dich zweiteilt. Denk also nicht, dass dies eine Geste dafür war, dass ich ein Mitglied der Nebelbande werde. Es war nur, um diese Schuld zurückzuzahlen.“ Sadiq wäre stolz auf mich gewesen. Natürlich hatte ich nie im Hinterkopf gehabt, dass Kassim mir mal das Leben gerettet hatte. Es war eine Lüge, aber so gut, wie ich sie gerade verkauft hatte, hätte sogar ich mir geglaubt. Vielleicht war Sadiqs Einfluss auf mich doch größer als gedacht, oder er hielt gerade geistig eher als Sündenbock dafür her, dass ich schon wieder log. Immerhin, sollte Kassim sich doch noch daran erinnern, dass er mir das Leben gerettet hatte, konnte er keinen Gefallen mehr einfordern. Es war also eine Win-Win Situation für mich. „Du solltest deine Bande zurück pfeifen und von hier verschwinden, bevor Kouha kurzen Prozess mit euch macht.“ Auch wenn meine linke Hand wirklich fast taub war, griff ich nach dem Dolch, der vor mir lag und erhob mich wieder. Ich musste weg aus dem Schussfeld. Oder viel eher, genug Abstand zwischen Kassim und mich bringen. Ich wankte mehr, als das ich lief, auf Kouhas Seite und fragte mich, ob ich vielleicht schon zu viel Blut verloren hatte. Spüren konnte ich es nicht, da mein Oberteil noch feucht war. Allerdings, da ich noch bei Bewusstsein war, konnte ich davon ausgehen, dass der Blutverlust vielleicht doch nicht so hoch war und ich mir den Rest in einem Anflug aus Panik nur einbildete. „Wir gehen hier nicht ohne die Reichtümer, die die Bonzen hier verstecken!“ Das war deutlich, was Kassim hier verkündete. Er hatte noch nicht genug, die Schlacht würde weitergehen und seine Leute ließen einen Kriegsschrei ertönen, der bewies, dass sie ihm bis in den Tod folgen würde.   Ein Gutes hatte der Schmerz in meiner Schulter. Der rote Nebel konnte mich nicht mehr einlullen. Dennoch gefiel mir nicht, dass Kassim weiterhin erbarmungslos vorgehen wollte. Er hatte doch gesehen, wozu Kouha fähig war. „Mein Herr, ihr habt soviel Magoi verbraucht...“ Aus dem Nebel traten die anderen beiden Magierinnen von Kouhas Gefolge. War klar, sie hatten ihren Herren und Prinzen immer gut im Blick und bemerkten selbst das, was mir erst jetzt bewusst wurde. Kouha schien körperlich doch etwas angeschlagen. War dieses ständige aktivieren der Riesenklinge etwa noch kräftezerrender als sie gleich in dieser Form zu lassen? Mal davon abgesehen, dass Kouha die Riesenklinge nicht anders führen konnte, weil sie wohl auch einiges an Gewicht mit sich brachte. Dieser Kampf musste definitiv schnell enden. Die Frage war nur wie? Was konnte ich noch tun? War es meine Pflicht überhaupt etwas zu tun? Wahrscheinlich nicht. Doch jetzt gab es kein zurück mehr. „Bringt Erenya weg, ich erledige den Rest.“ Kouha schulterte lässig sein Schwert auf, bereit den Angriff auf eine Meute zu wenden, die auf uns fünf zugelaufen kam. „Aber Herr, was ist mit Junjun?“ Stimmt da war ja immer noch die dritte Magierin, die von Kassims Nebel gefangen war. „Keine Sorge, ich werde sie beschützen.“ Ich konnte schwören, dass ich hörte, wie die Herzen der drei Magierinnen höher schlugen. Bei wem wäre das nicht der Fall gewesen? Dabei war es doch logisch, das Kouha sie beschützen würde. Sie und seine restlichen Männer, weswegen er so unbarmherzig war. Mal davon abgesehen, hatte Kassim und seine Bande ihm den Abend verdorben. Ich konnte nicht verhindern dass mir dank eines Seufzers erneut etwas Glück entwich. Das war doch zum Haare raufen. Wer sollte Kouha aufhalten? Oder Kassim? 'Denk nach, denk nach... verdammt dir muss doch etwas einfallen!' Es gab für mich gerade nur einen Gedanken. Keiner von beiden durfte hier sterben, damit die Geschichte des Magi-Fandoms nicht verändert wurde. Wobei, hätte Kassim den Angriff von zuvor vielleicht doch überstanden? Gab es diesen Angriff auf das Hotel im Fandom überhaupt? Er musste auf jeden Fall weit vor Alibabas Erscheinen spielen. Ich sah mich erneut auf dem Schlachtfeld um. Gemessen an der Menge an Menschen hier... es waren genug um einen Kampf auszutragen, aber noch nicht genug um als Armee gegen den König angehen zu können. Zumindest jetzt nicht mehr. Doch plötzlich, hielt ich inne. Ich musste die Augen etwas zusammenkneifen, denn im Nebel erkannte ich eine vertraute Statur. Es war nicht Alibaba, oder eines der anderen bekannten Mitglieder der Nebelbande. Da stand er einfach... Dieser Mistkerl. Dieser Mistkerl von einem Chef. Auch wenn der Nebel doch etwas dichter war, konnte ich ihn anhand der Statur, der Haltung und sogar seinem Gesicht etwas erkennen. Sein Blick lag auf mir, doch kaum, dass er merkte, dass ich ihn anstarrte, zog er sich weiter zurück. Dieser Mistkerl. Dieser... Dieser... Argh... ich hatte einfach keine Worte dafür und spürte nur diese Wut in meinem Inneren rumoren. Er hatte einfach da gestanden und beobachtet, wie ich inmitten dieser Hölle stand. Von wegen Gutherzig. Das würde Assad sich anhören müssen, vorausgesetzt, ich kam lebend hier heraus.   Jinjin und Reirei hatten mich, wie von Kouha befohlen, etwas aus der „Schusslinie“ gezogen. Ihre besorgten Blicke galten aber weiterhin ihrem Herren. „Wenn der Prinz so weitermacht, verbraucht er noch sein Magoi. Wir müssen ihm helfen, Reirei.“ Die beiden Magierinnen waren sich einig, dass es besser war ihren Herren zur Seite zu stehen. Ich erinnerte mich aber daran, dass ich sie im Kampf nie hatte Magie einsetzen sehen. Im Gegenteil, sie hatten ihre Kräfte nur genutzt, um Kouhas Dshinngefäß mit Magoi zu versorgen. Selbst damit waren sie für diesen Kampf noch hilfreicher als ich. Ich war eben keine ausgebildete Magierin, Borg war alles was ich konnte. Ich war auch keine Kriegerin, wenn ich mit dem Dolch einen Treffer landete, war das Zufall. Alles was ich war, was ich konnte, hatte ich bereits innerhalb meines Jobs im Freudenhaus offen gelegt. Alles... Alles? „Bringen wir das zu Ende!“ Erneut holte Kouha mit seinem Schwert aus und visierte Kassim an, der allerdings ganz ruhig blieb und Kouha mit diesem hasserfüllten, kalten Blick ansah. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als das Schwert in seiner Größe erneut niedersauste. „Verdammt!“ Ein fluchen Kouhas lenkte meine Aufmerksamkeit aber wieder auf den Schwertführer, dessen Arme eingehüllt in schwarzen Nebel gen Boden gezogen wurden. „Ohne deine Arme und Hände ist es nicht mehr so einfach, dieses Schwert zu führen...“ Nur ganz knapp, weil der Nebel Kouhas Schlagrichtung verzogen hatte, war Kassim dem Angriff entkommen. Den umherfliegenden Brocken wich er fast schon tänzelnd aus. Kassim war nicht einfach nur ein Mann der heiße Luft verbreitete. Er wusste wie man kämpfte und sich verteidigte. Ebenso hatte er schnell analysiert, was Kouhas Schwäche war und sie ausgenutzt. Sicherlich in einem Moment, in dem der Prinz und alle anderen unaufmerksam waren. Selbst ich hatte nicht bemerkt, wie er den Nebel beschworen und auf Kouha zu kriechen lassen hatte. Damit hatte er die größte Gefahr für seine Leute aus dem Weg geräumt. „Männer, holt alles was wertvoll ist aus dem Hotel. Ich beende das hier.“ Die Überlebenden der Nebelbande feierten ihren Anführer wie einen Helden. Vergessen schienen die Opfer. Wie herzlos. Sie stürmten der Treppe entgegen, angeführt von Zaynab und Hassan. Jeder der ihnen noch im Weg stand, wurde aufgehalten. Der rote Nebel selbst hatte noch einiges an Kämpfern in seinen Bann und jene die noch ein Schwert besaßen um zu kämpfen, wurden von dem Nebel Hassans entwaffnet. Ich spürte den Windzug der an mir vorbeilaufenden Banditen, spürte wie sie mich berühren, selbst an der Schulter, die sich immer wieder mit einer neuen Woge des Schmerzes bemerkbar machte. Ich nahm mit meiner rechten Hand den Dolch aus meiner linken und ging die Treppe hinab, alle Gedanken abschaltend, alle Emotionen ignorierend, erneut bereit zu sterben. Die Magierinnen und einige Wachen versuchten Kassim davon abzuhalten, sich Stück für Stück Kouha zu nähern, doch er hinderte sie mit seinem Nebel daran. Wenige Meter vor dem Prinzen blieb er stehen. Kouha kämpfte mit aller verbliebenen Macht gegen den Nebel an, doch seine Magie schien zu mächtig. „Nicht einmal das Kaiserreich Kou scheint mächtig genug gegen mich zu sein.“ „Und das siehst du als Macht?“ Meine Stimme bebte, als ich nahe bei Kassim und Kouha stehen blieb. Ich traute mich nicht weiter, denn spätestens jetzt hätte Kassim seinen Nebel beschworen und mich wie alle anderen zu Boden geschickt. „Du glaubst ein blutiger Krieg ist ein Zeichen von Macht? Hast du dich eigentlich schon einmal umgesehen? Sieh es dir an. Gut die Hälfte deiner Leute haben für dich ihr Leben gelassen. Wozu das alles? Was willst du damit beweisen?“ Kassim sah zu mir, die ich immer noch wegen der Schmerzen weinte, weil sie unerträglich waren. Aber nicht nur wegen der körperlichen Schmerzen, sondern auch wegen der Seelischen. „Das hier ist nicht einfach ein Kriegsspiel, dass du spielen kannst, wenn dir etwas nicht in den Kram passt. Hier stehen Menschenleben auf dem Spiel.“ „Das weiß ich!“ Der Ausdruck in Kassims Augen verfinsterte sich, als er sich mir zuwandte. Er sah sich nicht um, sondern verschloss auch weiterhin seine Augen vor dem Berg aus Leichen, der wahrscheinlich später nur einmal mehr zu einer Ausrede werden würde, um den Hass auf Kou oder den Adel zu schüren. „Deswegen kämpfen wir! Weil Balbadd sonst untergeht. Aber jemand aus einem fremden Land kann natürlich nicht wissen, was wir hier durchgemacht haben! Wir wurden immer wie wertloser Dreck behandelt und nun ist es an der Zeit, dass wir uns erheben und jene vernichten, die uns im Weg stehen, bevor sie uns vernichten. Es wird Zeit, dass dieses Reich von jemanden regiert wird, der nicht die Augen vor der Realität verschließt. Der weiß, wie es um das Volk steht und bereit ist, alle Feinde seines Landes zu eliminieren.“ Schubladendenken. Das war doch alles was Kassim besaß. Alles was er konnte. Sein Hass machte ihn unfähig über seinen Tellerrand hinaus zuschauen. Zu erkennen, was das Volk Balbadd vielleicht noch für Wege und Möglichkeiten hatte. „Du meinst, nur deinem Land geht es schlecht? Du glaubst, nur weil ich aus einem anderen Land stamme, kann ich nicht wissen, wie die Bevölkerung Balbadds leidet? Du bist wie ein naives Kind. Die Welt ist soviel größer und strahlender als du erkennen kannst, aber du wendest dich ängstlich und geblendet ab. Sag mir... Wie hießen die Bewohner dieser Stadt, die heute für dich gefallen sind? Wie waren ihre Namen?“ Kassim schwieg. Natürlich, er kannte keinen einzigen Namen. Kouha hätte die seiner Männer wahrscheinlich noch singen können. Aber nicht Kassim. „Deine blutige Revolution... Sie wird nur neuen Hass säen. Und wer auch immer dann über Balbadd herrscht, wird von diesem neugesäeten Hass niedergeschmettert. Die Spirale des Hasses wird kein Ende nehmen, bis Balbadd nur noch in Geschichten oder Erinnerungen lebt. Ist es das was du willst? Willst du, dass dieses Königreich eine schwindende Erinnerung wird? Auch wenn ich aus einem anderen Land... Nein, einer anderen Welt komme, kann ich dir das voraussagen. Es mag sein, dass eine Revolution das Land verändern kann, aber niemals zum Guten. Schon gar nicht, wenn der Anführer der Revolution... ein Kind ist.“ „Was hast du gesagt?“ Ich wich nicht zurück, als Kassim auf mich zulief und sein Schwert auf mich niedersausen ließ. Ich verdankte es dem Borg, dass ich überlebte. Schlag um Schlag. „Und wieder wendest du dich von der Wahrheit ab. So kannst du nicht gewinnen. So wirst du niemals das ursprüngliche Ziel erreichen. Wobei, dieses Ziel, hast du wahrscheinlich schon lange aus den Augen verloren. Du hast nicht das Charisma, damit die Nebelbande erfolgreich wird. Das wirst du niemals haben. Nicht wie du jetzt bist.“ Wütender schlug Kassim mit dem Schwert auf meinen Borg ein. Er war vollkommen auf mich fokussiert und schien Kouha vergessen zu haben. Wut blendete eben doch. Dennoch, so konnte das nicht weitergehen. Er musste verschwinden. Er und seine Anhänger, die ich bereits hinter mir hören konnte, als sie die Schätze aus dem Hotel trugen. Wahrscheinlich hatten sie die Gäste um ihre Reichtümer erleichtert. „Hör auf... Flieht sofort, bevor...“ Mein Herz schlug mir wild gegen die Brust. „Bevor was? Was willst du schon tun, mit deinem Schutz? Er wird auch noch brechen!“ Ich holte unbemerkt für Kassim Luft. Jetzt musste ich einfach überzeugen. Nicht nur als Geschichtenerzählerin. „Oh, du meinst, der Schutz ist alles was ich kann? Das zeigt doch nur erneut, wie verblendet du bist. Hier ist er ein Zeichen dafür, dass ich eine Magierin bin. Habt ihr ernsthaft geglaubt, dass ich nur diesen Schutz habe? Nein, ich beherrsche einen Zauber, der mächtig genug ist, dich und deine gesamte Bande zu vernichten.“ Was wusste schon Kassim über mich? Richtig. Nichts. Genauso wie ich nichts über Magie wusste, aber wen interessierte das schon? Ich war auch keine Magierin, aber das wusste Kassim auch nicht. „Du lügst.“ „Ach, willst du es wirklich darauf ankommen lassen? Wie du siehst, habe ich keinen Zauberstab, was bedeutet, ich kann den Fluss des Zaubers nicht so gezielt einsetzen. Er kann also gut deine gesamte Bande ausrotten und dich verschonen. Doch was dann? Was tust du dann, ohne dein Gefolge? Wer soll dann noch mit dir Krieg spielen?“ Der Ausdruck des Hasses den Kassim schon die ganze Zeit aufgebaut hatte, wurde noch stärker, so dass sein sonst so hübsches Gesicht nur noch eine verzerrte Fratze war. „Und dieser Typ da, den du beschützen wolltest?“ „Wird leben. Seine drei Magierinnen besitzen denselben Schutz wie ich, also wird es ihn nicht erwischen. Du solltest dir also besser Sorgen um dich machen, statt um Kouha.“ Auch wenn mir die Knie schlackerten, bemühte ich mich nichts von meinen Zweifeln nach außen dringen zu lassen. Wollte Kassim das riskieren? Wenn ja, dann flog ich auf. Wenn nicht... Nun dann hatten wir Glück, oder viel mehr ich. Wir brauchten dieses Glück, weswegen ich seinem Blick standhielt. „Du hast Glück, dass wir haben was wir wollten.“ Kassim wandte sich von mir ab und sah zu seinen Leuten, die wahrscheinlich angriffsbereit hinter mir standen. „Wir ziehen uns zurück!“, rief er ihnen entgegen und trat den Rückzug an. Seine Bande folgte ihm, bereichert an Schätzen, aber dennoch mit einem Hauch von Unzufriedenheit, dass sie diesen Kampf nicht vollständig durchgezogen hatten. Dennoch, es war wohl besser für sie... für mich. So wie sie gekommen waren, im Schutz des Nebels, verschwanden sie wieder und mit ihnen der magische Nebel, von dem Kouha und die anderen befreit wurden. Erst als ich das merkte, sank ich in mich zusammen und ließ einen Bach an Tränen freien Lauf. Überlebt... wir hatten wirklich überlebt.   Kapitel 7: Kouha ---------------- Als sich der Nebel endgültig verzog, war deutlich zu sehen, was diese Schlacht bewirkt hatte. Auf Boden lagen Teile von Rüstungen und Waffen, sowie Leichenteile. Das Pflaster war mit Blut gesprenkelt, dem Blut derer aus Balbadd, die aus Verzweiflung heraus für Kassim gekämpft hatten. Das Bild, von dem ich zwar erwartet hatte es zu sehen, schlug in meine Gewissheit ein und brannte sich in meine Erinnerung. Ich schüttelte mich und wandte meinen Blick ab, erneut gegen den unbändigen Drang zu weinen, ankämpfend. „Geht es euch gut?“ Ich hörte wie Kouha zu jeden seiner Männer ging und sich nach ihrem Wohlbefinden erkundete. Ich hörte, wie er sie beim Namen nannte, erwähnte, dass ihre Frauen und Kinder sich sicher freuen würden, wenn Papi lebend nach Hause kam. Das unterschied Kouha eben von Kassim. Er interessierte sich für sein Gefolge. Immerhin, ihnen ging es gut und wahrscheinlich hätte Kouha mit diesen kleinen, für viele unbedeutend erscheinenden Gesten, einen noch größeren Stein im Brett. Verständlich. Hätte er bei mir auch, aber ich war für ihn eine Fremde. Da war es schon das höchste der Gefühle, dass er sich während der Schlacht um mich gesorgt hatte. „Du solltest diese Wunde versorgen lassen“, sagte Kouha schließlich, als er sich zu mir gesellte. Seit ich zusammengesunken war, hatte ich mich keinen Meter mehr von der Stelle bewegt. Ich nickte schweigend, während meine Gedanken sich um das alles drehten. Erneut wurde mir klar, dass ich hätte sterben können. Kouha hätte mich zweiteilen können. An der Stelle hätte ein doppeltes Eri sicher nicht besser gehalten. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Die Schulter schmerzte wirklich tierisch. Nicht dran denken, bloß ablenken, denn mit Sicherheit gab es in Balbadd keine Schmerztabletten. „Wer hätte gedacht, dass eine Geschichtenerzählerin einen so mächtigen Zauber besitzt, der selbst ein paar Straßenkindern Angst macht.“ Kouha lachte, versuchte das ganze noch etwas aufzulockern, auch wenn sich in wenigen Minuten, mit vielen Worten, wahrscheinlich viel zwischen uns verändert hatte. Nicht das wirklich viel zwischen uns bestand. „Das war gelogen... ich kenne keinen einzigen Zauber...“ Ich sah zu Kouha auf, der mich kurz verwundert ansah und sich meine Worte durch den Kopf gehen ließ, bis er schließlich lauthals loslachte. Meine Lüge musste wirklich glaubwürdig genug gewesen sein, wenn selbst Kouha das gedacht hatte und das nachdem er drei Magierinnen in seinem Gefolge hatte. Vielleicht war es auch der Punkt gewesen, dass ich erwähnt hatte, aus einer anderen Welt zu kommen. Wobei, warum sollte man mir so etwas glauben? Warum sollte man nicht? Hier gab es Dungeons, die in scheinbar andere Welten führten. Kouha reichte mir seine Hand und half mir ganz Gentlemen-like auf. Wieder stehend, merkte ich, wie kraftlos ich mittlerweile war. Ich war müde, meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. „Wenn ich nach Hause komme, muss Sadiq mich erst einmal verarzten. Mit Sicherheit hat er das mit der Abwechslung anders gemeint als das hier.“ Ein bitteres Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab, doch Kouha hielt meine Hand. Sein Grinsen wich einem ernsten Blick, einem besorgten. „Du bleibst heute Nacht besser hier. Meine Leute können sich um deine Verletzung kümmern. Außerdem... Es gibt da etwas, dass du mir morgen erklären solltest.“ Schon wieder. Warum endeten so viele dramatische Abende bei mir mit dem Klärungsbedarf meiner Umwelt? Wahrscheinlich würde das eine Gewöhnungssache werden. Oder ich sollte gleich mit offenen Karten spielen, auch wenn mir sowieso keiner glaubte. „Du wirst mir nicht erlauben zu gehen, oder?“, fragte ich und sah in seinen Augen, dass er es ernst meinte. Na schön. Da hatte ich ja wohl keine andere Wahl. Auch wenn ich mir das Unterkommen in diesem Hotel anders vorgestellt hatte und ich damit meine Regel brach, nicht mit einem Kunden irgendwohin abzusteigen. Ich sollte es wohl einfach positiv sehen. Ein Luxusbett, welches ich mir bei meinem Gehalt nicht leisten konnte. Was wollte man mehr für eine Nacht?   „NEIN! NEIN! ALLES NUR NICHT DAS!“ Panisch suchte ich nach einem Fluchtweg, als eine Dame von Kouhas Gefolgsleuten bei mir im Zimmer stand. Sie hatte auf einem Tisch Verbandszeug und Faden liegen, wobei sie selbst die Nadel in der Hand hielt. „Schneidet mir den Arm ab, aber nicht die Nadel...“ Ich muss gestehen, ich hasse Nadeln. Nadeln, Spritzen, Bienen, Mücken alles was eben stechen konnte. Ich hasse Impfungen und drückte mich bereits erfolgreich vor ihnen, eben so Blutabnahmen, um die ich bis heute leider nicht herumgekommen war. Schon der Gedanke an etwas langes, dünnes Spitzes, das man mir in den Arm oder sonst wo reinjagen konnte, ließ mich mehr erschaudern, als der Moment, als ich Angesicht zu Angesicht mit Kassim gestanden hatte. „Aber Prinz Kouha Ren möchte, dass wir eure Verletzung ordentlich versorgen. In seinem Gefolge befindet sich leider kein Magier mit der Fähigkeit zu heilen, also müssen wir auf den traditionellen Weg zurückgreifen.“ Ich wollte nicht. Von mir aus konnte ich verbluten, solange man mich nicht nähte. Ehrlich, das war zwar maßlos übertrieben, aber als ich ein Kind war, brauchte es zwei Schwestern, meine Mom und den Arzt selbst um mich ruhig zu stellen. Je älter ich wurde, desto vernünftiger war ich zwar, aber die Furcht wich nie. Noch dazu war das hier eine andere Situation. Hier hatte ich nicht die Wahl unter Vollnarkose genäht zu werden, hier geschah es bei vollem Bewusstsein und ich war weiß Gott nicht schmerzpervers genug um auf so etwas scharf zu sein. „Können wir nicht darüber reden? Ich meine... wir können ja einfach etwas Verbandszeug drum machen und gut ist.“ Natürlich wäre es nicht gut gewesen. Die Verletzung an der Schulter war nicht einfach nur ein kleiner Kratzer. Sie ging tiefer und würde wohl nur ordentlich verheilen, wenn man sie nähte. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass es notwendig war, doch jegliche Logik schaltete sich dank meiner Angst ab. „Bitte, verhalten Sie sich nicht wie ein kleines Kind und lassen Sie mich Ihre Wunden versorgen.“ Ich fühlte mich wie ein verängstigtes Tier, als meine Pflegerin auf mich zukam, Nadel und Faden erhoben. Ich war absolut nicht bereit für so etwas.   **~~**   Ich wälzte mich in dem Bett hin und her. Ein Bett, mehr als nur Kissen. Ein weiches Bett. Ja, ich musste wohl Zuhause sein. Gott, was für ein Albtraum. Wenn ich auch nur irgendjemanden davon erzählte, man würde mich für bekloppt halten. Immerhin, es wäre sicher eine gute Story. Langsam öffnete ich meine Augen und erblickte sofort ein Gestrüpp von dunkelblonden Haar. Seltsam, ich trug beim Schlafengehen immer einen Zopf. Selbst nach einem ausgiebigen Bad. Ich drehte mich auf dem Rücken und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, wobei ein Schmerz durch meine linke Schulter zog. Seltsam, hatte ich falsch gelegen? Nein... Nein ich hatte nicht falsch gelegen, das wurde mir bewusst, als ich an die Decke über mir sah. Meine war weiß. Schneeweiß und es hing auch keine Lampe hinab. Viel mehr die Verdrahtung für eine Lampe, die ich wohl niemals besitzen würde. Aber hier hing eine Lampe, irgendwo weiter weg von meinem Bett. Entnervt stöhnte ich auf. Dieser Albtraum war noch lange nicht vorbei. Kouha hatte mich wirklich fast zweigeteilt, ich konnte Borg, ich sah Lichtvögel... verdammt. Und ich war in einem Luxushotel... Mir fehlte gerade das morgendliche Sandwich Sadiqs, das mir irgendwie Normalität und Sorglosigkeit versprochen hätte. Wahrscheinlich machte dieser sich bereits Sorgen darüber, dass ich nicht Zuhause war, oder dachte, dass ich seinen Rat mit der Abwechslung befolgt hatte. Ich setzte mich auf und sah mich im Zimmer um. Auf einem Stuhl lag mein blutiges Oberteil. Das würde mir sicher nur noch seinen Dienst bis nach Hause erweisen, danach würde es im Müll landen. Mit solch beschmutzter Kleidung brauchte ich gar nicht erst auf Arbeit erscheinen. Arbeit... Gott der Gedanke graute mich. Dort würde ich Assad sehen, das wäre wirklich unangenehm. Die wohl peinlichste Begegnung seit langem. Wobei, wenn ich ehrlich war, war mir nicht danach, in das Freudenhaus zurückzukehren. Aber es war meine Arbeit. Ohne meinen linken Arm großartig zu belasten, erhob ich mich, nackt wie Gott... nein halt, wie Ugo mich geschaffen hatte. Da diese Übernachtung eher spontan gewesen war, hatte ich eben keine Abendgarderobe bei mir. Geschweige denn Wechselkleidung. Was den Gedanken umso widerlicher machte, in diesem Oberteil durch die Stadt zu gehen, den Blicken der Bevölkerung ausgesetzt zu sein. Einige von ihnen wussten sicher, was passiert war, jene, die zur Nebelbande gehörten. Ich konnte dann von Glück reden, wenn ich nicht plötzlich in einer Seitengasse zu mir kam und das Gesicht meines Mörders oder Kassims erblicken würde. Der linke Arm schmerzte bei jeder Bewegung, vor allem als ich ihn hob um in das Oberteil zu schlüpfen. Ich erinnerte mich daran, was für ein Akt es gewesen war, diese Wunde zu nähen. Sie hätten mich abfüllen sollen, dann hätte ich nicht das Hotel zusammen geschrien. Wobei Arm- und Kopfschmerzen wäre auch scheiße gewesen. Ich holte tief Luft und sah zu meiner linken Schulter. Der Arm fühlte sich noch etwas taub an, aber ich konnte ihn bewegen. Mit etwas Glück würde eine feine, dünne Narbe bleiben. Mit etwas Fantasie, würde die eine coole Kriegsgeschichte abgeben. So wie sie die Veteranen in meiner Welt erzählen konnten, nur das meine nicht wirklich wahr war. Eigentlich eine Respektlosigkeit gegenüber den Veteranen meiner Welt, dann ebenfalls eine heroische Geschichte erzählen zu wollen. Dennoch, die Narbe würde mich dann an die vergangene Nacht erinnern, an meine Schwäche... daran, dass ich einfach Glück hatte. Das musste ich ändern.   Den blutroten Fleck an meinem Oberteil hatte ich, dank einer Blume, von denen einige im Zimmer standen, abgedeckt. Sie war groß genug, so dass die Blütenblätter den Fleck verbargen. Es hatte zwar etwas Zeit gekostet, aber mit einigen Hilfsmitteln, die ich im Zimmer für mich nutzen konnte, war es mir gelungen. Irgendwie erinnerte mich das an die Zeit, als ich mein Gästeschlafbett, welches eine bessere Version einer Luftmatratze war, mit Posterstripes und irgendetwas anderem geflickt hatte. Zumindest hatte es lange genug gehalten, damit ich nicht auf dem Boden hatte schlafen müssen. Lange genug, bis ich mir irgendwann eine richtige Matratze zugelegt hatte. Auch wenn man mir nun nachsagen könnte, dass das echt dämlich ist, es hat gehalten und selbst ist die Single-Frau. Mein Weg führte mich gezielt zu dem Zimmer, in dem Kouha untergekommen war. Er hatte es mir am Abend zuvor gezeigt und mich darum gebeten, ihn nach dem Aufstehen aufzusuchen. Die Frage war nur, ob er schon wach war. Unschlüssig stand ich vor seiner Tür. War er ein Frühaufsteher oder eher wie ich ein Morgenmuffel? Ihn wollte ich zumindest nicht morgenmuffelig über den Weg laufen. „Guten Morgen.“ Ich hatte meine Hand gerade nach der Türklinke ausgestreckt, als ich etwas weiter entfernt vom Gang eine vertraute Frauenstimme hörte. Ich wandte meinen Blick in diese Richtung und erkannte Kouhas Magierinnen, die mich lächelnd ansahen. „Der Prinz schläft noch. Sie sollten ihn noch nicht wecken. Wollt Ihr nicht vielleicht mit uns und den anderen frühstücken?“ Frühstück? Gut, dagegen war nichts einzuwenden. Da es nicht den gewohnten Service von Sadiq gegeben hatte, musste ich mir die Nahrung anders besorgen. Außerdem konnte ich so sehen, wie es den anderen nach der letzten Nacht ging, ob der rote Nebel irgendwelche Nebenwirkungen hatte, oder nicht. „Gerne. Kouha hat sich seinen Schlaf verdient.“ Ich lächelte und lief auf die drei Damen zu. Vielleicht konnte ich bei diesem Frühstück auch noch herausbekommen, wie Kouha wohl auf meine Geschichte reagieren würde. Und ob er sie weitererzählte, oder darüber schwieg, wenn ich ihn darum bat. Auch wenn ich Kouha sympathisch fand und das Gefühl hatte, dass wir Freunde sein konnten, war ich mir nicht sicher, inwieweit ich ihm vertrauen konnte.   Die Gefolgsleute Kouhas machten der Lebhaftigkeit beim gemeinsamen Essen im Freudenhaus wirklich Konkurrenz. Auch wenn die Gespräche sich hier nicht gerade um Männerbekanntschaften der letzten Nacht drehte. Viel eher sprach man über die eigene Familie, über Kouha und über den „Sieg“ vom Vortag. Großteils hatte ich mich aus diesen Gesprächen herausgehalten und mir ein Fladenbrot mit Fleisch und Gemüse gefüllt. Es war zwar nicht das gleiche wie wenn Sadiq mir eines machte, aber wenigstens diesen Hauch Routine konnte ich mir so erhalten. Selbst das ich während des Essens meines Fladenbrotes angestarrt wurde, blieb nicht aus. Dennoch ein unangenehmeres Gefühl als bei Sadiq machte sich breit. Ich konnte das einfach nicht, vor Fremden essen. „Sie sind doch eine Magierin, oder?“, fragte Jinjin neben mir, während ich an einem etwas größeren Bissen kaute. Ich schwieg aber. „Der Prinz hat uns gesagt, dass Sie keinen Zauber beherrschen. Wenn dem so ist, dann sollten Sie vielleicht nach Magnostadt gehen. Die Stadt ist gewaltig und unterliegt der Führung von Magiern. Dort gibt es auch eine Akademie, in der Sie alles über Magie lernen können.“ Ich schwieg immer noch. Magnostadt... Ich brauchte mir diesen Vorschlag gar nicht erst durch den Kopf gehen lassen. Nein. Magnostadt war für mich in gewisser Weise keine Option, auch wenn jeder andere wohl das als sein nächstes Ziel vor Augen genommen hätte. „Ich bin keine Magierin“, antwortete ich kurz angebunden und biss erneut in das Fladenbrot. Keine Magierin, das hatte ich für mich selbst entschieden. „Aber... Sie können Borg...“, erwiderte Reirei, als wollte sie mich davon überzeugen, dass ich eine war. Eine Magierin. „Zufall... Glücksgriff... Keine Ahnung was das ist, aber ich bin keine Magierin.“ Die Magierinnen sahen einander fragend an. Sie hatten mit Sicherheit auch gehört, was ich zu Kassim gesagt hatte, dass ich aus einer anderen Welt kam. Warum sollte es dann also nicht möglich sein, Borg zu besitzen und kein Magier zu sein? Nein... in Magi war das nicht möglich. Ich unterlag den Regeln dieser Welt. Dennoch musste ich sie nicht akzeptieren. Ich war keine Magierin. Demnach war Magnostadt keine Option für mich. Es war besser, dass Thema zu wechseln, sonst kamen sie noch auf die Idee danach zu fragen, ob ich diese Lichtvögel sehen konnte. „Was macht Kouha eigentlich hier?“ Irgendwie fühlte es sich seltsam an, in dieser Art und Weise über Kouha zu reden, wenn alle ihn mit Herr oder Prinz betitelten. Meine Anrede hingegen war richtig persönlich, fast schon privat und kurz fragte ich mich, ob sein Gefolge das akzeptieren würde. Doch sie sagten nichts dagegen. Ich bekam nicht einmal seltsame Blicke geschenkt. Vielleicht hätten sie alle Kouha ebenso persönlich anreden können, doch der tiefe Respekt, den sie für ihn empfanden, hinderte sie daran. Man darf mich nicht falsch verstehen, ich respektierte Kouha auch, entgegen seinem jungen Alters. Aber die Art wie ich mit Kouha in Kontakt gekommen war, wie wir miteinander umgingen, wenn das denn noch so bleiben würde, unterschied sich doch schon deutlich von den Begegnung mit seinem Gefolge und irgendwie beneidete ich sie. „Er wurde als Diplomat gesandt. Kou wird Balbadd in seiner wirtschaftlichen Misslage unter die Arme greifen und der Prinz verhandelt mit dem König. Auch wenn er noch sehr jung ist, hat er ein großes Verhandlungsgeschick.“ Seine Magierinnen verfielen ins Schwärmen, was mich schon sehr stark an die Fangirls aus meiner Welt erinnerte. Noch eine Sache die es in Magi gab, die ich kannte. Fangirls. Also wusste ich, wie man damit umging. Nicht widersprechen, konnte ich im Falle Kouha sowieso nicht, und sie einfach schwärmen und fangirlen lassen. So konnte ich selbst vielleicht noch das ein oder andere über den Prinzen lernen. „Heißt das, er zieht bald weiter?“ Ich griff zu einem Becher Tee und setzte ihn an die Lippen, während die Magierinnen mich ansahen. Meine Frage war berechtigt, immerhin hatte Ahbmad am Tag zuvor dem Volk bereits verkündet, dass Kou seine Hilfe zugesagt hatte. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum die Nebelbande das Hotel angegriffen hatte. Um Kou abzuschrecken. Selbst Assad war vor Ort gewesen. Für gewöhnlich war er nie bei einem Überfall dabei, das wusste ich, weil er immer bis spät Abends im Freudenhaus blieb. Aber dieses Mal... er war nicht begeistert von Ahbmads Rede gewesen. „Wir werden noch ein paar Tage hier bleiben. Da fällt mir ein, wir sollten die Wachposten verstärken. Bei wem hat der rote Nebel nicht funktioniert?“ Kaum dass ich meine Antwort bekommen hatte, ging das Gefolge Kouhas zu einem strategischen Meeting über. Kein Wunder. Sie rechneten damit, dass die Nebelbande erneut angreifen würde. Wäre auch mein erster Gedanke gewesen, nachdem ich Kassims rachsüchtigen Charakter kannte. Für Kouha und seine Leute war es damit nicht sicher, ebensowenig wie für mich. Doch vielleicht hatte Assad in diesem Punkt ein gutes Wort für mich bei Kassim eingelegt. Er neigte doch dazu, dass er seine Mädchen beschützte. Ich war doch eines seiner Mädchen, oder?   Mit einem müden Gähnen begrüßte mich Kouha, als ich von seinen Magierinnen in sein Zimmer gebracht wurde. Er saß da, ließ sich einkleiden, wobei seine Mädchen das scheinbar mit dem größten Vergnügen taten. „Hast du gut geschlafen, Kouha?“, fragte ich um keine unangenehme Stille entstehen zu lassen. Kouha erwiderte diesen Versuch mit einem charmanten Lächeln. Er sorgte einfach dafür, dass es nicht unangenehm war, sondern dass es sich so natürlich und normal wie am Abend vor dem Angriff anfühlte. „Die Betten hier sind so bequem, man legt sich hinein und könnte sofort einschlafen, oder?“, fragte er statt mir zu antworten, oder war das seine Antwort? Ganz so sicher war ich mir nicht, auch wenn ich gestehen musste, dass er recht hatte. Ich erinnerte mich nicht einmal, dass ich mich nach der Verarztung hingelegt hatte. Aber da ich in einem Bett aufgewacht war, musste ich es wohl getan haben. „Viele Vergleiche habe ich hier in der Welt nicht. Das war erst mein zweites Bett und das erste bestand aus Kissen.“ Ich lachte leise und sah zu Kouha. Er verstand den Wink der Einleitung, die ich gewählt hatte. Mit Sicherheit war es das, was er wissen wollte und ich musste gestehen, dass ich diese Geschichte endlich jemanden erzählen wollte. „Wie ich es gestern gesagt habe, stamme ich nicht einfach nur aus einem fremden Land. Ich komme aus einer Welt, die sich sehr von dieser hier unterscheidet. So etwas wie Magie oder dergleichen gibt es bei uns nicht. Sie existiert nur in Geschichten und Legenden oder in Form von billigen Zaubertricks. Wo ich herkomme, besitze ich auch diesen Schutz nicht und ehrlich Waffen wie dein Schwert würde es niemals geben.“ Ich begann Kouha von meiner Welt zu erzählen, damit er sich ein Bild davon machen konnte, wo ich herkam. Aufmerksam hörte er zu, staunte sogar hin und wieder in seiner kindlichen Naivität. Ihm wäre es in meiner Welt wohl nicht anders gegangen als es mir hier ging, auch wenn mein Staunen eher weniger aus kindlicher Natur heraus zeugte. „Und wie bist du hier her gekommen?“, fragte Kouha schließlich. Die Frage war berechtigt, denn wenn es keine Magie in meiner Welt gab, sollte es schier unmöglich sein, dass ich in dieses Abenteuer hinein gezogen wurde. „Das ist das Problem... Ich erinnere mich an nicht mehr viel. Eine Pfütze... schwarze Flecken, ein Mann mit Kufiya die von einer Art Dornenranke gehalten wird, allerdings war sein Gesicht von dieser Kufiya verdeckt. Mehr aber auch nicht. Ich weiß nicht einmal ob das die Reihenfolge der Ereignisse war. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem seltsamen Raum, mit einem riesengroßen Schädel. An sich sollte er mich nach Hause bringen, doch irgendetwas ging bei unserer Kommunikation schief und er schickte mich hierher. Ich bin mitten im Wasser beim Hafenbecken gelandet und weil ich nicht schwimmen kann... naja ich wäre fast hops gegangen, wenn mich der Anführer der Nebelbande nicht rausgezogen hätte. Als ich bemerkte, dass dies hier nicht meine Heimat, geschweige denn meine Welt ist, habe ich mich etwas umgesehen und zwei Mädchen getroffen, die mich zu Assad und seinem Freudenhaus geführt haben. Den Rest kannst du dir sicher denken.“ Schweigen kam auf und Kouha sah mich nachdenklich an. Nun war die Frage, ob er mir glaubte oder nicht. Ich war ihm immerhin als Geschichtenerzählerin bekannt, noch dazu hatte ich am Tag zuvor eine Lüge darüber erzählt, dass ich einen mächtigen Zauber beherrschte. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn ich auch diese Geschichte, die durch und durch wahr war, erfunden hätte. „Hast du schon jemanden davon erzählt?“ Ich schüttelte den Kopf und sah weiterhin zu Kouha. Anhand seiner Frage konnte ich schließlich nicht ausmachen, ob er mir glaubte oder nicht. „Ich habe allen gesagt, dass ich von Räubern überfallen wurde, nachdem wir aber entdeckten, dass ich diesen Schutz besitze, hat diese Lüge mir nicht mehr weitergeholfen. Allerdings bezweifle ich, dass mir auch nur einer geglaubt hätte, wenn ich das erzählt hätte, was du eben gehört hast.“ Erneutes Schweigen und Kouha ließ mich keine Sekunden aus den Augen, so als wollte er prüfen, ob diese Geschichte wahr war. Doch schließlich nickte er. „Das fällt schon schwer zu glauben, dass es eine andere Welt neben unserer gibt. Vor allem eine, in der es solche seltsamen Dinge wie Autos und Handys gibt. En-Nii fände das sicher genauso interessant. Dennoch, wir sollten herausfinden, warum du hier bist. Dieser Mann, den du beschrieben hast... In Kou gibt es einige Berater, die genauso aussehen, wie du es beschrieben hast. Wenn du nach Kou gehen würdest, könntest du sie treffen und fragen, ob sie von dem Mann etwas wissen, der für all das verantwortlich ist.“ Wenn ich nach Kou gehen würde... Erneut wurde mir ein Ziel genannt, welches ich anvisieren konnte. Das Kaiserreich Kou hatte für mich aber schon mehr seinen Reiz als Magnostadt. Wenn es dort wirklich mehr solcher Männer gab wie jenen, der für das ganze Desaster mit verantwortlich war, dann musste ich es herausfinden... allerdings... wie sollte ich an den Hof des Kaisers kommen. Die einzige Chance wäre dann... Mein Blick haftet auf Kouha. Sollte ich ihn fragen? Erwartete er, dass ich ihn fragte? Oder war ich ihm vielleicht dann eine Last? Konnte ich ihm das antun? Mich antun? „Sehen wir uns in den nächsten Tagen vielleicht noch einmal?“ Es war die einzige Frage die ich stellen konnte. Ich musste nachdenken. Wieder einmal. Dabei hatte mich die Begleitung vom Vorabend davon ablenken sollen zu viel zu denken. Etwas Ruhe war mir aber wohl verwehrt. „Ich weiß nicht, aber ich werde ihnen hier sagen, dass sie dich reinlassen sollen, wenn du kommst. Dann kannst du mehr Geschichten von deiner Welt erzählen.“ Von meiner Welt. Die Art wie Kouha diese Worte aussprach, ließ mein Herz höher schlagen, denn sie gaben mir das Gefühl, dass er mir wirklich glaubte. Der erste, der mir glaubte. „Kouha, sollten wir uns vor deiner Abreise nicht mehr sehen... Danke für alles.“ Ich war froh, Kouha kennengelernt zu haben, denn die Tatsache, endlich die Wahrheit ausgesprochen zu haben, hatte mir schon den Teil einer Last abgenommen. Eine Person in dieser Welt kannte dann die Wahrheit über mich. Vor einer Person musste ich mich nicht verstellen.   **~~**   Die Blume hielt den ganzen Weg zu meiner Unterkunft, auch wenn die Sorge groß war, dass sie verrutschte und ich so das blutige Stück Stoff offenbarte. Umso besser war es, dass ich bei Sadiq zu meinen anderen Sachen kam und mich umziehen konnte. Um mehr hatte ich Kouha nicht bitten wollen, immerhin hatte er dafür gesorgt, dass man mich versorgt hatte und mich in einem teurem Luxusbett schlafen lassen. Noch dazu musste ich Sadiq doch mitteilen, dass ich noch lebte. Keine Ahnung, warum ich mir solche Gedanken darum machte, ob er sich sorgte, aber vielleicht war das auch ein Zeichen davon, dass ich in dem Monat, den ich hier bereits in Balbadd verbracht hatte, so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis zu meinem Vermieter aufgebaut hatte. Ehrlich, am Anfang meiner Reise hätte ich das nicht gedacht. Ein Monat. Das war schon eine lange Zeit. Ob man das auf Arbeit merkte? Sicher würde man das. Da ich keinen Krankenschein eingereicht hatte, würde ich wohl auch keine Arbeit mehr haben, wenn ich wieder zurückkam. Und meine Freunde... Gott was würden meine Freunde mir die Hölle heiß machen, wenn ich sie dann noch hatte. War es da nicht vielleicht besser, hier zu bleiben? Gar nicht erst nach der Spur zu suchen und mich hier einfach einzufügen? Ich hatte doch ein Leben hier. Und es funktionierte. Ich hatte Freunde, einen Job... und doch... war das hier nicht meine Heimat. War das eine absurde Art von Heimweh die ich empfand? Die Angst nach Hause zu kommen und gleichzeitig die hier zu bleiben? Ich schüttelte den Kopf. Es war besser jetzt nicht darüber nachzudenken. Wohin sollte das führen? Vorerst war das hier meine Heimat. Temporär. Das durfte ich nur nicht vergessen. Nur temporär, ich gehörte nicht hier her. Mit diesen Gedanken ging ich um die letzte Ecke und sah das Haus von Sadiq. Doch stockte ich. Ein Anblick der mir nicht geheuer war, offenbarte sich mir. Dort standen Männer in Uniformen von Kriegern. Die Tür war aufgebrochen. Zwei von ihnen standen Wache, während aus dem Inneren Scheppern zu hören war. Was war hier los? „Wie grausig... Seit gestern Abend durchsuchen sie schon Herrn Sadiqs Haus.“ Ich hörte zwei Nachbarn in der Nähe, die sich scheinbar gerade über diesen Vorfall unterhielten. „Ich wusste schon immer, dass dieser Taugenichts nichts gutes bedeutet. Niemand weiß, wie er sich sein Geld verdient hat.“ „Mir tut ja das arme Mädchen leid, dass bei ihm untergekommen ist. Ich habe gehört, sie und Herr Sadiq sollen festgenommen werden, sobald sie hier auftauchen. Deswegen die Wachen... In was Herr Sadiq sie nur hineingezogen hat.“ „Von wegen hineingezogen. Ich habe gehört, dass sie und er Partner waren. Du weißt doch, es sind immer die unschuldig Aussehenden die am gefährlichsten sind.“ Mir wurde schlecht. Sie hatten Sadiqs Haus gestürmt? Was hatte der Idiot nun schon wieder gemacht? Verdammt. Wo sollte ich dann hin nach der Arbeit? Der Gedanke keinen Ort zum zurückkehren zu haben, fröstelte mich. Dennoch... ich hatte einen Ort. Einen Ort, an dem ich zurückkehren konnte. Wo noch Freunde waren. Noch einmal, blickte ich zu Sadiqs Haus. Hoffentlich ging es ihm gut. Ich hoffte, dass er bereits wusste, was hier los war und nicht mehr zurückkam. Er sollte sich besser in Sicherheit bringen, was auch immer er getan hatte. Sadiq war kein schlechter Mensch, zumindest hatte er mir gegenüber, abgesehen von seinen Lügen, niemals böse Absichten offenbart. Deswegen, sollte er frei sein, damit ich ihn wiedersehen konnte.   In das Freudenhaus zu kommen, hatte mit einem Mal etwas tröstliches, etwas schönes, etwas heimatliches. Zumindest hatte ich mir das eingeredet, als ich vor diesem stand und über die Schwelle trat. Aber das Bild, welches sich mir bot, war nicht das gewohnte. Mich begrüßte nicht das grummelige Gesicht Assads, der mir befahl mich fertig zu machen. Oder der gerade auf dem Weg in die Küche war, um Ameen die Hölle heiß zu machen, weil wieder einmal das Geschirr nicht abgewaschen war. Da stand kein Assad, sondern Suleika, die die Mädchen koordinierte und alles für den Abend vorbereitete. Zumindest, deutete ich das aus ihrem Befehlston. Verwundert darüber, ging ich auf sie zu und sah mich um, wie die Mädchen alles fertig machten. Kissen aufschüttelten, Obstschalen auffüllten und den Unrat vom Vorabend beseitigten. Doch kaum, dass ich an ihnen vorbei lief, hielten sie inne und sahen mich mit diesen undeutbaren Blicken an. Ich versuchte zu lächeln und grüßte sie wie gewohnt, doch die Erwiderung blieb aus. „Uhm... Suleika, wo ist Assad?“ Ich blieb vor Suleika stehen und sah sie an. Doch in ihrem Blick erkannte ich nur Entsetzen. War irgendetwas passiert? Hatten die Soldaten Balbadds auch hier gewütet? „Du... Komm mit...“ Ich wusste nicht, was plötzlich los war, aber Suleika packte mich am Handgelenk und zog mich in das Umkleidezimmer. Nur Cecilia und zwei weitere Mädchen waren dort, doch als sie Suleika und mich bemerkten, verließen die zwei das Zimmer. „Erenya, du hättest nicht herkommen sollen“, begrüßte mich Cecilia gleich und weitere Fragezeichen schwirrten imaginär um meinen Kopf herum. Irgendetwas stimmte nicht, das hätte selbst ein Idiot erkannt. „Hätte jemand die Güte und würde mir sagen, was passiert ist? Ich will nach Hause und sehe, dass die Soldaten Sadiqs Haus durchsuchen und hier werde ich behandelt, als wäre ich eine Aussätzige.“ Kaum dass ich meine Frage ausgesprochen hatte und sah, wie sich Suleika und Cecilia vielsagende Blicke zuwarfen, drehte sich mir der Magen um. „Zieh dich erst einmal um... Wir packen dir eine Reisetasche zusammen...“ Fast schon hektisch, zog Suleika aus einem der Schränke einige Kleidungsstücke hervor. Die Schubladen, aus denen sie diese hatte, waren mir noch nie aufgefallen. Sie hatte lange, Umhangen ähnelnden Sachen zur Hand genommen und reichte sie mir. Immer noch verwirrt, entblätterte ich mich und warf die blutigen Sachen in die Ecke. Die geschockten Blicke Suleikas und Cecilias hafteten daran und doch blieb etwas aus, was ich merkwürdig fand. Sie fragten nicht danach, was passiert war. „Wir sollten es ihr sagen, Suleika...“, wisperte Cecilia. Auch wenn sie versuchte leise genug zu sein, sie hatte es doch deutlich für mich ausgesprochen. „Was sagen?“, fragte ich und streifte mir die Falten aus den Sachen. Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. Der Boden unter meinen Füße schien aufgrund der Befürchtung, was sie sagen würden zu beben. „Assad hat uns gesagt, was gestern Abend passiert ist. Wir wussten ja, dass du mit dieser Entscheidung gerungen hast, ob du Kassims Band beitrittst oder nicht... aber nicht einmal wir hätten gedacht, dass er diese Entscheidung so erfährt. Was hast du dir dabei gedacht? Mal davon abgesehen, dass du dich in Gefahr gebracht hast, du hast dich auf die Seite von Kou gestellt. Weißt du was das bedeutet?“ Suleika musste es nicht aussprechen, damit ich wusste was es bedeutete. Ich hätte mir auch gewünscht, dass sie es nicht gesagt hätte. „Kassim wird dich überall als Feind anprangern. Als Feind aus Kou. Jeder der dir hilft... wird ebenfalls als Feind aus Kou gebrandmarkt. Erenya, du kannst nicht mehr hier bleiben. Du musst weg von hier, bevor Kassim oder seine wahnsinnigen Idioten dich erwischen.“ Der Boden unter meinen Füßen gab inoffiziell nach, als ich auf einen Stuhl sank und mich zurücklehnte. So war das also. Und ich hatte gedacht meine Entscheidung gegen die Nebelbande würde den Mädchen, Assad oder sonst wem nicht schaden. Aber gut... unter den Umständen hätte mir das klar sein müssen. Dennoch ich kämpfte mit den Tränen. Damit war auch die letzte Zuflucht zerstört. „Es tut mir leid...“, wisperte ich leise. Ich hatte das Gefühl mich entschuldigen zu müssen, denn gerade jetzt brachte ich sie alle in Gefahr. Warum nur? Warum hatte das passieren müssen? „Erenya...“ Ich sah zu Suleika, die sich vor mich gehockt hatte und mich trotz allem anlächelte. In ihren Augen lag kein stummer Vorwurf sondern ein Anflug wahrer Sorge. „Cecilia hat eine Schwester in Quishan. Sie arbeitet ebenfalls in einem Freudenhaus. Cecilia kann dir einen Brief mitschicken. Du kannst da sicher auch Arbeit finden. Deine Geschichten können sich dann weiter verbreiten. Vielleicht wirst du sogar richtig bekannt.“ Suleika gab ihr bestes mir Mut zu machen. Wahrscheinlich ahnte sie, wie ich mich gerade fühlte. Fremd an einem Ort und verbannt von eben jenen, der zur sicheren Heimat geworden war. „Ameen gibt dir auch ein Empfehlungsschreiben mit. Und... Warte.“ Suleika erhob sich und stürmte förmlich aus dem Zimmer hinaus. Fragend sah ich zu Cecilia die sich zu mir stellte und meinen Arm tätschelte. „Du wirst sehen, alles wird gut. Geht eine Tür zu, öffnet sich eine andere.“ Ich sah wie Cecilias Augen feucht wurden. Sie war eben doch ein empfindliches Seelchen, genauso wie ich. „Hier...“ Suleika war wieder ins Zimmer gekommen und hielt mir ein kleines Säckchen entgegen, in dem es verdächtig klapperte. „Assad hätte es heute Sadiq gegeben. Und ihm gesagt, was du tun sollst. Sei ihm bitte nicht böse, dass er dir das nicht persönlich geben kann.“ Suleikas Stimme war zittrig. Sie kämpfte, wie Cecilia und ich, mit den Tränen. Ich ertrug das nicht mehr und brach in Tränen aus. Mein Leben, war von einer Sekunde zur anderen ein weiteres Mal zerschlagen worden. Ich hatte meine erste Heimat verloren, jetzt meine temporäre und erneut stand ich in dieser fremden Welt, ohne zu wissen, wohin ich sollte. Doch anders als beim ersten Mal, hatte ich Freunde, denen ich aber mit meiner Anwesenheit nur schadete. „Es tut mir Leid... es tut mir alles so Leid...“ Suleika zog mich in ihre Arme und drückte mich an sich. Ich spürte die Feuchtigkeit der Tränen die sie ebenfalls vergoss. Wer hätte vor einem Monat gedacht, dass sie und ich jemals Freunde werden würden. „Hör auf dich zu entschuldigen... Wir lassen nur Gras über die Sache wachsen. Du kannst jederzeit wieder zurückkommen. Du gehörst doch zu uns, selbst wenn uns viele Tagesreisen von einander trennen. Außerdem... Musst du noch Ameen und mein Kind kennenlernen.“ Ich spürte wie ihr Griff fester wurde und sah auf. Cecilia hatte uns beide umarmt und ließ ihren Sturzbächen ebenfalls freien Lauf. „Genau, du bist hier immer Zuhause. Wir sind deine Familie, deine Freundinnen. Wenn du zurückkommst, hast du viele neue Geschichten für uns“, fügte sie hinzu, schluchzend und vollständig aufgelöst.   Es dauerte einige Zeit, bis alle Tränen vergossen waren und wir wieder einigermaßen Schluchzerfrei miteinander reden konnte. Gemeinsam packten wir einen Reiserucksack, redeten über irgendwelchen Nonsens, der nur meinen baldigen Aufbruch unthematisiert lassen sollte. „Der Prinz aus Kou hat es dir also angetan. Das hören Assad und Sadiq sicher nicht gerne. Noch mehr Konkurrenz für sie“, scherzte Suleika, während sie das Beutelchen mit dem Geld verstaute. Der Rucksack selbst wirkte schon viel zu mächtig, aber meine Reise, egal wohin sie ging, würde sicher keine kurze sein. „Hier... Das ist von Ameen... Und... der hier ist von Assad. Das sind beides Empfehlungsschreiben. Assads habe ich bei dem Geld entdeckt. Damit findest du sicher schnell eine neue Anstellung.“ So sicher es ging, verpackte sie die Briefe in den Rucksack und ich nickte. „Suleika... Sollte deines und Ameens Kind geboren werden, bevor ich wieder zurückkomme... Wird es ein Mädchen, soll sie Nour heißen. Wird es ein Junge, dann Navid.“ Ich lächelte, auch wenn mit diesen Worten erneut der Abschied ein Schritt näher kam. „Das werden wir machen. Und wir werden ihm oder ihr auch immer von dir erzählen. Ich erinnere mich noch an alle deine Geschichten, ich werde sie erzählen, abends bevor es schläft.“ Nein, vor einem Monat hätte ich wirklich nicht gedacht, dass Suleika und ich Freunde werden würden. „Erenya?“ Wir drei sahen auf, als wir eine Stimme von der Tür hörten. Da standen sie, die Mädchen des Geschäfts. Allesamt genauso den Tränen nahe, wie es Suleika, Cecilia und ich gewesen waren. Ich wusste, dass ich sie vermissen würde. „Hey, schaut nicht so traurig. Ich komme sicher irgendwann wieder. Immerhin, muss ich Assad noch eine gehörige Ohrfeige verpassen. Dafür das er so ein Idiot ist.“ Ich lachte, als ich den Rucksack zumachte und mir diesen aufschulterte. „Weißt du schon wohin du gehst?“ Immer noch machte sich Suleika Sorgen. Kein Wunder. Vor einem Monat war ich vollkommen planlos hier angekommen. Und nun war alles wieder auf Anfang zurück versetzt. „Seltsamerweise... Ja. Meine neue Reise wird an dem Ort beginnen, an dem ich zum ersten Mal Balbadd erblickte. Und dann geht’s übers Meer, in ein Paradies. Dort fange ich dann von vorne an, werde viel lernen und wenn ich genug gelernt habe, komme ich wieder. Versprochen.“ Seltsam. Ich hatte so viele andere Optionen gehabt und doch hatte ich irgendwie, stumm und klammheimlich entschieden, wo ich hin wollte. Vielleicht lag es daran, dass dieser Ort in meinem Kopf allgegenwärtig herumspukte, immer dann, wenn ich am Hafen Zeit verbrachte. Niemals hätte ich geglaubt, dass ich dahin wollte, ohne den Gedanken an den Seefahrer zu wenden, von dem eine Figur auf meinem Bücherregal stand. Es war einfach der Gedanke des Friedens, der diese Entscheidung endgültig gemacht hatte. „Pass auf dich auf, ja?“, schniefte Cecilia und ich nickte. Lächeln. Ich musste für sie alle hier lächeln. Immerhin hatte ich ein Ziel vor Augen. Zwar keine Arbeit und keine Heimat, aber immerhin ein Ziel. „Passt auf Assad auf. Macht ihm nicht zu viel Ärger.“ Ein Scherz. Assad würde auch weiterhin derjenige sein, der auf sie aufpasste. Ich ging vorbei an den Mädchen, die mir noch leise Worte des Abschieds zuflüsterten. Ich verband mein Gesicht mit dem überhängenden Stoff der langen Kleidung, die Suleika mir gegeben hatte. Wenn die Stadt schon nicht sicher war, sollte ich es nicht herausfordern. Als ich durch die Tür des Freudenhauses ging, wandte ich mich ein letztes Mal um, bevor ich leise Worte des Abschieds flüsterte und mir meinen Weg in Richtung des Hafens bahnte. Ein Schiff würde mir dort eine Reise in meine neue Heimat garantieren. Nach Sindria. Kapitel 8: Aufbruch ------------------- Auch wenn die Wege in Balbadd noch dieselben waren, wie am Tag zuvor, fühlte ich mich nicht mehr sicher. Jeder der Menschen, an denen ich vorbei lief, schien ein potentielles Mitglied der Nebelbande zu sein und selbst die Verhüllung meines Gesichtes schien meine Identität nicht zu verschleiern. Einen kurzen Augenblick fragte ich mich, ob es nicht vielleicht besser war, doch nach Kou aufzubrechen und Kouha nach einer sicheren Route zu fragen, aber eine innere Stimme verbot mir das. Die Stimme meines Stolzes, die mir sagte, dass ich mich von den Menschen, meinen Freunden und auch Fremden, nicht zu abhängig machen durfte. Diese Ansicht kollidierte mit der Stimme der Vernunft, die mich immer wieder an meine Schulter erinnerte, die Schonzeit brauchte. Eine lange Wanderung oder zumindest eine Reisetasche auf der Schulter gehörte sicher nicht zu den schonendsten Dingen, die ich kannte. Ich musste aber nur bis zu einem Schiff durchhalten, danach konnte ich mich sicher ausruhen. Es war der einzige tröstliche Gedanke, den ich noch finden konnte. Zwar hatte ich mich von den Mädchen verabschiedet, aber nicht von Kouha, oder von Sadiq, wo auch immer er gerade war, und Assad, der mir wohl besser aus dem Weg ging. Kurz verweilte ich an Ort und Stelle und blickte gen Himmel. Vielleicht sollte ich mich doch noch von Kouha verabschieden, mit einem Brief. So schwer sollte es nicht sein, einfach einen Brief abzugeben. Allerdings lagen Hotel und Hafen in zwei unterschiedlichen Richtungen. Die Gefahr, plötzlich auf diesem Weg von der Nebelbande gefasst zu werden, war einfach zu groß. Mir blieb damit nur der direkteste Weg zum Hafen. Die Atmosphäre in der Stadt war alles andere als gefasst. Überall waren Wachen positioniert und ließen ihre misstrauischen Blicke durch die Menschenmengen streifen. Aufmerksam, prüfend. Ich versuchte bestmöglich meinen Blick von ihnen abzuwenden, so dass sie nicht merkten, wie ich sie beobachtete. Ob sie auch Sadiq suchten? Hoffentlich hatte er die Stadt schnellstmöglich verlassen. Erneut interessierte mich die Frage, was Sadiq getan hatte. Wie ich ihn kannte, hätte er nun damit geprotzt, irgendetwas aus dem Palast gestohlen zu haben, immerhin war er ein Dieb. Stunden später hätte er dann behauptet ein versuchtes Attentat auf den König ausgeführt zu haben, immerhin war er ein Assassine. Wer war er? Was hatte er getan? „Und wie lange müssen wir hier stehen?“, hörte ich beim Vorbeigehen zwei Wachen, die scheinbar alles andere als begeistert von ihrer Aufgabe waren. Ehrlich, wer wäre von dieser Aufgabe begeistert gewesen? Hier zu stehen in der Hitze und der Sonne. „Bis Sonnenuntergang. Dann wird Ausgangssperre ausgerufen. Wer sich dann noch auf der Straße aufhält, wird umgehend verhaftet.“ Bis Sonnenuntergang? Es gab ein Zeitlimit für mich? Verdammt. Unter diesen Umständen musste ich mich wirklich beeilen. Ich musste hier weg. Bevor die Ausgangssperre aktiv wurde, oder die Nebelbande mich in ihre Finger bekam. Ich war hier nicht länger sicher, in dem Punkt hatte Suleika Recht.   Ich spürte wie ich paranoid wurde, denn ich mied die Gassen, durch die ich schneller zum Hafen gekommen wäre, da ich in jeder die Gefahr spürte, entdeckt zu werden. Noch einmal konnte ich sicher nicht gegen die Nebelbande bestehen und mein Dolch... lachhaft. Als würde ich mich mit diesem Stück Metall verteidigen können. Ich wollte mir nicht einmal in meinem schlimmsten Albträumen ausmalen, was Kassim mit mir tun würde, wenn er mich erneut in die Finger bekam. Das Rauschen des Meeres holte mich allerdings wieder in die Gegenwart zurück. Ich war gerade um die letzte Abzweigung gebogen und erkannte den Hafen. Mein sicheres Becken. Mein Herz klopfte wie wild, denn ich war meinem Reiseziel damit so nahe. So nahe, dass ich es fast schon greifen konnte. Jetzt musste ich nur noch herausfinden, welches der Schiffe nach Sindria führte. „Was denkt sich der König?“ Geschäftig wie immer war das Leben am Hafen. Die Händler boten ihre Waren feil, die Menschen unterhielten sich und zwischen all den Gesprächen und Wortfetzen, die ich aufschnappte, merkte ich, dass es wieder einmal um den König selbst ging. Ein gewohntes Thema in Balbadd. Wen wunderte es? Mit Sicherheit hatte sich der Überfall durch die Nebelbande vom vergangenen Abend schon herum gesprochen. „Alles nur wegen Kou...“, sagten andere und am liebsten hätte ich sie korrigiert. Nein, das war nicht alles die Schuld von Kou. Der Aufstand... er war vielleicht nicht falsch, aber die Durchführung war alles andere als richtig. Das Land war krank. Doch weder der aktuelle König noch die Nebelbande waren die Medizin, die dieses Land brauchte. 'Ich hoffe sie werden durchhalten...' Meine Gedanken galten meinen Freundinnen. Meiner Familie, die ich hier gefunden hatte. Sie waren in diesem kranken Land und mussten täglich um ihr Überleben kämpfen. 'Assad wird sie beschützen... Das rate ich ihm zumindest.' Auch wenn Assad ein Mitglied der Nebelbande war, würde er die Mädchen beschützen. Wie eine Löwenmutter ihre Junge. Wenn ich wiederkommen würde, würden sie alle noch leben, ich könnte ihnen von meinen Erlebnissen in Sindria erzählen. Ja. Dieser Gedanke wäre es, der mich weiterhin durchhalten ließe. Ich würde zurückkommen. „Entschuldigung...“ Meine Stimme wurde etwas von dem Stoff erstickt, mit dem ich mein Gesicht bestmöglich getarnt hatte. Als ich aber bemerkte, dass man mich durch diesen Stoff kaum hörte, schob ich ihn runter und sah den Seemann an, mir einen fragenden Blick schenkte. „Verzeihen sie, aber welches der Schiffe hier fährt nach Sindria?“ Der Seemann musterte mich argwöhnisch. So als glaubte er, dass hinter meiner Frage mehr steckte, als sie den Anschein hatte. Keine Ahnung, was in seinem Kopf vor sich ging. Letzten Endes war mir das auch egal, solange er mir meine Frage beantwortete. „Keines der Schiffe wird in nächster Zeit irgendwohin fahren. Befehl von König Ahbmad. Du kannst dein Glück aber gerne mal bei den Händlern versuchen. Vielleicht haben die ja eine Sondergenehmigung.“ „Was?“ Ich konnte nicht anders als meinem Entsetzen lauthals Luft zu machen. „Wieso?“, fragte ich den Seefahrer der nur mit den Schultern zuckte, als würde es ihn nicht interessieren. Dabei sollte es ihn besser interessieren, immerhin war das sein Job. „Es gab einige Tumulte bei dem Botschafter aus Kou. König Ahbmad will wohl sichergehen, dass keiner der Täter das Land über den Seeweg verlässt.“ Das sah nicht gut aus. So ganz und gar nicht gut. Allerdings, wenn der Seefahrer mir schon die Händler empfahl, dann gab es vielleicht doch noch eine Chance, dass ich wirklich über den Seeweg nach Sindria kommen konnte. Geld regierte die Welt, auch hier. Jetzt musste ich nur noch einen Händler finden, der vermögend genug aussah um die Wachen oder vielleicht sogar den König selbst zu schmieren. Leicht war das aber nicht, denn viele Händler schienen bereits den Seeweg aufgegeben zu haben und wandten sich dem Gehen zu. „Hey... Du solltest es den anderen gleichtun. Die Stadttore im Norden und Ostern werden noch offen bleiben. Allerdings ist selbst das nur eine Frage der Zeit. Du solltest dich also beeilen.“ Der Seefahrer schien bemerkt zu haben, wie mein Blick in der Gegend umhergeschweift war. Er selbst sah wohl keine Hoffnung mehr für mich, dass ich über den Seeweg gehen konnte. Damit entmutigte er mich, nahm mir alle Hoffnung und stieß mich ein Stück in die Ratlosigkeit, was ich nun tun sollte. Wenn ich die Wahl zwischen zwei Toren hatte, war nun noch die Frage, welches der beiden wohl die beste Variante bot. Nur wie sollte ich verdammt noch mal nach Sindria kommen? Über den Landweg... Ich mutierte nicht einfach mal so zu Moses und teilte das Meer, so dass ich einen Weg auf festen Boden wagen konnte. Wäre auch zu einfach gewesen. Warum einfach wenn es schwer ging? „Ich empfehle das Osttor... Es ist zwar eine etwas längere Reise, aber wählt man das Osttor, hat man eher die Möglichkeit an anderen Hafenstädten vorbei zukommen.“ Die Worte des Seefahrers klangen mehr danach, als hätte er mit sich gesprochen und ich nur die wichtigen Informationen aufgeschnappt. Er hatte das aber definitiv wegen mir gesagt, wahrscheinlich weil man mir meine Ratlosigkeit viel zu deutlich angesehen hatte. „Danke!“ Ich wandte mich von dem Seefahrer ab und lief in die Richtung, die mich eindeutig zu dem Osttor führen würde. Ein Monat hatte immerhin gereicht um mich besser in Balbadd zurecht zu finden, auch wenn mein Orientierungssinn nicht der beste war. Allerdings hatte ich mir bei jedem einzelnen Weg diverse Dinge gemerkt, prägnant, nur für diesen Weg, die mir dann als Wegweiser dienten. Dennoch, der Weg bist zum Osttor war nicht gerade der kürzeste. Ich spürte wieder den Schmerz in meiner Schulter, der mich zwingen wollte, eine Pause zu machen. Eine Pause stand aber nicht zur Debatte. Nicht dann, wenn mir der Zeitdruck und eine Gruppe von Rebellen im Nacken lagen. Ich beobachtete, wie die Händler mit ihren Wagen von dannen zogen, der sonst so lebendige Hafenmarkt schien heute seine Zelte vorzeitig abzubrechen. Wen wunderte es. Die Ungewissheit ob sie morgen hier noch Handel betreiben durften, blieb weiterhin bestehen. Da war es besser, wenn man früh loszog, in eine Stadt, die sich nicht wegen eines Überfalls abschottete. Im Vergleich zu meiner Ankunft hier, war Balbadd wirklich gefährlich geworden und vielleicht sollte ich dankbar über diese ganzen Ereignisse sein. Über alles, wie es sich ergeben hatte. Wie lange wäre ich sonst hier geblieben? Sicher lange genug um entweder zu sterben, oder um die blutige Revolution mitzuerleben.   Auch wenn ich es nicht geplant hatte, war ich doch dank meiner Schulter zu einer kleinen Pause gezwungen gewesen. Diese hatte ich bei einem der letzten Stände am Hafen verbracht. Dort hatte ich mir die zweite Mahlzeit des Tages organisiert und dem Standbetreiber beim Abbau seines Ladens beobachtet. „Das Osttor also?“, sagte der Ladenbetreiber, der meiner Geschichte gelauscht hatte. Zumindest den Part das ich nach Sindria wollte, hatte ich erzählt, die Gründe dafür aber verschleiert. Es musste niemand wissen, dass ich auf der Flucht war. „Ja, einer der Seefahrer meinte, dass ich, wenn meine Reise von dort beginnen würde, ich wohl eher die Chance darauf hätte einen Weg zu einem anderen Hafen zu finden.“ Der Händler nickte und packte seine Stoffplane, die bunt genug war, um Aufmerksamkeit zu erregen, auf einen kleinen Wagen, den er vor ein Pferd spannte. „Ein Mädchen allein auf Reisen, dass ist nicht gerade ungefährlich. Aber vielleicht findest du am Osttor noch Handelskarawanen die andere Häfen ansteuern. Wenn du willst, nehme ich dich bis dahin mit.“ Das war wirklich Glück im Unglück. Wie konnte ich bei so einem Angebot nein sagen? Gut einfach Nein, aber nicht wenn meine Schulter so angeschlagen war. Ich würde wahrscheinlich alle Kräfte auf dem nächsten Teil meiner Reise brauchen und warum sollte ich da nicht auf einem Wagen sitzend etwas ruhen? „Das wäre wirklich nett, danke. Wie viel wollen Sie dafür?“ Es war nur logisch aus meiner Sicht, dass ich dem Mann einen kleinen Obolus gegeben hätte, doch er winkte ab und verwies dabei auf das Obst in meinen Händen. „Immerhin diese Früchte werden nicht schlecht. Das ist Lohn genug.“ Er schuf mir Platz auf seinem Wagen, auf den ich sofort stieg. Zutiefst dankbar, dass ich so wohl doch noch vor der Ausgangssperre zum Osttor kam. Gefangen wollte ich hier in der Schlangengrube auch nicht sein. Ebenso wenig wollte ich mich bei Kouha verkriechen und hoffen, dass Kassim mich vergaß. Dafür müssten Jahre ins Land gehen, vielleicht auch nur Monate. Aber nein. Das wollte ich nicht. Der Mann setzte sich auf sein Pferd, welches er mit einem Peitschenschlag, der nur durch die Luft schallte, aber nicht den Körper des Tieres galt, in Bewegung setzte. Die Fahrt ging langsam los und sonderlich schneller wurden wir auch nicht. Überall liefen Menschen herum, Wachen standen auf ihren Posten und beäugten misstrauisch jeden, der an ihnen vorbei lief. Sie waren alle potentielles Rebellen. Ich war froh, bald in Sicherheit zu sein und fühlte mich auf dem Wagen sicher, bis... ich sie sah. Zaynab, die sich scheinbar suchend umsah. Sie war aus dem Adelsviertel gekommen, wahrscheinlich hatte sie vermutet, dass sich dort noch etwas finden ließ. Kouha oder ich. Sofort zog ich mir wieder den Stoff vors Gesicht und nahm eine gekrümmte Haltung an. Es war unmöglich, dass sie mich so bemerkte, auch wenn sie auf den Wagen sah. Ihr Blick war genauso schnell von diesem gewichen, wie sie ihn ins Visier genommen hatte. Erleichtert atmete ich auf, behielt meine gekrümmte Haltung aber bei, bis Zaynab wirklich außer Sichtweise war. Immerhin dieses Hindernis hatte ich überstanden. Dachte ich. Die ganze Stadt schien vor Nebelbandenmitglieder zu wimmeln. Einige liefen in Gruppen, befragten scheinbar Menschen, während andere sich alleine umsahen. Von einigen war ich mir nicht einmal sicher, ob sie wirklich zur Nebelbande gehörten, aber ich war wie gesagt sehr paranoid geworden. Dennoch, einige von ihnen erkannte ich durch den Überfall, auch wenn der Nebel nicht sonderlich viel Sicht geboten hatte. Schlangengrube... diese Bezeichnung war wirklich prägend gewesen. „Pass auf dich auf... Kouha...“, wisperte ich leise. Mein schlechtes Gewissen nagte an mir, doch vielleicht, wenn er wirklich noch einmal ins Freudenhaus ging, würden Suleika und die anderen ihn aufklären, so dass ihm klar war, in was für einer Lage ich mich befand. Ob er mir aber böse sein würde, dass ich nicht nach Kou wollte? Kou... vielleicht... nein, ich durfte nicht zweifeln. Unter keinen Umständen.   Es waren mindestens drei Stunden vergangen, zumindest fühlte es sich so für mich an, als wir endlich das Osttor erreichten. Auch hier waren Wachen positioniert, welche einzelne Personen scheinbar nach Namen und Herkunft befragten. Suchten sie nach Sadiq? Nein, sie befragten auch Frauen. Dunkel erinnerte ich mich daran, dass sie auch nach mir suchten, doch bisher hatte mich keine Wache angesprochen. Richtig... im Gegensatz zur Nebelbande wussten sie vielleicht nicht mehr als meinen Namen. Zur Not konnte ich also auf die Schnelle einen neuen Namen nennen. Oder brauchte ich vielleicht Papiere? Verdammt, ich hatte keine Papiere. Gab es hier so etwas wie einen Ausweis? Mein Kopf war mit einem Mal wie leer gefegt und ich faltete meine Hände wie zum Gebet. Wenn es hier einen Gott gab, ich glaube er hörte auf den Namen Solomon, hatte er mich gefälligst zu erhören, denn ich musste nach Sindria. Der Wagen stoppte aber nicht und fuhr ohne langes Zögern über die Grenze, raus aus der Stadt, vor die Tore, an denen sich die Händler versammelten und scheinbar miteinander Gruppen bildeten. Sicher, man kam in großen Gruppen langsamer voran, war aber dafür besser gewappnet gegen Angriffe. „So, bis hier her kann ich dich mitnehmen.“ Ich nickte und stieg von dem Wagen, als dieser zum Stillstand gekommen war. Meine Tasche schulterte ich wieder auf und sah zu dem Mann. „Viel Glück bei deiner Reise.“ Ein weiteres Nicken. „Danke...“, nuschelte ich unter dem dichten Stoff hervor. Ich wagte mich nicht, hier bei den Wachen meine Schutz abzulegen. Was, wenn hier vielleicht auch noch Nebelbandenmitglieder waren? Zumindest, wäre das der cleverste Schachzug gewesen. Sicher ahnten sie, dass ich fliehen würde, sollte ich Wind davon bekommen, dass sie nach mir suchten. Besser war es also, wenn ich schnell eine Reisegruppe fand, die an einem Hafen vorbeikam und mich dort unter gegebenen Umständen absetzen konnte. Mein Blick schweifte über die Massen an Händler. Ich hatte freie Wahl. „Entschuldigung?“ Ich hatte allen meinen Mut zusammengefasst und war auf einen Händler zugegangen, der gerade Waren von einem Wagen auf einen anderen verlud. Ein Brummen von ihm war alles, was ich als Antwort bekam. Unsicher, ob ich sprechen sollte oder nicht, sah ich ihm zu, entschied aber, besser mit der Sprache herauszurücken. „Fahren sie und ihre Begleiter in Richtung eines anderen Hafen? Ich muss nach Sin-“ „Verschwinde! Lass bloß deine Pfoten von den Waren!“ Entsetzt wich ich zurück, als der Mann mich so anfuhr. Ich verstand nicht, was er hatte, denn er war scheinbar nicht einmal gewillt meine Bitte vollständig zu hören. Oder er war einfach zu beschäftigt. Keine Ahnung woran es lag. Zurückgewiesen, aber nicht vollständig entmutigt, versuchte ich es daher bei einem anderen Wagen. Auch hier hektisches Treiben. Scheinbar hatte sich eines der Seile gelöst, mit denen die Waren fest verzurrt gewesen war, sodass die Wagenbesitzer alle Hände voll zu tun hatten, die gestapelten Kisten wieder ins Gleichgewicht zu bringen und ordentlich zu befestigen. „Entschuldigung...“, erneut sprach ich einen der beiden Beschäftigten an. Wieder wurde mir keinerlei Beachtung geschenkt. Stattdessen schob mich die Frau, neben welcher ich gestanden hatte, harsch zur Seite, als sie mir ihrem Seilteil auf die andere Seite gehen wollte. „Geh aus dem Weg... Das hier schnürt sich nicht von alleine.“ Es war schon sehr entmutigend, doch ich konnte nicht anders als hartnäckig bleiben. „Tut mir leid... Aber... uhm... Hätten Sie vielleicht noch Platz für mich? Ich muss zu einem Hafen und wenn das kein Umweg für sie wäre... Ich werde auch helfen... und ich kann die Reise zahlen.“ Ja, Geld regierte auch in Magi die Welt. In der Regel half es um Menschen etwas milde zu stimmen. Doch nicht diese beiden. „Als ob jemand wie du wirklich Geld hätte... Noch dazu fahren wir nach Quishan... Also such dir jemand anderen.“ Ein Fehlschlag. Aber was meinte die werte Dame mit „Jemand wie du?“ Meine Kleidung war zwar nicht aus feinster Seide, aber immerhin sauber. Sie war schließlich von Suleika und diese hätte mich sicher nicht in Lumpen herumlaufen lassen, selbst wenn es darum ging mich zu tarnen. „Danke dennoch...“, nuschelte ich verwirrt und wandte mich der nächsten Karawane zu.   An dieser Stelle muss ich, denke ich nicht erwähnen, dass meine Suche erfolglos war. Die meisten antworteten gar nicht erst, oder warfen mir Blicke zu, als wäre ich irgendetwas absonderliches. Hätte ich gewusst, was ich falsch machte, hätte ich das sicher erklären können. Vielleicht waren sie auch alle nur zu beschäftigt um mir vernünftig zuzuhören, immerhin ging es hier zu, als hätte man in einen Ameisenhaufen gestochen. Alle packten um, grübelten über Karten und versuchten so die bestmögliche Route zu finden. Merkwürdig war nur, dass andere Reisende, die durch dieses Tor gekommen waren, schneller eine Reisemöglichkeit gefunden hatten, als ich. Es waren nicht mehr viele Händler, die ich fragen konnte, ob sie mir vielleicht halfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen Plan B brauchte, bestand also. Plan B wäre dann, alleine zu reisen und mir am besten einfach nur die Information zu besorgen, zu welchen Hafen, in welche Richtung ich gehen müsste. Immerhin hatte ich ja schon festgestellt, dass ich Sindria wohl eher nicht im Stile Moses erreichen würde. Nur was wäre die einfachste Route über den Landweg zu einem Hafen? Was wäre überhaupt der nächstgelegene Hafen? Gott, meine Geographiekenntnisse waren genauso wie in meiner Welt gar nicht vorhanden. Noch eine Sache, die mir hier nicht fremd war. Langsam sammelten sich die Gemeinsamkeiten. Bevor ich jedoch wirklich Gebrauch von Plan B machte, wollte ich noch eine Person fragen. Nur noch eine Person, die mir vielleicht, wenn sie mich nicht mitnahm, dann aber wenigstens half und einen Weg zum nächstgelegenen Hafen wies. Mein Blick streifte über den Vorplatz des Tores und haftete schließlich auf einer sehr gemischten Gruppe. Ich erkannte jemanden mit der Kleidung von Kou. Ein Zeichen. Das war definitiv ein Zeichen. Die Frage war nur, wen ich ansprechen konnte, ohne gleich wieder eine vielbeschäftigte Ameise zu erwischen, die mich ignorierte. Just in diesem Moment, stach etwas anderes hervor. Ein rot-blonder Schopf. Ich muss gestehen, es war das erste Mal, dass ich so eine Haarfarbe sah. Sicher ein Exot unter all den hier lebenden Menschen, mit ihren ungewöhnlichen Farben. Doch es waren nicht nur seine Haare. Auch sein Äußeres, zumindest was ich von meiner Seite aus sehen konnte, war schon, für Balbadd-Verhältnisse ungewöhnlich. Er wirkte wie ein Römer in seiner Tunika. Mit Sicherheit trug er auch noch eine purpurne Toga. Bei dem Gedanken musste ich mir ein Grinsen verkneifen. 'Fragen kostet nichts', dachte ich mir, als ich näher auf den „Römer“ zuging. Noch dazu, konnte mir diese Person vielleicht bei Plan B helfen, sollte man mich auch nicht in dieser Reisegruppe dabei haben wollen. „Entschuldigen Sie?“ Anders als bei den anderen, nahm der „Römer“ mich wahr, als ich ihn ansprach, auch wenn meine Stimme erneut erstickt durch den Stoff meiner Tarnung drang. Er wandte sich zu mir um und sein Blick ließ mir jetzt schon das Blut in den Adern gefrieren. Ich kam einfach nicht mit ernst oder böse drein blickenden Menschen klar. Er gehörte aktuell zur ersten Gruppe. Ernst. Wahrscheinlich war aber die Tatsache, dass seine Augenbrauen ebenso rot-blond wie seine Haare waren, erschreckender. Ich wusste nicht, ob er nun rothaarig gewesen war, oder doch eher blond. Die Farben gingen so ineinander über, als müsste es sein. „Was ist?“ Mir war erst jetzt aufgefallen, wie ich ihn angestarrt hatte. Wie unhöflich. Aber so ein Römer mit gefärbten Haar war eben eine kleine Rarität. „Äh... Ich bin auf der Reise nach Sindria...“, setzte ich an und überlegte, wie ich meine Frage oder vielmehr meine Bitte formulierte. „Ich muss zu einem anderen Hafen und kenne mich hier ehrlich gesagt gar nicht aus. Deswegen... uhm... Wenn ein Hafen auf ihrem Weg liegt, würden Sie mich mitnehmen?“ Ohne einen Laut von sich zu geben, musterte mich der Mann und schien über irgendetwas nachzudenken. War es die Route? Oder ob ich irgendeine Gegenleistung erbringen konnte? Ich tippte auf zweiteres und zog aus meiner Tasche den kleinen, klappernden Geldbeutel, den Suleika mir gegeben hatte. Im Nachhinein würde dieses Startkapital doch noch nützlich sein, auch wenn ich es nur ungerne angenommen hatte. Wahrscheinlich war Suleika das bewusst gewesen, weswegen sie es einfach so in die Tasche gepackt hatte. Im Nachhinein musste ich Suleika dafür wohl wirklich danken. „Ich bezahle auch.“ Immer noch Schweigen und Starren. Gedanklich verabschiedete ich mich damit auch schon von diesem Händler. Mit Sicherheit würde er Nein sagen. Was sollte sonst dieses lange Schweigen bedeuten? „W-Wenn... Sie nicht auf diesem Weg reisen, würde es mir auch schon helfen, wenn Sie mir eine Route empfehlen...“ Da die Angst tief wog, dass der junge Mann mich gleich ignorierte, bot ich ihm die Alternative an, die ich auch gerne entgegen genommen hätte. „Du siehst aus wie ein stümperhafter Dieb...“ Die ersten Worte die er mir widmete waren keine Antwort auf meine Bitte und ließen mir doch die Gesichtszüge entgleiten, was dank dem Stoff vor meinem Gesicht nicht wirklich ersichtlich war. „Wie bitte?“, fragte ich, nur um sicher zu gehen, dass ich mich nicht verhört hatte. Irgendwie war ich mir aber sicher, dass dies nicht der Fall gewesen war. Mein Gehör war gut, auch wenn meine Mutter, aufgrund des hohen Lautstärkepegels, mit dem ich meine Musik hörte, anderer Meinung war. „Diese Verkleidung... Wenn du unauffällig oder nicht erkannt werden willst, scheiterst du damit kläglich. Es grenzt schon an ein Wunder, dass die Wachposten dich durchgelassen haben.“ Mal davon abgesehen, dass ich keinen Spiegel hatte um zu sehen, wie auffällig ich wirklich wirkte, musste ich dem Mann glauben, auch wenn mir sein Ton nicht gefiel. Wobei er mich in dieser Art irgendwie an Assad erinnerte. Dieser hatte mir auch nicht gerade freundliche Komplimente bei unserer ersten Begegnung gemacht. Zwar war er im Laufe der Zeit doch noch netter geworden, zumindest redete ich mir das ein, aber dennoch, soviel Ehrlichkeit war unerträglich. Noch dazu konnte ich mich nicht darüber aufregen, schließlich wollte ich etwas von diesem Mann, der immer noch nicht auf meine Frage geantwortet hatte. „Fährt ihre Reisegruppe in Richtung eines Hafens?“, fragte ich noch einmal und machte damit im Prinzip klar, dass ich nun doch gerne eine Antwort hätte. „Ich garantiere, dass ich harmlos bin. Ich trage nur einen Dolch zum Selbstschutz bei mir und mein Reisegepäck. Ich werde kaum auffallen und nicht im Weg stehen, dass verspreche ich. Und wie gesagt, ich zahle auch dafür.“ Erneut hielt ich den Beutel hoch und zog mit der anderen Hand, die ich frei hatte, nachdem ich mein Gepäck für die Suche nach dem Geld abgestellt hatte, den Stoff von meinem Gesicht, so dass nur noch meine Haare verdeckt waren. „Selbstverständlich wirst du zahlen. Alles im Leben hat seinen Preis. Verpflegung, Transport, Unterbringung und Schutz ebenso. Und das wird nicht günstig.“ Ohne mir eine Chance zu geben, einen passenden Preis vorzuschlagen, nahm er mir meinen Geldbeutel aus der Hand und öffnete diesen. Er blickte schätzend in diesen hinein und schüttelte schließlich die Hälfte, vielleicht auch mehr, in seine hohle Hand. Der gut gefüllte Beutel lag hinterher zumindest ziemlich schlaff in meiner Hand und ich musste mich arg beherrschen, dem Geld nicht nachzutrauern. „Mo-Moment! Ich bezahle nur, wenn Sie mich zu einem Hafen bringen können! Wofür sollte ich sonst zahlen?“ Sein stechender Blick visierte mich an und erneut zuckte ich innerlich zusammen. Hatte ich etwa etwas dummes gesagt? „Natürlich zahlst du nur dafür, dass du mit uns bis nach Aza reisen kannst. Du hast Glück. Wir sind auf dem Weg zum Tenzan-Plateau und Aza liegt auf dem Weg. Von dort legen garantiert noch Schiffe nach Sindria ab.“ Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Nach all der Ablehnung, sah ich wieder etwas Licht am Horizont. Der Gedanke doch nicht alleine und unwissend durch die Welt reisen zu müssen, war doch schon sehr beruhigend. Dennoch fragte ich mich, ob das wirklich so viel kostete. Schließlich war das mein halbes Startkapital, dem ich irgendwie nun doch nachtrauerte. „Du kannst dich unterwegs gerne nützlich machen. Das würde dir nicht zum Nachteil werden, denn jede hilfreiche Hand wird bei mir auch honoriert.“ Mich nützlich machen? Ich war mir nicht sicher, wie er das meinte. Es wäre immerhin meine erste Karawane gewesen, der ich folgen durfte. Somit war mir nicht einmal klar, was es für Aufgaben auf einer Reise zu erledigen gab. Nachtwachen vielleicht, aber die durften aufgrund der Spätschicht in meiner Welt und diversen durchzechten Nächten auch keine Probleme mehr sein. Außer... ich musste dann den Tag über noch laufen und bekam meinen Schlaf erst um 24 Stunden verzögert. Ein Grauen, aber gut, wenn es sein musste, würde ich wohl auch das überleben. „Darf ich fragen, wie lange wir nach Aza reisen?“ Es war schon die Unwissenheit, die gerade entgegenschlug. Immerhin wusste ich nichts über diese Welt und stand kurz davor, wieder etwas mehr von ihr kennenzulernen. Vielleicht war der Landweg bis zum nächsten Hafen doch nicht so schlimm. Immer positiv denken. „Zwei Wochen. Allerdings können es bei einem guten Reisetempo auch einige Tage weniger sein. Oder mehr. Das hängt von unserem Vorankommen ab.“ Zwei Wochen. Alleine diese Antwort trübte meine Freude. Zwei Wochen musste ich mich wohl gedulden um erst einmal auf einem Schiff nach Sindria zu kommen. Danach hätte ich noch eine Fahrt von einigen Tagen vor mir. So schnell würde ich Balbadd wohl nicht wiedersehen, außer Ahbmad war kurz davor die Handelsbeziehungen zu Sindria stoppen zu lassen. Wenn wir schon so nahe im Teil der Geschichte waren, dann würde Sinbad sicher ebenfalls bald aufbrechen. Vielleicht verpasste ich ihn dann... Wobei, warum interessierte mich das? Ich wollte nicht wegen Sinbad nach Sindria. Nein, aber ich hätte Sinbad dann nur zu gerne benutzt, um zurück nach Balbadd zu kommen. „Dann werde ich mein Bestes geben, dass ich euch kein Klotz am Bein bin.“ Ich zog mir das Tuch, welches wie ein Teil meines Umhanges wirkte, vom Kopf und packte dieses in die Reisetasche. „Kann ich mein Gepäck noch irgendwo verstauen? Ich brauch nicht viel Platz.“ Ich hob mein Reisegepäck an, welches wirklich nicht groß war. Es waren immerhin nicht viele persönliche Sachen darin verstaut. Lediglich das Geld, Kleidung, die Empfehlungsschreiben und noch ein paar andere Dinge, bei denen ich Suleika nicht genau gefragt hatte, was sie da hinein packte. „Auf den Wagen dort. Pass aber auf, dass die Waren nicht beschädigt werden.“ Ich nickte. Mit Sicherheit würde ich auf die Waren achten, ich hatte immerhin keine Lust auch diese noch zu bezahlen und damit neben meinem Restkapital meine Seele zu verkaufen. Als Sklavin wollte ich ja nun doch nicht enden. Oder als Handlanger eines Händlers der vom Aussehen her, fast noch ein „Kind“ war. So wie Kouha. Hier schien es echt keine Jugendschutzgesetze zu geben, aber scheinbar war ich schon abgestumpft genug, so dass es mir irgendwie egal war. Vielleicht hatte mich die Begegnung mit Kouha aber auch noch die ein oder andere Sache bezüglich der Magi-Welt gelehrt. Auch wenn ich nicht wusste was. Ich ging zu dem Wagen, den mir der Händler gezeigt hatte und suchte zwischen den Kisten einen sicheren Standplatz für mein Gepäck. Es gab wirklich eine Lücke zwischen zwei Kisten, in die ich meine Tasche verfrachtete. Sie war dort fest genug platziert, egal wie stark der Wagen bremsen musste, sie würde nicht kippen oder auch nur eine Kiste umwerfen. Das hatte ich sicher gestellt. „Beeil dich...“, hörte ich den Ruf des Mannes. Es war deutlich, dass die Reisegruppe aufbrechen wollte. Das Gepäck schien auf allen Wagen sicher verstaut und da die Sonne noch nicht untergegangen war, wollten sie scheinbar noch eine kleine Distanz zurücklegen, um ihrem Endziel näher zu kommen. Das war mir nur ganz Recht, auch wenn mein Körper bereits jetzt erneut erschöpft war. Ich durfte mir das aber nicht anmerken lassen, denn ich hatte versprochen, dass ich kein Klotz am Bein sein würde. Kapitel 9: Nachtlager --------------------- Die kleine Reisegruppe, die nun auch meine Begleiter waren, war wirklich ein bunt gemischter Haufen. Am auffälligsten hierbei waren wirklich der Römer mit seinen Dienern, die eindeutig zuzuordnen waren, weil ihre Kleidung ebenfalls etwas römisch angehaucht waren. Zu ihm schienen zwei Wachen, in ähnlicher Legionsrüstung, wie ich sie von Muu Alexius kannte, zu gehören. Einer von ihnen trug eine Dreizack bei sich und erbärmlicherweise spann mein Kopf den Gedanken, dass König Triton nun doch noch unter die Menschen gegangen war. Arielle wäre stolz auf ihn gewesen. Neben den Römern befand sich aber auch ein balbaddischer Händler unter uns. Er lamentierte darüber, dass die Gesetzlosen es unmöglich gemacht hatten noch vernünftig seine Waren zu vertreiben, die er aus allerlei Orten hatte. Seltsam, wenn man bedachte, dass er wohl die meiste Zeit in Balbadd verbrachte. Anders konnte ich mir nicht erklären, warum er die Römer und den Händler aus Kou eher zweifelnd ansah. Es musste an ihrer Kleidung liegen, die sich wirklich von eben jener aus Balbadd unterschied, eine Feststellung, die ich erneut machte und somit nichts neues war. Aber wie hieß es bei mir Zuhause so schön, andere Länder, andere Sitten. Der Händler aus Kou hingegen schien sich eindeutig auf Stoffe spezialisiert zu haben, denn aus seinem Wagen lugten einige Ballen hervor, die allesamt sehr edel und wertvoll zu sein schienen. Seine Diener hatten zumindest eben jene Ballen fest im Blick, so als fürchteten sie, dass sie jederzeit herausfallen könnten, was mich nicht verwunderte, denn sie wackelten bedrohlich und waren nicht festgezurrt und gebunden. Scheinbar hatten sie keine Seile mehr dafür gehabt, sodass sie versucht hatten, die Ballen mit Schneiderpuppen zu beschweren oder mit Kisten gegen die Wand zu drücken. Wenn sie Pech hatten, würde die Physik ihnen bei einem abrupten Stopp des Wagens aber eine Lektion erteilen. Ich konnte nur hoffen, dass dies nicht sobald sein würde, denn so konnte ich vielleicht noch die ein oder andere Anmerkung machen, so dass dieses Erlebnis ausblieb und wir wirklich schnell voran kamen. Auch wenn wir keine wirklich große Reisegruppe waren, so machte das Gefolge der Händler doch schon einiges an Mitreisenden aus. Allerdings gab es da eine Person, dessen Rolle mir nicht wirklich bekannt war. Es war ein groß gewachsener Mann mittleren Alters, der neben dem jungen Römer herlief und eine Schriftrolle ausgebreitet hatte, während er mit diesem sprach. War das ein Reiseführer? Oder doch eher jemand, der mit dem Römer die Route besprechen wollte? Nein, das konnte nicht sein, denn der Römer würdigte ihn förmlich keines Blickes. „Das ist sein Hauslehrer.“ Ich hatte die Schritte wahrgenommen, die hinter mir ertönt waren und sah zu einer Frau, die lächelnd zu den beiden sah. Ihre Kleidung ähnelte der des Römers, was mir nur zu deutlich zeigte, dass sie wohl zu seinen Leuten gehörte. „Sein Hauslehrer?“, fragte ich fast schon ungläubig nach. Ich hatte ja geahnt, dass der Römer wohl in Kouhas Alter war, allerdings nicht, dass diese Vorahnung sich dank dessen Hauslehrer bestätigen würde. „Ja. Auch wenn der junge Meister sehr gewitzt ist, so besteht der Hausherr darauf, dass sein Hauslehrer ihn auf jeder Reise begleitet. Er muss noch viel lernen, besonders in Dingen wie Politik und Landeskunde.“ Das wirkte logisch, wobei ich es immer noch befremdlich fand, dass der Hauslehrer auch wirklich gewillt war, so eine Reise zu machen, zumal sein Gesichtsausdruck etwas verzweifeltes hatte. „Der junge Meister hält nicht viel von Politik. Er meint er könnte es nicht brauchen, wenn er als Händler einmal das Gewerbe seines Vaters übernimmt. Dennoch, sein Hauslehrer ist genauso hartnäckig, wie der junge Meister in solchen Dingen stur sein kann.“ Ein Lächeln lag auf den Lippen des Mädchens. Ihre braunen Haare lagen gewellt und zu einem Zopf zusammengebunden auf ihrer linken Schulter, die kaum bedeckt war, dank ihrer römischen Kleidung. Dennoch, ich beneidete sie. Im Gegensatz zu mir, schien ihr die Sonne, die immer noch erbarmungslos und fröhlich über uns brannte, nicht zu stören. „Wie heißt er eigentlich?“, wollte ich nun wissen, denn irgendwie hatten der Römer und ich die Floskeln der Vorstellung ganz übergangen. Somit wusste ich keinen einzigen Namen von hier und keiner kannte meinen. Vielleicht war das auch gut so. „Cassius Caelius. Er und seine Dienerschaft, mich eingeschlossen, kommen aus dem Kaiserreich Reim. Sein Vater gehört dort zu den einflussreichsten Händlern.“ Ich staunte. Das Kaiserreich Reim also. Dann hatte ich mich doch nicht geirrt, als ich die Kleidung der Wachen mit jenen von Muu Alexius gleich gestellt hatte. Es wunderte mich nun nicht mehr, dass sie einen identischen Stil hatte. „So ist das also... Das Kaisereich Reim...“ Wirklich viel wusste ich nicht über Reim. Nur, dass Scheherazade der Magi des Reiches dort war und die ganzen Menschen dort wohl eher im Sinne der Römer lebten. Gladiatorenkämpfe, Rüstungen, ein Kolosseum das alles waren Dinge, an die ich mich aus der Serie erinnern konnte. „Warst du schon einmal dort?“, fragte meine Gesprächspartnerin sofort, als sie mich die Worte ihrer Herkunft wiederholen hörte. Oh Gott. Ich fürchtete solche Fragen. Ehrlich. Was sollte ich antworten? Ich hatte doch schon mein Leben in Balbadd mit Lügen begonnen, musste das wirklich so weitergehen? „Nein. Ich war auch das erste Mal in Balbadd. Um ehrlich zu sein, kenne ich nicht viele Städte oder Reiche, abgesehen von meiner Heimat. Die meisten Dinge die ich kenne, habe ich aus Geschichten über diese Länder in Erfahrung bringen können.“ Ich versuchte so gut es ging alles zu umschreiben, so dass es vage blieb, ich aber nicht erneut lügen musste. Die Erinnerung daran, dass Kouha der einzige war, der die Wahrheit kannte, bekümmerte mich allerdings. Wie gerne hätte ich doch die Wahrheit erzählt, ohne Angst, dass man mir nicht glauben würde. „Dann ist das also deine erste große Reise. Wie heißt du eigentlich? Ich bin Iunia.“ Iunia also. Ein ungewöhnlicher Name, aber irgendwie war er auch schön. Mir fiel erst jetzt auf, dass Iunia selbst noch ziemlich jung war. Doch hier war jung sein kein Grund, warum man nicht auch genug Erfahrung haben konnte. Wahrscheinlich wussten sie, Kouha und Cassius mehr über diese Welt als ich. Im Gegensatz zu ihnen, war ich wohl das wahre Kind. „Ich heiße Erenya. Und ja, man könnte es als meine erste große Reise hier sehen, auch wenn es ungeplant kommt, dass ich sie jetzt schon antrete.“ Ich mühte mir ein Lächeln ab, auch wenn meine Worte mich daran erinnerten, wie genötigt ich diese Reise angetreten war. Ursprünglich war der Plan gewesen, nach der Rebellion Balbadd zu verlassen, dem Fluss der Serie zu folgen und mich von diesem treiben zu lassen, doch das Schicksal hatte einen anderen Weg für mich bestimmt. „Wenn du erst später Balbadd verlassen wolltest, was hat dich dann dazu gebracht, doch jetzt loszuziehen?“ Iunia schien sich wirklich sehr dafür zu interessieren, wieso ich nun bei ihnen war. Dabei war das nicht gerade eine der Geschichten, mit denen ich hausieren gehen wollten. Wobei die Umstände mich, wie sie bekanntermaßen vorherrschten, auch zu meinen Gunsten als Story dienen konnten. „Ich hatte irgendwie Angst, dass ich nicht mehr dazu komme. Mit all den Dingen die in Balbadd abends passieren, ist es dort nicht mehr sicher. Entweder wäre ich nicht mehr lebend aus Balbadd gekommen, oder der König hätte eine noch größere Ausgangssperre verkündet. Da bekam ich Angst und wollte unbedingt hinaus. Raus in die Freiheit, raus in die Welt.“ Ich verschwieg den Fakt, dass ich durch die Mädchen dazu gedrängt worden war zu gehen, dass ich keine Heimat mehr hatte und ich mehr Flüchtling als Reisende war. Vielleicht wollte ich mir so auch selbst einreden, dass ich diese Reise jetzt und hier freiwillig machte, damit die Sehnsucht nach Assad und den Anderen nicht zu groß wurde. Raus in die Freiheit, raus in die Welt... An sich kein schlechter Gedanke. Das wurde mir bewusst, als ich mich umsah. Wir hatten Balbadd noch nicht sehr weit hinter uns gelassen und doch sah ich hier ein natürliches Bild, welches man in meiner Welt nur noch selten sah. Die Natur. Unberührt von den chemischen Gewalten der Menschen. Auch wenn schon deutlich war, dass es einen Eingriff durch Menschenhand gegeben hatte, indem man einige Bäume gefällt hatte, so war es hier doch noch natürlicher als in meiner Welt. Die Bäume wuchsen gen Himmel und ich fragte mich, welcher Gattung sie angehörten. Ob es dieselben Arten gaben wie bei mir Zuhause? Zumindest sollte es das, ich meine, sie hatten hier auch Pferde, Kamele und andere Tiere, die in meiner Welt nicht fremd waren. Warum sollte dann die Pflanzenpopulationen unterschiedlich sein? Abgesehen von ein paar Arten, die bei uns ausgestorben waren, würde es hier wohl so ziemlich das gleich geben. Und dennoch, die Neugier auf dieser Reise vielleicht doch noch neue und unbekannte Dinge zu erleben, erwachte und erstickte auch die letzten Zweifel die wegen meiner Reise aufgekommen waren, im Keim.   Die Sonne war wirklich unbarmherzig und der Schweiß perlte von meiner Stirn, im Angesicht der Tatsache, dass ich immer noch die langen Sachen vom Beginn meiner Reise trug, Der Stoff war zwar dünn, aber dennoch gab es keinen kühlen Windhauch, der mir das ganze auch nur irgendwie erträglicher machte. Es war seltsam, zumindest wenn ich mich mit den anderen Reisenden verglich. Sie liefen in wohl noch dickeren und unerträglicheren Sachen herum und doch zeigten sie keinerlei Erschöpfungs- oder Wärmeerscheinungen. Es musste wirklich normal für die Menschen dieser Welt sein, was mir erneut demonstrierte, wie wenig angepasst ich doch war. Vor allem, wenn ich die Wachen in ihren Rüstungen ansah, demotivierte es mich, da sie noch wesentlich mehr schwitzen mussten als ich und doch... keine Schweißperle. Neid. Ich schüttelte meinen Kopf und versuchte mit der Reisegruppe Schritt zu halten. Es war aber nicht nur die Wärme, die mir zusetzte, sondern auch die Verletzung an meiner Schulter. Der Schmerz, den ich für wenige Stunden hatte vergessen können, war wieder da. Dabei trug ich nicht einmal mehr mein Gepäck. Die Belastung für meinen Körper war damit schon so gering wie möglich gehalten und doch schmerzte diese verdammte Schulter. Ich musste mich von diesem Schmerz ablenken, ihn nichtig machen, indem ich ihn einfach vergaß. Niemand sollte merken, dass ich körperlich angeschlagen war, denn ich durfte nicht zum Ballast für diese Gruppe werden. Je schneller wir vorankamen, desto besser. Ich musste Sindria schnellstmöglich erreichen. Irgendwie schafften es meine Beine mich in die Richtung des Kou-Händlers und seinem Gefolge zu bringen. Die beiden Diener des Kou-Händlers, ein Mädchen und ein Junge, sprachen angeregt miteinander und erneut beneidete ich sie. Immerhin hatten sie noch genug Kraft um miteinander zu reden. Es war sehr offensichtlich, dass sie solche Reisen gewohnt waren, zumindest schienen ihre Körper kein Gramm Fett zu viel zu haben. Wie Cassius waren auch sie athletisch gebaut. Noch mehr Neid. Ich hätte in Balbadd vielleicht doch hin und wieder joggen sollen. Oder eine Beschäftigung finden, die mich in Form hielt. Jetzt war das mit der Form halten zu spät. „Ich schwöre dir, es war einer der Prinzen“, erklärte das Mädchen mit Nachdruck, doch der Junge lachte nur ungläubig und schüttelte den Kopf. „Das hast du dir eingebildet. Als würde einer der Prinzen einen einfachen Markt besuchen. Sie müssen nur ihren Dienern sagen was sie wollen und bekommen es. Denkst du wirklich sie gehen dann persönlich einkaufen?“ Das Lachen des Jungen wurde lauter und ich konnte deutlich sehen, wie seine Begleiterin ihn mit diesem böse schmollenden Blick bedachte. Kein Wunder. „Hättest du nicht gerade gefaulenzt, hättest du ihn auch gesehen, also hör auf zu lachen!“ Sie boxte ihm mit der Faust in die Seite, was wohl fest genug war, so dass er zusammenzuckte und sich grummelnd den Arm rieb. „Wirklich jetzt... Kein Prinz der Welt würde auf einem öffentlichen Markt herumlaufen. Die Sonne tut dir nicht gut.“ Er war eingeschnappt, doch versuchte er es nicht zu deutlich nach außen zu lassen. Die beiden entsprachen so gar nicht dem Klischee, welches ich mir von Dienerschaft gemacht hatte. Im Gegenteil, sie wirkten lebhaft und glücklich. Seltsam, genauso hatten auch die Mädchen aus dem Freudenhaus gewirkt, obwohl sie eine niedere Arbeit verrichteten. Sie schienen ihren Job aber nicht zu hassen, etwas, das ich mir absolut nicht vorstellen konnte. „Du bist wirklich ein Idiot, Chen“, murmelte sie und verschränkte beleidigt die Arme. „Entschuldigt, ihr beide.“ Ich entschied, mich den beiden noch etwas mehr zu nähern, auch wenn das bedeutete ihre Unterhaltung zu unterbrechen. Wobei, sie hatte das Gespräch mit ihrer Geste beendet. Demnach würde ich die beiden wohl nicht stören. Was sie mir nur deutlich zeigten, als sie sich zu mir umwandten. „Ihr seid doch aus Kou. Würdet ihr mir ein wenig von den Prinzen und von eurer Heimat selbst erzählen?“ Da ich Kouha nun schon kennengelernt hatte, wollte ich noch mehr über dieses Kaiserreich erfahren. Mehr über die Menschen und die Umgebung. Schließlich war es die Heimat eines Freundes, den ich irgendwann vielleicht einmal besuchen wollte. Oder einen Brief schreiben. „Von den Prinzen? Uhm... Naja darüber können wir nicht viel sagen... Wobei, der erste Prinz Kouen Ren ist der Kommandant der Armee. Man sagt er ist gebildet, gutaussehend, stark und sogar Bezwinger dreier Dungeons.“ Das Mädchen verfiel ins Schwärmen. Augenscheinlich hatte Kouen auch seine Fans. Auch wenn Chen nur genervt die Augen verdrehte. „Vergiss nicht zu erwähnen, dass er auch äußerst gruselig und immer so ernst ist. Ich weiß wirklich nicht, was du an dem Prinzen findest. Such dir lieber einen bodenständigen Mann.“ Ein giftiger Blick traf Chen, der sofort merkte, dass er damit ihren Zorn geweckt hatte. „Bodenständig... so wie dich, huh?“ Auch wenn sie ihre Worte nicht so ernst meinte, errötete Chen, was schon eine klare Sprache sprach. Ihr blieb das aber verborgen, stattdessen schmollte sie und schien nicht weiter interessiert daran zu sein, mit ihm oder mir zu sprechen. „Verzeih den beiden. Sie streiten wie ein altes Ehepaar, gehören aber zu den besten Angestellten, die man in Kou bekommen kann. Sie sind beide furchtlos und sind sowohl Diener als auch Wachleute.“ Der Händler aus Kou hatte sich zu mir zurückfallen lassen, kaum dass er gemerkt hatte, dass ich ein Gespräch mit seinen Dienern suchte. Wahrscheinlich war ihm bereits klar gewesen, dass es nicht lange dauern würde, bis mein Versuch zum Scheitern verurteilt war. „Auf mich wirken sie eher wie ein einseitiges Ehepaar“, merkte ich an, denn zumindest Chen schien ganz offensichtlich Gefühle für seine Streitpartnerin zu haben, was diese aber nicht bemerkte. Der Händler lachte und nickte. „Das sind sie, das sind sie. Aber kommen wir zurück zu deiner Bitte. Wie Hinata dir bereits gesagt hat, ist Prinz Kouen Ren der oberste Kommandant der Armee. Man munkelt in Kou, dass er auch der nächste Kaiser wird, sollte der derzeitige irgendwann nicht mehr sein. Er ist prädestiniert dafür. Nicht einmal seine Brüder Prinz Koumei Ren und Prinz Kouha Ren würden gegen diese Entscheidung aufbegehren.“ Ich erinnerte mich an das, was ich über Magi wusste. In der Tat, keiner von beiden würde aufbegehren. Koumei wäre zu faul dafür und Kouha zu treu. Seine Treue hatte immerhin so weit gereicht, dass er nur ein Mitglied des Haushaltes geworden wäre, wenn Leraje sich für Kouen entschieden hätte. Wobei diese Beiden ja nicht die Einzigen waren. „Das Kaiserreich scheint zwar mächtig und furchterregend zu sein, aber unter der Führung des Prinzen wurde viele Gebiete ohne Kriege eingenommen. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum auch die erste Prinzessin des letzten verstorbenen Kaisers unter ihm dient. Man könnte meinen, dass es böses Blut gäbe, aber der Familienzusammenhalt ist wirklich unglaublich.“ Der Händler schien stolz auf die Familie des Kaisers zu sein. So sprach zumindest nur jemand, der seine Herrscher aufrichtig respektierte. Er machte genau den Eindruck, den ich schon von Kouhas Gefolge gewonnen hatte. Irgendwie konnte ich das auch verstehen. Denn, selbst wenn ich die anderen Mitglieder der kaiserlichen Familie nicht kannte, so empfand ich doch einen tiefen Respekt für sie, auch wenn ich mich gleichzeitig fürchtete auf einige von ihnen zu treffen.   „Wir schlagen hier unser Nachtlager auf.“ Cassius Stimme drang selbst durch das aufgeweckteste Geschwätz seiner Diener. Wir waren nun schon seit einigen Stunden unterwegs und hatten einige Felder von Getreide gesehen. Selbst einige kleine Dörfer, die weit in der Ferne lagen, waren an uns vorbeigezogen, oder viel mehr wir an ihnen. Die Reisegruppe hatte keine Rast eingelegt, was nicht sonderlich verwunderlich war, immerhin hatten sie sich vorgenommen so weit wie möglich zu kommen, bis die Sonne unterging. Und dieser Zeitpunkt war jetzt erreicht. Der Himmel färbte sich bereits in ein Orange, welches sich mit dem Hauch von Rot und Rosa mischte, während die Sonne ihren Untergang hinter dem Zenit ankündigte. Wir befanden uns in der Nähe eines lichteren Waldes, von dem mir Chen erzählt hatte, dass es wohl Zedern waren. Erstaunlich, wenn man bedachte, dass wenige Meter weiter weg noch Palmen unseren Weg geziert hatten. Hier im Magi-Universum schien wirklich nichts unmöglich zu sein und es hätte mich auch nicht gewundert, wenn wir nicht noch irgendwo an einem dichten Dschungel vorbeikamen, der förmlich danach schrie, dass man sich in ihm verirren und sein Ende finden sollte. Ein Glück schrie dieser Zedernwald nicht danach. Vielmehr schien er mir die perfekte Unterkunft für den Slenderman zu sein, weswegen ich dieses Wäldchen doch schon zweifelnd im Blick behielt. Die Reisenden kamen zum Stillstand und sofort wurde es wieder geschäftig. Die Pferde wurden von den Wagen abgespannt, die Kamele etwas von ihrer Last erleichtert und einige der Diener entfernten sich mit großen Trinkschläuchen und einigen Eimern von dem Lager, welches Hand und Hand aufgebaut wurde. Jeder schien auch ohne Anweisungen zu wissen, was seine Aufgabe war und ich musste gestehen, dass ich mir verloren vorkam. Niemand sah mich böse an, als ich einfach nur meinen Blick umherstreifen ließ, niemand sagte mir, was ich tun sollte... ich stand einfach auf verlorenem Posten. Wie hatte Cassius doch gesagt? Er honorierte jede helfende Hand. In Anbetracht der Tatsache, dass ich für meine Wegbegleitung zahlen musste, war die Aufstockung meines Startkapitals vielleicht nicht ganz so verkehrt. Sahen wir es realistisch, ich musste auch noch eine Schifffahrt bezahlen und eine Unterkunft in Sindria, bevor ich den ersten Job überhaupt bekam. Eine kleine Reserve zu haben, käme da nicht schlecht, auch wenn ich verfluchte, dass MEINE Reserve irgendwo in Sadiqs Haus vergammelte und nun wahrscheinlich von balbaddischen Soldaten beschlagnahmt wurde. Die Frage war nur, wo meine helfende Hand gebraucht werden würde. Aufgrund meiner Schulter, sollte die Arbeit nicht zu anstrengend sein, aber auch nicht zu leicht, nicht das man letzten Endes dachte, dass ich mir nur die leichteste Arbeit herauspickte um mich vor körperlicher Tätigkeit zu drücken. Kochen kam damit nicht in Frage. Mit Sicherheit würde ich das noch früh genug tun, aber da ich in Balbadd fast meine ganze Zeit in der Küche verbracht hatte, wäre es doch mal eine Abwechslung, nicht unbedingt auf wehrloses Gemüse einzuhacken. Das Entladen der Kamele hingegen... war zu körperlich anstrengend. Mit Sicherheit würde meine Schulter darunter leiden. Die einzige Alternative, die mir also blieb, waren die Diener mit den Wasserschläuchen. Ich sah nicht unweit von mir noch zwei Schläuche, schlaff und flach liegen, die ich mir schnappte und eilig in die Richtung der Diener lief, die ich zuvor weggehen sehen hatte. Auch wenn meine Erschöpfung groß war, so war die Angst, mich nun zu verlaufen oder sie aus dem Blick zu verlieren und dann auf verlorenen Posten dazustehen, doch schon groß. „Panthea, warte, ich habe noch zwei Schläuche vergessen...“, hörte ich die Rufe einer weiblichen Stimme. Sicher von einen der Diener, die ich gehen sehen hatte. „Schon wieder? Reicht es nicht schon, dass wir den Weg zweimal laufen müssen? Willst du ihn wirklich noch zwei weitere Male gehen?“ Es schien so, dass die zwei Wasserschläuche, die ich mir genommen hatte, wohl zu jenen vermissten gehörten. „Wir wissen noch nicht einmal, wie weit es bis zum nächsten Fluss ist, oder ob wir vielleicht eine Quelle finden und du vergisst die Wasserschläuche. Ehrlich, Nel... Manchmal bin ich wirklich froh, dass dein Kopf angewachsen ist, den würdest du sonst auch noch vergessen.“ Meine Schritte wurden schneller, da ich den Stimmen immer näher kam und schließlich entdeckte ich sie. Zwei Personen, blond, fast identisch aussehend. Er trug zwei Stöcke mit jeweils zwei Eimern über seinen Schultern, sie hingegen trug drei Wasserschläuche. Augenscheinlich hätte er die anderen beiden ebenfalls tragen sollen. „Wir können ja jetzt noch umkehren...“, merkte der Mann an und sah zu der Frau, die ihm, abgesehen von weicheren, feminineren Zügen, wie aus dem Gesicht geschnitten war. „Das müsst ihr nicht!“, rief ich ihnen zu. Ich rannte nun fast, blieb aber vor ihnen stehen und sah, wie sie mich verwundert anblickten. Fast triumphierend hielt ich die Schläuche hoch und ich schwöre, ich konnte eine tiefe Erleichterung in den Gesichtern der Beiden sehen.   Nel und Panthea waren Geschwister. Biologische, zweieiige Zwillinge, die sich, so Panthea, glücklicherweise nur das Aussehen, nicht aber die Vergesslichkeit und den Charakter teilten. Panthea sah sich als die große Schwester, immerhin schien sie vor Nel auf die Welt gekommen zu sein. Er war etwas zerstreut, weswegen sie wohl die Verantwortung für seiner Fehler auf ihre Schultern nahm und sich bei mir für seine Schusseligkeit entschuldigte. Sie schien wohl zu glauben, dass ich wirklich bemerkt hatte, dass diese zwei Wasserschläuche vergessen worden waren und ich ihnen deswegen gefolgt war. „Sei froh, dass Cassius das nicht bemerkt hat...“, murrte sie noch und lief einen Weg entlang, von dem ich nicht einmal wusste, ob sie wusste, wohin er führte. Nel antwortete nicht, was ich mehr dafür verbuchte, dass der Streit mit seiner Schwester ihm wirklich schon einiges an Nerven und vor allem Worte gekostet hatte. „Muss man sich etwa vor Cassius fürchten, wenn man einen Fehler macht?“, fragte ich vorsichtig. Ich stellte mir den jungen Händler schon jetzt mit Peitsche und mürrischen Ausdruck im Gesicht vor, wie er Nel bestrafte, für seine Unachtsamkeit. Eine Vorstellung die mich fröstelte. „Nein nein. Cassius ist... er ist eben Cassius. Keine Ahnung wie man ihn beschreiben soll. Aber du wirst ihn ja noch kennenlernen, immerhin bist du nun mit uns auf Reisen. Ich kann dir aber soviel verraten, mehr als dein Gehalt, weil du etwas Tongeschirr zerdeppert hast, wird er dir nicht kürzen. Und selbst dann ist das Leben noch lebenswert. Sonst würde Nel hier seinen Kopf nicht ständig woanders haben.“ Ein Brummen kam von Nel, mehr aber auch nicht, während Panthea versuchte mir irgendwie Cassius Art zu erklären. Damit konnte ich erneut eine Person auf meine Liste von Leuten setzen, aus denen ich wohl nie schlau werden würde. Nur ob er sich wie Sadiq und Assad einen Ehrenplatz sicherte, dass stand wohl noch in den Sternen geschrieben. „Wie weit ist es noch?“, fragte Nel schließlich und seufzte. Ja, Nel schien eher der Typ zu sein, der seiner Schwester nachlief. Und sie, war der Typ, der das Kommando gab, wenn sie zu zweit waren. Darin zeigte sich wohl, dass sie die Ältere, wenn auch nur um ein paar Minuten, war. „Hier ist sicher etwas in der Nähe. Schau dich um, sonst wäre es nicht so grün. Außerdem habe ich extra nach dem Weg gefragt bevor wir losgegangen sind.“ Daher also. Panthea hatte ihr Geheimnis für ihren zielsicheren Gang offenbart. Augenscheinlich gab es in der Gruppe jemanden, der entweder mit dem Gebiet vertraut war, was wohl auf den balbaddischen Händler zutraf, oder der mindestens eine Karte besaß, auf der eine Quelle oder ein Fluss verzeichnet war. Mein Blick streifte umher. Außer etwas Flora und Felsen sah ich nichts bis... ich etwas glitzern sah. Zwar senkte sich die Sonne immer mehr, aber doch reichten ihre Strahlen bis zu einer Art Kuhle, in der es funkelte und glitzerte. „Ist das eine Quelle?“, fragte ich die beiden und verwies auf die Stelle. Sofort sahen die beiden dorthin und ja, sie sahen wohl dasselbe wie ich, wussten aber mit größerer Sicherheit, dass dies genau das war, was wir suchten. Fantastisch. „Füllen wir schnell die Schläuche und Eimer auf. Die anderen warten sicher schon. Nicht das sich noch jemand an den geheimen Weinvorräten zu schaffen macht.“ Ein breites Grinsen lag auf Pantheas Gesicht, welches von Nel mit einem noch breiteren erwidert wurde. Das musste ein Insider sein, den ich nicht verstand. Noch dazu, Weinvorräte? Ich hatte in keinen der Wagen Fässer oder dergleichen gesehen, wo sollten also diese geheimen Weinvorräte liegen? Es war besser, ich fragte nicht danach. Am Ende wäre ich nur verstört über die Antwort und noch verstörendere Dinge als einen Mann mit Dreizack brauchte ich wohl nicht an diesem Tag. Stattdessen folgte ich den beiden Geschwistern zu der Quelle. Sie war wirklich erstaunlich. Aus einem Spalt im Fels, plätscherte ein breites Rinnsal in die Kuhle, die gefüllt mit klaren Wasser war. Um diese Quelle herum sah ich sie, die Lichtvögel, die aufgeregt, fast schon freudig flatterten. Nicht, dass ich sie nicht immer sah, aber gerade hier, fügten sie sich auf eine magische Weise in das Bild ein, so dass es mir kurzzeitig den Atem verschlug und ich an Ort und Stelle zu verwurzeln schien. Nur nebenbei bemerkte ich, wie Panthea in die Quelle stieg und zusammen mit den Schläuchen zu dem Rinnsal watete, um diese zu füllen. Die vollen, gut verschlossenen Schläuche, warf sie ihrem Bruder zu, der sie zielsicher fing und auf den Boden gleiten ließ. Er selbst stieg erst hinein, als auch die Schläuche, die sie mir aus der Hand genommen hatten, gefüllt waren und seine Schwester die Quelle verlassen hatte. „Ah~ war das erfrischend~ Ich liebe es Wasser zu holen.“ Panthea setzte sich an den Rand der Quelle, wrang ihre Sachen aus und reckte sich. Sie wirkte auf einmal so frisch und munter, als hätte dieser Quell ihr erneut etwas mehr Leben geschenkt. „Hey du!“ Ein Spritzer Wasser traf mich im Gesicht und riss mich aus meiner kurzzeitigen Paralyse. Mein Blick glitt zu Panthea, die mich breit angrinste und am Quellrand hockte, mit einer Hand im Wasser, in meine Richtung gewandt. „Du scheinst auch eine Erfrischung gebrauchen zu können!“ Sie lachte, als sie mir einen Schwall Wasser erneut entgegen spritzte. Das Wasser war zwar nicht kalt, aber es war erfrischend auf der Haut und auf der Kleidung, die dadurch etwas durchweichte und meinen Körper vorgaukelte, dass etwas kühles auf die Haut getroffen war. Dennoch duckte ich mich weg, denn in diesen Sachen musste ich auch noch schlafen, aller Wahrscheinlichkeit nach und wer wusste schon, ob die Nacht nicht kälter werden würde als der Tag. In der Wüste war dies zumindest so. Bitter warme Tage und eiskalte Nächte. „Hör auf, Panthea, wir haben keine Zeit zum spielen. Es wird bald dunkel und ich will ehrlich nicht wissen, was aus diesen Büschen und Wäldern kommt.“ Nel hatte einen Eimer nach dem anderen gefüllt und watete mit dem letzten an den Rand. Er hievte diesen hinaus und setzte sich selbst mit einem Schwung daneben. „Ist gut, ist gut...“ Panthea schien nicht viel von dessen Vorschlag zu halten, aber wahrscheinlich wusste sie auch, dass er Recht hatte. Und ich musste Nel zustimmen. Auch ich war nicht scharf darauf meine Horrorfantasien Wirklichkeit werden zu sehen. Ich war nicht so weit gekommen, nur um mich nun von einer Bestie zerreißen zu lassen. Da wäre mir Kouhas Schwert wirklich lieber gewesen, aber wie gesagt, ich war nicht schmerzpervers.   Panthea beäugte mich misstrauisch, als ich mir zwei der Wasserschläuche wirklich über die rechte Schulter geworfen hatte. Sie hingegen trug einen über der rechten und zwei über der linken Schulter. Damit hätte ich das Gleichgewicht besser verteilen können, doch die Schmerzen in meiner linken Schulter waren Zeuge davon, dass ich es besser nicht versuchte. „Bist du sicher? Wenn du das noch nie gemacht hast, ist es besser, wenn du das Gewicht verteilst. Leg den Zweiten doch über deine linke Schulter.“ Ich winkte lächelnd ab, als Panthea mich erneut drauf aufmerksam machte, was wohl das klügste gewesen wäre. Ich wusste ja, dass sie Recht hatte. Aber nicht in meiner aktuellen Situation. „Ich bin links ziemlich schwach auf der Schulter. Deswegen kann ich das nur mit Rechts tragen.“ Ihr misstrauischer Blick wich nicht, doch sie ließ mich machen. Wahrscheinlich wusste sie auch nicht, inwieweit meine Ausrede wahr war oder eben nur eine Ausrede. Ich überlegte sogar kurzzeitig, ob ich den Schmerz nicht doch in Kauf nehmen sollte um nicht aufzufallen. Was sollte schon passieren? Die Verletzung war genäht, gut verbunden und damit versorgt. Sicher würde ein einzelner Wasserschlauch nicht dafür sorgen, dass mein Geschrei und Gegenwehr vom Vorabend umsonst gewesen war. 'Besser nichts riskieren... keiner darf es merken...', mahnte ich mich in Gedanken. Kein Klotz am Bein, keine Sonderbehandlung, dass war alles was ich wollte. Diesen Gedanken umklammerte ich imaginär, während ich die Last der zwei Schläuche unter großer Anstrengung zurück ins Lager trug. Ich jammerte nur innerlich, versuchte mir einzureden, dass es nicht schlimmer als sechs Eineinhalb-Liter Flaschen, die ich wirklich schon geschleppt hatte, in meiner Welt. Allerdings hatte ich da auch noch die linke Schulter besessen und mit Sicherheit waren mehr Liter in diesen Schläuchen. 'Nicht jammern, Panthea und Nel tragen doppelt soviel.' Es gab für mich wirklich keinen Grund zu jammern. Panthea war vom Körperbau immerhin genauso zierlich wie ich und trug einen dritten Schlauch. Schon seltsam. In dieser Welt waren alle Mädchen irgendwie stärker als ich und genau das gab mir allmählich zu denken. Wenn ich in dieser Welt überleben wollte, war es wohl besser, genauso stark zu werden. Die Frage war nur... Wie?   Ich war froh, als wir endlich im Lager waren und ich die zwei Schläuche ablegen konnte. Ich musste meine linke Hand, oder eher den linken Arm nur dazu benutzen um sie mir von der Schulter zu hieven und zu denen zu legen, die Panthea bereits abgestellt hatte. Erleichtert, weil nun auch meine rechte Schulter schmerzte, reckte ich mich. Eindeutig war Wasserschleppen auch nicht mein Traumjob, aber wahrscheinlich ein besserer als irgendwelche Säcke von den Kamelen zu laden. Als ich mich umsah, erkannte ich, dass das Lager bereits fertig aufgebaut war. Zelte standen aufgebaut, ein Feuer prasselte munter und um eben jenes herum hatte man Sitzmöglichkeiten geschaffen. Auf dem Feuer selbst brodelte ein Topf mit etwas vor sich hin, was keinen Geruch verbreitete. Egal was es war, ich würde der Küche von Ameen nachtrauern. Oder den Sandwichs von Sadiq. Die Gedanken an meine erste Heimat hier überkamen mich plötzlich. Ich vermisste sie schon jetzt und das sogar mehr als meine eigentliche Welt. Wieso eigentlich? Wieso vermisste ich etwas, das mir nicht vertraut war, soviel mehr als meine vertraute Heimat? Oder hinderte mich etwas daran? Ich dachte kurz darüber nach, als ich auf das Lagerfeuer zuging. Der Rest der Gruppe hatte bereits gemerkt, dass es nun Wasser gab und machte für uns verbliebenen noch Platz. Ich setzte mich neben dem Wächter mit dem Dreizack, immer noch in Gedanken versunken, oder viel mehr auf der Suche nach meinen Gefühlen für die reale Welt. Was war das? Warum vermisste ich sie nicht? Dort war meine Mutter, mein Vater, meine Freunde... Stattdessen vermisste ich eine irreale Stadt. Eine Stadt... die mir so viel gegeben hatte. „Ihr seid gerade rechtzeitig gekommen. Das Essen ist gleich fertig.“ Vielleicht war ich abgestumpft? Oder meiner eigenen Welt überdrüssig geworden? Ich muss gestehen, ich bekam nicht viel mit, was um mich herum passierte. Meine Gedanken waren wirklich gerade wo anders. Etwas, dass die Gesellschaft um mich herum augenscheinlich mitbekam, denn eine plötzliche Berührung ließ mich aus den Gedanken, kurz bevor ich eine Lösung für mich gefunden hatte, aufschrecken. „Hier, du hast sicher auch Hunger.“ Iunia reichte mir eine Schüssel mit Brei, der wirklich alles andere als köstlich aussah. Das war wohl das geruchlose Zeug gewesen, welches in dem Topf vor sich her geköchelt hatte. Sicher, ich konnte auf einer Reise nicht gerade ein Sternemenü erwarten, aber irgendwie hatte ich doch etwas... genussvolleres erwartet. Dennoch, der Hunger wurde mir allmählich bewusst und wahrscheinlich würde dieser auch den Brei herunter würgen. „Danke...“ Ich nahm mit der rechten Hand die Schüssel und wollte mit der linken den Löffel greifen. Doch diese wollte nicht auf meine Befehle reagieren, oder vielmehr waren meine Finger etwas taub, aufgrund des Schmerzes, der wieder sein grässliches Haupt erhob. Mal davon abgesehen, dass der Schmerz nie wirklich verschwunden, sondern immer nur durch Gespräche und andere Dinge in Vergessenheit geraten war. Ein seltsames Talent, welches ich entdeckt hatte, nachdem meine Operation an der Hüfte hin und wieder dafür gesorgt hatte, dass ich Schmerzen im Bein oder Knie hatte. Allerdings hatte mich diese Ignoranz nicht gelehrt, dass mein Körper seinen Dienst verwehren würde, so wie jetzt meine Hand, die nicht mehr vernünftig nach dem Löffel griff, wodurch dieser zu Boden fiel. „Verdammt...“, fluchte ich leise und bewegte die linke Hand etwas. Langsam, mit jedem Mal, dass ich die Faust ballte, kam wieder Gefühl in die Hand und der zweite Versuch nach dem Löffel zu greifen, den mir der Wächter mit dem Dreizack dieses Mal reichte, war wesentlich erfolgreicher. „Danke... Ich hatte wohl einen Krampf...“ Innerlich ohrfeigte ich mich, denn erneut belog ich Menschen, die gut zu mir waren. Es wurde unerträglich. Wie hatte Sadiq das nur durchgehalten, so oft zu lügen? Oder war er vielleicht abgestumpfter als ich gedacht hatte? „Wieso eigentlich Sindria? Es gibt doch so viele näher gelegene Orte“, fragte der Kou-Händler. Scheinbar hatte sich bereits herumgesprochen, wohin die Fremde wollte. Vielleicht lag die Hafenstadt Aza doch nicht auf dem Weg und Cassius hatte erklären müssen, weswegen sie einen Umweg machen mussten. Jedenfalls schienen selbst die Wachen neugierig zu sein, zumindest jener neben mir. „Weibliche Intuition würde man wohl sagen. Ich hatte einige Orte in Aussicht. Quishan, Magnostadt und auch Kou. Allerdings war in Balbadd mein Blick immer aufs Meer gerichtet und meine Gedanken bei Sindria. Deswegen will ich dieses Königreich unbedingt besuchen und dort versuchen ein neues Leben anzufangen.“ Ich tunkte meinen Löffel in den Brei der wirklich sämiger war, als der Humus, den ich zum ersten Mal bei Ameen gegessen hatte. Irgendwie witzig, dass ich diesen Brei nun genauso misstrauisch beäugte wie eben jene erste Mahlzeit die ich in Balbadd eingenommen hatte. Damals hatte ich gelernt, dass Humus keine schlechte Sache war. Vielleicht traf dies auch auf diesen Brei zu. „Iunia hat erzählt, dass du auch das erste Mal in Balbadd warst. Was hast du dort gemacht?“ Chen der bereits den halben Inhalt seiner Schüssel geleert hatte, sah mich neugierig an. Sicher, voneinander wussten sie mehr, zumindest ahnte ich das, denn das Verhältnis aller hier wirkte nicht so, als hätte man sich gerade ganz spontan kennengelernt. Wobei das doch eher wahrscheinlicher war. „Ich habe in Assads Freudenhaus als Küchenhilfe und Geschichtenerzählerin gearbeitet. Unser Koch Ameen hat mir auch ein paar Sachen in der Küche beigebracht, auch wenn ich wohl noch Jahre davon entfernt bin, so gut zu sein wie er. Aber es hat Spaß gemacht, genauso das Geschichten erzählen. Die Mädchen und auch die Gäste waren immer so gespannt, was ich als nächstes erzählen würde. Es gab sogar ein Lied, das wollten die Mädchen immer wieder hören.“ In Erinnerung schwelgend, vergaß ich das Essen und erzählte von meiner Zeit im Freudenhaus. Auch wenn es seltsam war, von einem Ort zu schwärmen, der in meiner Welt dank seiner Vergangenheit so stigmatisiert war, dass nicht einmal Männer gestanden, wenn sie dort ihr Vergnügen bekamen. Hier hingegen, war alles anders. Vielleicht vermisste ich meine Heimat deswegen nicht. „Dann solltest du vielleicht uns jeden Abend eine Geschichte erzählen“, erklärte der Händler aus Kou mit einem freundlichen Lächeln. „Auf Reisen kann es manchmal etwas eintönig werden, da sind Geschichten aus anderen Ländern eine willkommene Abwechslung.“ Bei diesem buntgemischten Haufen wunderte es mich doch, dass man von Eintönigkeit am Lagerfeuer sprach, immerhin waren hier zwei unterschiedliche Kaiserreiche versammelt. Jeder von ihnen hatte sicher seine eigenen Geschichten zu erzählen und die Abendmahlzeiten boten sich für solche Geschichten doch an. „Aber erst nach dem Essen, sonst fällt sie uns noch vom Fleisch.“ Der Händler aus Balbadd hatte bemerkt, dass ich dank der Tatsache, dass ich Rede und Antwort stand, noch keinen einzigen Bissen zu mir genommen hatte. So konnte ich meinen Hunger natürlich nicht stillen. Die Anderen verstanden das und gingen stattdessen in Gespräche über, die darum gingen, was für Geschichten ich wohl erzählen würde. Ich schmunzelte und aß den Brei, der allerdings genauso geschmacklos war wie er roch. Wirklich nicht zu vergleichen mit Ameens Humus. Wahrscheinlich sollte er auch nicht sonderlich schmackhaft sein, sondern einfach nur den Hunger stillen und den Körper bei Kräften halten. Ein Blick durch die Gruppe zeigte mir allerdings, dass jeder scheinbar seine anderen Mittel und Wege hatte, den Brei doch noch etwas zu verbessern. Der Händler aus Kou und Hinata hatten sich von dem Obst genommen, welches zum Nachtisch gereicht wurde, und dieses in den Brei geworfen. Die Wachen hingegen schlangen ihn runter als wäre er Suppe. Nel und Panthea hatten irgendeine Flüssigkeit aus einem Flachmann reingeschüttelt, den Nel bei sich getragen hatte. Wahrscheinlich waren das Tropfen des geheimen Weinvorrates. Gewundert hätte es mich nicht mehr. Der Rest hingegen löffelte den Brei ohne einen Ausdruck in der Miene. Wenn es das nun jeden Abend gab... dann Prost Mahlzeit, ich würde schneller abnehmen als mir lieb war, denn meine Geschmacksnerven bevorzugten doch etwas nahrhafteres. Den Anfang wollte ich aber nicht unbedingt heute machen, weswegen, ich meine Schüssel vollständig leerte.   Das Obst hingegen war genießbar, mein kleines Highlight zu diesem Abendessen. Neben der Unterhaltung die die Reisenden selbst boten. Sie erzählten Witze oder gaben Anekdoten aus ihrer Jugend zum besten. Abgesehen von dem Händler aus Balbadd und Cassius. Beide schwiegen und saßen für sich über einigen Papieren. Ich hätte auf eine Händlerkrankheit getippt, wenn der Herr aus Kou dies ebenfalls getan hätte. „Erenya, erzähl uns doch eine deiner Geschichten.“ Da das Essen offiziell beendet war, schien das Interesse an meinen Geschichten wieder gewachsen zu sein. Gestärkt war ich auch bereit dazu, zumal ich ja Wochenlang nichts anderes gemacht hatte, als jeden Abend Geschichten zu erzählen. Wenigstens diese Routine konnte ich mir auf dieser Reise noch erhalten. „Also schön, dann erzähl ich euch eine Geschichte aus meiner Heimat. Sie handelt von zwei Waisenkindern die von einer Wölfin großgezogen wurden.“ Da ich hier vorwiegend unter Römern saß, war die Geschichte von Romulus und Remus doch schon sehr passend. Ich konnte mich noch daran erinnern, wie diese Geschichte im Geschichtsunterricht erzählt wurde, um die Gründung Roms zu erklären. Selbst in Liedern hatte sie ihren Platz gefunden und an sich war diese Geschichte wirklich schön und blutig zugleich. Sie hatte den leichten Hauch von der biblischen Kain und Abel-Erzählung, auch wenn hier die Gründe des Mordes weniger egoistisch waren. Ich befand mich bei der Erzählung wieder vollständig in meinem Element und blühte dabei auf. Ich gab mein Bestes die Geschichte lebhaft zu erzählen, meine Zuhörer zu fesseln und ihnen damit einen Teil meiner Welt zu zeigen, die ihnen sonst verborgen geblieben wäre. Ich dachte mir nicht einmal etwas dabei, als sich der Wächter mit dem Dreizack etwas zu mir beugte und hielt es für eine dieser Gesten, die ich immer beim Fernsehen an den Tag legte, wenn ich etwas besonders aufregend fand. Dennoch rückte ich etwas von ihm weg, zu viel Nähe war dann doch nicht mein Fall. „Und deswegen, weil Romulus seinen Bruder erschlug, herrschte er alleine über die Stadt, die sie zusammen gegründet hatten.“ Ich hatte den Mythos etwas ausgeschmückt, die blutigen Szenen aber gut genug abgeändert, so dass sich keiner über Albträume beschweren konnte. „Eine Wölfin zieht zwei Menschenkinder groß? Irgendwie unglaubwürdig. Es ist doch wahrscheinlicher, dass die Wölfin beide gerissen hätte.“ Der Händler aus Balbadd schien trotz seinen Blicken in seine Papiere der Geschichte gelauscht zu haben und natürlich musste er gleich mit eiskalter Logik an diese ganze Sachen heran gehen. Doch mich kostete das nur ein kaltes Lächeln. „Tiere sind wesentlich sensibler als man ihnen ansieht. Wölfe sind nicht einfach blutrünstige Bestien. Sie spüren, wenn ein Wesen in Not ist. Sie können darauf reagieren und sind ebenso zu Gefühlen fähig wie Menschen. Manchmal glaube ich sogar, dass sie wesentlich barmherziger sind. In vielen Geschichten werden Menschen von Tieren aufgezogen.“ „Du willst also sagen, dass Tiere allesamt barmherzige Wohltäter sind?“ Spott lag in der Stimme des balbaddischen Händlers, so als wollte er mir damit sagen, dass ich mich von Grund auf täuschte. „Ich will damit nicht sagen, dass sie barmherzige Wohltäter sind, sondern... Die besseren Menschen. Es gibt bei Tieren kein Geld, welches sie verderben könnte. Sie leben auf eine natürlichere Weise und je nach ihrer Spezies teilen sie sich ihre Beute. Auch bei ihnen gibt es Hierarchien, aber sie gehen nicht auf Teufel komm raus über Leichen. Zum Beispiel in Balbadd... Ich hatte mich an einem Tag in die Slums verlaufen und gesehen, wie ein Adliger eine Frau geschlagen hatte, vermutliche eine Hure. Sie lag schon am Boden und er schlug weiter auf sie ein, obwohl sie vor Schmerzen schrie. Ist das wirklich der Umgang den wir Menschen miteinander pflegen sollten?“ Die ausgelassene Stimmung war schlagartig verstummt. Typisch, ich war gut darin die Stimmung zu töten. „Verzeiht... ich muss etwas aus meinem Gepäck holen.“ Ich erhob mich von meinem Platz und ging zu dem Wagen, in dem mein Reisegepäck ruhte. Es dauerte auch nicht lange, da wurden wieder die Stimmen vom Lagerfeuer lauter. Scheinbar hatte meine Abwesenheit dafür gesorgt, dass jemand mutig genug das Thema gewechselt hatte und so die Stimmung wieder hochhob. „Du solltest Iunia bitten, dass sie sich deine Verletzung ansieht.“ Auch wenn ich es nicht mitbekommen hatte, so war Cassius Stimme, die nicht unweit von mir erklang doch ein deutliches Zeichen dafür, dass er mir gefolgt war. Seine Worte allerdings verwunderten mich. „Verletzung?“, fragte ich nach, wurde aber nervös, denn gerade von der sollte niemand in der Reisegruppe etwas wissen. „Ich kann das Blut selbst bis hierher riechen. Und ich bin nicht der einzige, der es gerochen hat.“ Gerochen? Ich war wirklich ein klein wenig angewidert und entsetzt. Ich meine Blut hatte schon einen gewissen Eigengeruch, aber ich hatte noch nichts davon wahrgenommen. In einem Versuch unauffällig zu wirken, schnupperte ich aber in Richtung meiner Schulter. Nichts. Ich konnte keinen Blutgeruch ausmachen. „Sag Iunia, dass nach der Verletzung sehen soll. Wir kommen auch nicht schneller voran, wenn jemand aus unserer Reisegruppe plötzlich krank wird.“ Ertappt wie ein kleines Kind errötete ich. Cassius hatte mich scheinbar sofort durchschaut. Weiter leugnen brachte da also nichts. „Und hier... das ist für deine Arbeit heute.“ Cassius hielt mir seine Faust entgegen und wartete darauf, dass ich meine Hand hob. Unsicher, was mich erwartete, reichte ich sie ihm geöffnet und sah ein paar Münzen hineinfallen. Seltsam, denn sie fühlten sich nicht wie Dinar an und das Metall war leichter. Verwundert nahm ich eine Münze und blinzelte. Messing? Zahlte man hier nicht nur in Gold? „Was? Glaubst du, das ist nicht genug?“ Nicht genug? Ich wusste nicht einmal wie viel Dinar oder diese Münzen wert waren. Woher sollte ich da wissen, ob es genug war oder nicht? „N-Nein? Ich meine... wird schon passen...“ Wahrscheinlich hörte mir Cassius die Unsicherheit heraus, aber er fragte auch nicht weiter. Ich für meinen Teil würde später irgendwen fragen, wie viel Wert diese Münzen besaßen und ob ich mit diesen oder einigen mehr noch eine Überfahrt übers Meer nach Sindria bezahlen konnte.   Auch wenn es mir widerstrebte, hatte ich Iunia doch gefragt, ob sie sich meine Verletzung ansah. Allerdings nur unter der Bedingung, dass niemand anderes davon erfuhr, wahrscheinlich wussten es sowieso schon genug, und dass es eben nicht vor den Augen der anderen geschah. Es wunderte mich zwar, dass Cassius ausgerechnet darauf bestanden hatte, dass ich Iunia fragte, doch mir wurde schnell klar wieso. „Die Naht ist glücklicherweise nicht vollständig aufgegangen, allerdings ist die Verletzung noch sehr frisch und du solltest die Schulter nicht zu sehr belasten“, erklärte Iunia, die Teile der aufgegangenen Wunde, erneut sauber vernäht hatte. Es ärgerte mich, dass ich schon wieder unter der Nadel hatte leiden müssen, allerdings kniff ich mir eine viel zu große Szene hier, immerhin sollte meine Verletzung bestmöglich geheim bleiben. „Woher hast du eigentlich gelernt wie man eine Verletzung näht? Beherrscht man das schon, wenn man Stoffe zusammennähen kann?“ In der Tat war das eine Frage, die mich beschäftigte, immerhin hatte jemand aus Kouhas Gefolge auch soviel Talent besessen. Wahrscheinlich hätte ich in Werken doch besser aufgepasst beim Nähen, dann hätte ich mich auch selbst verarzten können, nur ob ich mich dass dann getraut hätte, wäre eine andere Frage gewesen. „Das... In meiner Heimat Narpolia habe ich bei einem Arzt gearbeitet. Da konnte ich mir ein paar Dinge abschauen. Wie man sieht ist das doch recht nützlich.“ Sie lächelte traurig, als sie meinen Verband frisch machte und diesen so fest wie möglich zog. Ein kurzes Ziepen durchfuhr dabei meine Schulter, es schwand aber auch schnell wieder und zurück blieb nur das wohltuende Gefühl, als der Schmerz abklang. „Du warst also eine Arzthelferin? Dabei scheinst du noch ziemlich jung zu sein, wie bist du dazu gekommen?“ Iunias Körper versteifte, als sie die Frage über ihre Vergangenheit vernahm. Seltsam. Vor allem, wie war sie dann zu Cassius gekommen, wenn sie doch schon Assistentin bei einem Arzt gewesen war? Sicher verdiente man dort besser als hier und begab sich nicht so oft in Gefahr, als wenn man durchs Land reiste und nicht nur wilden Tieren sondern auch noch dem Gesindel der Unterwelt ausgesetzt war. „Das ist doch nicht wichtig. Was zählt ist das hier und jetzt.“ Abgewürgt. Sie schien nicht darüber reden zu wollen, blieb aber weiterhin freundlich, statt einfach zu sagen „Tut mir leid, aber darüber rede ich nicht gerne.“ Nun gut, verübeln konnte ich ihr das nicht. Immerhin hatte jeder Mensch so seine Geheimnisse. Assad, Sadiq, Iunia und auch ich. Warum also weiter bohren, wen man selbst nicht ehrlich sein konnte? „Verstehe... Dann freuen ich mich, dass du mir im hier und jetzt etwas geholfen hast, danke.“ Ich schlüpfte wieder in meine Sachen und streifte diese glatt. Der Abend war wirklich warm. Dabei hatte ich gedacht, dass die Nächte kühler sein würden. Dennoch zog ich auch die lange Kleidung wieder an. Nicht dass die Sonne früh aufging und ich schlafend verbrutzelte. Das musste nun wirklich nicht sein. Eine lädierte Schulter reichte vollkommen. „Wir sollten zurück zu den anderen gehen, es ist bald Schlafenszeit.“   Als Cassius davon gesprochen hatte, dass ich auch für die Unterbringung bezahlen sollte, hatte ich ja eher damit gerechnet, dass ich in einem Zelt schlafen konnte. Stattdessen hatte dieser Bastard mir nur eine Decke in die Hand gedrückt und gemeint, dass ich mich dort niederlassen konnte, wo noch Platz sei. Es standen zwar Zelte da, aber es waren nur drei an der Zahl. Eines für den Händler aus Kou, eines für den aus Balbadd und eines für... ursprünglich wohl für Cassius, stattdessen hatte sich dessen Hauslehrer darin breit gemacht. Cassius selbst hatte sich nahe am Feuer einen Platz gesichert, ebenfalls nur unter einer Decke, mit einem flachen Stein, wenn ich es im Dunkeln richtig gesehen hatte, als Kissen. Immerhin das musste man ihm zu Gute halten, er verlangte von seinen Dienern nichts, was er nicht auch tat. So fiel es selbst mir leichter damit zu leben, dass ich wohl nicht in einem sicheren Zelt schlafen würde. Vielleicht war es auch nicht so schlecht unter dem Sternenhimmel zu schlafen. Ich meine, es war warm, kein Nebelwölkchen war zu sehen und diese Ruhe war einfach unglaublich. Irgendwo zwischen Panthea und Iunia hatte ich mich niedergelassen, nachdem ich meine Tasche geholt und diese kurzerhand zum Kopfkissen umfunktioniert hatte. Die Sachen die darin waren, waren allesamt weich genug und die Decke, welche ich von Cassius bekommen hatte, war immerhin aus einem Stoff gemacht, der mir zur Not auch noch ein wenig gewärmt hätte. Auf dem Rücken liegend, starrte ich in den Himmel und ließ diesen Tag noch einmal Revue passieren. Die Stille gab mir die Gelegenheit dazu. Ich hatte Kouha alles von mir erzählt, ich hatte das Freudenhaus verlassen, ich hatte Balbadd verlassen. Sadiq und Assad hatte ich beide nicht verabschieden können... Die Nebelband war hinter mir her, die Soldaten Balbadds wohl auch, was ich dem Mistkerl Sadiq verdankte... Seltsam. Innerhalb einer Nacht, hatte ich soviel verloren. Ein lautes Schnarchen durchbrach meine Gedanken, ein Schnarchen, welches gefolgt von einem schläfrigen Schmerzensschrei war. „Schnarch nicht so laut, Chen...“ „Tue ich gar nicht...“ Ich setzte mich etwas auf und sah in die Richtung wo Chen und Hinata lagen. Sie schliefen seelenruhig. Selbst im Traum stritten sie wie ein altes Ehepaar, einfach unglaublich. Dabei kam das Schnarchen nicht einmal von Chen, sondern von Nel, der ganze Regenwälder damit abgeholzt hätte. Am Feuer saß der Wachmann mit dem Dreizack, der mit einem Messer über irgendetwas schabte. Wahrscheinlich Holz. Schnitzte er etwa während seiner Schicht? Der musste ja die Ruhe weg haben. „Cassius... hört zu...“, kam es aus dem Zelt des Hauslehrers, scheinbar unterrichtete er selbst in seinen Träumen noch den jungen Händler. Vielleicht war das doch ein Nerven aufreibender Job. Irgendwo aus Wäldchen hallte das Zirpen einer Grille, die Pferde scharrten mit den Hufen am Boden und... Verdammt wer sollte bei diesem Lärm schlafen? Ich ließ mich zurück fallen und seufzte. Mal davon abgesehen, dass ich auf harten Boden eh nicht schlafen konnte, ich konnte das nicht einmal auf der Couch meiner Mutter, würde mich dieser Lärm um einiges an kostbaren Stunden des Schlafes berauben. Selbst ein Zelt hätte diese Lärmbelästigung nicht gedämmt. Ich seufzte und schloss die Augen, hoffend, dass mich das Sandmännchen doch irgendwie betäuben würde, bevor ich in den Wald lief und diese gottverdammte Grille umbrachte. Kapitel 10: Cassius ------------------- Ich schwöre, ich hätte aufstehen sollen um dieser verdammten Grille das Licht auszuknipsen. Wobei ich mich bei der Suche nach ihr wohl auch im Wald verlaufen hätte. Noch dazu war ich hin und wieder doch in einen leichten Dämmerschlaf verfallen, auch wenn dieser nie lange genug angedauert hatte. Immer wieder weckte mich ein Schnarchen, eine Stimme oder diese dämliche Grille. Ich schwöre, sie lachte mich aus. Oder tat es mit Absicht um mich meines Schlafes zu berauben. Wie konnten die anderen da nur seelenruhig schlafen? War das so ein Händler-Ding? Leise murrend drehte ich mich zur Seite, hoffend, dass der Schlaf mich bald wieder anlächelte. Wobei ich viel mehr hoffte, dass die Geräusche bald monoton genug wurden, um nicht mehr als Schlafstörung zu gelten. Diese Hoffnung wurde allerdings zerschlagen, als ich das Rascheln von Kleidung hörte. Vorsichtige Schritte tappten durch die Schlafenden, erneutes Rascheln von Kleidung und schließlich... Nein... nein, nein, nein. Wer auch immer das war, dass tat diese Person nicht wirklich. Ich meine, dieses Geräusch konnte ich nicht missverstehen. Es klang wie Regen, der auf Blätter tropfte, aber es regnete nicht! Ich zog mir die Decke über den Kopf und versuchte diese Geräusche auszublenden, diese speziellen Geräusche, die schon wieder das Kopfkino anregten. „Argh verdammt...“, hörte ich es leise fluchen. Hoffentlich hatte die Grille ihm den Schwanz abgebissen. Bloß nicht daran denken. Bloß nicht daran denken. Erneutes Rascheln von Kleidung ertönte, die Schritte klangen humpelnder Natur, Stille. Naja fast. Abgesehen von den bereits vertrauten Geräuschen, herrschte Stille.   Zusammengerechnet hatte ich in dieser Nacht wohl gerade einmal fünf Stunden Schlaf von meinen sonst üblichen acht bekommen. Ein Grauen, das man mir auch an meinem Gesicht ansah. Da es aber keinen Spiegel gab, musste ich mir dieses Grauen nicht antun. Nur meine Mitreisenden mussten darunter leiden. Ich war noch dazu die letzte, die sich aus den Federn bequemte und das nur, weil mich Panthea liebevoll geweckt hatte. Sonst wäre man wohl noch ohne mich gefahren. Hatte sie zumindest gesagt, allerdings sah die Runde, die um dem gelöschten Feuer saß, nicht danach aus, als würden wir sobald losfahren. Ich bemühte mich zu dem Sitzplatz vom Abend zuvor und bewegte etwas meine müden Knochen die knackten und mir verdeutlichten, dass diese Nacht definitiv zu kurz gewesen war. „Hier...“ Ich sah auf, als mir ein Fladenbrot entgegen gereicht wurde. Ein seltsam melancholisches Gefühl kam in mir auf, als ich zu dem Brot griff. Es sah zwar nicht so gut gefüllt aus, wie das von einem anderen gewissen jemand, aber es war ein Fladenbrot. Ihr versteht? „Danke... ähm...“ Ich sah zu der Frau auf, die mir das Fladenbrot gereicht hatte. Definitiv eine Römerin, das erkannte ich schon an der Kleidung, leider war sie mir am Abend zuvor nicht wirklich aufgefallen, aber sie schien diejenige zu sein, die für das Kochen verantwortlich war. „Tacita.“ Sie schien erkannt zu haben, dass ich ihren Namen nicht mitbekommen hatte und antwortete auf mein Gestammel, was ich dankbar annahm. „Ah, dann... Danke, Tacita.“ Ich lächelte und biss in mein Fladenbrot, welches mit Käse belegt war. Diesen Geschmack kannte ich. Käse. Auch wenn das Brot dürftig belegt war, so war es immerhin essbar und würde meinem Magen wohl die nächsten Stunden beschäftigen. „Wo sind die anderen gerade?“ Da ich als Einzige, noch hier saß und augenscheinlich verschlafen hatte, waren die anderen natürlich schwer beschäftigt. Cassius hatte scheinbar, wie ich bereits am Tag zuvor, entschieden, dass die Stoffballen so nicht weiter im Wagen liegen konnten, weswegen der Karren mit den Stoffen ausgeräumt und von Panthea und Nel wieder eingeräumt wurde. Dieses Mal legten sie die Ballen aber längs hinein, sodass ein plötzliches Stoppen nicht der physikalischen Trägheit zum Opfer fiel. „Iunia kümmert sich gerade um einen Verletzten. Varius erholt sich noch etwas. Die beiden aus Kou besorgen noch etwas Wasser und der Rest verstaut die Waren in den Karren ordentlich. Durch die Hektik gestern sind einige Dinge nicht sicher genug verladen worden und der junge Meister kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn wegen Schludrigkeit die Waren beschädigt werden.“ Mit Sicherheit war nicht nur der junge Cassius nicht glücklich wenn bei der Arbeit geschlampt wurde. Allerdings passte es zu ihm, dass er dann auch gleich zur Tat schritt und alles erneut ausräumen und ordentlich verstauen ließ. Ein Glück hatte man mich nicht gebeten dabei zu helfen, dass hätte Cassius wohl viel eher verärgert als in irgendeiner Weise erfreut. Schließlich war ich der Inbegriff der Schludrigkeit. Auch wenn das eher unbewusst so war. Wobei, nein manchmal war es schon bewusst so, wenn ich den Sinn hinter einer Arbeit nicht verstand, weil es mir unlogisch erschien, dann schluderte ich Rücksicht auf Verluste und bekam hinterher einen wohlverdienten Anschiss. „Warum nennt ihr Cassius eigentlich Meister? Mir ist das gestern schon bei Iunia aufgefallen.“ Es machte wirklich irgendwie Klick bei mir. Bei Iunia hatte ich es irgendwie als viel zu überzogene Höflichkeit gesehen, doch das Tacita ihn auch „Meister“ nannte war schon sonderbar. Ich meine, selbst Kouha wurde von seinem Gefolge nur mit „Herr“ oder „Prinz“ angesprochen, aber nicht mit Meister. Tacita versteifte sich auf meine Frage aber und lächelte mich stattdessen an. „Nun, dass ist die Anrede, die sich für unseren Rang geziemt.“ Für ihren Rang? Ich war leicht bis schwer verwirrt, denn die beiden schienen sich nicht großartig von mir zu unterscheiden. Das Cassius als Händler im Rang etwas höher stand, sogar mir gegenüber, war selbst mir klar, aber das? Ehrlich, mit Sicherheit hätte ich den Burschen nicht „Meister Cassius“ oder dergleichen genannt. Sollte Cassius das von mir erwarten, würde ich ihm auch noch den letzten Dinar an den Kopf werfen, nur damit ich auf diese blöde Anrede verzichten konnte. Ich stand einfach nicht auf diese Art von Rollenspiel. Sollte ich also die Gelegenheit bekommen, mal in Ruhe mit Cassius zu reden, sollte ich ihm das wohl erklären, damit er gleich wusste, was er von mir zu erwarten hatte und was nicht.   Cassius Blicke durchbohrten mich förmlich, als ich vor ihm stand, nachdem mir der Händler von Kou mitgeteilt hatte, dass Cassius mit mir reden wollte. Das wäre der perfekte Moment gewesen, ihm gleich von meiner Nicht-Präferenz für diverse Anreden erzählen, doch sein Blick war so ernst, dass mir das Herz förmlich in die Hose rutschte und ich kein Wort herausbekam. „Du wirst dir von Nel zeigen lassen, die Pferde vor diese zwei Karren zu spannen. Diese zwei gehören zu deinem Verantwortungsbereich. Momentan sind wir aufgrund eines Vorfalles in der Nacht etwas unterbesetzt und da brauchen wir jede hilfreiche Hand.“ Ich musste ein paar Mal blinzeln, um zu verstehen, was Cassius mir gerade sagte. Es dauerte etwas, aber es sickerte zu meinem Großhirn durch. „Wie mein Verantwortungsbereich?“, polterte es aus mir heraus, als ich Cassius entsetzt ansah. Sicher, ich hatte nichts dagegen etwas auszuhelfen, aber ich wusste doch gar nicht, was zu meinen Aufgaben gehörte, wenn zwei Karren mein Verantwortungsbereich waren. „Du achtest darauf, dass die Pferde nicht zu schnell werden. Außerdem solltest du dafür sorgen, dass sie nicht zurückfallen, sondern dass sie ein vernünftiges Tempo haben. In diesem Wagen sind noch ein paar Glas- und Tongefäße drin. Auf den solltest du also besonders achten.“ Immer noch dümmlich sah ich Cassius an. Er wollte... „H-Hört mal. Das ist keine gute Idee. Ich bin wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich hab ein unglaubliches Geschick dafür, Zerbrechliches zu zerdeppern.“ Vielleicht war das etwas übertrieben. Ich meine, ich war in der Regel eine sehr vorsichtige Person und zerstörte nichts so schnell, aber gerade wenn ich etwas wie das Wagenhüten noch nie gemacht hatte, war ich empfindlicher. „Dann solltest du dieses unglaubliche Geschick vielleicht ausgerechnet heute nicht an den Tag legen.“ Das machte von Cassius Seite aus deutlich, dass Widerworte nicht geduldet waren. Verdammt. Warum tat er mir das an? War das die Strafe dafür, dass ich verschlafen hatte? „Sagt hinterher nicht, dass ich Euch nicht gewarnt hätte...“, seufzte ich und ergab mich einfach in diesem Schicksal. Wahrscheinlich sollte ich mir aber erst einmal um andere Dinge Sorgen machen, immerhin musste ich auch noch die Pferde vorspannen. Noch eine Sache die ich nie in meinem Leben getan hatte. Nennt mich jämmerlich, aber ich haderte gerade mit meinem Schicksal. Gefangen in einer nicht eigenen Welt, verjagt aus der Heimat und nun unter einem Haufen Fremder die soviel mehr über diese Welt wussten als ich selbst. Das war doch zum Haareraufen. Erneut fragte ich mich, ob meine Entscheidung, Sindria als Reiseziel zu wählen, wirklich gewesen richtig war. Was hatte mich noch mal zu dieser Entscheidung getrieben? 'Zweifel sind der erstbeste Weg in meinen Untergang...', mahnte ich mich. Ein positiver Gedanke. Zweifeln tat ich immerhin häufiger, dennoch biss ich mich irgendwie durch und bisher hatte ich damit immer Glück gehabt. Warum also jetzt von den Zweifeln niederringen lassen? „Na schön, es sind ja nur zwei Karren. Ich werde mein bestes geben. Beschwerden dürft Ihr aber an Euch richten, immerhin habt ihr mir diese Aufgabe gegeben.“ Ich seufzte leise, als ich an Cassius vorbei und zu Nel ging, der bereits alles vorbereitet hatte, um die Pferde vor den Karren spannen zu können. Sicher, meine Worte klangen für Cassius vielleicht so, als würde ich diese Aufgabe nur halbherzig erfüllen, aber ich hatte mir vorgenommen mein bestes zu geben, auch wenn es mir schon großen Respekt einflößte, als ich vor den Pferden stand. Ich konnte zwar über ihre Rücken sehen, aber dennoch fürchtete ich diese edlen, großen Tiere. Sie waren Lebewesen, wie Katzen und Hunde und wenn ich ehrlich war, hatte ich Angst sie zu verletzen. „Also... Ich zeige dir das bei diesem hier.“ Nel hatte bereits das Pferd vor dem Karren so platziert, dass es nicht gegen die Griffe stieß. Das Tier wirkte ruhig, fast schon tiefenentspannt, was man von meinem Übungsobjekt nicht sagen konnte. Ihm war deutlich anzumerken, dass es genauso unruhig war wie ich im Inneren. Mir graute schon jetzt bei dem Gedanken, dass ich dieses nervöse Ding vorspannen sollte und hoffte, dass Nel wenigstens den Karren mit dem zerbrechlichen Gut genommen hatte. „Zuerst machst du die Leinen hier fest.“ Nel gab sich wirklich Mühe, mir alles Stück für Stück zu erklären und ich gab mein Bestes dem zu folgen, doch seine Handgriffe waren so gezielt und schnell, dass ich mir nicht sicher war, dass ich die Reihenfolge auch wirklich beibehielt. Erst musste ich was am Kopf, wobei das viel mehr der Hals war, festmachen, dann am Körper hinter den vorderen Beinen und schließlich weiter hinten noch. Keine Ahnung, wofür man ein Pferd so sehr verschnüren musste, um einen lausigen Karren zu ziehen. Aber gut. Als Nel mit seiner Demonstration fertig war, stand ich schon etwas ratlos vor dem Pferd und das mit dem Geschirr in der Hand. „Hast du das verstanden?“, fragte ich das Pferd und sah es an, als könnte es mich wirklich verstehen. Allerdings antwortete es mir nicht, was wohl nur logisch war. Immerhin konnten Pferde auch hier nicht sprechen. Schade. Mit Sicherheit hätte es mir verraten können wie man es anspannte. Das eigentliche Problem im Moment war aber, dass dieses Pferd nicht vor dem Karren stand und ich es erst einmal davor bekommen musste. Ein höfliches „Bitte“ hätte es sicher nicht dazu gebracht. Wobei, wenn ich erst einmal die Schnallen anbrachte, dann konnte ich das Pferd vielleicht an diesen führen? Nachdenklich blickte ich auf die Schnallen, sah wieder zu dem Pferd von Nel und auf mein Geschirr. Gott, warum mussten das nur so viele Riemen sein? Wer sollte sich das alles denn bitte merken? „Tritt mich, wenn ich dir wehtue...“, flüsterte ich dem Pferd zu und begann ihm eine Art Brustharnisch am Hals zu schnüren, vor den Beinen. Ich nahm Nels Beispiel als eine Art Vorbild und versuchte dieses zu kopieren, auch wenn mir nicht klar war, wie ich das alles wirklich schnüren musste. Da Nel, der mich beobachtete, mir nicht sagte, dass ich etwas falsch machte, ging ich davon aus, dass es schon richtig war, irgendwie. Wahrscheinlich würden alle lachen, wenn ich beim Ziehen des Pferdes dann plötzlich das Geschirr in der Hand hielt. Cassius hingegen würde das nicht so witzig finden, weswegen ich mir noch mehr Mühe gab. So fest es ging, zog ich die Riemen, zuckte allerdings, als das Pferd sich gegen die Festigkeit mit einer Bewegung und einem leisen Schnauben wehrte. Zu fest also. Sofort lockerte ich die Riemen wieder, strich dem Pferd entschuldigend über den Körper und machte weiter. „Tut mir Leid...“, murmelte ich und prüfte die anderen Gurte, dass diese ebenfalls nicht zu fest waren. Irgendwie hatte ich beinahe vergessen, dass dieses Wesen, ebenso wie ich, selbst gerne Luft zum Atmen bekam. Erneut kam Angst auf, dass ich diesem Pferd wehtat. „Brauchst du Hilfe?“, fragte Nel, der erkannte, dass ich häufiger zu meiner Vorlage, seinem Pferd sah. Ich schüttelte den Kopf, vertieft in meine Arbeit, dabei die letzten Handgriffe für das Schnürren zu machen. Als ich fertig war, blickte ich zu dem Pferd, welches meinen Fähigkeiten zum Opfer gefallen war und zu Nels. Etwas wurmte mich. Auch wenn es ziemlich identisch aussah. Nel hatte nicht so lange gebraucht. Es kratzte irgendwie an meinem Hang zum Perfektionismus. Alles auf Anhieb können, alles sofort zu verstehen, alles mit dem ersten Handgriff perfekt zu machen. Ich hatte nichts perfekt gemacht. Einige Schlaufen hatte ich zweimal schnüren müssen, bei anderen hatte ich dem Pferd etwas die Luft oder Freiheit genommen, wiederum andere Schnüre waren zu locker gewesen. Gott, ich hasste dieses Machwerk, auch wenn ich es alleine geschafft hatte. Wobei ich selbst jetzt noch nicht fertig war. Ich musste immerhin noch den Karren anhängen. „In Ordnung... Wir haben es fast geschafft. Du musst mich nur noch ein wenig an dir herum werkeln lassen, aber das schaffen wir doch, oder?“ Erneut stellte ich dem Pferd eine Frage, so als erwartete ich, dass es antworten würde. Vorsichtig griff ich zu einem der Lederriemen und wies die Richtung an, in die es laufen sollte. Es gab immerhin sofort nach und ersparte mir die Qual stur wie ein Esel zu sein. Wahrscheinlich weil es genau solche Spielchen schon gewohnt war und wohl wusste, wie wichtig es für die Karawane war, schnell voran zu kommen. Das dies heute nicht der Fall war, weil man mir so eine Aufgabe gegeben hatte, tat mir schon jetzt im Herzen für alle Leid. Als ich das Pferd platziert hatte, ging ich zu dem Wagen, hob ihn etwas an und bemerkte erst jetzt, was für eine Last und Gewicht in diesem steckte. „Uff... Da hast du ganz schön zu ziehen... Sag dann Bescheid wenn du Hilfe brauchst...“ Erneut ein Gespräch mit dem Pferd. Ich sah schon Nel, wie er feixte, sicher hielt er mich für total bekloppt, aber gut, sollte er. Auch auf Arbeit führte ich Selbstgespräche oder fluchte herum, wenn die Kunden es nicht hörte. Vor allem bei den Unerträglichen. Wie es Nel gezeigt hatte, spannte ich die Griffe des Wagens in den vorgesehenen Schlaufen ein. Es sah schon seltsam aus, vor allem fragte ich mich, ob der Karren nicht plötzlich gegen das Pferd stieß, wenn plötzlich gebremst wurde. Nur aus Neugier, bewegte ich daher den Wagen gegen das Pferd, aber so, dass ich ihn rechtzeitig stoppen konnte, damit dem Tier nichts passierte. Doch es war nicht nötig, denn es gab genug Abstand, so dass der Karren rechtzeitig stoppte. „Ich glaube wir sind fertig...“, merkte ich schließlich an und trat zurück um mir das Werk genauer anzusehen. Es sah dem von Nel wirklich sehr ähnlich und da das Pferd nicht wieder jammerte, schien ich wohl doch etwas richtig gemacht zu haben. Nel selbst sah sich das Endergebnis an und prüfte Schlaufe um Schlaufe, zog hier und da noch etwas nach, aber sonst schien er im Endergebnis zufrieden zu sein. „Sehr schön, ich sag Bescheid, dass wir losgehen können. Soll ich dir noch zeigen, wie du beide Pferde im Laufen führst? Es gibt da diver-“ „Nein, nein, das wird schon.“ Ich gab Nel nicht die Chance auszusprechen. Was sollte schon so schwer daran sein, beide Pferde mithilfe der Lederriemen zu führen? Ich musste sie doch nur mit einigen ziehenden Bewegungen anleiten, mehr musste man da doch nicht lernen.   Im Nachhinein betrachtet, hätte ich Nel besser zugehört. Sicher, das Anleiten war nicht schwer, aber mir taten nach einigen Minuten die Hände weh, denn das Leder rieb unangenehm auf der Haut, die anders als bei den Pferden, nicht von Fell überzogen war. Noch dazu wollten beide Tiere immer wieder in eine andere Richtung austreten, was ich mit einem bestimmenden Zug verhindern musste, ohne das andere Wesen auf dumme Gedanken zu bringen. Kinder hüten war definitiv leichter. Das Schlimmste war aber, dass ich nicht das Schlusslicht unserer Karawane bildete, sondern mich in der Mitte befand und wirklich nicht zu schnell oder zu langsam sein durfte, wenn ich nicht wollte, dass mir der hintere Wagen in die Achse fuhr. Erneut hatte ich es mir wieder zu eigen gemacht, mit meinen neuen Kollegen zu reden, auch wenn diese Gespräche eher einseitiger Natur waren. Wäre ja auch noch schöner gewesen, wenn sie, unter all der Anstrengung und Bemühung die ich hier hatte, widersprochen oder sich über mich lustig gemacht hätten. „Du nimmst deine Aufgabe ja sehr ernst“, merkte Hinata an, die zu mir vor gelaufen war, da sie Chen auch gut alleine mit dem Karren des Kou-Händlers lassen konnte. Ihre Anwesenheit war gerade aber alles andere als erwünscht. Ehrlich, ich war hier hochkonzentriert zwei Pferde zu lenken. Ich tat das zum ersten Mal, da hatte ich keine Zeit für Small-Talk. „Kann gerade nicht...“, antwortete ich ungewollt kühler, als ich es eigentlich gemeint hatte. Allerdings blieb mir das in diesem Moment, in dem mir die Worte über die Lippen kamen, verborgen. Ich bemerkte es erst, als ich ein beleidigtes „Hmpf...“ von Hinata vernahm, die sich wieder zu ihrem Herren zurückfallen ließ. Innerlich schallte ich mich eine Närrin, denn mit Sicherheit war es nicht gut, sich mit den Leuten der Reisebegleitung anzulegen, oder es sich zu verscherzen. Zur nächsten Rast, war es wohl besser, wenn ich mich bei Hinata entschuldigte und ihr einfach erklärte, warum ich so pampig geklungen hatte und das es nicht so gemeint war, wie der Ton es hätte anmerken lassen.   Es war das erste Mal, dass ich eine Karawanserei sah, oder überhaupt von so etwas gehört hatte. Cassius hatte mit den anderen Händlern scheinbar entschieden, dass wir hier Rast machten, was mich verwunderte. Alle schienen es zu wissen, abgesehen von mir, die beide Wagen auch noch weiter mit den Pferden geführt hätte, selbst wenn der Schweiß mir im Angesicht der brütenden Hitze auf der Stirn stand. Der Schmerz meiner Hände war bereits so erträglich geworden, dass diese sich nur noch taub anfühlten. Wenn man es recht bedachte, war es wohl besser, dass wir Rast machten. „In Ordnung, wir machen erst einmal Pause. Ruht euch aus, bleibt aber in der Nähe, ich will nicht wieder nach euch ausrufen lassen.“ Ausrufen? Ich musste mir wirklich vorstellen, wie Cassius uns alle durch einen Marktschreier ausrufen ließ, weil wir uns zu weit entfernt hatten. „Der kleine Cassius möchte von seinem Gefolge im Spieleparadies abgeholt werden.“ Ein lächerlicher Gedanke, der mir kurz ein breites Grinsen entlockte, welches aber sofort wieder schwand, als Cassius auf mich zukam und mit einem ernsten Blick seine beiden Karren musterte. Gott, so schlimm hatte ich mich auch nicht angestellt. Ich hatte den ganzen Weg über sogar gelauscht, ob ich Klirren hörte oder nicht. Dieses Geräusch war aber ausgeblieben, sodass ich davon ausging, dass nichts beschädigt war. „Du kannst auch rein. Deine Verletzung sollte vielleicht noch einmal von einem Doktor begutachtet werden. Varius wird sich solange um die Karren und Tiere kümmern.“ Misstrauisch sah ich Cassius an. Irgendwie erwartete ich eine Falle hinter seinen Worten. Er hatte mir immerhin den Auftrag gegeben, auf diese Karren aufzupassen. Wollte er mich nun testen, ob ich das auch wirklich tat? Allerdings, er hatte schon am Abend zuvor meine Verletzung erwähnt. Es lag zwar kein Hauch von Sorge in seiner Stimme, aber er würde mir so eine Finte sicher nicht stellen, wenn er wusste, dass ich wirklich verletzt war. Immerhin, sollte die Schulter schlimmer werden, konnte ich die ganze Gruppe weiter zurückwerfen. Etwas, dass sicher nicht in Cassius Sinne war. „Danke“, antwortete ich kurz angebunden und löste meine Hände von den Lederriemen. Erst jetzt erkannte ich die geröteten Stellen und das Brennen nahm erneut seinen Lauf, nachdem ich mich gelöst hatte. „Du kannst alle Einrichtungen hier frei nutzen. Der Eintritt wurde bereits bei der Durchfahrt bezahlt. Einige Händler hier versuchen noch ein paar ihrer Waren loszuwerden, wenn du also noch etwas für deine Reise nach Sindria brauchst, ist hier die Gelegenheit dafür.“ Ich hielt inne, als Cassius mir einige Erklärungen zur Karawanserei mit auf den Weg gab. Scheinbar hatte er bemerkt, wie ahnungslos ich war. Wobei, dass war kein Geheimnis mehr. Wenn ich hier also noch Sachen kaufen konnte... Ich ließ meine Gedanken schweifen und lächelte. Auch wenn ich nicht mehr viel Geld hatte, vielleicht war es wirklich besser, dass bisschen was ich hatte doch noch irgendwie zu investieren. Umso mehr würde ich mich bei Cassius dann anstrengen um doch noch mein Gehalt aufzustocken. Ich lief sofort zurück zu dem Karren, in dem mein Reisegepäck stand. Dabei bemerkte ich den Dreizack-Wächter, dessen Blick aufmerksam durch die Mengen streifte, so als suchte er etwas oder jemanden. Oder beobachtete er einfach nur jeden einzelnen von ihnen, um sicher zu gehen, dass den Karren nicht passierte? Ich nickte dem Wächter kurz zu, bevor ich hinter den Wagen mit den vielen Kisten verschwand und meinen Rucksack hervor zerrte. Ich zog mein Geldsäckchen hervor und blickte noch einmal in die Tiefen. Wie weit ich wohl damit kam? Mit diesen Messingmünzen und den restlichen Dinar? Ich wusste nicht einmal, wie wertvoll diese Messingmünzen waren. Diese Wissenslücke sollte ich heute unbedingt schließen, bevor ich es mir wagte, auch nur eine von ihnen auszugeben. Mit den Dinar kannte ich mich immerhin einigermaßen aus. Ich schulterte mir mein Reisegepäck auf die rechte Seite. Das Geldsäckchen hingegen behielt ich in der Hand, nur um sicher zu gehen, dass ich es nicht verlor. Nicht das ich am Ende noch vollkommen abgebrannt dastand und vollständig bei Null anfangen musste. Das wäre nun nicht so ideal gewesen.   Wie es Cassius mir angeraten hatte, war ich zu einem der Ärzte gegangen. Die Verletzung hatte nicht noch einmal zu bluten begonnen, so dass lediglich der Verband gewechselt wurde. Ich konnte also heute beruhigt noch die ein oder andere Arbeit heute verrichten, auch wenn der Arzt angeraten hatte, die Schulter nicht zu schwer zu belasten. Keine Ahnung wie man dieses „nicht zu schwer belasten“ auf einer Reise mit einer Karawane umsetzen sollte, aber wenn ich Cassius gefragt hätte, wäre ihm sicher auch eine Möglichkeit eingefallen. Allerdings waren Sonderbehandlungen nicht gerade mein Fall, abgesehen von der im Freudenhaus, die aber seine Berechtigung hatte. Sicher hätte man mich nun gefragt, wo diese Berechtigung dafür lag, aber das blieb besser mein kleines schmutziges Geheimnis. Meine Zeit in der Karawanserei nutzte ich damit, um mir die verschiedenen Händler anzusehen, die ihre Waren feil boten. Es gab schon einige Dinge darunter, auch bei den Lebensmitteln, die sich für lange Reisen wirklich lohnten. Zum Beispiel getrocknetes Fleisch. Dennoch drehte ich geistig jeden Dinar dreimal um, bevor ich mir sagte, ob es wirklich nötig war oder nicht. Was wollte ich schon mit getrocknetem Fleisch? Ich aß das Zeug nicht einmal Zuhause. Logischer erschien mir da doch eher der kleine Sack Reis, den ich günstig erstand und in mein Gepäck verstaute. Damit konnte ich mir sicher Reisbällchen oder andere Gerichte bereiten, wenn ich mal frisches Gemüse bei mir hatte. Reis war immer gut. Das hatte ich mir auch schon in meiner Welt gesagt, weswegen ich immer bei dem Sushireis zuschlug, wenn ich diesen mal im Angebot fand. Der Schnäppchenjäger ging mir also auch hier nicht verloren. Die Verführungen waren dennoch groß, denn neben dem Reis fand ich auch noch einige Gewürze die sich in meiner Küche sicher gut gemacht hätten. Nur zu gerne hätte ich mehr als nur zwei kleine Säckchen, eines mit Salz, das andere mit einem leichten Schärfegrad, geholt. Aber leider musste ich sparen, für die Überfahrt. Dennoch sah ich mich ausgiebig um und erkannte, an einem Stand mit Obst eine Person, die die Unaufmerksamkeit des Händlers nutzte, der gerade versuchte einem anderen Händler seine Waren aufzuschwatzen. Ich glaubte nicht was ich sah, denn hier überall liefen auch Wachen herum, doch scheinbar hatten diese genauso wenig Überblick über die ganze Lage, wie die Händler selbst. Wen wunderte es bei der Menge an Menschen. Mir war schon früh genug aufgefallen, dass dies hier wohl nicht die normale Menschenmenge in einer Karawanserei war. Durch einige Gespräche, die ich im Vorbeigehen aufgeschnappt hatte, wusste ich nun, dass viele von den Händlern hier aus Balbadd kamen oder auf ihrem Weg hier gestrandet waren, unsicher, ob sie die Stadt überhaupt noch betreten durften. Hier tauschte man sich also über die aktuellsten Ereignisse aus. Und gewöhnliche Diebe nutzten diesen Austausch, um sich selbst zu bereichern. Es war also besser, wenn ich gut auf meine Sachen und vor allem auf mein Geld achtet. Noch dazu, wurde mir unwohl. Wenn hier wirklich mehr als nur ein Dieb diese Gelegenheit nutzten, wollte ich keine Minute länger hier bleiben. Aber ich war abhängig von Cassius und den anderen. Seufzend ging ich zu einem Obststand und sah auf die Waren. Es gab noch eine Kleinigkeit, die ich unbedingt kaufen wollte. Nein, die ich kaufen musste. Immerhin musste man die Leistung der anderen angemessen bezahlen.   Den beiden Pferden, die jene Karren gezogen hatten, die in meinem Verantwortungsbereich lagen, schienen glücklich über ihre Belohnung zu sein, die ich ihnen in Form von kleinen Äpfeln besorgt hatte. Sie wieherten und man hörte deutlich wie ihre Gebisse die knackigen Äpfel zermalmten. Schon seltsam, denn noch immer hatte ich Angst vor diesen beiden und doch hatte ich das Gefühl, ihnen auch etwas Gutes tun zu müssen, nachdem sie mich nicht ganz so schlimm hängen lassen hatten, wie befürchtet. Der Dreizack-Wächter, mittlerweile erahnte ich, dass er dieser ominöse Varius war, hatte während meiner Belohnungszeit ein Auge auf mich. Kein Wunder. Ich hätte immerhin diesen Moment nutzen können, um irgendetwas von den wertvollen Stoffen zu klauen. Nicht das mein Gepäckstück noch sonderlich viel Stauraum ließ. Aber gut, das wollte ich Varius nun nicht vorwerfen. „Das verratet ihr aber nicht Cassius, ja?“, fragte ich die beiden und strich über ihre Köpfe. Dabei sah ich zu Varius, den ich breit grinsend, aber stumm fragte, ob er denn auch die Klappe halten würde. Er hingegen sah einfach weg, was ich als eine positive Antwort für mich hinnahm. „Also schön, ihr beiden. Seid schön brav. Ich genehmige mir noch einen Tee und finde heraus, wie viel diese Münzen von Cassius wert sind. Außer natürlich, Varius mag mir das sagen.“ Mein Grinsen wurde breiter, denn ich wusste ja, dass Varius jedes meiner Worte genau verstand. Auch wenn er gerade versuchte, unauffällig durch die Menge zu sehen und die Karren zu bewachen. Da er aber nicht antwortete, ging ich nun direkter auf ihn zu. Wenn ich schon einmal einen Römer da hatte, konnte er mir doch genauso gut antworten. „Hey... Cassius hat mir gestern ein paar Münzen gegeben. Es ist das erste Mal, dass ich solche gesehen habe. Weißt du was sie wert sind?“ Erwartungsvoll sah ich Varius an, dessen Blicke durch die Menge streifte. Er schien nicht antworten zu wollen, oder konnte er nicht? Ich griff in meinen Geldbeutel und zog eine der Messingmünzen hervor. „Hier, die hier. Was ist eine davon wert?“ „Weniger als ein Denar. Das was er dir gegeben hat, nennen wir Sesterz. Reich bist du damit nicht, aber vermögender als Andere von uns.“ Ich blinzelte, als Varius sich kurz die Münze ansah, aber schnell wieder wegsah und mir erklärte, was er als wichtig für mich ansah. Dennoch, ich verstand es immer noch nicht. Was war ein Denar und was bedeutete, dass ich damit vermögender war als Andere von ihnen? Statt meine Frage auch nur ansatzweise zu beantworten, hatte Varius vielmehr noch mehr Fragen in mir ausgelöst. Noch mehr Fragen, auf die ich Antworten brauchte. Und scheinbar wollte, oder konnte Varius mir diese Fragen nicht beantworten. „Danke...“, antwortete ich und wandte mich von Varius und den Karren ab. Vielleicht konnte mir ja ein anderer Händler sagen, was dieses Geld wert war. Immerhin musste ein Händler auch in anderen Teilen der Welt seine Waren verkaufen und konnte nicht davon ausgehen, dass alle etwas von der eigenen Währung übrig hatten. Cassius hatte immerhin auch meine Dinar genommen, auch wenn ich immer noch nicht verstand, warum er mehr als die Hälfte genommen hatte. Sauer war ich ihm bis heute deswegen.   Es hatte etwas gedauert, doch in der Menge hatte ich schließlich den Händler aus Kou gefunden, der sich entspannt mit ein paar leicht bekleideten Mädchen vergnügte. Musste ein Männerding sein, definitiv. Obwohl er beschäftigt schien, hatte er mir erlaubt, mich neben ihn zu setzen und mir Rede und Antwort zu stehen. „Cassius hat mir gestern diese Münzen gegeben. Ich bin mir über ihren Wert nicht ganz klar.“ Anders als bei Varius präsentierte ich dem Händler sofort eine Messingmünze, so dass er gleich wusste, worum es ging. Dieser beäugte die Münze jedoch mit einem müden Lächeln und seufzte einmal kurz auf. „Münzgeld. Ich sage dir, Liebes, vertraue niemals auf den Wert von geprägten Münzen. Nicht nur, dass du ihren Wert mindern kannst, indem du Billigmetall darunter mischst, es hat auch keinen festen Wert. Papiergeld ist anders. Gibt man dir morgen zwanzig Huang werden sie auch noch in einer Woche zwanzig Huang wert sein. Das einzig verlässliche ist Papier. Nicht nur, dass die Herstellung günstiger ist, es ist auch sicherer.“ Der Händler schwärmte förmlich von dem Huang der aus Kou kam. Eindeutig war dieser Mann sehr landstreu. Davon, dass der Huang eben doch an Wert verlor, sagte er nichts. In Balbadd hatte ich das ja gut erlebt. Was morgen zwei Huang wert war, war in einer Woche wahrscheinlich vier Huang wert. Aber darüber schwieg ich, während mir der Händler das System der Kou-Währung erklärte. Irgendwann konnte ich das vielleicht gebrauchen, also war es besser wenn ich ihm zuhörte. „Du solltest Cassius bitten, dich in Huang zu bezahlen. Bald schon wird man überall in der Welt damit bezahlen können. Münzen gehören der Vergangenheit an.“ In Anbetracht der Tatsache, dass man in meiner Welt sowohl Münzen als auch Papier verwendete, widersprach ich einfach nicht. Dennoch hatte er mir meine Frage auch nicht beantworten können. Den balbaddischen Händler wollte ich nun auch nicht fragen. Zum einen waren wir am Abend zuvor aneinander geraten und zum anderen schwor dieser sicher auf den Dinar. Die Einzigen, die da noch übrig blieben, waren die Römer. Und Cassius stand auf meiner Liste der zu Befragenden sicher nicht ganz oben. Die Gelegenheit da vielleicht seinen gebildeten Lehrer zu einem Gespräch zu nötigen und ihm noch ein paar mehr wissenswerte Dinge über diese Welt zu fragen, bot sich also förmlich an. Die Frage war nur, wo man den gebildeten Menschen finden würde.   Wo fand man einen gebildeten Menschen, wenn nicht bei einem Haufen Schriftrollen, die hier wohl als Bücher fungierten? Ich hatte Glück, dass ich bei meinem Weg oder viel mehr bei meiner Suche, noch einmal am Markt vorbeiging und schließlich Cassius' Lehrer an einem Stand voller Schriftrollen bemerkte. Ich ärgerte mich, dass er mir nicht schon früher aufgefallen war, denn sonst hätte ich mir vielleicht doch noch ein günstiges Exemplar geholt und so noch etwas eigene Recherche betrieben, ohne mich jedes Mal durch die Weltgeschichte fragen zu müssen. Allmählich kam ich mir nämlich auch sehr dämlich vor. „Diese Schriftrolle ist niemals zehn Dinar wert! Für diese Informationen die man darin findet, zahlt man für gewöhnlich vierzig Dinar. Vierzig!“ Cassius Lehrer machte sich lauthals Luft, als er eine Rolle in der Hand hielt und dem Verkäufer kurz davor war eine Strafpredigt zu halten. „Wie könnt ihr diese Schriftrolle zwischen all dem anderen... Zeug liegen lassen und für den selben Wert verkaufen? Habt ihr keine Ahnung was wahres Wissen kostet? Viele Gelehrte haben Nächte über ihren Theorien gesessen, haben gelesen, waren auf Reisen, aber nicht um zwischen... zwischen so etwas zu liegen.“ Ich näherte mich dem Geschehen, verwundert darüber, was Cassius Lehrer nun so auf die Palme brachte, dass der sonst nur im Schlaf predigende Mann nun so aus der Haut fuhr. Auf dem Tisch vor ihm lagen verschiedenste Rollen. Eine davon trug sogar den Titel „Sinbad der Seefahrer Band 1“. Da dies wohl das einzige Werk war, von dem ich eine Vorstellung hatte, worum es in dessen Inhalt ging, beäugte ich Cassius Lehrer argwöhnisch, der den Händler immer noch böse fixierte. „Wenn Sie den Preis runter handeln wollen, machen Sie das falsch.“, merkte ich feixend an. Der Lehrer sah zu mir, drückte sich die Rolle an die Brust, so als befürchtete er, dass ich sie ihm jeden Augenblick nehmen würde. Erst jetzt schien ihm bewusst zu werden, wie sehr er sich hatte gehen lassen, weswegen ein hauchzarter Rotschimmer sich auf seine Wangen legte. Er räusperte sich und legte die Rolle wieder zu den anderen, was mich doch sehr verdutzte. Nach diesem Aufstand hatte ich immerhin geglaubt, dass er dieses Stück Papier erwerben wollte. „Verzeihen Sie, dass Sie das sehen mussten. Ich habe mich wohl etwas gehen lassen“, erklärte er und seufzte leise. Seine Augen weiteten sich aber, als der Händler plötzlich den Preis der Rolle erhöhte, auf vierzig Dinar. „Scheint als wisse hier wenigstens einer wie man handelt. Wo wir aber gerade beim Handeln sind. Würden Sie mir etwas mehr zu den Münzen erzählen, die ich gestern von Cassius bekommen habe?“ Ein weiteres Mal an diesem Tag zog ich eine der Münzen hervor, die mir Cassius gegeben hatte. Der Lehrer sah sich diese nicht einmal genauer an, was mir zeigte, dass er sofort wusste, was ich alles wissen musste. In typischer Lehrermanier räusperte er sich und begann seine Rede. „Was Ihr hier habt, ist eine Sesterze. Diese eine Sesterze entspricht dem Wert von vier Asse. Habt Ihr noch drei weitere Sesterze, ergibt sich daraus ein Denar. Spart 25 Denare zusammen und ihr habt den Wert von einem Aureus. Das ist unser Münzsystem. Es ist ganz einfach und auch viel nachhaltiger als das aus Balbadd.“ Ich horchte auf, als er mir das System erklärte, auch wenn ich immer noch kein Bild vor Augen hatte, weil mir bisher nur diese Sesterze und die Dinar bekannt waren. „Was meinen Sie mit nachhaltiger?“ Mich störte das schon die ganze Zeit, dass alle so über den Dinar herzogen. Bisher hatte ich mein Leben sehr gut mit diesen Münzen führen können. Nun aber, unter all diesen ausländischen Händlern, schienen sie ihren Wert zu verlieren. „Nun, vor vielen Jahren noch, war der Dinar wie unsere Münzen in seinem Wert stabil. Allerdings wurden in jedem Jahr mehr Verunreinigungen im Metall der Münzen festgestellt. Sie scheinen nur noch wie das Material, aus dem sie gemacht wurden, sind es aber nicht mehr vollständig. Dagegen scheint selbst die Währung aus Kou stabiler und mehr wert, obwohl es nur Geld aus Papier ist. Und selbst dieses Geld ist nur in Rakushou stabil. Deswegen mindert sich der Wert des Dinar auch stetig. Heute kann ein Dinar noch einen Apfel wert sein, morgen brauchst du schon zwei dafür.“ Ich brauchte etwas um diese Information zu verarbeiten und erinnerte mich an die Szene auf dem Marktplatz in Balbadd, als die Dinar in Huang umgetauscht werden sollten. Ich hatte gedacht, dass der Huang selbst an Wert verloren hätte und der Wechsler sich am Dinar bereichern wollte, dass das Gegenteil aber der Fall war, hatte ich nicht einmal in Betracht gezogen. Von wegen Angebot und Nachfrage. Der Wechsler hatte wahrscheinlich von der Verunreinigung gewusst und wollte so nur sicher gehen, dass er kein Verlustgeschäft machte. So wie Händler in Balbadd deswegen allmählich auf Huang umstiegen und so die Preise ihrer Waren neu berechneten. „Früher war der Dinar noch wertvoller als unserer Denar, aber mittlerweile bekommt man selbst mit Denar mehr für sein Geld.“ Allmählich dämmerte es mir. Der Grund, warum nun die Hälfte meines Startkapitals in Cassius Händen war. Er hatte mir nicht so viel abgeknöpft, weil er ein Halsabschneider war, sondern weil er dem Dinar mit der Menge gerade genug Wert bemessen hatte, um alle Kosten, die ich noch verursachen würde, zu decken. Damit hatte ich Cassius Unrecht getan, schon wieder. „So ist das also... Vielleicht wäre es dann besser, jetzt schon den Dinar loszuwerden, solange er noch etwas Wert besitzt...“, sprach ich laut zu mir und spielte mit dem Gedanken, doch noch zu dem Buchhändler zu gehen und mir das „Buch“ von Sinbad zu holen. Zehn Dinar... das konnte ich gerade so noch entbehren, oder? Unsicher sah ich zurück zu dem Stand. Es wäre schon interessant gewesen Sinbads Abenteuer zu lesen. Er war schließlich viel gereist und so konnte ich vielleicht etwas mehr über diese Welt lernen. Allerdings... War er es nicht gewesen, der auch regelmäßig übertrieb? Woher sollte ich also wissen wie ich Fakt von Fiktion trennen konnte? Sicher, ich hatte da diverses Wissen über diese Welt, doch konnte mir das was nutzen? „Könnten Sie mir noch erklären, wie die anderen Münzen aussehen? Ich muss ehrlich gestehen, ich verstehe das System aus Reim noch nicht ganz. Auch wenn ich schon verstanden habe, dass ich wohl mit vier Sesterzen schon einen Denar zusammen habe.“ Ich verfluchte den Moment, dass ich kein Papier oder Tinte besaß, denn ich musste mir dieses System irgendwie merken. Es aufzuschreiben war sicher schon einmal ein Anfang. Vielleicht wurde mir aber auch etwas klarer, wie viel wert diese Münzen nun waren, wenn ich sie erst einmal gesehen hatte. „Cassius kann Euch einige der Münzen zeigen. Wenn Ihr ihn fragt, wird er das sicher auch tun.“ Mir rutschte förmlich das Herz in die Hose, als der Hauslehrer Cassius erwähnte. Das Bedürfnis ihn freiwillig anzusprechen, hatte sich bisher stark in Grenzen gehalten. Sicher, ich kannte ihn nicht, aber irgendwie... mochte ich ihn nicht und hatte schon so eine gewisse Angst, die mir anriet doch vorsichtig zu sein. Was es genau war, konnte ich allerdings auch nicht sagen. Vielleicht lag es ja an seinen Augen oder dem stechenden Geruch, der mich ein wenig ans Schwimmbad erinnerte. Ich hasste Chlorgerüche, ein Grund warum ich Schwimmbäder mied. Irgendetwas hatte Cassius auf jeden Fall an sich, dass mein Herz ein paar Etagen tiefer verfrachtete. „Uhm... mal sehen...“, antwortete ich zurückhaltend und überlegte mir schon eine Ausrede, warum ich Cassius nicht darauf ansprechen würde. Allerdings war ich auch neugierig. Ich wollte diese verdammten Münzen sehen. Verdammte Scheune.   „Wir reisen heute weiter!“ Cassius Stimme hörte man unverkennbar, ebenso den Schlag seiner Faust, als er diese auf den Holztisch niedersausen ließ und das Geschirr einen kleinen Sprung zu machen schien. Ich lief schneller in die Richtung des Tisches, an dem Cassius nun stand, ihm gegenüber der Händler aus Balbadd, der mürrisch die Arme verschränkte. „Ich sage, wir sollten hier bleiben und morgen in aller Früh reisen. Es gibt keinen Grund zur Eile. Außerdem ist es hier sicher.“ Der Händler aus Balbadd blieb ruhig, fast schon zu ruhig. Hatte er etwa noch nicht bemerkt, wie voll es hier war? War ihm nicht klar, dass sich hier der ein oder andere Dieb herumtrieb, der es sicher auch auf seine Waren abgesehen hatte? „Ich kann zur genüge für unsere Sicherheit sorgen! Deswegen reisen wir heute weiter. Je schneller wir am Tenzan-Plateau sind, desto besser! Also sparen Sie mir diese Ausreden von der Sicherheit hier.“ Cassius schien noch bemüht zu sein, nicht die falschen Worte zu nutzen, um dieses Mitglied der Karawane nicht zu verlieren. Wobei ich gestehen musste, dass ich nicht einmal wusste, inwiefern der Händler aus Balbadd überhaupt wichtig war. Ich meine, er war im Gegensatz zum Kou-Händler nicht einmal sonderlich höflich. „Junge... du bist doch noch grün hinter den Ohren. Überstürzt zu reisen bringt uns auch nicht schneller ans Ziel. Der aus Kou mag ja nichts dagegen haben, aber... sein wir ehrlich, er ist zu sorglos. Das hier ist doch deine erste große Reise alleine, sei also vernünftig und raste, wenn es zu rasten gilt. In der Pampa kannst du noch oft genug nächtigen.“ Ein zorniger Ausdruck zierte Cassius Gesicht, als er die Worte des Händlers vernahm. Seltsam, denn ich hatte Cassius nun nicht als so unerfahren gewertet. Er schien mir sehr gut vorbereitet, hatte eine angemessene Größe für eine Reisegruppe und sie hatte sicher einige ausgebildete Kämpfer. Wenn ich mich recht erinnerte, waren die beiden Begleiter des Kou-Händlers sogar zur Selbstverteidigung oder so ausgebildet. Der Einzige der da ohne Schutz reiste, war der Händler aus Balbadd und er erschien mir nicht so, als hätte er da noch den ein oder anderen Trick im Ärmel. Selbst ich wäre alleine nicht so hilflos gewesen wie er. „Entschuldigen Sie, wenn ich störe. Irgendwie konnte ich nicht umhin zu hören, dass es wohl Differenzen über unseren weiteren Reiseverlauf gibt. Was gibt es denn für ein Problem?“ Auch wenn es unhöflich war, sich in die Gespräche anderer einzumischen, konnte ich nicht anders, denn zum einen sollten Cassius und der Balbadd-Händler nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen und zum anderen befürchtete ich, dass Cassius, dessen Temperament schon recht feurig zu werden schien, doch noch die Beherrschung verlor. Das musste nicht sein. Wir hatten bereits genug Verletzte in der Gruppe. „Ah, Ihr seid es. Der Junge hier will bald wieder aufbrechen. Ich habe versucht ihm etwas Verstand einzureden, allerdings will er nicht auf mich hören. Vielleicht könnt Ihr ihn zur Vernunft bringen. Ihr habt schließlich für diese Reise bezahlt, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Da solltet Ihr doch auch hin und wieder den Luxus eines bequemen Nachtlagers begrüßen, oder?“ Das Grinsen, welches der Händler aus Balbadd an den Tag legte, wirkte wie das eines schmierigen Haustürvertreters, der für die Provision selbst seine Großmutter an den Teufel verkauft hätte. Ein gruseliger Gedanke. Zumal ich das Gefühl hatte, dass er mich gegen Cassius aufwiegeln wollte. Vielleicht hatte er ja bemerkt, dass ich dem Römer aus den Weg gegangen war oder es vermied mit ihm zu reden, aber hey, ich machte mich sicher nicht zu Kanonenfutter oder zur Marionette. „Oh, Sie sind an meiner Meinung interessiert? Schön. Ich bin derselben Meinung wie Cassius. Mir ist nicht ganz wohl hier unter zu vielen Menschen zu sein. Das zieht nur Gesindel an und es wäre schade um die ganzen Waren, die die Karawane mit sich führt. Noch dazu, je eher jeder von uns an sein Ziel kommt, desto zufriedener sind wir. Also sollten wir keine Zeit wegen unnötigen Luxus verschwenden.“ Ich setzte mich neben den Händler aus Balbadd und legte meinen halbleeren Geldbeutel auf den Tisch. Ich spürte förmlich, wie mein Sitznachbar mich mit giftigen Blicken fixierte, als ich entgegen seiner Erwartungen Partei für Cassius Vorschlag ergriff. Cassius hingegen setzte sich wieder auf seinen Platz und schien seine Fassung zurück zu gewinnen. Ein gutes Zeichen. „Pah... wer hat dich Weibsbild schon gefragt? Was soll man auch anderes von einer einfachen Geschichtenerzählerin aus einem Bordell erwarten.“ Es war nun meine Faust, die bedrohlich zuckte. Doch ich mahnte mich zur Ruhe. So wie auf Arbeit, wenn ein Kunde ausfallend wurde. Doch anders, als bei meinen Kunden, sah ich das Rattengesicht, welches meinte, mir gegenüber unverschämt werden zu können. „Wenn ich mich recht entsinne, habt Ihr um die Meinung der Geschichenerzählerin gebeten. Ich glaube sogar verstanden zu haben, dass Ihr ihr ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt habt, weil sie für die Reise bezahlt hat.“ Dieses Mal war es Cassius, der mit seinen Worten dafür sorgte, dass ich mich beruhigte. Wir hatten binnen weniger Sekunden die Rollen getauscht, doch erstaunlich war das Ganze nur, weil Cassius komplette Haltung sich auf einmal geändert hatte. Er hatte dieses durchtriebene Lächeln auf den Lippen, welches seinen sonst so ernsten Zügen doch schon einen Hauch von Charme zauberte. Den Händler aus Balbadd hingegen ließ es erstarren. „Mir scheint, dass Sie überstimmt sind. Wir ziehen also bald weiter. Sollten Sie noch etwas zu erledigen haben, erledigen Sie das schnell.“ Wo hatte ich mich bloß eingemischt? Auch wenn die Atmosphäre seitens Cassius nicht mehr so angespannt oder gefährlich wirkte, hatte sie dennoch ein sehr explosives Potential. Der Balbadd-Händler schien aber entschieden zu haben, dass er verloren hatte. Zumindest für jetzt. „Pah... Ihr werdet sehen was ihr davon habt...“, murrte er und trank seinen Tee. Da er auch mir immer noch finstere Blicke zuwarf, entschied ich, dass ich ihn ignorierte und meinen Mut besser sammelte um Cassius die alles entscheidenden Fragen zu stellen. „Erklärt mir mal bitte, anhand von Anschauungsmaterial, womit Ihr mich gestern bezahlt habt. Ich kenne nur Dinar und hab ehrlich keine Ahnung wie der Rest eurer Münzen aussieht.“ Es platzte förmlich aus mir heraus. Besser jetzt als nie. Immerhin gab es nun kein zurück mehr und es lag an Cassius, ob er mir meine Bitte erfüllen würde. „Das reimische Münzsystem? Pah... Mädchen, werd' vernünftig. Der Dinar war mal mehr wert als ein Denar. Auch wenn unsere Währung momentan etwas schwach ist, so wird sie mit Hilfe des Kaiserreiches Kou wieder stark. Die Menschen werden das Papiergeld schnell wieder gegen den guten alten, vertrauten Dinar tauschen und dann ist er stärker als zuvor. Mit Sicherheit ist das auch der Grund, warum König Ahbmad die Hilfe von Kou angenommen hat.“ Ich konnte wirklich nicht glauben, dass der balbaddischen Händler sich auch noch hier einmischen würde. Wirklich. Nervig. Scheinbar hatte er zu allem etwas zu sagen. Und augenscheinlich sah er sich selbst immer im Recht. „Mag sein, ich bin gerade aber nicht in Balbadd, sondern unter Bewohnern Reims. Also werde ich mich anpassen und soviel lernen, dass ich unter gewissen Umständen auch in Reim zurecht kommen könnte.“ Auch wenn das mal wieder eher eine Ausrede war, wäre es doch nicht schlecht, etwas mehr über Reim zu erfahren. Vielleicht würde meine Reise mich ja doch noch dahin führen. Wer konnte das schon so genau sagen? „Also, Cassius, würdet Ihr mir bitte eure Währung zeigen und alles dazu erklären?“ Damit mir der balbaddische Händler nicht wieder in die Parade fuhr, beschloss ich, noch nachdrücklicher eine Antwort von Cassius zu fordern, der mich ansah, schließlich aber eine Art Geldbeutel unter der Toga hervorzog. Seine Bewegung war minimalistisch. Der Stoff bewegte sich kaum, was mir zeigte, dass er diesen Handgriff mehr als einmal tat. „Na schön. Wie du vielleicht schon selbst herausgefunden hast, habe ich dir gestern vier Sesterzen gegeben. Das entspricht dem Wert eines Denar, der so aussieht.“ Zielsicher griff Cassius aus seinem Beutel eine Silbermünze, die er vor mir hinlegte, so dass ich ihre Prägung ganz genau sehen konnte. Silber also. Gut, dass leuchtete ein, dass Silber mehr wert als eine Messingmünze war, allerdings die Menge des Messings den einer Silbermünze aufwiegen konnte. Logisch also. „In Reim entspricht ein Denar dem üblichen Tageslohn eines Arbeiters. Nur für den Fall, dass du glaubst, dass ich dich unter Wert bezahlt habe. Du hast gestern also einen regulären Lohn nach reimischem Prinzip erhalten. Ich hätte dir auch 16 Asse geben können. Das sind die hier.“ Erneut legte mir Cassius eine Münze auf den Tisch. Dieses Mal war sie aus Bronze. An die Asse erinnerte ich mich zumindest von der Erzählung seines Lehrers. Vier davon entsprachen einer Sesterz, also entsprachen 16, der Logik nach, einem Denar. Ich nickte, zum Zeichen dass ich verstanden hatte und mein Kopf diese Information gut verarbeitete. Noch zumindest. Wobei, so schwer würde der Rest nicht mehr werden, denn es fehlte nur noch eine Münze und ich ahnte bereits, woraus diese war. „Zu guter letzt die Wertvollste. Die hier. Das ist ein Aureus. Sparst du Hundert Sesterze, hast du den Wert eines Aureus. Du brauchst also 400 Asse um den Wert eines Aureus aufwiegen zu können. Verstanden?“ Zahlen. Ich hasste Zahlen. Ehrlich, mein Kopf schaltete dabei ab und ich fragte mich schon, wie Cassius das so schnell rechnen konnte, als er mir die Goldmünze hinlegte und mir das alles erklärte, als sei ich ein kleines Kind. Vielleicht war ich das auch in seinen Augen. Aber schön. Hauptsache ich verstand das System hinter diesen Münzen. „Ich denke schon. Wobei es nicht schwer zu verstehen ist, das Gold mehr wert ist als Silber.“ Ich versuchte, mir so gut es ging die Münzen einzuprägen, denn obwohl sie vor mir auf dem Tisch lagen, traute ich mich nicht, sie auch noch wie ein neugieriges Kleinkind anzufassen. „Die hier könnte für dich noch wichtig werden...“ Obwohl ich davon ausgegangen war, dass der Aureus die letzte Münze war, legte mir Cassius noch eine weitere hin, die ich doch etwas verdattert ansah. Davon hatte mir sein Hauslehrer nichts gesagt. Woraus war diese Münze? Aus Platin oder Diamant? Nein, Diamant konnte man nicht zu einer Münze prägen, Unsinn. „Die Währung der Allianz der sieben Meere. Wenn du nach Sindria willst, solltest du sie vielleicht mindestens einmal gesehen haben.“ Sindria hatte auch eine eigene Währung? Oh Gott das war zu viel. Kou hatte seine eigene Währung, Balbadd, Reim, Sindria... „Was für Währungen gibt es denn noch?“ Ich bemühte mich, nicht ganz so ängstlich zu klingen, wie ich es wohl tat, aber es war doch eine interessante Frage. Wenn Cassius mir diese Frage beantworten konnte, dann war ich vielleicht doch nicht ganz so verloren. „Ich habe noch etwas Geld aus Magnostadt und etwas aus Aktia.“ Erneut legte mir Cassius bei den genannten Orten die entsprechende Währung hin, so dass der Tisch, abgesehen von Dinar und Huang nun wohl jede Münze liegen hatte, die es hier im Magi Fandom gab. „Das ist ja fast wie Zuhause...“, nuschelte ich leise und grinste innerlich. Zwar hatte das Magi Fandom nur eine Sprache, über die man sich verständigte, aber selbst in Sachen Währung war man sich hier nicht einig. Ein schwacher Trost. Allerdings hatte ich hier auch die Chance, wirklich jede Währung mal benutzen zu dürfen, vorausgesetzt, ich verdiente mir erst ein wenig davon. Aber schön, dass sollte das kleinste Hindernis sein. Drei Währungen hatte ich ansatzweise in den Händen gehalten, damit war ich doch schon auf einem guten Weg. Die vierte würde in Sindria dazu kommen. „Danke für diese Ausführungen. Ich denke, ich verstehe das alles nun besser als vorher.“ Ein letztes Mal sah ich mir jede einzelne Münze an, bevor Cassius diese zurück in seinen Geldbeutel steckte und diesen unter seiner Toga verschwinden ließ. Nur kurz flammte die Frage auf, ob Diebe, sollten sie es sich wagen Cassius zu bestehlen, etwas mit seinen Münzen anzufangen wussten. „Du solltest dich noch einmal umsehen, ob du alles hast. Wir brechen bald auf.“ Als wollte er mir damit einen weisen Rat auf den Weg geben, erhob sich Cassius von seinem Platz. Ich nickte und überlegte, einen kurzen Moment, bevor ich einen Entschluss fasste.   **~~**   Als wir am frühen Nachmittag wieder aufgebrochen waren, war ich mir schon im klaren gewesen, dass ich nicht so schnell ein weiches Bett als Nachtlager bekommen würde. Allerdings war dies in Anbetracht der Tatsache, dass ich nun, bis auf zwölf Dinar und vier Sesterzen kein Geld mehr hatte, mein kleinstes Problem. Sicher, man könnte meine Entscheidung, das Meiste meines Startkapitals doch noch auszugeben, als falsch ansehen, da ich nicht einmal wusste, wie teuer die Überfahrt nach Sindria werden würde, allerdings konnte mir auch keiner garantieren, dass 30 Dinar oder mehr für eben diese gereicht hätten. In Anbetracht der Tatsache, dass unsere Reise noch über eine Woche dauern würde, konnte zu diesem späteren Zeitpunkt ein Ticket für mich, in Dinarhöhe, unerschwinglich sein. So gesehen war es cleverer, sie in etwas zu investieren, dass vielleicht in gewisser Weise nützlich sein konnte. So hatte ich meine Vorräte doch noch aufgestockt und mir mit dem ersten Band von Sinbad dem Seefahrer etwas Gutes getan. Gestärkt zog ich also mit der Karawane, zu der leider Gottes immer noch der balbaddische Händler gehörte, weiter in Richtung meines Zieles. Die Sonne brannte nicht mehr so heiß, auch wenn die Luft unerträglich erhitzt von dieser war. Unter Cassius Führung wurden allerdings nicht mehr viele Pausen eingelegt, nur genug, damit niemand wegen Dehydrierung zusammenbrach und unsere Reise so ungewollt zum Stillstand kam. Erst, als die Sonne wieder kurz davor stand, unterzugehen, hatten wir unseren Rastplatz erreicht, der erneut unter freiem Himmel war. „Spannt die Pferde von den Karren und entladet die Kamele. Wir brauchen Wasser. Die Zelte müssen wieder aufgebaut werden...“ Mit wenigen Worten hatte Cassius zusammengefasst, was erneut die Aufgaben des Abends waren. Wie schon am Tag zuvor gab er niemanden genaue Anweisungen, wer was zu tun hatte, doch anders als am vorherigen Tag, hatte ich meine Aufgabe für mich gefunden. Unter aller Vorsicht befreite ich die Pferde von ihren Karren und bereitete ihnen, mit Hilfe von Chen, das Abendessen vor, welches aus einem Säckchen Futter bestand. Irgendwie erbärmlich, dass sie sich nach all der harten Arbeit nur mit jeweils einem Säckchen Futter abgeben mussten, aber gut, ich hatte ja doch noch eine kleine Belohnung für sie. Nur zu gut achtete ich darauf, dass Cassius es nicht bemerkte, als ich den beiden noch jeweils ein Äpfelchen in den Futtersack legte. Es blieb auch dieses Mal unser kleines Geheimnis. Als die Pferde versorgt und von ihrem Geschirr befreit waren, kümmerte ich mich nur noch um die Karren, die ich mit Holzpflöcken vor den Rädern sicherte. Zumindest imitierte ich das von den Wagen der anderen, auch wenn mir nicht ganz klar war, warum man dies auf einer flachen Ebene tun sollte. Aber gut, ich war bei so etwas nicht die Expertin. Ich hatte meine Karren schneller gesichert, als erwartet, und überließ Chen die Begutachtung, ob ich auch alles richtig gemacht hatte. Ein Nicken zeigte mir, dass es gut war. Damit war meine Aufgabe für diesen Tag erledigt. Ich war auch nicht die einzige, die bereits ihre Aufgabe beendet hatte. Varius und der andere Wächter hatten bereits die Kamele entladen, Hinata und Chen die Zelte aufgebaut und in der Ferne hörte ich Panthea und Nel, die von ihrer Wassersuche zurückkamen. Damit konnte die gesellige Runde beim Abendessen also stattfinden. Ein Abendessen, welches mir vom Abend zuvor noch sehr gut vertraut war. Es gab erneut den geschmacklosen Brei mit Obst zum Nachtisch. Ich wollte mich aber nicht beschweren und ließ den Brei dieses Mal auf meiner Zunge zergehen. Nachdenklich blickte ich dabei in die Flammen und versuchte auch nur einen Funken Geschmack herauszubekommen, aber da war einfach nichts. Ideal eigentlich, um daraus mal etwas zu machen. Vielleicht mit etwas Zucker, oder Honig oder derart. Dann konnte es ein guter Milchreis-Ersatz sein. Oder man aß dazu Bratgemüse. Da der Brei geschmacklos war, würde er den Geschmack von Beilagen oder Fleisch nicht korrumpieren. Natürlich musste unserer Reiseführer auch damit einverstanden sein, oder Tacita. Sonst wäre diese Überlegung reichlich sinnlos. Und Fleisch war, dass hatte ich in der Karawanserei gelernt, nicht billig. Da fragte ich mich wirklich, wie Sadiq immer wieder an so exotische und vor allem kostspielige Dinge gekommen war. In Anbetracht der Tatsache, dass die Soldaten Balbadds unser Heim gestürmt hatten, war es da vielleicht doch nicht so abwegig, dass er ein Dieb gewesen war. Nur, wie sollte Assad einen Dieb kennenlernen? Und warum waren die beiden einander so vertraut? Fragen über Fragen, auf die ich wohl keine Antworten bekommen würde. Zumindest nicht so schnell, denn in nächster Zeit würde ich sicher nicht mehr nach Balbadd zurückkehren. „Da Tiberius verletzt ist, brauchen wir heute jemanden, der mit Varius Wache hält. Freiwillige dürfen gerne vortreten.“ Als Cassius Stimme sich über das Geschnatter der anderen erhob, wurden meine Sinne wieder in die Realität zurück geholt. Ich horchte auf und sah zu Tiberius, der angesäuert seinen Blick von der Gruppe abwandte und nur deutlich zeigte, dass ihm diese Entscheidung nicht gefiel, er sie aber wohl akzeptieren musste. Er war also der Abendpinkler gewesen. „Ich mach es!“ Ohne groß darüber nachdenken, hob ich meine Hand und sah zu Cassius. Im Gegensatz zu den anderen schien er nicht überrascht, allerdings war es nur schwer überhaupt eine Gefühlsregung aus seinem Gesicht ablesen zu können. „Dir ist klar, dass du die ganze Nacht wach bleiben musst?“, fragte Cassius noch einmal nach, wobei ich eher das Gefühl hatte, dass er mir damit den Job madig machen wollte. Da hatte er sich aber gehörig getäuscht. Mir konnte man so eine Nachtschicht nicht madig machen. Auch wenn ich den Tag über nicht viel geschlafen hatte, würde mir diese eine späte Schicht doch nichts ausmachen. Umso besser könnte ich dann am nächsten Abend schlafen. „Ich bin Arbeit am späten Abend gewohnt und habe auch kein Problem damit, die ganze Nacht über wach zu bleiben. Also ja, mir ist klar, dass ich die ganze Nacht wach bleiben muss.“ Nein, mich würde Cassius nicht von dieser Aufgabe abbringen, wenn ich sie schon freiwillig machte. Noch dazu war ich munter genug. Warum sollte ich also nicht die Nachtwache probieren? Vielleicht entpuppte ich mich ja als Naturtalent darin. „Na schön. Ihr anderen geht heute früh schlafen. Wir brechen morgen frühst möglich auf.“ Die anderen nickten verstehend auf Cassius Worte, mir hingegen warfen einige von ihnen, besonders Hinata, misstrauische Blicke zu. Wahrscheinlich glaubten sie nicht, dass ich diese Nachtschicht überstand, oder auch nur helfen konnte. Die Aufgabe bestand schließlich darin die Schlafenden zu wecken, wenn ein Angriff nahte. Nur weil ich aus meiner sicheren Welt stammte, hieß es nicht, dass mir das Prinzip der Nachtwache nicht bekannt war.   Wie ich es mir schon am Abend zuvor gedacht hatte, schnitzte Varius während seiner Wache. Das Feuer knisterte hörbar und auch die Geräusche der Schlafenden waren zu vernehmen. Den einzigen, den ich nicht hören konnte, war Cassius, auf dem mein Blick ruhte. Wieder lag er nahe am Feuer statt in seinem Zelt bei seinem Hauslehrer, der erneut im Schlaf über Politik und Cassius lamentierte. Anders als aber am Abend zuvor, gab es keine Grille die zirpte, sodass es wirklich totenstill war und man eine Stecknadel auf Steinboden fallen hören würde, wenn auch nur eines von beiden hier gewesen wäre. Da das Feuer genug Licht spendete, hatte ich mir die gekaufte Schriftrolle geholt und mich in Sinbads Abenteuer vertieft, während meine anderen Sinne, bevorzugt meine Ohren, geschärft blieben und imaginär bei jedem Lager-uneigenen Lauten zuckten. „Lesen bei der Arbeit, wenn Cassius das sehen würde...“, begann Varius schließlich. Seine Stimme war gedämpft, so dass er die Schlafenden nicht wecken würde. „Er weiß es wahrscheinlich... Sicher riecht er das Papier...“, flüsterte ich selbst gedankenverloren in der Schrift vertieft. Richtig. Vielleicht roch er es wirklich. „Du meinst... so wie wir deine Verletzung gerochen haben?“ Verwundert sah ich von dem „Buch“ auf und sah zu Varius, der mich breit angrinste. Sein Gesicht war in orange-rötlichen Farben getaucht, dank des Feuers, und ließen selbst seine Haare, die wie Cassius einen seltsamen Rotstich im Blond hatten, in kräftigeren Rottönen leuchten. „Wir?“, fragte ich leise, woraufhin sich Varius zu mir rüber beugte, so wie am Abend zuvor, als ich die Geschichte von Romulus und Remus erzählt hatte. Das war wirklich merkwürdig gewesen aber... Ich verstand auf einmal, wer „Wir“ waren. „Wie habt ihr das bitte gerochen? Nicht einmal ich habe gemerkt, dass die Wunde etwas aufgegangen war.“ Die Neugier hatte mich gepackt und Varius nahm wieder genügend Abstand zu mir. „Gute Veranlagung. Manche Dinge sterben eben nicht aus, auch wenn das Blut des Ursprunges dünner wird. Aber das ist auch ganz praktisch, man riecht das Räuberpack meilenweit gegen den Wind.“ Fragend hob sich bei mir eine Augenbraue, als Varius etwas von guten Veranlagungen sagte. Ich wusste ja, dass Menschen ein feines Gehör haben konnten, oder empfindliche Geschmacksnerven, gute Augen und so weiter. Aber eine so feine Spürnase, dass sie selbst einen Hund Konkurrenz machen konnte? Gab es so etwas? „Wie du hast es immer noch nicht verstanden?“ Ich schüttelte auf Varius Frage den Kopf. Was sollte ich bitte nicht verstanden haben? Hatte er mir irgendeine geheime Botschaft über seine Worte versucht mitzuteilen? „Ahhh... Cassius hat Recht und das gebe ich nicht gerne zu. Du bist wirklich wie ein kleines Kind, dass neu auf diese Welt gekommen ist.“ War das nun eine Beleidigung? Wobei, recht hatte er. Ich selbst fühlte mich auch wie ein Kind, das alles erst einmal von Grund auf neu lernen musste. Zu schade, dass die Umstände dafür nicht gerade das beste Umfeld waren. „Da habt ihr Recht... Ich bin wie ein Kind... meine Unwissenheit stört mich auch und es tut mir Leid, wenn ich euch mit meinen Fragen belästige und es auch in Zukunft machen werde. Ich will so viel wie möglich über diese Welt lernen, damit ich mich unauffällig eingliedern kann. Zumindest solange, bis ich einen Weg nach Hause gefunden habe.“ Ich rollte die Schriftrolle von Sinbads Abenteuer zusammen und starrte in das Feuer. Wie viel konnte ich diesen Menschen hier anvertrauen? Konnte ich ihnen vertrauen? „Ich komme von weiter weg und weiß nicht einmal, wie ich in Balbadd gelandet bin. Auf einmal war ich da, an diesem fremden Ort und musste mir ein neues Leben aufbauen. Ich verdanke es nur der Gutherzigkeit meiner Mitmenschen, dass ich einen ganzen Monat überleben konnte und nun bin ich gezwungen diese vertraute Umgebung zu verlassen und eine Reise ins Ungewisse zu beschreiten. Auch wenn ich mir Sindria selbst als Ziel gewählt habe, muss ich gestehen, dass ich doch Angst habe. Angst, dass ich es aus eigener Kraft nicht weit schaffe, dass meine Fähigkeiten nicht reichen. Jeden Tag, wenn ich aufwache, wird mir bewusst, wie wenig ich in meinem früheren Leben eigentlich wirklich gelernt habe. Und das, was ich gelernt habe, bringt mich hier auch nicht viel weiter. Ich muss also von null anfangen und hoffen, dass das, was ich tue reicht, oder ich schnelle Fortschritte mache. Gleichzeitig ist das aber auch alles irgendwie aufregend. In meiner Heimat gibt es nicht so viele Gefahren wie hier. Ich meine, wie haben auch unsere Gefahren wie Mörder und Diebe oder Kriege... Aber hier ist das alles so allgegenwärtig. Anders als bei mir Zuhause, wenn ich es nur übers Hören-Sagen mitbekomme. Hier hingegen steckt man mitten drin. So wie in Balbadd, wo man schneller zur falschen Zeit am falschen Ort ist und plötzlich zum Feind der Rebellen werden kann. Oder zu einem gesuchten Namen bei den Soldaten Balbadds. Alleine durch solche Kleinigkeiten hat man schneller alles wieder verloren, als man glauben mag. Und doch... will ich weitermachen. Ich will mehr lernen, ich will stark werden um irgendwann nach Balbadd zurückzukehren, ohne eine Gefahr für jene zu sein, die mir helfend ihre Hände gereicht haben.“ Es war der unausgesprochene Schwur, den ich geleistet hatte, als ich Balbadd verlassen musste und nun war er mir über die Lippen gekommen und hatte jemanden, der bezeugen konnte, ob ich stark wurde oder an diesem Vorsatz scheiterte. „Dann solltest du vielleicht damit anfangen, indem du vergisst was du kannst oder nicht kannst. Probiere dich aus, entdecke jeden Tag etwas Neues und wenn du eine Schwäche findest, dann nimm sie nicht als Grund aufzugeben, sondern als Herausforderung um diese Schwäche zu überwinden. Niemand wird erwarten, dass du alles auf Anhieb perfekt kannst, solange du unentwegt weiter machst und dich stetig verbesserst.“ Weise Worte eines Mannes der an Frauen schnüffelte, dass musste man Varius lassen. Ich lächelte schweigend und musste mir selbst eingestehen, dass er Recht hatte. Vielleicht sollte ich einfach vergessen was ich konnte und was nicht. Einfach von vorne anfangen, komplett, ohne Druck oder Ballast. Für diese Welt, wäre das vielleicht sogar der passendere Einstieg für mich gewesen. „Nah. Ich erinnere mich lieber daran, was ich kann. Zum Beispiel kann ich kochen wie kein anderer. Lust auf einen Mitternachtssnack?“ Ich grinste Varius vielsagend an und erhob mich. Der Wächter schien zu verstehen und erwiderte mein Lächeln, welches ich als ein Ja deutete. Vorsichtig und ohne die anderen zu wecken, ging ich zu meinem Reisegepäck und kramte den Sack Reis hervor. Es war Zeit für ein paar Onigiri. Kapitel 11: Karawanserei ------------------------ Varius hatte sich doch als ein sehr angenehmer Kollege entpuppt. Auch wenn er gut Dreiviertel der gemachten Onigiri selbst aß, machte es Spaß mit ihm zu reden und zu scherzen, sodass es schwer fiel, auch nur eine Sekunde an Schlaf zu denken. Doch nicht das man nun glaubte, dass wir unsere Aufgabe vernachlässigten. Wir achteten schon auf unsere Umgebung und mussten uns dabei daran hindern nicht in schallenden Gelächter auszubrechen, als Hinata wieder nach Chen trat und dieser sich aus Instinkt heraus wegrollte, wobei er Nel um seinen Platz bestahl. Sonst war die Nacht soweit ganz ruhig und ich war ehrlich erleichtert, dass es keinen Zwischenfall gab, der Varius oder mich genötigt hätte, die anderen zu wecken. „Und da haben wir es geschafft...“, merkte Varius gähnend an, als die Sonne sich über den Zenit erhob und damit ihr strahlendes Selbst ankündigte. „Cassius... können wir uns noch aufs Ohr hauen?“ Ich sah zu Varius, dessen Blick auf Cassius gerichtet war, der sich unter seiner Decke träge bewegte. Zwar hatte ich bemerkt, dass er hin und wieder wach gewesen war, aber das er gerade in diesem Moment nicht schlief, war mir wohl entgangen. „Nehmt den hintersten Karren...“, seufzte Cassius, als er sich gähnend erhob und von seinem Platz aufstand. Fragend sah ich Varius an, der nur verstehend nickte und das Feuer mit etwas Wasser löschte. Scheinbar wurde es nicht länger gebraucht, mal davon abgesehen, dass wir die Spuren unseres Mitternachtsimbisses gut genug eliminiert hatten. Ob Cassius davon wusste? „Wir wecken euch, sobald wir losziehen...“ Seine Stimme klang schon sehr verschlafen, was nur umso deutlicher machte, dass er wohl selbst nicht viel geschlafen hatte. Aber besser, ich sprach ihn nicht darauf an. Immerhin gewährte er mir noch etwas Schlaf. Als mir das bewusst wurde, spürte ich auch sofort, wie müde ich wirklich war. „Also, Erenya... Bist du noch wach genug, oder muss ich dich wie einen Sack über die Schulter werfen und tragen?“ „Fass mich an und du warst lange genug ein Mann...“, murrte ich müde und unüberlegt, während ich mich auf den Weg zum letzten Karren machte. Der Gedanke, dass ich mir das Innere mit Varius teilen musste, kam mir vor lauter Müdigkeit nicht, sonst hätte ich wohl für ein Anrecht auf 'getrennte Zimmer' gepoltert. Doch müde und so gar nicht in der Lage meinen Verstand klar und geschärft einzusetzen, merkte ich das nicht einmal. Ich wollte einfach nur eine Stunde, wenn nicht zwei schlafen, auch wenn das Aufwachen für alle die größte Herausforderung werden würde. Ohne einen der Anderen zu stören, lief ich neben Varius zu dem hintersten Karren, in dem ausschließlich ein paar Stoffe lagen, aber dennoch genug Platz für zwei Personen zum Ruhen war. Draußen hätten Varius und ich wohl nur die anderen gestört, sodass dieser geringe Platz genügte. „Wenn dir kalt ist, kannst du gerne näher rücken“, scherzte Varius, dem ich sofort mit dem flachen Handrücken einen sanften Klaps gegen die gepanzerte Brust gab. „Davon träumst du nachts, Kollege. Wie gesagt, fass mich an und ich kann nicht garantieren, dass du weiterhin ein Mann bleibst.“ Ich kroch in den Karren und machte es mir mit der Blickrichtung zur Wand bequem, den Rücken schön zu Varius gewandt, der sich wirklich in meiner Nähe niederließ. Der Boden unter mir war hart, das Nachtlager eng, ich hundemüde und so kam es, wie es kommen musste. Ich schlief ein und driftete in einen erholsamen Zustand des Schlafes ab.   Varius und mir blieb höchstens eine oder zwei Stunden des Schlafes gegönnt, als Iunia uns weckte. Das Frühstück hatten wir beide ausgelassen, da unsere Mägen sowieso von dem Onigiri-Gelage gefüllt waren, was die Anderen natürlich nicht wussten. Auch wenn ich nicht munter genug war, wollte ich noch schnell meine Pferde vor meine Karren spannen, bemerkte aber, dass mir diese Arbeit abgenommen worden war. „Gute Arbeit gestern“, begrüßte mich Nel, der gerade den letzten Handgriff an meinem zweiten Karren angelegt hatte und mich breit angrinste. „Ich hoffe du konntest noch etwas Schlaf finden und bist wieder bereit, diese Zwei zum nächsten Ziel zu führen.“ Er klang munterer, als ich mich fühlte, was mir nur bewies, dass der Platzmangel, verursacht durch Chen, keine größeren Auswirkungen auf seinen engelsgleichen Schlaf hatte. Dennoch, ich sah ihn einfach nur müde und grummelig an. Wenn ich etwas nach dem Aufstehen nicht leiden konnte, dann waren es freundliche Menschen, die mich von der Seite ansprachen. Abgesehen von Sadiq, der hatte mich nach dem Aufstehen gefüttert, da durfte er das. „Ich dachte...“, wollte ich ansetzen, da ich wirklich verwundert darüber war, dass man mir diese Arbeit abgenommen hatte. So ganz wollte ich das nicht realisieren. „Cassius meinte, dass wir dich schlafen lassen sollen, also habe ich das gemacht. Wenn du Hilfe beim Leiten der Karren brauchst, sag Bescheid. Panthea und ich werden versuchen dir zu helfen.“ Morgenmenschen... wie ich sie hasste. Sie redeten zu viel, waren zu freundlich und überhaupt woher nahm er diese ganze Munterkeit? „Schon in Ordnung. Ich schaffe das irgendwie..:“, merkte ich an und rieb mir noch einmal die Augen, als würde das die letzte Müdigkeit vertreiben. Natürlich war klar, dass es nicht half, aber der Placebo-Effekt ließ es mich wenigstens denken. „Danke für deine Hilfe, Nel. Hast was gut bei mir.“ Auch wenn mir nicht nach Lächeln zumute war, rang ich mir doch eines ab. Man sollte mich nicht für ein Kameradenschwein halten, auch wenn ich eines war. Fakt war eben, dass Teamwork noch nie meine Stärke gewesen war und noch einige Jahre vergehen müssten, damit ich jemals ein Teamplayer wurde. Doch gerade dann, wenn man mir unter die Arme griff, wollte ich nicht so sein, ebenso wie ich Nel nichts schuldig bleiben wollte. Mit Sicherheit fand sich noch etwas, womit ich auch ihm helfen konnte, irgendwann, wenn nicht heute.   Es konnte vielleicht an meiner Müdigkeit liegen, aber im Gegensatz zum Vortag war etwas an diesem Marsch anders. Und damit meinte ich nicht die Pferde, die so wenig wie möglich ausscherten und wirklich brav neben mir herliefen, in einem Tempo das angemessen war. Es war eher der Umgang der Händler miteinander. Der Mann aus Balbadd hatte sich dazu entschieden, dass Schlusslicht zu bilden, sprach kein Wort mit den anderen und schien vor sich hin zu schmollen. Ich fragte mich kurzzeitig, ob ihm Cassius' Entscheidung vom Vorabend immer noch schwer im Magen lag, doch als die Erinnerung wieder erwachte, dass er ganz anders am Lagerfeuer gewesen war, konnte ich das ausschließen. Noch dazu war selbst der Händler aus Kou seltsam ruhig und hielt Hinata und Chen nahe bei sich, so als wollte er nicht, dass sie mit Cassius' Gefolge sprachen. Dabei waren die beiden immer so aufgeschlossen gewesen und hatten das Gespräch mit anderen gesucht. Und Cassius... der war eben ganz Cassius und doch schien eine dunkle Wolke des Zornes über ihm zu schweben. Irgendetwas musste passiert sein, dass die Atmosphäre nun so getrübt war, dass selbst ich mit halbwachen Bewusstsein das bemerkte. 'Vielleicht haben sie einfach schlecht geschlafen, weil ich zur Wache eingeteilt war...' Es war der einzige Gedanke, der noch halbwegs Sinn ergab. Oder auch nicht, aber ich war nicht munter genug um diese Logik zu zerschlagen. Definitiv war es nicht wegen meiner Nachtwache, aber es war immerhin ein besserer Gedanke als weiter über Dinge nachzudenken, die mich wahrscheinlich sowieso nichts angingen. Dennoch, diese Atmosphäre, sie ließ mich einfach nicht los und bereitete mir ein unbehagliches Gefühl. Es wirkte so, als würde die Karawane mit einem Mal auseinanderbrechen und das obwohl wir noch zusammen reisten. Nicht, dass ich um den balbaddischen Händler getrauert hätte, der Typ war mir egal, aber gerade um den Mann aus Kou, dem ich doch einige Sympathien abgewinnen konnte, wäre es schade gewesen. „Die Luft ist heute ganz schön dick, was?“, fragte Varius, der das Ganze wohl ebenfalls mitbekommen hatte und sich zu mir zurückfallen lassen hatte. Ich nickte nur und verzog das Gesicht. Wenn selbst Varius das bemerkt hatte, dann konnte es doch nicht an meiner Müdigkeit liegen, soviel stand fest. „Weißt du was passiert ist? Ich meine, hat Cassius dir etwas gesagt?“ Kurz sah ich zu Varius, der allerdings nur mit den Schultern zuckte. Scheinbar hatte Cassius auch ihm nichts gesagt, so dass wir beide wohl die einzigen waren, die nicht wussten, was während unserem Nickerchen passiert war. „Scheint aber nichts Gutes zu sein. Ich werde bei der nächsten Rast die anderen fragen. Wie ich Cassius kenne, ist sein Temperament wieder mit ihm durchgegangen... Wäre nicht gut, wenn das gegenüber den Andern beiden häufiger passiert.“ Dank Varius verstand ich, dass diese Zweckgemeinschaft doch auf dünnerem Eis stand als gedacht. Zumindest hatte ich dank des Kou-Händlers nie wirklich den Eindruck bekommen, dass er sonderlich abgeneigt gegenüber Cassius' Plänen war. Vielleicht verbarg er seine eigenen Intentionen aber auch besser als der Mann aus Balbadd. Jedenfalls wurde mir zum ersten Mal bewusst, in was für einer zerbrechlichen Gemeinschaft ich mich befand. „Hoffen wir, dass sie das, was auch immer vorfiel, schnell vergessen... Wobei... was würde passieren, wenn die anderen beiden plötzlich abspringen?“, fragte ich Varius und sah zu ihm, der kurz zu den andern beiden Händlern sah. „Mh... Ich bezweifle, dass sie abspringen. Diese Gruppe bedeutet Sicherheit, allerdings wenn sie sich uneinig sind und jeder plötzlich seinen eigenen Kopf durchsetzen will... wird diese Reise sehr unangenehm. Unter Umständen könnte uns das auch Tage im Zeitplan zurückwerfen.“ Ich verzog das Gesicht und grummelte innerlich. Das wäre natürlich noch suboptimaler gewesen, als wenn die beiden Händler einfach die Gruppe verlassen hätten. Da ich so schnell wie möglich nach Sindria wollte, konnte ich eine Verzögerung nicht dulden. Allerdings würde ich wohl kaum etwas an der aktuellen Lage ändern können. Mir blieb wohl nichts anderes übrig als zu hoffen, dass sich die Händler wieder einig wurden, worum es auch immer im Augenblick ging. „Hey, solltest du noch einmal die Nachtwache übernehmen wollen, ich kann Tiberius gerne noch einmal in die Büsche schicken.“ Varius hatte scheinbar gemerkt, wie schwer der Gedanke einer Reiseverzögerung bei mir lag, sodass er sich wirklich Mühe gab mich aufzumuntern. Ich konnte nicht anders als zu lachen, denn wenn man es recht bedachte, war ja allein Tiberius Schusseligkeit beim Pinkeln der Grund, warum Varius und ich Onigiri-Kumpel geworden waren. „Gerne, so eine Nachtschicht hat wirklich etwas angenehmes. Du kannst mir dann ein paar deiner Geschichten erzählen, damit ich die Legende des großen Varius in die Welt hinaustragen kann.“ Auf einmal war die Atmosphäre vergessen, die sich zwar für mein Umfeld nicht auflockerte, aber sie erdrückte mich dank den Witzeleien mit Varius nicht mehr. Im Gegenteil, es war befreiend über unsinnige Sachen zu reden und zu lachen.   Die Karawanserei, die wir dieses Mal erneut gegen Mittag erreichten, erschien mir wie eine Rettungsinsel, auch wenn ich mich wunderte, warum schon wieder so ein Ding auf unserem Weg lag. Die letzte hatten wir immerhin am Tag zuvor besucht und ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell noch eine sehen würden. Oder waren wir im Kreis gelaufen und es war die letzte vom Vortag? Nein, dass bemerkte selbst ich, denn die Wachen, die hier positioniert waren, trugen nicht dieselbe Kleidung wie die Wachen aus Balbadd. Oder die der letzten Karawanserei. Es war also ein gutes Zeichen. „Wir rasten hier. Ruht euch also zur Genüge aus, bevor wir weiterziehen.“ Ich muss gestehen, aufgrund meiner Müdigkeit hatte ich nichts dagegen, wenn ich nun etwas ruhen konnte. Vielleicht fand ich sogar noch ein Plätzchen, um ein sicheres Nickerchen zu machen. Um die Wagen machte ich mir keine Sorgen, da Tiberius bereits Stellung bezogen hatte. Scheinbar ging es ihm nun gut genug, sodass er über diese wachen konnte, während Varius auch noch eine gute Portion nötigen Schlafes einholte. Die Frage war nur, wo dieser sich niederlegen würde? Ob er die Wagen bevorzugte, oder sich einen angemessenen Platz in der Karawanserei suchte. „Du.“ Ich hatte meine Hände gerade von den Lederriemen gelöst und den Pferden mit einer lobenden Geste meine Dankbarkeit für ihre Kooperation mitgeteilt, als Cassius bei mir stand und mich erneut mit diesen ernsten, dunkelblauen Augen fixierte. „Was gibt es?“, fragte ich, denn sein Tonfall schien eher darauf hinzudeuten, dass ich etwas falsch gemacht hatte und er mir nun eine Standpauke halten wollte. Mein Kopf lief bereits Amok und überlegte, was ich während unseres Marsches getan hatte. War es vielleicht falsch gewesen mit Varius ein Schwätzchen zu halten? „Hier, dein Lohn von gestern.“ Cassius hielt mir die Faust entgegen und ich öffnete meine beiden Hände, in die prompt acht Messingmünzen fielen. Katsching. Zwei Denar für meine Arbeit. Das war doch mal nicht schlecht. Vor allem war es sehr erfreulich, da ich nun drei Denar hatte. Noch ein paar Tage mehr und ich konnte vielleicht auch einen Aureus mein Eigen nennen. Dafür fehlten ja nur noch 22 Denar. Oder anders gesagt ich brauchte noch 88 Sesterze um den Wert einer Goldmünze zu besitzen. 'Kinderspiel...', dachte ich mir und schallte mich eine Närrin. So viel konnte ich unmöglich arbeiten. Allerdings, gab es da etwas, womit mir Cassius vielleicht doch noch helfen konnte, wenn er denn darauf einging. Etwas, dass sogar wesentlich billiger war. „Cassius, würdet Ihr mir am Ende unserer Reise ein Empfehlungsschreiben geben?“ Mit den Münzen fest in meinen Händen umklammert, sah ich Cassius an. Erneut war keinerlei Mimik in seinem Gesicht zu lesen, was mich zweifeln ließ, ob meine Forderung vielleicht nicht doch zu dreist war. Aber je mehr Empfehlungsschreiben ich hatte, desto mehr Erfahrungen und Eignungen konnte ich in Sindria einem zukünftigen Arbeitgeber demonstrieren. Das war doch nur logisch und selbst Cassius sollte das verstehen. Cassius antwortete aber nicht, sondern sah mich einfach nur an. Vielleicht reichte das, was ich tat, auch nicht für ein Empfehlungsschreiben. Immerhin hatte ich bei Assad und Ameen mehr als nur zwei Wochen verbracht und hatte meine festen Aufgaben gehabt. „Natürlich nur, wenn meine Leistung empfehlenswert sind...“, setzte ich verunsichert wegen seines Schweigens nach. Plötzlich hatte ich das Gefühl mich mit meiner Forderung doch etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt und um etwas gebeten zu haben, was zu viel verlangt war. Schließlich bezahlte Cassius mich ja schon, obwohl das auch nicht hätte sein müssen. „Danke für die Entlohnung meiner Arbeitskraft.“ Um meine Worte zu unterstreichen, bedankte ich mich für das Geld, lief aber an Cassius vorbei in Richtung des Karren, in dem mein Reisegepäck mit meinem Geld stand. Ich kramte den Geldbeutel hervor und ließ die Münzen darin verschwinden, bevor ich diesen so weit wie möglich in die Tiefen des Gepäcks verstaute und das Reisegepäck wieder mit mir nahm. Irgendwie konnte ich mein Gepäck einfach nicht hier belassen auch wenn Tiberius die Wache übernahm. Irgendwo in mir lebte dieser Funken Misstrauen, den die Anderen wahrscheinlich auch mir gegenüber verspürten. Nach zwei Tagen konnte ich auch nicht allzu viel erwarten. Meine Forderung Cassius gegenüber war damit schon ziemlich dreist gewesen, aber wie gewohnt bemerkte ich das erst jetzt, nachdem ich das Geschehene nicht mehr rückgängig machen konnte.   Wie schon in der Karawanserei vom Vortag, war es auch hier gut besucht. Ich fragte mich, ob der Vorfall aus Balbadd selbst bis hier vorgedrungen war. Oder vielmehr, wo wir waren, damit ich eine logische Erklärung für diese Anhäufung an Menschen fand. Sicher, einige waren hier angestellt, aber doch nicht alle. Dennoch zogen diese fremden Menschen um mich herum an mir vorbei, ohne, dass ich diese wirklich wahrnahm. Erneut schlich die Müdigkeit sich in meine Glieder und schrie nach dem nächstbesten Bett, welches mir aber bis zum Abend verwehrt bleiben würde. Ich konnte nur jetzt meinen Körper etwas Ruhe geben, ohne Schlaf. Danach würden wir weiterreisen, bis wir erneut unter dem freien Sternenhimmel kampierten. Wahrscheinlich würde ich dieses Mal auf das Abendessen verzichten und einfach sofort mein Nachtlager beziehen, nachdem ich den Rest meiner Aufgaben erledigt hatte. Ich wusste nicht, wohin ich hier ging. Anders als am Vortag hatte ich kein Ziel. Überall hörte ich Lachen, oder Gespräche, die ich besser nicht weiterverfolgte, weil es mich nichts anging. Wobei ich doch schon zu der neugierigen Sorte Mensch gehörte, die lauschte und sich dann auch noch eiskalt einmischte, wenn ich das Gefühl hatte es besser zu wissen. Dafür hatte mir eine Kollegin auf Arbeit schon gehört den Marsch geblasen. Gott wie ich diese Person hasste. Ich schrak zusammen, als ich auf einmal einen Zug an meinem Gepäck spürte. Nicht nur den Zug, sondern auch eine Hand die ich durch den Stoff des Gepäcks wahrnahm. Jemand wühlte in meinen Sachen und blieb dabei nicht sonderlich diskret. Verdammt. Ich ließ das Reisegepäck etwas sinken, so dass ich dieses mit mir drehen konnte. Ich hörte etwas klappern, eindeutig von etwas, das auf den Boden fiel. Mein Blick glitt hinab und ich erkannte die Sonnensalbe, die mir Suleika gegeben hatte. Das Töpfchen war zu Boden gefallen, scheinbar hatte ich den Angreifer bei seinem Vorhaben gestört, oder ihn massiv behindert. Mein Blick richtete sich in die Richtung, in der dieser Dieb sein sollte, doch dort waren nur die Menschenmengen an die ich mich gewöhnt hatte. Der Angreifer war sicher in der Menge untergetaucht, sodass es mir unmöglich gewesen wäre, ihn oder sie auch noch zu finden. Mein Herz klopfte wie wild, als ich das Töpfchen aufhob und mein Reisegepäck fest an mich drückte, so als drohte mir gleich der nächste Angriff. Ob der Dieb etwas bekommen hatte? Ich musste sicher gehen, weswegen ich mich abseits von den Menschenmassen niederließ, an einer Stelle, die ich für sicher erachtete. Sofort zog ich den Rucksack vollständig auf und kramte in der Tasche. Das Geld war noch da, die Kleidung... Die Salbe auch noch. Es fehlte wirklich nichts, was mich ehrlich gesagt erleichterte, bis ich die Empfehlungsschreiben von Assad und Ameen sah. Ich hatte diese beiden Briefe vollkommen verdrängt und fragte mich zum ersten Mal, was darin stand. Waren beide mit meiner Arbeit zufrieden gewesen? Vor allem Assad, der immer so ein strenges Gesicht gemacht hatte? Noch dazu... ich hatte mich gegen seine Freunde von der Nebelbande gewandt. Vielleicht... Nachdenklich sah ich auf den Brief. Sollte ich ihn lesen? Durfte ich das? Was würde mein zukünftiger Arbeitgeber davon halten, wenn er bemerkte, dass diese Zeilen schon einmal gelesen worden waren? Wobei, wenn jemand anderes es las... Zum Beispiel Cassius... nein. Das konnte ich ihn unmöglich fragen, auch wenn er so gesehen mein derzeitiger Arbeitgeber war. Er hätte also schon das Recht zu erfahren, was mein alter Chef dachte. Mein Herz schlug wie wild, als ich auf den Brief sah. Was hatte Assad zu sagen? Wie sah er mich als Person, als Angestellte? Dieser Brief war die einzige Möglichkeit zu erfahren, was er seit einem Monat über mich dachte und doch hätte ich das lieber aus seinem Mund erfahren. Die Wahrscheinlichkeit ihn aber jemals wieder auf so ebenbürtige Weise wie zum Anfang zu begegnen, waren schwindend gering. Sollte ich jemals die Chance haben, zurück nach Balbadd zu kommen? Der Schock über den versuchten Diebstahl war schnell in Vergessenheit geraten, als ich auf die Briefe sah und mich an die Zeit im Freudenhaus zurückerinnerte. Es war nicht zu glauben, dass es so schnell vorbei gewesen war. Genau wie ich es zu Varius gesagt hatte. Verdammt, warum ging mir das nur näher als mein Verschwinden aus meiner Welt? Wieso? Irgendwo in meinem Hinterstübchen ratterte es wieder. War ich meine Welt wirklich so leid gewesen, dass es mir egal war, keinen meiner Freunde wiederzusehen, mit ihnen zu schreiben oder meine Mutter damit aufzuziehen, dass sie so unglaublich schlank war? Wie undankbar war ich eigentlich, mehr wegen einen wildfremden Mann zu jammern als über den Verlust der Person, die mir das Leben geschenkt hatte? Das war doch alles absurd! Noch weniger passte es zu mir. Ich war ein Mensch, der schnell jene vermisste, die ihm am Herzen lagen. Warum aber verdammt nochmal nicht die Menschen aus meiner Welt? Ich atmete tief durch. Was brachte es, jetzt in diese Art des Selbsthasses zu verfallen? Ich würde mich sicher nicht einfach so in die Ecke setzen und in ein Schneckenhaus verkriechen. So würde ich zumindest nicht nach Hause kommen. Aber... War Sindria der richtige Ort? Der Ort, der mich zu dem Ziel meiner Heimkehr bringen würde? Oder wollte ich nur nach Sindria um meine Heimkehr zu sabotieren? Kou wäre doch viel logischer gewesen, wenn dort diese Berater waren. Ob ich von hier nach Kou kommen konnte? 'Du darfst das Ziel nicht aus den Augen verlieren.' Ich seufzte leise, als mich diese innere Stimme im Kopf zur Zielstrebigkeit mahnte. Es war dieselbe Stimme, die mich in meiner Welt davon abhielt, mich vor den nächstbesten Bus zu werfen, wenn meine Depression mal wieder ihr böses Antlitz zeigte. Verdammte Stimme der Vernunft. Aber was war mein Ziel, abgesehen davon, dass ich nur nach Sindria wollte. Ich hatte für meine Ankunft dort noch keinen Plan. Und wahrscheinlich danach auch kein Geld mehr. 'Du hast es dir vorgenommen nach Sindria zu gehen, also steh das jetzt durch!' „Weißt du, dass ich dich hasse?“, nuschelte ich zu der Stimme in meinem Kopf gewandt und ich hätte schwören können, dass ich vor meinem geistigen Augen ein Ebenbild von mir lächeln sah, dass antwortete mit: „Ich weiß.“ Also Sindria. Erneut. Ich kam wohl nicht umhin dieses Ziel weiter zu verfolgen und dadurch noch ein paar mehr Tage bei der Karawane zu bleiben.   Kurzzeitig hatte ich das Gefühl in einer Zeitschleife gefangen zu sein, als ich Cassius suchte und ihn schließlich zusammen mit dem Händler aus Balbadd über eine Karte sitzen sah. Nur dank der Anwesenheit des Händlers aus Kou war mir klar, dass die Zeitschleifentheorie vollständig hinfällig war. „Mh... Egal welchen Weg wir nehmen...“, hörte ich von dem Händler aus Kou, allerdings waren seine Worte nicht ganz verständlich, da sie unter dem aufgeweckten Geschwätz anderer Gäste, überwiegend Händler, unterging. „Wir sollten hier bleiben und darüber nachdenken.“ Je näher ich den Männern kam, desto deutlicher wurden ihre Worte aber, sodass ich ein Thema verstand, welches definitiv auch am Vortag thematisiert worden war. Die Übernachtung hier in der Karawanserei. Nach dem Angriff des Diebes wollte ich hier aber unter keinen Umständen bleiben. Sicher sah es Cassius genauso. „Wir sollten die Hauptstraße nehmen.“ Es schien fast so, als hätte Cassius den balbaddischen Händler übergangen. Er kam sofort wieder zu dem Thema, über dass die drei Männer scheinbar ausgiebig zu diskutieren hatten. „Aber, Cassius, hört doch. Die Hauptstraße ist nicht sicher. Mir haben die Wachen hier erzählt, dass in letzter Zeit vermehrt Räubergruppen die Reisenden angreifen. Das ist ein zu großes Risiko, welches wir nicht eingehen sollten. Diese Straße hier nach Norden ist viel sicherer.“ Von einer sicheren Entfernung beobachtete ich, wie der Händler aus Kou mit seinem Finger über die Karte fuhr und scheinbar eine Strecke damit zeigte. Doch kaum das Cassius diesen Weg sah, verfinsterte sich sein Blick noch mehr als gewöhnlich. „Unter keinen Umständen werden wir diesen Weg nehmen“, grollte er und lehnte damit ohne Begründung den Weg des Kou-Händlers ab. „Junge, langsam ist Schluss mit diesen Spielchen. Unsere Waren sind viel zu wertvoll, als dass wir sie irgendwelchen Räubern auf dem Silbertablett servieren. Ich bin ebenfalls für diesen Weg.“ Nun mischte sich auch der balbaddische Händler in das Gespräch ein, etwas, dass Cassius ganz und gar nicht gefiel. Damit war er wohl überstimmt und es gab keine Möglichkeit, dass Cassius sich da noch durchsetzen würde. „Wie ich bereits am Morgen sagte, werden wir diese Straße nicht nehmen. Mir gefallen die Ansässigen nicht. Die Rastorte sind auch zu sporadisch. Die Hauptstraße mag zwar gefährlicher erscheinen, aber sie liegt in einem besseren Klima.“ Am Morgen? Aus dem Gespräch heraus hörte ich, dass diese Diskussion scheinbar schon am Morgen, während ich geschlafen hatte, geführt worden war. Auch wenn die Situation jetzt noch nicht ganz so aufgeheizt wirkte, konnte ich mir doch vorstellen, dass eben jene Diskussion am Morgen hitziger gewesen war. „Cassius, wir verstehen, dass Ihr Rücksicht auf die Anderen nehmen wollt, aber... Wir verstehen Euch, wirklich. Die Straße im Norden mag berüchtigt sein, vor allem weil Quishan nahe ist, aber sie ist sicher. Hört doch auf unsere Erfahrung. Ich bin diese Straße schon mehrere Male gereist und es gab nie größere Komplikationen.“ Der Händler aus Kou lächelte Cassius beruhigend, fast schon väterlich an. So manch anderen hätte er damit sicher um den Finger gewickelt, aber Cassius blieb hart. „Nein!“ Seine Faust fand ihren Weg schmetternd auf den Tisch, etwas das die Aufmerksamkeit einiger anderer Gäste auf dieses Dreiergespann zog. Das Lächeln des Kou-Händlers schwand und wich einem verbitterten Ausdruck. „Sei nicht so kindisch, Junge! Du kannst nicht denken immer deinen sturen Kopf durchzusetzen. Hör gefälligst auf jene, die mehr Erfahrungen mit solchen Reisen haben als du.“ Ohne ein Wort zu sagen, erhob sich Cassius von seinem Platz. Er schien nicht gewillt zu sein, noch länger diese Diskussion zu führen. Immerhin konnten sich diese drei nicht einig werden. „Schlaf heute Nacht darüber. Bevor wir uns nicht einig sind, lohnt sich die Weiterreise sowieso nicht.“ Schweigen machte sich breit. Dennoch war die Atmosphäre erneut so gespannt wie am Morgen, als Cassius ohne ein weiteres Wort den anderen beiden Händlern den Rücken kehrte. Wie angewurzelt blieb ich an der Stelle stehen und sah den jüngsten Händler auf mich zukommen. „Sag den anderen, dass sie die Tiere unterstellen sollen. Wir bleiben heute Nacht hier.“ Seine Stimme schien wie ein deutlicher Windhauch an mir vorbeizuziehen. Er blieb nicht einmal stehen, als er mir die Anweisung mit auf den Weg gab. Nachgegeben. Cassius hatte einfach so nachgegeben und dem balbaddischen Händler den Willen eines Bettes gelassen? Warum? Ich verstand es nicht, denn schließlich hatte er sich am Tag zuvor so vehement dagegen gewehrt. Hatte Cassius etwa zum Wohle der Karawane aufgegeben? Würde er dann auch bei seiner Routenplanung nachgeben? Nein, dass konnte ich irgendwie nicht zulassen. Ich meine es war eine Sache, dass er nun dieses Zugeständnis machte, aber bei seiner Reiseroute sollte er sich nicht reinreden lassen. Zielstrebig ging ich zu den Händlern, die immer noch über der Karte saßen und ohne Cassius über den weiteren Verlauf der Reise sprachen. Für sie stand wohl schon fest, dass der junge Händler nachgeben würde. Scheinbar war das eine Selbstverständlichkeit für sie. „Entschuldigen Sie. Darf ich etwas mehr über beide Reiserouten erfahren?“ Ich musste keinen Hehl daraus machen, dass ich dem Gespräch gefolgt war, weswegen ich mich dreist zu den Händlern setzte und auf die Karte vor mir sah. Dem balbaddischen Händler gefiel es offensichtlich nicht, dass ich bereit war, mich in dieses männliche Gespräch einzumischen, aber das war mir egal. Er hatte bei mir sowieso alle seine Sympathien verspielt. Der Händler aus Kou hingegen lächelte freundlich und fuhr mit einem Finger eine Strecke nach. „Das hier, ist die Hauptstraße die Cassius gerne nehmen würde. Sie läuft hier Richtung Osten an der Küste entlang. Der nächste größere Halt wäre die Hafenstadt Bitroun. Früher war diese Strecke sehr sicher, aber seit kurzen machen Meldungen von Übergriffen durch Räuberbanden die Runde. Jeder der diese Strecke also geht, läuft Gefahr angegriffen zu werden. Dagegen ist dieser Weg über Norden sicherer. Er führt zwar an Aza vorbei, aber es gibt nichts was es zu befürchten gäbe.“ Geduldig zeigte mir der Händler aus Kou auch die zweite Strecke, wobei mir recht schnell auffiel, dass sie eher in die Richtung der zentral gelegenen Wüste führte. Mein Augenmerk blieb allerdings auf einem kleinen Punkt hängen, über dem ein Name stand. Quishan. Die Stadt mit dem Dungeon, der Ort an dem Alibaba und Aladdin sich kennenlernten und auf Morgiana trafen. „Wenn ich mir das so ansehe, halte ich keine der Routen für wirklich sicher...“, murmelte ich, woraufhin der Händler von Kou mir doch einen erstaunten Blick schenkte. „Was lässt Euch das denken?“, fragte er nach und fixierte mich mit einem Blick, der mir unsagbar unangenehm war. Er schien darauf zu lauern, dass ich etwas dummes sagte, etwas das er nutzen konnte, um mich zu überzeugen, dass seine Wunschroute die richtige war. „Interessiert Euch nun auch die Meinung des Mädchens? Sie hat doch eindeutig keine Ahnung“, protestierte der balbaddische Händler, doch der Mann aus Kou gebot diesem mit erhobener Hand zu schweigen. „Redet nur. Es wird Euch keiner einen Vorwurf machen.“ Als wollte er mich dazu ermutigen, lächelte er mich an, doch mein Blick ging zurück auf die Karte und fixierte die Wege, welche hier zur Debatte standen. „Nun, wenn ich das richtig sehe, ist die Route die sie gerne gehen würden die Kürzeste. Allerdings führt sie in Richtung der Wüste. Das bedeutet die Tage dort werden ähnlich heiß. Mitglieder dieser Reisegruppe, die das Klima nicht gewöhnt sind, werden Probleme damit bekommen. Noch dazu, heiße Tage bedeuten häufig kalte Nächte. Zu schwunghafte Temperaturen könnten dem ein oder anderen zu schaffen machen. Wenn das, was Cassius noch sagte, stimmt, und die Zwischenstopps eher seltener sind, haben wir zudem noch ein weiteres Problem. Wo soll man in einer trocken werdenden Richtung Wasser finden? Und dann noch der dritte Grund... Der Weg ist meiner Meinung nach zu einfach. Ich habe da kein gutes Gefühl dabei.“ Ich verschwieg einfach mal die Tatsache, dass dieser Weg nicht für mich in Frage kam, da er an Aza vorbeiführte. Ich musste aber nach Aza und wenn die Hauptstraße über eine weitere Hafenstadt führte, konnte ich gleichzeitig an einem früher gelegenen Hafen anfragen, ob ein Schiff nach Sindria fuhr. Eigentlich war die Hauptstraße, selbst mit der offensichtlichen Gefahr mein Favorit. „Du willst doch nur nicht einen Umweg nach Aza machen, Mädchen. Rede nicht so einen Unsinn. Was soll falsch an einem einfachen Weg sein?“ War ja klar gewesen, dass der Händler aus Balbadd sich einmischte. Der Mann hatte wirklich keinerlei Anstand, geschweige den Verstand. Der Händler aus Kou hingegen ließ sich meine Worte wenigstens durch den Kopf gehen. „Was falsch daran sein soll? Nun, auch wenn Sie vielleicht schon Erfahrung mit dem Weg haben, heißt es nicht, dass diese Erfahrungen auch dieses Mal nützlich sein werden. Was wenn genau dieser einfache Weg, den sicher viele andere Händler nun auch einschlagen werden, dadurch zur Gefahr wird? Einer Gefahr, die wir nicht einschätzen können? Bei der Hauptstraße hingegen wissen wir, was uns erwartet und können entsprechende Maßnahmen ergreifen. Außerdem ist das Klima angenehmer und wir müssen uns nicht darum sorgen, dass ein Mitglied der Karawane zusammenklappt. Das würde uns erneut Zeit kosten und damit wäre der kürzeste Weg genauso Zeitaufwendig wie der über die Hauptstraße.“ „Das sind doch reine Spekulationen! Du und Cassius, ihr solltet aufhören euch in billigen Ausreden zu winden! Wir nehmen den Weg über Norden.“ Wut kochte in mir hoch, als der balbaddische Händler wieder so bestimmend wurde und scheinbar glaubte nun der neue Anführer der Karawane zu sein. Der bequeme Weg war ihm der liebste, so sah er auch schon aus. „Das reicht! Wenn Sie wirklich solche Angst haben, schön. Wir werden den Hauptweg gehen, so wie Cassius es vorgeschlagen hat und sollten wir von Räubern angegriffen werden, stehe ich Ihnen gerne als lebender Schutzschild zur Verfügung. Wir haben nichts, wovor wir uns fürchten müssten, denn mit Tiberius und Varius haben wir zwei starke Wächter und Kämpfer an unserer Seite. Noch dazu...“ Ich wandte meinen Blick zu dem Händler von Kou der mich nun doch erstaunt ansah. „Sie trauen sicher auch Hinata und Chen zu, dass sie sich nicht einfach von einer unkoordinierten Bande von Räubern überrumpeln lassen, oder?“ Der Kou-Händler dachte einen Augenblick nach, nickte aber schließlich mit einem Lächeln. „Das bedeutet, Sie, werter Herr, sind der einzige ohne eine Leibgarde. Und wenn das der Grund ist, warum Sie den schweren Weg fürchten, dann werde ich mit meinem Leben Ihres verteidigen.“ Mein Vater hatte damals so recht. Wer schrie, hörte auf zu denken. Meine Gedanken hatten sich bereits verabschiedet und waren eher meinem Temperament gewichen, welches ich noch genug zügelte um dem balbaddischen Händler nicht sofort an die Kehle zu springen. „Da wir ja heute Nacht hier nächtigen werden, ist nicht nur Cassius der einzige, der Bedenkzeit hat. Ich sage ihnen, wir müssen die Hauptstraße nehmen. Denn der einfachste Weg ist nicht immer der Richtige.“ Ohne den beiden Männern eine Chance zu geben, etwas zu meiner Entscheidung zu sagen, stürmte ich förmlich mit meinen aufgewühlten Aggressionen aus dem Gastraum. So konnte ich wenigstens nicht hören, was sie noch für Begründungen ausgruben. Damit konnte auch nichts meinen Entschluss mehr erschüttern.   Nachdem ich dem Rest der Gruppe Bescheid gegeben hatte, dass wir hier übernachten würden, hatte ich mich entschieden endlich mal eine Einrichtung der Karawanserei zu nutzen. Zuvor hatte ich aber ausgiebig den Rest meines Geldes für Zutaten ausgegeben und stand nun in der Küche. Vor mir häufte sich etwas Gemüse, Fisch und doch noch ein erschwingliches, aber dennoch kostspieliges Stück Fleisch. Dazu lag auch noch Obst hier, neben einigen Gewürzen, die es unbedingt auszuprobieren galt. Mit genug Wut im Bauch, um wirklich eine Abregung zu brauchen, band ich mir die Haare zusammen und griff zu einem der vielen Messer, die hier in der Küche lagen. Zeit das tote Gemüse toter zu machen und den Fischen ihres Lebens zu erleichtern. Den Ekel den ich zu Beginn für das Köpfen der Fische empfunden hatte, war unter Ameens Führung gewichen. Es war nun ganz normal das Messer niedersausen zu lassen, während meine andere Hand den Körper des Fisches festhielt, sodass er mir unmöglich entwischen konnte. Ich kannte kein Erbarmen mehr für Fische. Schon gar nicht, wenn sie auf einmal das Gesicht des abscheulichen Händlers aus Balbadd annahmen. 'Ab mit seinem Kopf!', brüllte mir ein diabolisches Stimmchen immer dann entgegen, wenn ich dem Fisch in die Augen blicken wollte. Die rote Königin wäre stolz auf mich gewesen. Noch dazu war es ein tolles Gefühl zu wissen, dass man nichts verlernt hatte. Gut was sollte man schon beim Gemüse schneiden verlernen? Das einzige Problem, was ich hatte, war der Ofen, aber selbst das hatte sich geklärt, nachdem jemand diesen für mich freundlicherweise angezündet hatte und das Feuer in den Untiefen brannte. Ich war bereit. Die Zutaten konnten endlich zu einer leckeren Mahlzeit zusammengeführt werden. Ich hoffte nur, dass die Utensilien reichten, denn wie gewohnt hatte ich es mit der Vorbereitung zu gut gemeint, oder ich war noch zu sehr an Ameens Küche in Balbadd gewöhnt, in der es nie zu viele Zutaten geben konnte.   Stück für Stück, und das musste ich einsehen, ging mir der Platz aus. Das Curry köchelte auf den Platten, das Fleisch war gut durch und bereit verzehrt zu werden, das Bratgemüse war ebenfalls fertig, genauso der Fisch. Ich hatte gerade die Reis gefüllten Weinblätter abstellen wollen, als mir das alles erst bewusst geworden war. „Ich hab wohl etwas übertrieben...“, murmelte ich mehr zu mir selbst. Immerhin hatte ich mich wieder beruhigt. Ein Gutes hatte meine Kochwut also gehabt. Nur wäre es schade gewesen, die Hälfte von diesen Lebensmitteln wegzuwerfen. Cassius' Karawane konnte das sicher nicht alles alleine essen. Nicht einmal Varius hatte so viel Platz im Magen. „Seht euch das an...“ Mit den gefüllten Weinblättern in der Hand sah ich zum Eingang der Küche, durch den gerade eine Gruppe Frauen gekommen war, die genauso fassungslos wie ich selbst, auf die Unmengen an Lebensmitteln sah. Schon peinlich wenn man das Recht bedachte, denn ich hatte die ganze Küche so ziemlich in Beschlag genommen. Ich hatte mich schon gewundert, warum nur wenige Menschen hier gewesen waren und dann fluchtartig den Ort verlassen hatten. „Hast du das gemacht?“, fragte eine der Frauen und ich versteifte augenblicklich. Was wenn sie mir nun böse waren? Immerhin stand die Küche allen frei zur Verfügung. Verdammt. „Ja... Tut mir leid, ich räume gleich einiges weg“, versicherte ich, auch wenn ich mit dem Teller in der Hand doch eher planlos wirkte. Mir fehlte es definitiv an Platz. Bei Ameen wäre das niemals passiert. Die Mädchen hätten schon längst gut ein dutzend Gerichte zu den Gästen gebracht. Hier gab es nur keine Mädchen und leider Gottes auch keine Gäste. Nur Cassius' Karawane und die würde niemals soviel essen. „Für wie viele hast du gekocht?“ Die Frage war nun doch seltsam, aber berechtigt. In Gedanken zählte ich noch einmal unsere Reisegruppe durch. Tacita, Iunia, Tiberius, Varius, Nel, Panthea, Cassius, Cassius' Lehrer, Chen, Hinata, der Händler aus Kou, der Händler aus Balbadd und ich... Hatte ich wen vergessen? Keine Ahnung, ich hatte den Überblick verloren. „Für ungefähr 15 Personen?“, antwortete ich daher eher fragend und unsicher, als wirklich im klaren, ob diese Zahl der Wahrheit entsprach. 15 war schon eine große Zahl. Eine Menge, aber noch lange nicht vergleichbar mit der Menge an Gästen, die Assads Freudenhaus an manchen Tagen beherbergte. „Dann ist das eine ganz schöne Menge. Würdest du etwas davon teilen? Natürlich bezahlen wir auch.“ Hatte ich mich verhört? Hatte mir eine dieser Frauen gerade wirklich vorgeschlagen, dass sie mir etwas von dem Essen abkaufte? Wie viel konnte ich dafür dann eigentlich verlangen? Vor allem, mit was würde man mich dieses Mal bezahlen? „Uhm... Nur zu. Bedienen Sie sich. Zahlt was es euch wert ist.“ Es war wohl die cleverste Weise, mich hier aus der Affäre zu ziehen. Was auch immer ich bekommen würde, es würde wohl dem Wert entsprechen, den man meinen Kochkünsten gab. Zur Not konnte ich später Cassius vielleicht noch einmal fragen, was ich für Münzen bekommen hatte.   Ich hatte vielleicht mit einer kleinen Ausbeute gerechnet, aber nicht damit, dass ich kurzzeitig zum Restaurant mutierte. Die Damen, die mir meine Speisen abgekauft hatten, hatten sich auch als sehr gesprächig erwiesen. Mit einem Mal waren mehr Leute gekommen und hatten mir ihre Wertigkeit für eine Portion von den Gerichten gegeben. Auch wenn mich vielleicht der ein oder andere über den Tisch gezogen hatte, so war ich mir doch sicher, dass ich zumindest die Zutaten wieder reinbekommen hatte. Solange jene, die sich mein Essen angetan hatten, auch noch glücklich darüber waren, konnte man diese Aktion als Erfolg feiern. Wie hätte Ameen so schön gesagt: „Bisher ist noch kein Gast wegen meinen Kochkünsten gestorben.“ Ich musste schmunzeln, als ich an Ameen dachte. Sicher stapelte sich selbst jetzt noch das schmutzige Geschirr bis unter die Decke und Suleika musste ihm helfen. Assad bekam wirklich noch graue Haare, wenn er weiter so machte. Wenn ich ihn wieder sah, sollte ich unbedingt gucken, ob seine Haare wirklich noch so schwarz waren wie ich sie in Erinnerung hatten. Mit einem Tablett der letzten Überreste, die ich tapfer für die Menschen von Cassius' Karawane beschützt hatte, begab ich mich auf die Suche nach den Mitgliedern. Wie schon am Tag zuvor fand ich den Händler von Kou bei den leicht bekleideten Damen. Eins musste der Neid ihm lassen, er war noch richtig aktiv, was das anging. Vielleicht war das auch der Grund, warum er so entspannt und freundlich war. Gruselig. Ohne ihn zu stören, stellte ich seine Portion auf einen Tisch, der neben ihm stand. Mit einem Nicken dankte er es mir, bevor ich mich von dem Anblick abwandte. Innerlich schüttelte es mich und ja, man kann mich prüde oder verklemmt nennen. Damit konnte ich genauso gut leben wie mit den verwunderten Blicken des balbaddischen Händlers, als ich ihn fand und ihm eine Portion des Fleisches mit Gemüse und Reis hinstellte. Irgendwie hatte ich bewusst entschieden, dass die vermögenderen Händler, also der Herr aus Kou, der aus Balbadd und Cassius, etwas von dem Fleisch bekommen sollten. Es entsprach eher dem Standard als das Curry und die gefüllten Weinblätter, die ich für den Rest der Gruppe vorgesehen hatte. „Keine Sorge, meine Ehre verbietet es mir Kunden oder Verbündete zu vergiften. Wie ich schon sagte, ich werde Sie mit meinem Leben beschützen, wenn es darauf ankommt.“ Bevor meine Wut wieder aufkeimen konnte, verließ ich aber den balbaddischen Händler, unwissend, ob er auch nur einen Bissen von dem nehmen würde, was ich zubereitet hatte. Es war mir so gesehen aber auch egal. Anders sah es da bei Cassius aus, der sich mit seinem Hauslehrer ins Teehaus zurückgezogen hatte. Scheinbar für eine ungestörte Unterrichtsstunde in Sachen Politik. Zumindest hörte ich, wie der Lehrer etwas ausholen wollte, als er Magnostadt erwähnte. „Ihr solltet vielleicht eine Pause machen...“, merkte ich an, als ich den beiden die Teller hinstellte. „Aber wir haben gerade erst angefangen.“ Als der Lehrer mir das erklärte, was ich schon sehr verwundert, denn Cassius Gesichtsausdruck hatte nicht so gewirkt, als hätten sie gerade erst angefangen. Viel eher war seine Begeisterung so unfassbar groß gewesen, als hätte er schon zu viele Stunden in Folge über diese leidlichen Themen wie Politik gehangen. „Na dann... Umso besser. Dann kann der junge Herr hinterher noch aufmerksamer Euren weisen Worten lauschen.“ Ich grinste breit, als der Lehrer nicht wirklich begeistert schien. Wahrscheinlich würde hinterher das Unterrichten nicht leichter werden, sondern schwieriger. Nachdem was auf Cassius' Teller war, nicht verwunderlich. Nach so einer Portion wäre selbst ich zu träge gewesen, auch nur eine Information aufzuschnappen oder sie im Geist zu behalten. „Ich bring den anderen noch ihre Portionen.“ Um das Gespräch nicht in die Länge zu ziehen, gab ich zu verstehen, dass ich es eilig hatte und ließ den beiden ihren Privatunterricht, so wahr sie es noch konnten, fortsetzen. Tiberius und Varius waren die letzten, die von mir das Essen geliefert bekamen. Sie waren gerade fertig geworden auch noch die letzten Karren zu sichern. Beide hatten sich definitiv eine halbwarme Mahlzeit verdient, denn mittlerweile waren die letzten Teller alles andere als mit warmen Inhalt versehen. „Jungs, Essen fassen. Gute Arbeit heute.“ Irgendwie hatte ich das Bedürfnis die beiden zu loben, auch wenn es eher an Sarkasmus grenzte, da die beiden diese Arbeit wohl häufiger machten. Doch die Geste, dass ich ihnen Essen brachte, ließ sie nicht einmal daran denken, dass ich es sarkastisch meinen konnte. „Endlich, ich bin schon am verhungern“, murrte Varius, der sich sogleich auf den Boden setzte und deutlich machte, dass er hier und jetzt seine Mahlzeit einnehmen wollte. Tiberius tat es ihm gleich und ich dachte mir nichts dabei. Scheinbar war es egal, wo man aß, zumindest für diese beiden. „Setz dich zu uns, bevor deines noch kalt wird.“ Varius klopfte neben sich und verwarf damit meine Pläne, mir einen ruhigen Ort zu suchen und dort alleine diese Mahlzeit einzunehmen. Bis ich diesen ruhigen Ort gefunden hätte, wäre das Essen sicher kalt gewesen. Ohne Zweifel. „Nur nicht so schüchtern, wir beißen nicht.“ Ich verdrehte genervt die Augen über Tiberius Kommentar. Natürlich bissen sie nicht. Die bissigste Person hier war immerhin ich. „Also schön.“ Ich gab mich geschlagen und platzierte das Tablett vor mir. Nur noch meine Portion stand auf diesem und wenn ich recht darüber nachdachte, war ich wirklich hungrig. Auch wenn ich noch nie gefüllte Weinblätter gegessen hatte, war ich gespannt, wie sie schmeckten. Es war das erste Mal, dass ich sie probiert hatte, sonst hatte ich nur wahren Köchen wie Jamie Oliver oder Ameen zugesehen, wie man sie zubereitete. Vielleicht hatte ich eine gute Auffassungsgabe und es war mir schon beim ersten Mal gelungen. Beschwerden hatte es zumindest keine gegeben.   Das Essen mit Tiberius und Varius gehörte wohl zu den seltsamsten und lustigsten Dingen des Tages. Die beiden behandelten mich, als sei ich eine von ihnen, scherzten mit mir und ließen wirklich keine Gelegenheit aus, um mich in Verlegenheit zu bringen oder mir irgendwelche groben Prügelknabensprüche zu entlocken. Tiberius war wie Varius mit seiner Art sehr locker drauf und wirklich nicht auf dem Mund gefallen. Vielleicht eine Eigenschaft von Wachmännern der reimischen Art. Es machte Spaß bei ihnen zu sein, anders als bei Hinata und Chen, wo man sich wie das dritte Rad am Wagen fühlte, oder bei Panthea und Nel, die zwar ebenfalls nett waren, aber zu denen es schwer war Bezug zu bekommen, wenn sie zusammen waren. Der Rest, naja vielleicht hatte ich mich auch einfach noch nicht so sehr um den Rest bemüht, oder die Gelegenheiten genutzt irgendjemanden so nahe zu kommen, wie es bei Varius der Fall war. Schließlich waren wir Onigiri-Kumpel. „Also wirklich, Mädchen. Der Kerl der dich abgreift, wird sicher irgendwann zum Grabe gerollt“, scherzte Varius, als auch der letzte Bissen verschlungen war. Er hatte doch wirklich mehr gegessen als alle anderen. Schließlich hatte ich ihm noch etwas von meinen Resten überlassen. „Ich? Einen Kerl? Nee lass mal, Varius. Ich bin nicht Partnerfähig und habe auch nicht so schnell das Bedürfnis, es zu werden. Bisher wurde ich immer nur enttäuscht. Sowohl von meinen Gefühlen für den, für den ich schwärmte, als auch von jenen, die offensichtlich interessiert an mir waren.“ Ich gab mir Mühe dieses Gesprächsthema damit zu beenden. „Bist du deswegen aus Balbadd weggelaufen? Wurde dir das Herz gebrochen?“ Eines verriet mir Tiberius Frage ganz genau: Varius hatte die Klappe gehalten. Dennoch versetzte der Wächter seinem verletzten Kumpel einen Schlag auf den Hinterkopf. „Au, was soll das, Varius! Auch noch mit voller Kraft!“ „Wäre das mit voller Kraft gewesen, würdest du nicht mehr hier sitzen.“ Schon niedlich wie Varius versuchte, Tiberius Verstand einzuprügeln. Auch wenn das vollkommen unnötig war. Noch dazu übertrieb er, denn mit Sicherheit besaß er nicht die Kraft Tiberius, der selbst ein muskulöser Mann war, von den Socken zu hauen. „Schon in Ordnung, Varius. Ich floh aus Balbadd weil ich unfähig bin, mich oder jene die mir wichtig sind zu verteidigen. Die Verletzung an meiner Schulter ist ein Zeugnis von jener Schwäche.“ Ich rang mir ein Lächeln ab, doch in Wahrheit nagten meine eigenen Worte stark an mir. Doch noch mehr nagte an mir die Gewissheit, den balbaddischen Händler zwar mit dem Borg beschützen, aber nicht viel mehr tun zu können. Der Borg war alles, was ich hatte, und ein Dolch, mit dem ich höchstens Gemüse schnippeln konnte. „Deswegen... Varius, kannst du mir beibringen wie ich mit einem Dolch richtig umgehe?“ Auch wenn ich sicher nach Sindria kam, dort würde ich so schnell nicht wieder einen Lehrmeister finden. Ich sollte also das Beste aus der Reise machen, oder aus meiner Bekanntschaft mit Varius. Kurz sahen sich die beiden Wächter an, so als mussten sie überlegen, ob das wirklich eine gute Idee war. Ich musste sie dazu bringen. Dann konnte ich vielleicht meinen Borg geheim halten. Angreifen bevor ich mich verteidigen musste, das war wahrscheinlich der Weg den ich gehen musste, um normal zu sein. „Bitte! Ich will auf alles gefasst sein und mich nicht wieder wie eine Last für andere fühlen. Ich verspreche auch mir die größte Mühe zu geben.“ Ernst sah ich zu Varius, der immer noch nicht bereit schien einzuwilligen. Doch schließlich war es Tiberius, der sich erhob und zu einem der Karren ging, aus dem er ein Schwert zog. „Es kann nicht falsch sein, sich verteidigen zu wollen. Wir sollten ihr also etwas helfen, oder Varius? Ich stehe als Übungspartner frei zur Verfügung.“ Es war nur noch Varius der sein Einverständnis geben musste. Er schien aber nicht gewillt zu sein, so schnell einfach zuzusagen, bis er schließlich breit grinste. „Dann fangen wir doch gleich an.“   Ich hatte ein mulmiges Gefühl, als ich Tiberius gegenüber stand. Varius hatte mir alles wichtige erklärt, dass ich auf die Handlungen meines Gegners achten musste, den Dolch wenn nötig mit zwei Händen halten sollte, um so mehr Wucht mit der eigenen Kraft abzubremsen, und das jeder unnötige Schritt mein Verderben sein konnte. Was Varius also meinte, war, dass ich gezielt reagieren und angreifen musste. „Also schön, Tiberius, du weißt, was du zu tun hast. Wenn du merkst, dass sie etwas falsch macht, brich den Angriff ab. Es bringt ihr gar nichts, wenn sie noch schlimmere Verletzungen hat. Iunia bringt uns dann um.“ Mein Herz klopfte wie wild, als Varius seinen Kollegen zur Vorsicht ermahnte. Vorsicht, die dank des Borgs nicht nötig war, aber das würde ich sicher niemanden so schnell auf die Nase binden. Ich konnte mich nicht immer nur auf diesen Schutzschild verlassen. „Schon klar. Also, Erenya, bist du bereit?“ Ich umklammerte meinen Dolch und holte tief Luft, denn mein Herz wollte einfach nicht aufhören zu rasen. Meine Nervosität ebenso wenig. Dennoch nickte ich. Als wäre dies sein Zeichen gewesen, lief Tiberius mit erhoben Schwert auf mich zu. Seine Haltung, schien förmlich danach zu schreien, dass er direkt angreifen würde, gezielt auf meinen Kopf. Ich musste also im richtigen Moment zur Seite oder nach hinten ausweichen. Zur Seite wäre aber keine gute Option gewesen, er hätte sofort zum nächsten Angriff übergehen können und so mehr Schwung bekommen, definitiv ein tödlicher Treffer in die ungeschützte Seite. Aber zurück wäre ebenso wenig eine Option gewesen, die Seite wäre ebenfalls ungeschützt gewesen, außer ich wüsste, wie er als nächstes angriff. „Und tot...“ Blinzelnd sah ich zu Tiberius, der mit erhobenen Schwert vor mir stand. Er hatte seinen Angriff abgebrochen, noch bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. „Wie?“, fragte ich etwas fassungslos, denn ich wusste nicht was er damit meinte. „Du hast zu lange nachgedacht. Bei einem so direkten Angriff ist es besser du blockst. Heb den Dolch dann etwas seitenversetzt über deinen Kopf. So hast du auch die Möglichkeit in einer Drehung auszuweichen, wenn dein Gegner kräftemäßig überlegen ist.“ Tiberius gab sich Mühe mit der Erklärung, bemerkte aber schnell, dass ich ihn nicht verstand, weswegen er mit seinem Schwert die Position einnahm. Sein Körper war etwas in die Richtung gedreht, in die er fliehen konnte, das Schwert hingegen zeigte in die entgegengesetzte, hätte aber mit Sicherheit einen direkten Angriff geblockt. „Noch einmal!“, rief Varius uns zu, nachdem Tiberius meine Haltung vollständig berichtigt hatte. Gut, es war der erste Versuch gewesen. Natürlich konnte ich nicht alles gleich perfekt, auch wenn es mich schon wieder wurmte, dass Tiberius mich wohl mit einem Schlag beinahe enttarnt hätte. Glücklicherweise bremste er rechtzeitig ab, doch von jedem Gegner konnte ich das nicht behaupten. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken. Ich musste mich also mehr konzentrieren, schneller reagieren. Erneut ging Tiberius in Stellung, dieses Mal schwang er sein Schwert von der rechten unteren Seite. Er würde es nach oben ziehen und hätte damit die nächste Möglichkeit mich anzugreifen, wenn ich auswich. Ausweichen musste ich aber, denn ich konnte einen Schlag von unter der Gürtellinie nicht blocken. Wieder stellte sich aber die Frage, wohin ausweichen... Nein, nicht denken. Ich durfte nicht zu sehr nachdenken. So schnell ich konnte, wich ich rücklings aus. Sein Schwert verfehlte nur knapp den Borg, der sich mit einigen Zentimetern Abstand von mir aufbauen würde. Wie ich es mir gedacht hatte, holte Tiberius von oben zum zweiten Schlag aus. Seine rechte Seite war ungeschützt. Ich umklammerte meinen Dolch, wissend, dass dies meine Chance war und doch... das hier war ein Training. Ich konnte Tiberius verletzten. Das wollte ich nicht. Überhaupt wollte ich keinen einzigen Menschen verletzten. „Wieder tot.“ Ich stockte erneut als Tiberius seinen Angriff früh genug abbrach. Er hatte wohl recht, ich wäre wieder tot gewesen, denn ich hatte gezögert anzugreifen. „Noch einmal!“, sagte ich schnell, denn ich konnte jetzt nicht einfach aufgeben. Sicher war das nur eine Gewöhnungssache. Je häufiger man so etwas tat, desto ungehemmter wurde man. „Aber... verletzte ich dich auch nicht, sollte ich dich angreifen? Ich meine, sobald ich noch einmal die Chance habe, greife ich an“, setzte ich nach, doch es klang mehr so, als wollte ich mir Mut zusprechen. „Mach dir darum keine Sorgen. Die Rüstung ist gut genug. Die bekommt höchstens Kratzer.“ Sanft klopfte mir Tiberius auf den Kopf. Mochte ja sein, dass er gepanzert war, aber was wäre mit anderen Menschen? Menschen wie Kassim? Hätte ich damals wirklich den Mut aufgebracht, ich hätte ihn verletzten können. Uns hatten auch nur wenige Zentimeter getrennt. „Schon wieder tot.“ Tiberius Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Hatten wir etwa schon angefangen? Er war doch keinen Meter von meiner Seite gewichen. „Wieso das denn?“, fragte ich entrüstet, bemerkte aber dass uns doch eine kleinere Entfernung trennte und er sein Schwert gezielt auf mich gerichtet hatte. Hätte er nun ausgeholt, ich wäre wirklich tot gewesen. „Vertrau deinem Feind niemals. Viele greifen zu miesen Tricks und kämpfen nicht fair. Das bedeutet, sie könnten so tun als seien sie ein Verbündeter und greifen dann hinterrücks an.“ Irgendwie musste ich gerade an Sadiq denken. Wobei, wäre das sein Stil gewesen? Nein, zu so etwas wäre er sicher nicht fähig gewesen, oder? „Verstanden.“ Ernst sah ich Tiberius an, der nun doch wieder auf Abstand ging und zu einem neuen Angriff ansetzte. Ausweichen, blocken und angreifen wenn sich die Chance bot. Das sollte doch irgendwie machbar sein.   Tiberius Rüstung hatte keinen einzigen Kratzer. Zwar hatte ich begriffen wie ich seine Angriffe blockte, oder auswich, aber wirklich jede Chance die ich zum angreifen hatte, war von mir verspielt worden. Tiberius und Varius beließen es aber dabei. Für heute hatte ich doch schon genug gelernt und dennoch war ich in keinster Weise stolz auf mich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich mehr hätte geben können. Zum Beispiel mal angreifen und Tiberius Rüstung einen Kratzer versetzen. „Erenya, warte kurz...“ Doch schon sehr von mir enttäuscht, hatte ich das Geschirr auf das Tablett gestapelt, mit dem Vorsatz dieses in die Küche zu bringen und noch abzuspülen. Zusammen mit dem Rest, der sich wahrscheinlich noch stapelte. Ich wandte mich zu Varius und bemerkte, dass Tiberius bereits gegangen war. Scheinbar wollte er ein Gespräch unter vier Augen führen und das konnte nichts gutes bedeuten. Vier-Augen-Gespräche waren nie etwas gutes. „Was ist los?“, fragte ich, wobei mein Herz schwer gegen meine Brust schlug und mein Hals sich zuschnürte. Ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen, aber ich war nervös und am liebsten wäre ich gerade vor diesem Gespräch davon gelaufen. Ich hasste solche Gespräche schon immer auf Arbeit und leider hatte ich genug davon durchziehen müssen. „Ich bin mir ehrlich nicht sicher, ob du für eine Waffe geeignet bist. Zwar hast du Tiberius Angriffen ausweichen können und sie auch versucht bestmöglich zu blocken, aber... Du zögerst wenn es darum geht selbst offensiv zu werden.“ Es war nur natürlich, dass Varius das Offensichtliche ansprechen würde. Selbst ich hatte meine Blockade beim Angreifen bemerkt. „Wo du herkommst, mag es nicht nötig sein, ein Leben zu nehmen, um deines zu retten, aber das hier ist nicht mehr deine Heimat. Hier musst du dein Leben mit allem, was du hast, beschützen. Du darfst im entscheidenden Moment nicht zögern, sonst wirst du versklavt oder stirbst. Deswegen, wenn du nicht bereit bist etwas Blut an deinen Händen kleben zu haben, solltest du den Dolch ablegen, sobald du in Sindria bist und nicht einmal daran denken, zurück nach Balbadd zu gehen.“ Was Varius sagte, war wahr, aber schlimmer als jeder Schwerthieb, den Tiberius mir hätte versetzen können. Er konfrontierte mich mit einer Realität, die nun meine war. Leben und Leben lassen. Das war das Motto meiner Welt. Doch hier hieß es Auge um Auge, Zahn um Zahn. „Ruh dich aus. Cassius dreht durch, wenn du nicht vernünftig schläfst und mehr Ballast als Hilfe bist.“ Varius gab sein Bestes mich nach seinen aufrichtigen Worten wieder etwas auf sicheren emotionalen Boden zurückzuziehen, doch er kannte mich nicht gut genug, um zu wissen, dass dies nichts bringen würde. Dennoch schenkte ich ihm ein Lächeln und hielt das Tablett hoch. „Ich wasch nur noch das ab, dann geh ich schlafen. Wo sind die Schlafräume?“ Ich bemühte mich normal zu klingen, so als hätten seine Worte nichts in mir erschüttert. Als wären sie einfach an mir vorbeigezogen, obwohl sie mein Herz zu zerdrücken drohten. „Unter dem Dach, bei uns. Iunia und die anderen haben dir sicher einen Platz in ihrer Nähe freigehalten.“ Ich nickte. Es schreckte mich nicht einmal mehr ab, dass wir unter dem Dach schlafen mussten. Der Tag war warm genug gewesen, sodass es dort oben sicher unerträglich war. Doch es gab nichts, was unerträglicher war als die Tatsache zu hören, dass man jene, die einen etwas bedeuteten vergessen sollte, weil man selbst nicht in der Lage war, für kurze Augenblicke seine Menschlichkeit abzulegen.   Iunia und die anderen hatten mir wirklich noch einen Platz zum Schlafen freigehalten. Doch an Schlaf konnte ich nicht denken. Ich lag wach zwischen all den Schläfern mit meinen Gedanken bei dem Training und der Auseinandersetzung mit Kassim. Wenn ich recht daran zurückdachte, gab es etliche Möglichkeiten, wie ich ihn hätte ausschalten können. Seine Seiten waren offen gewesen, ebenso hatte er einfach nur blind auf den Borg eingeschlagen. Szene um Szene spielte sich dieser Moment in meinem Kopf ab. Schlag von Kassim, Angriff von mir, Kassim verletzt. Schlag von Kassim, Angriff von mir, Kassim lebensgefährlich verletzt. Im Geiste sah ich jede Möglichkeit die ich hätte einsetzen können. Ich simulierte in Gedanken jeden möglichen Angriff nur um zu bemerken, dass ich diesen niemals ausgeführt hätte. Es sich vorzustellen war einfach, aber dann im entscheidenden Moment so zu handeln? War es so überhaupt möglich, zu meinem Wort zu stehen und den Händler aus Balbadd zu beschützen, wenn wir über die Hauptstraße gingen? Ich erhob mich von meinem Schlafplatz. Ich musste dringend meinen Kopf freibekommen. Kochen war jetzt sicher keine Lösung, zumal die Händler alle schliefen und keiner von ihnen mehr irgendwelche Zutaten verkaufte. Es gab also nur noch eine Möglichkeit. Vorsichtig trat ich zwischen den freien Stellen der Schlafenden, um diese nicht zu wecken. Zum Glück hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, sodass ich trittsicher meinen Weg zum Ausgang fand. Außerhalb des Gemeinschaftsschlafsaales ging dann alles viel schneller voran. Selbst schneller als am Tag. Zügig kam ich zu dem öffentlichen Bad, welches nun mit Sicherheit so leer wie ein Freibad im tiefsten Winter war. Frauen und Männer badeten hier zwar getrennt, aber ich hatte mich dennoch nicht zusammen mit den Anderen gewagt, dieses Bad zu betreten. Schon alleine wegen meiner Schulter. Ohne Angst oder Scham entledigte ich mich meiner Kleidung, die ich in eine Art Körbchen legte und stieg in das Wasser, welches verwunderlicherweise selbst jetzt noch warm war. Vielleicht war man es auch einfach gewohnt, dass diverse Gäste auch noch abends ein Bad nehmen wollten. Ich hätte allerdings auch mit kaltem Wasser leben können. Dennoch, es war ein positiver Effekt und ich konnte mich in aller Ruhe etwas fokussieren, auf Dinge die wichtig waren. Tiefer ließ ich meinen Körper ins Wasser gleiten, lehnte mich an den Rand und sah gen Decke. Ob ich vielleicht besser kämpfen konnte, wenn ich eine Magierin wäre? Wobei, selbst dann konnte ich andere verletzen. Allerdings, ich würde diese Welt wohl niemals überleben, wenn ich zu rücksichtsvoll war. Gab es keinen anderen Weg? Gab es wirklich nur die Wahl zwischen kämpfen und aufgeben? Waren die Wahlmöglichkeiten in dieser Welt wirklich nur so beschränkt? Ich seufzte leise und ließ mich etwas tiefer ins Wasser gleiten. Diese ganze Situation... Ich wusste nun, wie Toudou Heisuke sich in Hakuouki Reimei-Roku gefühlt hatte. Diese eine Szene, in der er einen Menschen getötet hatte, nachdem er beim ersten Mal nicht dazu gekommen war... Sie hatte sich in meine Erinnerungen gebrannt. Genauso wie diese Zitat. 'Ich habe den Weg eines Kriegers gewählt. Das bedeutet, ich werde jeden töten der gegen meine Überzeugungen ist. Deswegen werde ich töten, töten und weiter töten. Aber... werde ich mich jemals daran gewöhnen?' Heisuke hatte Recht. Man könnte für seine Überzeugungen kämpfen. Jeder Kampf wäre dann eine Überwindung. Die Frage war nur, ob man sich daran gewöhnen würde, sich zu überwinden. Ob man irgendwann abstumpfte und es nur noch aus der Gewohnheit heraus tat. Was war man dann? War man dann noch ein Mensch, wenn man wirklich nur noch der Gewohnheit wegen tötete und es damit verteidigte, dass es der eigenen Überzeugung diente? Nur zu töten um sich selbst oder andere zu beschützen... Nein, ich konnte mich dazu sicher nicht überwinden. Aber genauso wenig würde ich meine geplante Rückkehr nach Balbadd vergessen. „Ich muss nur einen anderen Weg finden... irgendwie...“, sagte ich laut genug zu mir selbst, so dass meine Stimme durch den Raum hallte. „Willst du damit sagen, dass sich morgen unsere Wege trennen?“ Ich erschrak dank dem Wasser hörbar, als so plötzlich Cassius' Stimme ertönte. Was machte er hier? Also auf der anderen Seite. Wie lange war der Kerl schon hier gewesen? „Cassius?“, fragte ich vorsichtig nach, nur um sicher zu gehen, ob es wirklich er war. Ich watete etwas näher zu der Begrenzung, wissend, dass auf der anderen Seite Cassius war, den ich nur hören konnte. „Ich habe dir gesagt, dass du uns bis nach Aza begleiten kannst. Dazu stehe ich, du musst also keinen anderen Weg suchen.“ So war das also. Cassius hatte meine Worte wohl vollkommen falsch verstanden, so aus dem Zusammenhang gerissen. Dennoch, wenn wir nun doch über die Straße im Norden gingen, würden wir an Aza vorbeiziehen. „Ich habe auch nie an Eurem Wort gezweifelt, Cassius. Schließlich habe ich Euch dafür bezahlt. Ist denn schon eine Entscheidung gefallen, welche Route wir morgen nehmen?“ Ich erwartete keine Antwort von Cassius. Mit Sicherheit hatten die Händler nicht noch einmal miteinander gesprochen. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, nachdem die Luft so dick zwischen ihnen gewesen war. Der Morgen danach würde sicher alles andere als lustig werden. „Wir haben uns auf die Hauptstraße geeinigt. Unsere Kampfstärke sollte ausreichen um gegen ein paar Räuber anzukommen.“ Mein Herz schlug wie wild. Sagte Cassius das jetzt nur, weil er stur und verbohrt war, oder hatte doch noch einer der Händler eingelenkt? „Wirklich?“, fragte ich und hoffte, dass Cassius nun wirklich nicht log. „Du solltest gleich schlafen gehen. Wir brechen morgen frühst möglich auf.“ Ich hörte, wie das Wasser in Bewegung geriet und sah vor meinem inneren Auge, wie Cassius sich erhob. Weitere plätschernde Laute bestätigten diese Theorie. Es würde also die Hauptstraße sein. Der gefährlichere Weg, laut der anderen Händler. Mit viel Pech würde ich schon bald sehen, wie weit meine Entschlossenheit reichte. Ob ich wirklich einen anderen Weg fand, oder ob ich meine Hände mit Blut beflecken musste. Morgen... Ja Morgen würde alles anders aussehen. Vielleicht hatte ich dann eine Antwort auf meine Frage. Ich erhob mich ebenfalls aus dem Wasser, schlüpfte draußen wieder in meine Sachen und stieg die Treppen hinauf zum Dach, wo ich leise zu meinem Nachtlager schlich und endlich ein wenig Schlaf fand. Kapitel 12: Varius ------------------ Auch wenn die Müdigkeit mich fest in ihrem Griff hatte, wurde ich die ganze Nacht von Albträumen geplagt. Ich hatte wohl zu viel darüber nachgedacht, ob ich offensiv werden konnte, wenn es sein musste, oder nicht. In meinen Träumen kämpfte ich gegen Schattengestalten, die immer wieder die Gesichter von Personen aus meiner Welt annahmen, oder jene von den Personen, die mir hier so eine große Stütze gewesen waren. Dementsprechend war ich froh darüber, als Iunia mich weckte und ich diesen grausigen Träumen endlich entfliehen konnte. Wobei ich ihnen nicht vollständig entfloh. Varius' Worte hatten sich in meine Erinnerungen gebrannt und hallten mit der grausiger Gewissheit, dass sie wahr waren, in meinen Gedanken wieder. Wie schafften es die Anderen nur, ihre Leben mit einer Waffe zu verteidigen, bereit zu sein ein anderes Leben auszulöschen? Lag es wirklich nur daran, dass ich in meiner Welt solche Arten von Schlachten nicht zu schlagen hatte? Ich meine, es gab auch in meiner Heimat Kämpfe auszufechten, allerdings nicht auf dem Schlachtfeld sondern auf anderen Ebenen. Und selbst da verlor ich ausnahmslos, wahrscheinlich weil es mir an Offensive fehlte. Ich musste an all die Kunden zurückdenken, die mich gesprächstechnisch richtig aus der Bahn geworfen und in die Knie gezwungen hatten. „Erenya?“ Ich schrak zusammen, als Iunia neben mir mich ansprach und mich mit einem sorgenvollen Blick bedachte. „Wie?“, fragte ich, da ich das Gefühl hatte, irgendetwas verpasst zu haben. Wahrscheinlich hatte sie schon länger mit mir gesprochen, aber keine Reaktion von mir erhalten. Nicht verwunderlich also, wenn sie dann einmal nachhakte. „Ich fragte, ob deine Schulter schmerzt.“ Meine Schulter? Ach ja, die hatte ich in der Grübelei ebenfalls ganz vergessen. Den Abend zuvor hatte ich mir immerhin noch Mühe gegeben, sie nicht feucht werden zu lassen, damit sie nicht wieder aufbrach. So viele Arztbesuche brauchte ich in meinem Leben eben nicht. „Nein. Der Schulter geht gut. Ich glaube, sie wird gut verheilen und mehr als eine Narbe bleibt mir dann nicht mehr.“ Ich lächelte Iunia an, denn es war sowieso schon peinlich genug, dass sie von dieser Verletzung wusste. Sie hätte lange genug geheim bleiben sollen, aber nein, die Schnüffler der Gruppe hatten es ja gerochen. Wie überhaupt? Was hatte Varius mit guten Veranlagungen gemeint? So ein feines Näschen war doch abnormal. „Dann beschäftigt dich also etwas anderes.“ Genauso abnormal wie Iunias scharfe Kombinationsgabe. War hier eigentlich jeder in irgendetwas super spitze, außer mir? Deprimierend. Wobei, nein, vielleicht war es nur deprimierend, weil ich gerade nicht wusste, wohin mit mir selbst. „Mich? Nein, nein. Mach dir keine Sorgen. Ich bin nur kein Morgenmensch.“ Immerhin das war keine Lüge, auch wenn sie in diesem Moment nicht der Wahrheit entsprach. Dennoch schien Iunia das zu verstehen und versuchte gar nicht erst, dieses Thema weiter mit mir zu besprechen. Ich konnte also wieder für mich sein, mit meinen Gedanken und der Frage, wie ich mein Problem im Notfall lösen konnte.   Das wir recht früh am Morgen loszogen, hatte auch etwas Gutes. Ich hatte während des Frühstücks, von dem ich nicht viel gegessen hatte, und während des Anspannens der Pferde genug Zeit, um über einige Dinge nachzudenken. Oder viel mehr, um über mein Hauptproblem zu grübeln. Selbst als ich beide Pferde neben mir führte und meine Hände aufgrund des Leders schmerzten, konnte ich nicht an diesen denken, da meine Gedanken nur auf dieses eine Hauptproblem fokussiert waren. Würde ich töten können? Wollte ich den Borg nutzen? Was wollte ich in Sindria? Konnte ich stark genug werden, um nach Balbadd zurückzukehren? Warum war ich eigentlich hier? So viele Fragen waren mit einem Schlag aufgetaucht. Mit jedem weiteren Zweifel, der sich in meinen Gedanken und meinem Inneren erhob. Ich nutzte die Reise bis zur Mittagspause, um meine Gedanken zu ordnen, um zu wissen, wohin ich eigentlich mit mir selbst wollte. Ich wusste, dass ich unbedingt nach Balbadd zurück wollte. Nach Sindria würde die spätere Rückkehr nach Balbadd wohl mein nächstes Ziel sein. Das Ziel, wofür ich in Sindria arbeiten und lernen wollte. Nur, wie wollte ich das erreichen? Man hätte nun meinen können, ich zöge in Erwägung, Sinbad aufzusuchen. Mit seinen Generälen hätte ich genug Optionen gehabt, aber, das war nicht, was ich wollte. Ich wollte alleine stark werden, ohne Vitamin B. Wenn ich hier länger blieb, musste ich auch lernen, ohne die Hilfe anderer auszukommen und vielleicht sogar eine Hilfe für die Anderen zu werden. Am Besten, ohne das Raum-Zeit-Kontinuum hier zu zerstören. Mein Eingreifen im Kampf gegen Kassim hatte schließlich beinahe für Kouhas Ableben gesorgt, hätte ich Kassim nicht auf mich fokussiert. Gerade deswegen musste ich vorsichtiger werden, mehr über diese Welt lernen, über Ereignisse, die in dem Fandom weder im Anime noch im Manga thematisiert worden waren. 'Bloß nicht zu weit denken, einen Schritt nach dem anderen. Du hast gerade andere Probleme.' Ich seufzte, als meine Vernunft mich ermahnte, schon einen Blick in die Zukunft zu wagen. Die Zukunft war genauso verschwommen wie meine Erinnerungen an den Tag, an dem ich hier gelandet war. Einen Schritt nach dem anderen also. Demnach musste ich eine Möglichkeit finden zu kämpfen. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Blockade, so wie es wohl jeder hier auf seine Weise konnte. Ich musste mir bewusst werden, dass dies hier hoffentlich nur temporär meine Welt war. „Vergessen was ich kann und was ich nicht kann... Meine Welt vergessen... Mich selbst vergessen...“, flüsterte ich mir leise zu und sah gen Himmel. Vielleicht, musste ich mich selbst aufgeben. Mein altes Ich aus meiner Heimat komplett zerstören um etwas Neues zu erschaffen. Um jemand anderes zu sein. Um jemand zu werden, der offensiv werden konnte. Aber... wollte ich das wirklich? Oder viel mehr: Konnte ich das? Einfach aufhören, Ich zu sein, mich neu erfinden, mich komplett neu aufbauen? „Albern... ich schreibe zwar, aber das ist eine andere Dimension...“ Nicht das ich es für unmöglich hielt, im Gegenteil, ich mutete mir ein gewisses Maß ans schauspielerischen Talent zu, aber es bliebe immer noch eine Maskerade, keine entwickelte Persönlichkeit mit einer Geschichte, die diese Person geprägt hatte. Es bliebe eine real gewordene Fiktion.   Gegen Mittag legte die Karawane eine Pause ein. Anders als aber die Tage zuvor, fand diese Pause nicht in einer Karawanserei statt. Scheinbar hatten wir noch nicht genug Strecke zurückgelegt, um die nächste auf unserem Weg zu haben. Wie viele Kilometer wohl zwischen jeder Einzelnen lagen? Ich wusste es nicht, im Augenblick war es aber auch egal. Nachdem ich meinen beiden treuen Begleitern etwas Wasser gegönnt hatte, immerhin liefen sie, wie ich, bei diesen unmöglichen Temperaturen herum, gesellte ich mich zu der Gruppe. Das Geschwätz war aufgeregt, doch ich hielt mich großteils aus den Gesprächen heraus. Um genau zu sein, nahm ich ihre Stimmen nicht einmal wahr, sondern war mehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt. Erst als Tiberius mich vorsichtig mit dem Ellenbogen berührte, bemerkte ich, dass man augenscheinlich mit mir gesprochen hatte und ich erneut nichts davon mitbekommen hatte. „Ja?“, fragte ich und sah fragend in die Runde, die mich argwöhnisch ansah. „Du musst nur sagen, wenn du uns keine Geschichte erzählen magst...“, antwortete Hinata gereizt und sofort wurde mir klar, dass man wohl gerne eine Geschichte während der kurzen Pause gehört hätte. Ich war vollkommen überrumpelt davon und spontan kam mir auch keine in den Sinn. Mein Kopf war wie leergefegt. „Ich weiß keine mehr...“, log ich daher und sah die Gruppe an, wobei Hinata nur seufzend den Kopf schüttelte. „Als Geschichtenerzählerin solltest du aber genug kennen. Sonst kannst du deine Zuhörer nicht mehr zufriedenstellen.“ Der Vorwurf von Hinata war schon berechtigt, aber es war ja nicht so, dass mir die Ideen oder eher die Geschichten ausgegangen waren. Viel mehr fehlte mir aktuelle die Motivation auch nur eine Idee oder den Nerv für eine zu haben. „Sie kann allerdings auch keine Neuen lernen, wenn sie immer nur erzählt und dann am Tag ihre Aufgaben erzählt. Tacita, erzähl du doch ein paar von deinen. Vielleicht kann Erenya sie ja weiter erzählen. Dann werden die Mythen Reims weltberühmt.“ Panthea war wirklich niedlich, wie sie mich verteidigte und ich konnte nicht anders als lächeln. Recht hatte sie. Ich konnte nichts lernen, wenn ich immer nur erzählte. Wobei, das, was ich hier gelernt hatte, war schon eine Menge. Ich wusste nun, wie man ein Pferd vor dem Karren spannte. In meiner Welt wäre ich diesen riesigen Tieren nicht einmal einen Meter nahe gekommen. Doch mit jedem Tag verlor ich die Scheu vor den Tieren mehr, ich zog zwar hin und wieder die Gurte immer noch zu schwach, aber dank Nel und den Anderen war selbst dies ein Problem, welches sich bald erledigen würde, sobald es zur Routine wurde und ich endlich verstand, wie fest denn diese verdammten Dinger gehörten. In Balbadd hatte ich auch gelernt, wie man einen lebenden Fisch köpfte und das in kürzester Zeit. Es war alles eine Frage der Gewohnheit. Mit Sicherheit würde in Zukunft auch noch einiges mehr in meinen Plan gehören, woran ich mich gewöhnte, bis vielleicht auf... Da war er wieder dieser Gedanke, der wie das Beil eines Schafotts über meinem Kopf schwebte und drohte mir alles zu nehmen. Ich musste mich vielleicht wirklich nur daran gewöhnen. Aber dafür musste ich mich darauf einlassen. Allerdings... wenn ich zurück in meine Welt kam, müsste ich das wieder abschalten und genau das wäre auch ein Problem. Bei allem, was ich lernte, musste ich wirklich aufpassen. Außer ich bekam irgendwann die Gewissheit, dass der Weg zurück mir für immer versperrt blieb. Daran dachte ich am Besten aber gar nicht erst. Erneut spürte ich eine Berührung von Tiberius. Sofort war ich wieder aus meinen Gedanken raus. Stattdessen nahm ich klar und deutlich die Stimme Tacitas wahr. „Der Magier schenkte Gajus eine magische Tibia. Immer, wenn der junge Mann diese spielte, verzauberte er Mensch und Tier in seiner Nähe. So gewann er auch das Herz der jungen Livia. Da Gajus die Worte fehlten, vermittelte er seine Gefühle mit der magischen Tibia. Sie fanden so zueinander, doch das Glück währte nicht lange. Als das kleine Dorf von Gajus angegriffen und seine Livia entführt wurde, verfolgte Gajus die Räuber und fand sie schließlich in einem Wald. Dort ließ er seine Tibia erklingen, welche sofort die Räuber in seinen Bann schlug. Er forderte seine Livia zurück, doch der Räuberhauptmann war selbst im verzauberten Zustand nicht dumm. Er gewährte Gajus diesen Wunsch, forderte aber, dass er sich bis zur Rückkehr in sein Dorf kein einziges Mal umdrehen dürfe.“ Ich lauschte der Geschichte Tacitas und war doch sehr verwundert, denn es klang wie die reimische Version von Orpheus, nur ohne Unterwelt und Hades. Vielleicht gab es hier keine Götter, dann wäre es nur logisch gewesen, dass diese Versionen anders klangen. Dennoch waren sie nicht minder spannend, denn in dieser ungöttlichen, nur an die Regeln dieser Welt gebundenen Erzählung, hatten sie eine vollkommen neue Richtung eingenommen. So hatte Gajus zum Beispiel zwar jemanden an der Hand geführt und geglaubt, es sei seine Livia gewesen, doch letzten Endes war es nur ein Räuber gewesen, der Gajus schließlich enthauptete und ihm die magische Tibia stahl. Brutal aber wesentlich realistischer, als was die Griechen über Orpheus erzählten. Zumal dessen Ende auch nicht gerade blumig gewesen war. Irgendwie war das seltsam. Wie konnte es solche Parallelen geben? War das Magi-Fandom etwa doch real und meine Welt ebenfalls von Solomon geschaffen? Dann hätte ich zumindest eine Erklärung gefunden, warum ich nun hier war. Wahrscheinlich war die verdammte Pfütze ein Portal gewesen. Dann war ich also doch nicht beinahe darin ertrunken, sondern auf die andere Seite gezogen worden. So wie das Sternentor aus Stargate. Das sah auch aus, wie eine aufrecht stehende Pfütze.   Ich hatte wirklich mit größtem Interesse den Geschichten Tacitas gelauscht. Schade war es nur, als wir wieder aufbrachen, um an diesem Tag doch noch die ein oder andere Entfernung zurückzulegen. Erneut war ich wieder für mich, oder viel mehr mit meinen Gedanken. Diese vermischten sich allerdings mit den Geschichten Tacitas. Wenn ich so ein Musikinstrument hatte, das vielleicht Menschen manipulieren konnte, dann musste ich gar nicht töten. Oder was, wenn ich vielleicht eine Magierin des Typs Klangmagie war? Konnte ich dann so etwas auch ohne Hilfsmittel erreichen, wenn ich nur die richtigen Zauber lernte? In gewisser Weise wäre das schon cool gewesen. Allerdings... 'Wir haben uns dagegen entschieden eine Magierin zu sein. Wir haben keinen Zauberstab und kennen keinen einzigen Zauberspruch, demnach nichts Magierin. Borg und die Rukh sind einfach nur ein Glücksgriff, ein Versehen oder wie auch immer man das nennen mag.' Magie fiel also sowieso schon einmal flach. Ich brauchte also eine andere Möglichkeit. Und den Borg sollte ich nicht einfach mal so offenbaren. Ergo blieben mir nur die körperlichen Mittel. Wo wir wieder bei dem verdammten Thema des Tages waren. 'Alleine wirst du auf keine Lösung kommen. Wenn deine Freunde aus deiner Welt irgendwie kontaktierbar wären, hättest du sie fragen können. Oder die Mädels aus dem Freudenhaus... Vielleicht solltest du jemanden von der Karawane fragen. Du hast die freie Wahl.' Freie Wahl, mein Kopf hatte gut reden. Er musste ja nicht fragen. Noch dazu war die Frage, „Wen?“ ebenso da? Vielleicht Chen oder Hinata. Beide waren immerhin laut ihres Herren ausgebildet zu kämpfen. Wer, wenn nicht sie, konnte mir dann wirklich helfen? Na gut Tiberius und Varius vielleicht, allerdings nach dem Training vom Vortag, war es irgendwie blöd zu fragen, was ich vielleicht tun konnte. Und an sich wollte ich auch nicht, dass auch nur irgendjemand aus der Gruppe, abgesehen von den Wächtern, wusste, dass ich keinerlei Ahnung davon hatte, wie man sich in dieser Welt verteidigte. 'Du machst es dir wirklich nicht einfach, huh?' „Halt die Klappe...“, nuschelte ich, als wäre es genau die Parole die ich brauchte, um die spöttischen Worte meines Kopfes zu blockieren oder abzustellen. 'Spring einfach über deinen Schatten und frag Varius. Er wird dir schon nicht den Kopf abreißen. Ehrlich, alleine kommen wir eh nicht auf einen grünen Zweig...', murrte die Stimme meines Verstandes und ließ mich meine Augen verdrehen. Wirklich, manchmal war dieses Hirn mit seiner Logik und dem ganzen Müll einfach nervig. „Ich kann mich aber nicht immer auf andere verlassen...“, wisperte ich leise und schüttelte den Kopf. Ehrlich, ich wollte Varius nicht schon wieder um etwas bitten oder nach etwas fragen. Vor allem nicht nach seiner eindeutigen Ansage vom Vortag. 'Dein Stolz bringt dich noch um...' „Dann ist es halt so.“ Damit war Sense. Mein Kopf gab mir nicht mehr die Möglichkeit zu denken und ich wollte auch gar nicht mehr, denn in Anbetracht der Tatsache, dass die Sonne auf uns niederknallte, war es einfach zu heiß. Nicht das mir noch eine Sicherung durchbrannte oder dergleichen. Das war besser zu vermeiden. „Dann ist halt was so?“ Das hatte mir wirklich noch gefehlt. Tiberius. Wann war der eigentlich so mittig zu mir gekommen? „Dass ich nicht immer eine Geschichte parat habe“, log ich schnell, denn immer noch war Tiberius einer der Letzten, die herausfinden sollten, was in mir vorging. Kurz keimte die Frage in mir auf, ob das überhaupt einer herausfinden sollte. Die Menschen hier waren solche Dinge, die für mich schon schlimme Probleme waren, gewohnt. „Nimm dir nicht zu sehr zu Herzen, was Hinata gesagt hat. Wir sind dir alle gerne behilflich, wenn es darum geht, neue Geschichten auszugraben. Ich schwöre dir, du musst dir welche von Varius anhören. Oder Pantheas und Nels. Ich garantiere dir, da bleibt kein Auge trocken.“ Das bei Nel und Panthea sicher kein Auge trocken blieb, konnte ich mir vorstellen. Schon allein weil Panthea ein sehr dreckiges Mundwerk besaß, welches sie auch in keinster Weise geheim hielt. Nel schien zwar der ruhiger von Beiden zu sein, aber wie hieß es? Stille Wasser sind tief. „Du sag mal, Tiberius... Ich bin heute nicht ganz bei Sinnen, oder so. In welche Richtung sind wir eigentlich losgezogen?“ Stimmt, auf einmal kam es mir in den Sinn. Ich hatte gar nicht darauf geachtet, in welche Richtung wir losgezogen waren. Selbst wenn ich wohl mitbekommen hätte, ich hätte es auch nicht gewusst wo Norden oder Osten war. „Osten, die Küste entlang. So wie die Hauptstraße eben verläuft. Deswegen bildet Cassius die Vorhut und Varius die Nachhut. Ist momentan nicht gerade der sicherste Weg, habe ich gehört. Gefällt dem Dicken aus Balbadd so gar nicht.“ Mein Herz begann wild zu schlagen, kaum dass ich diese Worte hörte. Cassius hatte also Wort gehalten. Wir hatten wirklich die von ihm vorgeschlagene Route gewählt. Jene, die über diese andere Stadt namens Bitroun, da wo ich nachfragen konnte, ob nicht ein Schiff von dort nach Sindria fuhr, führte. Natürlich war klar, dass dem Händler aus Balbadd das nicht gefiel und er mich wahrscheinlich auf mein Versprechen festnageln würde, aber wer garantierte schon, dass wir wirklich überfallen werden würden? Bloß nicht den Teufel an die Wand malen. Noch dazu hatte ich in Balbadd genug Schlachten gesehen. (Es war nur eine, aber mal ehrlich, die war schon zu viel, meine Schulter bezeugte das.) „Du kannst mit viel Glück also unser Training noch anwenden. Wenn du noch etwas üben willst, kannst du jederzeit wieder auf Varius und mich zukommen. Wir machen dich noch fit.“ Ein breites Grinsen lag auf Tiberius Lippen. Mit Sicherheit würde er mir gerne noch dutzende Male sagen, dass ich durch seine Hand gestorben wäre. Bei fünf Mal hatte ich am Vortag aufgehört zu zählen und irgendwie schien es ihm einen Heidenspaß zu machen. „Klar, so fit wie einen Regenwurm. Nervt es dich nicht, dass du immer abbrechen musst? Ich meine, mit mir bekommst du keinen richtigen Übungskampf.“ Es war schon verwunderlich, dass Tiberius scheinbar wirklich Spaß an dem Ganzen hatte, auch wenn die Kampfsequenzen zwischen uns eher aus zwei Schritten oder zwei Blocks bestanden. „Nun, für die Arena bist du kein Material und du solltest dich von Schlachtfeldern fernhalten. Die Offensive ist nicht gerade deine Stärke. Aber vielleicht irren wir uns auch. Versteh mich nicht falsch, du bist vielleicht wirklich ein ganz liebes Mädchen, aber jeder hat mehr als ein Gesicht. Nimm Varius, wenn der in ein Getümmel gerät, solltest du bloß nicht in seine Nähe kommen. Er hat seinen Spaß an so etwas. Oder Iunia, ich schwöre dir, sie hat nen Magen, der selbst meinen mies aussehen lässt. Die kann dir gruselige Geschichten über eklige Krankheiten und so ein Zeug erzählen. Hat sie alles schon gesehen. Selbst der Gebildete ist in Wahrheit ein Dämon. Ich hab aus versehen mal eine seiner teuren Schriftrollen zerfetzt. Du kannst mir glauben, dass war das letzte Mal, das ich das getan habe.“ Ich musste herzhaft lachen, als mir Tiberius das erzählte. Gerade von Cassius' Hauslehrer konnte ich mir das nicht vorstellen, aber vielleicht triggerte eine zerstörte Schriftrolle den Blutrausch zur Genüge. „Wir müssen nur sehen, was bei dir diese Hemmung fallen lässt. Vielleicht fällt dir was ein. Und wenn es soweit ist, stellst du dir vor, dein Gegner hätte das gemacht, und dann wirst du uns alle überraschen.“ Auch wenn Tiberius Worte einer einfachen Logik entsprachen, hatte er wohl Recht. Es gab vieles, worauf der Mensch reagieren konnte. Manche fingen bei bestimmten Liedern zu weinen an, andere wurden melancholisch wenn sie ein bestimmtes Gericht aßen, weil es sie an etwas erinnerte, und so weiter. „Dann gibt es so etwas bei mir nicht. Ich hab das letzte Mal jemanden verletzt, da war ich um die 16 Jahre und das liegt nun ganze elf Jahre zurück.“ Ein kurzer, entsetzter Blick Tiberius zeigte mir, dass mein Spiegelbild auch hier log und ich wohl, wie in meiner Welt, jünger aussah, als ich war. Wie gut, dass ich hier dank fehlender Jugendschutzgesetze trotzdem in einem Bordell arbeiten, Wein oder Waffen kaufen oder mit einem Halbstarken auf Reisen gehen durfte. Magi machte es möglich. „Guck nicht so... Jedenfalls, ich habe nichts, was mich irgendwie so aus der Fassung bringen könnte. Nicht einmal in meiner Heimat. Das hab ich mir abgewöhnt. Wenn ich Frust habe, lass ich den eher mit Worten aus, aber nicht mit Fäusten. Sonst hätte ich sicher schon genügend Leichen im Keller.“ In der Tat, wenn ich austickte dann wirklich nur verbal. Dann hörte ich auf zu denken und spielte Kleinkind, das seinen Willen nicht bekam. Noch so eine Seite an mir, die ich hasste, vor allem weil sie peinlich war. Dank meines Jobs arbeitete ich aber auch daran und hoffte, dass dies nicht länger ein Problem sein würde. „Du explodierst wirklich nie und hast den Drang alles kurz und klein zu schlagen?“, fragte Tiberius verwundert nach. Den Drang hatte ich schon, ich tat es dank meiner guten Kinderstube nur nicht. „Da bist du gut 20 Jahre zu spät, Tiberius. Als Kind habe ich meine Sachen immer umher geworfen, wenn mir etwas nicht passte. Aber mit wachsenden Alter hab ich das abgeschafft. Tut mir Leid. Es wird bei mir also nichts geben, was mich zu einem Biest macht. Aber ich danke dir für deine Hilfe.“ Auch wenn Tiberius mir nicht wirklich geholfen hatte, so war es doch erleichternd, mit meinen Überlegungen und meiner innerlichen Verzweiflung nicht ganz alleine dazustehen. „Selbst wenn es nur zeitlich begrenzt ist, bist du ein Teil dieser Reisegruppe. Hier hilft jeder jedem. Du musst also nicht für dich alleine grübeln.“ Auch wenn es nur zeitlich begrenzt war... Irgendwie hatte dieser Satz schon jetzt etwas, dass mir sagte, dass der nächste Abschied alles andere als leicht fallen würde. Auch wenn ich solange ein Teil der Reisegruppe war, ich hatte mich emotional schon jetzt wieder viel zu sehr auf diese ganzen Menschen eingelassen. Mit einem Schlag wurde mir das bewusst. Wahrscheinlich musste ich nicht nur lernen, wie man ohne mit der Wimper zu zucken offensiv einen Schlag setzte, sondern auch, wie ich Distanz zu Personen wahrte. Die Frage war nur, wollte ich das? „Von wegen zeitlich begrenzt. In meiner Heimat gibt es ein Sprichwort das sagt, man sieht sich immer zweimal im Leben. Wer weiß, vielleicht reise ich irgendwann wieder mit euch. Noch dazu ist diese Reise ja nicht vorbei, also warum schon an das Ende denken?“ Schritt für Schritt. Genauso wie es mein Verstand gesagt hatte. Wer wusste schon, ob ich diese Reise überhaupt überlebte. Ich hatte zwar immer noch den Borg in der Hinterhand, aber ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passierte, wenn der Druck durch Schwerthiebe zu groß wurde und dieser dann wie Glas zersprang. Er durfte damit nur Plan B sein, eine kleine Rückversicherung, nicht aber alles, worauf ich mich verließ.   Ich fühlte mich schon dezent veralbert, als wir an diesem Tag wieder bei einer Karawanserei rasteten. Drei Tage in Folge waren wir auf so ein Ding gestoßen. Wahrscheinlich hätte ich mich doch einmal darüber informieren sollen, in welchen Abständen diese Unterkünfte voneinander entfernt standen. Mehr entsetzte es mich aber, dass die Sonne allmählich unterging und es wieder ganz danach aussah, dass wir auch an diesem Tag hier übernachten sollten. War das nun Cassius' Zugeständnis an den balbaddischen Händler? Oder wollte er einfach nicht das Risiko eingehen, dass uns Räuber im Freien überraschen konnten? Mit Sicherheit freute sich der balbaddische Händler diebisch darüber. Zumindest war ich mir da sicher. Meine Sicherheit wurde aber enttäuscht, als er an mir vorbei lief und mit einem wutverzerrten Blick zu Cassius sah, der sich mit dem Händler aus Kou unterhielt. So ganz war die Atmosphäre also doch noch nicht aufgelockert und wahrscheinlich mussten wir noch etwas länger mit der Griesgrämigkeit dieses Mannes leben. Vielleicht sollte der Händler aus Kou ihn mit zu den leichtbekleideten Damen nehmen. Gerüchten zufolge half körperliche Ertüchtigung bei der Entspannung. Wobei, welche Frau wollte so einen schrecklichen Mann schon anpacken? Bei dem Gedanken alleine schüttelte es mich. „Stellt die Pferde und Kamele unter und sichert die Wagen. Erholt euch zur Genüge, wir brechen morgen wieder früh auf.“ Nachdem Cassius scheinbar alles nötige mit dem Händler aus Kou besprochen hatte, ohne den balbaddischen Mann einzuweihen, gab er klare Anweisungen für das, was er nun erwartete. Oder viel mehr gab er das Zeichen, dass dies unser heutiges Nachtlager sein würde, etwas das mir bewusst gewesen war, kaum dass wir an den Wachen vorbeigezogen waren. Einzig, dass es wohl zum Abendessen heute keinen geschmacklosen Brei gab, erweckte in mir einen Hauch Begeisterung. Wenn man es recht bedachte, war ich aufgrund meiner Grübelei an diesem Tag nicht sonderlich hungrig gewesen. Ein gutes Abendessen war mir da sehr willkommen. Oder die Teestube. Sie klang auch sehr verführerisch. Sinbads erster Band, ein fruchtiger Tee, vielleicht brachte mich das ja auf andere Gedanken oder zu einer Lösung des noch immer bestehenden Problems. Wenn das nicht half, dann vielleicht ein Bad, ganz spät am Abend, alleine. Hoffentlich ohne Cassius auf der anderen Seite. In Gedanken schon beim schönen Teil des Abends, spannte ich die Pferde von den Karren und führte sie zu ihren Unterkünften. Wie gewohnt waren wir nicht die einzige Karawane, die sich hier niederließ. Auch andere schienen diese als Idee sehr angenehm zu empfinden. „Ich sage dir... sie sollen übernatürliche Fähigkeiten haben... Vielleicht sind Magier unter ihnen...“, berichtete einer der Männer, der gerade ein schwarzes Pferd bürstete. Kein Wunder, dass ihre Felle so glänzten. Cassius' Pferden hätte das sicher auch gut getan. „Magier? Die spinnen doch. Wie sollten sich Räuber einen Magier ranschaffen?“, fragte der andere, der Futter in die Eimer vor den schwarzen Pferden schüttelte. „Das mag stimmen, aber wie willst du dir erklären, was der Freund meines Vaters gesehen hat?“ „Sicher das er nicht betrunken war?“ „Ich sage dir, der war so trocken wie eine kandierte Dattel.“ Auch wenn ich versuchte, diesem Gespräch nicht zu lauschen, gelang es mir nicht. Als das Wort Räuber fiel, war meine Aufmerksamkeit geweckt. Magier unter Räubern? Eher unmöglich, oder? Aber was konnten dann im Magi-Fandom übernatürliche Fähigkeiten sein? Magische Utensilien vielleicht? Hatte Magnostadt vielleicht schon begonnen diese Gegenstände zu verteilen? Dem Gespräch weiter folgend, griff ich zu einer Bürste, die für die Gäste hier bereit lag, damit diese ihre Pferde vernünftig versorgen konnten. Das Futter hatte ich ihnen bereits gereicht und somit gab es nichts zu tun. Doch ich wollte mehr erfahren. „Aber er konnte nicht sagen, was diese übernatürlichen Fähigkeiten waren, also würde ich da nicht einen Huang drauf geben. Wenn er nicht betrunken war, hat er sicher nur geträumt.“ Ich war dankbar darüber, dass meine beiden Reisebegleiter so ruhig blieben und die Schönheitskur über sich ergehen ließen, damit ich weiter lauschen konnte. Allerdings erfuhr ich nicht mehr in dieser Diskussion, sodass diese Verzögerung meiner Pläne sich als fast vollständige Zeitverschwendung entpuppt hatte. Dennoch bürstet ich beide Pferde fertig und war fast schon stolz darüber, wie ihre Felle glänzten. „Immerhin das hat sich gelohnt. Macht mir bloß nicht die Hengste hier verrückt, ihr beiden.“ Sanft gab ich beiden einen Klaps auf die Seite und strich noch einmal über das weiche Fell. Ja das Bürsten hatte sich definitiv gelohnt. „Die Hengste? Eher die Stuten, Mädchen.“ Ein Lachen war hinter mir erklungen und ich wandte mich um, zu einem Mann, dessen Kleidungsstil schon sehr dem des balbaddischen Volkes ähnelte. Seine markanten Gesichtszüge waren Zeuge davon, dass er schon viel erlebt hatte und auf seiner linken Wange prangte eine markante Narbe, die deutlich zeigte, dass er wohl keine Herausforderung scheute. Seine schwarzen, kurzen Haare hatte er nach hinten gekämmt, sodass keine Strähne ihm ins Gesicht fiel und seine dunklen Augen verdeckten. „Wie bitte? Die beiden sind Hengste?“, fragte ich verwundert, denn wenn ich ehrlich war, war ich davon ausgegangen, dass diese beiden hier weiblich waren. Aber schön, ich hatte auch nie nachgefragt. „Und was das für Hengste sind. Gut gepflegt, kräftige Zugtiere und leicht in der Handhabe. Die müssen viel Geld gekostet haben. Edlere Tiere findet man nur im Kouga-Clan.“ Der Mann lächelte mich an und mein Blick glitt zu diesen zwei Hengsten. Da mir das Wissen über Pferde und ihre Zucht fehlte, war mir wohl entgangen, wie besonders diese beiden waren. Wenn dem, was der Mann sagte, wirklich so war, dann musste ich wirklich auf diese beiden Acht geben. „Wohin reisen Sie und ihre zwei Hengste?“ Neugierig lehnte sich der Mann an einen Balken und sah mit aufgeweckten Blick zu mir. Seltsam, dass er dieses Interesse nur wegen zweier Pferde zu haben schien. „Die Karawane mit der ich reise, will zum Tenzan Plateau. Ich folge ihnen bis nach Aza. Solange werde ich also mit diesen beiden hier noch reisen.“ Ich legte die Bürste zurück dahin, wo ich sie herbekommen hatte, und verließ die Unterstellung der beiden. „Aza? Von dort komme ich gerade. Ich bin auf meinen Weg zurück nach Balbadd.“ Unwillkürlich verkrampfte sich mein Körper, als ich hörte, wohin der Mann reisen wollte. Balbadd. Diese Stadt würde mich wohl ewig verfolgen. Zumindest solange bis ich wieder dahin zurückkehrte. „Passen Sie dann dort auf. Aktuell steht die Stadt unter strenger Bewachung, weil Rebellen einen Diplomaten aus Kou angegriffen haben.“ Verwundert sah der Mann zu mir, als ich ihm mit versucht wenigen Worten klar machte, wie die Lage aktuell in Balbadd aussah. Diese ganzen Ereignisse lagen zwar schon drei Tage zurück, aber mit Sicherheit waren die Informationen noch nicht so weit hinaus gedrungen. „Sie kommen also aus Balbadd, wenn ich das richtig verstehe?“ Ich nickte auf die Frage des Mannes, der tief und inbrünstig seufzte. „Und ich dachte, die Gerüchte, die ich gehört habe, seien nur Gerüchte. Dieser Angriff macht die Lage natürlich nicht besser. Ist dem Diplomaten aus Kou etwas passiert? Weiß man etwas darüber?“, fragte er schließlich und schien dabei mehr als besorgt zu sein. Wahrscheinlich dachte er schon einen Schritt weiter, was es für Auswirkungen hatte, wenn einer aus dem Königreich Kou zu schaden kam. „Dem Diplomaten geht es gut. Das ist zumindest das, was ich gehört habe. Zumindest scheint es den Verhandlungen mit König Ahbmad über die Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage Balbadds nicht zu unterbrechen.“ „Die Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage Balbadds?“ Ich nickte auf die Frage des Mannes. Sicher, er war nicht in Balbadd gewesen, das bedeutete also auch, dass er nichts von der Rede des Königs wusste. „König Ahbmad hat einige Tage vor dem Angriff auf den Diplomaten eine Rede gehalten. Kou scheint Balbadd helfen zu wollen, um sich aus der wirtschaftlichen Misere zu retten. Allerdings sind einige Bewohner nicht sehr begeistert über diese Nachricht gewesen.“ Der Mann aus Balbadd signalisierte mir mit einem Nicken, dass ich ihm folgen sollte, als er sich in Richtung raus aus den Ställen zuwandte. „Wen verwundert es. Der Huang hat jetzt schon mehr Wert. Dass die Rebellen dann aber ausgerechnet den Diplomaten angreifen, war sehr unüberlegt. Wenn ihm wirklich nichts passiert ist, können wir von Glück reden, sonst hätte das Kaiserreich Kou Balbadd dem Erdboden gleich gemacht.“ Mir behagte nicht, was der Händler sagte, und ich wollte gar nicht daran denken, dass er damit nicht übertrieb. Zumal der Diplomat auch noch Kouha gewesen war. Sicher hätte man Balbadd dann mehr als nur dem Erdboden gleich gemacht. „Dennoch... damit hat Kou auch wieder einen Vorteil bei den Verhandlungen. Und jeder weiß, dass Ahbmad nicht gerade zu Gunsten seines Volkes handelt.“ Auch wenn ich dem Mann aus Balbadd folgte, lief dieser doch scheinbar gezielt dahin, wo meine Karawanenkarren standen. Oder vielleicht hatte ich ihn auch unbewusst gelenkt, denn mir war schon bewusst, dass ich noch diese Karren unterstellen musste. Das sollte nicht auch noch einer der anderen für mich übernehmen. „Das sicher nicht, aber für Balbadd werden sicher wieder gute Zeiten folgen. Die Menschen dort sind stark und wissen einander zu helfen. Sie brauchen nur noch einen König, der dass erkannt hat und nicht gegen sein Volk arbeitet, sondern mit ihnen.“ Ich war zielstrebig zu meinem Karren gegangen und hob diesen an, um ihn noch zu der Unterkunft zu ziehen, etwas das meine Schulter mir mit einem stechenden Ziehen dankte. „Verdammt...“, fluchte ich leise und stellte kurz den Wagen ab um meine Hand zu der Schulter zu führen. „Darf ich Euch helfen?“, fragte der Mann, doch ich schüttelte den Kopf. „Hab den Wagen nur falsch angehoben, mehr nicht...“ Auch wenn meine Schulter noch schmerzte, hob ich erneut den Wagen an und versuchte ihn zu wenden. Da ich mein Gewicht aber auf die linke Schulter verlagern musste, um den Karren zu wenden, war dies mit wenig Erfolg gekrönt. „Erenya, was machst du da! Lass das Ding stehen, Tiberius und ich werden sie schon unterstellen.“ Mit einem Murren hörte ich Varius, der zurück von der Unterstellung kam und scheinbar bemerkt hatte, was mein Plan gewesen war. „Aber die zwei Karren sind mein Verantwortungsbereich, also sollte ich sie auch zur Unterstellung ziehen. So weit ist das doch nicht...“ „Nicht mit deiner Verletzung.“ Ohne mir eine Chance für weitere Diskussionen zu geben, griff er nach einem der Karrenarme und gab mir deutliche Zeichen, dass ich besser losließ, oder alles andere bereute. „Sie sind verletzt und wollen einen Karren ziehen?“, fragte der Mann aus Balbadd verwundert und schien mich dabei tadelnd anzusehen. So als wollte er sagen, dass ich seine Hilfe besser angenommen hätte. „Und wer ist dieser Fremdling?“ Varius hatte nun auch den Mann bemerkt, was diese Situation nicht gerade einfacherer machte. „Verzeihen Sie, ich bin ein Händler aus Balbadd und sah die junge Dame bei den Ställen. Sie war so nett und hat mich über die aktuelle Situation in meiner Heimat aufgeklärt. Es tut mir Leid, sollte ich sie dabei von ihren Aufgaben abgelenkt haben.“ Misstrauisch sah Varius zu mir und dem Händler. Was anderes war es ja wirklich nicht gewesen, aber scheinbar war Vertrauen hier Mangelware, wenn man einander fremd war. Dabei hatte ich eher das Gefühl gehabt, dass alle Händler ein sehr vertrautes Verhältnis zu einander hatten. „Lassen Sie mich raten. Erenya hat ihnen diese Information auch noch kostenlos gegeben?“ Perplex, wie ich, sah der Händler zu Varius. Für mich war es nur selbstverständlich diese Information einfach weiterzugeben. Was sollte ich auch sonst tun? Bares Gold waren sie ja nicht wert. Die einzigen Informationen, die ich wohl besaß und die Gold wert waren, betrafen die Zukunft, aber damit konnte sowieso noch niemand etwas anfangen. Demnach waren sie nutzlos. „Du solltest dir wirklich Unterricht von Cassius geben lassen, was du wem zu welchen Preis sagen darfst, Erenya. Dabei wolltest du noch Geld verdienen um eine Überfahrt nach Sindria bezahlen zu können.“ Im Nachhinein betrachtet, hatte Varius wahrscheinlich Recht. Mit dem Tageslohn eines Arbeiters verdiente ich mir sicher nicht die Überfahrt. Ich musste also das, was ich hatte und wusste, irgendwie so nutzen, dass ich auch noch davon leben konnte. Doch nun war es zu spät. „Ich merke es mir für das nächste Mal.“ Es war im Nachhinein zu spät, nun noch Geld für Informationen zu verlangen. Nicht einmal ich hätte das bezahlt, nachdem ich alles wusste, was es zu wissen galt. „Nach Sindria wollt Ihr? Gehe ich recht in der Annahme, dass der König keine Schiffe aus dem Hafen auslaufen lässt?“ Ich nickte schweigend, spürte aber just in diesem Moment Varius Blick auf mir. Verdammt schon wieder kein Geld verlangt. „Dann ist Eure Reise wirklich eine sehr Umständliche. Ich wünsche euch viel Glück und das ihr sicher in Sindria ankommt.“ Der Mann lächelte ein letztes Mal, bevor er sich von Varius und mir abwandte und ins Innere der Karawanserei ging. In einer Story, die ich geschrieben hätte, wäre diese Verabschiedung anders gelaufen. Der Mann hätte mir dann mitleidiger Weise doch noch etwas Geld in die Hand gedrückt. Aber nichts. Kein Geld nur die Glückwünsche.   **~~**   Wie es Cassius gesagt hatte, waren wir am nächsten Tag früh aufgebrochen. Auf unserem weiteren Weg waren uns andere Reisende und Händler entgegen gekommen, die alle irgendetwas von den Räubern zu berichten hatten, allerdings, wie schon bei den zwei Herren zuvor, waren es nicht mehr als nur Gerüchte, die über Mundpropaganda ala „Ich kenne einen Freund, der hat eine Schwester, deren Cousin dritten Grades kennt da jemanden, der jemanden kennt“ und so weiter. Keiner von ihnen hatte aber auch nur eine Bestätigung dieser Räuber am eigenen Leib erfahren. Ich wusste nicht, ob ich das bedenklich oder erfreulich finden sollte. Wahrscheinlich Zweiteres, denn so konnte der Rest der Reise nach Bitroun ohne große Vorkommnisse weiter gehen. Dennoch ließ Cassius keine Vorsicht fahren. Seit einigen Tagen kehrten wir nun abends in Karawansereien ein, sehr zur Freude der meisten. Scheinbar gefiel es ihnen, abends ein bequemes Lager zu haben. Na schön, ich gestehe, auch ich fand diesen Luxus sehr angenehm und nutzte abends zu später Stunde, dann wenn alle anderen schliefen, das Bad, um meine Haut zu erfrischen. Selbst das Teehaus war mir sehr willkommen und dank der vielen Zeit, die ich vor diesem Bad hatte, war es mir tatsächlich gelungen, Sinbads Abenteuer durchzulesen. Zumindest den ersten Band, denn vom zweiten fehlte nach dutzenden Ständen, die ich in den Karawansereien abgeklappert hatte, jegliche Spur. Wahrscheinlich war dies ein Zeichen dafür, dass es besser war, zu sparen und doch wollte ich unbedingt wissen, wie es weiterging. Ich hasste Sinbad dafür, dass er seinen ersten Band mit einem Cliffhanger enden lassen hatte. Wie konnte er nur? Mal davon abgesehen, dass ich eigentlich wusste, dass er dieses gefährliche Abenteuer im ersten Turm überleben würde, war seine Art zu schreiben sehr bildhaft. Auch wenn sein Stil doch eher zweitklassig war. Zumindest aus meiner Sicht. Aber er konnte ja unmöglich in allem perfekt sein. Dennoch reichten seine Darstellungen von seinen Kämpfen, um mir wieder ein schlechtes Gefühl zu bereiten. Ich erwischte mich hin und wieder dabei, wie ich mich mit Sinbad verglich und mich dieser Vergleich in tiefe Depressionen versetzte. Ich hatte nicht einmal mehr den Mut gefunden Varius und Tiberius um weitere Trainingseinheiten zu bitten und distanzierte mich zusehends von den Mitgliedern der Karawane, um meine Probleme verborgen zu halten. Mein Verstand hatte es aufgegeben, auch nur ein Veto gegen mein dämliches Verhalten zu erheben, und schien einfach damit zu leben, wobei ich ihn hin und wieder erwischte, wie er mich einen hoffnungslosen Fall nannte. „Wir machen hier Pause!“ Wie an jedem Tag, wenn die Sonne am höchsten stand und die Mittagsstunde verkündete, rief Cassius eine Pause aus, die mir gerade heute sehr willkommen war. Zwar waren die zwei Hengste immer noch sehr behilflich bei meiner Arbeit, aber schon seit einigen Tagen quälte mich der Schmerz in meiner linken Schulter. Ich musste irgendwann falsch gelegen haben und nun bekam ich die Quittung dafür. Als ich den Pferden Wasser reichte, zählte ich in Gedanken ab, wie lange wir nun schon unterwegs waren. Es war nun eine Woche her, seit ich Balbadd verlassen hatte. Noch eine Woche mehr und ich war in Aza, wobei, vielleicht würde es auch nicht mehr so lange dauern. Bitroun war der nächstgelegene Hafen. Mit etwas Glück, und wenn Cassius es erlaubte, konnte ich dort nachfragen, ob ein Schiff nach Sindria fuhr. Dann hätte ich wieder etwas Zeit gewonnen. Zeit, die ich vielleicht nicht hatte und die mir wie eine strafende Geißel im Nacken lag. „Ich möchte Euch noch einmal danken, Cassius, dass Ihr uns erlaubt, euch und eure Karawane bis zur nächsten Karawanserei zu begleiten.“ Da ich die Pferde versorgt hatte, war ich zu den Anderen gegangen, die sich mit neuen Mitgliedern der temporären Karawane unterhielten. Wir hatten sie auf dem Weg getroffen und scheinbar war ihrem Karren eine Achse gebrochen. Cassius hatte schnell reagiert und ihnen einen Platz bei uns angeboten. Dankend hatte die Reisegruppe, die scheinbar aus Kou stammte und ebenfalls von Balbadd kam, angenommen. Die armen Teufel wussten noch nicht, dass diese Reise wahrscheinlich die teuerste ihres Lebens werden würde. Cassius würde sicher auch ihnen einiges an Huang aus der Tasche ziehen. War es gemein sich diabolisch darüber zu freuen? Sicher, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass ich mich darüber freute. „Nur keine Sorge, als Reisende muss man sich in jeglicher Situation unterstützen. Noch dazu ist es kein Umweg. Unser Ziel ist dasselbe.“ Mir zuckte bedrohlich der Mundwinkel, als ich Cassius reden hörte. Er war nicht grummelig, sondern charmant. Oh Gott, ging die Welt unter? Erst rasteten wir jeden Abend in einer Karawanserei und nun wurde Cassius freundlich. Träumte ich? Mir fröstelte es, als ich das sah und ich wollte es am besten gar nicht mehr mit ansehen, denn das hier wirkte nicht wie der mir bekannte Cassius, der der Feldwebel vom Dienst war und dies auch unter Beweis gestellt hatte, als wir die Habe der anderen Reisegruppe auf die restlichen Wagen umgebaut hatten. „Nach all dem, was in Balbadd passiert ist, kann man wirklich froh sein, etwas Menschlichkeit auf seiner Reise zu finden. König Ahbmad könnte sich von euch wirklich eine Scheibe abschneiden, Cassius.“ „Wobei wir ja froh sein können, dass er die Tore nicht sofort gesperrt hat.“ Das Gespräch der Reisegruppe nahm eindeutig eine Form von Hasstirade gegen Ahbmad an. Gute Sache. Auch wenn es traurig war, dass er sich mit den Leuten aus dem Kaiserreich Kou nicht gerade viele Freunde machte. „Ich hätte verstanden, wenn der Hafen gesperrt worden wäre, um für die Sicherheit der Händler und ankommenden Schiffe zu sorgen, aber selbst die sind nicht sicher. Wir haben tagelang auf unser Schiff gewartet, welches im Hafen einlaufen sollte. Doch es kam nicht und es scheint auch niemanden interessiert zu haben, dass es nie eintraf. Gerüchten zufolge sollen die Gewässer um Balbadd nicht die sichersten sein, aufgrund von Räubern und Piraten, aber der König scheint dagegen nichts unternehmen zu wollen.“ Ja, diese Reisegruppe konnte ich definitiv auf die Liste für Ahbmads Fanclub setzen. Nur zu schade, dass der kleine verwöhnte König niemals erfahren würde, wie viele aus seinem Fanclub ein Stück von ihm wollten. „Immerhin in Aza können wir noch hoffen, dass einer unserer Landesleute uns mitnimmt. Allerdings werden wir Balbadd nie wieder aufsuchen, solange es unter der Führung dieses schwabbeligen Tunichtguts ist.“ Ich versteifte mich, als ich diese Worte hörte. Das würde Balbadd natürlich auch nicht helfen und Kou noch mehr in die Hände spielen. Wie war das? Später sollte Ahbmad Kougyoku heiraten, damit die Bevölkerung Balbadds versklavt wurde? Dunkel erinnerte ich mich an etwas in der Art und fragte mich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis dieser Plan keimte und man schließlich der Umsetzung wegen Prinzessin Kougyoku schickte. Fest stand nur, dass ich zu diesem Zeitpunkt zurück in Balbadd sein musste. 'Warum eigentlich?' Eine Frage meines Verstandes, der sich endlich wieder zu Wort meldete und meine fixen Ideen hinterfragte. Ja, warum eigentlich? Gerade dann wäre doch die gefährlichste Zeit in Balbadd. Bei meinen Fähigkeiten wäre ich dann schneller Kanonenfutter als ich Piep sagen konnte und gegen einen schwarzen Dschinn, der auf den Namen Kassim hörte, kam ich noch weniger an. Warum wollte ich also unbedingt dann in Balbadd sein? 'Wegen Assad und den anderen, hohle Nuss...', schoss es mir durch den Kopf. Richtig. Ich wusste von den Ereignissen vor Ort. Ich musste dann unbedingt alles in meiner Macht Stehende tun, um die Mädchen und Assad zu beschützen. Vor allem Assad, wenn er wirklich ein aktives Mitglied bei der Nebelbande war. Den Dschinn konnten Alibaba und Aladdin erledigen, das war nicht meine Baustelle. 'Wobei du alle Ereignisse ändern könntest.' Meine Vernunft hatte Recht. Ich konnte mehr tun, als nur die anderen beschützen. Wahrscheinlich, wenn ich genug darüber nachdachte, konnte ich sogar Kassim retten. Alibaba wäre darüber sicher froh gewesen, allerdings... Ich seufzte tief. Nein, nein. Ich durfte mich nicht weiter einmischen. Alibaba wäre niemals so stark geworden, wenn Kassim nicht gestorben wäre. Er musste diese Erfahrung machen, auch wenn es blöd war. 'Zur Not... müssten wir es auslösen.' Mich schüttelte der Gedanke. Richtig. Wenn meine Anwesenheit hier nicht Canon war, und davon ging ich felsenfest aus, konnte dieses Erscheinen schon irgendetwas an der mir vertrauten Zukunft ändern. Vielleicht hatte meine Standpauke irgendetwas in Kassim ausgelöst, weswegen er nicht zu einem dunklen Dschinn wurde, oder vielmehr sich das schwarze Dschinngefäß in den Körper rammte. Wenn das passierte, musste es jemanden geben, der es an seiner Stelle tat. 'Wo wir wieder bei unserem Hauptproblem sind, kannst du das? Einen Menschen töten?' Damit war ich tatsächlich wieder beim Hauptthema. Was, wenn ich es tun musste, um den Canon dieser Serie zu retten? Verdammt, wäre ich dann dazu in der Lage? 'Niemals...' Ja, ich wäre dazu niemals in der Lage. Nicht in dem Zustand, in dem ich aktuell war.   Irgendwie hatte es etwas erleichterndes, als wir endlich bei der Karawanserei ankamen. Ich spannte die Pferde ab und versuchte meine verbliebenen Aufgaben für den Rest des Tages, so schnell es ging, zu erledigen. Ich brauchte dringend eine Küche um meinen Kopf freizubekommen. Kochen. Ich musste kochen, sonst würde ich an diesem Abend nicht ruhig schlafen können. „Also dann ihr beiden, nicht die Stuten wahnsinnig machen“, wisperte ich den Pferden zum Abschied zu und gab ihnen ein wohlwollenden Klaps. Ein Aufwiehern sollte mir wohl ein Schein-unschuldiges „Wir doch nicht“ vermitteln. Ich lächelte, als ich die Unterstellung der Tiere, die ich liebevoll noch als Stall bezeichnete, verließ. 'Küche ich komme!' Wie ein Schlachtruf hallte dieser Gedanke wieder, wurde aber beiseite geschoben, als ich plötzlich Varius zu meiner Linken an mir hängen hatte. „Weißt du...“, begann er und ich fürchtete jetzt schon, wie er mich davon abhalten wollte zu kochen. Mist. „... wir haben in letzter Zeit nicht viel miteinander gesprochen. Wie wäre es, wenn ich dir noch ein paar Geschichten aus meiner Jugend erzähle? Cassius würde sich sicher auch darüber freuen.“ Ja, er würde mich definitiv davon abhalten zu kochen, wenn ich nicht sofort eingriff und seine Einladung abschlug. „Weißt du, ich hatte eigentlich schon etwas vor und so gar keine Zeit für so etwas.“ Ich versuchte unter Varius Arm wegzutauchen und so wieder Abstand zu bekommen, doch dieser bemerkte das und drückte mich fester an seine Seite. „Komm schon, was auch immer du vor hast, kann nicht wichtiger sein, als das, was ich erzählen kann. Außerdem, du wolltest doch die Legenden des Varius in der Welt verbreiten und wie willst du das tun, wenn du keine einzige meiner Heldentaten kennst?“ Argh, mit den eigenen Waffen geschlagen. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass ich so etwas zu Varius gesagt hatte. Nun konnte ich natürlich nicht nein sagen. Also hatte ich keine andere Wahl. Ich musste mich wohl oder übel von Varius entführen lassen und verabschiedete mich im Geiste schon von der Küche.   Wahrscheinlich wusste auch Cassius nicht, warum er nun hier mit mir und Varius im Teehaus saß. Zumindest glaubte ich einen genervten Funken in seinen Augen aufleuchten zu sehen. Ich machte mir nicht einmal die Mühe dies auf die bescheidenen Lichtverhältnisse innerhalb des Teehauses zu schieben. „Also schön, dann lasst euch von meinen Heldentaten im Kolosseum berichten.“ Varius räusperte sich, was aber von Cassius entnervten Seufzen übertönt wurde. „Ich frage mich, von welchen Heldentaten du heute anfangen willst. Du hast noch nie im Kolosseum gekämpft.“ Cassius griff nach seinem Tee und nahm einen Schluck, während Varius scheinbar wie vom Schlag getroffen zu seinem Chef sah. „NIE?! Na hör mal, ich war schon im Kolosseum, da wusste die Welt noch nicht einmal, dass du jemals existieren würdest!“ „Meines Wissens nach gibt es keine Legenden über Helden, die auf Zuschauerplätzen anderen beim Kämpfen zusahen.“ Irgendwie war ich mir unsicher, was zwischen den beiden gerade lief. Sie stritten, eindeutig, aber anders als wenn Cassius mit dem balbaddischen Händler stritt, kam hier keine gedämpfte Stimmung auf. „Ach ja? Jede Legende hat einen Anfang. Meine war eben auf der Zuschauertribüne. Dort sah ich meinen ersten Gladiatorenkampf und ich wollte unbedingt so stark werden wie diese Männer. Deswegen habe ich Tag und Nacht trainiert, sobald ich die Zeit hatte.“ „Und dennoch könnte dich ein Kleinkind besiegen.“ „Aber nur weil ich keine Kinder schlage!“ Wie soll ich das nur erklären, aber das was ich hier sah, war einfach urkomisch. Varius, der versuchte, seine Ehre als Krieger zu verteidigen und Cassius, der ihm mit einfachen Worten jeglichen Wind aus den Segeln zu nehmen versuchte. „Was weißt du schon? Du hast keine Ahnung, was eine wahre Legende ausmacht. Aus Sinbads Abenteuern wirst du das zumindest nicht lernen.“ Ein triumphierendes Lächeln lag auf Varius Lippen, als er die Arme verschränkte und Cassius ansah, der ihn sofort böse fixierte. „Ihr lest Sinbads Abenteuer?“, fragte ich nach, nun doch verwundert, denn ich hatte Cassius nicht für den Typ gehalten, der solche Geschichten las. „Oh, er liest sie nicht nur, er kennt sie Wort für Wort auswendig und träumt wahrscheinlich davon ein ebenso großer Abenteurer zu sein.“ Unter diesen Umständen fiel es wirklich schwer ernst zu bleiben, denn die Tatsache, dass Cassius ausgerechnet die Werke Sinbads auswendig gelernt hatte, obwohl diese keinerlei Nutzen für sein Wesen als Händler hatte, war lächerlich. „Sei ruhig, du gescheiterter Möchtegern-Gladiator.“ „Wen nennst du hier einen Möchtegern, du Möchtegern-Abenteurer.“ Wie auch immer sich das aufgeheizt hatte, beide standen sich Angesicht in Angesicht gegenüber und doch wirkte die Situation alles andere als gefährlich, eher so, als wären diese beide sehr gute Freunde, die hin und wieder eine kleine Rauferei brauchten. „Muss schön sein solche Freundschaften zu haben...“, brachte ich mit einem leisen Lachen hervor und griff zu meinem Becher Tee. Meine Worte waren zu den beiden vorgedrungen, was ich deutlich bemerkte, als sie mich ansahen. „Freund? Von dem? Niemals!“ „Freund? Von dem? Niemals!“ Absolut synchron antworteten die beiden auf mein Kommentar, was echt gemein war, denn ich hatte einen Schluck von meinem Tee genommen und verschluckte mich halb lachend doch noch an dem kostbaren Gesöff.   Es hatte etwas gedauert und mein schallendes Gelächter mit halben Erstickungstod hatte sicher nicht dazu beigetragen, aber die beiden Männer hatten sich wieder beruhigt. Es war einfach herrlich zu sehen, wie sie sich so aufrichtig streiten konnten, ohne böswillig den Anderen zu verletzten. Eine wahre Freundschaft eben. Da flogen Fetzen aber in einer doch eher humanen Weise. „Ach das Kolosseum in Remano, ich schwöre dir, Erenya. Das muss man mit eigenen Augen gesehen haben. Menschen kämpfen dort um ihr Leben und werden entweder zu strahlenden Helden oder kläglichen Verlierern. Die Tapfersten der Tapferen wollen sich mit den Bestien dort messen. Selbst Sinbad war doch schon dort, oder, Cassius?“ Ein Murren war von Cassius zu hören, dem aber ein Kopfnicken folgte. „Wen traf er dort? Ja'far?“ Spoileralarm der bösen Sorte. Ich hatte doch gerade erst Band eins gelesen und hatte an sich auch noch vor, den Rest in die Finger zu bekommen, aber wo bliebe der Spaß, wenn man mich nun spoiler- Halt. Ich war schon genug gespoilert, also störte mich das nicht im geringsten. „Es war Masrur.“ Erneut mehr ein Murren von Cassius, als eine wirkliche Antwort. „Richtig, der Drache!“, antwortete Varius lachend und selbst ich konnte mir nur die Hand vor den Kopf schlagen. „Nein, Varius, der Fanalis... Drakon ist der Drache.“ Verwundert sah mich Varius an, als ich antwortete, obwohl er diese Informationen wohl aus Cassius herauskitzeln wollte. „Ich dachte, du hast nur den ersten Band gelesen?“, fragte Varius daher verwundert. Verdammt. Hatte ich damit etwas Dummes gesagt? Mist. „Mag sein, aber man hört doch einiges von Händlern über König Sinbad und seine acht Generäle.“ Eine gute Ausrede. Mit Sicherheit die Beste die ich zu bieten hatte, allerdings schien sie Cassius nicht zufriedenzustellen. Dennoch, weder er noch Varius sagten etwas dazu. „Also war Masrur der Fanalis. Der Kampf muss wirklich episch gewesen sein. Etwas, wovon man noch in späteren Jahren hören wird.“ Varius schwärmte förmlich von dem, wie wohl der Kampf Sinbad gegen einen Fanalis hätte aussehen können. Dennoch, Geschichten aus dem Kolosseum, nur ein wahrer Erzähler konnte wahrscheinlich die Aufregung einfangen und sie an seinen Zuhörern weitergeben. Ich musste dafür mindestens einmal selbst einen solchen Kampf sehen, da mit das Action-Genre aber nicht lag, bezweifelte ich, dass ich meine Erlebnisse oder solche Kämpfe wiedergeben konnte. Varius hingegen, schien prädestiniert dafür. „Danke jedenfalls für deine Schilderungen, Varius. Ich denke, ich habe nun eine gewisse Vorstellung von dem Kolosseum. Nun entschuldigt mich aber dennoch, ich wollte noch etwas erledigen.“ Ich erhob mich von meinem Platz und lief in Richtung des Ausganges, als ich aber inne hielt, denn eine kleine Reisegruppe erweckte meine Aufmerksamkeit. „Ich bin immer noch der Meinung, wir hätten den westlicheren Weg nehmen sollen. Der ist sicherer und noch dazu kürzer. Wir machen so einen viel größeren Umweg nach Balbadd.“ Ich sah mich kurz um, ob Varius und Cassius mich noch beobachteten, doch ich konnte die beiden in der Menge der hier Sitzenden selbst nicht mehr erkennen, sodass ich mich etwas weiter entfernt von der Reisegruppe setzte, die scheinbar gerade ihre Route beklagte. „Bist du wirklich sicher, dass es richtig war, von Quishan aus diesen Weg zu wählen? Noch dazu dann, wenn Räuber hier lauern?“ Die Sorge und Angst der Frau, die auf einen Mann einsprach, der mittig saß und den meisten Teil einer Landkarte für sich beanspruchte, war deutlich herauszuhören. Scheinbar hatten auch sie von den Gerüchten der Räuber gehört. Räuber, die ich immer noch nicht gesehen hatte und über die es auch keinerlei Beweise für deren Existenz gab. „Ich habe euch versprochen durchzukommen. Bisher ist die Reise auch ruhig verlaufen. Anders hätte es über den direkteren Weg ausgesehen. Wer weiß was für Gesindel sich wieder dort herumtreibt. Ich könnte es nicht verantworten, euch auf dem Weg nach Balbadd zu verlieren.“ Ich schluckte schwer, als ich hörte, was der Reiseleiter sagte. Es klang ähnlich wie das, was Cassius angedeutet hatte. Auch wenn „Ansässige“ wahrscheinlich noch wesentlich höflicher formuliert war, als Gesindel. Gleichzeitig erwachte aber in mir die Neugier, was beide damit meinten und warum ich scheinbar die einzige war, die es nicht verstand. Denn selbst die Damen um den Reiseleiter herum schienen es zu verstehen und ließen ein dankbares Seufzen hören. Scheinbar rührte es sie, dass ihr Reiseführer sich so um sie sorgte und ihr bestes im Sinn hatte. Allerdings konnte man davon reden, dass man zum Besten aller handelte, wenn man nicht nach einer dritten Route suchte? Oder gab es gar keine dritte Route? Wenn es keine gab, dann war es für einen Händler oder Reiseführer wohl wirklich eine schwere Entscheidung den richtigen oder viel mehr geeigneteren Weg zu wählen. Cassius hatte dies getan und seine Route so vehement verteidigt, als glaubte er wirklich, dass wir mit einer Bande Räuber problemlos klar kamen. Würden wir das aber, sollten die Gerüchte von den Räubern sich bewahrheiten?   Trotz des Bades am späten Abend hatten sich meine Gedanken immer noch nicht geordnet. Statt wie gewohnt nun zu Bett zu gehen und mich von Albträumen quälen zu lassen, zog ich es vor an die frische Luft zu gehen. Meine Beine zogen mich von Selbst in Richtung der Stallungen, auch wenn ich bereits erkannte, dass die beiden Prachthengste den Schlaf der Gerechten schliefen. Mein Blick glitt gen Himmel, der nicht nur von Sternen übersät war, sondern auch von den Lichtern der Rukh, die ich zum ersten Mal seit langem wieder richtig wahrnahm. Sie flatterten aufgeregt umher, in ihrem strahlenden Weiß, als wüssten sie, dass sich alles zum Guten wenden würde, egal was noch kam. Oder waren sie einfach verstorbene Seelen von Verwandten der Menschen hier, die nach ihren Liebsten sehen wollten? Schon seltsam. Nur Magier konnten Rukh sehen, aber konnten sie diese auch verstehen? Wenn ja wie, und warum konnte ich das dann nicht? War ich vielleicht doch keine Magierin und hatte die ganze Zeit recht behalten? Warum konnte ich sie dann aber sehen? „Von Schönheitsschlaf hältst du nicht viel, oder?“ Mein Blick wandte sich vom Himmel ab, als ich Varius' Stimme vor mir vernahm. Da war er wieder, der Wächter der scheinbar nicht nur Blut meilenweit gegen den Wind roch. Dabei war ich wie gewohnt vorsichtig gewesen, dass ich niemanden der Anderen weckte. „An Schlaf ist momentan nicht wirklich zu denken...“, nuschelte ich, als sich Varius zu mir gesellte und in den Himmel sah. Ich folgte seinem Blick und genoss den Anblick, während ich tief in meinem Innersten froh darüber war, dass ich gerade jetzt nicht alleine sein musste. „Sieht der Himmel in deiner Heimat auch so aus?“ Es kam unerwartet, dass Varius so etwas wie Interesse an meiner Heimat zeigte, doch tat es gut darüber reden zu können, selbst wenn es nur unbedeutende Dinge waren. „Ein wenig... Nicht immer, aber manchmal. Und auch nicht überall. Aber ich kenne den Himmel nur aus meiner Stadt und wenn nicht gerade Wolken die Sicht verdecken, leuchten die Sterne genauso schön wie hier. Wobei das hier... ist anders.“ Ich zögerte bei den letzten Worten etwas und ließ meinen Blick auf den Himmel gewandt. Ja hier diesen Sternenhimmel zu sehen, war jeden Tag etwas anderes. Jedes Mal konnte es immerhin das letzte sein, das man ihn bewusst wahrnahm. „Ich kann mir vielleicht nicht vorstellen, wie es ist, ganz allein für sich an einem Ort zu sein, an dem man niemanden kennt. Ich weiß auch nicht, wie du dich fühlst und wenn wir ehrlich sind, bin ich wohl der Falsche für solchen Gefühlskram. Wenn du jemanden bräuchtest, von dem du möchtest, dass er dich versteht, wäre Tacita oder Iunia die beste Anlaufstelle. Dennoch, wenn du ein Problem hast, kannst du auch gerne mit Tiberius oder mir darüber reden. Oder auch mit Cassius, auch wenn das, was er sagen und tun wird, nicht zu den hilfreichsten Dingen gehört. Aber da bilden Tiberius und Ich keine Ausnahme.“ Varius lachte jungenhaft, als wäre das, was er gerade sagte, nicht nur unangenehm für ihn, sondern auch vollkommen entgegen dem, wie er eigentlich war. Emotionale Reden gehörten wohl wirklich nicht zu seinem Stil, aber damit konnte ich leben, denn das erwartete ich auch nicht. „So einsam ist es gar nicht. Ich frage mich sogar, ob es nicht falsch ist, euch so nahe an mich heran zulassen. Euch zu vertrauen, von meiner Heimat zu erzählen, oder euch meine schwachen Seiten zu zeigen. Irgendwann werde ich sicher nach Hause zurückkehren und ich weiß schon jetzt, dass ich euch dann nie wieder sehen werde. Das ist in gewisser Weise traurig, denn ihr seid, selbst wenn es eine kurze Reise ist, ein Teil meines Lebens hier geworden.“ Stille legte sich erneut zwischen Varius und mir. Scheinbar wusste er nicht, was er darauf sagen sollte. Oder er überlegte, was er sagen konnte. „Varius, ich will niemanden töten. Und wenn es nach mir ginge, würde ich auch liebend gerne niemanden verletzten wollen. Ich weiß auch nicht, ob ich eines von beiden könnte, wenn es darauf ankommt. Ich weiß nur, ich will stark werden und irgendwann zurück nach Balbadd gehen, um jene, die mir geholfen haben, ebenfalls zu unterstützen. Jemanden etwas schuldig zu bleiben, ist nicht meine Art. Aber... wie soll ich das schaffen, wenn ich für die Waffe nicht geschaffen wurde? Wenn ich etwas nicht schaffe, was für die meisten hier ohne nachzudenken getan werden kann? Ich weiß, dass es mich mein Leben kosten wird, denn einfach wegsehen kann ich auch nicht. Wie... wie soll ich das nur schaffen?“ Es kostete mich einiges an Mühe meine Tränen herunterzuschlucken und nicht vor dem starken Wächter neben mir vollkommen jegliche Kontrolle zu verlieren. Stark werden, ich wollte stark werden und Herumgeheule gehörte da sicher nicht dazu. „Das war es also... Nun, es spricht nichts dagegen, stark zu werden ohne eine Waffe zu führen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ebenso wie ein Krieger verschiedene Waffen führen kann. Es wird für ihn aber immer nur eine passende geben. Eine, mit der er selbst am Besten zurechtkommt. Im Kampf wie im Leben, muss man nur die richtige Wahl für sich treffen.“ Eine Wahl treffen. So weit war ich wohl auch schon. Meine Wahl war es, niemanden töten zu wollen. Nur ob diese Wahl mit den Dingen, die getan werden mussten, vereinbar war? „Ob ich diese Zeit habe, diese Wahl zu treffen?“ Ich zweifelte. Ein Dauerzustand der letzten Tage, doch dieses Mal war ich mit meinen Zweifeln nicht alleine. „Natürlich hast du die. Sollte etwas passieren, wir passen auf dich auf und bringen dich sicher nach Aza. Cassius hat dir das versprochen und er steht wie ein richtiger Mann zu seinen Versprechen, also mach dir keine Sorgen.“ Ich spürte, wie Varius seine Hand auf meinen Kopf legte und mir fest, aber doch behutsam übers Haar strich. Irgendwie zweifelte ich nicht an seinen Worten, doch sie hinterließen einen bitteren Nachgeschmack. Es gab damit nur eines, was ich tun konnte. „Wenn es darauf ankommt, Varius... Werde ich euch mit allem was mir diese Welt gegeben hat, beschützen.“ 'Selbst wenn es bedeutet meinen Borg zu benutzen.' Es war ein stummes Versprechen, von dem ich nicht wusste, ob Varius es so verstanden hatte, wie ich es meinte, aber es waren die aufrichtigsten Worte, die ich seit Tagen laut ausgesprochen hatte.   **~~**   Ohne die Gruppe aus Kou, also nur in unserer alten Formatierung, waren wir am Tag darauf losgezogen. Die Sonne meinte es auch heute nicht gut mit uns, doch wie gewohnt führte Cassius die Gruppe unerbittlich an, während Varius das Schlusslicht bildete und Tiberius sich in der goldenen Mitte befand. Wir waren den ganzen Morgen ohne Rast gelaufen und allmählich sehnten sich meine Beine nach der Mittagspause, die wir hoffentlich bald einhalten würden. Gefühlt waren wir nämlich schon tausend Kilometer gelaufen. Meine Kehle schrie nach Wasser und meine Beine nach einem Stopp. Welchen sie auch unerwartet bekamen. Ich spürte die Pferde an den Geschirr ziehen und sah nach vorne, wo der Rest der Karawane innegehalten hatte. Ich ließ in meinem Zug locker, stoppte ebenfalls und lauschte, denn wenn das ein Zeichen für die Mittagspause war, würde Cassius sie gleich verkündigen. Doch sein Befehlston blieb aus, stattdessen Stille. Verwundert sah ich an den Tieren vorbei und erkannte in Cassius Hand die glänzende Klinge eines Säbels? Oder war das ein Schwert? Egal was es war, woher hatte er dieses Ding? Mein Blick glitt zu Tiberius, der die Handlung seines Herren scheinbar als eindeutigen Befehl gesehen hatte, ebenso die Waffe zu ziehen. Weiter hinten hatte es Varius ihm gleich getan, der in Kampfposition mit seinem Dreizack ging. Doch weiter, nichts als Ruhe. Waren ihre Nerven überspannt? Warum hatte Cassius so plötzlich gestoppt? Mein Herz raste wie wild und ich versuchte es zu beruhigen, um mehr von der Umgebung wahrzunehmen. Außer den gewohnten Büschen und Bäumen war nichts zu sehen. Nicht ein Blatt raschelte, was kaum verwunderlich war, denn ausgerechnet heute war es windstill. Warum also dieser plötzliche Stopp? Erneut sah ich mich alarmiert und nervös um, als plötzlich ein lautes Krachen und Knacken durch das Gehölz klang. So als wäre jemand von einem Baum gefallen, oder als würde ein T-Rex einen Spaziergang durch den Wald machen. Sofort griff ich zu meinem Dolch, bereit mich zu verteidigen, denn das Krachen kam immer näher. Es verstrich auch keine weitere Sekunde als bewaffnete Männer aus dem Unterholz liefen. Schreiend. Moment... Das war kein Kriegsschrei. Soviel konnte selbst ich heraushören. Es klang mehr nach einem Aufschrei der Angst. Merkwürdiger wurde das nur, als diese Männer an uns vorbeiliefen als hätte der Teufel vor, sie persönlich zu holen. Cassius stand genauso perplex da wie ich oder Varius. Er versuchte nicht einmal nach den Männer auszuholen. Und da sah ich sie, drei vertraute Gesichter, die panisch schreiend von dannen liefen. 'Die Nando-Brüder?' Aus einem Reflex heraus, sah ich ihnen nach. Dem kleinen Dicken, den dicken Großen und dem besser aussehenden, schlanken Mittleren. Definitiv die Nando-Brüder, aber wovor... „Varius!“ Ein Ausruf von Cassius, der Varius galt, richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Richtung, aus der die Nando-Brüder mit ihren Anhängern gekommen waren und ich wusste instinktiv, dass uns scheinbar etwas Schlimmeres als nur diese drei Pappnasen erwartete. Kapitel 13: Überfall -------------------- Die Schreie der Nando-Brüder hallten selbst noch in der Ferne wieder, doch unsere Blicke blieben auf den Wald vor uns gerichtet. Die Anspannung aller konnte man förmlich in der Luft greifen, denn jeden Augenblick konnte irgendeine Gefahr aus dem Wald vor uns preschen. Fest hielt ich den Dolch umklammert und spürte, wie sein rilliger Griff auf die Blasen drückte, welche ich durch das Führen der Pferde bekommen hatte. Doch gerade war dieses unangenehme Gefühle Nebensache. Der einzige Gedanke, der mich gerade beseelte, war die Angst, jetzt schon gezwungen zu sein, offensiv werden zu müssen. Umso bedrohlicher wirkten die hohen Zedernbäume, die dicht an dicht standen. Ihre Äste warfen Schatten die wie greifende Arme wirkten. Im sanften Wind wiegten sie sich, sodass die Schatten sich bewegten. Jeder bewegte Schatten schien aber ein potentieller Angreifer zu sein, so dass es unmöglich war auszumachen, ob es ein Feind oder eben nur ein schattenwerfender Ast war. Doch es kam nichts. Der befürchtete Angriff blieb aus und nur die Stille hielt Einzug und forderte unsere Geduld und unsere Vorsicht heraus. Die Anspannung wich aber nicht, denn niemand wollte diesem Frieden trauen, schon gar nicht Cassius und Varius, die ihre Waffen immer noch fest umklammert hielten. „Wir sollten umkehren!“, rief der Händler aus Balbadd, der plötzlich nicht mehr unweit von mir entfernt stand. Die offensichtlichen Schreie schienen ihm in Erinnerung gerufen zu haben, was ich ihm versprochen hatte. Klar war damit, dass er wirklich vorhatte mich als seinen Schutzschild zu missbrauchen, wenn es darauf ankam. Aber schön, sollte der Feigling doch. „Hier kehrt niemand um, solange Cassius nicht die Anweisung dafür gibt“, murrte Tiberius, der den Händler am Kragen packte und so daran hinderte, in die Richtung der Nando-Brüder zu fliehen. Empfehlenswert wäre das sowieso nicht gewesen, da diese Drei sicher nicht einfach mal so zum Kaffeekränzchen geladen hätten. Dennoch, selbst mir erschien es klüger, nun wegzulaufen, allerdings wovor sollten Räuber fliehen? Was lag vor uns, das so furchtbar war, aber scheinbar nicht das Interesse besaß, ihnen zu folgen? Und warum war es auf einmal so verdammt ruhig? Ich sah mich um und erkannte, wie angespannt alle weiterhin blieben. Kein Wunder, Varius und Cassius hatten ihre Kampfposition immer noch aufrechterhalten und schienen damit zu rechnen, dass jeden Augenblick etwas aus dem Gehölz kam. Sie verweilten eine ganze Ewigkeit so, bis ihre Körper sich schließlich entspannten und Cassius Waffe wieder unter seiner Toga in der Schwertscheide verschwand. „Junge, wir müssen umkehren und zurück zur Karawanserei. Dieser Weg ist eindeutig nicht sicher.“ Der balbaddische Händler hatte sich von Tiberius losgerissen und war auf Cassius zugegangen, ebenso wie der Händler aus Kou. Da sich alle anderen ebenfalls wieder entspannten, lockerte ich meinen Griff um den Dolch und steckte diesen wieder weg. Ich war erleichtert darüber, dass ich in diesem Augenblick nicht die Entschlossenheit aufbringen musste, doch noch offensiv zu werden. Die Entscheidung mein eigenes Leben und meine eigene Sicherheit über andere zu stellen, war damit aufgeschoben, glücklicherweise. „Tiberius!“ Cassius' Stimme hallte durch die Stille, als er nach dem Wächter rief, der sofort zu der Gruppe von Händlern ging und sich aktiv an dessen Gespräch beteiligte. Sein Blick war ernst und er nickte immer wieder auf Cassius' Worte, die ich allerdings nicht verstehen konnte, weil ich des Lippenlesens einfach nicht mächtig war. Dennoch blieb selbst mir nicht verborgen, dass unsere Situation sich keineswegs entspannt zu haben schien. Es lag immer noch eine gewisse Spannung in der Luft und die ernsten Blicke der miteinander redenden Männer machten das nicht besser. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, den Dolch schon wegzustecken. Erneut vergingen Sekunden, als wären sie Minuten gewesen und schließlich hatten die vier Männer sich auf etwas geeinigt. Mit einem Signal, machte Cassius uns klar, das wir uns alle um sie versammeln sollten. Ein mulmiges Gefühl lag mir in der Magengegend, als ich auf die Händler zuging und erwartungsvoll lauschte, was sie uns zu sagen hatten. „Wir brauchen einen Freiwilligen, der mit Tiberius den Weg als Vorhut geht.“ Ohne lange zu fackeln, kam Cassius direkt zum Thema und sah in die Runde. Freiwillig also. Wenn man es recht bedachte, war die Suche nach einem Freiwilligen das Beste. So musste der Rest sich nicht ausmalen, was für Gefahren vor ihnen lagen und welche sie überwinden mussten, wenn sie ebenfalls zur Vorhut abgeschoben wurden. Auch mir schwante nichts Gutes und obwohl es mir klar war, dass da vorne, im Wald, oder am anderen Ende, ein riesiges Monster auf uns warten konnte, hätte ich wohl todesmutig die Hand gehoben. Aber nicht jetzt. Ich hatte immerhin dieses eine Problem, welches mich daran hinderte, nützlich zu sein. Am Ende wäre ich Tiberius mehr ein Klotz am Bein, statt einer Hilfe gewesen, also hielt ich mich dieses Mal besser zurück. „Ich gehe mit Tiberius!“ In Chens Augen funkelte die Entschlossenheit eines Kriegers, als er hervortrat. Beneidenswert, denn er musste sich sicher keine Gedanken darüber machen, ob er mehr Last als Hilfe war. Er konnte ohne zu Zögern tun, was getan werden musste. „Also schön. Sollte euch auf dem Weg etwas seltsam vorkommen, kehrt umgehend zurück. Wir warten hier auf euch. Wenn alles in Ordnung ist, wird Tiberius uns das Signal geben.“ Mein Blick glitt zu dem Wächter, der sich mit dem Rücken zur Gruppe gewandt hatte und in die Tiefen des Waldes blickte, der mit einem falschen Schritt sein Grab werden konnte. Ob ihm das bewusst war? Ob er Angst verspürte? Wie ging es außerdem Chen bei der ganzen Sache? Wenn ich ehrlich war, machte ich mir Sorgen um die beiden und das, obwohl sie die besser ausgebildeten Kämpfer waren. Sie würden schon wissen, was es im Notfall zu tun gab, darauf waren sie doch schließlich trainiert, oder? „In Ordnung, Chen. Sehen wir nach, was uns auf der anderen Seite erwartet.“ Tiberius schien sowohl geistig als auch körperlich gewappnet zu sein, als er erneut sein Schwert zog. Ein letztes Mal, sahen die beiden zu Gruppe und lächelten, als wollten sie damit sagen, dass alles gut werden würde, doch niemand glaubte das, als sie gemeinsam den Wald betraten.   Ich hatte mich auf dem Boden neben meinen beiden Hengsten niedergelassen und starrte zu dem Wald, in dem vor wenigen Minuten Tiberius und Chen verschwunden waren. Auch wenn dies nicht viel Zeit war, so fühlten sich diese Minuten an, als wären bereits Stunden vergangen. Unerträglicher als das Warten war nur die Ungewissheit und diese Stille, die mit einem Mal unerträglich zu werden schien. Niemand von uns wusste, was am anderen Ende des Waldes auf uns wartete und wahrscheinlich fürchteten alle, dass Tiberius und Chen das noch am eigenen Leib erfahren mussten. 'Vielleicht hätte ich sie vor dem Slenderman warnen sollen.' Ich lächelte bitter, als mir dieser schwachsinnige Gedanke, dass Slenderman ausgerechnet in diesem Wäldchen wohnen sollte, in den Sinn kam. Warum sollte er, wenn er in meiner Welt die Wälder unsicher machte, wobei die Erfolgsquote ein Kind in einem Wald zu schnappen, in Magi wohl wesentlich größer war und ihm wie ein Einkaufszentrum vorkommen musste. Lächerlich. Einfach lächerlich, dass ich in so einer Situation an Slenderman denken konnte. Dennoch, der Gedanke an diese Creepypasta-Figur beruhigte mich und ließ diese Stille nicht mehr ganz so unerträglich erscheinen. „Hätten wir nicht alle zusammen gehen sollen?“, fragte Hinata leise in ihre Gesprächsrunde. Nahe meines Platzes, hatten sich Hinata, Panthea, Iunia und Tacita niedergelassen. Man sah den vier Frauen wirklich ihre Sorgen an und doch konnte keine von ihnen diese Sorge wirklich offen an die Männer bringen. Besonders Hinata schien Chens Abwesenheit alles andere als gut zu tun. Ihr standen die Sorgenfalten im wahrsten Sinne des Wortes ins Gesicht geschrieben und alleine dieser Ausdruck reichte, um mich zu verunsichern. War dies ein Zeichen dafür, dass sie seinen Kampffertigkeiten nicht vertraute? Hatte ich die beiden überschätzt? Hatte der Händler aus Kou sie vielleicht überschätzt? Ich erinnerte mich an die Situation in der Karawanserei zurück. Vielleicht hatte ich schon dort die ganze Situation fehlinterpretiert. Was, wenn an den von mir gehörten Gerüchten über die übernatürlichen Räuber doch etwas dran war? Waren mit den Räubern dann vielleicht nicht die Nando-Brüder gemeint? Wenn nicht, warum waren sie dann aber so krachend aus dem Wald gepoltert? Eine alte Gewohnheit ergriff wieder von mir Besitz. Ohne dass es mir selbst bewusst war, hatte ich den Daumen zu meinen Lippen gehoben und biss auf den Fingernagel. Er brach nicht, denn mein Biss war dafür zu zart, allerdings kaute ich auf diesen herum als wäre er der Kauknochen eines Hundes. Wenn Hinata Chen schon nicht vertraute, war das doch kein gutes Zeichen. „Mach dir keine Sorgen, Hinata. Chen ist wie du ein erfahrener Kämpfer. Noch dazu ist Tiberius bei ihm. Es gibt also keinen Grund zur Sorge.“ Mütterlich legte Tacita ihre Hand auf Hinatas Arm. Scheinbar vertraute immerhin die Römerin den beiden Männern. Ob mich das auch beruhigen konnte? Ich seufzte tief auf und sah zu Cassius, der mit verschränkten Armen an einen Wagen lehnte und in den Wald hinein sah. Äußerlich wirkte er ruhig, allerdings hatte ich bei Cassius, abgesehen von seinen cholerisch anmutenden Ausbrüchen noch nie viele Gefühlsregungen gesehen. Dieser grummelte Gesichtsausdruck schien in seinem Gesicht fest gemeißelt zu sein. Obwohl, er hätte Tiberius sicher nicht als Vorhut geschickt, wenn er sich Sorgen machen würde. Nachdem, was ich im Training mit dem Wächter gesehen hatte, auch wenn das nicht viel war dank meiner Unfähigkeit, ahnte ich, dass seine Muskeln nicht nur Show waren. Genau, ich musste mir keine Sorgen machen und dennoch... Varius und Cassius Verhalten, nachdem die Räuber geflohen waren, war trotz der Stille doch sehr bedenklich gewesen. Allein dieser Fakt ließ das miese Gefühl in meiner Magengegend nicht verschwinden.   Ich vermied es mit den Anderen zu reden, da ich sicherlich niemanden glaubwürdig beruhigen oder ermutigen konnte. Ich selbst machte mir zu große Sorgen, auch wenn diese nicht permanent meine Gedanken erfüllten. Damit blieb mir nur zu schweigen, doch die Stille war tödlich für meinen Kopf, denn ich spielte bereits jetzt alle möglichen Szenarien durch, die meine Kreativecke erdenken konnte. Ich musste vorbereitet sein, nur für den Fall der Fälle. Es war schließlich nicht abwegig, dass plötzlich etwas aus dem Gehölz kam und dieses Etwas nicht wie unsere Gefährten aussah. „Es ist alles deine Schuld!“ Ich hob meinen Kopf, als ich plötzlich Hinatas erzürnte Stimme neben mir erklang. Wie gewohnt hatte ich es geschafft meine Umwelt vollständig zu vergessen, oder viel mehr auszublenden. Wahrscheinlich wusste ich deswegen nicht was Hinata meinte. „Nur wegen die denkt Chen, dass er uns allen etwas beweisen müsste und hat sich freiwillig gemeldet. Wärst du nicht, hätte unser Herr eingelenkt und hätte weiterhin den nördlichen Weg in Betracht gezogen. Ich schwöre dir...“ Das war es also. Anhand der Informationen, die mir Hinata entgegenwarf, wusste ich nun, was wohl meine Schuld war. Noch bevor sie irgendetwas anderes aber sagen konnte, hob ich meine Hand und sah sie an. „Moment, ich habe euren Herren lediglich gefragt, ob er euch das zutraut, mit ein paar Räubern fertig zu werden. Augenscheinlich tut er das. Aber das hat noch lange nichts mit mir zu tun. Nur weil er es euch zutraut, hätte er nicht von seinem Plan abweichen müssen. Das er es getan hat, bedeutet doch lediglich, dass er diesen Weg trotz der bekannten Gefahr als sicherer sieht.“ „Red dich nicht raus! Mich kannst du mit deinen ach so logischen Worten nicht um den Finger wickeln. Chen ist zwar wie ich ausgebildet worden, aber er kämpft nicht gerne! Nur weil unser Herr uns sagte, dass du und er von unseren Fähigkeiten überzeugt sind, hat er sich freiwillig gemeldet. Sonst hätte er das niemals gemacht.“ Zweifelnd hob ich eine Augenbraue und sah zu Hinata, deren Wut gerade ein Ventil suchte. Oder viel mehr eine Fixierung, auf die sie sich richtigen konnte, und ich schien ausgerechnet das richtige Opfer zu sein. Immerhin zeigte mir diese Szene gerade, dass der Händler aus Kou mit seinen Dienern sprach und sie nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellte, soviel musste man ihm Zugute halten. „Warum hast DU dich nicht freiwillig gemeldet, wenn du so entschieden für diesen Weg warst? Oder glaubst du wirklich, wir retten dir den Hintern, wenn es Probleme gibt? Das kannst du vergessen!“ Hinatas Vorwürfe wurden schärfer und gerade jetzt kämpfte ich mit einem sich anbahnenden Wutausbruch. Ruhig bleiben. Sie machte sich Sorgen um Chen, da durfte sie aufbrausend sein. Sie durfte mir auch gerne die Schuld geben, denn ich hatte ja ebenfalls nachdrücklich gefordert diesen Weg zu gehen. Also ganz ruhig, es war ihr gutes Recht wütend zu sein. „Chen kam mir etwas zuvor mit dem Melden...“, antwortete ich daher ruhig und sah Hinata an. Ganz gelogen war es nicht, auch wenn ich wirklich froh gewesen war, dass Chen sich freiwillig gemeldet hatte. Hätte sich allerdings niemand gemeldet, hätte ich mich wohl „geopfert“. So wie in meiner Welt, wenn es niemanden gab, der eine unliebsame Aufgabe tun wollte. Es musste ja schließlich weitergehen. Doch Chen hatte mir die Entscheidung abgenommen, sodass ich nicht dieser grausigen Eigenschaft der Opferung verfallen war. „Und du erwartest wirklich, dass ich dir das glaube? Du bist doch froh, dass sich jemand statt deiner geopfert hat. Aber ich schwöre dir, wenn Chen etwas passiert, wird dich kein Varius vor mir beschützen können.“ Ich schluckte schwer, denn irgendwie glaubte ich Hinatas Drohung. Sie schien wirklich nicht zu spaßen und gleichzeitig fragte ich mich, was ich ihr getan hatte, dass sie so dermaßen wütend auf mich war. Solche Vorhaltungen machte man nicht einfach jemanden, der einfach nur nicht genug Rückgrat besaß; sich freiwillig zu melden. Da musste noch mehr in ihr brodeln. „Ehrlich, Hinata... Ich weiß nicht, wo dein Problem ist. Tiberius ist doch bei Chen. Damit ist er nicht alleine. Beide können einander unterstützen. Ich wäre Tiberius wohl keine große Hilfe gewesen.“ Ich versuchte ruhig zu bleiben, auch wenn Hinata es mir wirklich schwer machte, besonders als sie mich am Kragen packte und auf die Beine zwang. „Hör gut zu, Miststück...“, fing sie an und ihre Stimme nahm einen unheimlichen Klang an. Denselben Klang hatten meine Kundinnen, wenn sie sich bereit dafür machten mich verbal fertig zu machen. Hinata hingegen neigte wohl zum nonverbalen Fertigmachen. „... glaub bloß nicht, dass du dich einfach so zurücklehnen kannst, während andere deine Verantwortung übernehmen. Du bevorzugst es doch, für dich alleine zu sein, dann lass also nicht andere deine Arbeit machen. Wir beide wissen genau, dass diese Vorhut deine Aufgabe gewesen wäre, und wenn du es noch nicht weißt, dann mache ich dir das mit Vergnügen klar. Besonders dann, wenn Chen etwas passieren sollte.“ Es kostete sie ebenfalls alles an Beherrschung, mir jetzt nicht sofort eine zu verpassen. Ihr wäre es wohl auch egal gewesen, wenn alle anderen um uns herum das gesehen hätten. Die Aufmerksamkeit von den anderen hatten wir ja eindeutig. „Hinata, beherrsch dich!“, herrschte sie der Händler von Kou an, der so schnell er konnte auf uns zukam und Hinatas Arm ergriff und fest zudrückte. Sie schien diese Geste zu verstehen und ließ von mir ab, widmete mir aber noch einen erbosten Blick. „Ich warne dich...“, flüsterte sie, bevor sie sich wieder von mir abwandte und sich aus dem Griff ihres Herren befreite und sich von uns entfernte.   Ich muss gestehen, dass Hinatas Warnung wirklich tief in mir saß. Sie hatte Recht. Wenn es drauf ankam, konnte ich mich nicht auf die Anderen verlassen. Schon gar nicht auf Hinata. Dennoch, ihre Warnung entlockte mir auch ein leises Lachen. Seltsam, wie ähnlich diese Situation derer mit Suleika war. Sie und ich hatten uns zu Beginn auch nicht verstanden und ich wusste immer noch nicht wieso. Wir waren aber Freunde geworden. Freunde, die nun einiges an Kilometer trennten, nur damit beide Parteien sicher waren. Ich biss mir auf die Unterlippe, denn erneut musste ich mit den Tränen kämpfen. Ich vermisste sie, die Mädchen aus dem Freudenhaus. Ich vermisste Assad, Ameen und irgendwie auch Sadiq. Selbst wenn Letzterer mich oft genug belogen hatte. Sie waren normal, nichts Besonderes, so wie ich. Abgesehen von Sadiq schien nicht einmal Assad zu wissen, wie man kämpfte. Er war zwar stark, aber beherrschte nicht mehr als den Prügel-Knigge von den Klischeepubs, wie ich sie aus meiner Welt kannte. Im Vergleich zu dem hier, war es bei ihnen nicht deprimierend, niemanden töten oder verletzen zu können, auch wenn das Leben in Balbadd nicht zu den ungefährlichsten gehörte. Dort erwartete aber niemand, dass ich auf einmal zur Amazone mutierte und mit Kriegsgeschrei auf den Feind zu stürmte und ihm eigenhändig das Herz aus der Brust riss. … … Okay, ich gebe zu, das war übertrieben, aber es fühlte sich allmählich so an. Abgesehen von meinem Borg, konnte ich doch nichts tun. Lebender Schutzschild, dass war alles. Und mit etwas Glück hatte ich die Lektionen von Tiberius und Varius noch nicht vollständig vergessen und konnte immerhin mit meinem Dolch blocken. Grandios, sicher etwas, das man in einem blutigen Gemetzel brauchte. Am Ende wäre ich doch wieder auf die anderen angewiesen, sogar auf Hinata. Wahrscheinlich hatte sie mich dahingehend durchschaut. „Geht es wieder, Hinata?“, fragte Iunia besorgt, als Hinata sich wieder zu den Frauen begab. Seltsam. Ich fühlte mich so ausgeschlossen. Wobei, hatte ich jemals zu dem Grüppchen Frauen gehört? Wir waren nie zusammen baden gegangen und außer den dürftigen Sachen, hatte ich nie mit ihnen gesprochen. Ich war so gesehen ausgeschlossen. Aber nur, weil Kommunikation so live und in Farbe nicht gerade zu meinen Stärken gehörte. „Sie sind schon so lange weg. Wie soll ich da ruhig bleiben? Was wenn sie diesem... Diesem... Was auch immer da ist, in die Arme gelaufen sind? Wie stellt Cassius sich das vor? Schickt er dann die nächsten Opfer rein um nach Tiberius oder Chen zu suchen? Oder lässt er sie dort eiskalt verrecken?“ Hinatas Gemüt hatte sich augenscheinlich immer noch nicht beruhigt. Ebensowenig hatte sie aufgehört, sich um Chen zu sorgen. Eben doch wie ein altes Ehepaar. Sicherlich machte sich auch Chen Sorgen, wenn er noch lebte... Nein nein, das war ganz falsch. Er lebte noch. Er musste noch leben. Es gab kein „Wenn er noch lebte.“ Zumindest versuchte ich mir das einzureden. Sie lebten, beide. Beide waren erfahrene Kämpfer. Nichts würde sie also so einfach aus dem Leben reißen. Ich legte meine Hand aufs Herz und versuchte mich zu beruhigen. „Keine Sorge. Ihnen wird nichts passieren. Und Cassius wird uns auch nicht unnötig in Gefahr bringen.“ Es war Iunia die sich nun für Cassius einsetzte, doch Hinata schien vollkommen resistent für jede Erklärung zu sein. Trotzig wie ein Kind verschränkte sie die Arme und suchte scheinbar den nächsten Schuldigen dafür, dass ihr Chen sich freiwillig gemeldet hatte. „Dann hätte er selbst gehen sollen!“ „Oh, du hättest dich lieber von dem Fettsack aus Balbadd weiter führen lassen?“, fragte Panthea, der Hinatas Laune scheinbar auch gegen den Strich ging. „Nein. Unser Herr hätte uns auch weiterführen können.“ Es war nur logisch, dass Hinata ihren Herren als ersten im Kopf hatte, wenn es darum ging, einen neuen Reiseführer festzulegen. Allerdings zweifelte ich, dass ihr Herr genug Durchsetzungsvermögen hatte. Er war zwar nett, aber wirkte nicht so, als wäre er ein geeigneter Reiseführer. Ebensowenig schien mir der balbaddische Händler einer zu sein. Cassius war damit schon die beste Wahl die wir hatten. Dennoch, die Frauen schwiegen, auch wenn sie wohl dasselbe wie ich dachten. „Kommt schon. Ohne Cassius wärt ihr doch auch viel besser dran. Keiner könnte euch mehr aufhalten, wenn ihr dahin reist wohin ihr wollt. Wäre das nicht toll?“ Betretenes Schweigen machte sich auf Hinatas Worte breit. Was meinte sie damit, dass keiner sie aufhalten könnte? Das sie dahin reisen könnten, wohin sie wollten? Konnten sie das jetzt nicht auch? Wobei, sie reisten ja schon genug. Sicher sahen sie viele Orte, die sie gerne mal gesehen hätten. Mit Cassius konnten sie diesen Wunsch wahr machen. „Ich mag nicht dran denken, was wir ohne unseren jungen Meister machen würden. Genauso wie du dir nicht vorstellen magst, was du ohne Chen machen würdest.“ Das Gespräch wurde allmählich seltsam. Seit wann stellte man Diener und Pärchen auf eine Stufe? Das war wirklich ungewöhnlich. Oder wollte Iunia damit andeuten, dass sie bei Cassius war, weil sie tiefere Gefühle für ihn hatte? Schon bei dem Gedanken errötete ich und gab mein Bestes dabei, diesem Gespräch nicht länger zu folgen. Deswegen waren Frauengespräche nichts für mich. Sobald es romantisch wurde oder etwas emotionaler im positiven Sinne, hatte ich nichts mehr zu melden. Es war also besser, dass ich nicht bei dieser Gruppe saß und für mich alleine darauf wartete, dass Tiberius Zeichen ertönte. Wie weit würden die beiden gehen müssen? Könnten wir das Zeichen überhaupt noch hören? Nein, bloß nicht daran denken. Es würde alles gut werden. Es wurde immer alles gut. Alles würde gut werden.   „Pst, Weib...“ Da die Warterei doch etwas länger dauerte, hatte ich mich etwas von der Gruppe entfernt um auszutreten. Natürlich war ich nicht zu weit weggegangen, sondern weit genug, dass ich im Notfall noch schreien konnte. Doch alles war beim Austreten gut gegangen, sodass ich mich schnell wieder auf dem Weg zurück zum Lager machen konnte. Mit dem balbaddischen Händler der mich angesprochen hatte, hatte ich dabei aber nicht gerechnet. „Oh...“, antwortete ich und blieb stehen. Der Händler sah mich an, hielt aber einen gewissen Abstand gewahrt. Wahrscheinlich fürchtete er, dass ich ihm sonst an die Gurgel ging, wenn er mir zu nahe kam. Diese kleine Auseinandersetzung mit Hinata hatte er immerhin auch mitbekommen. „Ich wollte dich nur an dein Versprechen erinnern. Selbst wenn dieser reimische Wächter und der Diener aus Kou nicht mehr aus dem Wald kommen, werden wir unsere Reise fortsetzen. Cassius hat das bereits entschieden. Egal was uns dann erwartet, du wirst mein Schutzschild sein und meine Waren und mich beschützen, verstanden?“ Die Art wie er sprach, gefiel mir gar nicht. Sein Schutzschild. Das zeigte mir nur zu deutlich, wie viel Wert mein Leben für ihn hatte. Es war gerade mal wertvoll genug um seine Waren und ihn zu beschützen. Wahrscheinlich würde er auch noch auf mich eintreten, während ich mit dem Tod kämpfte. Ein Glück blieb dieses Szenario noch in der Zukunft und vielleicht blieb ich davon auch verschont. Ich musste höchstens bis Aza mit diesem Mann aushalten und seinen „Schutzschild“ mimen. Danach konnte er sehen, wie er zurecht kam. „Ich habe Ihnen das versprochen, also werde ich auch dazu stehen. Sie müssen mich nicht ständig daran erinnern“, murmelte ich und holte gut sichtbar tief Luft um mich zu beruhigen. Schon jetzt war mein Puls wieder auf 180. Scheinbar hatte heute jeder vor mich zum explodieren zu bringen. „Ich war mir nicht sicher, nachdem du mit der Kou-Göre gesprochen hast. Du musst übrigens nicht kämpfen können. Setz deinen Körper ein, dann warst du wenigstens zu etwas gut.“ Dieser Mann wusste, wirklich, wie man das Blut von jemanden in Wallung brachte. Meines kochte und irgendwo in meinem Kopf hörte ich die Stimme meiner Aggression. 'Mach ihn kalt... Zieh den Dolch und erlöse diese Welt heldenhaft von diesem Schandfleck!' 'Lass das. Gewalt ist keine Lösung. Noch dazu wolltest du kein Blut an deinen Händen kleben haben.' 'Oh bitte. Wir können ja an diesem Mastschwein üben. Das ist sicher lustig.' 'Wenn er wichtig für die Handlung sein sollte, hat SIE ein Problem. Sie sollte also nicht einfach mal nach belieben Menschen abstechen.' „Würdet ihr bitte die Klappe halten.“ Auch wenn meine Worte laut ausgesprochen waren, galten sie doch nicht dem Händler aus Balbadd, auch wenn er diese wohl ebenso gut verdient hatte. Diese ganzen Stimmen im Kopf waren echt eine Qual. „Du Kleine...“, knurrte der Händler, der sich verständlicherweise angesprochen fühlte, während ich mir die Schläfen massierte. Die Stimmen hatten sich immerhin wieder in das hinterste Stübchen meiner Fantasie zurückgezogen und nun blieb mir nur noch dieser Mann als einziger Ursprung für meine Kopfschmerzen. „Wie gesagt, ich werde zu dem Versprechen stehen. Danke dennoch, dass Sie mich noch einmal daran erinnert haben.“ Ohne ihm weitere Beachtung zu schenken, ging ich die letzten Meter zur Karawane zurück. Ich hatte die Wut erneut runterschlucken können. Die Frage war nur, wie lange ich das noch konnte, bevor ich bei der falschen Person explodierte oder das Falsche sagte. Personen, die es einfach nicht verdient hatten, sollten nicht zu meinen Opfern werden.   Das Warten setzte sich fort und schien kein Ende nehmen zu wollen. Doch die einzigen, die wirklich ruhig blieben, waren Varius und Cassius. Entweder hatten sie ein großes Urvertrauen in Tiberius, oder sie zeigten einfach nicht, dass es ihnen selbst quer im Magen lag. Mich störte diese Warterei allmählich und die Sorgen wurden erneut größer. Der Einzige, mit dem ich darüber reden konnte, war aber Varius. Ihm vertraute ich hier am meisten. Er hatte meine Verletzung gerochen, war ehrlich zu mir und hatte sogar bemerkt, als mir viele Dinge den Kopf gegangen waren. Als wäre ich seine kleine Schwester oder so. Ja. Irgendwie konnte ich mich nicht verwehren, ihn als den großen Bruder zu sehen, den ich mir schon immer gewünscht hatte. Warum sollte ich also nicht jetzt, da ich wieder von Sorgen geplagt wurde, zu ihm gehen und mit ihm reden? 'Er findet dich sicher nervig... Ständig jammerst du herum und so weiter. Das hält keiner wirklich lange im Kopf aus. Wenn du einmal für dich bleibst, kannst du endlich mal zeigen, dass du auch ohne Hilfe eine Situation durchstehen kannst.' In meinem Kopf ging es wirklich zu voll her. Meist konnte ich diese Stimmen erfolgreich ignorieren, doch seit ich hier war, oder viel mehr, seit ich auf Reisen war, übernahmen sie Stück für Stück den Part von wirklich echten Gesprächspartnern. Es war zum Mäuse melken und insgeheim fragte ich mich, ob ich in meiner Welt auch so shizophren gewesen war. Mit Sicherheit, denn ich hatte jeder dieser Stimmen einen Namen gegeben. Kein Wunder also, dass sie wie echte Persönlichkeiten wirkten, auch wenn ich mir im Klaren war, dass jede von ihnen Ich war. Teile meiner Persönlichkeit, die ich unterdrückte, Teile meiner Vernunft, mein Verstand, oder einfach nur Eigenschaften, die ich gerne hätte, mich aber nicht traute auszudrücken und sie so zu Charakteren aus meinen Geschichten machte, um sie irgendwie ausleben zu können. Von blutrünstig und vulgär bis hin zu unschuldig und mutig war alles dabei. Sollte man nun glauben, dass ich eine komplizierte Persönlichkeit war, so irrte man sich. In jedem von uns stecken mehrere Persönlichkeiten. Seiten, die wir nicht gerne offenbaren, alte Egos oder einfach nur eine Maske, die wir vor diversen Menschen trugen um einfacher durchs Leben zu kommen. So zumindest die Theorie aus Persona, die mir ehrlich gesagt mehr als nur gefiel, mich aber gleichzeitig hin und wieder in die Identitätskrise warf. Doch das durfte mir jetzt in Magi nicht passieren, weswegen ich diese Stimmen unbedingt zum Schweigen bringen musste. Bei Varius hatte das bisher immer ganz gut geklappt, weswegen ich gezielt zu dem Wächter ging, der auf dem Boden saß und seine Augen geschlossen hatte. Schlief er? Wie konnte er in so einem Moment ans Schlafen denken? Unglaublich. Das war so typisch Mann. Selbst in meiner Heimat konnten Männer in den seltsamsten Situationen schlafen. Wieder eine bekannte Sache, die es auch in meiner Welt gab. Nachdenklich sah ich Varius an. Er bewegte sich keinen Zentimeter. Sein Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Ja, er schlief wohl wirklich. „Ich kann noch keine Gedanken lesen. Wenn du mit mir reden willst, musst du Worte dafür benutzen, Erenya.“ Ein Lächeln zeichnete sich auf Varius' Gesicht ab, als er ein Auge öffnete und mich ansah. Er hatte mich also veralbert. Na super. Dieser Tag ging definitiv nicht als einer der Besten meiner Zeit im Magi-Fandom ein. Sollte ich jemals dazu kommen, meine Abenteuer hier niederzuschreiben, wäre dieser Tag ganz dezent raus gesegelt. Niemand hätte dann davon erfahren. „Ich dachte du schläfst...“, murrte ich beleidigt und entlockte mit meinem schmollenden Unterton dem Wächter ein Lachen. Es war wirklich unglaublich, dass er nun auch noch über mich lachte, auch wenn er das nicht böse meinte. „Ich hoffe für dich, dass du mich jetzt anlachst...“, knurrte ich und verschränkte die Arme. „Du bist ganz schön gereizt. Du machst dir Sorgen um Tiberius und Chen, oder? Keine Sorge. Es wird alles gut.“ „Es wird alles gut“, das war nun nicht der Satz den ich hören wollte. Denn er beruhigte mich in keinster Weise. Varius sollte das eigentlich wissen. Aber gut, er hatte ja zugegeben, dass er in Sachen Gefühle nicht der richtige Gesprächspartner war und dennoch hatte ich ihn aufgesucht. Nicht Iunia oder Tacita, sondern ihn. Wohl wissend, dass er mir nicht helfen konnte. Vielleicht wollte ich das auch nicht. Also, dass er mir half. Ich wollte wohl einfach eine freundliche Stimme hören, die mir nicht gleich Vorhaltungen machte. „Irgendwie sind doch alle gereizt. Abgesehen von dir und Cassius. Schon das alleine ist unheimlich. Also, dass ihr beide euch scheinbar keine Sorge macht. Außer ihr seid gute Schauspieler.“ Letzteres glaubte ich nicht. Die Wahrscheinlichkeit war nicht gerade groß, dass beide ein schauspielerisches Talent hatten. Cassius traute ich das ja noch zu, so wie er die Reisegruppe aus Kou behandelt hatte. „Wir machen uns schon Sorgen, allerdings ist der Zeitpunkt, an dem Cassius die Vorhut schickte gut abgepasst gewesen. Viel müssen die beiden also nicht fürchten.“ Ich setzte mich neben Varius und verzog etwas Gesicht. Erneut machte er wieder Andeutungen, die ich so gar nicht verstand. Wie sollte Cassius diesen Zeitpunkt bitte abgepasst haben? „Da fällt mir ein, ihr wart vorhin trotz der Stille sehr angespannt. Meinst du nicht, dass ihr etwas übervorsichtig wart?“ Ich sah Varius an, der kurz zu mir sah, schließlich aber grinste. Er packte mich, unter seinen linken Arm, als sei ich ein Vogelküken und zog mich an sich heran. „Spätzünder, huh? Das du das immer noch nicht verstanden hast, ist eigentlich traurig.“ Sanft strubbelte mir Varius durchs Haar. Ich spürte die harten Knöchel seiner Faust, doch es schmerzte nicht. Er war wirklich bemüht, mich nicht mit seiner groben, männlichen Art zu überraschen oder gar zu verschrecken. „Wen nennst du hier bitte einen Spätzünder? Ich kann doch nichts dafür, wenn du keinen Klartext sprichst“, wehrte ich mich und versuchte mich aus Varius' Griff zu entziehen. Diese Aktion ging in eine kleine Rangelei über, in der ich versuchte Varius in die Seite zu boxen, allerdings merkte ich schnell, dass dies unmöglich war, da mich seine goldene Rüstung daran hinderte. Stattdessen spürte ich einen scharfen Schmerz durch meine Knöchel ziehen. „Moah, Varius hör auf!“ Ich nutzte das letzte Mittel, welches ich zur Verfügung hatte, um Varius doch noch von mir zu lösen. Ich zwickte ihn ohne Rücksicht auf Verluste in die Wade. Sofort ließ Varius von mir ab, sah mich geschockt an und rieb sich die Stelle, als hätte ich ihm damit besonders schlimm wehgetan. „Das war für das Versauen meiner Frisur, Kumpel.“ Einen Moment sah mich Varius noch schweigend an, bevor er selbst in lauten Gelächter ausbrach und sich auf die Schenkel klopfte. „In dir steckt also doch ein Rüpel“, lachte er und klopfte mir auf den Rücken, wobei ich etwas nach vorne kippte, auch wenn Varius nicht viel Kraft in den Schlag setzte. Dennoch, etwas in diesem sanften Klaps, erfüllte mich mit Verwunderung. Tiberius hatte sich auch schon einmal aufgeregt, dass Varius mit ganzer Kraft zugeschlagen hätte, obwohl dem wohl nicht so gewesen war. So hatte es Varius zumindest gesagt. Damals hatte ich nicht geglaubt, dass er noch mehr Kraft hatte, doch irgendetwas an diesem Klaps, schien mir zu sagen, das Varius seine Kraft wohl nicht ganz unter Kontrolle hatte oder zumindest nicht wusste, wie man einen sanften Klaps gab. „Und in dir scheinbar ein echter Schläger...“, murrte ich, sah dabei aber Varius an, dessen Lachen nicht verstummte. Scheinbar hatte ich wirklich etwas sehr witziges gesagt, aber schön, immerhin einer hatte seinen Spaß. Und während Varius lachte, hatte ich eben die Gelegenheit meine Sorgen doch etwas zu verdrängen. Zumindest so lange, bis Varius Gelächter abrupt verstarb und der Wächter ernst wurde und in die Stille lauschte. Er schien sich über irgendetwas sicher werden zu wollen, den er schloss wieder die Augen. Just als ich das bemerkte, öffnete er sie wieder und erhob sich. Er griff zu seinem Dreizack und sah zu Cassius, der ebenfalls seinen Blick suchte und nur nickte, so als wusste er, was Varius sagen würde. Wirklich, die beiden mussten Freunde sein, anders konnte ich mir die stumme Kommunikation nicht erklären. „Erenya, geh zu deinen Wagen, wir brechen auf.“   So wie es mir Varius gesagt hatte, gab Cassius den Befehl zur Weiterfahrt. Die Atmosphäre der Gruppe war immer noch angespannt. Niemand wusste, warum wir nun weitergingen, außer Varius, der erneut die Nachhut bildete, während Cassius vorneweg den Weg entlang ging. Scheinbar hatte er nicht vor, von der Reiseroute abzuweichen, nicht einmal jetzt. Ob es Tiberius und Chen gut ging? Wohin würde uns dieser Weg führen? Was würde uns erwarten? Ich wusste nichts von alledem, machte mich geistig aber auf das Schlimmste gefasst. Eine Horde von Räubern die am Ende des Waldes auf uns wartete, vielleicht ein paar magische Objekte, aus denen Feuerbälle, Wasser und was weiß ich nicht noch alles schießen konnte. Vielleicht auch ein schwarzer Dschinn... wobei nein, der war etwas over the top. Warum sollte ein schwarzer Dschinn unter Räubern sein? Einfach lächerlich. Gut. Immerhin mit diesem Schlimmsten musste ich nicht rechnen. Dennoch, was konnte schlimm genug sein um auf Räuber zu passen? Abgesehen von Mord und Totschlag, fiel mir nicht viel ein, aber das was mir einfiel, reichte ja schon. Anders als gewohnt machten es mir auch meine Hengste dieses Mal nicht leicht. Sie wehrten sich und es kostete nicht nur körperlicher Überzeugung, sondern auch meine Überredungskunst, die beiden zu ziehen. Vielleicht war der Weg vor uns doch nicht ganz so sicher und die beiden Hengste spürten das. Tiere waren immerhin empfindlicher, feinfühliger, auch wenn es sich hier um zwei Männer handelte. Verunsichert durch die Beiden sah ich mich um. Hinter jedem Baum konnte ein potentieller Räuber oder Slenderman lauern. Vor letzteren hätte ich wahrscheinlich nicht ganz soviel Angst, da er nur imaginär war, als vor den Räubern, die gerade grausam real sein konnten. „Passt auf, wo ihr hintretet...“, rief Cassius uns zu. Kein Wunder, denn diverse Äste hingen von den Bäumen, abgebrochen, so als wäre wirklich eine Urmacht hier durch gestürmt. Vielleicht waren die Nando-Brüder auch nur sehr eilig aufgebrochen. Oder ein Sturm hatte gewütet... Nein. Ein Sturm definitiv nicht. Die letzten Tage waren so herrlich gewesen, dass meine Haut sich nach einem Regenguss sehnte. Das hier war also definitiv nicht normal, zumindest nicht aus meiner Sicht. Ich seufzte und sah zu den Hengsten, die erneut mit dem Kopf in die andere Richtung zogen. Sie wollten nicht dahin, wo wir hingingen und wahrscheinlich wollte ich das auch nicht. Aber wir drei hatten unter Cassius Führung keine andere Wahl. „Keine Sorge, alles wird gut. Ihr wart teuer, sicher würde Cassius euch dann nicht dahin führen, wo ihr abgeschlachtet werdet. Am wenigsten habt also ihr zu befürchten.“ Ich gab mir Mühe, die Pferde anzulächeln und scheinbar wirkte es. Zumindest beruhigten sie sich und machten mir das Führen leichter. Oder aber, sie wussten bereits, dass dort wo wir ankommen würden, der Tod uns nicht entgegen lächeln würde.   Der Zederwald endete so plötzlich, dass ich als Autorin fast beleidigt darüber war, dass es keinerlei Action in diesem Wald gegeben hatte. Selbst Slenderman war nicht aufgetaucht. Nicht, das ich wirklich ein Gemetzel erwartete, aber dieser düstere Wald war doch ideal dafür, um Leichen zu beseitigen, oder eine Gruppe Reisender zu überfallen und ihnen alle ihre Habe zu berauben. Der Gedanke über diese Enttäuschung, wurde allerdings im wahrsten Sinne des Wortes weggewischt, als ich sah, was vor mir lag und förmlich erstarrte. Vor uns lag ein weiter Strand. Der Sand war weiß und an den Stellen, an denen das Wasser sich hoch spülte, etwas dunkler und schwerer. Die Möwen sangen ihre Litanein davon, dass sie zu ihrem Lebensende auf das Meer flogen um dort, getrennt von Familie und Freunden einsam zu sterben und zum Teil des Kreislaufs des Lebens zu werden. Ein Weg schlängelte sich am Strand entlang, einer der nicht natürlichen Ursprunges war, sondern von den vielen Wägen und Füßen geebnet wurde, die ihn bereits beschritten hatten. Dieser Weg, entlang am Strand, unter den Liedern der Möwen, umspielt von einer sanften Brise, die einen Wanderer das Salz in die Haare flocht, hatte etwas romantisches. Nicht aber heute... Rotbraune Flecken legten sich über den grünen Streifen der zwischen dem Sand und dem Weg lag. Der weiße Sand selbst, war von roten Spritzern befleckt, ebenso wie seine Ebenheit durch Fußabdrücke zerstört worden war. Ein Karren lag umgekippt im Gras nahe von uns, das Rad drehte sich, als wäre der Karren noch nicht lange in dieser Lage. Der Geruch von verbrannten Holz lag in der Luft und vermischte sich mit dem eisenhaltigen Duft der rotbraunen Flecke, die zwar nicht mehr frisch waren, aber in einigen kleinen Pfützen doch noch Zeuge davon waren, dass hier etwas passiert war, dass erst wenige Stunden zurücklag. Langsam löste sich die Karawane vom Waldrand und lief näher zu dem Ort des Geschehens. Überall rot, soviel rot. Fliegen setzten sich ins Gras nieder und mir gefror das Blut in den Adern, als ich in ungebremster Neugier dahin sah, wo sie sich niederließen. Da lag ein Arm, inmitten des hohen Grases verborgen. Die Hand hielt noch ein Schwert fest umklammert. Dieser Arm war definitiv nicht sauber abgetrennt worden, denn einige Hautfetzen hingen schlaff darüber als sei er achtlos abgerissen worden und der Rest von diesem Arm lag sicher irgendwo zwischen den anderen Körpern, die sich Schritt für Schritt offenbarten. Mein Griff um die Lederriemen wurde fester. Auch wenn ich bereits in Balbadd zerstückelte Leichen gesehen hatte, so versetzte mir das hier doch einen wesentlich größeren Schrecken. Ich wandte meinen Blick vom hohen Gras ab, um so nicht mehr zu den Menschen zu sehen, die hier ihr Leben gelassen hatten, doch auf der anderen Seite, nahm das Grauen kein Ende. Bruchstücke von Holz zierten den Weg, zerbrochenes Glas oder blutige Stoffe lagen überall verstreut. Teile von Karren und Wagen lagen überall, als hätte ein Tornado sie erfasst und einfach so willkürlich in die Gegend gespuckt. Blut. Blut klebte an einigen Holzstücken und je näher wir dem Ganzen kamen, um so stärker wurden Gerüche von Körperflüssigkeiten und verbrannten Holz, welche selbst die freie Natur nicht so schnell beseitigen konnte. „Chen!“ Vor mir hörte ich den Ruf von Hinata, die sofort in dem Schlachtfeld ihren Freund ausmachte. Sie vergaß für diesen Moment ihre Verantwortung und Aufgabe und lief auf den jungen Mann aus Kou zu, der wie paralysiert inmitten der Zeugen des Überfalles stand und mit leidgeplagten Blick zu ihr aufsah. Neben ihm stand Tiberius, kreidebleich. Wahrscheinlich war es zwar nicht das erste Mal, dass er so etwas gesehen hatte und dennoch schockierte ihn dieser Anblick. „Habt ihr irgendjemanden gesehen?“ Der einzige, der sich von diesem Anblick nicht beeindrucken ließ, war Cassius, der mit einer Handbewegung die Karawane zum Stillstand zwang und auf den Wächter zuging, der seine Frage nur mit einem Kopfschütteln beantwortete. Ich hielt in meiner Bewegung inne, die Hengste kamen zum Stillstand und ich löste mich von ihren Liederriemen, um näher zu dem Geschehen zu gehen. Es war wortwörtlich wie ein Autounfall. So schrecklich man auch das, was man sah, fand, man konnte einfach nicht wegsehen und musste sich den Schrecken vor Augen führen, der durch Menschenhand hier verbreitet wurde. Vollkommen geistesabwesend, ging ich zum hohen Gras. Mein Herz schlug schwer gegen meine Brust, während mein Magen wegen der Gerüche rebellierte. Erst jetzt nahm ich wahr, dass die Körper, die hier lagen, so etwas wie eine Panzerung getragen hatten. Es waren auch nicht alle von ihnen zerstückelt, die meisten lagen im Ganzen dort. Einige mit weit aufgerissenen, leblosen Augen, Andere mit durchgeschnittenen Kehlen, aus denen noch die Reste ihres Blutes tropften. Im feuchten, braunen Boden sah man nichts von dem Blut, welches eingedrungen war, nur an den Halmen, die sich verdunkelt hatten und nicht mehr saftig grün leuchteten, konnte man erkennen, wohin es gesickert war. „Schaut nach, ob noch jemand lebt!“, wies Cassius plötzlich lauthals an. Ob noch jemand lebte? Mir liefen Tränen über die Wangen. Nein... Hier lebte niemand mehr, abgesehen von der Karawane, die soeben hier eingetroffen war. Um sie alle flogen Rukh, nicht aber diese Körper, die nur noch eine blasse Erinnerung an ihrer Selbst waren. Hatten sie vielleicht Familie? Mussten sie leiden bevor sie starben? Was waren ihre letzten Gedanken gewesen? Ich spürte wie mich diese Gedanken gen Erde zogen. Ich musste mich setzen, erst einmal verarbeiten, was ich hier sah. Menschen... tote, echte Menschen... Genau das, hätten wir sein können. Genau das, konnten wir noch werden, wenn die Angreifer immer noch in unmittelbarer Nähe waren. Ich tastete mit der Hand vorsichtig, fast schon zurückhaltend über den Boden, um mich nicht auf ein Körperteil zu setzen. Doch ich zuckte zurück, als etwas meine Fingerkuppe berührte. Erschrocken blickte ich in die Richtung und sah in die Augen eines Pferdekopfes. Aus Reflex schlug ich mir die Hände vor dem Mund, und wich zurück, wodurch ich deutlich den braunen Pferdekörper sah, über den sich unzählige Schnitte zogen. Ich erkannte sogar einen abgebrochenen Pfeil in seiner Hüfte stecken. Wahrscheinlich hatte man auf den Reiter gezielt, denn das Pferd war, anders als meine beiden Hengste, gesattelt. Jemand musste also darauf gesessen haben. Weiter und weiter wich ich von dem toten Tier zurück, bis ich über etwas stolperte und rücklings ins Gras fiel. Mein Hintern bremste den Sturz ab, ein kleiner Schrei entwich mir, doch das alles war nichts im Vergleich zu dem, was ich gesehen hatte und noch sah. Vorsichtig zog ich die Beine zurück und rappelte mich auf. Ein Blick nach unten verriet mir, was mich zum stolpern gebracht hatte. Ein Junge, mit violettfarbenen Haar, welches ihm ins Gesicht hing. An seinem Körper trug er blutige Lumpen, seine Arme waren nackt und aus ihnen sickerte Blut bis tief ins Erdreich. Mein Herz schlug schneller. Er hatte keine Rukh... Dieser Junge... hier zwischen all den Männern... „Ist alles in Ordnung?“ Iunia hatte wohl meinen Schrei bemerkt und war zu mir gekommen. Sie sah, worauf mein Blick gerichtet war und sofort weiteten sich ihre Augen. „Dieser....“ Sie stockte. Statt wie ich einfach nur hinzustarren, ging sie auf die Knie und tastet den Körper des Jungen ab, sie beugte ihren Kopf über seinen, lauschte, versuchte jegliche Regung die auf Leben hindeutete, sollte sie auch noch so schwach sein, zu erkennen. Doch schließlich schüttelte sie den Kopf. „Armer Sklavenjunge...“, flüsterte sie und strich ihm sanft über den Kopf. „Sklavenjunge?“, fragte ich immer noch wie paralysiert nach. Iunia nickte und verwies mit der Hand zu seinen Füßen, an denen Fesseln befestigt waren. „Wären sie nicht, hätte er vielleicht fliehen können. Oder... wären wir nur etwas eher hier gewesen...“ Ich sah Iunia an, fragend, was ihre letzten Worte bedeuteten. „Er ist erst seit kurzem tot. Wahrscheinlich hat er sogar noch gelebt, als Tiberius und Chen hier angekommen sind. Aber, sie hätten ihn bei seinen Verletzungen unmöglich von all den Toten unterscheiden können.“ Iunias Worte trafen mich mit voller Wucht. Er hatte also noch gelebt. Natürlich konnte man Tiberius und Chen sein Ableben nicht zum Vorwurf machen. Aber mir. Wäre ich mitgegangen... Hätte ich mich freiwillig als Vorhut gemeldet... Ich hätte es doch dank der Rukh gesehen. Wir hätten ihn retten können... Er war doch noch ein Kind... Ich brach zusammen, die Tränen liefen unaufhörlich über meine Wangen. Ich hätte ihn retten können. Ich hätte ihn retten können. Ich hätte ihn... Dieser Gedanke kreiste über mir wie ein gieriger Aasgeier. Diese Erkenntnis, dieses Wissen, es setzte mir einfach zu sehr zu. Ich hätte ihn retten können. Damit, hatte ich mich zum Mörder gemacht und meine Hände mit seinem Blut befleckt. Nun, war ich wahrhaftig im Magi-Fandom, meiner neuen Realität, angekommen.   Iunia hatte bemerkt wie nahe mir dieses ganze Chaos ging und hatte mich zurück zu meinen Hengsten gebracht. Dort stand ich, während die anderen versuchten, auch nur einen Funken Leben in diesem Feld aus Toten zu finden. Nur ich wusste, dass es vergebliche Liebesmüh war. Das Bild des Jungen hatte sich mitsamt der anderen in meinen Kopf gebrannt. Er hätte leben können... 'Hätte, hätte Fahrradkette... hat er leider nicht. Ist traurig aber wahr. Mach dir nicht solche Vorwürfe, genauso gut hättest du ihn finden und versorgen können, damit er dann dennoch seinen Verletzungen erliegt.' Meine Vernunft versuchte zu mir durchzudringen. Doch das war gerade unmöglich. Dafür saß das Erlebte zu tief. „Okay, kommt alle her. Wir müssen gemeinsam abklären, wie wir weitermachen.“ Nach einer Zeit, die so unglaublich schnell vergangen war, rief Cassius alle zu sich. Ich schleppte mich mehr abwesend als wirklich im Hier und Jetzt zu der Gruppe. „Es waren eindeutig Piraten!“, hörte ich den Mann aus Kou sagen. Egal... egal wer es war. Das war einfach nicht rechtens... oder fair. Noch weniger fair war es, dass sie damit davon kamen. „Wer auch immer das war, er hat ganze Arbeit geleistet. Nicht nur das die Waren gestohlen wurden, die Hälfte der Gruppe und die Pferde sind verschwunden. Wir müssen uns also überlegen was wir tun sollen, damit wir nicht genauso enden.“ Cassius hatte scheinbar in jeder Situation einen klaren Kopf. Ihm schien das alles nichts auszumachen. Anders als mir. Ich war wirklich so dumm gewesen zu glauben, dass etwas Kämpfen-Lernen helfen würde, diese Welt zu überleben. „Wir sollten gut überlegen was wir machen. Mit ihnen und mit unsere weiteren Reise. Jeder kann gerne Vorschläge anbringen.“ Es war eine Seltenheit, dass das weitere Verfahren nun nicht nur unter den Händlern diskutiert werden sollte, sondern auch unter all den anderen Teilnehmern. Allerdings, wusste ich nicht, wie man weiter verfahren könnte. Ich spürte nur, wie durch dieses Ereignis all mein Tun und meine Ziele lächerlich wurden. Kapitel 14: Überreste --------------------- Stille breitete sich zwischen uns aus. Sicher überlegten sie alle, was wir tun sollten. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass die ganze Gruppe überzeugt werden musste, war es für einige schwerer, ihre eigenen Argumente einfach so offen zu legen. Auch ich wusste, was ich tun wollte, auch wenn es mit der Frage der Weiterreise nichts zu tun hatte. „Wir sollten die Toten beerdigen...“, sagte ich schließlich und durchbrach damit die Stille. Egal was die Anderen sagen würden, ich hatte das Grauen gesehen und die Verstorbenen hatten es nicht verdient, hier zu liegen und sich von Möwen an den Überresten picken zu lassen. „Mädchen, bist du dumm? Wir sollten selbstverständlich schnell weiterreisen, bevor uns dasselbe droht wie diesen... wie ihnen.“ Er ging mir wirklich auf die Nerven, dieser Händler aus Balbadd. Von Anstand und Moral hatte er wirklich keine Ahnung. Alles, was wohl in seiner Welt existierte, war er selbst. „Schon vergessen, dass ich Ihr Schutzschild bin?“ Ich wusste nicht, wie viele von dem Versprechen wussten, welches ich dem Händler gegeben hatte, aber ich hätte schwören können, in einigen Gesichtern Unglauben lesen zu können. „Werde nicht übermütig. Du wolltest doch so schnell wie möglich nach Aza, also sollten wir diese Kadaver hier verrotten lassen und so schnell wie möglich weiterziehen.“ Die Worte des Händlers hatten es geschafft. Sie ließen die wohl einzige Sicherung flackern, die mich davon abhielt durchzudrehen und auf meine natürlichen Instinkte zurückzugreifen. „Was haben Sie gesagt?“ Meine Stimme füllte sich mit Wut. Vor meinem inneren Augen blitzten all die Leichen auf, die des Sklavenjungen, die des Pferdes, welches seinen Herren gedient hatte, die der Wachen und Kämpfer, die ihre Karawane zu retten versucht hatten. In ihnen hatte soviel Leben, soviel Persönlichkeit gesteckt und nun waren sie für dieses Mastschwein nicht mehr als nur „Kadaver“? „Ich sagte, wir lassen die Kadaver hier verrotten und ziehen weiter.“ Er wusste nicht, mit welchem Feuer er gerade spielte, dass die letzte Sicherung bedrohlich nahe am durchbrennen war. Tief Luft holen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und sah ihn an mit einem Blick der wohl so furchteinflößend war, dass er zurück zuckte. „Wie respekt- und ehrlos muss man eigentlich sein, um ein Leben nur als nützlich oder wertvoll zu sehen, so lange es atmet? Diese Gefallenen sind mehr als Kadaver. Sie haben ihr bestes gegeben, um zu Leben, um ihre Aufgabe zu erfüllen und sind diesem grausigen Schicksal begegnet, weil sie eben das getan haben! Wo ich herkomme, wird jedem die letzte Ruhe gestattet!“ „Wir sind aber nicht da, wo du herkommst. Reg dich also ab. Wir sind überhaupt nur wegen dir in dieser Situation, Erenya, also solltest du nicht schon wieder versuchen, deinen Kopf durchzusetzen und stattdessen mal einfach mal ruhig sein und dich dem Willen anderer beugen.“ Mein Blick glitt zu Hinata, die mich böse ansah, so als wollte sie mir alleine mit diesem Blick das Maul stopfen. Zwei gegen einen, das war in der Tat kein fairer „Kampf“, aber einer den ich schon seit Schulzeiten gewohnt war. Na schön. „Hör auf das Kou-Mädchen. Es sind nur Sklaven und Diener. Sie sind nichts wert.“ Der Händler aus Balbadd fühlte sich anscheinend durch Hinata bestärkt und hatte damit endgültig die letzte Grenze überschritten. Nur Sklaven und Diener... So sah er es also. „Na schön, dann verschwindet doch. Ich werde diese Menschen mit meinen eigenen Händen beerdigen. Ich muss doch für die Reise nach Aza nur diesem Weg folgen, oder, Cassius?“ Ich wandte meinen Blick zu Cassius, der mit verschränkten Armen auf seinem Platz saß und zu dem Händler aus Balbadd sah. Dennoch, er reagierte nicht auf meine Frage. So war das also. Keine Antwort war auch eine. „Na schön, ganz ruhig alle zusammen. Wenn wir uns streiten und so auseinander gehen, bringt es doch auch nichts.“ Der Mann aus Kou versuchte noch die Wogen zu glätten. Er lächelte in die Runde, während Varius mir eine Hand auf die Schulter legte und mit sanften Druck verhinderte, dass ich aufsprang und mich auf meine selbsternannte Mission machte. Ich wusste ja, dass sie Recht hatten und vielleicht stimmte auch Hinatas Vorwurf, dass ich meinen Kopf durchsetzen wollte, aber ich konnte diese armen Menschen einfach nicht hier liegen und vor sich hin gammeln lassen. „Ich muss gestehen, ich kann Euren Einwand verstehen, warum Ihr ihnen die letzte Ruhe gewähren wollt, allerdings halte selbst ich es für klüger, schnellstmöglich weiterzureisen. Wir liegen in unserem Reiseplan schon weit zurück.“ Der Händler aus Kou lächelte und ich glaubte ihm auch, dass er meinen Einwand verstand, doch gleichzeitig verletzte es mich zutiefst, dass er ebenso diese Menschen hier liegen lassen wollte. Ich stand scheinbar vollkommen alleine mit meiner Ansicht da und das deprimierte doch schon, denn scheinbar war ein Menschenleben hier wirklich nur so lange etwas wert, wie es gelebt wurde. „Ich schließe mich Erenyas Vorschlag an. Mir wäre auch nicht wohl bei der Sache, diese Armen hier einfach liegen zu lassen.“ Verwundert sah ich auf und blickte zu Iunia, die nun das Wort erhob, um ihre Ansicht zu präsentieren. Der Händler aus Balbadd schnaubte aber verächtlich auf. „Als ob jemand dich gefragt hat, Sklavenmädchen. Kenn deinen Platz und sei ruhig.“ Ich wusste nicht, was mich gerade mehr schockierte: Dass der Händler Iunia wirklich den Mund verbieten wollte, oder das er sie als Sklavenmädchen bezeichnet. Wie konnte dieser Bastard nur? „Ob Sklave oder nicht, ich habe jeden dazu aufgefordert seine Meinung zu sagen“, murrte Cassius dunkel. 'Moment, hat er eben gesagt... Ist...' Seine Worte waren aber aus anderen Gründen bedenklich. Er hatte Iunia nicht nur verteidigt, sondern indirekt eingestanden, dass sie eine Sklavin war. Mir rutschte das Herz weiter in die Hose. Iunia war eine Sklavin? Bemüht unauffällig sah ich an ihr hinab. Sie hatte aber keine Fußfesseln und an sich wirkte sie mir doch schon sehr frei, dafür, dass sie eine Sklavin sein sollte. Oder... gab es etwas, dass ganz deutlich gemacht hatte, dass sie eine war? „Cassius, ich bitte Euch. Es entspricht doch der Logik, dass alle Eure Sklaven dafür sind, die Kadaver zu begraben. Das wirft uns im Zeitplan noch weiter zurück. Wollt Ihr das riskieren? Unterbindet das am besten sofort, bevor die Sklaven noch denken, dass sie wie Wir wären.“ Sklaven? Hatte Cassius etwa noch mehr von ihnen in seinem Gefolge? Mehr als Iunia? Mir wurde gerade schlecht. Cassius, hatte Sklaven. Mein Magen rebellierte gegen diesen Gedanken. Nicht, weil es mich schockierte, dass ich es nicht bemerkt hatte, sondern weil das Bild, welches sich bezüglich Cassius positiviert hatte, auf einmal in sich zusammen brach. „Ich habe gesagt, ich will von jedem die Meinung wissen, also ist mir egal, welchen Rang diese Person hat. Also, wer schließt sich noch Erenyas Vorschlag an?“ Cassius sah durch die Reihen seiner Leute. Abgesehen von dem Lehrer, der seine Hand nicht hob, waren auch Panthea, Nel und Tacita meiner Meinung zu sein. Ich war damit doch nicht alleine, auch wenn der Fakt, dass sie wohl alles Sklaven waren, mich immer noch zutiefst schockierte. „Immerhin einer deiner Sklaven hat noch einen Funken Verstand, Junge.“ Der Händler aus Balbadd sah zu dem Lehrer, dessen Gesichtsausdruck sich auf einmal doch änderte. Er wurde käseweiß, so als fürchtete er sich vor dem, was die Nachwehen sein konnte. Doch mich schockierte eher, das auch ER ein Sklave war. Verdammt, gab es hier überhaupt eine Person, die, abgesehen von den Händlern und den Personen aus Kou, keine Sklaven waren? „Hey, Cassius. Tiberius und ich würden uns auch gerne Erenyas Vorschlag anschließen. Diese Krieger und Wächter waren so etwas wie Kollegen für uns.“ „Auch wenn wir sie nicht kannten, haben sie es doch verdient, dass ihr Mut und Einsatz gewürdigt wird.“ Cassius schwieg und dachte über das Ergebnis dieser Abstimmung nach. Es war mir nicht klar, ob er ebenfalls für oder gegen meinen Vorschlag war, allerdings schien er doch die Meinung aller respektieren zu wollen, so dass es dauerte, bis er schließlich seine Stimme erhob. „Was sagst du dazu, Chen?“ Chen war in der Tat der Einzige, der noch nicht seine Meinung preis gegeben hatte, doch ich vermutete, dass er Hinatas Meinung sein würde. Er stand eben auf sie. Ich kannte keinen Mann, der nicht der Frau den Vorzug gab, die er liebte. „Ich schließlich mich Tiberius und Varius an.“ Okay, ich kannte eindeutig die falschen Männer. Die Antwort Chens war nun doch überraschend und vor allem verstand ich es nicht. Genauso wenig wie Hinata. „Chen!“, schrie sie fast schon hysterisch auf, doch Chen lächelte sie freundlich an. „Wir würden doch auch wollen, dass man uns die letzte Ehre erweist, selbst wenn wir auf einem Schlachtfeld sterben sollten. Es wäre daher nur fair, wenn sie dann ihre letzte Ehre bekommen.“ „Aber, dann bekommt Erenya ihren Willen!“ Sie schien wirklich nicht glauben zu wollen, was Chen da von sich gab. Wahrscheinlich aber nur, weil ich diejenige gewesen war, die den Vorschlag mit dem Beerdigen der Verstorbenen angebracht hatte. Wer wusste schon, wie sie reagiert hätte, wenn es nicht ich gewesen wäre? „Hier geht es doch gar nicht darum, wer seinen Willen bekommt und wer nicht, sondern was wir mit jenen machen, die hier in einem hinterhältigen Angriff ihr Leben gelassen haben.“ Chens Worte wurden nun harscher und schienen selbst Hinata zurückweichen zu lassen. Wie ein Kind, welches man gescholten hatte, wandte sie ihren Blick von Chen ab und biss sich auf die Unterlippe. „Dann ist es entschieden. Wenn alle helfen, sollten sich unsere Weiterreise nicht weiter verzögern. Allerdings sollten wir überlegen, wo wir dann in der Nacht kampieren.“ Es war nun Varius, der sich erhob und zu Cassius ging. Mit einem breiten Grinsen sah er den Karawanenführer an und klopfte ihm auf die Schulter. „Das ist deine Aufgabe. Wir werden uns um die Kameraden kümmern und du suchst uns ein schickes Nachtlager.“ Tiberius tat es Varius gleich und erhob sich, ebenso Chen. Keiner von den drein schien ein wirkliches Interesse an einer Diskussion für unser Nachtlager zu haben und wenn ich ehrlich war, ich auch nicht. Auch wenn mein Bild von Cassius nun einen gewaltigen Sprung hatte, vertraute ich ihm bezüglich dem restlichen Verlauf der Reise doch noch genug, um ihm diese Verantwortung in die Hände zu legen. Auch wenn mir ehrlich gesagt nun eher danach war, diese Gruppe zu verlassen, da ich mit Sklavenhaltern nichts zu tun haben wollte. Allerdings, unter diesen Umständen... war ich dazu nicht in der Lage. Es war zu viel passiert, das ich erst einmal bearbeiten musste. Später, vielleicht in Bitroun, konnte ich mich von der Gruppe endgültig lösen und die Sklaverei hinter mir lassen. Gott was war das für eine Scheiße... Irgendwelche Wahnsinnigen schlachteten unschuldige Menschen ab, Cassius gesamtes Gefolge schien aus Sklaven zu bestehen und ich war Schuld, dass ein Mensch sein Leben lassen musste. 'Abstand wahren... einfach... Abstand wahren...' Das war der Entschluss, den ich fasste. Ich musste ja nicht mit Cassius reden, also würde ich Abstand von ihm halten.   Warum auch immer die Gruppe Schaufeln bei sich hatte, war mir nicht klar, aber die wenigen, die vorhanden waren, reichten bei weitem nicht. Ich hatte mir provisorisch mit einem Stück abgebrochenen Holz von einem Karren etwas gesucht, damit ich nicht wirklich noch eigenhändig ein Grab ausheben musste. Persönlich hatte ich mir vor Augen gehalten, unbedingt den Sklavenjungen beerdigen zu wollen, weil es auch meine Schuld war, dass es so weit hatte kommen müssen. Er hätte überleben können. Weit ab von den Anderen grub ich mit meinem flachen Holzbrett Stück für Stück ein großes Loch in den Dreck. Ich bemerkte nur am Rande, wie sich Chen Tiberius angeschlossen hatte und mit diesem während des Grabens redete. Scheinbar hatte ihre gemeinsame Vorhut sie etwas näher gebracht, auf rein freundschaftlicher Ebene. Seltsam, wenn man bedachte, dass Chen nie wie der Gesprächigste schien und meist nur den Eindruck machte, wenn er mit Hinata stritt. Wenn man es recht bedachte, war die Gruppe an sich doch sehr vorsichtig und distanziert im Umgang miteinander. Wieso fiel mir das eigentlich erst jetzt auf? In den Karawansereien hatten es Chen und Hinata bevorzugt, für sich zu sein, ebenso die reimischen Anhänger Cassius. Doch nun schien Chen diese Distanz zu überbrücken, indem er sich Tiberius annäherte. Ob es etwas mit ihrer Vorhutsmission zu tun hatte? Sicher, so traute Zweisamkeit führte schon zusammen. Man hatte ja gesehen, wie gut das bei Varius und mir funktioniert hatte. Völlig in diese Gedanken vertieft, grub ich weiter und weiter das Grab des Sklavenjungen. Die Größe passte, nun musste nur noch die Tiefe stimmen. Der Schweiß stand mir auf der Stirn, denn obwohl es langsam spät wurde, waren die Temperaturen erdrückend. Ich nahm sie aber gar nicht psychisch wahr, sondern eher körperlich, so dass es mir leicht fiel sie zu ignorieren. Es gab nur das Ziel. Das Ziel diesen Jungen zu beerdigen. „Brauchst du Hilfe?“ Wie durch einen Schleier drang Iunias Stimme zu mir vor. Ich hielt kurz inne und blickte zu ihr. Sie hielt eine Schaufel in der Hand, lächelte traurig, aber doch mitfühlend. „Zu zweit geht es schneller“, setzte sie noch nach, so als glaubte sie, dass ich ihre helfende Hand abschlagen würde. „Oben muss es noch etwas tiefer werden...“, nuschelte ich leise. Ich muss gestehen, da ich nun wusste, dass Iunia eine Sklavin war, wusste ich nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Ich meine, sie war immer noch Iunia, kein anderer Mensch, als ich ihn kennengelernt hatte. Aber dennoch... Was durfte ich in ihrer Gegenwart sagen, was nicht? Ich wollte sie nicht verletzten, in dem ich vielleicht von Dingen sprach, die sie als Sklavin nicht erleben konnte, weil es einfach nicht für sie bestimmt war. „Der junge Meister sagt, wenn wir hier fertig sind, sollen wir gucken, ob noch irgendetwas Brauchbares unter der zerstörten Ware ist.“ Es war Iunia, die während des Grabens das Gespräch suchte und mir zog sich der Magen zusammen. Ich fühlte mich wie eine Hyäne, die über die Überreste eines Kadavers herfiel und sich nahm was noch gut war. Dreist so etwas. „An der Suche werde ich mich dann wohl nicht beteiligen...“, murmelte ich leise und grub weiter. Auch wenn das hier im Magi-Universum vielleicht Gang und Gebe war, ich konnte mein Selbst aus meiner Welt nicht ablegen. Nicht in solchen Dingen. Erneut trat Schweigen ein. Es war wirklich unangenehm, auch wenn ich Iunia mochte. Ich wusste wirklich nicht mehr, wie ich mit ihr reden sollte. „Dich hat das Ganze sehr mitgenommen. In deiner Heimat gibt es so etwas nicht, oder?“ Ich hielt Inne in meinem Tun und sah zu Iunia. Sie bemühte sich wirklich um mich. Warum? Was hatte sie davon? 'Vielleicht will sie einfach nett sein? Oder macht sich Sorgen?' Die kleine Stimme der Vernunft schalte mich meiner Dummheit und meines Misstrauen. Dennoch, ich konnte nicht davon ablassen. Warum misstraute ich Iunia eigentlich? Seltsam. Oder waren das andere Gefühle, die ich nicht zuordnen konnte? „In meiner Heimat gibt es auf dem Papier und öffentlich auch kein Sklaventum mehr. Zumindest spielt man uns das vor. Wobei Sklaverei vielleicht einfach eine andere Form angenommen hat. Aber Piraten... Räuber... das gibt es immer noch. Nur nicht so nahe in meinem Umfeld. Man könnte meinen... meine Heimat ist... eine Lüge.“ Woher kamen diese Gedanken? Ich meine, ich hatte mich nie vor dem Schlechten in meiner Welt verschlossen und doch war das Leben hier im Magi-Universum nun wie ein Faustschlag ins Gesicht, der mich wachrüttelte und erkennen ließ, wie vielen Illusionen ich erlegen war. „Es ist doch gut, wenn man geborgen aufwachsen kann.“ Iunia war eine gute Seele. Sie versuchte meine verblendete Naivität auch noch gut zu reden. Doch umso mehr hasste ich mich nur. „Ist es nicht... Man weiß nicht, was Leben wirklich bedeutet und wird undankbar! Alles wird verdammt nochmal selbstverständlich, während andere um das kämpfen, was man selbst hat. Man flüchtet sich selbst in Ausreden und in eine rosarote Welt, die nicht existiert. Immer wieder denkt man: 'Was geht mich das an, es betrifft mich doch nicht?' Doch gerade dann betrifft es einen, weil man wegsieht und nichts tut, um das Leben der anderen besser zu machen. Verdammt... ich bin ein naives verzogenes Gör, das nichts über dieses Leben hier weiß und erst so etwas sehen muss um zu realisieren wie falsch ich lag, wie hilflos ich in Wahrheit bin.“ Da war er wieder, der Gedanke, dass Hinata Recht hatte, dass ich diesen Sklavenjungen hätte retten können, dass ich nicht fähig war, mein Leben oder das einer anderen Person zu beschützen. Ein weiterer Faustschlag ins Gesicht. „Dann kannst du das besser machen, wenn du Nachhause kommst. Das ist das Gute an Menschen, sie können ihre Fehler erkennen und dann dafür sorgen, dass sie nie wieder passieren.“ Ich wandte meinen Blick von Iunia ab und grub einfach weiter. Fehler korrigieren, huh... Nicht ich. Dazu fehlte mir einiges. Vieles. Genau das machte mir Angst. Das ich eben dieses Viele, was ich lernen wollte, nicht konnte, weil ich eben einfach Ich war.   Mit Iunias Hilfe hatte es wirklich nicht lange gedauert, das Grab für den Jungen auszuheben. Es war nun tief genug. Wir sahen beide auf den leblosen Jungen, der in diesen Moment schien, als würde er schlafen. Doch wir wussten beide, dass er nicht mehr aufwachen würde. „Wir sollten ihn nun...“, setzte Iunia vorsichtig an. „Können wir die Fußfesseln abnehmen?“, fragte ich, wobei ich ihr ins Wort fiel. Mir gefiel der Gedanke nicht, den Jungen so unfrei ins Grab zu legen. Auch wenn ich vielleicht nicht diesen ganzen Quatsch mit der Seele, Reinkarnation und so weiter glaubte, mir war einfach unwohl dabei. Was, wenn die Fesseln ihn nicht zur Ruhe kommen ließen? „Wie willst du die Fesseln abbekommen?“ Gute Frage. Wie wollte ich diese Eisenketten lösen? Anders als Aladdin hatte ich keinen Ugo, der das mal einfach so machte. Wobei... Wäre ich wirklich eine Magierin, hätte ich einfach einen „Zauberstab“ suchen müssen und hätte sie mit einem mir bekannten Zauber zerstört. Aber kannte ich solche Zauber überhaupt? Eher nicht. Und selbst wenn, es wäre zu gefährlich gewesen. „Ich könnte mit dem Dolch drauf einschlagen bis sie brechen...“ Ja, hätte ich gemacht, aber die Ketten wären niemals gerissen. Sehen wir es, wie es war. Ich war schwach. Vielleicht hätten die Ketten einen Kratzer bekommen, mehr aber nicht. „Ich hol Varius, er hilft uns sicher.“ Sofort sprang Iunia auf und lief los, noch bevor ich einen Einwand geben konnte. Na toll, nun würde auch noch Varius sehen, wie nutzlos ich war. Ach ja, dass wusste er ja. „Blas nicht so viel Trübsal.“ Ein Schlag sorgte für einen seichten Schmerz an meinem Kopf. Ich drehte mich zu der Urheberin herum, die sich als Panthea herausstellte. Verdammt, warum hatte mein Borg nicht reagiert? Oder sollte ich glücklich darüber sein? „Ich blas kein Trübsal...“, murrte ich und rieb mir die Stelle am Kopf, als hätte sie diese wirklich viel zu schlimm malträtiert. „Doch, doch. Schon die ganze Zeit. Seit dem Abend, an dem du mit Tiberius und Varius gemeinsam gegessen hast. Du hältst uns auf Abstand, distanzierst dich, redest kaum... Wenn die beiden Idioten irgendetwas blödes zu dir gesagt haben, dann sag es uns. Wir werden noch eine ganze Zeit zusammen hängen.“ Während sie sprach, wedelte Panthea mit etwas langen herum. Es war ein Stab, der gut genauso groß war wie ich, wenn er mich nicht gar überragte. Er war vollständig aus Holz, abgesehen von einem Edelstein, der in die Spitze eingearbeitet war und giftgrün leuchtete. Um ihn herum schwirrten einige Rukh, was mich innerlich erzittern ließ. Das letzte Mal, als ich sie so deutlich gesehen hatte und das sie um etwas herumschwirrten, war bei Assad gewesen. „Du weißt schon, dass du mich damit erschlagen könntest...“, murrte ich, worauf Panthea mich angrinste. „Ich hab den zwischen einigen zerbrochenen Fässern und Wagenteilen gesehen. Hübsches Stück, was? Das sieht doch aus, als könnte es ein Zauberstab von einem Magier sein.“ Auch wenn Panthea es wohl nur für einen Scherz hielt, sie hatte Recht. Es konnte in der Tat der Stab eines Magiers sein. Hatte sich unter den Reisenden vielleicht einer befunden? „Hier. Hinata lamentiert die ganze Zeit darüber, dass du eine Hexe bist, also solltest du den haben.“ Ein breites Grinsen lag auf Pantheas Lippen, als sie mit den Stab entgegen streckte. Na super, sollte ich nun doch noch entgegen meinen Willens die Eingeweide der Verbliebenen ausschlachten? „Verzichte... außerdem... Cassius wäre sicher nicht erfreut, wenn ich den einfach so nehme. Der Stein an der Spitze könnte einiges wert sein.“ „Pff... wen interessiert das. Keiner von den Händlern wird dem Ding auch nur einen Wert beimessen. Also nimm schon. Sollte der Stein doch was wert sein, kannst du damit vielleicht die Fahrt nach Sindria bezahlen.“ Immer noch hielt mir Panthea den Stab entgegen und machte deutlich, dass sie diesen unbedingt in meiner Obhut wissen wollte. Genauso wie die Rukh. Und gerade wegen ihnen wollte ich das Ding nicht. Ich hatte einen Entschluss gefasst. Diesen Stab zu nehmen, würde diesen nur weiter bröckeln lassen. 'Nur weil du ihn hast, musst du ja nicht zaubern können.' 'Genau, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.' 'Aber er gehört uns nicht. Wir sollten das Geschenk besser nicht annehmen.' 'Allerdings wäre er auch eine gute Waffe. Wenn der Dolch nichts bringt, könnte sie sich immerhin mit dem Stab noch etwas verteidigen.' 'Oh bitte, ihr habt doch alle einen Schuss weg. Soll sie nun wie Harry Potter mit dem Ding wedeln, um zu sehen ob es sie erwählt hat? Wirklich?' Konnten sie nicht einfach mal ruhig sein, oder sich wenigstens darüber einigen, was ich tun sollte? 'Lass mich mal.' Es war ein kurzer Impuls der sich durch die Uneinigkeit zog und mich die Hände nach dem Stab ausstrecken ließ. Verdammt. Allein der verborgene Wunsch so einen Stab mal halten zu wollen, hatte mich dazu gezwungen, Panthea den Stab aus der Hand zu nehmen. „Na siehst du, geht doch.“ Als wäre sie froh, dass sie endlich erreicht hatte, dass dieser Stab in meinen Händen lag, wandte sich Panthea von mir ab und ließ mich perplex zurück. Was war das gerade? Warum hatte sie das getan? Überrumpelt sah ich Panthea nach. Was sollte ich nun mit diesem Ding machen? Geschenke durfte man auch nicht einfach wegwerfen, das sagte zumindest meine Mutter. Ich hatte damit wohl keine andere Wahl, als dieses Ding mit mir herumzuschleppen auch wenn es wohl vollkommen nutzlos werden würde.   Varius und Iunia schienen nicht lange miteinander gesprochen zu haben, denn kaum, dass Panthea gegangen war, kamen die beiden zurück zu dem Grab. Varius schaffte es auch tatsächlich, mit eigenen Händen die Ketten zu zerreißen. Was mich erneut vor ein Rätsel stellte. Ich wusste ja, dass er Kraft hatte, aber soviel? „Danke, Varius.“ Iunia schien also gewusst zu haben, wie stark Varius war. Natürlich, wahrscheinlich kannten sie sich schon länger. Er war immerhin ein Diener oder Wachmann, oder vielleicht auch Sklave Cassius'. „Soll ich ihn reinlegen?“, fragte Varius und sah uns an. Weiß der Teufel, was in diesem Moment mit mir los war. Ich wusste, dass der Junge zu groß für mich war und wahrscheinlich auch zu schwer. Ich hätte einfach Varius' Vorschlag annehmen sollen. Doch ich schüttelte den Kopf. Als ob das hier alleine meine Verantwortung wäre. „Ich schaff das schon. Danke ihr beiden.“ Es war meine Verantwortung. Einzig und allein meine. „Sicher, dass ich nicht helfen soll?“ Es war deutlich zu hören, dass Varius sich Sorgen machte. Wäre ich in seiner Position gewesen, hätte ich das auch. „Ich schaffe das!“ Ungewollt war ich lauter geworden und bereute just in diesem Moment, dass es mir passiert war. Den Mut, mich zu entschuldigen, konnte ich aber nicht sofort aufbringen. Das würde dauern. „Lass sie, Varius. Ich helfe dir bei den Anderen. Erenya, solltest du doch noch Hilfe brauchen, du kannst jederzeit darum bitten.“ Mir war klar, das ich das konnte. Iunia musste das nicht erst erwähnen, doch mit Sicherheit wäre ich nun, nachdem ich Varius so angefahren hatte, zu stolz um es zu tun. Ich musste es also wirklich alleine schaffen. Das war ich dem Sklavenjungen schuldig.   Ich wartete, bis Iunia zusammen mit Varius gegangen war und ich endlich für mich war. Niemand sollte sehen, wie ungeschickt ich mich wohl anstellen würde. Immerhin überlegte ich schon, wie ich den Jungen ins Grab verfrachten würde, ohne dass ich ihn noch irgendwie verletzte. Vorsichtig legte ich seine Arme um meinen Hals, so dass ich ihm am Rücken mit der rechten Hand griff und mit meinem linken Arm unter seine Kniebeugen kam. Weit musste ich ihn nicht tragen, nur ein paar Meter. Vielleicht nur Zentimeter. Schwieriger war, in das Grab zu kommen, mit seinem Gewicht. 'Das schaff ich...', wisperte ich mir in Gedanken zu und holte tief Luft, wobei ich alle meine Kräfte zusammenklaubte. Ich hatte den Körper noch nicht einmal ein Stück angehoben, da spürte ich bereits das volle Gewicht. Auch wenn der Körper des Jungen schmächtig wirkte, nicht so, als hätte man ihn regelmäßig essen lassen, wog er doch schon gefühlt genug um mich zum wanken zu bringen. 'Bitte um Hilfe... Herr Gott noch eins. Dein Stolz bringt dich wirklich um...' „Dann ist es so...“, presste ich angestrengt hervor, als meine Vernunft sich wieder einmal ganz unpassend zu Wort meldete. Sollte mein Stolz mich eines Tages doch den Kopf kosten, dann würde ich im nächsten Leben vielleicht eine wichtige Lektion gelernt haben. Prustend und seinen Körper fest an mich drückend, ignorierend, dass ich mich gerade mit nicht getrockneten Blut besudelte, ging ich Schritt für Schritt auf das Grab zu und betete zu einem mir unbekannten Gott, mich nicht auf die Nase zu legen. „Gleich sind wir da... bei deiner letzten Ruhestätte...“, wisperte ich dem Jungen zu, wissend, dass er mich nicht mehr hörte. Doch wahrscheinlich dienten meine Worte nur dazu, dass ich nicht mittendrin nachließ. Ich wusste, warum auch immer, vielleicht bildete ich es mir ein, dass man mich beobachtete, wie ich mich abmühte. Egal. Ich wollte ihn ohne weitere Hilfe auf seine letzte Reise schicken. Ihn in sein letztes Bett legen, ihn zudecken. Kurz vor dem Grab, legte ich ihn ab. Schwer atmend, stieg ich in das Grab und versuchte erneut aus dem Inneren heraus, den Sklavenjungen zu mir herunter zu heben. Dummerweise hatte ich nicht bedacht, dass meine Kräfte kaum noch vorhanden waren, wodurch mir sein Körper mehr entgegen stürzte, ich einen Schritt zurück machte, damit er mir nicht wirklich das Genick brach und ich unter seinen Körper begraben wurde. „Alles in Ordnung?“ Von oben hörte ich Nels Stimme. Schritte folgten ihr, weswegen ich mich vorsichtig unter dem Jungen hervor grub. „Keine Sorge, bin nur gestolpert...“, rief ich hörbar hoch und entschuldigte mich bei dem Sklavenjungen. Wäre ich Christin gewesen, hätte ich mich nun Hundert mal Geiseln müssen. Vorsichtig legte ich den Jungen noch richtig in sein Grab, bevor ich aus diesem stieg. Nun war ich nicht nur mit Blut besudelt, sondern auch mit Dreck. Ein super Tag und vor allem so modisch untermalt. „Das sah nicht nach stolpern aus. Hast du dir wirklich nicht wehgetan?“ „Nein, verdammt! Das wird vielleicht höchstens ein blauer Fleck!“ Erneut war ich lauter geworden und dieses Mal gegen Nel. Gott, warum war ich heute nur so eine Bitch? Ehrlich, gerade jetzt hätte ich ein imaginäre Schild über mir gebraucht. Eines auf dem Zickenzone stand. So wie einst das Schild an meiner Zimmertür bei meinen Eltern. „Tut mir leid. Ich... muss das hier einfach alleine schaffen. Das bin ich dem Jungen schuldig.“ Ohne mich weiter um Nel zu scheren, der sich mir genähert hatte, griff ich zu dem abgebrochenen Stück Holz und nahm etwas von der lockeren Erde auf. Ich merkte erst jetzt, wie meine Schulter schmerzte, wahrscheinlich hatte ich mich übernommen. Egal. Das hier musste ich beenden.   Der Sklavenjunge war der einzige, den ich an diesem Tag mit eigenen Händen beerdigte. Da die anderen in Gruppen arbeiteten, kamen sie schneller voran als ich. Als ich schließlich fertig war, gab es für mich nichts mehr zu tun, außer zuzusehen, wie die anderen zwischen den Trümmern nach guten Waren suchten. Wie ich schon bei Iunia gesagt hatte, hielt ich mich dabei heraus und zog mich stattdessen zu den Pferden und meinen Karren zurück. Ich brauchte einen Moment für mich, denn mit Sicherheit hatte ich heute schon genug Leute angefahren. Erst Varius, dann Nel... Es sollten nicht mehr werden. Noch dazu sickerte die Erkenntnis, dass Iunia, die Geschwister, Tacita und der Lehrer Sklaven waren, endlich richtig durch. Ich fragte mich sogar, wie sie so unbeschwert leben konnten, so fröhlich waren, scherzten, wenn ihnen ihre Freiheit verwehrt war. Verwehrt durch Cassius, der vielleicht auch noch der Besitzer von Tiberius und Varius war, denn ehrlich, ich war mir nicht mehr sicher, ob sie nicht vielleicht auch zu seinen Sklaven gehörten. 'Was läuft nur mit dir falsch? Dann sind sie eben Sklaven. Sie jammern aber nicht darüber und Cassius scheint mir auch nicht wie die Horrorvorstellung eines Sklavenbesitzers. Reiß dich am Riemen.' Sicher, sie wirkten nicht wie Sklaven, wobei es da den ein oder anderen Hinweis gegeben hatte. Sie nannten Cassius nicht umsonst Meister. Genauso hatte Hinata doch gesagt, dass sie frei wären, wenn Cassius nun von der Bildfläche verschwände. Sie hatte wahrscheinlich Recht und doch hingen sie an Cassius, vertrauten ihm und ich verstand ehrlich nicht mehr wieso. Ich verstand gar nichts mehr. 'Komm schon, es gibt gerade wichtigere Probleme als deine Verpeiltheit. Was, wenn diese Piraten wieder angreifen?' Stimmt... was wenn die Piraten wieder angriffen? Wobei, woher wollten wir wissen, dass es Piraten waren? Na schön, wir hatten niemanden mehr gesehen und das Meer lag nahe, aber konnte diese Verwüstung wirklich von Piraten kommen? Wie waren sie so nahe an den Strand gekommen und hatten die Karawane überfallen? Sie hätten doch aufmerksam werden müssen, wenn ein Schiff zu nahe am Land war. Oder kleine Beiboote am Strand lagen. Das Räuber ihr Unwesen trieben, war ja keine Neuigkeit mehr. Noch dazu, wie hatten sie es geschafft die anderen Mitglieder der Karawane mitzunehmen? Diese hatten sich sicher gewehrt. 'Vergiss nicht die Nando-Brüder. Wovor sind diese Deppen so schreiend weggelaufen?' Ja, die Nando-Brüder. Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Mit Sicherheit war ich aber nicht die einzige, die das seltsam fand. Cassius hatte das sicher schon weit vor mir bemerkt. 'Seltsam, dass ausgerechnet jetzt diese ganzen Erzählungen und Gerüchte wahr werden. Allerdings... wer hat diese Geschichten verbreitet? Augenscheinlich haben die Täter keinen verschont, die Händler sind verschwunden... woher hatten all die anderen Reisenden diese Informationen über eine Räuberbande?' Richtig. Es war seltsam. Wenn keiner überlebte und der Rest in den Fängen der Piraten war, wie konnten sich solche Geschichten dann verbreiten. Hatten vielleicht andere Reisegruppen dieselben Schlachtfelder gesehen, wie wir? Aber woher kam dann das Gerücht, dass die Räuber magische Kräfte hatten? Angeblich von Augenzeugen. Hatte es doch Überlebende gegeben? Aber wozu? Die Räuber hätten doch leichteres Spiel, wenn niemand von ihnen wusste. Dann war der Überraschungsmoment ganz auf ihrer Seite. 'Wäre doch clever, wenn die Piraten dieses Gerücht gestreut hätten... Von Wäldern würde man sich fernhalten. Zu dicht, zu unsicher, zu wenig Möglichkeiten offen zu kämpfen.' Albern... Oder? Wobei. So albern wäre es vielleicht nicht. Was, wenn die Geschichten über Räuber von einem Piraten gestreut wurden, um die Beute zum nahen Strand zu locken? Aber wären die Reisenden nicht sowieso über den Strand gegangen? Der Weg sah immerhin gut niedergetrampelt aus. 'Das ist zu anstrengend für dich, Sherlock. Du kennst die Regeln der Welt kaum, wie willst du dann wissen, was in den Köpfen blutrünstiger Piraten vor sich geht?' Ich verzog etwas das Gesicht und seufzte. „Dennoch... ich sollte den Gedanken nicht verwerfen und vielleicht... Aufmerksamer nach Rukh Ausschau halten...“, wisperte ich mir zu. Vielleicht war das eines der Dinge, die ich für die Gruppe tun konnte. Die Rukh von anderen vorzeitig erkennen und die Gruppe warnen. Seltsam, dass mir diese Idee erst jetzt gekommen war. 'Blöd, huh?' Genervt schüttelte ich den Kopf. Allmählich gingen mir meine anderen Persönlichkeiten gehörig auf den Sack. 'Hey, wenn wir gerade Zeit haben, lass uns Zaubern üben! Setzen wir den Wagen des Mastschweins in Flammen!' 'Dumme Idee. Außerdem, mit welchen Zauber?' „Denk nicht einmal daran...“ Ich musste mich wirklich bemühen nicht an den nächstbesten Zauber zu denken, dessen Spruch mir auf den Lippen lag. Nicht, das ich wirklich noch irgendetwas in Brand steckte. Die Aufregung heute war genug gewesen. Nicht nur für mich, sondern auch für den Rest der Gruppe, der noch letzte, heile Ware auf die einzelnen Karren verteilte. Wenn ich an all diese Sprüche dachte, wäre es wohl besser, ich hielt das Stab-ähnliche Ding, das hoffentlich kein Zauberstab war, nicht in der Hand. 'Wovor fürchtest du dich, wenn du dir sicher bist, dass du keine Magierin bist?' Richtig, wovor fürchtete ich mich eigentlich? Es würde schon nichts passieren. 'Und wenn doch?' Argh, sie machten mich wahnsinnig. Konnten sich meine anderen Ichs nicht einmal im Leben einig sein? Wohl eher nicht. Immerhin war ich selbst ganz zwiegespalten. Einerseits wünschte ich mir irgendwie, zaubern zu können, denn mal ehrlich, wer hätte sich das nicht gewünscht, aber andererseits wollte ich unter all den Nicht-Magiern keine Besonderheit darstellen. 'Hättest doch nach Magnostadt gehen sollen... So besonders wäre ein Magier da nicht gewesen.' Wie ich hasste, Recht zu haben. Aber nein, ich wollte nach Sindria. SINDRIA! „Langsam reicht das. Es ist passiert... ich kann nichts mehr tun außer weiter zu machen... Nicht zurückblicken...“ Es kostete mich alle verbliebenen Nerven, die Stimmen im Kopf zu ignorieren. Ich meine, wie wollte man sich ohne Probleme selbst ignorieren? In der Regel gelang mir dies durch das Schreiben. In Balbadd hatte ich genug Gelegenheiten dafür gehabt, aber nun... Kein Papier, keine Tinte, kein Schreiben. 'Ich muss nur bis Sindria durchhalten, dann klappt das auch sicher wieder mit dem Schreiben.' Nur durchhalten bis Sindria. Ja, dass musste ich wohl. Danach konnte ich mir wieder Feder, Tinte und Papier holen. Nur durchhalten und überleben. Nur überleben und durchhalten.   Mit einem Seil hatte ich mir den Stab am Rücken festgemacht, sodass ich ihn nicht mehr verlieren konnte. In der Tat hatte niemand etwas dazu gesagt, dass ich ihn hatte. Nicht einmal, als wir unsere Reise fortsetzten und den Trampelpfad entlang des Strandes liefen. Immer Cassius hinterher, der scheinbar unsere Route neu berechnet hatte. Während ich die beiden Hengste führte, sah ich mich unruhig um. Ich suchte nach Rukh, dem Lebenszeichen, das nur ich sehen konnte, doch abgesehen von denen unserer Gruppe, gab es weit und breit keine. Sicher. Wir waren also doch noch ein Stück weit sicher, auch wenn unser Weg nicht gerade an einen ruhigen Wanderpfad erinnerte, sondern an ein Schlachtfeld. Überall waren Überreste von zerbrochenen Karren zu sehen. Hier und da fanden sich menschliche Überreste, doch anders als bei unserer ungewollten Raststätte, hielten wir nicht an um sie zu beerdigen, was mir ehrlich in der Seele brannte. Allerdings hatten wir wirklich schon genug Zeit verstreichen lassen. Jeder unglücklichen Seele ihre letzte Ruhe zu gestatten wäre nicht nur eine weitere Verzögerung gewesen, sondern auch eine Zumutung für Cassius' Pläne. Und eine Zumutung für meine. Sindria. Ich musste nach Sindria. Das war mein Ziel und ich durfte es nicht mehr aus den Augen verlieren. „Was meint ihr beiden? Wie lange werde ich wohl noch brauchen? Wann werde ich das Paradies mit eigenen Augen sehen können?“ Ich sah zu den Hengsten, doch beide blieben stumm. Natürlich. Sie hätten wahrscheinlich nur begeistert geprustet, wenn ich ihnen Äpfel oder andere Leckereien entgegen hielt. Und selbst dann wäre dieses Prusten keine Antwort auf meine Frage. „Danke für das Gespräch...“, murrte ich seufzend und schüttelte den Kopf. Wenn ich lebend nach Sindria kam, was würde mich dann erwarten? Kam ich vielleicht in einer Herberge unter? Wo sollte ich versuchen zu arbeiten? Fragen über Fragen und wenn ich ehrlich war, hatte ich auf keine von ihnen eine Antwort. Nur eines wusste ich, kein Vitamin B in Form des Königs von Sindria. 'Du bist schon wieder zu weit mit deinen Gedanken.' Erneut gestand ich nicht gerne ein, dass die Stimme in meinem Kopf Recht hatte. Ich war zu weit. Ich musste mich auf das hier und jetzt konzentrieren. Auf den Weg, der das zerstörerische Ausmaß von Menschen preis gab. Spuren waren überall im Sand zu sehen, menschliche Spuren. Blut befleckte den grünen Rasen und... Mir stockte der Atem. Gerade liefen wir an einem Pfad vorbei, an dem das Gras scheinbar komplett niedergebrannt war. Es roch nach verbranntem Fleisch, welches sich mit dem Geruch von brennenden Gras vermischte. An einigen Stellen konnte man sogar noch Funken von Glut sehen, die langsam erloschen. Auch wenn die Luft nahezu vor Wärme stand, fröstelte es mich bei diesem Anblick. Eine Gänsehaut zog sich über meine Arme und ich wollte meinen Blick davon abwenden. Doch ich konnte nicht. Oder viel eher ich durfte nicht. Ich musste diese Realität, die nun meine war, verstehen und verinnerlichen. Es gab keine heile Zuckerwattewelt mehr, wie ich sie mir in Balbadd noch hatte einreden können. Das hier war die knallharte Wahrheit. Diese knallharte Wahrheit hatte eines mit den anderen Überfallorten gemeinsam, Fuß- und Schleifspuren im Sand des Ufers, welches einen harmonischen Schein wahrte, indem seine Wellen verspielt zum Sand vorpreschten und sich schließlich wieder zurückzogen. Eine verlogene Idylle die schon nach einem umherschweifenden Blick vollständig zerstört wurde. „Schau nicht hin, dann fällt das Vergessen leichter, als wenn die Bilder sich in deine Erinnerungen brennen.“ Ich sah neben mich und meinen Karren und erkannte Tiberius. Seltsam, heute schien echt jeder mit mir reden zu wollen und das obwohl mir nicht nach Reden zumute war. „Es soll sich in meine Erinnerungen brennen. Dann höre ich auf mir vorzulügen, dass ich es schwer in meiner Heimat habe. Diese Erinnerungen sollen ein Mahnmal werden und mir zeigen, dass ich wirklich Glück im Leben hatte.“ Selbst wenn es in meiner Welt genug Leid gab, welches ich sehen konnte, so war ich dort doch nicht so unmittelbar betroffen wie hier. Würde ich zurückkommen, in meine Welt, ich würde das Leben sicher in volleren Zügen genießen, vielleicht meinen Job sogar lieben und die Sicherheit zu schätzen wissen, die ich als Lebensgrundlage hatte. Doch um das zu können, musste ich zurück. Nur wie? „Du willst dich tagein tagaus also selbst quälen?“ Tiberius hatte Recht, diese Erinnerungen würden mich quälen. Jeden Tag, solange ich hier war. Immer dann, wenn ich ruhig schlafen würde und glaubte ein gutes, sicheres Leben zu haben. „Nein... Ich will die Sicherheit nur nicht zu sehr genießen.“ Sindria war ein Symbol der Sicherheit. Dort zu leben ließ mich später sicher solche Dinge vergessen. Doch ich wollte es nicht, weswegen ich jede verdammte Leiche, jeden blutigen Grashalm förmlich in meinen Erinnerungen speicherte. „Genieß sie ruhig. Auch wir tun das. Das heißt aber nicht, dass es uns nicht bewusst ist, was hier draußen auf uns warten könnte. Aber es bringt auch nichts, sich immer mit so etwas zu quälen. Würden wir das tun, dann würden Varius und ich schon lange nicht mehr auf Reisen sein.“ Ich wandte meinen Blick ab und sah vor mir auf den Karren, der um einige, wenige Krüge voller schien. Es genießen... Vielleicht hatte Tiberius Recht. Ich würde wohl selbst hier am Burn Out Syndrom leiden, wenn ich nicht auf mich aufpasste. „Du, Tiberius...“ Ich setzte an, biss mir aber auf die Unterlippe. Sollte ich ihm sagen, dass ich den Sklavenjungen hätte retten können? Sollte ich erwähnen, dass ich die Rukh sah? Würde er mir glauben? „Mh?“, fragte er, nachdem ich nicht weitersprach. Ich rang kurz mit mir, unwissend, was Tiberius sagen würde, wenn ich ihm nun die ganze Wahrheit erzählte. Hatte ich sie belogen? Immerhin waren Assad und Sadiq damals sauer auf mich gewesen. Allerdings hatte ich ihnen auch erzählt, von Räubern überfallen worden zu sein. Der Karawane hatte nicht viel über meine Ankunft hier erfahren. Lediglich Varius wusste, oder viel mehr ahnte, vielleicht, dass der Grund meiner Reise nicht gerade freiwillig war. „Ich...“ Wie sollte ich das sagen? Durfte ich das? Waren die Menschen in Reim schon jetzt auf Kriegspfad mit den Magiern in Magnostadt? Wobei, ich kam nicht einmal von dort, also würde ich doch unmöglich deren Feind sein. „... danke dir, dass du mich wieder etwas auf den Boden der Tatsachen geholt hast.“ Gekniffen, ich hatte wirklich gekniffen und so würde diese Fähigkeit noch eine ganze Zeit geheim bleiben. Und hoffentlich noch darüber hinaus. „Schon in Ordnung. In der Gruppe sorgen wir eben für einander. Da ist das doch selbstverständlich.“ Selbstverständlich... Nur hier im Magi-Fandom vielleicht. In meiner Welt hätte ich für solche Kameraden in meinem Team gemordet. Dort war hingegen die Luft dicker geworden, seit unser Teamleiter gegangen war. Ich persönlich hatte nichts gegen die neue Teamleiterin, sie war cool und vielleicht setzte sie sich gerade dafür ein, mich nicht rauszuwerfen. Das wäre zumindest ganz nett gewesen und ich hätte später auch alles erklären können. Nur ob man mir geglaubt hätte, wäre dann eine ganz andere Frage gewesen. „Wenn sich unsere Wege trennen, werde ich richtig traurig sein, euch verlassen zu müssen.“ Gelogen war das nicht, das wusste ich in meinem Innersten. Schließlich war Varius nun mein großer Bruder und der Rest, ob Sklaven oder nicht, Freunde oder zumindest so etwas wie eine zweite Familie geworden. Selbst Cassius konnte ich trotz der Geschichte mit dem Sklaventum, einige positive Seiten abgewinnen. Aber nur ganz heimlich.   Cassius hatte uns bis zu einem Ort abseits des Strandes geführt. Das Meer war nicht mehr zu sehen, und doch drohte weiterhin die Gefahr eines Überfalles von dort. Doch zwischen einigen Bäumen hatte Cassius wirklich ganze Arbeit geleistet, einen geeigneten Platz für ein Nachtlager zu finden. Anders als aber zuvor, wirkte eine gedrückte Stimmung. Angst und Vorsicht ließen die anderen zusammenrücken, so dass es mich nicht wunderte, dass Nel mir beim Abspannen der Pferde half. Augenscheinlich sollte niemand alleine sein. Auch wenn ich nicht verstand, wie Nel mir helfen sollte, wenn plötzlich Piraten auftauchten. Psychologisch gesehen löste dieses Verhalten bei mir aber nur noch mehr Zweifel und Ängste aus. Super gemacht, Cassius. „Du kannst wirklich schon gehen, Nel. Ich schaffe das auch alleine“, murrte ich und versuchte Nel klar zu machen, dass ich seine Hilfe nicht benötigen würde. „Das ist Cassius' Anweisung. Besser du lässt es zu. Sonst können wir uns beide etwas von ihm anhören.“ Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Sollte Cassius sich nur mal trauen MIR eine Standpauke zu halten wenn er das Echo vertragen konnte. Gerade war mit mir sowieso nicht gut Kirschen essen. „Du solltest dir überlegen, wo du heute Nacht schlafen willst. Ich empfehle, dass du dich an Iunia und Tacita kuschelst. Beide treten und schlagen nicht im Schlaf. Wobei, an Schlafen wird heute Nacht kaum zu denken sein...“, nuschelte Nel und holte einen Sack mit Futter für die Pferde von einem der naheliegenden Karren. Für gewohnt musste ich mehr als einen Schritt gehen um diese zu holen, doch heute, standen die Wagen der Karawane dicht an dicht. An sich sehr unpraktisch. Dennoch, ohne Fragen zu stellen, erfüllte ich die letzte Aufgabe des Tages. Schlafen würde ich heute Nacht sowieso nicht. Diese Bilder von dem Sklavenjungen würden mich verfolgen und immer wieder aufschrecken lassen.   Nicht nur bei den Arbeiten hatte man das Gefühl, nie wirklich alleine zu sein. Die Nachtlager wurden näher am Lagerfeuer aufgeschlagen und ein seltsam beengendes Gefühl kam in mir auf, als ich Varius und Panthea neben mir sitzen hatte. Mir fehlte irgendwie die Luft zum atmen, auch wenn ich sie zur Genüge hatte. Anders als gewohnt, war das Abendessen mehr eine Trauerveranstaltung. Die Meisten aßen schweigend den von Tacita zubereiteten geschmacklosen Brei und ich würgte wirklich jeden Bissen runter, denn Hunger verspürte ich keinen. Wenn es hochkam, aß ich gerade mal ein Viertel des Breis und ich gestehe, ich schimpfte selbst mit mir in Gedanken, da die Rest wohl weggeworfen werden würden. Ich konnte mich aber nicht überwinden, mir mehr reinzuzwingen, als ich so schon verkraftete. „Nach dem Essen gehen wir schlafen. Ich brauche noch jemanden für die Nachtwache.“ Cassius sah ernst in die müden Gesichter in dieser Runde. Alle waren erledigt, sie hatten genug gegraben, zwischen Trümmern gesucht und waren lange gelaufen. Die Einzige die da nicht viel beigetragen hatte, war ich. „Ich übernehme das.“ Es verstand sich für mich nur von selbst, dass ich wenigstens diese Nachtwache machte. Ich war teils noch wach und mit Sicherheit würde ich das bis zum Morgen durchhalten. „Immerhin einmal stehst du zu deiner Verantwortung...“, hörte ich es aus Hinatas Richtung zischen. War ja klar, dass sie wieder einmal nicht die Klappe halten konnte. Es mochte ja sein, dass sie Recht hatte und ich in einigen Fällen verantwortungslos gehandelt hatte, doch das musste sie mir nicht bei jeder Gelegenheit unter die Nase reiben. „Ich gehe mich umziehen, bevor ich die Wache beginne...“, murrte ich und erhob mich von meinem Platz. Es war besser für sie, wenn ich mich etwas entfernte, kurz ein paar Minuten für mich hatte und einfach Luft holen konnte. Noch dazu hatte ich das Gefühl, das getrocknete Blut an meinen Sachen riechen zu können und das war echt eklig. Ein paar Wechselsachen wären da also nicht falsch gewesen. Ohne auf den Rest der Gruppe zu achten, ging ich zu dem Karren, in dem mein Gepäck ruhte und kramte aus diesem eines von Suleikas Oberteilen mit den langen dünnen Puffärmeln und eine Ballonhose hervor. Zwar müsste ich wohl am nächsten Tag etwas von der Salbe auf mein Dekolleté verteilen, aber bis zum nächsten vernünftigen Rastplatz, an dem ich meine Sachen reinigen konnte, würde das reichen. In der Nacht würde mich die Sonne schon nicht fressen und meines Wissens nach strahlte der Mond kein zu starkes UV-Licht aus. Mit den Gedanken bei Suleika und den anderen, entledigte ich mich des beschmutzten Umhanges und pellte mich auch aus der restlichen Kleidung, die den Geruch der Strapazen des Tages angenommen hatten. „Und wir dachten schon, der Umhang ist alles was du hast.“ Erschrocken fuhr ich zusammen, als Varius Stimme vernahm. Aus einen Reflex heraus hielt ich mir das gold-schwarze Oberteil vor die Brust und spürte die Schamesröte in meine Wangen steigen. „W-Was? Schau bloß nicht her!“ Es war peinlich, so unglaublich peinlich, denn mein Blick traf den seinen und ich wusste, er hatte mich oben ohne gesehen. Niemand hatte mich bisher oben ohne gesehen, abgesehen von Suleika, Cecilia und der Dame aus Kouhas Haushalt, die mich genäht hatte. „Dafür das du in einem Amüsierbetrieb gearbeitet hast, bist du ganz schon prüde...“, nuschelte Varius, seinen Blick nicht von mir nehmend. Wenn das die Strafe für mein Verhalten des Tages war, dann ja, strafte er mich damit. Meine Schamgrenze lag nämlich nicht gerade tief, so dass mir schon der Gedanke an einen nackten Mann an manchen Tagen peinlich war. „Ich bin nicht prüde... Verschwinde wenn ich mich umziehe.“ Er hatte Glück, dass ich nichts in greifbarer Nähe hatte, um es ihm entgegenzuwerfen. So ein verdammtes Glück. „Ich passe nur auf... Keine Sorge. Nicht das man dich vor deiner Nachtwache wegschnappt.“ Ein Schmollen zeichnete sich auf meinen Lippen ab. Varius schien nicht die Andeutung machen zu wollen, sich von mir abzuwenden und wegzusehen. Allmählich wurde das unangenehm. „Dreh dich dann wenigstens verdammt noch mal um!“ Mit einem Seufzen und schüttelnden Kopf, wandte er mir den Rücken zu. Also wirklich, dieser Klotz hatte keine Ahnung davon, wie empfindlich die Seele einer Frau war. Cecilia hätte ihn mit ihren Handkanten sicher zu Boden gestreckt. Schade, dass ich dieses Talent im Augenblick nicht besaß. „Wehe dir, du guckst“, drohte ich und ließ das Oberteil sinken, um in dieses schlüpfen zu können. Ich beeilte mich, denn entgegen meines eigentlichen Planes, konnte ich nun doch keinen Moment für mich alleine sein. „Dich haben also noch nicht viele Männer nackt gesehen, huh?“ Keinerlei Schamgefühl! Das traf auf Varius definitiv zu. Er hackte einfach weiter auf dem Thema herum, als sei es eine Selbstverständlichkeit. „Das geht dich nichts an...“, murrte ich und schlüpfte auch in die Hose. Ich war fertig und damit nur einige Schritte davon entfernt, dieser peinlichen Situation zu entkommen, auch wenn Varius mir wahrscheinlich den Rest der Nacht auf die Nerven gehen würde. Mit Sicherheit würde auch Tiberius einsetzen und dann hatte ich ein Problem. „Komm beginnen wir unsere Nachtschicht, bevor Cassius noch eine Ader am Kopf platzt...“ „Ähm... Nun ja, unsere Nachtschicht ist das nicht.“ Ich wandte mich fragend zu Varius um. Er sah mich mit ernsten Blick an und ich wusste, dass meine Sicherheit nicht der einzige Grund gewesen war, warum er mich bespannt hatte.   Ich wusste, dass Varius nichts dafür konnte, und doch schalt ich ihn in meinen Gedanken einen miesen Verräter. Ich meine ich konnte es verstehen, sowohl bei Tiberius, der die Vorhut gebildet hatte, als auch bei Varius. Dennoch... Mein Blick glitt zu Cassius, der als Einziger mit mir am Lagerfeuer saß und in die Flammen starrte. Ich hingegen sah auf den Stab, welchen mir Panthea geschenkt hatte. Der Stein an der Stabspitze war nicht mehr Giftgrün, sondern blutrot im Licht der Flammen geworden. Aus den Harvest Moon Spielen kannte ich dieses Phänomen und somit wurde mir auch klar, was das für ein Stein war. Von wegen wertlos. In meiner Welt gehörte dieser Stein zu den wertvollsten seiner Art, weil sie in natürlicher Form selten waren. Ich konnte Cassius einfach nicht ansehen. Nicht, nachdem ich erfahren hatte, dass er der „Besitzer“ von Iunia und den anderen war. Soviel zum Thema Abstand halten. Wenn man allerdings den ganzen restlichen Tag betrachtete, waren meine Vorsätze allesamt den Bach runtergegangen, dank der Reimer. „Solltet Ihr als Reiseführer nicht schlafen?“, fragte ich schließlich, denn die Stille hier war doch schon unerträglich. Mit Tiberius und Varius hätte ich wenigstens ein paar alberne Geschichten ausgetauscht. „Ich meine... nicht das Ihr zu müde seid und wir vom Weg abkommen...“, setzte ich nach, da Cassius nicht die Andeutung machte zu antworten. „Nein.“ Kurz angebunden, erklang Cassius' Stimme und garantierte mir damit, dass ich auf wirklich ausschweifende Diskussionen nicht hoffen brauchte. Oder darauf, dass er mit mir Onigiri aß. Erneut begann ich zu schweigen, starrte auf den Stab, wusste nicht, was ich tun sollte. Vielleicht war nun der perfekte Moment einen Zauber zu üben? Wobei, er würde nicht funktionieren, demnach wäre es kein Üben, sondern ein Test. Allerdings, sollte es klappen, dann wusste Cassius sofort wer ich war. Besser also kein Risiko eingehen. Solange ich nicht absolut sicher war, ob ich eine Magierin war oder nicht, konnte ich das immerhin glaubwürdig für mich selbst abstreiten. Dennoch, die Rukh, die immer noch um diesen Stab flatterten... machten mich krank, denn es konnte nur eines bedeuten und diese Gewissheit versuchte ich zu verdrängen. „Uhm... Varius hat mir gesagt, dass Ihr den Moment für die Vorhut abgepasst habt. Habt Ihr viele Erfahrungen mit solchen Situationen?“ Auch wenn Cassius' Alter mir noch unbekannt war, so konnte er doch nicht viel älter als Kouha sein, der höchstens 15 oder 16 im Augenblick war. Dafür, war Cassius aber doch schon sehr erfahren. So, als wäre es nicht die erste Reise und doch war seine Art, wie er diese Reise führte, seltsam. Fast schon zwanghaft, fast schon zu kontrolliert. „Ich habe immerhin die Verantwortung über alle hier...“ Cassius hob seinen Blick nicht von dem Lagerfeuer. Doch er beantwortete das erste Mal an diesem Abend eine Frage von mir. „Die Verantwortung, huh... Nicht eher die Angst deine Sklaven zu verlieren?“ Ich bereute meine unüberlegten Worte just in dem Moment, als Cassius seinen Blick hob und seine dunklen, blauen Augen mich bedrohlich anfunkelten, als wollte er mir damit sagen, dass ich gefälligst ruhig sein sollte. „Ja, die Verantwortung“, setzte er nochmal nach, wobei er das Wort 'Verantwortung' betonte. Ich beschloss, es dabei zu belassen, aber mir gefiel der Gedanke immer noch nicht, dass Iunia und die anderen seine Sklaven waren. „Manchmal kann man Schuldbewusstsein, mit Verantwortungsbewusstsein verwechseln...“, nuschelte ich. Erneut spürte ich seinen Blick auf mir. Er durchbohrte mich finster und ich wusste deutlich, dass ich Glück hatte, nicht zu Cassius Feinden zu gehören. Dennoch spielte ich mit einem Feuer, dass ich vielleicht nicht bändigen konnte. „Du solltest nicht von dir auf andere schließen.“ Ich zuckte schuldbewusst zusammen. Wahrscheinlich verwechselte ich bei mir Verantwortung mit Schuld. Es klang logisch und wenn ich mit emotionalen Abstand auf die Ereignisse des Tages blickte, musste ich es einsehen. „Wäre ich die Vorhut gewesen, hätte ich den Sklavenjungen retten können...“ „Niemand hätte das.“ Es entwickelte sich doch tatsächlich so etwas wie ein Gespräch, auch wenn dieses einen angespannten Unterton bei uns beiden hatte. „Das Risiko wäre zu groß gewesen.“ Was sagte Cassius da? Seine Worte waren mir ein Rätsel. Woher hätte er wissen sollen, was an dem Strand vor sich ging? Wenn er nicht gerade diese weite Sicht hatte, konnte er es nicht wissen. Erneut trat Schweigen zwischen uns. Gott war es schwer ein Gespräch mit Cassius zu führen. Besser war es wohl, es nicht einmal mehr zu versuchen.   Die Nachtwache ging ruhig vonstatten. Zumindest bisher. Mein Blick lag müde und sehnsüchtig auf dem Horizont, an dem aber kein Sonnenstrahl einen nahenden Morgen ankündigte. Vielleicht hatte mich das Graben doch mehr ermüdet, aber ich hatte mich freiwillig gemeldet, also durfte ich meine Aufgabe nun nicht vernachlässigen. Ich erhob mich von meinem Platz und reckte mich. Ich musste die Müdigkeit irgendwie loswerden. „Wo willst du hin?“ Cassius' Frage entlockte mir ein Seufzen. Er wirkte gerade wie eine über fürsorgliche Glucke. „Die Beine vertreten...“, antwortete ich und ging in Richtung der Karren. Meine Augen waren trotz des Feuers an die Dunkelheit gewöhnt, außerdem leuchteten mir die schwach sichtbaren Rukh der Pferde ein wenig den Weg. Ich zuckte jedoch zusammen, als ich vom Schlaflager der anderen einen Schatten wahrnahm, der in die Richtung der Büsche ging. Seltsam. Das kam mir doch so bekannt vor? Also das jemand mitten in der Nacht zu den Büschen ging. 'Hoffentlich beißt nicht schon wieder eine Grille Tiberius ins beste Stück.' Da ich bis heute nicht in Erfahrung hatte bringen können, wie sich Tiberius verletzt hatte, oder wo, hatte sich in meinem Kopf die „Grille beißt in Schwanz“-Theorie hartnäckig festgebissen. Egal wer das war, ich hörte keine Grillen, damit waren die männlichen Genitalien der Gruppe sicher. Wachposten abgeschlossen. Mit einem Grinsen auf den Lippen, machte ich mich wieder zurück zum Feuer. Ich wollte gar nicht hören, wie diese Person ihr Geschäft verrichtete. Tiberius Geplätscher hatte mir damals genug Kopfkino beschert. Weit genug vom natürlichen Klo entfernt, hörte ich dennoch einen leisen, plötzlichen Aufschrei und wandte mich um. Sofort lief ich in die Richtung, aus der dieser gekommen war. Den Stab fest umklammert. Sollte ein Räuber gerade jetzt jemanden angegriffen haben, konnte ich ihm das Ding vor den Latz hauen und damit wäre es doch noch nützlich gewesen. Ich stockte aber, als ich das von den Rukh erleuchtete Gesicht der Verunglückten sah, die zwischen einigen Ästen im Gebüsch hing. Scheinbar hatte sie das Gleichgewicht verloren und war mitten hineingefallen. Wenn sie Glück hatte, saß sie nun in ihrem Geschäft. „Verdammte Dreckswurzel...“, knurrte sie und ihre Stimme machte mir nur umso deutlicher klar, dass ich mich nicht geirrt hatte. Ein wenig Schadenfreude stellte sich ein, als ich mich etwas vor ihr, oder eher über ihr, hinstellte und zu ihr hinab sah. „Vom stillen Örtchen kann man nach deinem Schrei ja nicht mehr reden, Hinata.“ Kapitel 15: Zweifel ------------------- Mit einem wütenden Blick fixierte mich Hinata, die mich eindeutig anhand meiner Stimme erkannt haben musste. Ich war wahrscheinlich die Letzte, von der sie in so einer Situation gesehen werden wollte, doch das Leben war kein Wunschkonzert, also musste sie damit leben. „Sei ruhig!“, fauchte sie mich an und rappelte sich auf, wobei ihre leuchtenden Rukh mir deutlich zeigten, wie sie angewidert ihr Gesicht verzog. Ich seufzte leise. Sicher war meine Wortwahl nicht die netteste, aber nach dem, was Hinata mir alles an den Kopf geworfen hatte, durfte ich ja wohl etwas gehässig ihr gegenüber sein. „Hier, ich helfe dir...“ Ohne weiter darüber nachzudenken, griff ich nach einem festen, dicken Ast neben mir und beugte mich vor, um Hinata meine Hand entgegen zu halten. Sie musste wieder raus aus dem Gebüsch und ohne festen Halt, wäre das schwer. Zumindest konnte sie mit meiner Hilfe ohne viele Kratzer herauskommen. „Verschwinde...“, knurrte sie mir entgegen und schlug meine Hand weg. Mistiger Sturkopf. Aber schön, wenn sie das so wollte. Mehr als es ihr anbieten, konnte ich ja nicht. „Dann halt nicht. Weck bei der Rückkehr die Anderen aber nicht.“ Sicher, bei jedem Anderen wäre ich wohl etwas hartnäckiger gewesen, nicht aber bei Hinata, die sich schon genug geleistet hatte. Ich drängte mich sicher niemanden auf. Auch keinen Menschen aus Kou, wenn sie der Meinung waren, ohne meine Hilfe besser zurechtzukommen. Ich zuckte nur mit den Schultern und richtete mich wieder auf, sodass ich ohne Bedenken den Ast loslassen konnte. „Das ist alles deine Schuld“, hörte ich es von Hinata rumoren. Sicher, dass sie sich in ihre eigenen Exkremente gesetzt hatte, war eindeutig meine Schuld. Ich war mehrere Meter von ihr entfernt gewesen und dennoch war es mir wohl gelungen, sie zu schubsen. Wer's glaubt. In der Regel ließ ich mir ja viel vorwerfen, selbst wenn man mir die Schuld an Kriegen in meiner Welt gegeben hätte, ich hätte es wohl geglaubt, aber diesen Schuh zog ich mir nicht an. Es war somit eine innere Genugtuung sie ignorieren und einfach so, wortlos, verlassen zu können. Sollte sie für diese Nacht doch bleiben wo der Pfeffer wuchs, nicht mein Problem.   Die Nachtwache war ohne weitere Vorkommnisse vergangen. Genauso hatte ich nicht einmal mehr versucht, auch nur ein Gespräch mit Cassius zu führen, der das Feuer bereits wieder löschte. Die Sonne bahnte sich ihren Weg über den Horizont und offenbarte das Grauen in Cassius Gesicht. Augenringe. „Ihr könnt ruhig noch etwas schlafen, Cassius. Sagt mir, wann Ihr los wollt und ich wecke euch.“ Mit Sicherheit war es besser, wenn Cassius nun noch eine Portion Schlaf bekam. Als Reiseführer musste sein Geist wenigstens etwas verlässlich sein, auch wenn er die neue Route bereits am Vortag komplett durchgeplant haben sollte. Müde schüttelte Cassius mit dem Kopf. Es war unglaublich, wie stur dieser Junge war. Dabei sollte er doch etwas auf den Rat der Älteren hören. „Ich kann ja verstehen, dass Ihr euch verantwortlich für alle fühlt, aber es bringt niemanden etwas, wenn Ihr vor Müdigkeit nicht klar denken könnt. Legt euch also etwas hin.“ Ernst sah ich Cassius an, der meinen Blick erwiderte und es scheinbar auf ein Starrduell hinauskommen lassen wollte. Nein, ich würde nicht die Erste sein, die weg sah, denn ich wusste, dass ich Recht hatte. „Mann, Cassius... wenn eine Frau sagt: „Geh schlafen“, tust du das. Man widerspricht einer Frau bei so etwas nicht. Das bringt Unglück.“ Gähnend stieß Varius, der in unserer unmittelbaren Nähe sein Nachtlager aufgeschlagen hatte, zu uns. Er schien das Gespräch mitgehört zu haben und ich war dankbar dafür, dass er mich unterstützte. Auch wenn seine Worte alles andere als charmant waren. Typisch Varius eben. Aber daran hatte ich mich irgendwie gewöhnt und es machte in gewisser Weise auch seinen Charme aus. Auch Cassius schien einzusehen, dass es keinen Sinn machte, mit mir oder Varius zu diskutieren, weswegen er sich in die Richtung des Wagens schlich, der als temporäres Schlaflager dienen sollte. Immerhin diesen Sieg konnte ich auf meine Kappe verbuchen. „Du solltest auch noch etwas Schlaf bekommen.“ Ich hatte mich von meinem Platz erhoben und gestreckt, als mir Varius eine klare Ansage machte. Sicher, schlafen wäre nun ganz schick gewesen, aber irgendwie konnte ich mich nicht dazu überwinden, nun für wenige Minuten Powernapping zu betreiben. Die Müdigkeit würde mich zwar erschlagen, aber vielleicht hatte ich Glück und ich würde wenigstens ein paar Stunden, oder lange genug bis zum Nachtlager, wach bleiben. „Schon okay. Ich bin noch jung, da halte ich das durch. Obwohl ein Kaffee gerade nicht schlecht wäre.“ „Kaffee?“, fragte Varius auf meinen unbedachten Kommentar, der mir nur deutlich machte, wie angeschlagen ich geistig wirklich war. Verdammt. Das zu erklären wurde sicher nicht leicht. „Ach Kaffee... das ist ein Getränk aus meiner Heimat. Trinken die Erwachsenen immer, um wach zu werden. Das Zeug schmeckt echt bitter, aber mit Milch und Zucker ist es erträglich.“ Eine dreiste Lüge. Abgesehen von Eiskaffee und Cappuccino konnte man mich mit Kaffee jagen. Nicht einmal Zucker und Milch machten das Zeug für mich erträglich. Und wenn, brauchte es Unmengen von den Erträglichmachern. „Ihr habt in deiner Heimat echt seltsame Sachen...“ Für Varius mochte das seltsam klingen, für mich war es normal. Dennoch, auch diese Welt war alles andere als normal für mich. Wir waren also quitt. „Und bei uns sind an Frauen schnüffelnde Männer deines Kalibers seltsam“, wehrte ich mich und knuffte Varius liebevoll in den Oberarm.   Ich hätte wohl doch schlafen gehen sollen. Soviel wurde mir bewusst, als ich die Pferde führte und den Anderen stupide, ohne etwas zu denken, nachlief. Ich nahm nur wahr, dass wir die Küste augenscheinlich mieden und stattdessen Wäldchen bevorzugten, deren Baumwuchs eher lichter war, als dicht bewachsen. Dennoch reichte es, damit die Sonne uns nicht zu sehr auf den Pelz rückte und ihre brennende Male auf meiner Haut hinterließ. Zur Not hätte die Salbe sicher auch noch einiges an Strahlung abgehalten. Die Reise selbst war nun wieder so idyllisch, dass die Spuren der Gewalt vom Vortag nur noch wie ein blasser werdender Traum erschienen. Cassius führte uns zwar mehr ins Landesinnere, aber niemand schien etwas dagegen zu haben, dass wir die Bilder des Grauens hinter uns ließen. Im Gegenteil, wir sahen nun hin und wieder Lebenszeichen in Form von Menschen, die auf den Feldern arbeiteten oder Gehöfte, aus denen die Laute von lebenden Tieren drangen. Nach dem vergangenen Tag war das wie Balsam für die Seele. „Schön hier, huh?“ Müde wandte ich meinen Blick zu Panthea, die sich bereit erklärt hatte, eines meiner Pferde mit mir zusammen zu führen. Cassius hatte sich gegen diesen Vorschlag nicht verwehrt, scheinbar weil ihm selbst aufgefallen war, dass ich nicht ganz munter war. „Angenehm zumindest...“, nuschelte ich müde und gähnte. Ich musste ja kein Geheimnis daraus machen, dass ich nach der Nachtschicht angeschlagen war. Die Augenringe zeigten dies auch nur zu deutlich. „Oh, weißt du was Hinata behauptet hat? Sie meinte du hättest sie in der Nacht in die Büsche geschubst. Ich meine das ist nicht nett, aber wenn du es getan hättest, würde keiner sauer auf dich sein.“ Ich musste Panthea nicht ansehen um zu wissen, dass ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht war. Natürlich würde keiner mit sauer sein, denn jeder wusste, dass ich das niemals getan hätte. Aber gut, vielleicht hatte jemand etwas an Hinata gerochen und sie brauchte eine Ausrede um nicht ganz so dumm dazustehen. „Soll sie doch... Mir egal...“, murrte ich müde und gähnte ein weiteres Mal. Gerade war mir wirklich egal was Panthea erzählte, denn mein Geist sehnte sich nur noch nach einem Bett und einem Stündchen Schlaf. Oder zwei. Je nachdem was, sich ergab. „Awww, du machst wirklich keinen Spaß, wenn du so übermüdet bist. Dann bist du genauso grummelig drauf wie Cassius.“ „Bin ich nicht! Cassius ist ja wohl auch grummelig, wenn er nicht übermüdet ist! Er ist dauergrummelig. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal wie man lächelt. Dahingehend könnte er echt der beste Kumpel von diesem Verräter Assad sein!“ Mein Hirn hatte sich wahrscheinlich just in diesem Moment schlafen gelegt, denn sonst hätte ich mehr darauf geachtet, was ich sagte. Panthea hingegen schien genau auf diese Chance gewartet zu haben. „Assad? Wer ist denn Assad?“ Erneut seufzte ich. Wahrscheinlich fragte ich mich gerade, wie man so naiv sein und Assad nicht kennen konnte. „Assad ist der Besitzer des Freudenhauses, in dem ich gearbeitet habe. Und wahrscheinlich ein Mitglied der Nebelbande. Ich schwöre dir, wenn ich ihn in die Finger bekomme, kann er sich was anhören. Erst erzählt er dem Anführer der Nebelbande von meinem Borg und dann hat er nicht einmal den Arsch in der Hose, sich nach dieser Schlacht vor dem Luxushotel von mir zu verabschieden.“ Der Groll, der sich aufgestaut hatte, war nun dank der Müdigkeit aus seinem eisernen Käfig ausgebrochen und konnte sich Luft machen, auch wenn die Hälfte von dem, was ich sagte, nicht einmal bewiesen war. „Deinem Borg?“ „Ja, du weißt schon, so ein Schutzschild wie ihn die Magier hier bei euch haben. Das blöde Ding hat mir mindestens genauso viel Ärger bereitet, wie es mich schon gerettet hat. Weißt du, da kommt man in eine fremde Stadt, kennt niemanden und weiß nicht einmal, warum man da ist, und wird nun mit der Frage konfrontiert, was passiert ist. Ich hab doch keine Ahnung was passiert ist. Ich weiß nicht mal ob ich arbeiten war, bevor ich hierher kam. Und dann erzählt man eine glaubhafte Lüge, von wegen, dass Räuber einen überfallen haben und man daher nichts mehr weiß und schwupp - entlarvt irgendsoein dahergelaufener Händler diesen Schutzschild, von dem man bis dato selbst nichts wusste.“ Es regte mich wirklich immer noch auf, dass meine Lüge wegen meiner Unwissenheit in Brüche gegangen war. Einfach unglaublich so etwas. Aber gut. Über verschüttete Perlen sollte man nicht weinen oder so. „Das Allerschlimmste ist aber wohl, dass man sich dann mit Mühe ein Leben aufgebaut hat und dann einmal auf den bescheuerten Rat seines Mitbewohners hört. Man verschafft sich Abwechslung indem man einen Prinzen zu seinem Hotel begleitet und schon landet man in einen Angriff auf dessen Hotel und muss alles tun, damit weder der Angreifer noch der Prinz stirbt. Das alles nur damit die Geschichte nicht den Bach runtergeht. Es nervt wirklich... Und dann dieser Borg und diese Rukh... boah ich will keine Magierin sein, verdammt und dann drückst du mir diesen blöden Zauberstab in die Hand und bringst meinen Entschluss keine Magierin zu sein ins Wanken. Jetzt will ich nämlich wirklich wissen, ob ich eine bin oder nicht! Aber das ist doof! Ich will normal sein, so ganz ohne Magie und alles.“ Es dauerte etwas, bis mein Verstand seinen kurzzeitigen Schönheitsschlaf einstellte und ich wirklich realisierte, was ich Panthea da eben alles erzählt hatte. Verdammt, ich hatte mir solche Mühe gegeben, das alles geheim zu halten und nun... war alles für die Katz. „Ich... uhm... Vergiss was ich eben gesagt habe.“ Wach gerüttelt von meiner eigenen Dummheit, sah ich zu Panthea, die mich breit angrinste. Sie hatte es wahrscheinlich wirklich geschafft, mir alle Geheimnisse zu entlocken. Die Frage war nur, würde sie das weitererzählen? „Bitte, erzähl das niemanden... Das soll niemand erfahren. Selbst Varius weiß schon zu viel und ich will wirklich nicht, dass jemand meine ganze Geschichte kennt. Nicht, bevor ich überhaupt weiß, was alles los ist.“ Meine Worte überschlugen sich förmlich und Pantheas Grinsen wurde immer breiter. „Keine Sorge, keine Sorge. Es wissen nun genug, was dir passiert ist. Meine Lippen und ihre bleiben aber sicher versiegelt.“ Panisch sah ich mich um, denn Pantheas Andeutungen waren doch eindeutig genug, dass uns jemand belauscht hatte. Doch ich sah niemanden. Was verdammt nochmal meinte sie? „Bitte, Panthea... Niemand darf es wissen. Wirklich niemand.“ Ich flehte Panthea förmlich an, doch sie sagte nichts mehr und grinste stattdessen weiterhin. Mir wurde flau im Magen. Auch wenn sie mir garantiert hatte, dass sie nichts sagen würde, war ich mir nicht sicher, ob das auch wirklich auf die Person zutraf, von der sie mir garantiert hatte, dass ihre Lippen auch versiegelt blieben.   Beschämt hatte ich gegenüber Panthea kein Wort mehr herausbekommen. Ebenso hatte ich mein Bestes gegeben, mein Hirn nicht noch einmal in den Tiefschlaf zu schicken, damit ich bloß nicht wieder zu viel ausplauderte. Das ein oder andere Geheimnis gab es immerhin noch, welches ich wahren wollte. Der Einzige, der wohl meinen ganzen Hintergrund kannte, war Kouha und das sollte vorerst so bleiben. Ich wollte gar nicht wissen, was man mit mir tat, wenn man von meiner Welt erfuhr. Ich persönlich hätte mich in die Klapse gesteckt. „Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, dass ich es jemanden sage. Und selbst wenn die anderen das wüssten, sie würden dich nicht anders sehen als jetzt. Du bist und bleibst Erenya, ob als Magierin oder als normaler Mensch. Allerdings verstehe ich nun, warum du dem Balbadd-Deppen versprochen hast, dass du ihn beschützen würdest. Mit so einem magischen Schutzschild ist das natürlich kein Problem. Und Nel dachte schon, dass du irgendwelche geheimen Kampffähigkeiten besitzt.“ Da ich es die ganze Zeit bevorzugt hatte zu schweigen, war es nun Panthea, die erneut das Gespräch suchte und mit scheinbar wirklich versichern wollte, das mein Geheimnis bei ihr in guten Händen war. In meiner Welt wäre es das sicher nicht gewesen, da neigte man zur Lästerei. „Nein... ich hab mich nur etwas weit aus dem Fenster gelehnt. Beide waren gegen die Route von Cassius und ich weiß nicht... ich dachte, ich könnte ihm vielleicht helfen. Noch dazu konnte ich nicht zulassen, Aza zu verpassen, wenn wir einen zu großen Umweg gehen. Wenn ich dafür dieses Mastschwein beschützen muss, ist es mir das wert“, murrte ich, wobei ich mich fragte, ob es das wirklich wert war. Noch dazu, würde ich die Gruppe in Bitroun vielleicht verlassen, wenn schon von dort ein Schiff Sindria anvisierte. Ganz so uneigennützig waren meine Gedanken also nie gewesen. „Weißt du, für Cassius ist diese Reise sehr wichtig. Zwar reist er schon von Kindesbeinen an durch die Welt, zusammen mit seinem Vater und anderen Händlern, aber diese Reise ist anders. Wir sind zwar schon häufiger mit ihm in dieser Gruppierung gereist, aber das ist die größte Reise, die wir wohl seit langem gemacht haben. Und das alleine mit ihm. Umso wichtiger ist es, dass alles so glatt wie möglich läuft, deswegen geben wir auch unser Bestes. Auch wenn wir nur Sklaven sind, mögen wir Cassius. Er ist immer nett zu uns, selbst zu Nel, der den ein oder anderen Arschtritt durchaus verdient hätte.“ Einen kurzen Augenblick lang fragte ich mich, ob Panthea mitbekommen hatte, dass ich mich schwer tat, mit ihnen zu reden, oder das meine Haltung sich gegenüber Cassius dezent, kaum merklich, geändert hatte. Warum sonst sollte sie mir die Hintergrundgeschichte dieser Reise erzählen? „Was ich damit sagen will... Wir wollen, dass Cassius seine Wünsche und Träume erfüllen kann, deswegen werden wir auch weiterhin alles tun, um ihm das zu ermöglichen. Selbst wenn er glaubt, die ganze Verantwortung für uns alleine tragen zu müssen, werden wir unser möglichstes geben, um ihm diese Last von den Schultern zu nehmen. Wir mögen in den Augen der anderen nur Sklaven sein, aber wir sehen uns selbst auch ein wenig wie Freunde für Cassius. Vielleicht denkt er ja auch so über uns, auch wenn er das niemals offen zugeben würde.“ Panthea lachte leise und versetzt mich damit erneut in Verwunderung. Immer noch war mir nicht ganz klar, warum sie mir das alles erzählte. Hoffte sie, dass ich es Cassius auch leichter machen würde? Wobei, hatte ich es ihm überhaupt jemals schwer gemacht? Oder wollte mir Panthea sagen, dass ich mich zu wenig in die Gruppe integrierte? „Also im Klartext, ihr mögt Cassius und würdet ihm folgen wohin auch immer er geht?“ Vielleicht half das Hotline-typische paraphrasieren, um mir verständlich zu machen, worauf Panthea eigentlich hinaus wollte. „Wenn sein Vater uns das erlaubt, ja. Bis ans Ende der Welt, wenn es sein müsste.“ Das Grinsen Pantheas wurde breiter. So schlecht schien es ihnen ja gar nicht zu gehen, selbst als Sklaven, wenn sie Cassius so sehr vertrauten. 'Und du vertraust ihm ja selbst. Der Junge hat eben Charisma, auf seine eigene Art und Weise.' Ich nickte kaum sichtbar, als wollte ich der Stimme in meinem Kopf Recht geben. Cassius hatte in der Tat so etwas wie Charisma. Nicht solches wie Sinbad oder Kouha, aber in gewisser Weise hatte er etwas, das mir deutlich sagte, dass ich ihm vertrauen konnte, solange ich mit ihm reiste. Auch wenn ein kleiner Teil in mir immer noch angewidert von ihm war, wegen der ganzen Sklavengeschichte. „Und wenn ihr keine Sklaven mehr wärt? Würdet ihr Cassius dann auch bis ans Ende der Welt folgen?“ Wie von selbst kam mir die Frage über die Lippen. Eine Frage die Panthea scheinbar nicht sehr erfreute. „Hast du nicht zugehört? Wir sehen uns als seine Freunde. Natürlich würden wir ihm auch dann bis ans Ende der Welt folgen.“ Panthea hatte es also ernst gemeint und sie machte deutlich, dass sie von ihren Worten nicht zurückweichen würde. Cassius bedeutet ihr mehr als nur ein Meister. Solch eine Bindung brauchten wahrscheinlich viel mehr Sklaven in dieser Welt. Eine freundschaftliche zu ihrem Herren. Doch waren sie damit dann wirklich frei?   Gegen Mittag hatte der balbaddische Händler wieder zu seinem Jammerangriff gestartet. Indirekt kann man wohl sagen, dass er Cassius dazu genötigt hatte, auf einem der umliegenden Gehöfte Unterschlupf zu suchen. Ich will nicht undankbar erscheinen, aber der Besitzer des Hauses war keine sonderlich freundliche Natur. Erst als Cassius ihm ein paar Münzen gereicht hatte, schien dessen Laune sich aufzubessern. Es war einer der Punkte, an denen ich mich fragte, ob Cassius nicht mehr Geld bei seiner Reise ausgab, als überhaupt einnahm. Er zahlte die Karawansereien, nun das Gehöft und wahrscheinlich ging auch das Geld für Lebensmittel auf seine Kosten. Noch dazu bezahlte er mir jeden Tag meinen Lohn und nie sah ich ihn irgendetwas verkaufen. Oder betrieb er seinen Handel unter der Hand, wenn ich nicht hinsah? Ich meine, in den Karawansereien hing ich ja nicht ständig an seinem Rockzipfel, sondern bewegte mich frei durch die Einrichtungen. Gleichzeitig wusste ich auch nicht, was die anderen beiden Händler an Kosten für Verpflegung und Schutz dazu gegeben hatten. Das war schon alles sehr mysteriös und eigentlich seltsam, dass es mir erst jetzt aufgefallen war. 'Doch ein Spätzünder...' Scheinbar war an Varius' Worten doch etwas dran und ich war ein Spätzünder. Eigentlich sprach alles dafür. Da fragte ich mich doch ernsthaft, wie ich in meinem Job so gute Arbeit leisten konnte, dass keiner der Kunden an die Decke ging. „Wir machen hier Pause... Geht nicht zu weit weg. Lenkt die Arbeiter nicht ab und stört die anderen Gäste nicht.“ Ich fühlte mich bei dieser Anrede schon sehr an meine Zeit aus der Schule erinnert. Was glaubte Cassius eigentlich, wie alt wir waren? Mit Sicherheit hatte ich nicht, vor den Arbeitern ihren Job hier wesentlich schwerer zu machen. Schon als wir den Weg hierher eingeschlagen hatten, war mir aufgefallen, dass viele der Arbeiter Fesseln trugen und eine tiefe Gewissheit hatte sich in mir verankert, dass sie Sklaven waren. Deswegen hatte ich schon gar nicht vor, sie zu stören und ihnen damit noch größeres Leid zu bescheren, auch wenn ich sie gerne alle eingepackt und ihnen die Freiheit geschenkt hätte. Soviel Geld besaß ich aber nicht und nicht einmal der Alexandrit im Stab hätte wohl genug Wert um einen Sklaven freizukaufen. Um das ganze Leid nicht mit ansehen zu müssen und auch der Tatsache verschuldet, dass ich müde genug war, um die Augen kaum noch aufzuhalten, wandte ich mich an Cassius, der mich sogleich ansah, als wollte er mich für irgendetwas erschlagen. „Werde niemanden stören... wollte nur fragen ob ich hier irgendwo etwas dösen darf?“ Meine Frage war etwas unsicher formuliert, auch wenn eine innere Gewissheit mir garantierte, dass Cassius mir ein paar Stunden Schlaf nicht verwehren würde. Wie ich den Händler aus Balbadd kannte, würde dieser sicherlich nicht in wenigen Minuten aufspringen und die Weiterreise fordern. Das wusste selbst Cassius. „Nimm den hintersten Wagen.“ Mein Herz schlug vor Freude. Auch wenn der Wagen nicht gerade ein Bett ersetzen konnte, aber ein wenig Schlaf konnte mir im Moment nicht schaden. „Danke“, murmelte ich müde und machte mich auf den Weg zu dem letzten Wagen in unserer Karawane. Müde kletterte ich in diesen und verzog mich in die hinterste Ecke, in der ich mich förmlich zu einem Eri-formigen Ball zusammenrollte und schließlich weg schlummerte, kaum das ich die Augen geschlossen hatte.   Wie lange ich geschlafen hatte, wusste ich nicht. Es fühlte sich aber nicht so an, als wäre es ausreichend gewesen. Mit einem sanften Rütteln holte mich Panthea aus einem wirren Traum zurück in die Realität zurück. „Aufstehen, Sonnenschein. Komm mit. Du musst einen Brief schreiben.“ Verwirrt sah ich Panthea an, die mich förmlich auf die Beine und aus dem Wagen zog. Mit einem strahlenden Lächeln zerrte sie mich zu einer Baracke, in der sowohl Cassius, als auch ein paar mir vollkommen fremde Menschen saßen. Neben ihnen ruhten Kisten, die ich eindeutig als jene von Cassius Waren identifizieren konnte. Ehrlich, ich hatte sie seit einer Woche tagein tagaus gesehen, wie sollte ich sie da nicht wieder erkennen, mit diesen markanten Zeichen, welches wohl ein Kleinkind drauf gekritzelt hatte und eine Vase darstellen sollte? Augenscheinlich war das der Weg, auf dem Cassius sein Geld nebenbei verdiente. „Hier ist sie!“, rief Panthea stolz und schob mich förmlich neben Cassius, den ich nur müde und fragend ansah. Was wollten sie von mir? „Ihr seid also das Mädchen aus Balbadd, von dem Cassius uns erzählt hat“, erklärte einer der Männer, die Cassius gegenüber saßen. So ganz verstand ich immer noch nicht, was sie von mir wollten. „Wir haben erfahren, dass ihr in Balbadd in einem Freudenhaus gearbeitet habt, war das zufällig das von Assad?“ Müde nickte ich auf die Frage, wartend, worauf dieses ganze Gespräch hinauslaufen sollte. „Wenn Ihr wollt, können wir gerne versuchen eine Nachricht an Assads Freudenhaus zu liefern.“ Meine Augen weiteten sich. Es dauerte etwas, bis ich verstand, was hier gerade wirklich geschah und mein Blick wandte sich schmollend zu Panthea, die schützend die Hände hochhielt, als wollte sie sagen, dass sie nichts getan habe. „Ihr könnt gerne einen Brief verfassen. Wir haben Papier und Tinte dabei. Wenn Ihr allerdings nicht schreiben könnt, dann würde einer meiner Angestellten das Schreiben sicher für euch übernehmen, während ihr diktiert.“ Wild schüttelte ich den Kopf und versuchte alle Höflichkeit und alle Emotionen die gerade in mir aufkamen beisammen zu halten. „Und Ihr kommt wirklich nach Balbadd?“, fragte ich, denn ich wollte nicht riskieren, dass dieser Brief in die falschen Hände geriet. Noch dazu wollte ich mir keine unnützen Hoffnung auf etwas machen, was vielleicht nicht eintraf. „Wir reisen zumindest in diese Richtung. Ursprünglich sind wir etwas westlicher unterwegs gewesen, allerdings war mir das Risiko dieser Strecke zu hoch, weswegen wir über einen Umweg dann auf die zweite Route ausgewichen sind.“ An sich interessierte es mich nicht, wohin diese Reisenden wollten, oder woher sie kamen. Ich wollte einfach nur die Sicherheit haben, dass der Brief nicht umsonst geschrieben wurde. Dennoch, zu deutlich sollte ich nicht zeigen, dass ich kein Interesse an ihrer Geschichte hatte. „Aber macht Euch keine Sorge, die Strecke die wir jetzt nehmen ist sicherer und dank Cassius, wird euer Brief in Balbadd ankommen, dass garantieren wir.“ Ich sah zu Cassius, mich fragend, was er den anderen Händlern erzählt hatte. Sicher aber, dass sie den Strandpfad meiden sollten, wenn ihnen ihr Leben lieb war. „Eine Hand wäscht die andere. Immerhin haben Sie mir auch von den Übergriffen des Kaiserreichs Kou auf Gebiete des Tenzan-Plateaus erzählt. Das erleichtert mir ebenfalls die zukünftige Planung.“ Informationen gegen Informationen, ein fairer Handel. Vielleicht sollte ich mir das auch zu Nutzen machen, irgendwann, in ferner Zukunft. Dahingehend konnte man von Cassius echt viel lernen, auch wenn ich das nur ungern zugab.   Dank der Reisegruppe hatte ich etwas Tinte, eine Schreibfeder und Papier erhalten, so dass ich nun in der Baracke saß und ein freudiges Kribbeln durch meine Finger fuhr. Es gab soviel, dass ich erzählen wollte, gleichzeitig gefiel mir das Gefühl einfach schreiben zu können. Einen kurzen Moment genoss ich diesen Moment, bevor ich das Ende der Feder ansetzte und meinen Brief begann. Vorerst würde das wohl die letzte Gelegenheit sein, schreiben zu können. Ich musste das in Sindria unbedingt ändern.   Hallo Mädels, Ameen und Assad. Wie geht es euch? Mir geht es soweit ganz gut, auch wenn ich gerade etwas übermüdet bin. Anders als geplant fuhr kein Schiff von Balbadd nach Sindria, weswegen ich mich jetzt noch auf einer längeren Reise nach Aza befinde. Ich habe eine Karawane gefunden, die mich mitgenommen hat. Um mein Taschengeld aufzubessern, arbeite ich auch bei ihnen, unter anderen in der Nachtschicht, wenn Freiwillige gesucht werden. Ich habe allerdings die Hoffnung, dass vielleicht von Bitroun schon ein Schiff nach Sindria fährt und ich mich dort von der Karawane lösen kann, um ihnen nicht weiter zur Last zu fallen. Ich will damit nicht sagen, dass die Menschen der Karawane schlecht sind oder so, im Gegenteil, sie sind alle wirklich sehr nett zu mir. Der Großteil der Gruppe kommt aus Reim und Cassius, unser Reiseführer, erinnert mich sehr an Assad. Er lächelt scheinbar nie und wirkt sehr grob und ungehobelt, wenn man ihn aber näher kennenlernt, merkt man, dass er ein gutes Herz hat. Auch wenn er das sehr gut versteckt. So wie Assad eben. Ja, Assad, ich meine dich! Das Einzige, was mich etwas betrübt, ist die Tatsache, dass Cassius' Diener wohl alles Sklaven sind. Ihnen geht es zwar nicht schlecht unter ihm und sie nennen ihn einen Freund, aber ich weiß ehrlich nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Ich habe sogar das Gefühl, zuvor unhöflich gewesen zu sein, weil ich es einfach nicht bemerkt habe, bis vor kurzen. Nachzutragen scheint es mir aber keiner. Panthea hat mir sogar einen Stab mit einem Alexandrit geschenkt. Jetzt erfülle ich wirklich jedes Klischee eines hier typischen Magiers, abgesehen von dem Spitzhut. Dabei habe ich mir von Varius und Tiberius etwas Selbstverteidigung mit dem Dolch zeigen lassen. Allerdings bin ich wohl nicht sonderlich gut, wenn es darum geht offensiv zu werden. Ich hoffe einfach, dass ich auf dieser Reise niemals gezwungen sein werde, offensiv zu werden, das ist meine größte Furcht und auch wenn Varius, der wie ein Bruder für mich geworden ist, mich hin und wieder aufmuntert, hängt diese Furcht wie ein Henkersbeil über mir. Macht euch aber bitte keine Sorgen. Cassius plant die Routen sehr gewissenhaft und versucht bestmöglich, den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Noch dazu haben wir neben Tiberius und Varius auch noch zwei weitere fähige Kämpfer aus Kou. Ich denke also, dass die Karawane sicher ist. Und ich habe diesen Schutzschild. Es kann mir also nicht viel passieren. Das Einzige, was mich noch auffressen könnte, ist die Sehnsucht nach euch allen. Ich vermisse euch wirklich sehr. Ihr seid hier wie eine Familie für mich geworden und wir hatten zwar auch unsere Höhen und Tiefen, aber gemeinsam konnten wir das alles überstehen. Ich werde wiederkommen, dass verspreche ich euch. Vorerst werde ich in Sindria aber genug lernen, um euch eine Hilfe und keine Last zu sein. Und dann erzähle ich euch wieder ganz viele Geschichten. Suleika soll dann ihr Kind mitbringen. Wehe Assad vergibt meinen Kissenberg an jemand anderen, dann kracht es. Nur ich und Kouha Ren dürfen auf diesem Platz thronen. Ja, Assad, Kouha Ren, der Prinz aus Kou, der mich beinahe in zwei Hälften geteilt hätte, weil dein blöder Kumpel Kassim unbedingt dieses verdammte Hotel angreifen musste. Da fällt mir ein, macht Sadiq die Hölle heiß, sollte er sich bei euch blicken lassen. Nur weil er meinte, dass ich Ablenkung brauche, bin ich in den ganzen Mist rein geraten. Er schuldet mir außerdem Geld!   Vergessen wir das. Wir wissen alle, das Sadiq mir das Geld niemals wiedergeben wird. Und Assad hat sicher genug zu tun, euch vor der Nebelbande zu beschützen. Er macht seinen Job sicher gut. Wenn ich wiederkomme, muss er das nicht mehr alleine tun. Ich schwöre euch, ich werde stärker als zuvor. Ich werde alles lernen, was ich lernen muss. Passt ihr bitte solange auf euch auf. Ich werde in Sindria hin und wieder versuchen, euch zu schreiben, damit ihr wisst, dass ich noch lebe. Versucht aber nicht, auf die Briefe zu antworten. Sollte ich jemals eine Antwort erhalten, weiß ich, dass sie nicht von euch kommt. Solange wir unter demselben Himmel leben, sind wir niemals getrennt. Eure Geschichtenerzählerin.   Ich las den geschriebenen Brief noch einmal in aller Ruhe durch und nickte schließlich. Das wichtigste stand drin, hoffte ich zumindest. Immerhin hatten die Mädchen dann ein Lebenszeichen von mir. Oder würde der Brief schon jetzt Ärger bringen, wenn ich ihn versandte? Seltsam, kaum, dass er geschrieben war, zweifelte ich an seiner Richtigkeit. „Seid Ihr fertig?“, fragte der Händler mir gegenüber. Ich war fertig, allerdings fragte ich mich, ob diese Zeilen nun wirklich für die Mädchen bestimmt sein sollten. Was wenn Kassim ihn in die Hände bekam und seinen Zorn dann an Assad und den Mädchen ausließ. Sollte ich das wirklich riskieren? „Fertig schon... Ich... vielleicht ist es besser, wenn ich den Brief nicht losschicke.“ Ein trauriges Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab. Ich wollte, dass die Mädchen ein Lebenszeichen von mir bekamen, allerdings wollte ich auch nicht, dass dieses Lebenszeichen ihnen Ärger bereitete. „Du hast ihn doch nicht geschrieben, damit er in deinem Reisegepäck verkommt. Du machst dir zu viele Sorgen.“ Mein Blick glitt zu Cassius, der mich ernst ansah. Ob er die Zeilen gelesen hatte, so dicht wie er neben mir saß? Hoffentlich nicht. „Aber...“, setzte ich an und wollte erklären, warum diese Entscheidung nicht so leicht war, als Cassius das Stück Papier von mir wegzog und faltete. Ohne eine Spur von Zweifel reichte er es den Händlern, die seine Geste scheinbar als ein Einverständnis von meiner Seite aus sahen, oder glaubten, dass ich eine Sklavin wie die Anderen war und somit kein Mitspracherecht hatte. „Moment! Das geht nicht so einfach, Cassius, die Angelegenheit ist etwas schwieriger. Ich-“ Cassius ernster, durchbohrender Blick gebot mir zu schweigen. Ich tat es wohl besser, wenn ich noch etwas leben wollte. „Der Brief wird in die richtigen Hände gelangen.“ Woher nahm er nur diese Sicherheit? Ich verstand es nicht. Kannte er die Händler? Überhaupt, woher wollte er wissen, wessen die richtigen Hände waren und wessen nicht? Er kannte meinen Background doch gar nicht. Dennoch, ich konnte nicht anders, als Cassius zu vertrauen. Warum nur? „Keine Sorge, wir werden dafür sorgen, dass dieser Brief nur in die Hände von Assad persönlich kommt. Selbst wenn sich der Einfluss von Fatima weiterhin ausbreitet, sind wir gewappnet genug um gegen eine Horde blutrünstiger Sklavenhändler zu bestehen.“ Ich horchte auf, als ich den Namen Fatima hörte. Da klingelte doch etwas. Richtig. In der Wüste hatte er doch sein Versteck. Waren da auch nicht die Nando-Brüder einst gewesen? Oder würden sie erst noch dahin gehen? „Fatima?“, fragte ich unsicher nach. Ich brauchte mehr Informationen, um alles einordnen zu können. Den Zeitpunkt, an dem ich in diese Welt gekommen war. Ich wusste ja immerhin schon, dass ich weit vor Alibabas Ankunft hier angekommen war, aber das würde immer noch nicht genau sagen, ob ich mich inmitten von Band eins der Magi-Serie befand, oder vielleicht noch weiter zuvor. „Ja, man erzählt sich, dass dieser Mann eine Wüstenfestung eingenommen hat und von dort aus seine Herrschaft bis in den Süden ausgebreitet hat. Er terrorisiert dort alles und jeden und macht Jagd auf Menschen, als wären sie wilde Tiere.“ Ich muss gestehen, dass mich die Information des Händlers zeittechnisch nicht wirklich weiter brachte. Wenn ich es Recht in Erinnerung hatte, war Fatima auch im Manga, als er auf Morgiana traf, nicht weniger von einer Herrschaft über ein weitläufigen Gebietes entfernt. „Er fängt Karawanen ab und versklavt alle, die er für nützlich hält. Da fragt man sich doch, warum in Balbadd niemand reagiert. Irgendwann spaziert dieser miese Hund in das Königreich und nimmt sich was er braucht.“ So ganz Unrecht hatten die Händler nicht. In Zukunft würde diese Gefahr, dass die balbaddische Bevölkerung versklavt wurde, wirklich bestehen. Die Frage war weiterhin, wie viel Zeit noch blieb.   An Schlaf war nach diesem Gespräch nicht mehr zu denken. Stattdessen half ich den Anderen die Karren wieder ordentlich einzuräumen und alles sicher zu verstauen, bevor unsere Reise losging. In Gedanken spukte allerdings immer noch die Frage herum, wie viel Zeit mir blieb. Würde ich in Sindria ankommen und es war vielleicht zu spät? Würde ich die wichtigsten Ereignisse verpassen? Was, wenn ich nicht in Balbadd war und Kassim bei seiner Revolution nicht starb? 'Hast wohl nicht alles durchdacht...', meldete sich eine hämische Stimme. Blöd das sie Recht hatte. So weit hatte ich wirklich nicht gedacht. Ich war immer davon ausgegangen, dass ich wirklich noch genug Zeit hatte. 'Ganz ruhig... denk nach. Die Nando-Brüder sind noch nicht bei Fatima. Das heißt, Morgiana ist auch nicht dort.' Es war der einzige Gedanke, der mich ein wenig beruhigen konnte. Zumindest für den Moment. Die Nando-Brüder würden sicher ein wenig reisen müssen, um die Wüstenfestung zu erreichen. Fest stand nur, dass ich in Sindria nicht viel Zeit haben würde. Ich musste schnell lernen. 'Vitamin B wird immer unausweichlicher... Das ist der schnellste Weg, den du hast.' Diese Tatsache wurde immer klarer. Ich brauchte Sinbad. Sinbad und seine acht Generäle. Allein, dass ich mir das eingestehen musste, widerte mich an. Ich hatte in meinem Leben immer ohne Vitamin B auskommen wollen, doch nun brauchte ich es, um weiter zu kommen und vielleicht auch nach der ganzen Sache in Balbadd herauszufinden, warum ich hier war. „Erenya, hilfst du dem Neuen?“ Ich hatte gerade eine Kiste verstaut, als Nel mich von der Seite ansprach. Ich sah zu ihm, hob verwundert eine Augenbraue und fragte wortlos, was er mit „dem Neuen“ meinte. Er wusste scheinbar, was ich dachte und grinste. „Stimmt, du hast geschlafen. Wir haben ein neues Mitglied. Er räumt deine Karren ein. Hilf ihm einfach, damit ihr euch etwas kennenlernen könnt. Cassius sagte nämlich, dass er einen deiner Karren führen wird.“ Ein leises Murren war von meiner Seite aus zu hören. Nicht, das ich den Neuen nicht kennenlernen wollte. Es störte mich viel mehr, dass man mir die Hälfte meiner Arbeit nahm. Aber schön. Es war Cassius Entscheidung und er war der Boss. Da muckte ich besser nicht, auch wenn ich nicht erfreut darüber war. Mich meinem Schicksal ergebend, ging ich zu meinen Karren und erblickte sofort den großen Neuling, dessen rotes Haar wie ein Flammenmeer auf seinem Kopf zu lodern schien. Mir stockte der Atem, denn es war das erste Mal, dass ich jemanden wie ihm gegenüber stand. So wirklich in Natura gegenüber stand. Er bemerkte mich und hielt in seiner Bewegung inne, wobei seine stechend roten Augen mich ernst ansahen. „Fanalis...“, flüsterte ich fast schon ein wenig fassungslos. Ja, selbst ich verstand, dass er ein Fanalis war, immerhin hatte er so viele Eigenschaften von Morgiana und Masrur, dass ich wirklich einfach nur sprachlos war. Erst als er seinen Blick von mir nahm, realisierte ich, wie ich ihn angestarrt haben musste. Fettnäpfchen erfolgreich getroffen. „Entschuldige, ich wollte dich nicht anstarren!“ Ich wollte dieses Missverständnis sofort klar machen. Es war immerhin keine böse Absicht gewesen, ihn so anzustarren. Im Gegenteil, es war eher meiner Faszination für die Fanalis geschuldet. „Schon in Ordnung... ich bin das gewöhnt.“ Mega-Fettnäpfchen getroffen! Ich hätte mich ohrfeigen können, so dämlich wie ich war. Natürlich musste er das gewöhnt sein. Argh! Wie hatte ich das so kackendreist übersehen können? „Nein, nein... Ich meinte das nicht so... uhm... es tut mir leid. Ich bin Erenya und du?“ Da ich wahrscheinlich sowieso nichts mehr von dem schlechten ersten Eindruck retten konnte, beschloss ich einfach, etwas Smalltalk zu betreiben. Vielleicht besserte sich sein Eindruck von mir dann und er merkte, dass ich kein dämlicher Gaffer war. „Acht.“ „Wie bitte?“ Ich blinzelte auf seine Antwort, die nicht so klang, als hatte er mir sagen wollen, wie er hieß. Acht? Wirklich? „Der Besitzer nannte mich Acht. Das war meine Nummer hier, bevor Meister Cassius mich gekauft hat.“ Erneut wusste ich nicht, was mich mehr schockieren sollte. Die Tatsache, dass man jemanden einfach keinen Namen gab oder die, dass 'Acht' so selbstverständlich darüber sprechen konnte, gekauft worden zu sein. Fast schon schmollend, hob ich eine Kiste an und lagerte diese in den Karren ein. Das ging doch mal so gar nicht. „Nein, nein, nein. Egal was Cassius davon hält, du brauchst einen richtigen Namen. Man kann doch niemanden nach einer Zahl benennen... Na gut kann man schon, es gibt Leute die heißen Zero, aber ich empfinde das als mehr als abwertend. Und wenn du schon zu Cassius gehörst, brauchst du auch einen Namen.“ Da 'Acht' keine Fesseln trug, ging ich davon aus, dass Cassius ihn ähnlich wie die Anderen zwar als Sklaven behalten wollte, aber doch schon diverse menschliche Freiheiten und Recht geben würde, die ihm etwas das Gefühl von Freiheit gaben. Ein Name wäre da doch schon ein Anfang. Auch wenn Cassius ihm diesen vielleicht hätte geben sollen, so als sein Meister, wollte ich das doch gerne übernehmen. 'Acht' sollte nicht mit einem dämlichen Römernamen enden. Im Gegenteil, Cassius sollte etwas von mir haben, was ihn sehr, sehr lange an mich erinnerte. Das war mir ein diabolisches Vergnügen. „Uhm. Was hältst du von Alexander Aurelius? So kannst du dir aussuchen, wie du dich anderen vorstellst. Ich werde dich natürlich Alexander nennen, oder Alex.“ Ich lächelte den neu benannten Alexander Aurelius an, der mich mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und irgendeiner anderen, undeutbaren Emotion ansah. Ob ihm der Name nicht gefiel? Dabei waren beides Bestandteile von großen geschichtlichen Persönlichkeiten. Eben ganz dem Magi-Style. „Nicht gut?“, fragte ich und überlegte schon, welche Namen noch für ihn passend sein konnten. Ein Fanalis brauchte einen großen Namen, soviel hatte ich entschieden und es war mir wirklich egal, was Cassius sagen würde. „Nein. Das... Acht würde wirklich reichen...“ Nun war ich es, die Alexander ernst ansah. Von wegen Acht würde reichen. „Hör zu, ich werde, solange wir zusammen reisen, nicht zulassen, dass dich jemand abwertend als 'Acht' bezeichnet. Du bist wie die Anderen hier ein lebendes Wesen und hast einen Namen verdient. Einen vernünftigen Namen. Wenn Alexander Aurelius dir nicht gefällt, finden wir sicher einen, den du schön findest. Man hat immerhin nicht jeden Tag die Chance, seinen eigenen Namen zu wählen. Also... Wie würdest du gerne heißen wollen?“ Wenn er schon mit meinem Vorschlag nicht zufrieden war, sollte er sich eben selbst einen aussuchen. Die Absolution dafür hatte er nun von mir erhalten und ein Nein würde ich nicht gelten lassen. „Alexander... Aurelius...“ Alexander hatte also nachgegeben und meinen Vorschlag angenommen. Zufrieden sah ich ihn an und griff zur nächsten Kiste, die just im Wagen verschwand. Es war ein gutes Gefühl, auch wenn das vielleicht nur eine Kleinigkeit war, aber irgendwie, glaubte ich ein hauchzartes, dünnes Lächeln auf Alexanders Lippen zu sehen.   Alexander war das Arbeiten mit Pferden und Karren wahrscheinlich mehr gewohnt als ich, denn er führte einen der Hengste mit einer Genauigkeit, wie ich es wohl nie vermochte, auch wenn beide Tiere bisher gut zu mir gewesen waren. Da wir unmittelbar nebeneinander herliefen, hatte ich die Gelegenheit, etwas mit unserem Neuzugang zu reden, der mir gegenüber schneller auftaute als gedacht, auch wenn er immer noch nicht der Gesprächigste war. „Und deswegen war ich einfach überrascht. Ich wollte dich wirklich nicht anstarren. Im Gegenteil, ich finde die Fanalis wirklich toll. Man könnte mich als Fan bezeichnen.“ Ausgiebig hatte ich Alexander erzählt, warum ich ihn so angestarrt hatte. Eben das es Fanalis in meiner Heimat nicht gab und ich einfach nur von seinem Erscheinungsbild, auch wenn er noch in Lumpen gekleidet war, mehr als fasziniert war. „Ihr kennt Fanalis nicht und du bist dennoch ein Fan?“ Unglauben war in Alexanders Stimme zu hören, doch wie ich eben so bin, ließ ich mich von diesem Unterton genauso wenig stören, wie wenn ein Kunde mit 180 an mich geriet und alles andere als freundlich begrüßt werden wollte. „Jap~ ein paar von uns wissen ja ein wenig über die Fanalis, oder über diesen Ort hier. Fakt ist sogar, dass ich nur dank zweier Freunde anfing mich für diesen Ort und seine Bewohner zu interessieren und als ich von den Fanalis erfuhr war ich total fasziniert. Auch wenn ich es wirklich blöd finde, dass so viele sie versklaven. Das habt ihr nicht verdient. Wenn ich weiter durch die Welt reise, werde ich mein bBstes geben, euch zu helfen, vielleicht ist das ein Teil meiner Bestimmung hier.“ Zumindest war es ein Teil von Bestimmung, den ich mir gerne selbst erwählt hätte. Durch die Welt des Magi-Fandoms reisen, alle möglichen Orte kennenlernen und schließlich einen Weg finden, wie ich zurück in meine Heimat konnte. Das wäre der idealste Weg und wohl auch der Traum eines jeden Fangirls. „Um dich müssen wir uns ja keine Sorgen machen. Du bist bei Cassius in guten Händen. Um es mit Pantheas Worten zu sagen 'Er ist sehr nett zu uns, auch wenn Nel den ein oder anderen Arschtritt gebrauchen könnte.' Und abstreiten kann ich das auch nicht. Er wirkt zwar mürrisch, aber wahrscheinlich ist er wirklich kein schlechter Kerl, auch wenn er manchmal schon sehr suspekt ist.“ Ich lachte leise und schüttelte dabei den Kopf. Irgendwie konnte ich mich trotz der ganzen Sklavensache nicht dazu überwinden, Cassius ins schlechte Licht zu rücken. An dem Fakt, das er ein guter Mensch war, gab es nichts zu rütteln. „Muss ich mir Sorgen machen, dass du nun soviel mit dem Neuen redest?“ Belustigt war Varius zu uns gestoßen und hatte so Tiberius abgelöst, der nun den hinteren Teil der Karawane bewachte. Wie gewohnt gesellte sich Varius zu mir, wobei ihm natürlich nicht verborgen geblieben war, dass ich mich angeregt, wenn auch eher einseitig, mit Alexander unterhielt. „Er hat einen Namen. Alexander Aurelius. Es wäre also nett, wenn du ihn nicht einfach nur als 'Neuer' bezeichnest. Das ist nicht nett.“ Blinzelt sah Varius von mir zu Alexander. Dieser schien den Wächter kaum Beachtung zu schenken, oder sich selbst nicht zu erlauben, etwas zu dieser Situation zu sagen. Ich hatte kein Problem damit, dass dann für ihn zu übernehmen. „Schon verstanden. Sehr erfreut, Alexander Aurelius.“ „Aurelius.“ Verwundert sahen sowohl Varius als auch ich zu Alexander, der mit einem Wort nun doch an diesem Gespräch teilnahm. „Ich möchte, dass ihr mich Aurelius nennt. Erenya darf mich weiterhin Alexander nennen.“ Mein Fangirlherz schlug höher. Immerhin hatte mir Alexander soeben ein Privileg gewährt. Für alle anderen wollte er Aurelius sein, aber ich, ich durfte ihn auch weiterhin Alexander nennen. Oder aber er hatte meine Ansage ernst genommen, dass ich ihn weiterhin Alexander nennen würde, selbst wenn er lieber Aurelius genannt werden wollte. Egal was es war, ich war glücklich damit, dass ich ihn auch weiterhin Alexander nennen durfte.   Ich war zu glücklich über die Ereignisse des Tages, um mich überhaupt zu fragen, wie lange wir heute noch reisen würden, ob wir Bitroun bald erreichten oder nicht. Imaginär wedelte ein Katzenschweif von links nach rechts und machte deutlich, dass ich super zufrieden mit allem war. Die Müdigkeit selbst schien wie weggeblasen, auch wenn ich wohl nur zwei Stunden geschlafen hatte. Ich schwebte auf Wolke sieben, allein wegen der Tatsache, dass ich Alexander eben als einzige Alexander nennen durfte. Allerdings wurde dieses Glücksgefühl genauso schnell zerschlagen, wie es gekommen war. „Wir sind bald in Bitroun. Zumindest hat Cassius gesagt, dass wir noch vor der Dämmerung dort ankommen. Hey, Aurelius, gehst du mit mir und Tiberius dann ins Badehaus?“ Ein Badehaus? Ich horchte auf. Der Gedanke an ein Bad war verlockend, allerdings nur, wenn ich dieses Bad alleine genießen konnte, ohne das ein Mann auf der anderen Seite war oder die Mädchen bei mir waren. Im Freudenhaus hatte ich genug Brüste für ein ganzes Leben gesehen. Mehr mussten das nicht werden. „Sollten wir für Alexander nicht lieber ein paar schönere Sachen holen? Vielleicht haben noch ein paar Stände einige Waren die wir kaufen können.“ Meine Worte waren noch nicht einmal richtig ausgesprochen, als Tiberius auch schon lauthals loslachte. „Wie eine Glucke die auf ihr Küken aufpasst!“, lachte er, wobei ich ihm einen erbosten Blick zuwarf, der aber sofort wieder wich, als ich weiter von uns entfernt am Horizont die Silhouetten von Menschen sah, die in Reih und Glied liefen. „Varius, wird diese Route häufiger von Karawanen benutzt?“ Abgesehen von den Händlern im Gehöft, waren mir noch keine anderen Händler aufgefallen. Doch diese Gruppe weit von uns entfernt hatte meine Aufmerksamkeit sofort auf sich gezogen. Um zu verstehen, was ich meinte, wandte Varius seinen Blick in die Richtung, in die ich sah und sofort verfinsterte sich sein Blick. „Sklavenhändler... Sie reisen über diese Route um ihre 'Ware' nicht zu stark zu belasten. Egal wo es dich noch hin verschlagen wird, Erenya, pass immer auf dich auf und vertraue am besten niemanden, der dir ein schlechtes Gefühl bereitet.“ Ich konnte spüren, dass in Varius Worten eine Warnung mitschwang, die ich wohl besser beachtete. Wahrscheinlich war ich in der Hinsicht wirklich gefährdet, als Sklavin zu enden. Ich vertraute zu schnell, das wurde mir schnell klar, als ich über mein Verhältnis zu Assad, Sadiq und dieser Karawane nachdachte. Irgendwo wahrte ich zwar eine gewisse Distanz, doch es war nicht genug, um nicht vielleicht als Leichnam im Sand oder als Prostituierte zu enden. So gesehen hatte ich Glück, dass alle meine Helfer bisher nicht nach meinen Leben getrachtet hatten. Selbst bei Sadiq, dessen anderes Gesicht mich doch hin und wieder verschreckt hatte. Wie es diesem Bastard wohl ging? „Ich werde aufpassen. Versprochen. Aber vorerst kannst du mich ja noch beschützen“, scherzte ich um dieses Thema schnell hinter mir zu lassen. Es bedrückte mich, denn erneut sorgte es dafür, dass ich an meine Freunde aus Balbadd zurückdachte. Ob sie den Brief erhalten würden? Ich hoffte es. Ebenso, wie ich hoffte, dass Cassius Recht behalten würde.   Wie es Varius gesagt hatte, erreichten wir Bitroun zum späten Nachmittag. Die Sonne war auf ihrer Reise weit fortgeschritten und wahrscheinlich würden nur noch wenige Stunden vergehen, bevor sie unterging. Auf dem Weg zu einem Gasthaus, das groß genug war, sodass Reisende ihre Wagen und Tiere unterstellen konnten, hatte ich bereits gesehen, dass einige Händler mit ihren Ständen bereits die Waren verstauten. Wollte ich für Alexander also noch brauchbare Sachen finden, musste ich mich nach dem Abzurren beeilen. Vielleicht hatte Varius Recht und ich war eine über überfürsorgliche Glucke, aber mal ehrlich, mit diesem viel zu weiten, zerfledderten Hemd konnte ich den Jungen einfach nicht herumlaufen lassen. Er war immerhin das Mitglied einer Karawane und selbst die Anderen sahen nicht aus, als hätte man sie frisch aus der Gosse hervorgezogen. Noch dazu gehörte Alexander nun zu Cassius und musste ihn als Mitglied von dessen Karawane auch angemessen repräsentieren. Sollte Cassius also meckern, würde ich ihm garantieren, dass ich Alexander auf meine Kosten eingekleidet hatte. Von mir aus konnte er auch mein Gehalt kürzen. Mit diesen Gedanken stellte ich die Tiere unter und versorgte sie. Auch wenn ich es eilig hatte, soviel Zeit musste sein, immerhin waren diese treuen Hengste auch Lebewesen und nicht minder wert als Alexander, ich oder sonst ein Mensch. „Aurelius, du gehst mit Tacita zum Markt. Wir brauchen noch ein paar Sachen für die Reise.“ Alexander, der mir bei dem Versorgen der Tiere geholfen hatte, sah auf, als Cassius die Ställe betrat, gefolgt von Tacita, die ihn mütterlich anlächelte. Mir hingegen passte das so gar nicht in den Kram. Ich hatte immerhin mit Alexander einkaufen gehen wollen. Allerdings war es sicher nicht klug, sich gegen Cassius Anweisung zu widersetzen. Stumm nickte Alexander und ein leises Seufzen trat über meine Lippen. Er gehörte wirklich nicht zur gesprächigsten Sorte und war obendrein noch zu höflich und gehorsam. Vielleicht würde Panthea oder Nel ihm das in Zukunft austreiben. Hoffentlich. „Und ich?“, fragte ich schließlich, denn wenn die Pferde versorgt waren, hatte ich nichts mehr zu tun. „Mach was du willst, solange du früh schlafen gehst.“ Irgendjemand musste Cassius wirklich mal einen Knigge schenken. Man konnte einer arbeitswütigen Eri doch nicht einfach sagen, dass sie machen sollte, was sie wollte. Das ging niemals gut. Aber schön, wenn er das so wollte. Vielleicht konnte ich diese Zeit ja nutzen um mich in Bitroun umzuhören, umzusehen und vielleicht eine Reisemöglichkeit per Schiff nach Sindria zu finden.   Auch wenn Bitrouns Häuser denen von Balbadd sehr ähnelten, fast schon identisch waren, war diese Stadt doch anders. Die Stadtmauern zeigten deutlich, dass Bitroun wesentlich kleiner war und wohl mehr an eine Kleinstadt erinnerte, als an ein Königreich wie Balbadd. Man konnte fast schon sagen, dass es gemütlich war. Selbst ich hätte hier Schwierigkeiten gehabt, mich zu verlaufen, denn selbst der Weg zum Hafen schien durch den steinernen Turm in weiter Ferne mehr als nur gut gekennzeichnet zu sein. Da Bitroun eine Hafenstadt war, ging ich davon aus, dass dieses überragende Gebäude in weiter Ferne ein Leuchtturm sein musste, welches den Seefahrern den richtigen Weg wies und verhinderte, dass ihre Schiffe zu nahe an die flache Küste kamen. Bitroun war auf viele Weisen interessant. Bevor wir die Stadt betreten hatten, hatten wir eine kleine Stadt, bestehend aus Zelten, Planen und anderen Unterkünften gesehen, die mehr wie eine temporäre Lösung erschienen. Ich hatte mich gefragt ob das die bitrounischen Slums waren oder Reisende, die bald ihre Lager abbrechen würden und einfach nicht das Geld für ein Gasthaus hatten. Alles in allem hatte Bitroun eine vertraute Fremde, allerdings fühlte ich mich hier nicht heimatlich genug um meinen Entschluss, Sindria als nächstes Ziel vor Augen zu haben, sausen zu lassen. Insgeheim war ich sogar froh, wenn ich diesen Ort schnell hinter mir lassen konnte, auch wenn ich nicht wusste, woher dieses Gefühl genau kam. Da ich mit Alexander nun doch nicht einkaufen gehen konnte und das Badehaus mit seinen vielen nackten Menschen keine Option für mich war, hatte ich entschieden, mich im Teehaus niederzulassen, welches nahe der Herberge gelegen war. Das Teehaus selbst war so gut besucht, als wäre dies hier die örtliche Kneipe, bei der man zu Feierabend abstieg um sein Bierchen in Gesellschaft von anderen erschöpften Seelen zu genießen. Traurig, dass hier ausschließlich Tee und Gebäck serviert wurde. Wobei Tee auch etwas entspannendes hatte. Man konnte die Seele baumeln lassen, während einem die wohlige Wärme eines süßen Früchtetees einlullte und alle Sorgen vergessen ließ. Das war auch schon der einzige Grund, warum ich nun hier im Teehaus und nicht im Badehaus war. Ich musste meinen Kopf von allen Sorgen frei bekommen und etwas entspannen, bevor ich noch an einem Burn-Out endete. Für Cassius wäre das sicher auch gut gewesen, aber der Workaholic hatte sich mit seinem Hauslehrer in sein Zimmer verzogen und frönte dort wohl den Lehren seines Lehrers. Akribisch suchte ich in dem Lokal nach einem freien Platz, konnte aber entgegen meiner Natur keinen finden, der nahe genug am Ausgang lag. Ich stieß also tiefer ins Innere vor und fand, weit abgelegen von der lauteren Gesellschaft, im hintersten Teil des Lokals, einen freien Tisch, der förmlich meinen Namen zu flüstern schien. Zielstrebig lief ich auf diesen zu und ließ mich in den Platz sinken. Müde und vollkommen erschöpft von meiner Erkundungstour und der Reise, die vielleicht immer noch nicht vorbei war. Soviel Laufen war ich einfach nicht gewohnt und wenn ich ehrlich zu mir war, hatte ich mir die ein oder andere Blase aufgerieben. Allerdings vermied ich es darüber zu reden und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Mit einigen Verbänden hatte ich immerhin dafür gesorgt, dass es mir bestmöglich gelang. Es dauerte nicht lange, bis eine der freundlichen Kellnerinnen mich durstige Gestalt gefunden und meine Bestellung aufgenommen hatte. Diese bestand aus einem fruchtigen Tee, den sie mir als Empfehlung des Hauses angepriesen hatte und da ich ehrlich immer noch nicht wusste, was für Tees es in der Welt von Magi gab, hatte ich diesen auch bestellt. Fruchtig klang immer gut. Noch besser war es, solange er schmeckte. Ich seufzte leise, als ich mich etwas weiter zurücklehnte und meine Augen einen Moment lang schloss. Bequem war es dennoch nicht, da immer noch der Stab an mich gebunden war und ich sein dickes Holz in meinen Rücken drücken spürte. Ich hätte ihn wahrscheinlich doch im Gasthaus lassen sollen, doch irgendwie hatte ich es nicht übers Herz gebracht, mich von ihm zu lösen. Seltsam, nachdem ich mich so dagegen gewehrt hatte, ihn zu nehmen. „Entschuldigt.“ Schuldbewusst zuckte ich zusammen, als ich eine Stimme hinter mir vernahm. Wahrscheinlich hatte ich mich gerade jetzt zu sehr entspannt und damit einen anderen Gast verärgert. Sofort richtete ich mich wieder auf und drehte mich so, dass ich die Person hinter mir ansehen konnte. Da saß sie, eine Frau mit Spitzhut, neben der, an die Wand gelehnt ein großer goldener Stab ruhte, von dem einige Ketten hingen, die ihm wohl etwas mehr Flair geben sollten. Um ihn herum schwirrten die Rukh, fast so, als wurden sie von diesem Stab angezogen. Selbst wenn sie das nicht getan hätten, ich hätte sofort gewusst, wer diese Frau war. Eine Magierin. „Dürfte ich euch bitten, euch zu mir zu setzen? Man sieht nicht oft andere Magier in diesen Teilen der Welt und ich würde mich sehr über eure Gesellschaft freuen.“ Auch wenn das Licht in diesem Bereich des Teehauses sehr gedimmt war, konnte ich ein freundliches Lächeln auf ihrem Mondgesicht sehen. Ihre grasgrünen Augen strahlten dieselbe Wärme wie dieses Lächeln aus und zeugten davon, dass ihre Einladung ehrlich gemeint war. Dennoch beäugte ich sie misstrauisch. Woher wollte sie bitte wissen, dass ich eine Magierin war? Mal davon abgesehen, dass ich immer noch, wenn auch wankend, davon überzeugt war, keine zu sein. „Entschuldigen Sie, wenn ich das frage, aber was macht Sie so sicher, dass ich eine Magierin bin?“ Ich empfand meine Frage als sehr berechtigt. Und da meine Neugier bezüglich der kommenden Antwort gewachsen war, freute ich mich sehr über das perfekte Timing, welches mir meinen Tee just in diesen Moment servierte. Ich gab der Bedienung das Geld für den Tee und griff zu dem Becher, mit dem ich sofort den Platz zu der Magierin wechselte, die mich so freundlich um Gesellschaft gebeten hatte. „Das wundert mich nun aber. Ihr tragt einen Magierstab bei euch und fragt einen anderen Magier woher er weiß, wer Ihr seid?“ Ihrer Stimme war deutlich die Verwunderung über meine Frage anzuhören und hätte ich auch nur etwas mehr über diese Welt gewusst, wäre mir klar gewesen wieso. Augenscheinlich sah man es einem Magierstab an, wenn er einzig dafür existierte, um Zauber in Form zu bringen. Immerhin hatte ich nun die Gewissheit, dass dieser Stab, den Panthea gefunden und mir gegeben hatte, wirklich das Eigentum eines Magiers gewesen war. Somit stand es nicht mehr zur Debatte, den Alexandrit zu verkaufen um vielleicht die Überfahrt nach Sindria zu gewährleisten. „Ich... Das ist nicht mein Magierstab. Ein Mitglied meiner Karawane hat ihn zwischen Trümmern gefunden und ihn mir gegeben.“ Warum sollte ich diese Frau auch anlügen? Ich hatte nichts davon. Oder würde sie nun sauer auf mich sein? „Dann seid Ihr keine Magierin?“, fragte sie, wobei sie etwas enttäuscht klang. Es tat mir leid, denn ich hatte ja nicht einmal versucht irgendwelche Erwartungen zu wecken. Ich schüttelte den Kopf und sah sie entschuldigend an. „Nein... wobei... wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht. Ich kann die Rukh sehen und habe einen Borg. Wenn ich mich recht entsinne, ist das hier ein Zeichen dafür, dass ich eine Magierin bin, oder?“ Man hörte mir meine Unsicherheit wahrscheinlich deutlich genug heraus. Fakt war schließlich, dass ich es einerseits ablehnte eine Magierin zu sein, es andererseits aber irgendwie hoffte. „Das sind deutliche Anzeichen dafür, dass Ihr eine Magierin seid. Warum seid Ihr so unsicher?“ Erneut zeichnete sich dieses warme Lächeln auf den Lippen der Magierin ab. Ihre Erleichterung darüber, dass sie jemanden getroffen hatte, der eine potentielle Magierin war, schien sie zu erfreuen. „Ich habe noch nie eine Zauber gewirkt. Wo ich herkomme, hatte ich den Borg auch nicht. Ich konnte dort auch nie Rukh sehen. Deswegen, bin ich unsicher. Wer wäre das nicht?“ Ich war vorsichtig geworden und hatte mich zur der Magierin vorgebeugt, als fürchtete ich, dass man uns belauschen könnte. „Das klingt wirklich seltsam. Als Magier wird man mit diesen Fähigkeiten geboren. Vielleicht schlummerten sie bereits in Ihnen und es gab ein tragendes Ereignis, welches sie wachgerüttelt hat.“ Auch wenn ich diese Erklärung anzweifelte, ich meine ich kam schließlich aus einer anderen Welt, so klang sie für die Bedingungen hier doch sehr plausibel. „Ein Ereignis, das sie wachgerüttelt hat. Ich erinnere mich an nicht viel von dem, was vor meiner Ankunft passiert ist. Nur an schwarze Flecken und einem Mann mit Kufiya und Dornenkrone...“ Wie gewohnt, ließ ich die Information, beinahe in einer Pfütze ertrunken zu sein, raus. Sie würde mich sonst noch ein Leben lang verfolgen, auch wenn sie das jetzt schon tat. „Schwarze Flecken?“ Ich nickte auf ihre Frage, woraufhin sie mich genauer musterte, was mir ehrlich gestanden sehr unangenehm war. Ich hasste es angestarrt zu werden. „Vielleicht... habt Ihr eine größere Anzahl schwarzer Rukh gesehen. Haben alle in eurer Heimat schwarze Rukh?“ Ihre ersten Worten klangen mehr so, als hätte sie diese an sich gewandt. Die Frage galt aber eindeutig mir und versetzte mich nun in Verwunderung. „Schwarze Rukh?“ Dieses Mal war ich es die fragte und sie nickte. Ihr Blick sprach eine deutliche Sprache und mir schwante gerade nichts gutes. Ich fürchtete bereits die Antwort, die sie mir indirekt schon mit ihrer letzten Frage gegeben hatte. „Ja, Euer Rukh ist schwarz. Wusstet Ihr das nicht?“ Schwarze Rukh... Natürlich wusste ich das nicht. Wie auch? Ich hatte nie mein eigenes Rukh gesehen, oder zumindest nie darauf geachtet. In mir verkrampfte sich alles und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Schwarze Rukh waren kein gutes Zeichen und ich fragte mich, was es im Bezug auf mich bedeutete. Ich hasste mein Schicksal nicht, oder verleugnete es. Im Gegenteil, ich versuchte mich doch diesem bestmöglich anzupassen. Oder hatte ich schwarze Rukh, weil ich in meiner Unsicherheit entschieden hatte, dass ich keine Magierin war? Würde ich damit genauso durchdrehen wie Kassim oder alle anderen, deren Rukh sich schwarz gefärbt hatten? „Das wusste Ihr also auch nicht?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und umklammerte halt suchend meinen Becher mit heißen Tee. Schwarze Rukh... Vielleicht, weil ich aus einer anderen Welt kam? Würden alle aus meiner Welt schwarze Rukh haben? Nein... Das konnte es unmöglich sein. Warum verdammt noch mal schwarze Rukh! „Eure Umstände sind wirklich sehr ungewöhnlich. Aber für den Moment sollte wichtiger sein, ob ihr gewillt seid, herauszufinden, ob ihr Magie nutzen könnt.“ Der Themenwechsel ging schnell und holte mich ins hier und jetzt zurück. „Ich weiß es nicht... Vielleicht... eigentlich schon. Allerdings, was wenn sich herausstellt, dass ich vollkommen unfähig bin, Magie zu nutzen?“ Genau das war die Enttäuschung, die ich mir ersparen wollte. Wie oft hatte ich mir schon eingeredet etwas zu können, nur um dann durch irgendetwas auf den eisigen Boden der Tatsachen gezogen zu werden? Das sollte mir nie wieder passieren, weswegen ich mir alle Talente und positiven Eigenschaften absprach. Zu Versagen war einfach das größte Horrorszenario für mich. „Ihr dürft nicht zweifeln. Wenn Ihr zweifelt, kommt Euer Begehren nicht klar und deutlich bei den Rukh an. Dann wird kein Zauber der Welt funktionieren. Ihr müsst klar fokussieren was Ihr erreichen wollt und müsst auch daran glauben, dass Ihr es erreicht.“ Immerhin dieses Prinzip war mir nicht unbekannt. Einst hatte man mir schon einmal gesagt, dass wir uns selbst einen Tag verderben konnten, wenn wir fest davon überzeugt waren, dass er schlecht werden würde. Wenn das auch bei der Magie der Fall war, hätte ich in meinen derzeitigen Zustand schon verloren. „Ich empfehle Ihnen, die Magierschule in Magnostadt zu besuchen. Dort seid Ihr unter unsersgleichen und man hilft Euch auch bei Eurem Problem. Es ist immerhin das Paradies für Magier.“ Magnostadt. Erneut wurde mir dieser Ort empfohlen, um etwas über Magie zu lernen. Allerdings, war das der letzte Ort auf Erden, wo ich im Moment sein wollte. „Danke, aber ich befürchte, wenn ich an mir zweifel, werden diese Zweifel in Magnostadt nur noch verstärkt. Deswegen, werde ich erst einmal meinen eigenen Weg finden und hin und wieder versuchen Magie zu wirken.“ Ich hob meinen Becher Tee an und trank einen Schluck aus diesem. Der Tee war wirklich gut, doch der bittere Beigeschmack dieses Gespräches löste sich nicht von meiner Zunge.   Ich wusste nicht, ob ich erleichtert sein sollte, als die Magierin zu ihrer Herberge aufbrach. Das ganze Gespräch lag mir eher weniger positiv im Magen und begrüßte die frische Luft des Abends, der angebrochen war. Ich seufzte leise, denn wirklich weiter hatte dieses Gespräch mir nicht geholfen. Ich hatte lediglich neue schockierende Nachrichten erfahren und wusste nun, dass ich besser nicht an mir zweifelte, wenn ich zaubern wollte. Sicher würde ich in der Nacht nicht gut schlafen. Schwarze Rukh... Erneut erhob sich dieser Gedanke und wischte alle andere Sorgen von dannen. Was wusste ich gleich nochmal über jene, die schwarze Rukh hatten? Sie waren verdorben oder so. Mein Englisch war nun nicht das beste gewesen, aber eines wusste ich, jene mit schwarzen Rukh waren einem schrecklichen Umstand begegnet, der sie dazu brachte, dem Fluss der Rukh, oder eher das Schicksal, anzuzweifeln. Man konnte es vielleicht mit dem Wunsch der Menschen aus Persona 3 vergleichen. Dort beschworen die Menschen, die sich das Ende herbeisehnten immerhin Nyx, die das Ende der Welt bringen konnte. Aber warum hatte ich schwarzes Rukh. Welches Ende sehnte ich mir unbewusst herbei? Gut, in meiner Welt hatte ich viel gejammert, über meinen Job, darüber, dass ich Single war, dass ich mich einsam fühlte, dass ich es nicht gebacken bekam, meine Wünsche in Angriff zu nehmen... Ja ich hatte über viel gemeckert, aber berechtigte das schon schwarzes Rukh? „Verdammte Scheune...“, nuschelte ich und schüttelte den Kopf. Warum schwarzes Rukh? Warum war ich hier? In einer Welt, die mich nicht brauchte, um zu leben und genauso gut meine Wenigkeit brauchte um unterzugehen. Dafür gab es sicher bessere Kandidaten. Warum war ich hier? Langsam setzte ich mich in Bewegung. Der Gasthof war nicht weit und dort hatte ich sicher genug Ruhe, um über diese Fragen nachzudenken, auch wenn ich bezweifelte, dass ich Antworten fand. War ich vielleicht eine der Bösen? Der Typ aus Balbadd hatte auch schwarzes Rukh... Soweit meine Erinnerungen mich nicht trogen, hatten die Oberbösen alle schwarzes Rukh. War ich nur eines ihrer Spielzeuge? Wobei, würden sie mich nicht suchen, wenn sie mich hergeholt hätten? Nein, das war zu weit hergeholt. Oder... wäre ich wirklich ein Antagonist? Verdammt, ich wollte immer gerne eher die Heldin sein. Noch dazu... 'Vitamin B kannst du nun vergessen. Wenn Yamraiha dein schwarzes Rukh sieht, bist du Staatsfeind Nummer Eins.' 'Und wenn wir es einfach erklären? Sinbad ist nun nicht der Typ, der einen einfach so vorverurteilt. Er hätte selbst Judar die Hand gereicht.' Ich hob meine Hand und rieb mir die Schläfen. Langsam wurde diese Geschichte immer komplizierter. 'Ich brauche Schlaf. Ganz dringend. Im Gasthof lege ich mich sofort hin und schlafe. Vorausgesetzt, dass mich dieses seltsame Licht nicht wach hält.' Ich hielt inne, als mir bewusst wurde, was ich da dachte. Seltsames Licht? Ich sah auf und wurde mir des Lichtes, welches mich vielleicht wach halten würde, bewusster. Wie sollte ich es beschreiben. Es war nicht natürlich. Also, es war nicht das Licht des Mondes, der am Himmel leuchtete und auch kein Feuerschein. Es war irgendetwas anderes, das aus Richtung des Hafens schimmerte. Die Häuser verdeckten aber die Sicht zum Hafen. Es war lediglich eine Mutmaßung, oder viel eher, ein Gefühl, dass dieses Leuchten vom Hafen kam.   Kapitel 16: Bitroun ------------------- Ich gestehe, dass ich dankbar darüber war, dass die Müdigkeit mich am Abend zuvor davon abgehalten hatte, diesem seltsamen Licht nachzugehen. Da ich am nächsten Morgen mehr als nur früh geweckt wurde, hatte mir jede Minute, oder viel eher jede Sekunde, des vorangegangenen Schlafes geholfen, meinen Bio-Rhythmus wieder ein wenig in korrekte Bahnen zu lenken, auch wenn ich immer noch müde genug war und wahrscheinlich augenblicklich wieder eingeschlafen wäre, wenn Panthea, Iunia und Tacita mich nicht daran gehindert hätten. Ich hatte das Vergnügen gehabt, mit den Dreien und Hinata in einem Zimmer zu schlafen, während die Händler jeder eines für sich hatte und die Jungs sich ebenfalls ein Zimmer teilten. „Du solltest wirklich früher schlafen gehen...“, belehrte mich Panthea, die ich mit einem bösen, mürrischen Blick bedachte. Mal davon abgesehen, dass ich wirklich früh schlafen gegangen war, musste sie schön ruhig sein. Sie hatte es sich am Abend immerhin zur Aufgabe gemacht mit Iunia noch eine Frauengesprächsrunde zu führen, die laut genug war, dass selbst Hinata den plötzlichen Drang verspürt hatte, daran teilzunehmen. Um ehrlich zu sein, beneidete ich die drei um die Fähigkeit. Sie waren oft genug auf Reisen, sodass es für sie kein Problem zu sein schien, mit wenig Schlaf am nächsten Morgen topfit zu sein. Ohne Hilfsmittel, wohlgemerkt. Ich hingegen hätte auf einmal wieder nichts gegen einen warmen Kaffee einzuwenden gehabt. Eine viertel Tasse Kaffee, dreiviertel Milch und genug Zucker, dass mich dieser wacher hielt als das Coffein selbst. Doch Kaffee blieb hier ein Traum, eine alte Erinnerung aus meiner Heimat, die so unerreichbar weit entfernt war. Aber nicht nur der war weit von mir entfernt... Allmählich hatte ich die Zeit zu reflektieren, was ich alles vermisste. Meine Freunde, meine Eltern, die Vertrautheit meiner Welt, die ich in der Regel nicht so sehr mochte, die mich meist sogar langweilte. Nun hatte ich ja das Abenteuer, von dem ich immer geträumt hatte und es war nicht wie in meinen Vorstellungen. Ich war eben nicht der mächtige Self-Insert, den ich geschrieben hätte, um mich selbst besser zu machen als ich war. Ich hatte keine tragische Vergangenheit, die erklärte warum ich mächtig war oder gebrochen oder was auch immer. In diesem Abenteuer war ich nur ich, die gute alte Eri. Mit all ihren menschlichen Fähigkeiten, mit ungetesteten, wahrscheinlichen magischen Kräften, mit allen Zweifeln und Minderwertigkeitskomplexen, die in diesem Universum nicht deplatzierter hätten sein können. Wobei, vielleicht waren auch nicht meine Zweifel und Minderwertigkeitskomplexe deplatziert, sondern ich selbst. Nein, ich war deplatziert, ich gehörte hier nicht hin und es grenzte an ein Wunder, dass es Menschen gab, die mich als Teil dieser Welt akzeptierten, ohne meine Anwesenheit intensiv zu hinterfragen. „Du bekommst noch Falten, wenn du so viel grübelst.“ „Panthea, man bekommt vom Nachdenken keine Falten.“ „Nicht? Warum hat Cassius dann so viele?“ „Panthea-Liebes, das nennt man Sorgenfalten. Wenn man so viel Verantwortung alleine tragen muss, dann zeichnet sich das im Gesicht ab, egal wie alt man ist.“ „Unglaublich wie viel du weißt, Tacita. Meinst du nicht auch, dass das unglaublich ist, Erenya?“ Ich nickte geistesabwesend. Wenn ich ehrlich war, war ich dem Gespräch von Panthea, Iunia und Tacita nur halb gefolgt. Auch wenn meine Grübelei wohl der Auslöser davon gewesen war. „Dann müssen wir uns ja immerhin nicht um das Babygesicht von Erenya Sorgen machen. Sie hat keinerlei Verantwortungsgefühl und wird daher sorglos durchs Leben gehen.“ Hinatas kalte Stimme durchschnitt das aufgeweckte Gespräch, welches eindeutig Panthea führte. Sehr zur Verärgerung von dieser, die, wie ich selbst, den Blick zu Hinata wandte. Es war eindeutig, dass sie mich immer noch nicht mochte. Wahrscheinlich würde sie das auch nie, also war es besser nicht einmal Nettigkeiten von ihr zu erwarten. „Kannst du einmal den Mund halten, wenn du nichts Nettes zu sagen hast? Das wäre zur Abwechslung einmal sehr angenehm.“ Pantheas Stimme hatte einen deutlich genervten Unterton angenommen. Sie machte sich nicht einmal mehr die Mühe, zu verbergen, dass ihr Hinatas Wandlungen missfielen. Ein Pluspunkt, den Panthea damit bei mir sammelte. „Was willst du damit sagen, du Sklav-“ „Na, na. Es ist noch zu früh um den Tag mit einem Streit zu beginnen. Wir sollten erst einmal eine Kleinigkeit essen und uns dann an die Arbeit machen.“ Schnell beruhigte Tacita die Situation, indem sie sich zwischen Hinata und Panthea schob. Sie hatte wahrscheinlich bemerkt, dass diverse unschöne Worte fallen würden, wenn sie nicht eingriff. Mal davon abgesehen, dass Hinata das wohl Schlimmste bereits beinahe ausgesprochen hätte. Ein Blick zu Panthea verriet mir, dass sie ihr das niemals verzeihen würde. Dennoch, Tacita zuliebe, wandte sie sich von dem Mädchen aus Kou ab und ignorierte das fast Gesagte.   Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich nicht als einzige vollkommen übermüdet aussah. Cassius' Lehrer schien ebenfalls nicht genug Schlaf bekommen zu haben, was vielleicht daran liegen mochte, dass er sich in dieser Nacht das Zimmer mit Varius und den Anderen hatte teilen müssen. Nicht einmal ich hätte da schlafen können. Nicht nur, dass Varius und Tiberius im Duett schnarchten, bevor sie einschliefen, wurden sie wild und rangelten wie kleine Jungs, die sich etwas beweisen mussten. Zumindest hatte es sich in unserem Zimmer, das neben denen der Jungs lag, so angehört. Cassius hatte alle um sich versammelt und ließ seinen strengen Blick über die Gruppe schweifen. Wahrscheinlich würde er gleich die Weiterreise ankündigen. So etwas wie „Esst jetzt ordentlich, wir reisen in 20 Minuten los.“ Zumindest hätte das ganz zu Cassius gepasst. „Wir werden heute noch hier bleiben und unsere Vorräte für die Weiterreise aufstocken. Iunia und Tiberius, ihr beide bietet unsere Stoffe auf dem Markt an und seht zu, dass ihr vernünftige Preise dafür bekommt. Panthea und Nel, ihr erledigt die nötigen Einkäufe. Die Liste bekommt ihr gleich. Tacita, du kümmerst dich um Aurelius und erklärst ihm die Regeln unserer Gruppe. Außerdem soll er dir helfen unsere Vorräte zu überprüfen. Varius du begleitest mich.“ Es war das wohl erste Mal, dass ich sah, wie Cassius Aufgaben verteilte. Wahrscheinlich wechselten sich alle in kleineren Städten wie dieser mit den Aufgabe ab, oder Cassius fürchtete einfach, dass es sonst nicht genug für Alexander zu tun gab. Schade nur, dass es augenscheinlich für mich nichts zu tun gab. Wobei, vielleicht war das auch besser so. Immerhin wollte ich noch in den Hafen und dort nach einer Überfahrt nach Sindria sehen. Je schneller ich also eine schnellere Reisemöglichkeit dahin fand, desto besser. „Erenya...“ Ich zuckte schuldbewusst zusammen, so als hätte ich Angst, dass man meine Gedanken erahnen konnte. Wahrscheinlich tat Cassius das auch, zumindest hätte mich bei ihm nichts mehr gewundert. „Du wirst Nel und Panthea beim Aufstocken der Vorräte helfen. Hier ist die Liste.“ Ich musste nur auf die Liste gucken, die mir Cassius entgegen hielt um zu wissen, dass ich meinen Plan wohl noch um die ein oder andere Stunde würde verschieben müssen. Mit Cassius eine Diskussion zu starten, wollte ich mir doch verkneifen. „Wie du willst“, murmelte ich und nahm die Liste entgegen, auf die ich einen Blick erhaschte. Überwiegend waren Mehl und Trockenfleisch, sowie getrocknete Früchte und andere haltbare Lebensmittel darauf gelistet. Proviant für die weitere Reise also. Es waren aber nicht nur Lebensmittel sondern auch andere Sachen aufgeschrieben. Sicher war eines, die Shoppingtour mit den Geschwistern würde keine Kurze sein. „Ihr wisst, was ihr zu tun habt, also macht euch nach dem Frühstück an die Arbeit.“ Die anderen nickten. Das Cassius nur seinen Leuten Anweisungen gab, konnte nur bedeuten, dass der Händler aus Kou und der aus Balbadd jeweils andere Pläne hatten und sowohl Chen als auch Hinata wohl andere Anweisungen bekamen. Das konnte mir nur Recht sein, immerhin war es besser, wenn ich Abstand zu Hinata hielt, nicht dass sie mir noch die Augen auskratzte, während ich nicht aufpasste. Dennoch, es zeigte mir nur erneut, dass die Gruppe, auch wenn sie zusammen reiste, nur für diese Dauer einen Zusammenhalt hatte. Das empfindliche System, welches zwischen ihnen bestand, existierte immer noch. Vielleicht interpretierte ich aber auch nur zu viel in die ganze Sache hinein, es wäre ja nicht das erste Mal gewesen.   Cassius war nach dem Frühstück wie vom Erdboden verschluckt, genauso wie Varius, was mich doch schon etwas deprimierte, denn als meine Bezugsperson war Varius mir doch schon sehr wichtig geworden. Aber schön, ich wollte nicht jammern und zog mich stattdessen schnell um und cremte mich mit Suleikas Salbe ein. Die Sonne konnte also kommen, wenn sie wollte. Gemeinsam mit Panthea, die meine Begleitung sein würde, verließen wir das Gasthaus und gingen zu den Ställen, um nach den Tieren zu sehen. Tiberius und Iunia waren bereits vor Ort und hatten eines der Pferde vor einen Karren gespannt. „Iuni, braucht ihr Hilfe?“ Es war das erste Mal, dass ich hörte, wie Panthea Iunia mit diesem Namen bedachte und es war seltsam, denn sie wirkte dabei so locker. Anders als mit Hinata, wenn sie Iunia steif beim ganzen Namen ansprach. „Eren und ich können helfen.“ Ja, sie war definitiv lockerer und vergaß dabei die Hälfte der Buchstaben für meinen Namen. Oder aber das war ihre Art, jemanden einen Spitznamen zu geben. „Das wäre ganz toll, dann werden wir schneller fertig und könnten gemeinsam zum Markt gehen.“ Ein glückliches Lächeln lag auf Iunias Lippen, als sie aus dem Wagen eine Kiste zog. Wahrscheinlich wollten sie die Fracht umräumen, sodass in diesem Karren ausschließlich Stoffe für den Verkauf lagen. Selbst mit Tiberius würde sie zu lange brauchen, es war also nur praktisch, wenn sie noch ein paar helfende Hände bekamen. „Überlasst die schweren Kisten mir und Nel. Ihr Mädchen nehmt die leichten Sachen.“ Auch Tiberius hatte das Angebot von Panthea bemerkt und sie war nicht die einzige gewesen, die es unterbreitet hatte. Grinsend lugte Nel aus dem Karren hervor und winkte uns zu. So lief das Teamwork also hier. Anders als in meinem Job in meiner Heimat, konnte man hier wenigstens von einem durch und durch perfekten Teamwork reden. „Also dann packen wir es an und machen diesen Tag wieder zu einem erfolgreichen.“ Voller Tatendrang setzte sich Panthea in Bewegung und stieg in den Karren, um wie Iunia eine Kiste aus dem Inneren hervorzuholen. Bei diesem Anblick konnte man doch nicht anders als zu helfen. Zumindest musste ich eingestehen, dass sie Recht hatten, je mehr Hände halfen, desto schneller konnten wir unsere Aufgaben erledigen und ich konnte zum Hafen, um nach einer Überfahrt nach Sindria zu suchen. Der Plan für den Tag stand also. Frisch motiviert ging ich ebenfalls ans Werk und stieg auf den Wagen, um mir eine Kiste zu schnappen. Vorsichtig, denn es gab immer noch genug Glas und Tonwaren, die ich nicht gerade zerdeppern und von meinem Gehalt abgezogen bekommen wollte.   Der Wagen war fertig beladen und ich war ehrlich gesagt froh. Mit Sicherheit würde das Geschleppe der Stoffe dafür sorgen, dass ich am nächsten Tag Muskelkater hatte. Ich spürte zumindest dieses Brennen in meinen Armen. „Tiberius... wo sind die Mannequins?“ Iunia hatte es sich zur Arbeit gemacht, den Inhalt des Wagens noch einmal auf Vollständigkeit zu überprüfen. Augenscheinlich hatte sie den Plan dafür, was sie auf dem Markt benötigen würden. „Sind die nicht im Karren?“, fragt Tiberius und sah dabei aus einem der neu umgeladenen Anhänger. Iunia schüttelte mit dem Kopf und lief zu den verbliebenen Wagen um in deren Inneres sehen zu können. „Hier!“ Ihr Ruf glich mehr einem Aufschrei, als sie vor einem der Karren stehen blieb und ihr Gesicht etwas an Farbe verlor. Augenscheinlich hatte sie die gesuchten Mannequins gefunden und irgendetwas an diesem Fund schien ihr nicht ganz zu gefallen. Auch Tiberius merkte das und ging zu ihr, selbst einen Blick in de Wagen riskierend. „Mh... Scheint als müssten wir sie tragen. Allerdings bekomme ich höchstens zwei hoch. Wie viele brauchen wir?“ Eindeutig war Iunia diejenige, die wirklich den Überblick haben musste. Ich vermutete ja, dass Iunia in Sachen Stoffverkauf schon die bessere Wahl war und Tiberius einfach nur als persönlicher Leibwächter ging. In Zeiten wie diesen nicht nur ein guter Schachzug, sondern auch ein äußerst netter von Cassius. „Zwei reichen niemals. Aber wir haben auch nicht mehr genug Platz für vier weitere. Wir müssen alles noch einmal ausräumen.“ Vorsichtig näherte ich mich den beiden und sah ebenfalls ins Innere zu den sechs Mannequins. Es wäre sicher eine große Zeitverschwendung gewesen erneut den Karren auszuräumen nur um die Mannequin einzuladen. „Und wenn Panthea und ich eine gemeinsam tragen? Und Nel eine? Dann hättet ihr immerhin vier auf dem Markt“, gab ich nachdenklich von mir und blickte zu dem Stoff beladenen Karren. An sich hätte man ohne Probleme zwei Mannequin auf diese legen können, allerdings hätte das sicher Falten zur Folge und wer wollte schon faltigen Stoff kaufen? „Schade, dass ihr kein einfaches Stoffbuch machen könnt. In meiner Heimat haben wir kleine Stoffproben, die wir einfach verbinden und wer Interesse hat, kann sich dieses Buch ansehen, kann die Stoffe fühlen und dann entscheiden ob er sie will.“ Es war mehr ein Gedanke, der mir gekommen war. Zumindest hätte so ein Stoffbuch das lästige Schleppen von Mannequin erledigt. „Das ist es, Iuni! Wir haben uns doch gefragt, wie wir diese blutigen Stoffreste verwenden können. Warum schneiden wir nicht einfach die blutigen Stellen weg und nähen sie übereinander zusammen. Wie die Proben von denen Erenya gesprochen hat. So können wir wenigstens unsere Funde noch an den Bürger bringen!“ Ich persönlich hatte mich schon gefragt, warum sie die blutigen Stoffe aufgehoben hatten. Noch bevor wir die beschmutzten Stoffballen eingeladen hatten, hatte Iunia die blutigen Stücke abgeschnitten, so dass die Reste sauberen Stoffes doch noch verkäuflich waren. Dennoch von den abgetrennten Stücken waren immer noch genug saubere Flecken übrig geblieben, die selbst ich als viel zu schade zum wegwerfen fand. Als Stoffprobe konnte man wenigstens ein paar Stellen noch retten. So gesehen war Pantheas spontaner Einfall nicht schlecht. Iunia schien er ebenfalls zu gefallen, denn sie zog die Stoffreste zu sich, zusammen mit Nadel und Faden, welche sie aus einem anderen Karren und dessen Gepäck geholt hatte.   Der Plan schien aufzugehen, soviel war sicher, als ich mir Iunia und Tiberius ansah, die auf dem Markt standen und Cassius' Stoffe anboten. Mit nur vier Mannequins und dem Stoffproben hatten sie genug Möglichkeiten, diese den Interessenten zu präsentieren. „Scheint als würden sie klar kommen. Hat sich doch gelohnt, oder Erenya?“ Auch wenn meine Arme immer noch vom Tragen des Mannequins brannten, musste ich gestehen, das Nel Recht hatte. Es hatte sich gelohnt. „Wir sollten dann langsam mal unsere Aufgabe erledigen. Eren, Cassius hat dir doch die Liste gegeben, was brauchen wir?“ Ich nickte auf Pantheas Aufforderung und zog die Liste hervor, welche Cassius mir anvertraut hatte. Lächelnd und fast schon ein wenig stolz, sie nicht verloren zu haben, hielt ich sie den beiden entgegen. Doch beide starrten mich an, als wäre ich der erste Mensch der Welt gewesen. „Hier, das ist die Liste. Da stehen ein paar Dinge drauf die ich nicht kenne. Ihr solltet sie also lesen.“ Weiterhin starrten mich die beiden ungläubig an. Hatte ich etwas im Gesicht? Brach gerade ein Pickel auf meiner Nase aus, als sei er ein Vulkan? „Ähm... Wir... also Panthea und ich... Wir können nicht lesen. Deswegen hat Cassius dir die Liste gegeben.“ Ich wusste nicht, ob ich vom Glauben abfallen sollte, oder die beiden das wirklich ernst meinten. Sie konnten nicht lesen? Wie ging so was? In meiner Welt konnte jeder lesen. Wobei... da war es wieder. Das hier war ja nicht meine Welt. Die Regeln waren anderes. Wenn ich mich recht erinnerte, konnten einige Personen hier wahrscheinlich nicht lesen. So wie damals in der Vergangenheit meiner Welt. „Oh...“ Es war das Einzige was ich sagen konnte, denn wenn ich ehrlich war, war mir dieses Geständnis unangenehmer als den beiden. „Das ist doch egal. Erzähl uns doch mal. Wie hast du Lesen gelernt? Wozu hast du das gebraucht?“ Ich war wirklich die einzige, der das unangenehm war. Panthea hingegen hakte sich bei mir ein und zog mich in Richtung der Stände, wild drauf los plappernd und alles aus meinem Leben erfragend. „Das lernt eigentlich jeder bei uns. Oder kann zumindest jeder lernen, wenn er will. Das ist etwas das zur Grundausbildung von Kindern gehört. Lesen, Schreiben und Rechnen. Später lernen sie noch viel mehr. Aber das sind die grundlegenden Dinge.“ Ich lief neben Nel und Panthea her, während ich die Liste wieder vor mir hielt und die einzelnen Dinge las. Dafür, dass Cassius ein Mann war, hatte er wirklich eine saubere Schrift. Vielleicht hatte er Kalligraphie gelernt. Wobei, gab es das in dieser Welt? „Jeder kann bei euch also so etwas lernen?“, fragte Nel neugierig. Ich nickte als Antwort, hob den Blick von der Liste und sah mich um. „Das nennt sich bei uns Schulpflicht. Jedes Kind hat das Recht auf Bildung. Wir brauchen gepökeltes Fleisch.“ Ich wusste wirklich nicht, wo wir hier gepökeltes Fleisch finden sollten, aber Panthea und Nel dafür umso mehr. Sie legten sofort den richtigen Weg ein und in Null Komma nichts waren wir vor einem Stand, auf dem verschiedene Sorten gepökelten Fleisches lagen. Zumindest sah es so aus wie verschiedene Sorten. „Rind brauchen wir und Schwein.“ Im Geiste strich ich bereits diese beiden Sachen von der Liste, während Nel mit dem Händler sprach und scheinbar versuchte den Preis zu drücken. Wirklich viel verstand ich davon nicht, denn Nel sagte irgendetwas von zu kurzer Lagerdauer. „Außerdem ist es zu viel Salz von schlechter Qualität“, schloss er seine Plädoyer für eine Reduzierung des Preises ab. Ich staunte nicht schlecht. So etwas lernte man nicht in unseren Schulen. Vielleicht mussten Panthea und Nel gar nicht lesen können, um hier zu überleben. So gesehen hatte meine Bildung mich noch nicht gerade sehr weit gebracht. „Was brauchen wir noch?“ Mit einem breiten Lächeln sah Nel mich an, der ein Päckchen gepökeltes Fleisch in der Hand hielt. Ich hatte nicht einmal bemerkt, wie viel er dafür gezahlt hatte, aber so wie er strahlte, war es nur halb soviel wie der Händler verlangt hatte. „Trockenfleisch...“, las ich von der Liste und erinnerte mich an das knochenharte Trockenfleisch aus meiner Welt. Gut, ich hatte es noch nie probiert, aber nur weil es so knochenhart wirkte und ich mein Fleisch doch eher zart bevorzugte. „Scheint, als würdet ihr auf der Reise auf nichts verzichten müssen. Fleisch, Obst... zwar nicht allzu frisch, aber doch haltbar und nahrhaft.“ Der erste Überblick über diese Liste hatte mir schon verraten, dass es dieser Gruppe wirklich an nichts fehlte. Cassius schien alles ganz gut im Blick zu haben und erneut fragte ich mich, wann er die Zeit dafür fand.   Die Liste die Cassius mir in die Hand gedrückt hatte, war so weit abgearbeitet und Panthea und Nel schienen sehr zufrieden mit sich zu sein. Auch wenn ich nicht genau verstand wieso, immerhin waren wir nur einkaufen gewesen. „Es fehlt nur noch Tierfutter“, verkündete ich und sah auf die Liste. Geistig ging ich erneut alles durch. Fleisch, Obst, Holz, etwas Wein, ein Essgeschirr... Wir hatten die ganze Liste abgearbeitet. Es fehlte wirklich nur noch das Futter für die Tiere. „Ich hole es. Wie viele Säcke will Cassius?“ Für die beiden schien das Einkaufen wie ein Wettbewerb gewesen zu sein. Zumindest konnte ich mir nur so erklären, warum einer von beiden immer wieder rief „Ich hol es“, so als wäre es ein Wettbewerb, wer besser von beiden handeln konnte. „Drei große Säcke.“ Wenn die Säcke so groß waren wie die aus den Karren, dann war ich mir ehrlich nicht sicher, ob Panthea diese wirklich tragen konnte, weswegen ich zu Nel sah, der eine Hälfte großen Trockenfleisches über seiner linken Schulter trug. An sich fragte ich mich, wie wir diese Unmengen zurück transportieren sollten, denn beide schienen sich zu weigern, mir etwas zum tragen zu geben. Scheinbar war ich nur hier um diese Liste zu lesen. Und noch wahrscheinlicher hatte sich Cassius das anders vorgestellt, als Panthea und Nel es umsetzten. „Soll ich euch wirklich nichts abnehmen? Ich kann auch einen der Säcke tragen.“ Es fühlte sich einfach dumm an, mit den beiden einkaufen zu gehen und sie schließlich wie Packesel zu missbrauchen. „Das ist schon okay. Wir schaffen das, immerhin machen wir das immer so.“ Immer machten sie das bestimmt nicht so. Wobei, konnte ich das so genau wissen? Wer aber las Cassius Einkaufsliste dann, wenn sie es nicht konnten? Ließen sie sich diese von den Händlern vorlesen? „Es ist irgendwie deprimierend, wenn ihr das so argumentiert. Ich bin euch schon meilenweit in allem zurück. Ich meine, ihr handelt hier wie die Weltmeister und ich bin so dumm und gebe Informationen für lau raus. Egal wo ich hinsehe... egal wie normal die Menschen hier scheinen, ich gehe unter ihnen unter, unfähig auch nur einen Schritt alleine gehen zu können.“ Ich musste mir eingestehen, dass ich diese Welt anfing in gewisser Weise zu hassen. Jeder schien hier etwas besonderes zu sein. Auf seine eigene Art und Weise. Assad, der ein Freudenhaus besaß und mit seiner Herzensgüte die Mädchen unterstützte. Ameen, der so schnell meine Rezepte für Balbadd tauglich gemacht hatte und selbst mit seinem Spülproblem noch wesentlich hilfreicher war als ich. Suleika, die irgendwie insgeheim die zweite Chefin des Freudenhauses war und der alle Mädchen vertrauten. Dann war da noch Sadiq, aus dem wurde ich zwar nicht schlau, aber er hatte etwas, dass dafür sorgte, dass man ihn nicht ignorieren oder viel mehr vergessen konnte. Selbst hier in der Karawane waren Menschen die sich ohne Probleme mit den mir bekannten Seriencharakteren messen konnten. Cassius, dessen Alter dem von Kouha glich und der schon mindestens genauso erfolgreich war, selbst ohne Djinn-Gefäß. Dann war da noch Varius. Er war ohne Frage stark und wie Sinbad, wenn man das überhaupt so erwähnen durfte, eine Persönlichkeit die ihresgleichen suchte. Selbst die Geschwister, die Sklaven waren, konnten sich ohne Probleme behaupten. Zwischen all diesen Menschen... was war ich da? Warum war ich hier? Wieso hatte ich schwarzes Rukh? Würde ich wieder in meine Welt zurückkehren können, in der ich wenigstens nicht ganz so nichtssagend war? „Jede Existenz ist wichtig, egal wie unbedeutend sie erscheint. Wir alle erfüllen unsere Rolle, die uns das Schicksal und die Rukh erteilt haben. Das Schicksal hat sicher auch einen Platz für dich. Sonst wärst du ja nicht hier.“ Freundlich lächelte Nel mich an, doch ich konnte seinen Worten keinen Glauben schenken. „Ich war nicht einmal vom Schicksal hier vorgesehen. Ich wurde aus meiner Heimat von irgendetwas herausgerissen und ein Irgendwas namens Ugo hat mich nach Balbadd gebracht. Ich gehöre hier nicht her, egal was du sagst. Im Gegenteil, alles was ich tue, kann diesen Plan des Schicksals, der für alle besteht, wahrscheinlich vollkommen über den Haufen werfen und ich weiß echt nicht, was ich dann tun soll, wenn das wegen mir passiert. Eine Veränderung, ein falsches Wort, das alles kann die Zukunft die dieser Welt vorherbestimmt ist zerstören.“ Ihre Unwissenheit in diesen Punkt machte mich krank, auch wenn ich selbst Schuld war. Sie hätten immerhin nicht unwissend sein müssen, wenn ich nur einmal meine ganze Geschichte erzählt hätte. „Dummie. Du sprichst, als wüsstest du, was diese Welt erwartet. Aber das weiß niemand. Heute kann ein Königreich mächtig und aufstrebend sein und morgen kann es in Trümmern liegen. Das Rad des Schicksals fährt keinen ebenen Weg. Mit Sicherheit ist auch deine Anwesenheit nur eine kleine Fahrplanänderung zum Ziel.“ Nel lächelte unentwegt weiter. Wie konnte man das ganze nur so wenig ernst nehmen? Wusste er nicht, was passieren konnte, wenn auch nur etwas im empfindlichen Gefüge der Rukh oder des Schicksals schief lief? „Was weißt du schon? Ich kann das leider nicht auf die leichte Schulter nehmen wie du.“ „Erenya, Nel nimmt das auch nicht auf die leichte Schulter. Aber als Magierin bist ohne Zweifel ein Teil dieser Welt und damit auch Teil des Schicksals und seinen Plan. Du solltest dir also nicht zu große Sorgen machen. Wenn du immer nur darüber nachdenkst, was du machen darfst und was nicht, verpasst du das Leben.“ Es war schon unfair, dass Panthea sich nun auch noch einmischte und sie in irgendeiner Weise auch noch Recht hatte. Ich hatte hier diese Kräfte einer Magierin, auch wenn ich nicht ganz wusste, warum ich sie überhaupt besaß. Aber ich hatte sie, zumindest Borg und das Sehen der Rukh. Und Panthea wusste das. Es war unfair diese Karte auszuspielen, nachdem ich mich am Tag zuvor bei ihr verplappert und sie mir versprochen hatte es niemanden zu sagen. „Moment! Panthea, das solltest du niemanden sagen.“ Es hatte einen Moment gedauert, doch schließlich war ich auf den Dreh gekommen, das Nel bei uns war und dieser nichts von meinen Fähigkeiten wusste. Das Gespräch war schließlich nur zwischen Panthea und mir gelaufen. „Ups“, entfuhr es Panthea die allerdings nicht gerade so aussah, als bereute sie es, dass ihr diese Information einfach mal so aus Versehen über die Lippen gekommen war. „Panthea... wir sollten dieses Spielchen beenden. Wir wissen bereits länger das du eine Magierin bist, Erenya.“ Nels Worte rissen mir für einen Moment den Boden unter den Füßen weg. Gleichzeitig fühlte ich mich aber von Panthea, die so unwissend getan hatte, belogen. „Woher wusstet ihr das?“ Es war der einzige Gedanke, den ich hatte. Ich wollte wissen, was mich verraten hatte, um diesen Fehler in Zukunft nicht mehr zu wiederholen. „Du hast es gesagt. Als wir in der Karawanserei waren, hast du im Schlaf gesprochen und so haben wir das schon seit längerem gewusst. Iunia meinte aber, wir sollten dich nicht darauf ansprechen. Also haben wir gewartet, bis du es uns selbst erzählst, da du aber so verschwiegen warst, hätte das eine Ewigkeit gedauert.“ Panthea schien auch noch stolz darauf zu sein, dass ihre Offensive mich zum Reden gebracht hatte. Allerdings konnte ich ihr auch nicht böse sein. Ich hatte nicht aufgepasst und in einem schwachen Moment alles ausgeplaudert. „Das heißt also, den Stab hast du mir nicht einfach gegeben, damit ich von dem Edelstein die Überfahrt bezahlen kann?“ Ernst sah ich Panthea an, die hingegen nur lächelte, anders als Nel, dem förmlich alle Farbe aus dem Gesicht wich. „Das hast du ihr gesagt, als du ihr meinen Stab gegeben hast? Bist du noch zu retten, Panthea?“ Das Entsetzen in Nels Stimme war deutlich herauszuhören, noch entsetzter war wohl nur ich, als ich realisierte, was seine Worte bedeuteten. „Moment... Bist du ein Magier, Nel?“ Wenn der Stab, den ich besaß, Nels Stab war und die Magierin aus dem Teehaus nicht geflunkert hatte, dann war Nel ein Magier. „Wir sind beide Magier. Nel hier benutzt seine Kräfte nur nicht zu oft, da er glaubt, Heilmagie sei nicht ausreichend. Deswegen verstaubt sein Stab immer im Wagen. Also dachten wir, du könntest ihn vielleicht eher gebrauchen, zumindest für diese Reise. Wir hätten dir das schon irgendwie vor dem Abschied erklärt.“ „Natürlich ist Heilmagie nicht ausreichend. Wie soll ich damit bitte kämpfen können? Du hast leicht reden, Panthea, du kannst Eisdolche auf die Gegner schleudern.“ Immer noch fassungslos starrte ich die beiden Geschwister an, die mich scheinbar in ihrer kleinen Diskussion gerade ausblendeten. Sie hatten die ganze Zeit gewusst, dass ich eine Magierin war, ebenso hatten sie wahrscheinlich auch mein schwarzes Rukh gesehen. Und dann wagten sie es sich noch, mit mir eine Diskussion darüber zu führen, ob ich schädlich für den Lauf des Schicksals war, oder nicht? „Wenn das so ist... Ich gebe dir deinen Stab im Gasthof wieder. Du weißt wenigstens damit umzugehen, im Gegensatz zu mir.“ Zwar war Plan B gewesen, den Stab im Notfall noch als Waffe zu benutzen, doch bevor ich Nels Eigentum zerstörte, sollte er doch lieber wieder zu seinem richtigen Eigentümer zurück. „Wir sollten zurück, die Liste ist abgearbeitet...“ Irgendwie fühlte ich mich verraten, oder viel mehr verletzt. Sie hatten soviel über mich gewusst. Soviel mehr als ich über sie gewusst hatte.   Den ganzen Weg zurück zum Gasthof schwieg ich Nel und Panthea an. Es gab für mich nichts mehr, was es zu reden gab. Ich musste erst einmal alle meine Gedanken sortieren und überlegen, wie ich weiter machen wollte. Wobei, wenn ich Glück hatte und tatsächlich ein Schiff von Bitroun nach Sindria fuhr, war ich schneller hier weg als erwartet. „Wir müssen noch den Stall ausmisten... Cassius kann manchmal echt ein Sklaventreiber sein.“ Da Panthea und Nel bemerkt hatten, dass mein Verlangen mit ihnen zu reden sich schon sehr stark in Grenzen hielt, hatten sie entschieden sich gegenseitig zu unterhalten. Ich bemerkte einiger ihrer Gespräche und manche wirkten sogar so, als versuchte Panthea mich aus der Reserve zu locken, sodass ich doch wieder mit ihnen sprach. Aber ich hielt es tapfer durch, mich nicht in diese Gespräche einzumischen. „Und die Einkäufe verladen. Vielleicht sollten wir Aurelius fragen ob er uns hilft. Mit ihm geht das viel schneller.“ Im Moment wusste ich nicht, was mich mehr störte, dass Nel Alexander um Hilfe fragen wollte, oder das ich befürchtete, dass Alexander die ganze Arbeit alleine machen musste. Davor musste ich ihn doch bewahren. „Räumt ihr mal die Sachen ein, ich kümmere mich um den Stall. Allein! Panthea, du kannst Nel seinen Stab wiedergeben. Ich brauch ihn nicht.“ Ohne beide eines Blickes zu würdigen, ging ich weiter in Richtung des Gasthofes. Dann kümmerte ich mich eben um den Mist der Pferde. So schlimm würde das nicht werden, solange ich eine Heugabel oder Schaufel fand. Noch dazu hatte ich sowieso nichts zu tun. Den Hafen konnte ich auch noch später aufsuchen, denn wenn ich Cassius richtig verstanden hatte, würden wir diese Stadt heute nicht mehr verlassen. Demnach, hatte ich genug Zeit. Mehr als genug.   Auch wenn Panthea und Nel sich gegen meinen Entschluss, alleine den Stall zu säubern, gewehrt hatten, stand ich doch alleine bei den Hengsten und Kamelen. Mein Blick lag angewidert auf den Hinterlassenschaften der Tiere. Ehrlich, ich war froh Zuhause, so etwas nicht tun zu müssen. Immerhin, ich hatte wirklich eine Schaufel gefunden. „Dann fangen wir mal ein. Tretet bloß nicht rein...“, murrte ich und wandte mich den Hengsten zu, die mit ihren Köpfen nickten, als wollten sie mir sagen, dass sie verstanden hatten. Ob das wirklich so war, würde ich ja noch sehen. Bewaffnet mit der Schaufel und einem Leinensack, indem ich die Hinterlassenschaften lagern sollte. Wenn ich Nel richtig verstanden hatte, trocknete man das Zeug und nutzte es auf der Reise als Brennhilfe. Ich mochte gar nicht daran denken und war froh, dass es Varius und Cassius gewesen waren, die in meinen beiden Nachtschichten das Feuer am erlöschen gehindert hatten. Wenn ich es recht bedachte, war das widerwärtig. Zumindest für mich. Für die Menschen hier war das allgegenwärtig und billig. Da die Gerüche hier im Stall meine Nase mitsamt des Magens reizten, band ich mir ein Tuch vor die Nase und begann schließlich meine Arbeit. Je schneller ich fertig wurde, umso besser. Die Hengste machten mir meine Aufgabe auch in der Tat nicht schwer. Vielleicht lag es daran, dass wir über die Zeit der Reise einander zu Vertrauen gelernt hatten. Anders als bei den Kamelen, bei denen ich doch schon vorsichtiger war. Sie beäugten mich misstrauisch, genauso wie ich, denn wer wusste schon, was in ihren Köpfen vor sich ging. Das erste Kamel hatte keinerlei Interesse an mir, was gut war, denn so konnte ich auch seine Hinterlassenschaften ohne Probleme einsacken. Wahrscheinlich war das das erste und letzte Mal, dass ich diese Aufgabe übernehmen würde. Immerhin konnte ich davon reden, diese Erfahrung gemacht zu haben. „Roar“ Ich zuckte zusammen, als eines der Kamele aufbrüllte und wandte mich um. Ich erschrak, denn es stand plötzlich da, vor mir, wo es vorher nicht gestanden hatte. Durch den Schwung meiner Umdrehung verlor ich das Gleichgewicht und fiel mitten in eine weiche, warme Masse. Mein Körper schüttelte sich vor Ekel und gleichzeitig kämpfte ich mit den Tränen, denn das hier war nicht nur das Peinlichste, was mir je passiert war, sondern auch der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. „Ich will nach Hause...“, wisperte ich leise und ließ den Tränen ihren Lauf. Nach über einem Monat wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie stark ich meine Heimat wirklich vermisste. Meine Freunde, meine Familie, meine Arbeit, bei der mir so etwas nicht passiert wäre. Ich vermisste mein sicheres Leben. Bei mir gab es keine Kamele die mich in so eine Situation brachten. Es gab keine Djinngefäße, dank denen mir halb der Arm amputiert wurde und ebenso wenig gab es Borg oder Rukh, die mir eine Verantwortung auflasteten, die mich zu erdrücken drohte, wenn ich weiterhin gegen den Strom floss. „Ich will zurück... Ich will wieder mit Shicchi reden... mit Lilim... mit meiner Mutter. Oder mit meinen Kunden. Ich will einfach nach Hause...“ Mir war in diesem Moment egal, dass ich in den Hinterlassenschaften des Kamels saß. Meine Emotionen die mit einem Mal ausbrachen hatten mich Schach-Matt gesetzt und ich war einfach nur froh, dass niemand außer den Tieren diesen erbärmlichen Anblick miterlebte.   Ich hatte alle Zeit genommen, die ich brauchte um mich zu beruhigen. Meine Augen brannten wegen der vielen Tränen, die ich vergossen hatte, doch ich fühlte mich besser. Als wäre eine Last, wenigstens für diesen kurzen Zeitraum, von meinen Schultern gefallen. Den Stall hatte ich gleich mit ausgemistet. Wie immer, wenn ich heulte, konnte ich nicht einfach tatenlos herum sitzen. Ich telefonierte sogar auf Arbeit nachdem ich geheult hatte, oder noch während ich mit den Heulkrämpfen kämpfte. Das hatte bisher keiner mitbekommen, zumindest keiner der Kunden. Und den Kamelen und Pferden war mein Gemütszustand egal, solange ich ihren Dreck wegräumte und sie neu versorgte. Abgesehen von meinen beiden Hengsten, die scheinbar bemerkt hatten, dass etwas nicht stimmte und mir über die Wange geleckt hatten, als wollten sie mir damit helfen und mich trösten. Das meine Kleidung nun versaut war, konnte das zwar nicht wieder gut machen, aber immerhin hatte ich auch zwei tierische Begleiter auf meiner Seite. Und dann auch noch solche Edlen. Der Gedanke ließ mich lächeln. Immerhin konnte ich mir der Unterstützung einiger sicher sein, auch wenn die Sehnsucht nach Zuhause immer noch an meinem Herzen zog. Aber, wie hatten es die Stimmen in meinem Kopf gesagt, ein Schritt nach dem anderen. Schritt eins war immer noch Sindria. Dort würde ich vielleicht herausfinden können, was oder wer für meine Misere verantwortlich war. Egal aber wer es genau war, in meinem jetzigen Zustand konnte ich nichts gegen diese Person unternehmen. Sie musste mächtig sein, ich hingegen war schmächtig. Ich würde also noch einen langen Weg vor mir haben, ohne zu wissen, wohin dieser mich überhaupt führen sollte. Alleine diese Tatsache war deprimierend, aber ich durfte mich nicht unterkriegen lassen. „Hast du dich beruhigt?“ Ich hatte gerade den Stall mit dem Sack der Hinterlassenschaften verlassen, als Chen vor mir erblickte, der mich besorgt ansah. Mir wurde sofort klar, was er mit seiner Frage meinte und ein roter Schimmer zeichnete sich auf meine Wangen ab. Es hatten also doch mehr als nur die Tiere meinen Zusammenbruch bemerkt. „Einigermaßen...“, nuschelte ich und lief zu den Wagen. Pantheas Anweisung war klar gewesen. Hinterlassenschaften einsammeln, Sack gut verschnüren und auf den Wagen laden. Ich bezweifelte zwar, dass der Sack Geruchsundurchlässig war, aber es war eine Anweisung und diese würde ich erfüllen. „Mein Herr möchte, dass ich einen Botengang für ihn erledige. Würdest du mich begleiten?“ Ich gestehe, das ich über Chens Frage verwundert war. Nachdem ich jemanden flennen hören hatte, hätte ich sicher nicht gefragt, ob dieser einen begleiten wollte. Noch dazu erinnerte ich mich nur zu gut daran, was für Missverständnisse es zwischen Suleika und mir gegeben hatte, als ich bei Ameen in der Küche Dienst geschoben hatte. Und Chen war Hinatas „Liebe“. Diese würde eine traute Zweisamkeit zwischen Chen und mir sicher nicht gut auffassen. Allerdings, ich stand schon auf ihrer Abschussliste. Was hatte ich da also zu verlieren? Richtig, nichts. „Wenn du mir noch etwas Zeit gibst. Ich muss erst einmal... aus den Sachen raus.“ Chen lächelte, als verstünde er sofort, was ich meinte. Wie konnte man das auch nicht verstehen, nachdem der Geruch des Stalles an meinen Sachen haftete. „Pack sie ein, ich zeig dir, wie du das wieder raus bekommst.“ Mit Sicherheit würde Chen mir Wasser und Seife vorschlagen, darauf wäre ich auch gekommen, allerdings nicht, wo ich diese beiden Dinge verwenden konnte. Ich rechnete nicht damit, dass es hier Waschsalons gab, was eindeutig eine Marktlücke wäre. Die Frage wäre nur, woher man Waschmaschinen herbekommen wollte, denn die Elektrizität war hier noch nicht entdeckt. Vielleicht sollte man Hinata an einen Drachen hängen, zusammen mit einem Schlüssel. Dann hatte sie wenigstens einen Geistesblitz. „Ich bin gleich wieder zurück, Chen.“ Ich sah zu Chen der nickte, bevor ich mich von den Karren abwandte und zurück ins Gasthaus lief, indem ich meine Sachen zusammensuchte. Wenn Chen mir schon die Magi-übliche Reinigung der Sachen erklären wollte, konnte ich auch gleich meinen blutbefleckten Umhang mitnehmen. Je mehr Sachen ich für die weitere Reise hatte, desto besser. Mal davon abgesehen, ging mir sowieso die Wechselkleidung aus.   Neugierig sah ich zu Chen, der ein Päckchen in den Armen hielt. Mit Sicherheit war dieses Päckchen der Grund für seinen Botengang. Ich hätte nur zu gerne gewusst, was sich darin befand. „Wie kommt es eigentlich zu diesen Botengang? Vor etlichen Tagen war dein Herr doch noch gegen diese Reiseroute.“ Es wunderte mich wirklich, denn der Händler aus Kou war einer jener gewesen, der sich lieber für die andere Route ausgesprochen hatte. Dieser Botengang musste damit spontan sein, was dieses Päckchen umso interessanter machte. „Jeder weiß, dass mein Herr sehr launisch und etwas müßig sein kann. Aber er ist bekannt dafür, dass wenn er die Möglichkeiten für sich gefunden hat, einen Auftrag zu erfüllen, er diesen auch erledigt. Vor Wochen haben wir einen Auftrag für diese Lieferung bekommen. Ein Mann aus Kou hat dieses Paket geordert und wollte, dass wir es hier her bringen. Die Zeit war dabei egal. Allerdings durch diese Reisegruppe können wir es früher als gedacht abgeben.“ Ein zufriedenes Lächeln lag auf Chens Lippen und seine Worte machten mir klar, dass er definitiv wusste, was sich in diesem Päckchen befand, allerdings vermied ich es danach zu fragen. Im Prinzip ging mich das nichts an, auch wenn ich mich fragte, warum Chen mich ausgerechnet jetzt gefragt hatte, ihn zu begleiten. Dieses Päckchen konnte er auch ohne Probleme alleine zu seinem Landsmann bringen. Noch dazu hatte ich kaum einen Bezugspunkt, so dass sich während des Weges erneut Schweigen zwischen uns legte. „Hör mal...“ Es war schließlich Chen, der dieses Schweigen brach und zu mir sah. „Wir können uns alle vorstellen, dass es nicht leicht für dich ist, so weit von Zuhause entfernt zu sein. Wir reisen zwar häufiger und sind mehr fern der Heimat als andere Menschen, aber dennoch kennen wir das Gefühl von Heimweh. Aber wir sind auch nie alleine. Wir haben immer jemanden, der uns in schwachen Momenten eine Schulter leiht und uns erlaubt schwach zu sein. Niemand verlangt von uns und schon gar nicht von dir, immer stark zu sein. Wenn du also jemanden brauchst, der einfach für dich da ist... nun... dann sind wir für dich da.“ Es brauchte für mich nicht viel um zu verstehen, was Chen mir sagen wollte. Wahrscheinlich hatte er es nicht geplant, dass ich diesen Botengang mit ihm erledigte. Viel mehr hatte er einfach die Gelegenheit ergriffen, nachdem er mich im Stall entdeckt hatte. „Das ist wirklich lieb von euch, aber... Ich wusste bis eben nicht einmal, dass ich Heimweh habe und ich werde es so schnell nicht wieder merken. Ich muss einfach nur mehr arbeiten um mich davon abzulenken. Noch dazu, mein Gejammer will doch keiner hören, nicht einmal ich.“ Ich kämpfte damit, zu lächeln, auch wenn ich mich bei diesem Versuch mehr als erbärmlich fühlte. „Auch wenn du es nicht willst, du bist nicht allein.“ Mir war nicht klar, ob Chen wusste, was er da sagte. Bald würde ich wieder alleine sein, immerhin war ich nur ein temporäres Mitglied dieser Reisegruppe. Sobald ich ein Schiff nach Sindria gefunden hatte, war ich wieder auf mich allein gestellt. Eigentlich musste Chen das doch bewusst sein, oder hoffte er vielleicht, dass ich meine Pläne über den Haufen warf und stattdessen bei der Karawane blieb? Nein, warum sollte er solche Hintergedanken haben? Wahrscheinlich redete ich mir diese Hintergedanken Chens nur ein, weil ich mir selbst wünschte, alle meine Pläne einfach verwerfen zu können. Doch das würde mich niemals zurück nach Hause führen. Zumindest sagte mir das eine innere Stimme, die ausnahmsweise nicht aus meinem Kopf kam. Es war viel mehr ein Bauchgefühl.   Ich hatte Chen bis zum Haus des Mannes begleitet, bei dem er die Ware des Händlers aus Kou abliefern sollte. Auch wenn ich ebenfalls herein gebeten worden war, zog ich es doch vor, noch etwas für mich zu sein und einfach draußen auf Chen zu warten. Das Haus des Mannes lag ziemlich mittig gelegen, sodass die Stände der Händler wirklich zum Greifen nahe waren. Man konnte fast schon sagen, dass er einfach nur aus der Tür stolperte und schon den ersten Gemüsestand vor seinem Blickfeld hatte. In meiner Welt wäre so ein Heim mit „günstiger Lage“ betitelt worden und hätte, zumindest in den Großstädten, einiges an Geld gekostet. Allerdings bezweifelte ich, dass diese Häuser hier zur Miete vergeben wurden. Wieder etwas, das ich nicht wusste. Wie hatte Sadiq damals seine Unterkunft bezogen? Hatte er auch Miete bezahlt? Oder hatte er sich das Haus vielleicht gekauft? Ebenso das Freudenhaus von Assad. Gehörte es Assad oder zahlte er Teile des Gewinnes als Miete ab? Das waren Rätsel die mich vielleicht nichts angingen, deren Antworten ich aber schon gerne in meinen geistigen Besitz gewusst hätte. Mein Blick streifte gedankenverloren über die Häuserreihen, vorbei an kleineren Ständen und schließlich, erweckte etwas funkelndes auf dem Weg meine Aufmerksamkeit. Keine Ahnung was mich dazu trieb, aber ich entfernte mich von dem Platz, auf dem eigentlich auf Chen hatte warten wollen, und näherte mich dem Funkeln, das sich schon nach wenigen Metern als eine goldene Münze herausstellte. Ohne darüber nachzudenken, ging ich in die Knie und hob die Münze auf, auf der das Abbild eines Mannes im Profil geprägt war. Nichts ungewöhnliches, denn die meisten Münzen zeigten Männer im Profil, doch bei keinem war eine so auffällige Haarsträhne abgebildet, die frech aus dem Turban hervorlugte und förmlich danach schrie irgendjemanden ein Auge auszustechen. „Ist jetzt nicht sein Ernst... Selbstverliebter... Egomanischer...“ Ich schnalzte mit der Zunge, um mich vor weiteren bösen Gedanken und Worten zu bewahren. Immerhin hätte ich durch die Serie wissen müssen, wie dieser abgebildete, oder viel eher eingebildete, Mann tickte. Eine Münze mit seinem Gesicht, nachdem er ein ganzes Königreich regierte, sollte da eher weniger überraschend sein. Und doch war es das. Überraschend. Allerdings, wenn so eine Münze hier war... In meinem Kopf spannen sich sofort alle möglichen Ideen zurecht. Was, wenn jemand bekanntes aus Sindria hier war? Was wenn vielleicht ER hier war? Das wäre wirklich ein großer Glücksfall gewesen, allerdings wäre das auch ein gutes Zeichen, denn dann konnte es wirklich am Hafen ein Schiff geben, welches vielleicht nach Sindria fahren würde. „Hier bist du. Ich dachte schon du hast dich gelangweilt und bist ohne mich gegangen. Was hast du da?“ Ich hatte die Schritte hinter mir deutlich gehört, auch wenn ich mir nicht sicher gewesen war, ob sie wirklich zu Chen gehörten. Dennoch, er überraschte mich nicht, als er mich ansprach und über meine Schulter hinweg auf die Münze sah. „Ah, aus Sindria. Damit wirst du bald vielleicht häufiger bezahlen. Es ist aber komisch, dass so eine Münze hier ist...“ Irgendwie hätte es mir auch ohne Chen klar sein müssen, dass diese Münze aus Sindria kam. Welches Königreich hatte schon seinen eigenen König im Profil auf der Münze? Gut sicher einige, aber niemand lächelte auf einer Prägung so selbstbewusst wie der König von Sindria. Punkt. „Vielleicht liegt ja ein Schiff aus Sindria hier am Hafen. Können wir mal nachsehen?“ Es war ja nicht so, dass ich nicht auch alleine zum Hafen hätte gehen können, aber wenn ich Chen schon bei seinem Auftrag hatte begleiten müssen, wäre es doch dämlich gewesen ihn, nun alleine zurück zu den anderen gehen zu lassen. Noch dazu wollte ich gerade nicht alleine sein, vielleicht lag es daran, dass ich nicht wieder an meine Heimat denken wollte, etwas das ich in Gesellschaft mit anderen sicher nicht tun würde. „Das trifft sich gut. Ich wollte dir ein paar Orte zeigen, die Hinata und ich gestern entdeckt haben.“ Ich muss gestehen, dass ich verwundert war. Gerade nachdem sich Chen freiwillig für die Vorhut gemeldet hatte, war bei mir das Gefühl entstanden, dass sich Chen und Hinata ein wenig voneinander distanziert hatten, doch gerade nach seiner Aussage wurde mir bewusst, dass dem nicht so war. Gefühle für eine Person verschwanden eben nicht einfach so. Das hätte mir auch von Anfang an klar sein müssen. „Ich hab gestern nur das Teehaus ausgekundschaftet. Also wenn du am Hafen noch ein paar gute Ecken kennst, bist du herzlich willkommen mich zu begleiten.“ Auch wenn es immer noch eine schlechte Idee war, mit dem Freund einer anderen Reisebegleitung Zeit zu verbringen, war es mir egal. Die Entscheidung war schon vor einigen Stunden gefallen und wenn ich ehrlich war, konnte Hinata mich nicht weniger interessieren.   Bitroun schien eine Kopie von Balbadd sein zu wollen, auch wenn der Hafen trotz einiger Ähnlichkeiten weniger beeindruckend war. Von einem großen Handelshafen konnte auch nicht die Rede sein, viel mehr sah man deutlich dass hier nur die einheimischen Bewohner ihre kleinen Fischerboote anlegten um über die Nacht bei ihren Familien ruhen zu können, bevor sie am Tag wieder aufs Meer hinausfuhren. Von einem Platz für blühenden Handel konnte auch hier keine Rede sein. Lediglich einige wenige Stände waren aufgebaut, doch die meisten boten frisch gefangenen Fisch an. Vielfalt, wie in Balbadd, war hier nicht zu finden. Ich begann sogar zu zweifeln, ob von hier ein Schiff nach Sindria fuhr, denn große Schiffe waren nicht zu sehen. Was ich aber nun viel deutlicher als am Vortag sah, war dieser Leuchtturm. Er überragte förmlich die Winzigkeit des Hafens und wirkte zu pompös, um wirklich in dieses Bild zu passen. Näher am Hafenrand, erkannte ich sogar die Insel auf der er einige Meter von der Stadt entfernt stand, und doch nah genug war, sodass man glauben konnte, dass dieser Leuchtturm wirklich ein Teil der Stadt war. „Argh... das Pack vor den Toren wieder... Ich konnte mein Boot heute wieder nicht aufs Meer führen. Ständig stehen sie einem im Weg.“ Mein Blick war die ganze Zeit andächtig auf den Turm gebannt gewesen. Doch als ich ein Gespräch von zwei Männern mit anhörte, konnte ich nicht anders als von den Turm wegzusehen und die beiden Herren ins Visier zu nehmen. Das Pack vor den Toren konnten mit Sicherheit nur die Leute vor der Stadt sein. An sich hatte ich nicht das Gefühl gehabt, dass diese in irgendeiner Weise störend waren, doch was die Männer sagten, ließ mich stutzig werden. „Chen, warte hier kurz. Ich möchte noch ein paar Informationen über diese Stadt.“ Es gab vieles, was ich über diesen Ort wissen wollte, zum einen warum dieser Leuchtturm so gar nicht ins Bild passen wollte, oder wer diese Menschen vor den Toren waren. Chen schien das zu verstehen und nickte mir zu zum Zeichen, dass es in Ordnung war ein paar Minuten alleine zu sein. Auch wenn ich mich immer schwer tat, fremde Menschen einfach anzusprechen, gab es bereits jetzt in der Magi-Welt diese Hemmung nicht mehr. Zumindest nicht in dieser Form. Ich hatte schließlich schon genug Menschen angesprochen, ohne das sie mich kannten. Etwas das ich in meiner Welt wohl dringend wieder abschalten sollte. „Entschuldigen Sie. Ich konnte nicht umhin zu hören, dass Sie von den Leuten vor der Stadt sprachen. Mir sind diese Teile der Welt noch etwas fremd, deswegen würde mich sehr interessieren, warum sie ihnen im Weg stehen.“ Mir war egal, wie unhöflich ich wirken musste, weil ich gelauscht hatte. Ich wäre sicher nicht die einzige Person in dieser Welt die das tat, also störte ich mich nicht daran. Die beiden Männer schienen aber nicht erbost über meine Einmischung zu sein. „Wir sind Fischer, junge Dame. Durch diesen Turm treiben sich hier aber viele Schatzsucher herum, die nach einem Eingang suchen. Wie Sie sicher bemerkt haben, steht der Turm auf einer Insel die nur mit Booten erreicht werden kann. Da aber neben den Booten von uns Fischern nun auch die der Schatzsucher am Hafen anliegen, bekommen wir tagtäglich Probleme aufs Meer hinauszufahren.“ Erneut glitt mein Blick zu dem Leuchtturm. Schatzsucher. Mir war sofort klar, was das bedeutete und dass dieser Turm doch kein von mir geglaubter Leuchtturm war, auch wenn er diese Funktion momentan wunderbar erfüllte. Seltsam war nur, dass diese Schatzsucher keinen Eingang fanden. Wozu sollte der Turm dann da sein, wenn nicht dazu erkundet, und vielleicht erobert zu werden? Wobei, ein Gutes hatte es. Es waren vielleicht noch keine Menschen seinen tückischen Fallen zum Opfer gefallen. „Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass die Sklavenhändler sich hier ausbreiten. Dieser Turm hat nichts als Ärger für die Stadt gebracht.“ Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als der Ältere der beiden Männer den Sklavenhandel erwähnte. Mir war ja schon aufgefallen, dass das Sklaventum verbreiteter wurde, je mehr wir uns Aza näherten, aber dass es mir wirklich so deutlich bewusst gemacht wurde, schockierte mich immer noch zu tiefst, auch wenn es äußerlich nicht sichtbar war. „Ich hab gedacht, der Turm würde den Schiffen den Weg weisen. Gestern Abend habe ich dieses Schimmern vom Hafen gesehen.“ Ich stellte mich absichtlich dumm, um mehr über diesen Turm zu erfahren oder viel mehr, mehr über dieses Licht. Je mehr ich wusste, desto nützlicher konnte es mir vielleicht sein. Noch dazu, wenn dieser Leuchtturm, wie von mir vermutet, ein Dungeon war, konnte es vielleicht sein, dass Sinbad oder einer seiner Allianzmitglieder ebenfalls hier war. Zumindest sprach die Münze die ich gefunden hatte sehr dafür.   Die Fischer hatten wirklich viel zu erzählen, doch irgendwann musste selbst ich einen Cut bei diesem Gespräch machen, immerhin hatte ich bereits alles wichtige erfahren. Der geglaubte Leuchtturm war ein Dungeon, vor Bitroun lag eine weitere Stadt, die im Moment von Schatzsuchern bezogen wurde und bisher war es scheinbar noch niemanden gelungen, den Dungeon zu betreten, was doch schon sehr seltsam war. Immerhin, so glaubte ich, musste man nur seinen Fuß auf die Insel setzen und einmal um den Turm herumgehen um die Tür zu finden. Doch mit Sicherheit war ich nicht die erste, die diese Idee hatte. Die Frage war nur, wo sich diese Tür befand? „Ob es einen Trick dabei gibt?“, flüsterte ich leise, als ich mich Chen näherte, der an einem Stand gerade einem Händler Geld gereicht hatte. Er bemerkte mich wohl aus dem Augenwinkel und wandte sich sofort zu mir, um mir etwas entgegen zu halten, was mir vom Äußeren her sehr bekannt vorkam. „Hier, während du dich mit den Fischern unterhalten hast, habe ich nach einer Zwischenmahlzeit gesucht. Der Verkäufer hat mir dabei Eumer Brasse angeboten, die wohl das Nationalgericht von Balbadd ist.“ Das Nationalgericht aus Balbadd hier zu sehen, eine Spezialität die ich bei Ameen häufiger gegessen hatte, war wirklich erstaunlich. Wobei, vielleicht nicht ganz so erstaunlich wenn man bedachte, dass diese Stadt Balbadd zu kopieren versuchen schien. Im Prinzip war aber egal, was diese Stadt versuchte zu sein, oder eben nicht. Balbadd mit seinen Menschen, konnte man nicht kopieren. Das Essen hingegen schon. Voller Vorfreude nahm ich einen Bissen von der Eumer Brasse und schmeckte bereits den Geschmack meiner zweiten Heimat. Die Enttäuschung als die ersten Gewürze aber ihre Macht entfalteten und ich nicht die Vertrauten Kombinationen schmeckte, war groß. Eine Fälschung, eine sehr, sehr schlechte Fälschung. Selbst Ameen hätte sich bei einer Kopie mehr Mühe gegeben. Das hier war einfach herzlos. Massenware, die versuchte etwas zu sein, was sie nicht war. Wie so viele Fälschungen in meiner Welt. „Das ist gut, oder?“ Glücklich lächelte mich Chen an, der scheinbar glaubte, damit etwas Gutes getan zu haben. Augenscheinlich war das seine Art mich aufmuntern zu wollen. Zu schade, dass dieser Versuch nur gerade mehr Sehnsucht nach dem vertrauten, wahren Balbadd weckte. „Ja, es ist gut...“, wisperte ich leise als Antwort und nahm erneut einen Bissen um meine Worte zu unterstreichen. Das Kauen aber fiel mir schwer. Das hier war keine Eumer Brasse, das hier war auch nicht Balbadd und das hier war auch nicht meine Welt. Ein dicker Kloß machte sich in meinem Hals breit. Einmal eine Heimat zu verlieren war erträglich, wenn auch schwer, aber ein zweites Mal war Folter. Während ich die schlechte Kopie der Eumer Brasse aß, wurde mir das bewusst und gleichzeitig fragte ich mich, nach welcher Heimat die Sehnsucht größer war, nach meiner Welt, oder nach Balbadd, oder viel mehr den Mädchen im Freudenhaus. „Ah, da fällt mir ein, ich muss noch wohin. Komm mit, es dauert sicher nicht lange.“ Mit einem aufgesetzten und unehrlichen Lächeln sah ich zu Chen. Er griff meine Hand und begann mich durch die Straßen zu ziehen. Zielsicher und gezwungen. Was auch immer er wollte, es war sein nächster Versuch mich aufzumuntern, nachdem er bemerkt hatte, dass die Eumer Brasse ihre Wirkung verfehlt hatte.   Auch wenn ich ahnte, in welche Richtung sein zweiter Versuch gehen sollte, so war es doch bedenklich, mit einem Mann oder Jungen, auf jeden Fall mit einem männlichen Reisebegleiter, vor dem Freudenhaus der Stadt zu sehen. „Äh...“, war der einzig geistreiche Einwand, den ich hatte, und den Chen gekonnt mit einem Lächeln ignorierte. Vielleicht war ihm nicht bewusst, dass man eine Frau nicht zum Freudenhaus schleifte, vielleicht sah er mich aber auch nicht als Frau, sondern eher als Kumpel. „Tiberius und Varius haben mir gestern den Weg erklärt.“ Aus seinen Worten sprudelte förmlich der Stolz. Warum auch immer die beiden ihm diesen Weg erklärt hatten, sicher hatten sie nicht mich im Hinterkopf gehabt. Männer. „Du hast in Balbadd doch in einem Freudenhaus Geschichten erzählt. Ich dachte du vermisst vielleicht etwas vertraute Umgebung. Komm, gehen wir rein.“ An sich war Chens Idee ja süß, aber mit Sicherheit vermisste ich nicht die Umgebung des Freudenhauses, sondern eher die Menschen, die mir zu einer zweiten Familie geworden waren. Hier hingegen waren alle Mädchen vollkommen fremd für mich. Von vertrauter Umgebung konnte man da also nicht einmal reden. Dennoch hatte ich gegen Chens freundlich gemeinte Geste keine Chance und ließ mich ins Innere ziehen. Immerhin ein Ort versuchte Balbadd nicht zu kopieren, vielleicht lag das aber auch daran, dass hier niemand wusste, wie es im Freudenhaus von Balbadd aussah, abgesehen von mir. Mit Sicherheit würde ich ihnen aber nicht die Kissenberge unter die Nase reiben. Dennoch, auch dieses Freudenhaus war sehr bequem eingerichtet, auch wenn sich auf den Tischen statt des Obstes kalte Speisen befanden. Ebenso schien mir die Räumlichkeit sogar viel kleiner in der Verteilung zu sein. Dagegen wirkte Assads Freudenhaus wie ein Palast. „Guten Tag der Herr. Womit kann ich ihnen dienen?“ Kaum, dass Chen bemerkt wurde, kam auch schon eine der Damen auf uns zu und lächelte Chen aufmunternd oder viel eher auffordernd an. Dieser schien das selbst zu bemerken und wurde augenblicklich rot, woraufhin er mich wie einen Schutzwall vor sich schob. „I-ich bin wegen ihr hier. Sie hat in Balbadd in einem Freudenhaus gearbeitet.“ Sowohl mein Blick als auch der des Mädchens versteinerte über Chens unüberlegten Worte. Wahrscheinlich war er sich nicht einmal darüber bewusst, was er da gerade indirekt gesagt hatte. „Entschuldigen Sie, aber wir nehmen keine Sklavenmädchen.“ Entsetzen machte sich in Chens Gesicht breit, als er die Worte des Mädchens hörte. Scheinbar war nun auch bei ihm der Groschen gefallen. „Nein, nein. Das meinte ich nicht. Sie ist keine Sklavin. Sie zieht mit unserer Karawane frei nach Aza. Sie... Uhm...“ Chens Worte überschlugen sich und ich konnte nicht anders als leise zu lachen. Es war schon süß, wie verlegen er wurde. „Chen meinte das nicht so. Ich habe in Balbadd als Geschichtenerzählerin in Assads Freudenhaus gearbeitet und hin und wieder in der Küche ausgeholfen. Dank ungünstiger Umstände musste ich aber Balbadd verlassen und Chen dachte, eine vertraute Umgebung würde mir über mein Heimweh hinweg helfen.“ So gut ich konnte, versuchte ich dieses Missverständnis aufzuklären, auch wenn ich Chen wahrscheinlich schon eher hätte sagen sollen, das meine Anwesenheit hier mehr für Unruhe sorgen würde. „Assads Freudenhaus? Habe ich da eben den Namen des Arbeitgebers meiner Cousine gehört?“ Die Stimme glich einem sanften Grollen, das hinter dem Freudenmädchen erklang. Vorsichtig lugte ich an ihr vorbei und erkannte sie. Das Ebenbild einer Frau, die Alibaba in „Verzückung“ und mich in Begeisterung versetzte hättet. Wobei meine Begeisterung wirklich aufrichtig war. Mit einem freudigen Lächeln kam uns das Ebenbild Cecilias entgegen. Scheinbar war ihre Familie weit verbreitet und alle hatten ein und denselben Arbeitsstand. Interessant, wenn auch gruselig, in gewisser Weise. „Welche deiner Cousinen meinst du, Krista?“ Das Mädchen welches uns begrüßt hatte, sah Cecilias fast perfekte Doppelgängerin an. „Die aus Balbadd. Ceci. Sie hat uns doch vor einigen Wochen einen Brief geschrieben und von dem Zuwachs an ihrem Arbeitsplatz erzählt. Weißt du noch, wie sehr wir sie beneidet haben, dass sie jeden Abend so schöne Geschichten hören konnte?“ Insgeheim fragte ich mich, was Cecilia in ihren Briefen alles geschrieben hatte, aber scheinbar waren selten bis keine schlechten Worte über mich gefallen, denn sonst hätte die Euphorie ihrer Cousine sicher anders ausgesehen. „Heißt das, sie könnte diese Geschichtenerzählerin sein?“ Mit einem erwartungsvollen Blick sah mich das Mädchen an. Ich ahnte irgendwie, worauf das hinauslaufen sollte, aber ich war nicht hier, um zu arbeiten. Mal davon abgesehen, dass ich hier nicht einmal angestellt war. „Ja, das bin wohl ich. Allerdings hab ich es leider etwas eilig und noch eine ganze Menge zu tun.“ Selbst wenn ich alle meine Arbeit heute schon erledigt hatte, wollte ich nur noch eines, raus hier. Ich befürchtete sonst, mich wohlzufühlen, wieder das Gefühl von Heimat zu verspüren und mich mit dem Aufbruch nach Aza wieder von ihr trennen zu müssen. „Noch eine Menge zu tun? Aber es ist doch alles schon erledigt. Genieße deine freie Zeit doch einfach. Wir haben es nicht eilig.“ Mein Blick wandte sich zu Chen, der mich freundlich anlächelte. Warum musste er nur so ein Gutmensch sein? Warum konnte ich ihm das, was er sagte, nicht einfach übel nehmen? Da er mich nun aber verraten hatte, gab es für mich keine Ausrede mehr.   Die Mädchen waren anders, die Stadt war anders, aber irgendwie war die Atmosphäre, als ich die Geschichte erzählte, exakt dieselbe wie in Balbadd. Dabei hatte ich die Geschichte von Atlantis in Balbadd noch nicht erzählt. Aber selbst hier hörten sowohl die Gäste als auch die Mädchen aufmerksam zu und das erfüllte mich mit Stolz. Denn irgendwie war das meine geheime Kraft, mit der ich vielleicht doch noch lange genug in dieser Welt bestehen konnte, um einen Weg nach Hause zu finden. Seltsam, dass mir das erst jetzt bewusst wurde. „Und so ging die Stadt unter und nahm alle Erinnerungen mit sich. Nur wenige überlebten dieses Unheil. Doch jene die es taten, einigten sich, dass niemand jemals mehr von dem geheimnisvollen Atlantis erfahren sollte. Lediglich einige wenige Schriften erzählen noch seine Geschichte, doch wo diese Stadt genau gelegen haben soll, bleibt bis heute ein Geheimnis.“ Ich holte tief Luft, als die letzten Worte gesprochen waren. Im Prinzip hätte ich die Geschichte von Atlantis innerhalb weniger Minuten nacherzählen können, doch der Hobbyautor in mir hatte sich dagegen gewehrt und daraus etwas mystischeres und größeres gemacht, als es war. Immerhin war es keine Disneyversion geworden, sondern eine eigene, die ich besser mal niedergeschrieben hätte. Doch wie es so war, kamen die besten Ideen spontan und ich hoffte nicht, das jemand forderte, dass ich diese Geschichte jemals wieder erzählte. „Und diese Stadt... gab es wirklich?“, fragte schließlich einer der Gäste, augenscheinlich ein Schatzsucher, der nach seiner Arbeit nach Entspannung suchte. „Das kann keiner genau sagen. Diese Aufzeichnungen, die von dieser Stadt berichten, können auch gut und gerne erfundene Geschichten sein. Und selbst, wenn es sie gab, sollte der Mensch sich doch fragen, ob es wert ist, eine vergessene Zivilisation neu zu entdecken und dann vielleicht demselben Schicksal zu begegnen. Manche Schätze sollten verweilen wo sie sind, egal wie verlockend sie erscheinen. Das eigene Leben sollte immerhin wertvoller sein, als alles Gold der Welt.“ Ich musste irgendwie daran denken, dass dieser Dungeon Bitrouns Bevölkerung nicht gut zu tun schien. Hätten diese Schatzsucher auch nur den Hauch einer Ahnung dass der Tod sie im Inneren erwarten würde, hätten sie sicherlich die Zelte vor der Stadt abgebrochen, oder? Müssten Geschichten über die Dungeons nicht schon weit genug verbreitet sein? Was trieb diese Menschen an, ihr Leben aufs Spiel zu setzen? Vielleicht war es leichter, sein Leben zu riskieren, wenn man den Schrecken nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Wobei nicht einmal ich hatte den Schrecken mit eigenen Augen gesehen und doch schrie alles in mir, mich von den Dungeons, egal welcher Art, fern zu halten. Ich war definitiv noch zu jung um zu sterben. Außerdem sollten die Meere dieser Welt noch ihre Chance bekommen nach meinem Leben zu trachten und nicht irgendwelche ausgehungerten Bestien. Ob mein Argument bei dem Schatzsucher fruchtete, wusste ich nicht. Wahrscheinlich würde ich es auch nie erfahren, soviel war mir klar, als ich mich von meinem Platz erhob und bereit machte, zusammen mit Chen zurück zum Gasthaus zu gehen. So gerne ich auch den Fischern der Stadt geholfen hätte, meine Kräfte und Fähigkeiten hatten Grenzen und ich konnte nicht einfach mal so einen Dungeon verschwinden lassen, geschweige denn ihn bezwingen, damit er es tat. „Willst du schon gehen?“, hörte ich eines der Mädchen fragen. Wahrscheinlich hätten sie und die Anderen gerne noch mehr Geschichten gehört, doch ich hatte jetzt bereits länger hier verweilt als geplant. „Ich muss. Es hat mir aber Spaß gemacht, euch heute eine Geschichte erzählen zu können. Sollte ich auf meiner Reise erneut nach Bitroun kommen, erzähle ich euch noch eine.“ Ich lächelte, denn auch wenn ich eigentlich niemals wieder vor hatte, nach Bitroun zu kommen, so ließ ich mir damit doch ein Hintertürchen auf, für den Fall, dass eine erneute Reise mich an diesen Ort führen würde. Es konnte niemals schaden Verbündete oder Freunde zu haben, selbst wenn diese unscheinbar waren. „Warte Geschichtenerzählerin!“ Verwundert blickte ich zu einem der Mädchen auf. Sie war noch jünger als ich, wohl im Alter von Morgiana, was mich ehrlich gesagt ein wenig schockierte. Doch in ihren Augen glänzte etwas, dass mir klar und deutlich zeigte, dass sie ihr Schicksal nicht verachtete. Vielleicht reflektierten ihre Augen auch nur unbewusst das Licht der weißen Rukh die um ihr herumflatterten. „Hier. Das ist mein Dankeschön für diese Geschichte.“ Meine Augen weiteten sich, als ich auf das Fladenbrot sah, welches mir das Mädchen entgegen hielt, als sie ihren dunkelbraunen Schopf in einer Verbeugung andeutete. Ein Fladenbrot. Gefühlt mit Fleisch und Gemüse, so wie es mir Sadiq immer zum Frühstück gemacht hatte. Welch Ironie, das es ein gefülltes Fladenbrot war, dass mich just in diesen Moment wieder an mein Heimweh erinnerte und erzittern ließ, als ich es entgegen nahm. „D-Das war... uhm... Das nächste Mal erzähle ich eine noch bessere Geschichte...“, wisperte ich und kämpfte erneut gegen einen Kloß im Hals und gegen die Tränen an. Ich vermisste sie alle wirklich. All die Menschen aus meiner zweiten Heimat. Doch noch mehr vermisste ich meine Freunde aus meiner eigentlichen Heimat. Einer Welt, in der ich all diese Geschichten gelernt hatte, die voll von ihnen war und hier so begeistert aufgenommen wurden, als wären sie seltene Raritäten oder Schätze. In meiner Welt waren sie mittlerweile sogar so selbstverständlich geworden, dass ein gefülltes Fladenbrot niemals als Bezahlung gereicht hätte. Ich kratzte alle meine Beherrschung zusammen und gab Chen ein Zeichen dafür, dass wir gehen würden. Erneut ließ ich ein Freudenhaus hinter mir, doch dieses Mal hörte ich die Rufe der Mädchen, die mir sagten, ich solle wiederkommen und Krista, die mich bat ihre Verwandten zu grüßen, sollte ich ihnen je begegnen.   Chen und ich waren ein ganzes Stück zurück in Richtung Hafen gegangen. Ich hatte ihm etwas von dem Fladenbrot angeboten, doch er hatte dankend abgelehnt, so dass ich an dem Brot und seiner Füllung kaute und den vertrauten Geschmack der zweiten Heimat auf der Zunge spürte. Tränen liefen mir nun doch wieder über die Wangen. Tränen, die Chen mit Sicherheit bemerkte, aber zu denen er nichts sagte, wofür ich dankbar war. Stattdessen lief er schweigend neben mir her, während ich Bissen um Bissen des Brotes aß und an all meine Freunde in Balbadd zurück dachte. „Dieser Turm strahlt wirklich ein seltsames Licht aus...“, nuschelte Chen nach einiger Zeit, als das Licht des Dungeons unseren Weg erhellte. Ich nickte bloß, würgte genüsslich und gegen den nächsten Heulkrampf kämpfend, den letzten Bissen runter und wischte mir mit dem Ärmel die Tränen weg. „Wir sollten aufpassen... Nicht direkt hineinsehen. Wer weiß, was dieses Licht bezweckt. Vielleicht soll es, anders als die Leuchttürme meiner Heimat, unglückliche Seelen in den Tod locken. Gehen wir einfach weiter. Du wolltest mir noch zeigen, wo ich meine Sachen waschen kann.“ Ich musste mich an diesem Abend auf andere Gedanken bringen. Eine Reinigungsaktion der Sachen erschien mir da gerade richtig. Noch dazu hatte Chen mir etwas dahingehend versprochen. Kapitel 17: Erinnerungen ------------------------ Ich konnte immer noch nicht ganz glauben, dass diese Flecken wirklich fast vollständig rausgegangen waren. Man sah sie zwar noch, wenn man genauer hinsah, aber für die Reise würde das noch reichen. Mehr musste es auch nicht. Außer ich fand keine Arbeit und ich musste mich auf eine längere Zeit in der freien Natur einstellen. „Wenn du die Möglichkeit hast, solltest du die Sachen heute etwas an der Luft trocknen lassen. So lüftet auch noch die Hose etwas und man riecht das Kamel nicht mehr.“ Ich verzog angewidert das Gesicht, als Chen das Kamel, oder viel mehr dessen Hinterlassenschaften erwähnte. Der Geruch war wirklich immer noch nicht vollständig raus, was aber einzig und allein daran lag, dass man die mir bekannten Waschmittel meiner Heimat nicht in dieser Welt kannte, geschweige denn Waschmaschinen. Ich hatte meine gesamte Kleidung ganz altmodisch mit Seife und einem Waschbrett waschen müssen, wobei Chen noch etwas ins Wasser getan hatte, von dem ich besser nicht wissen wollte, was es war. „Danke für deine Hilfe heute. Ich bin mir sicher, dass was du mir gezeigt hast, wird mir auch in der Zukunft helfen.“ Auch wenn es mir immer noch unangenehm war, dass jeder hier wusste, wie unwissend ich war, konnte ich nicht anders als mich bei Chen zu bedanken. Je mehr ich lernte, desto besser standen schließlich künftig meine Überlebenschancen. „Wenn ich meiner Mutter erzähle, dass ich mit einem Waschbrett meine Sachen gewaschen habe, wird sie mir das sicher nicht glauben.“ Ich lachte und vergaß dabei vollkommen, wie unbedacht meine Worte waren. „Du hast also wirklich noch nie mit einem Waschbrett gewaschen?“ Ich zuckte zusammen auf Chens Frage und errötete, während ich mit dem Kopf schüttelte. Ich konnte ihm unmöglich von den Waschmaschinen meiner Welt erzählen. „Wir haben sozusagen jemanden der das für uns macht.“ Es musste seltsam klingen, aber es war die Wahrheit. So gesehen hatten wir ja wirklich jemanden oder eher etwas, dass diese mühselige Arbeit für uns erledigte. „Dann musst du zu der vermögenderen Gesellschaft gehören.“ Vermögendere Gesellschaft? Ich? Ich verzog das Gesicht zu einem sarkastischen Grinsen. Ich war mit Sicherheit alles, aber kein Teil der vermögenderen Gesellschaft. Das mochte vielleicht für die Verhältnisse hier stimmen, aber meine Zeit und Welt war vollkommen anders. Dennoch war es wohl besser, wenn ich es vermied Worte wie „Waschmaschine“ oder dergleichen zu verwenden. Es reichte schon das Kouha über diese Geräte Bescheid wusste, mehr oder minder, denn die Autos waren für ihn sicher interessanter gewesen. „Für die Verhältnisse hier stimmt das vielleicht. Bei uns... eher nicht.“ Erneut musste ich an diesem Tag an meine Heimat denken. Es war nicht so, dass ich den Komfort vermisste, denn ich hatte mich seit einem Monat an das Leben hier gewöhnt, verdammt schnell, wenn ich das so sagen durfte, doch die Menschen hier ersetzten nicht meine Freunde und Kollegen. Ebenso wenig würden meine Freunde die Menschen hier ersetzen können. Jene Menschen, die mir bereits so sehr ans Herz gewachsen waren, dass ein endgültiger Abschied schwer fallen würde. „Nur wie soll ich nach Hause kommen?“, wisperte ich mir zu, ganz in Gedanken versunken, so wie ich es auch tat, wenn ich ganz alleine war. „Erenya?“ Erschrocken sah ich auf, als ich Chens Stimme vernahm. Ich hatte ihn vollkommen vergessen. Ein leichtes, wenn man bedachte, dass Chen eher zu der ruhigen Sorte von Begleitern gehörte. „Tut mir leid. Ich bin wohl ziemlich müde. Heute werde ich früher zu Bett gehen, natürlich nur wenn die Mädels mich lassen.“ Ich fühlte mich schlecht bei dieser Ausrede. Müde war ich wirklich nicht mehr. Im Gegenteil ich schien sogar schon wieder munterer zu werden, was ich gebrauchen konnte, wenn Panthea oder die Jungs von Nebenan wieder Krawall schlugen. Chen verstand das anscheinend, was mich nicht sonderlich verwunderte, denn er selbst hatte mit den Jungs die Nacht verbracht, so dass ihm klar sein musste, was mir gerade vielleicht durch den Kopf ging, wenn es nicht einfach eine Lüge gewesen wäre. „Dann ruh dich gut aus. Unsere Reise ist noch lang und wenn wir morgen wieder aufbrechen, kann jede Minute Schlaf und Erholung nützlich sein.“ Ich nickte auf seine Worte. Länger als erhofft würde diese Reise definitiv werden. Immerhin fuhren keine Schiffe von hier nach Sindria. Wie auch, Bitroun war eher eine kleine Fischerstadt, deren Hafen mehr gelegen für Fischerboote, als für Handelsschiffe war. Meine Hoffnung ruhte damit weiter auf Aza und auf der Karawane, von der ich bis zu meiner Ankunft dort ein Teil sein würde. Mir war nur nicht ganz klar, was ich darüber dachte. Einerseits war ich enttäuscht, dass mein Ziel doch nicht schneller in greifbare Nähe kam, andererseits freute sich ein Teil in mir drüber, dass ich weiterhin Zeit mit Varius und den anderen verbringen konnte.   Meine Wege mit Chen hatten sich noch vor Eintritt in den Gasthof getrennt. Er wollte nach seinem Herren suchen, damit er diesem von der erfolgreich erledigten Lieferung berichten konnte. Ich hingegen wollte nur noch in das Zimmer der Mädchen und meine frisch gewaschene Wäsche aufhängen, damit diese noch restlos trocknen konnte. Noch dazu hoffte ich auch diesen Stab nicht mehr sehen zu müssen. Immerhin hatte ich Panthea und Nel eine klare Anweisung gegeben. Meine Erwartungen wurden allerdings enttäuscht als ich das Zimmer betrat und der Stab mich aus der Ecke heraus angrinste, als wollte er mir damit sagen, dass ich ihn nicht mehr so schnell los werden würde. Wut brodelte in mir hoch. Dieser Stab war der Beweis dafür, dass Panthea mich belogen hatte und das wahrscheinlich auch der Rest von Cassius' Leuten in diese Lüge verstrickt war. Sogar Cassius. Ich konnte mir zumindest nicht vorstellen, dass keiner seiner Leute ihm gesagt hatte, was sie durch mich im Schlaf erfahren hatten. Wenn Panthea und Nel nun also nicht freiwillig dieses Werkzeug zurücknehmen wollten, dann musste ich es eben selbst machen. Die Frage war nur, wo sich die beiden aufhielten. Wobei, vorerst, hatte ich noch etwas besseres zu tun. Ich musste meine nassen Sachen aufhängen. So wie es Chen mir angeraten hatte. Mit muffeligen halbtrockenen Sachen wollte ich nicht umher reisen. Sonst wäre die Wäsche ja umsonst gewesen. So schnell ich konnte, packte ich die Wäsche aus, hing sie nahe des Fensters über einen Balken und seufzte leise. Was wusste diese Gruppe noch über mich? Wie viel hatte ich im Schlaf über mich preis gegeben? Sadiq hatte das ja schon einmal angedeutet und leider Gottes konnte man gegen so etwas nichts machen. Dennoch, ich musste herausfinden wie ich das abstellen konnte. Allerdings gab es aktuell ein anderes Problem, welches mir wieder bewusst wurde, als ich zu dem Stab sah. Das Symbol der Lügen war immer noch hier. Es sollte aber nicht in meinem Besitz sein, sondern in Nels. Warum verdammt hatte keiner von ihnen mir erklärt, dass die beiden Magier waren? Nel hätte meine Schulter sicher ganz einfach heilen können. Oder war er dazu nicht in der Lage? Vielleicht hätte ich ihn besser gefragt, nachdem er mir die Wahrheit erzählt hatte. Allerdings war das jetzt sowieso nicht mehr von Belang. Fakt war, sie hatten mich belogen und reingelegt. 'Warst du besser?' Der Gedanke kam mir ganz plötzlich, doch irgendwie wog die Enttäuschung, dass sie nicht ehrlich zu mir gewesen waren, tiefer. 'Jeder hat doch seine kleinen Geheimnisse, selbst du.' Ja, wir alle hatten Geheimnisse, aber dieses... Ich wusste nicht wieso, aber diese Lüge wog soviel schwerer als meine Geheimniskrämerei auch wenn es für andere wohl genau dasselbe gewesen wäre. „Wird Zeit, dass ich das Ding, schnellst möglich loswerde...“, nuschelte ich leise und strich mit einem Finger über das Holz des Stabes. Irgendetwas in mir fand es doch schon schade, dass ich diesen Stab nicht benutzen oder behalten konnte. Gerade der Alexandrit hatte eine magische Wirkung auf mich. Ich mochte den Stein immer noch, aber wozu? Wozu sollte ich einen Stab mit mir herumschleppen den ich nicht einmal nutzen wollte? 'Schon ein wenig widersprüchlich, huh?' Ich nickte, als wollte ich der Stimme in meinem Kopf antworten. Verdammt, ich brauchte bald etwas Papier zum Schreiben, sonst würde ich hier noch durchdrehen. „Egal, er muss weg...“ Ohne längeres Zögern fasste ich nach dem Stab und festigte meinen Entschluss diesem Nel eben zurückzugeben, wenn er sich nicht nehmen wollte, was ihm gehörte. Dazu musste ich ihn nur finden. Aber ich wusste ja, wo das Zimmer der Jungs war. Vielleicht hatte ich Glück und konnte ihn dort gleich finden und erneut zur Rede stellen.   Es hätte mir ja klar sein müssen, dass die Rückgabe des Zauberstabes nicht so einfach sein würde. Schon ein wenig verloren stand ich vor dem Zimmer der Jungs, doch keiner öffnete. Scheinbar gehörte Stubenhockerei nicht zu der Freizeitbeschäftigung der Reisegesellschaft. Weder Chen war da, noch Tiberius. Einfach niemand. „Bin ich wirklich die einzige, die nach getaner Arbeit zurück geht?“ Ich seufzte leise und schüttelte den Kopf. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als Nel zu suchen und den Informationen, die ich durch Varius erfahren hatte, zu urteilen, gehörten Nel und seine Schwester zu den Menschen, die gerne mal in einer Bar oder Taverne etwas tranken. Ich musste also nur alle möglichen Orte für ein Saufgelage aufsuchen. So viele sollten das nicht sein. Hoffte ich zumindest. Ich wandte mich von der Tür ab, erstarrte aber förmlich in der Bewegung, als ich etwas oder viel mehr jemand schemenhaft erblickte. Ich konnte sogar schwören, dass ich seine Bewegungen hörte. Wie, das scheppern einer Rüstung. Das würde passen, denn ich glaubte ebenfalls eine Waffe zu sehen oder eher den Teil einer Waffe, der zu einer Lanze gehören konnte. „Spartos... War das nicht sein Name? Oder Sandros?“ Ich erinnerte mich dunkel an den ruhigen General aus Sinbads Reihen und fasste einen spontanen Entschluss. Die Münze aus Sindria, dann die Silhouette eines Mannes der ein General aus Sinbads Reihen sein konnte... Das war ein Zeichen, dem ich folgen wollte. Ich lauschte weiter dem Klappern der Rüstung und folgte mit einigen Abstand meinem Subjekt. Fest hielt ich den Stab umklammerte und lief die Treppen runter um dem Lanzenträger zu folgen. 'Was macht er eigentlich hier? Hat er einen Auftrag von Sinbad? Soll er den Dungeon auskundschaften?' Es waren Fragen die mir in den Kopf schossen, während ich der Gestalt, von der ich immer noch keine deutlicheren Schemen erkennen konnte, folgte. Ich behielt dabei einen gewissen Abstand, denn es wäre mit Sicherheit seltsam gewesen, einfach auf ihn zuzugehen und zu sagen „Jo, Spartos, Kumpel, nimmst du mich mit nach Sindria, wenn du hier fertig bist?“ Ja. Das wäre definitiv seltsam gewesen. Ich konnte ihm also nur folgen, in der Hoffnung, dass ich irgendwann eine Möglichkeit hatte, ihn anzusprechen und ganz dezent fallen zu lassen, dass ich nach Sindria wollte. Ich weiß, dieser Hintergedanke war gemein. Aber ich wollte, nach der Woche mit meiner Reisegruppe, dieser nicht länger zur Last fallen. Stattdessen wäre ein Reisebegleiter aus Sindria schon eine gute Alternative. 'Ich halte das für keine gute Idee.' Ruhe auf den billigen Plätzen im Kopf. Es mochte vielleicht nicht die beste Idee sein, die ich seit Tagen hatte, aber ich hatte seit Tagen keine einzige gute Idee. Demnach würde diese die Kuh auch nicht mehr fett machen.   Ich hatte vermeintlich Spartos lange Zeit mit genug Abstand folgen können. Dank dem Geklapper seiner Rüstung war das auch nicht zu überhören und doch, am Hafen, hatte ich ihn verloren. Ich weiß nicht wie und warum, aber plötzlich war dieses Klappern in den kleinen Menschenmengen untergegangen. Ich wusste nicht wieso. Hatte er mich vielleicht bemerkt? Wäre eigentlich nicht verwunderlich gewesen, denn ich hatte mir nicht sonderlich viel Mühe gegeben diskret zu sein. Oder viel eher, ich wusste nicht, wie man jemanden beschattete, ohne aufzufallen. Mit Sicherheit hatte ein erfahrener Kämpfer wie Spartos meine Aura wahrgenommen und sich schließlich versteckt. „Na super... soviel zu meiner Idee, so nach Sindria zu kommen“, seufzte ich leise und sah mich am Hafen um. Er wirkte leerer als vor einigen Stunden, als ich mit Chen hier gewesen war. Die Fischer hatten ihre Stände abgebaut und die einzige Geräusche die die Luft erfüllten waren, das Rauschen des Meeres und die Stimmen die aus den nahegelegenen Kneipen und den Freudenhäusern kam. Super. Seufzend schüttelte ich den Kopf und ließ meinen Blick über den Hafen schweifen, hoffend, dass ich vielleicht doch noch einen schemenhaften Schatten von Spartos erblicken konnte. Doch alles was ich sah, waren Fässer, Fässer und noch mehr Fässer. „Fässer... erinnert mich an etwas...“, murmelte ich mit einem Grinsen und ging auf eines der Fässer zu. Wie war das in der Sinbad OVA gewesen? „Klar, Yunan hockt da sicher drinne...“, flüsterte ich leise mit einem Grinsen auf der Lippe und ging zu einem der Fässer. Das Yunan wirklich da drinnen hockte war schon unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich wenn man seine Leidenschaft für enge, dunkle Orte bedachte. Sinbad hatte ihn ja auch in einem Fass voller Früchte gefunden. Irgendwie war dieser Gedanke einfach nur belustigend. Wieso sollte mir dasselbe passieren wie einem gewissen König? Dennoch... Wem würde es wehtun wenn ich ein Fass just for fun öffnete? „Niemand, also, Augen zu und durch.“ Mit einem belustigten Grinsen griff ich zum Deckel des Fasses und hob diesen an. Seltsam, denn bevor ich den Inhalt erblickte, hielt ich die Luft an und wartete gespannt, als würde ich wirklich einen Magi in diesem Fass vermuten. Kaum dass ich den Inhalt, eine große Menge an Birnen, sehen konnte, machte sich so etwas wie Enttäuschung in mir breit, auch wenn ich nichts anderes erwartet hatte. Oder doch? „Warum konnten es keine Pfirsiche sein?“, fragte ich mich laut als wollte ich mir damit meine Enttäuschung erklären. Oder mir weismachen dass ich nicht enttäuscht war, weil ich keinen Yunan darin vorgefunden hatte.   Nachdem ich Spartos Spur unwiderruflich verloren hatte, war mein Entschluss, meinen ursprünglichen Plan wieder aufzunehmen, gefallen. „Dann zurück zur Suche nach Nel.“ An sich war dieses Umplanen keine schlechte Idee. Mal ehrlich, hier am Hafen waren mehr Kneipen als gut proportionierte Models auf dem Laufsteg. Es war also sehr hilfreich, dass ich nun aus meiner Not, oder eher meinem Verlust, eine Tugend machte. Man nannte das wohl, das beste aus einer Situation machen. „Welche Bar wähle ich zuerst?“ Da hier am Hafen einigen Kneipen zu finden waren, standen meine Chancen nicht schlecht, Nel zu finden. Außer ich wählte die falschen und Nel verließ die Richtige, bevor ich sie fand. 'Ist es nicht etwas zu früh über so etwas nachzudenken?' Meine Innere Stimme hatte Recht. Ich konnte mir Sorgen über so etwas machen, wenn ich die gefühlte hundertste Bar abgeklappert hatte. „Wuahahahahahahahaha! Mach das noch einmal, Varius! Mach es noch einmal.“ Ich zuckte zusammen, als ich ein lautes Lachen hörte. Die Stimme kam mir nur zu gut bekannt vor. 'Siehst du.' Ich konnte wieder einmal sehen, wie eine meiner besseren Hälften mich breit angrinste. Gut, ich gebe es zu, so schwer war es nun nicht mindestens Tiberius und Varius zu finden. Das hieß aber nicht, dass sie wussten wo ich Nel fand. Wahrscheinlich waren die beiden jetzt schon zu betrunken um mir eine klare Antwort zu geben, oder sich zu erinnern. Zumindest klang Tiberius Stimme ein wenig lallend. Ich wollte gar nicht wissen, seit wann die beiden schon in der Kneipe saßen und tranken. Dennoch, solange der Herr Wächter laut genug war, konnte ich ohne Probleme seiner Stimme folgen und den richtigen Ort finden.   Es war in der Tat nicht schwer und dauerte maximal zehn Minuten bevor ich in der richtigen Kneipe stand und mir förmlich die Augen aus dem Kopf fielen, als ich sah, wer da alles gemeinsam an dem Tisch saß. „Noch einmal, noch einmal!“, rief Tiberius und ich sah zu, wie Varius, der wie Tiberius seine Rüstung abgelegt hatte, mit einem Schleier vor dem Mund und freien Bauch eine Bauchtänzerin zu imitieren versuchte. Dabei tänzelte er um die anderen Mitglieder von Cassius' Gefolge herum und sprach mit verstellter Stimme. Tiberius war dabei der Lauteste und forderte mit seinem 'noch einmal' Varius dazu auf, nicht aufzuhören. Panthea fand diese Vorstellung so albern, dass sie förmlich mit dem Oberkörper auf dem Tisch lag und auf die Platte schlug. Iunia lächelte, während sie an ihrem Krug nippte. „Iunia, Süßes, du trinkst wie ein Spatz. Komm schon auf Ex!“ Ich wusste nicht was sie mit Iunia gemacht hatten, aber sie reagierte auf Varius Aufforderung und exte wirklich den ganzen Krug weg, den sie mit zwei Händen halten musste. „Du auch Aurelius! Trink, trink. So schnell haben wir nicht noch einmal die Gelegenheit. Lasst uns saufen bis zum Morgen!“ Lachend tänzelte Varius vor Alexander herum, auf dessen Wangen sich doch tatsächlich ein rötlicher Schimmer abzeichnete und dem diese ganze Situation deutlich unangenehm war. Was taten sie nur meinem Baby an? „Boah, Varius, setz dich endlich hin. Ich dachte du wolltest die Geschichte von Nel hören. Wenn du so herum hampelst, kommt er gar nicht dazu. Dabei ist sie wirklich gut.“ Es war alles in allem ein seltsames Bild. Denn selbst der Lehrer saß am Tisch und versuchte gerade Varius zur Ruhe zu bewegen, während Tiberius Worte ihn immer weiter anheizte weiter in seinem albernen Aufzug zu tanzen. „Was? Wieso muss ich wieder eine Geschichte erzählen. Panthea ist dran!“ „Weil Pantheas schmutzige Geschichten keiner hier erträgt“, murrte Tiberius und entlockte damit Panthea ein dreckiges Lachen. Es war ohne Zweifel klar, dass sie wahrscheinlich wirklich eine Idee für eine Geschichte hatte, die sie erzählen konnte und dass diese alles andere als jugendfrei war. Egal, so lange Nel oder Panthea oder wer auch immer seine Geschichte noch nicht zum Besten gab, hatte ich die Gelegenheit endlich diesen verfluchten Stab loszuwerden. Immerhin hatte ich ja nun den Gesuchten gefunden. Ich holte tief Luft und hielt den Stab, den ich während meiner Verfolgungsjagd auf den Rücken geschnürt hatte, fest umklammert und ging auf die Gruppe von Cassius zu. Durch den ganzen Lärm waren meine Schritte nicht zu hören und doch sah Alexander auf und machte damit auch Tiberius und die anderen auf mich aufmerksam. „Erenya, schön dich zu sehen, komm setz dich und trink mit uns!“, forderte Varius sofort und kam auf mich zu. Doch da ich mich hinter Nel platziert hatte, der sich zu mir drehte, und diesem sofort seinen Zauberstab entgegenstreckte, hielt Varius in seiner Bewegung inne. „Ich habe dir gesagt, du sollst dieses Ding wieder an dich nehmen. Also... das ist deiner.“ Ich bemühte mich, meinen Blick so ernst wie möglich wirken zu lassen, doch Nel rührte sich nicht. Im Gegenteil, er sah von mir zu dem Stab in meiner Hand und machte keine Anstalten mir das Ding abzunehmen. Stattdessen drehte er sich wieder zu seinem Krug um und zeigte mir die kalte Schulter. „Hey! Ich rede mit dir! Nimm mir gefälligst das Ding ab!“ Diese Haltung von Nel erzürnt mich. So hatte ich ihn mit Sicherheit noch nicht kennengelernt und der Alkohol würde bei mir nicht als Ausrede ziehen. „Behalt ihn noch etwas. Ich will ihn im Moment nicht...“, erklärte er nur ruhig und hob seinen Krug an, den er an seine Lippen setzte. „Was zum...! Du nimmst das blöde Ding gefälligst zurück! Ich will es nicht!“ Ernst sah ich zu Nel hinab, der aber keinerlei Anstalten machte sich wieder zu mir zu drehen. Erneut stieg meine Wut. Wie konnte dieser Wicht nur... „Dreh dich gefälligst um, wenn ich mit dir rede und nimm mir das blöde Ding ab!“ Meine Worte wurden immer knurrender und ich wurde immer wütender. So konnte das doch nicht weitergehen. Ich machte mich hier vor allen zum Narren und noch dazu war die heitere Stimmung vom Tisch auf einmal wie erloschen. Etwas, dass ich in meiner Wut nicht bemerkte, denn sonst hätte ich realisiert, wie alle Blicke auf mir lagen. „Hey!“ Da Nel auch weiterhin nicht auf mich reagieren wollte, wurde mein Ton harscher und schließlich erhob sich Nel und drehte sich zu mir um, wobei mich seine blauen Augen eiskalt und streng ansahen. „Das reicht. Wir haben dir den Stab gegeben, damit du deinen Platz bei uns finden kannst. Wir sehen sicher nicht zu, wie du weiterhin nur als Ballast an uns hängst. Versager und Taugenichtse können wir in der Gruppe nicht gebrauchen.“ Seine Worte waren wie Eisdolche die mein Herz durchbohrten und obwohl sie so ruhig ausgesprochen waren, wich ich vor Nel ängstlich zurück. So hatte ich ihn noch nicht erlebt. Bisher kannte ich ihn nur lächelnd, freundlich und aufmunternd, aber was er da sagte, ließ alles das, was ich von ihm bisher kennengelernt hatte, wie eine Lüge erscheinen. „So direkt hättest du es ihr auch nicht sagen müssen, dass sie momentan nutzlos ist, Nel.“ Mein Blick glitt zu Panthea die seufzend abwinkte. „Was?“, fragte ich verwirrt und gleichzeitig zutiefst verletzt. „Auch noch taub? Du hast doch Nel gehört. Der Stab wird den Rest der Reise in deinem Besitz bleiben. Hoffentlich bist du damit wesentlich effektiver als mit deinem kleinen Essbesteck, dass du Dolch nennst.“ Pantheas Stimme war ebenso kühl geworden, wie die von Nel, und es zeigte sich erneut deutlich, dass beide Geschwister waren. Dennoch wandte sich mein Blick hilfesuchend zu Varius und den Anderen, denn was sie sagten, war alles andere als fair. Doch Varius und die Anderen wandten sich ihren Krügen zu, oder unterhielten sich miteinander und taten so, als hätten sie nicht gehört, was da gerade gefallen war. „Das ist also, was ihr die ganze Zeit über mich dachtet? Eure Freundlichkeit... das alles waren also Lügen...“ Auch wenn alles in meinem Körper danach schrie diesen dämlichen Stab fallen zu lassen, umklammerten meine Hände ihn trotzig. 'Komm schon, mach ihnen mal etwas Feuer und zeige wie nutzlos du bist.' Die Stimme in meinem Kopf klang verführerisch. In meinem Geiste formten sich bereits die Worte und doch presste ich meine Lippen zusammen. „Schön... Dann bin ich eben nutzlos... Ich bin auch froh, wenn ich euch alle nicht mehr ertragen muss...“, flüsterte ich schwach und kämpfte gegen einen Schwall Tränen an, während ich mich von der Gruppe abwandte und zur Tür ging. „Bleib sitzen, Aurelius“, hörte ich Varius sagen. Keine Standpauke für Nel oder Panthea, nur der Befehl an Alexander, der vielleicht als Einziger verstand, wie beschissen hart mich diese Worte von Nel und Panthea getroffen hatte, und die Tatsache, dass wohl jeder das dachte. Mit Sicherheit hatten Tiberius und Varius allen von meinem erbärmlichen Training erzählt und nun wusste jeder, wie nutzlos ich in einem Gefecht sein würde. Kein Wunder, dass sie mir da einen Zauberstab aufschwatzen wollten. Man musste nur einen Zauber sprechen und hatte dann mit viel Glück ein paar Gegner ausgeschaltet. So viel trauten sie mir also zu und wahrscheinlich nicht einmal das.   Die Kraft den Hafen zu verlassen hatte ich nicht. Stattdessen suchte ich mir eine ruhige Ecke und heulte mich aus. Auch wenn ich mich weit genug zurückgezogen hatte, hörte ich noch die Geräusche der Kneipen und Freudenhäuser. Ausgelassene Menschen, wie ich sie gerade hasste. 'Ist echt nicht dein Abend, huh?', hörte ich eine meiner Stimmen sagen. Nein, mein Abend war es wirklich nicht. Ich hatte Spartos aus den Augen verloren, Nel nahm seinen dämlichen Stab, den ich immer noch umklammert hielt, nicht zurück und obendrein hatte ich erfahren, wie viel wert ich in Wahrheit in dieser Gruppe hatte. Keinen. „Ich weiß nicht einmal ob ich wirklich zaubern kann... und sie gehen davon aus... Wenn ich es nicht kann... bin ich wirklich nutzlos, dann haben sie Recht.“ Ich biss mir auf die Unterlippe und sah auf den Stab hinab. Nutzlos... Ich konnte in dieser Welt wirklich nicht viel. Töten war immer noch ein Tabu und an meinen magischen Kräften zweifelte ich genug, um wahrscheinlich bei dem Versuch zu zaubern vollständig zu versagen. Es war so, wie die Magierin aus dem Teehaus gesagt hatte. Weil ich nicht an mich glaubte, würde nichts passieren. Erneut kochte in mir das Heimweh hoch. Solche Probleme gab es zuhause nicht. Solche Menschen ebenso wenig. Sicher, auch in meiner Welt gab es besondere Menschen, die klug und talentiert waren, aber ich hatte wenigstens genug Wissen gesammelt, um in meiner Welt überleben zu können. Ich hatte einen Job, der mir ein gesichertes Leben garantierte und musste dafür keine übertriebenen Dinge können. Die Fertigkeiten, die ich brauchte, waren leicht, vielleicht sogar zu simpel, anlernbar und meine Stimme. Nichts davon half mir hier. „Was mache ich hier eigentlich? Was bringt es mir, nach Sindria zu gehen? Was bringt es mir, irgendwohin zu gehen...?“, flüsterte ich mir leise zu und lehnte meinen Kopf gegen die Wand, überlegend, was ich tun konnte oder nicht. Ich wusste im Augenblick nichts mehr. Was wollte ich? Was wollte ich nicht? Wohin führte mein Weg hier? Wohin würde er nicht führen? Wo war mein Platz in dieser Welt? Das Schicksal hat sicher auch einen Platz für dich. Sonst wärst du ja nicht hier. Ich wusste nicht wieso, aber die Worte Nels kamen mir wieder in den Sinn. Schon seltsam, dass es ausgerechnet die Worte von demjenigen waren, der mir klar gemacht hatte, dass ich innerhalb dieser Gruppe nutzlos war und man mir den Stab wohl nur überlassen hatte, in der Hoffnung, dass dies vielleicht meine Bestimmung war. „Oh Mann... ich wünschte, die Rukh würden bezüglich meines Platzes mal mit mir kommunizieren... Das würde einiges sicher leichter machen...“, murmelte ich und fasste den Entschluss, dass es sicher nichts brachte, hier nun in Selbstmitleid zu zerfließen. 'Und wenn das Schicksal uns keinen Platz zugedacht hat, dann schaffen wir uns einen und schreiben es um.' Oh ja, ich könnte es umschreiben. Mit Sicherheit würde das dem Schicksal nicht gefallen, aber was sollte mich das stören? Ich hatte immerhin schwarzes Rukh und damit alle Berechtigung wie ein Autor an den Geschichten dieser Welt herum zu fuschen. 'Fangen wir doch gleich mal damit an und rammen Nel seinen Magierstab in den Allerwertesten.' Dieser Gedanke war wirklich verführerisch. Verdient hatte er es. Dennoch... 'Das war sicher nur der Alkohol. Bei allen. Keine Sorge. Morgen stehen wir auf und alles ist wieder schön.' Hoffnungen. Vielleicht leere Hoffnungen, aber sie waren alles, woran ich mich gerade noch klammern konnte.   Trotz aller Hoffnung, die mich immerhin nicht dazu brachte, mich ins Meer zu stürzen, brachte ich es nicht über mich, in den Gasthof zurückzugehen. Ich musste noch etwas frische Luft schnappen und insgeheim hoffte ich wahrscheinlich doch noch, Spartos wieder zusehen. Immerhin war er zum Hafen gegangen. Zumindest glaubte ich das. Seine Spur war bis hierher offensichtlich gewesen. „Ich frage mich allerdings, wie er so plötzlich verschwinden konnte...“ Irgendwie ließ mir Spartos Verschwinden keine Ruhe. Gleichzeitig allerdings fragte ich mich, ob ich mich vielleicht geirrt hatte. Vielleicht war es niemals Spartos gewesen und ich war einfach nur einem Wunschgedanken nachgelaufen. 'Warum sollte Spartos unserer Einbildung entspringen? Da gäbe es doch bessere Kandidaten. Sharrkan zum Beispiel. Oder Masrur, oder Ja'far... Nahh~ lösch Ja'far aus dem Protokoll, dem misstrauischen Mistkerl wollen wir nicht einmal bei Tageslicht begegnen.' Ich schmunzelte bei den Gedanken. Richtig. Ja'far hätte sicher bemerkt, wenn ich ihm gefolgt wäre und hätte mich ohne lange zu fackeln in die Rolle des Opfers gedrängt. Wobei, Sharrkan wäre da vielleicht auch nicht besser gewesen. Aber im Gegensatz zu Ja'far wirkte Sharrkan nicht ganz so bedrohlich. Ebenso Masrur, der wahrscheinlich schnell mitbekommen hätte, dass ich ein Fanalis-Fangirl war. Aber nein, ich war mir sicher, dass es Spartos war. Wenn ich ihn mir also nicht eingebildet hatte, musste er es live und in Farbe gewesen sein. „Wo würde ich also hingehen, wenn ich bemerke, dass ich verfolgt werde?“ Da ich wirklich nichts besseres zu tun hatte, konnte ich über das Problem nachdenken. Vielleicht fand ich ihn ja doch noch. Dann konnte ich vielleicht doch nach Sindria, weg von den Menschen, die mich als nutzlos sahen. „Als erstes würde ich mich verstecken... oder viel mehr meinen Verfolger abschütteln. Die Frage ist nur wie... wenn man eine Rüstung hat... und eine Lanze. Wie kann ich ihn nur verloren haben?“ Mit verschränkten Armen sah ich mich um. Ein paar Gassen gab es ja schon. Und immer konnte ich Spartos auch nicht sehen. Alles worauf ich mich hundert Prozent verlassen hatte, war das Klappern seiner Rüstung. „Wenn er also mit Absicht durch eine größere Menge ging... und dann in eine Seitengasse...“ Das klang logisch. Vor meinem Inneren Auge spielte sich alles ab. Wie wenn ich eine Geschichte schrieb. Ich stellte mir vor, Spartos zu sein, der Sichtschutz unter vielen Menschen suchte. Ja, das passte wirklich. Oft hatte ich ihn nicht gesehen. Da bestand nur das Problem mit der Lanze, klein war sie ja nicht gerade. Noch dazu war es nicht leicht, sie inmitten einer Menge zu verbergen. Dennoch, Spartos war ein erfahrener Lanzenkämpfer, er wusste sicher, wie man sie hielt, ohne Passanten zu verletzen und vor allem ohne seinem Verfolger weiterhin im Sichtfeld herum zu laufen. „Vielleicht schräg am Rücken festgebunden? Mh... nein, ich würde sie immer noch sehen... Wobei, mein Fokus nicht darauf lag ihn zu sehen. Eher darauf nicht zu nahe zu kommen und... ihn zu hören. Ich könnte ihn also übersehen haben.“ Auch das war logisch. Mein Augenmerk hatte nie auf der Lanze gelegen. Blöd von mir, wenn man es im Nachhinein bedachte. Auf diese Art hätte Spartos sich also wirklich unbemerkt in einer Seitengasse verstecken und abwarten können. „Was würde ich tun, nachdem ich meine Verfolger abgeschüttelt habe?“ Denken wie Spartos war nicht leicht, wobei ich mir nicht einmal sicher sein konnte, ob sein Verschwinden wirklich daraus resultiert war. Für den Moment schien es mir einfach nur das Logischste. „Zurück zum Gasthaus nicht... Er hat es entweder gerade verlassen, weil er etwas vor hatte, oder er hatte einen Auftrag im Gasthaus zu erfüllen. Schwer... wenn ich davon ausgehe, er hatte dort einen Auftrag und hat diesen erfüllt, dann ist es wahrscheinlich, dass er im Hafen vor Anker lag. In einem kleinen Boot. Große Handelsschiffe haben hier kaum Platz, dafür ist der Hafen zu klein. Allerdings bezweifle ich auch irgendwie das er den Weg von Sindria in einem kleinen Fischerboot angetreten ist... Der Hafen könnte also eine Finte sein...“ Nachdenklich hatte ich mich in Bewegung gesetzt und lief an den Häusern vorbei. Mir war der Lärm aus den Kneipen egal. Mein Fokus lag voll und ganz auf Spartos verschwinden. „Wenn ich nur eine Idee hätte... Wobei... was wenn er den Dungeon von außerhalb erkunden sollte? Sicher, mit sieben Djinns scheint Sinbad ein Limit erreicht zu haben, aber das bedeutet ja nicht, dass er nicht die Lage bei den anderen Dungeons auskundschaften lässt.“ Ob es wahrscheinlich war, dass dies Sinbads Gedankengänge waren? Keine Ahnung. Aber es war die einzige für mich logische Spur. Demnach wäre es nicht falsch, einfach mal näher zum Hafenbecken zu gehen und dem Dungeon damit eine spätabendliche Aufwartung zu machen. Nun mit einem festen Ziel vor Augen, wandte ich mich von meinem ursprünglichen Weg ab und lief in Richtung des Hafenbeckens, entgegen der Richtung, in die ich zuvor hatte gehen wollen. Auch wenn Spartos wohl ein Boot haben würde, um näher an den Dungeon zu kommen, ich könnte dort warten, oder zumindest den Turm im Blick behalten, um zu sehen, ob sich etwas regte. Danach konnte ich immer noch reagieren oder einfach zurück zum Gasthaus gehen, weil ich meine letzte Spur endgültig verloren hatte.   Das Licht des Dungeons war selbst nach meinem Wissen, dass es ein Dungeon war, immer noch unheimlich. Anziehend, aber gleichzeitig bedrohlich und vielleicht sogar rettend für die Schiffe auf offenem Meer. Da mir am Tage zumindest kein Fischer erklärt hatte, dass seit Erscheinen irgendwelche negativen Vorkommnisse, abgesehen von den Schatzsuchern, bekannt geworden waren, ging ich zumindest nicht davon aus, dass der Turm andere Seefahrer in ihr Unglück führte. Es war ja nicht jeder Dungeon proaktiv schlecht. Dennoch, wirklich scharf darauf, sein Inneres zu sehen, war ich auch nicht, weswegen ich sein Leuchten mit einer gewissen Vorsicht genoss. Langsam näherte ich mich dem Hafenbecken, mit klopfenden Herz. Immerhin bestand die Wahrscheinlichkeit, dass ich meinem Ziel nahe war. Dass Spartos dort war und ich ihn bitten konnte, mich nach Sindria mitzunehmen. Gleichzeitig machte ich mich geistig darauf gefasst, eine Enttäuschung zu erleben. Schlimmer als das, was mir in der Bar an den Kopf geworfen worden war, konnte es heute nicht mehr werden. Mein Atem stockte, als ich nicht unweit vom Hafenbecken eine Silhouette erblickte, die vom Licht des Turmes gut genug beleuchtet wurde, so dass ich die Gestalt von meiner Entfernung schemenhaft erkennen konnte. Hatte ich vielleicht Recht? Ich hielt kurz inne und versuchte mehr an der Silhouette auszumachen und erkannte schließlich, dass ich mich geirrt hatte. Keine Lanze. Demnach konnte das nicht Spartos sein. Dennoch näherte ich mich der Gestalt und erkannte immer mehr von der Silhouette, oder viel mehr von dem Mann, der starr auf das Meer zum Leuchtturm blickte. Und schließlich wusste ich, wer dort stand und dass dieser Mann ein Vertrauter von mir war, wenn auch nicht gerade ein Freund. „Sollte unser Reiseleiter nicht von allen früher im Bett liegen?“, fragte ich, als ich mich zu ihm gesellte und Cassius' ernstes, vom Licht des Dungeons beschienenes Gesicht betrachtete. Es gab nicht gerade viele Möglichkeiten, ihn so ruhig zu beobachten. Oder zumindest ihn im Profil zu sehen, so wie jetzt, denn er würdigte mich keines Blickes, was mich nicht sonderlich verwunderte. Wenn schon der Rest der Gruppe dachte das ich nutzlos war, was mochte er dann von mir halten? „Mir wäre es lieber, wenn die Gruppe früher ins Bett geht. Solltest du nicht bei Varius und den anderen sein und trinken?“ Auch wenn Cassius Ton etwas harsch war, lag irgendwie nichts vorwurfsvolles in ihm. Scheinbar wusste er, was seine Truppe tat. „Mal davon abgesehen, dass ich nicht eingeladen wurde, bin ich nicht der große Trinker oder der Mensch der viel feiert.“ Ich lächelte bitter. Richtig. Ich war nicht wirklich zu deren Party eingeladen gewesen, auch wenn Varius mich noch vor der Auseinandersetzung mit Nel aufgefordert hatte, dazuzustoßen. Sicher konnte man das als Einladung gelten lassen. Aber das musste Cassius ja nicht wissen. „Und dann willst du nach Sindria? Auf die Spaßinsel?“ Das klang schon eher nach einem Vorwurf oder viel mehr nach einen berechtigten Zweifel. Immerhin, selbst Cassius kannte den Ruf Sindrias, aber wer kannte den nicht? Das Paradies in dem alles friedlich war und hin und wieder Party gemacht wurden. „Klingt absurd, ich weiß. Aber... es hat seine Gründe, wenn auch vielleicht nicht die Besten. Egal. Was macht Ihr hier am Hafen?“ Die Frage, warum Cassius gerade jetzt, um diese Uhrzeit am Hafen war, schien mir gerade berechtigter, als die Frage, warum ein Partymuffel nach Sindria wollte. Immerhin rechnete ich damit, dass wir am nächsten Tag wieder aufbrechen würden, auch wenn ich mich insgeheim fragte, wie wir das bewerkstelligen wollten, wenn die Hälfte von Cassius Gruppe einem Kater erlegen war. „Der Dungeon... Egal wie oft man einen zu Gesicht bekommt, jeder ist für sich einzigartig und in gewisser Weise faszinierend.“ Mein Blick glitt nun ebenfalls zu dem Dungeon, der gut getarnt als Leuchtturm hätte durchgehen können, wenn sein Licht nicht so überaus unnatürlich gestrahlt hätte. Faszinierend waren sie allemal. Da konnte ich Cassius nur zustimmen. „Das ist mein Erster, den ich in Natura sehe. Ihr habt sicher schon einige auf euren Reisen gesehen“, merkte ich respektvoll an. Irgendwie empfand ich es faszinierender, dass Cassius, als reisender Händler, sich von so etwas so fesseln lassen konnte. „Barbatos...“, flüsterte Cassius nach einiger Zeit, weswegen ich fragend zu ihm sah. „Das war der Name des ersten Dungeons den ich als Kind gesehen habe. Seitdem ziehen sie mich magisch an.“ Barbatos. Irgendwie löste dieser Name etwas in mir aus. Da war etwas. Barbatos. Dunkel erinnerte ich mich daran, wer der Bezwinger des Dungeons war. „Ihr solltet aufpassen, nicht das sie euch verschlingen...“, murmelte ich leise und erinnerte mich dabei auch an den Dungeon Zagan, der die Menschen förmlich kidnappte. Grausig. „Auch wenn ich persönlich glaube, dass Ihr einen guten König abgeben würdet... irgendwie. Nur bin ich der Meinung das solche Dungeons oder Magi nicht über die Qualifikation solcher entscheiden sollten. Die Welt ist zu groß und zu vielfältig, selbst für die Magi, um alle passenden Kandidaten zu finden. So laufen sie Gefahr, dass wirklich großartige Herrscher durch das Raster fallen oder die falschen Herrscher das Licht der Welt erblicken.“ Nachdem, was ich in der Karawane beobachtet hatte, war Cassius in der Tat kein schlechter Mensch. Umsichtig, vorsichtig, gebildet, in gewisser Weise, aber noch weit davon entfernt, das Grün hinter seinen Ohren zu verlieren, wenn man von seinem Temperament hin und wieder absah. Außerdem hatte er treue Verbündete. Dennoch, irgendwie widerstrebte es mir, Cassius trotz seiner Truppe den Rat zu geben, doch selbst einmal einen Dungeon von Innen zu besuchen. Die Gefahr, dass er und die anderen dabei ihr Leben verloren, war einfach zu groß. „Steht Barbatos eigentlich noch?“, fragte ich schließlich, um das Thema zu wechseln. Für die Menschen dieser Welt waren Magi und Dungeons alles und es war besser, wenn ich mir nicht gleich noch meinen Reiseführer zum Feind machte. „Schon seit einiger Zeit nicht mehr.“ Nachdenklich sah ich zu dem Leuchtturm. Wie sein Name wohl war? Immerhin, eines konnte ich nun mit Sicherheit sagen. Muu Alexius war bereits im Besitz seines Dshinns. Wirklich weiter half mir das Wissen nun auch nicht. Außer, dass ich davon ausgehen konnte, dass ich nicht so weit in der „Vergangenheit“ des Mangas zurück lag. Allerdings war mir das auch schon klar, seit ich Kouha gesehen hatte. „Wir sollten vielleicht langsam zurück zum Gasthof. Es wird allmählich kühl und-“ Ich hatte mich gerade gut genug dazu durchgerungen, alle Gedanken von dem Dungeon abzuwenden und mich auf das wesentliche, nämlich einer guten Portion Schlaf zu konzentrieren, als Cassius plötzlich den Kopf hob und mich in meinen Worten unterbrach. Seltsam, denn bis eben hatte er großteils schweigend auf das Monument im Meer geblickt und nun schien er wie ein aufgewecktes Reh zu lauschen. „Ist alles okay?“ „Duck dich!“ „Wie?“ Ich hatte nicht einmal die Zeit zu verstehen, was Cassius gerade von mir wollte, so plötzlich wie er mir den Befehl mich zu ducken entgegen schrie. Cassius schien auch nicht weiter vor zu haben mir diesen Befehl genauer zu erläutern, stattdessen packte er mich am Oberarm und schleuderte mich etwas unsanft gen Boden. Wütend sah ich zu ihm, doch meine Wut verrauchte als ein greller Blitz oder eher ein elektrisierter Strahl, an uns vorbei sauste und in eine Hauswand einschlug. Genau da... da wo die Bahn des Strahls verlaufen war, hatte ich gestanden. „Was zum...“ Ich wollte gerade in die Richtung blicken, aus der dieser Strahl gekommen war, doch Cassius drückte meinen erhobenen Kopf runter. Erneut schoss wenige Sekunden später ein Lichtstrahl über uns vorbei. Meine Haare stellten sich auf und selbst ich konnte die Spannung spüren, mit der dieser Strahl geladen war. „Ein einfaches runter hätte es auch getan...“, murrte ich, denn zu den zärtlichsten Männern gehörte Cassius definitiv nicht. Auch wenn er mir gerade das Leben gerettet hatte, ein weiteres Mal. „Steh auf, wir müssen hier weg!“ Auch wenn ich immer noch nicht ganz verstand, was hier los war, Cassius schien den vollen Durchblick zu haben und stand inmitten einer Kaskade von Lichtblitzen auf. Ein Horn ertönte und wandelte die lachenden und feiernden Stimme aus der Ferne in panische Schreie. Um Cassius und mich herum schossen weitere Blitze in die Gemäuer nahestehender Häuser ein. Es fiel mir schwerer, unter diesen Umständen zurück auf die Beine zu kommen, denn ich zuckte jedes mal zusammen, wenn ich den Lufthauch eines Lichtblitzes an mir vorbeiziehen spürte. „Beeil dich!“ Cassius hatte gut Reden. Ich wusste nicht, wie oft er in solche Situationen gekommen war, aber für mich war es nichts alltägliches. Und schon gar nicht war es leicht, jetzt noch auf den Füßen zu stehen. „PIRATEN!“ Es wurde lauter als Wachen den Hafen stürmten. Ich traute mich nun doch aufzusehen und erkannte auf dem Meer schwimmend ein großes Schiff, welches nicht den Platz haben würde hier am Hafen vor Anker zu gehen. Anders sah es da mit der Armada kleiner Boote aus, die klein genug waren um wohl auch an einem Strand anzulegen. Sofort schossen mir wieder die Bilder von dem Ort des Massakers in den Kopf. Der Händler aus Kou schien Recht behalten zu haben. Es waren Piraten gewesen und aller Wahrscheinlichkeit nach diese hier. Ich erzitterte Angesichts dieser Tatsache. Sterben... wir würden alle sterben, wenn diese Übermacht die Stadt überrollte. All das Blut... der Geruch von verbrannten Fleisch, Blutspuren überall, Zerstörung, Verwüstung... „Verdammt, steh nicht wie angewurzelt da!“ Unsanft ergriff Cassius mein Handgelenk und begann mich vom Ort des Geschehens wegzuzerren, wobei er bestmöglich versuchte den Lichtblitzen auszuweichen. Ich hingegen folgte ihm einfach und starrte auf die Boote hinter uns, die vor Anker gingen und aus denen Menschen stiegen. Düster gekleidete Gestalten mit Apparaturen, mit denen sie auf die Wachen zielten, die ihnen so unterlegen waren. Sie würden sterben, ihre Familien nicht mehr wiedersehen, wenn sie welche hatten. „Hör auf Löcher in die Luft zu starren und nimm gefälligst die Beine in die Hand!“, hörte ich Cassius vor mir grollen. Wahrscheinlich wäre er besser ohne mich dran gewesen, schneller zumindest, denn gerade war ich der Ballast den er nicht brauchte, wenn er überleben wollte. „Cassius, wartet!“ Ich stemmte mich gegen seine Bewegung und sah zu dem Reimer, der mich nur böse anfunkelte. Wenn Blicke töten konnte, erdolchte er mich gerade schlimmer, als es diese Piraten mit ihren magischen Apparaten vermögen konnten. „Varius und die anderen dürften noch hier in der Nähe sein. Sollten wir nicht zu ihnen und dann gemein-“ „Lauf einfach! Sie wissen was zu tun ist, wenn so etwas passiert. Außerdem ist die Flucht in einer zu großen Gruppe unmöglich, also halt die Klappe und lauf endlich!“ Warum rettete er mich? Warum tat Cassius das, wenn ich nutzlos war? Lag es nur daran, dass ich ihn bezahlt hatte für die Reise? Nein, dass war doch absolut unlogisch, ich war doch nur Ballast. Seine Worte zeigten das auch deutlich. Nur Ballast, der ihm das Leben kosten konnte. 'Dann hör auf Ballast zu sein und mach dich nützlich!', schrie mir eine der Stimmen in meinem Kopf zu und ich musste gestehen, dass sie Recht hatte. Mich die ganze Zeit dafür zu bemitleiden, dass ich keine Hilfe war, würde Cassius Leben definitiv nicht retten. „Dann kommt mit!“ Ohne darüber nachzudenken, war ich es nun, die Cassius' Arm ergriff und entgegen unserer eigentlichen Richtung den abgelegeneren Teil des Hafens anvisierte. „Was zum...?“, hörte ich Cassius zischen, dem es scheinbar nicht gefiel, dass ich unsere Reiseroute so spontan geändert hatte. „Die Hauptstraße ist zu gefährlich. Ich befürchte, dass in wenigen Minuten alle aus den Kneipen und Freudenhäusern laufen werden. Zu viele Menschen, zu wenig Bewegungsfreiheiten, zu große Gefahr eingekesselt und als Zielscheibe benutzt zu werden“, keuchte ich um klar zu machen, was mein eigentlicher Plan war. Ohne lange darüber nachzudenken, waren es die Seitengassen gewesen, die mir als sicherster Fluchtweg vorgekommen war. Doch es gab noch einen sichereren. „Da sind welche! Schnappt sie euch!“ Vor uns baute sich eine Gruppe von Piraten auf, die scheinbar schon an den Wachen vorbei geströmt war. Kein Wunder. Die Bewachung Bitrouns war fast schon lächerlich und nicht bereit für einen so großen Angriff. Erneut änderte ich unsere Route und bog in eine Seitengasse ein. „Habt ihr euer Schwert dabei?“, fragte ich keuchend und blickte dabei hinter mich zu Cassius. Generell erwartete ich nicht, dass er seine Waffe dabei hatte, ich hoffte es einfach, denn es würde einiges leichter machen. Mit Sicherheit konnten Cassius und ich ein paar Verfolger loswerden. Sorgen bereiteten mir nur die magischen Apparaturen. Als hätten die Piraten meine Gedanken gelesen, sah ich bei meinen Blick hinter uns auch schon in den Lauf eines aufleuchtenden Gerätes. So schnell ich konnte, schob ich Cassius an die Seite und hoffte einfach darauf, dass mein Borg jetzt nicht versagte. Die Zeit reichte wirklich nur aus, um Cassius aus dem Schussfeld zu bekommen, als auch schon der Blitzstrahl abgefeuert wurde und einen Augenschlag später auf meinen Borg prallte, der dem stand hielt. Dennoch hatte ich mein Leben für zwei Sekunden an mir vorbeiziehen sehen. „Hexe... Sie ist eine Hexe!“, schrie der Pirat mit der magischen Apparatur, doch er hatte keine Zeit seine Waffe erneut nachzuladen, denn blitzschnell schoss etwas an mir vorbei und das Nächste, was ich sah, war das seine Apparatur mit einem glatten Schnitt in zwei Teile zerfiel. Ich erkannte die geweiteten Augen der Piraten, die auf ihren Gegner starrten, der mit gezückten Schwert vor ihnen stand und bereits zum nächsten Schlag ausholte. Auch wenn ich ihn genau erkannte, sah ich unsicher zur Seite, dahin wo ich Cassius hingeschoben hatte, damit er nicht dem Lichtblitz zum Opfer fiel. Doch er stand da nicht mehr. Wie hatte er...? Ich konnte es nicht glauben und kam erst wieder richtig zu Sinnen, als ich das Röcheln einer der Piraten hörte, der zu Boden sank. „Weiter!“, befahl Cassius und hielt sein Schwert fest im Griff, während er den Weg in die Richtung fortsetzte, die ich ursprünglich eingeschlagen hatte. Mein Blick hingegen galt noch kurz den am Boden liegenden Piraten.   So wie ich es geplant hatte, hielten sich Cassius und ich uns an die Seitengassen und entfernten uns immer weiter aus dem Hafen. Wir kamen gut voran, auch wenn wir hin und wieder von kleineren Gruppen Piraten entdeckt worden waren, die Cassius aber schneller ausgeschaltet hatte, als sie oder ich gucken und reagieren konnten. Auch wenn es nicht der richtige Moment dafür war, erlaubte ich mir ein paar Sekunden über Cassius unmenschliche Schnelligkeit nachzudenken. Also, sie war nicht Saiyajin unmenschlich. Dennoch überstieg sie die Schnelligkeit eines normalen Menschen. Lediglich ein Fanalis hätte meines Wissens da mithalten oder schneller sein können. Doch wie war das möglich? „Wohin nun mit deinen grandiosen Fluchtplan? Hier ist eine Sackgasse!“, hörte ich Cassius plötzlich fluchen, als wir vor einer Steinmauer zum stehen kamen. Ich stützte mich kurz schwer atmend auf den Knien ab, ließ aber nebenbei einen Blick durch die Gegend schweifen. Hier war nichts, lediglich ein paar aufgestapelte Kisten, alte schmierige Laken und eine Holzplanke. Perfekt. „Die Häuser sind nicht hoch...“, keuchte ich und wies mit einem Nicken zu den Holzkisten. „Fliegen können die Piraten sicher nicht. Wenn doch werden sie aber kaum damit rechnen, dass jemand über die Dächer flieht.“ Ich holte einmal tief Luft und erhob mich wieder. Ohne länger zu zögern, ging ich auf die Holzplanke zu. Sie fühlte sich morsch an, aber für die Flucht würde sie wahrscheinlich noch reichen. Hoffentlich. „Ich hab jemanden!“, hörte ich plötzlich den Ruf eines Mannes und verzog dabei das Gesicht. Das konnte ich nun nicht brauchen. Sie sollten doch nicht wissen, wie wir flohen. „Cas-“ Ich wollte gerade Cassius Bescheid geben, dass es besser war, erst einmal diese Verfolger auszuschalten und sah zu den Kisten. Doch da war kein Cassius mehr. 'Ist doch nicht sein Ernst, der hat sich aus dem Staub gemacht?!' Ich richtete meinen Blick wieder zu den Piraten. Sie hatten immerhin keine magischen Waffen dabei, aber normale Säbel. Mit etwas Glück hielt mein Borg das aus, im Fall der Fälle. Entschlossen zog ich meinen Dolch und sah die drei Männer an, die in die Sackgasse bogen und mich grinsend ansahen. Jetzt würde sich zeigen, wozu ich das Training mit Varius und Tiberius nutzen konnte. Bewegungstechnisch war ich durch den Stab, den ich auf dem Rücken trug, zwar eingeschränkt, aber ein paar Schläge konnte ich sicher parieren. „Schaut euch den niedlichen Zahnstocher an, den sie hat.“ Spottend lachten die Männer auf, als sie mich in meiner Haltung sahen. Verdammt, wenn alle drei angriffen, würde das Training mit Varius und Tiberius nicht viel helfen. Ich hatte gerade mal ein paar Schläge von Tiberius blocken können und war dann am Angriff gescheitert. Verdammt, verdammt, verdammt! 'Denk nach... Wenn du nicht kämpfen kannst... was musst du tun?' Mein Herz schlug vor Angst und in meinem Kopf schossen so viele mögliche Szenarien an die Oberfläche, dass es mir schwer fiel mich auf eines zu konzentrieren oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Dabei durfte ich nicht panisch werden, das war mir klar, aber meine Gewohnheit der Panik hatte mich fest im Griff. Die Angst eroberte mich mit jeden Schritt, den die Männer auf mich zumachten. Ich hingegen wich zurück, den Dolch zitternd umklammernd. Auf diese Situation war ich nicht vorbereitet gewesen, zumindest nicht jetzt. Ich war es auch nicht bei Kouha am Hotel gewesen und dennoch hatte ich es irgendwie überlebt, auch wenn ich immer weniger verstand wieso. 'Verdammt wenn der Dolch nichts bringt, nimm den dämlichen Stab, laber irgendeinen Zauber der dir gerade in den Sinn kommt und mach diese Idioten platt!' Der Aufschrei in meinem Kopf machte mir nicht gerade mehr Mut. Im Gegenteil. Er verunsicherte mich nur. Was für einen Zauber sollte ich denn sagen? Kannte ich überhaupt einen? Ich wich weiter zurück, bis ich schließlich den Stab in meinem Rücken spürte, da es durch die Wand kein weiteres Ausweichen mehr gab. Es gab keinen Ausweg für mich. Keine Flucht. Ich hatte nur eine Möglichkeit. Ich musste, ob ich wollte oder nicht, kämpfen und mich der Gefahr aussetzen, meine Hände mit Blut zu beflecken. 'Mal davon abgesehen, dass du wahrscheinlich keinen von ihnen ankratzen wirst, aber ja', antwortete mir eine meiner hämischen Stimmen auf meinen Entschluss. 'Das war nicht gerade hilfreich für uns', antwortete eine andere und ich musste tief Luft holen, denn das war der wohl schlechteste Moment um durchzudrehen. 'Ran an den Speck, Angriff ist die beste Verteidigung.' Ich nickte leicht, als wollte ich der Stimme in meinem Kopf recht geben und umklammerte mit der zweiten Hand meine andere, die den Dolch fest umschlossen hielt, um diese am Zittern zu hindern. Mein Borg würde mich beschützen, ich müsste nur angreifen, nur zuschlagen, einfach nur in Bewegung bleiben. Mein Atem ging schwerer. Alleine bei diesen Gedanken und ich spürte wie der kalte Schweiß auf meiner Stirn ausbrach. „Hey!“ Erschrocken sah ich auf, als ich von oben eine Stimme hörte. Doch nicht nur ich tat es, auch die Piraten, die plötzlich von einem der schmutzigen Laken, die hier gelegen hatten, zugedeckt wurden. „Beeil dich!“ Ich konnte es nicht glauben, als ich Cassius wieder sah. Er hatte mir erneut das Leben gerettet, wahrscheinlich das dritte Mal an diesem Tag. Kein Geld der Welt konnte das je wieder gut machen. Kurz sah ich zu den Piraten, die scheinbar noch mit dem Schrecken und den Laken kämpften, dabei aber auch versuchten nicht ihre Kameraden abzustechen. Das war meine Chance. Ohne lange zu zögern, steckte ich den Dolch weg und kletterte die Kisten hinauf. Die Planke konnte ich zwar vergessen, aber mit Sicherheit fanden wir noch andere Wege. Es gab immer einen anderen, besseren. Ich hatte es rechtzeitig auf das Dach geschafft, denn nur wenige Sekunden nach meiner Ankunft auf diesem hörte ich das Reißen von Stoff. Ich scherte mich aber nicht weiter darum, sondern lief einfach Cassius nach, der scheinbar eine Route über die Dächer ausgemacht hatte. „Wo ist sie? Idioten wo kam das her?“, hörte ich noch die Rufe der Piraten poltern. Zu den hellsten gehörten sie wirklich nicht, denn sonst hätten sie wohl gewusst, dass unsere Fluchtroute die Dächer der Stadt waren, die uns weiter aus dem Hafen führten.  Kapitel 18: Erkenntnis ---------------------- Ganz wie geplant erwies sich die Flucht über die Dächer als wirklich einfach und hilfreich. Naja gut, einfach war nicht der korrekte Ausdruck. Die einzigen Hindernisse, die es für uns hier oben gab, waren Abgründe. Tiefe Abgründe, die mir bei einem Sturz sicher das Genick gebrochen hätten. Cassius allerdings leitet uns sicher von Dach zu Dach. Es schien mir fast so, als hätte er das schon öfter gemacht, doch ich traute mich nicht zu fragen. „Wartet...“, keuchte ich, nachdem wir erneut auf die andere Seite einer Lücke zwischen zwei Häusern rannten. Mir ging allmählich die Luft aus, etwas, dass Cassius scheinbar nicht kannte, denn er schien kein bisschen erschöpft zu sein. „Ich brauch eine Pause...“, setzte ich nach und ging in die Hocke, um etwas zu Atem zu kommen. Ich sah auf zu Cassius, der tatsächlich stehen geblieben war und mich ernst ansah. Immerhin, die Tatsache, dass er keinen dämlichen Spruch riss, hielt ich ihm zu Gute. Auch wenn ich das Gefühl hatte, ich wäre ihm gerade wieder nur ein Klotz am Bein. Doch ich machte mir dieses Mal keine Sorgen darum, denn wir waren auf den Dächern und bisher schienen die Piraten eher auf die Menschen am Boden zu achten. „Wie sieht eigentlich der Plan der Gruppe in so einem Fall aus? Verstecken und warten bis der Überfall vorbei ist?“ Ich konnte meinen Blick nicht von Cassius nehmen. Mich interessierte diese Frage wirklich, denn die Gefahr bestand immer noch, dass Mitglieder der Gruppe vielleicht gefasst wurden. Noch dazu war ich mir sicher, dass Cassius nicht zu jenen gehörte, die ihre Ware als Opfergabe für Piraten hergaben. „Rückzug. Waren sind, unter Berücksichtigung der Risiken, zu retten. Treffpunkt ist die nächste Karawanserei auf der Route“, lautete die Antwort von Cassius und ich hob eine Augenbraue. Schlau wurde ich aus dieser Antwort auch nicht. Hieß das, die anderen würden zurück zum Gasthaus gehen, ihre Sachen packen und dann noch aus dem Lager die Waren holen die sie tragen konnten? Irgendwie wollte das gar nicht in mein von ihm gefasstes Weltbild passen. „Das heißt unsere Route führt zu den Stadttoren?“, fragte ich schließlich und wollte nicht noch mehr auf das zuvor genannte Thema eingehen. Cassius nickte. Die Stadttore also. Auch wenn ich Cassius bereits zutraute, dass er die Route berechnet hatte, sah ich auf und verschaffte mir einen Überblick über die Stadt. Hinter uns lag der Hafen, weit genug entfernt. Einige Häuser brannten bereits lichterloh. Selbst die Feuerwehr meiner Zeit hätte damit mehr als genug zu tun gehabt. Ich wollte gar nicht wissen wie viele Opfer es hier gab, oder wie lange man brauchen würde, um diese Schäden wieder zu reparieren. Die Frage war: Wie weit waren die Piraten in diese Stadt vorgedrungen? Ich ließ meinen Blick schweifen und erkannte, dass ihre Ausbreitungsrate als verheerend zählen konnte. Überall waren kleinere Kämpfe entbrannt. Das Geräusch von aufeinander schlagenden Waffen, schmerzerfüllte Schreie, Kriegsschreie... Das alles vermischte sich miteinander. Ein Potpourri von gemischten Tönen. Eines wurde mir dadurch deutlich. Die Piraten waren bereits viel zu weit vorgedrungen. Ich zuckte zusammen, als ein Lichtstrahl hell aufblitzte und sich im stetigen Tempo weiter bewegte. Mein Blick glitt gen Himmel und von dort zurück zum Dungeon. Das Licht des Leuchtturms schien heller als in der Nacht zuvor zu sein. Die Sterne funkelten zwar bei klaren Himmel, aber erneut war es das Licht des Dungeons, welches am hellsten erstrahlte. Und gerade jetzt schien es als würde der Dungeon diesen Angriff feiern. Einen Angriff, der weit unter uns, auf den Straßen Bitrouns ausgefochten wurde. Ich richtete meinen Fokus wieder auf den Weg vor uns und sah zu Cassius, der mir signalisierte, dass wir weiter sollten, doch etwas in mir sträubte sich. Dieser ganze Plan zurück zum Gasthof zu gehen und dort noch einige der Waren einzusammeln, schien mir absurd. Fast schon zu ungeplant. „Wir müssen weiter!“ Cassius' Stimme klang eindringlich und sagte mir, dass er keine Widerrede erlaubte. Doch es störte mich etwas. Irgendetwas, dass ich noch nicht richtig in Worte fassen konnte. Und doch überlegte ich, wie ich Cassius sagen konnte, womit ich Probleme hatte. „Wartet! Wir können nicht einfach nur den ganzen Weg über die Dächer zurück. Wir brauchen einen Plan. Wie wir wieder hier runterkommen, wie wir uns gegen die Piraten verteidigen. Diese Blitze vorhin am Hafen... Das sind magische Utensilien. Dagegen sind wir chancenlos.“ Schweigend sah Cassius mich an. Ich wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. „Ich meine, im Gegensatz zu mir, habt Ihr keinen Borg. Wie wollt Ihr euch da verteidigen?“ Mein Blick glitt erneut zu dem Weg, der vor uns lag. Lichtblitze stoben in den Himmel, was seltsam war, denn es waren nicht nur elektrische Lichtblitze. Es war schwer in Worte zu fassen aber die Blitze die am Hafen eingeschlagen waren und jene, die nun gen Himmel stoben, schienen unterschiedlich. Ich erinnerte mich an die Magierin aus dem Teehaus und fragte mich, ob sie hier gegen die Piraten aufbegehrte, oder ob es noch mehr von den Piraten gab. Was, wenn wir in so ein Schlachtfeld kamen? Ich würde Cassius ein Klotz am Bein sein, soviel war mir klar. Zumindest... wenn... Ich sah zu dem Stab, welchen ich immer noch auf dem Rücken trug. Mit ihm hatte ich vielleicht die Macht, dasselbe zu tun, oder auch nicht, wenn man bedachte, dass die Macht eines Zaubers auch von der körperlichen Verfassung des Magiers abhängig war. Und nur weil Ugo mir diesen Körper gegeben hatte, konnte ich nicht davon reden, dass seine Belastbarkeit und Verfassung besser war als mein alter. „Wir müssen weiter...“, sagte Cassius schließlich. Dieses Mal war es mehr als deutlich, dass er keine Widerrede duldete und meine Hilfe für einen Plan B nicht wollte. Selbst, wenn ich nicht wusste, wie mein Plan B ausgesehen hätte. Mir fehlten einfach Informationen. Sicher, ich hielt mich nicht für eine kluge Person, aber ich war ein Mensch, der alle Möglichkeiten wenigstens durchdachte, um einen kleinen Ansatz von einem Plan zu haben. Sonst musste ich befürchten, dass das ganze endete wie in Balbadd bei Kassim und Kouha. Ich war manchmal einfach zu emotional, wenn ich keinen Plan hatte, wenn etwas passierte, dass vollkommen ungeplant kam. Dennoch, Cassius wollte ich nicht länger widersprechen. Immerhin kannte ich sein Temperament. Und das wollte ich nicht jetzt herausfordern. Es wäre der wohl schlechteste Moment dafür. „Schon verstanden...“, murrte ich leise, wenn auch widerwillig und setzte zu einem langsam Lauf an. „Wir sollten dennoch nicht zu viel riskieren.“ Auch wenn mir irgendwo klar war, dass Cassius nicht zu jenen gehörte, die viele Risiken auf sich nahmen, so wollte ich meinen Standpunkt doch klar machen. Nur für den Fall der Fälle.   Noch während ich Cassius über die Dächer in Richtung des Gasthauses folgte, ließ ich meinen Blick schweifen. Die Piraten waren bei ihrem Raubzug wirklich schnell und vor allem waren sie zahlreich, was nicht einmal kämpfende Schatzsucher oder Bewohner ändern konnten. Diese Piraten waren strategisch vielleicht nicht wirklich geplant, aber mit der Anzahl, mit der sie diese Stadt überrannten, brauchten sie auch nicht wirklich eine Strategie. Schwer atmend lief ich Cassius immer noch nach, der sich etwas meinem Tempo angepasst hatte. Ja, Cassius war schnell. So schnell, dass ich nicht mehr daran glaubte, dass er ein normaler Mensch war. Allerdings wollte ich ihn auch nicht darauf ansprechen, zumal ich meine Luft sparen musste, wenn ich trotz seines langsameren Tempos mit ihm Schritt halten wollte. Dennoch, ich ließ mir die Zeit, mir einen Überblick von der Gesamtsituation zu machen. Auch wenn die Gesamtsituation gerade alles andere als zufrieden stellend war. Ich hoffte jedoch inständig, dass Panthea und die Anderen sicher aus diesem gesamten Schlachtfeld gekommen waren und sich auf dem Weg zur nächsten Karawanserei befanden. Sie waren stark. Ohne Frage, aber in dieser Nacht waren sie auch alkoholisiert gewesen. Ich hielt erst wieder inne, als ich gegen Cassius' Arm lief, den er ausgestreckt hielt, um mir zu sagen, dass ich anhalten sollte. Ein „Stopp“ hätte wahrscheinlich besser geholfen, als der Arm, der mich zurück straucheln ließ. „Was ist?“, fragte ich atemlos und folgte dem Fingerzeig Cassius'. Vor uns breitete sich ein wahres Schlachtfeld in einer breiteren Gasse aus. Piraten griffen einige Stadtwachen und Schatzsucher an. Sie waren auch hier zahlenmäßig überlegen. Ich sah, wie Piraten sich Kinder und Frauen schnappten und diese wegzerrten, gefesselt und vor sich her stoßend wie Vieh. Ich spürte wie meine Hände sich zu Fäusten ballten und fragte mich, ob es denn niemanden hier gab, der auch nur irgendetwas ausrichten konnte. Doch plötzlich... Ein Schatten war an einer Wand zu sehen, die von einem Feuer beschienen wurde. Ich erkannte einen Mann, mit einer Lanze. Einer Lanze, die ich zu kennen glaubte und sie schlug einige der Piraten zurück. Mein Blick wandte sich von der beleuchteten Wand ab und ich versuchte ihn unter all den Menschen ihn auszumachen, oder zumindest die Lichtquelle zu finden, was nicht leicht war, da überall Fässer oder Stofffetzen brannten. Jemanden zu erkennen, war einfach unmöglich. Genauso wäre es unmöglich dort durch zu kommen. „Nimm den Stab!“ Ich wandte meinen Blick zu Cassius, fragend und unsicher, ob ich mich nicht vielleicht verhört hatte. „Wie bitte?“ „Ich sagte, nimm den Stab.“ Ich wusste nicht genau, was Cassius nun von mir wollte, ich gehorchte aber und band mir den Stab vom Rücken. Fragend sah ich dennoch zu ihm, denn mir war ehrlich nicht klar, was er nun genau damit bezwecken wollte. „Und nun?“, fragte ich und hörte ein doch schon leicht genervtes Seufzen von Cassius. „Schau hin. Da ist jemand, dem du helfen solltest.“ Erneut sah ich zu der Kampfstätte vor uns und suchte nach bekannten Gesichtern. Es dauerte einige Zeit, doch ich fand ihn schließlich. Den Händler aus Balbadd. Verdammt. Ich hatte ihm versprochen, dass ich ihn mit meinem Leben beschützen würde, wenn wir Cassius' Weg gingen. Bitroun war eine Stätte dieses Weges und gerade jetzt war ich nicht bei ihm, um mein Versprechen einzuhalten. Naja fast nicht. Ich war schon da, nur nicht gerade in Reichweite, um mich mit meinem Borg zwischen ihn und dem Pack Piraten zu werfen, die mit gezückten Dolchen auf ihn zugingen. 'Kann uns doch egal sein... Er hat es verdient', hörte ich eine der Stimmen in meinem Kopf und nur kurz war ich der Meinung, dass ich wirklich einfach nur zusehen sollte, wie man ihm die Kehle durchschnitt und das Objekt, welches er fest umklammert hielt, als wäre es sein Leben wert, aus den kalten toten Händen riss. 'Es könnte uns egal sein, richtig. Aber... Das würden wir ein Leben lang bereuen.' Eine weitere Stimme meldete sich. Meine Vernunft. Und sie hatte verdammt noch einmal Recht. „Nur was soll ich tun?“, flüsterte ich leise, den Stab fester umklammernd. Ja, was sollte ich tun? „Aufhören dich zu verleugnen und dir endlich eingestehen, dass du eine Magierin bist. Du kannst ihn so retten.“ Ich sah zu Cassius, der mich ernst ansah. Ihm war hoffentlich schon klar, dass ich uns verraten würde, wenn ich einen Zauber sprach. Doch scheinbar war ihm das für den Moment nicht wichtig. Zumindest nicht, solange ich mein Versprechen hielt. „Ich kann es versuchen...“, antworte ich. Nicht wissend, ob das überhaupt in dieser Entfernung funktionieren würde. Wäre ich ein Magi gewesen, hätte ich mir nun wohl keine Sorgen machen müssen. Doch ich war, wenn es stimmte, nur eine einfache Magierin. Eine einfache Magierin mit... „Schwarzen Rukh...“, flüsterte ich und erinnerte mich daran, was ich mal im Magi Fandom aufgeschnappt hatte. Und wie von selbst schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ich musste nicht zweifeln, auch wenn ich vielleicht eine einfache Magierin war. Selbst wenn mich eine gewisse Eigenschaft zu einer der Bösen machte. „Dann machen wir endlich mal etwas Feuer“, sagte ich leise, ohne mir selbst im Klaren zu sein, dass ich es wirklich laut ausgesprochen hatte. Es hätte genauso gut ein Gedanke, oder einer meiner Stimmen sein können. Dass ich es ernst meinte, wurde nur deutlich, als ich mit dem Stab auf die Angreifer des Händlers zielte und an den einzigen Zauber dachte, der mir seit seinem Erhalt in Gedanken spukte. „Har Har Infigar!“ Der Alexandrit leuchtete blutrot auf, als die Flammen an ihm zu züngeln begannen und sich schließlich von diesem lösten um auf ihre Ziele zu schossen. Mit ein wenig Unglauben sah ich wie die Flammen loderten, hörte die Schreie der Piraten, deren Sachen in Flammen standen und innerlich hoffte ich, dass sie überlebten. Auch wenn der Feuerangriff nicht die Stärke von Aladdins Zaubern entsprochen hatte, sie waren stark genug um bis zu den Männern zu reichen und sie genug abzulenken um den Händler von Balbadd die Flucht zu ermöglichen. Ich sah auch das Grinsen auf seinem Gesicht, als die Kleidung der Männer in Flammen aufging und er sich noch rechtzeitig an ihnen vorbei drängte, bevor die Flammen mehr zu lodern begannen. „Hier lang!“ Es brauchte einen Moment, bevor ich realisierte, dass Cassius mich am Handgelenk gegriffen hatte und weg von diesem Ausblick auf das Schlachtfeld zerrte. Ich hörte noch die wütenden Rufe der Piraten, die fragten, wo das hergekommen war und die Antwort, dass man die Dächer vermutete. Genau deswegen war es nun wichtig, dass wir so schnell wie möglich von hier weg kamen. Dennoch, ich konnte meinen Blick nicht von dem Kampfgemetzel wenden, oder von den brennenden Piraten.   Es war nun schwerer die Dächer als Fluchtroute zu nutzen. Meine Aktion um den Händler aus Balbadd zu retten, hatte doch schon genug Aufsehen erregt, so dass die Piraten via Zurufe vor möglichen Angreifern auf den Dächern warnten. Sie sahen nun auch nach oben und entdeckten Cassius und mich hin und wieder, was ich nur dadurch bemerkte, dass Lichtblitze gegen das Gestein der Häuser schlugen. Nicht so mächtig wie die am Hafen, aber dennoch effektiv genug um unerwünschte Angreifer von Dächern zu holen. Gleichzeitig fragte ich mich, ob ihnen vielleicht das Magoi ausging. Möglich wäre es, denn der Angriff ging schon einige Zeit und mit Sicherheit hatten die Piraten einiges an magischen Angriffen benutzt. „Wir müssen hier runter“, verkündete Cassius plötzlich und hielt inne. Entsetzt sah ich ihn an, denn wir waren nicht einmal ansatzweise nahe des Gasthauses. Durch meinen Angriff und ersten Zauber hatten wir einen etwas größeren Umweg machen müssen, der mir ehrlich gesagt alles andere als geschmeckt hatte. Unsere Probleme hatten wir damit auch nicht abgeschüttelt. „Was meinst du mit: 'Wir müssen hier runter'?“, fragte ich entsetzt, merkte aber schnell, dass Cassius erneut nicht bereit dafür war zu diskutieren. Ich zuckte zusammen, als erneut ein Blitz in das Gemäuer der Dächer einschlug und ich die Vibration nur zu deutlich unter meinen Füßen spüren konnte. Immer noch war dieser Angriff schwächer als das vom Hafen, doch stärker als die anderen, während unserer Flucht. „Da sind sie, ich habe sie!“, hörte ich die Rufe und der Angstschweiß brach bei mir aus. Ich traute mich gar nicht aufzusehen, denn ich sah bereits, wie uns Lichtblitze entgegen zuckten. Mein Blick glitt zurück, dahin, von wo wir gekommen waren und erkannte schon einen Trupp Piraten, der uns wahrscheinlich schon länger auf den Fersen war. Hatte Cassius das gewusst? Ich sah zu dem Weg, der vor uns lag. Auch hier waren in einiger Entfernung Silhouetten von Menschen, vermutlich ebenfalls Piraten. Entsetzt sah ich Cassius an, denn wir waren damit in der Falle. Unter uns waren Piraten mit magischen Waffen, hinter uns welche mit Säbeln und vor uns lag genau dasselbe. „Mach schon!“ Ich hatte Cassius schon beim ersten Mal richtig verstanden, doch ich fragte mich wie wir hier runterkommen wollten, ohne das wir gegrillt wurden. „Wie?“, fragte ich daher, hoffend dass Cassius im Gegensatz zu mir einen Plan hatte. Doch statt mir zu antworten, packte er mich, zog sich an sich und sprang vom Dach. Entsetzt klammere ich mich an Cassius, sah mein Leben, neben den Lichtblitzen, die auf meinen Borg schlugen, an mir vorbeiziehen. Ich war mir erst sicher noch zu leben, als Cassius mich sicher am Boden absetzt. Die Frage war nur wie lange dieser Zustand anhalten würde, denn vor uns waren Piraten, über uns waren welche und einfach überall waren sie. Cassius ließ von mir ab und zog sein Schwert, schneller als ich gucken konnte und lief auf die Piraten zu, die ebenso überrascht von seine Geschwindigkeit schienen. Sie schienen chancenlos zu sein, als er uns den Weg frei räumte und einen nach dem anderen entwaffnete. Erneut konnte ich seine unglaubliche Schnelligkeit nur bewundern. Ich meine, er war jetzt nicht Barry Allen, aber dennoch schnell genug, um mir erneut deutlich zu zeigen, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Etwas, dass mir wahrscheinlich schon viel früher hätte auffallen müssen, da all die Ereignisse bisher doch schon sehr dafür gesprochen hatten. Er und Varius... „Hier lang!“ Ich hatte gar nicht die Zeit meine Gedanken zu ordnen, denn Cassius befehligte mich bereits, ihm wieder zu folgen. Die Gassen entlang. Ich zögerte nicht, denn ich war nicht scharf darauf, erneut den Zauberstab und Har Har Infigar benutzen zu müssen. Selbst, wenn ich nun auch so etwas wie eine Sicherheit besaß, dass ich eine Magierin war. In Zukunft, sollte ich hier jemals lebend raus kommen und auf andere Magier treffen, würde ich mir also ein paar Zauber anlernen. Vielleicht sogar den ein oder anderen von Yamraiha. Auch wenn ich den Gebäuden nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit schenkte, bemerkte ich, wie nahe wir dem Gasthaus und vor allem dem Marktplatz waren. Der Gedanke, das aus dem bunten, regen Treiben ein blutiges geworden war, schnürte mir allerdings den Magen zu. Es gab eben Dinge, an die man sich nie gewöhnen würde, und so etwas in der Realität zu sehen, in meiner neuen Realität, gehörte definitiv auf Platz eins. Abgesehen von Magie, aber für die war ich schon mit 14 sehr affin gewesen und hatte einige Bücher über weiße Magie im Regal stehen. Gott, man würde mich sicher zweiteilen. Schließlich kam jeder Zauber laut einer Regel in diesen Büchern, dreifach auf einen selbst zurück. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie das bei mir aussehen würde. Nein, es war besser gar nicht daran zu denken, sondern mich einfach auf die Flucht zu konzentrieren. Ich gab alles, was meine Beine trotz dem Brennen der Muskeln noch hergaben. Es gelang mir so, etwas zu Cassius aufzuschließen und ihn nicht aus den Augen zu verlieren, als er die letzte Abbiegung nahm und wir auf dem offenen Marktplatz kamen. Wie ich es mir gedacht hatte, waren die Kämpfe hier scheinbar wesentlich heftiger ausgetragen worden. Doch sie waren vorbei. Lediglich eine Hand voll Leichen und zerstörten Ständen, welche teils selbst noch in Flammen standen, zeigten wie hier gewütet worden war. Ich versuchte nicht hinzusehen und den Geruch des Blutes, welches die Luft erfüllte, zu ignorieren. Etwas das fast unmöglich war, denn der Geruch war so penetrant, dass mein Magen rebellierte. Alle meine Sinne schrien danach von hier zu flüchten, selbst wenn keine Kämpfe mehr ausgefochten wurden, doch ich hörte bereits Schritte hinter uns. Sie hatten es wirklich geschafft, mit uns mit zuhalten. Kein Wunder eigentlich, denn Cassius hatte sich meinem Tempo einigermaßen angepasst und ich selbst war nicht sonderlich schnell. Ohne mich hätte Cassius es wahrscheinlich schon längst aus der Stadt geschafft, dass wusste er sicher auch, und doch war er das Risiko eingegangen. Und nicht nur dieses, auch die Tatsache, dass ich mein Versprechen dem balbaddischen Händler gegenüber gehalten hatte, war ihm zu verdanken. „Und hier endet eure Flucht...“ Wir waren gerade in der Mitte des Marktplatzes angekommen, als eine weibliche Stimme, scheinbar vom Wind getragen überall an den Wänden abprallte und zu unseren Ohren vordrang. Als wäre sie eine Vereinigung mit den Schatten eingegangen, trat sie aus dem Dunkel einer Seitengasse und grinste uns hämisch entgegen. Die Goldketten um ihren schmalen Handgelenken klimperten bei jedem Schritt, den sie tat, und im selben Takt schaukelten die großen, goldenen Ohrringe an ihren Ohrläppchen. Die dunkelblaue Farbe ihrer Hose schien schwärzer und blasser als sie einst gewesen war. Ebenso das weiße Oberteil, auf dem goldene Stickereien waren. Das Hemd war ergraut, zerschlissen und zeugte von vielen Reisen, doch es hatte nichts von seinem adligen Flair verloren. Vielleicht lag es an dem Umhang, der ihre Schultern bedeckte und dessen Innerer Saum Purpurn war. Doch egal wie zerschlissen ihre Sachen wirkten, sie erschien wie eine Crossdressing-Prinzessin, mit all dem Gold, dass um ihrer unbedeckten Haut hing, war das kein Wunder. Wahrscheinlich war selbst ihr Nasenpiercing aus echtem Gold und der Zopfhalter, der ihr dunkles, lockiges Haar zusammenhielt, mit echten Perlen besetzt. Wenn das echte Orient-Perlen waren, dann ja, war sie wohl eine Prinzessin, die gerade sehr teure Kleidung auf einem Schlachtfeld spazieren führte. „Cassius... ich glaube nicht, dass sie zu den Guten gehört...“, flüsterte ich leise und sah hinter uns, wo bereits unsere Verfolger näher rückten. Cassius hingegen fixierte ernst die Frau, welche sich mit einigen Metern Abstand vor uns platziert. Doch sie war nicht allein, denn aus den Schatten der Gassen kamen bereits weitere Piraten. Als hätten sie hier auf uns gewartet. „Halte dich bereit“, raunte Cassius mir zu und machte sich bereit anzugreifen. Das las ich zumindest aus seine Haltung heraus. Er war bereit loszustürmen und die Hindernisse aus dem Weg zu räumen. So wie er es zuvor schon getan hatte. „Ikram, das sind die beiden. Sie haben versucht über die Dächer aus der Stadt zu kommen außerdem...“ Einer der Männer, der die Piratenprinzessin zu begleiten schien, war näher zu ihr herangetreten und sah zu uns. „Der Junge ist unglaublich schnell“, setzte er fort und das Lächeln der Prinzessin wurde noch breiter. „Keine Sorge, er ist vielleicht schnell, aber auch er wird müde. Schnappt ihr euch das Mädchen, ich kümmere mich um den Reimer.“ Sie schien sich ihrer Sache wirklich sicher zu sein, denn sie zog ihren Säbel, der sich auf den ersten Blick nicht von den anderen ihrer Begleiter unterschied. Wenn sie sich wirklich so sicher war, dass sie Cassius besiegen konnte, dann musste sie wirklich gut sein. Etwas, das ich für unmöglich hielt, denn selbst wenn Cassius nicht zu den besten Schwertkämpfern gehören sollte, so machte seine unmenschliche Schnelligkeit doch schon einiges wett. Woher nahm sie also ihre Sicherheit? „Wenn du eine Lücke siehst... Lauf.“ Fassungslos sah ich zu Cassius, der scheinbar allen ernstes vor hatte, sich hier den Weg frei zu prügeln. Alleine. Der Gedanke, dass ich ganz alleine da durch kommen sollte, schmeckte mir nicht, schon gar nicht, weil ich Cassius noch das ein oder andere Leben von mir schuldig war. Doch in Anbetracht der Überzahl hier, wäre es ein Wunder, wenn auch nur einer von uns beiden überlebte. Und wenn ich ehrlich war, verlangte mein Überlebensinstinkt danach, dieser Überlebende zu sein. Die Piratenprinzessin hingegen schien immer noch sicher zu sein, dass keiner von uns entkommen würde. Sie hob ihren Arm mit dem Säbel und ließ ihn wie ein Signal wieder runtersausen, so dass er auf uns verwies. „Angriff!“, befahl sie mit kräftiger Stimme und sofort stürzten sich die Piraten auf uns. Als hätte Cassius dies auch als seinen eigenen Befehl gesehen stürmte er voran und räumte sich mit wenigen Schlägen seinen Weg zu der Piratin frei, die ihn mit einem Lächeln begrüßte. Ich hatte allerdings keine Zeit mich darauf zu konzentrieren, wie dieser Kampf verlief, denn gerade hingen mir ein paar Piraten im wahrsten Sinne des Wortes im Nacken. Selbst mit dem Stab wusste ich nicht, ob ich noch einmal zaubern wollte. Andererseits, war dies wohl eine jener Situationen, in denen es besser war, das eigene Leben mehr wert zu schätzen als das der Anderen. Und wahrscheinlich war der Zauber die einzige Chance, wie ich das bewerkstelligen konnte. Im Gegensatz zu anderen Gruppenmitgliedern von Cassius war ich eben nicht für den Kampf geeignet und doch, aufgeben war auch für mich keine Option.   Es stellte sich heraus, dass der Stab die wesentlich bequemere Waffe zum kämpfen für mich war als der Dolch. Ich konnte ohne Probleme die Säbelhiebe der Piraten abblocken, entschuldigte mich aber geistig bei Nel für jede Kerbe die er später vielleicht haben würde. Noch dazu war es mit dem Stab einfach jemanden nur außer Gefecht zu setzen, ohne ihn gleich zu töten. Ich konnte also einiges von Varius und Tiberius Training nutzen. Blocken und Angreifen, dass war meine Strategie, auch wenn ich in Sachen Zaubern wohl wesentlich effektiver hätte handeln können. Die Gefahr, dass ich aber einigen Piraten das Licht ausknipste, war mir zu groß. „Schnappt sie euch endlich!“ Da die Piraten bemerkt hatten, dass es wenig Sinn machte, mich einzeln anzugreifen, sammelten sie sich nun und kreisten mich im wahrsten Sinne des Wortes ein. Ich klammerte mich an den Stab, wartend, wer von ihnen zuerst zuschlagen würde. Und ehrlich, es sah gar nicht gut aus, denn es waren drei der Männer, die zeitgleich ihre Säbel hoben. Auch wenn Tiberius gesagt hatte, dass ich nicht zu viel nachdenken sollte, ratterte es in meinem Kopf, wie ich diesem Angriff ausweichen konnte. Blocken war unmöglich, dass hielt der Stab sicher nicht aus, allerdings konnte ich zeitgleich vielleicht ebenfalls angreifen, auch wenn ich nicht wusste, ob mein Borg das mitmachte. Konnte man überhaupt angreifen, während gefährliche Waffen auf den Borg trafen? Ich war mir nicht sicher und hatte eindeutig zu wenige Erfahrungen. Ich merkte, dass ich viel zu lange mit meinen Überlegungen verbrachte hatte, als die drei Klingen der Säbel auf mich runtersausten. Panisch schloss ich die Augen, klammerte den Stab an mich, doch ich hörte nur einen Schlag. Nur eine Klinge war auf den Borg aufgeprallt. Vorsichtig sah ich auf und erkannte, wie einer meiner Angreifer von mir als Ziel abgesehen und stattdessen einen der anderen den Säbel durch die Brust gebohrt hatte. Ich war nicht die einzige, die ihn fassungslos ansah, denn auch die anderen blickten ihn entgeistert an. „Du hast mir also meinen Anteil gestohlen!“, schrie er plötzlich los und rammte seinen Säbel nur noch tiefer in die Brust seines Kumpanen, der sich etwas nach vorne hängen ließ und würgte. Wenn er das Herz nicht getroffen hatte, dann wahrscheinlich die Lunge. Er würde verbluten, innerlich. Oder am eigenen Blut ersticken. Ein grausiger Gedanke. „Und ihr habt mich alle belogen! Ich habe meinen Bruder wegen dieser Lügen umgebracht.“ Er zog den Säbel aus dem Körper seines Kumpanen und wandte sich zu jenen um, die neben ihm standen und immer noch nicht verstanden, was mit ihm los war. Auch mir war das nicht klar, denn dieser Sinneswandel war doch etwas plötzlich und unpassend. Er stürzte sich auf einen weiteren Kumpan, der ihn versuchte, mit aller Kraft zurück zu halten. Dieses Mal, bekam der Angegriffene aber Hilfe von seinen Kameraden, die an ihm zerrten und ihn nun mit ihren Säbeln angriffen. Scheinbar war egal, ob sie ihn lebendig von ihren Kameraden bekamen, oder tot. Es war der richtige Zeit um diese Unaufmerksamkeit zu nutzen und zu fliehen, doch irgendwie war mir nicht wohl dabei, ohne Cassius zu gehen. Dieser kämpfte immer noch gegen die Piratenprinzessin, welche seine Schläge auf eine seltsame Art und Weise parierte. „Träumt nicht und lauft weg!“, hörte ich es plötzlich über mir. Ich hob meinen Kopf und da war sie. Wie hätte sie nicht erkennen sollen? Dieser Spitzhut, dieser goldene Stab auf dem sie flog und an dem Ringe hingen, wahrscheinlich als Verzierung. „Lange hält der Zauber nicht!“, rief sie mir zu und als hätte sie damit etwas unausweichliches beschworen, schnaubte der Mann, der sich vor wenigen Sekunden noch gegen seine Kameraden gewandt hatte, auf und ließ seinen Dolch fallen. Er hielt sich den Kopf, als würde er Qualen leiden weil etwas darin wütete, dass er mit seinem Wissen nicht erfassen konnte. Zauberei also... Nur wie hatte sie das gemacht? „Da ist noch eine Hexe!“, rief einer der Piraten plötzlich und zielte mit etwas, dass stark nach einem magischen Utensil aussah, auf meine Retterin. Auch wenn mir bewusst war, dass ihr Borg sie vielleicht beschützen würde, zielte ich mit dem Stab auf ihn. „Har Har Infigar!“ Wie schon auf dem Dach entließ der Stab ein Feuer, welches auf den Piraten zu schoss. Doch anders als beim ersten Mal, hatte ich nicht auf den Menschen gezielt, sondern auf den Gegenstand in seiner Hand. Da ich auch näher stand, traf die Wucht heftiger als bei meinem ersten Zauber, so dass ihm die Waffe aus der Hand fiel, die ebenfalls mit den Flammen in Berührung kam, weswegen der Pirat sie sich unter Schreien hielt. „Tschuldigung“, rutschte es mir leise heraus, bereute aber diese Entschuldigung sofort wieder, als der Pirat zu mir aufsah und mich wütend fixierte. „Holt diese Hexe da runter, ich kümmere mich um diese hier.“ Als würde es sie nicht stören, dass sie nun ebenfalls auf der Abschussliste der Piraten stand, kam die Magierin aus dem Teehaus von ihrer schützenden Höhe hinab und machte sich an meiner Seite zum Kampf bereit. „Wie man sieht, funktioniert das doch mit dem Zaubern. Ihr seid also ein roter Magier?“, fragte sie, wobei ich mir sicher war, das mein Angriff sie in die Irre geleitet hatte. „Nicht das ich wüsste. Es ist lediglich der einzige Zauber, der mir bekannt ist, weil ich ihn schon häufiger gehört habe.“ Es war seltsam, das ich mich gerade jetzt mit der Magierin unterhielt, obwohl wir andere Probleme hatten. Dennoch wehrte ich meinen Angreifer ab und sie wandte einige Kombinationszauber an, von denen ich nicht einmal wusste, was es für welche waren, um ihre Angreifer fern zu halten. Dass sie Ahnung von Magie hatte, zeigte sich deutlich an der Vielfalt die sie sprechen konnte. „Wie finde ich denn raus, was für ein Typ ich bin? Ich meine abgesehen von magischen Utensilien, die das deutlich anzeigen.“ Es war wirklich eine Frage, die mich im wahrsten Sinne des Wortes brennend interessierte. Immerhin konnte ich so vielleicht noch andere Zauber erfahren, die nicht ganz so heiß waren und andere verbrutzelten. Klangmagie wäre da doch schon ein schöner Anfang gewesen. Zumindest dachte ich mir das, als der Säbel des Piraten wieder auf den Stab aufkam und dabei einen hölzernen Laut von sich gab. Die Ringe der Magierin, die nicht unweit von mir kämpfte, klapperten hingegen bei jeder Bewegung die sie machte um ihre Zauber zu koordinieren. „Fragt die Rukh!“, rief sie mir inmitten einer Bewegung zu und ich verdrehte die Augen. Klar, die Rukh hatten ja auch schon soviel mit mir kommuniziert. Abgesehen von meinem Job bei Assad hatten sie mir bislang nicht viel gezwitschert. „Wenn Ihr mir verratet, wie man mit den Rukh spricht, werde ich das sicher tun.“ Wahrscheinlich war die Antwort auf meine Frage einfach wie simpel. Für Magier. Schließlich sahen sich diverse Magier da draußen als Sprachrohr für die Rukh. Sicherlich war die Antwort auch einfach. Zu einfach für mich um es auch nur ansatzweise zu schaffen. „Konzentriert euch auf die Rukh und lauscht ihren Worten.“ Mir wäre beinahe ein herzloses Lachen über die Lippen gekommen. Klar. Ich würde den Worten von leuchtenden Vögeln lauschen. Das konnte ich wahrscheinlich genauso gut, wie mit dem Herzen zu hören, wie es Großmutter Weide Pocahontas angeraten hatte. „Dann werde ich die Rukh wohl später mal zum Essen einladen, wenn der Zeitpunkt besser ist“, gab ich unbedacht von mir während ich dem Piraten auswich und die Spitze des Stabes, jene mit dem Stein, in die Magengegend stoßen wollte. Er erkannte aber meinen viel zu langsamen Angriff und packte mit beiden Händen zu, wobei er das Gesicht verzerrte, da er immer noch diese Verbrennung an der Hand hatte. „Hab ich dich, Hexe.“ Ich zog an dem Stab und versuchte so, mich von dem Piraten loszureißen, doch er war um einiges stärker als ich. Mit körperlichen Mitteln würde ich also nicht weiterkommen. Und der Feuerzauber würde, mit viel Pech auf mich umschlagen. Ich brauchte also ganz schnell eine Lösung für dieses Problem. 'Mögen die Rukh mit uns sein', wisperte eine der Stimmen in meinem Kopf. Denkbar schlechtester Zeitpunkt, wenn ich das mal so sagen durfte. 'Verbrenn ihn!', forderte eine andere, doch ich schüttelte den Kopf, was den Piraten einen kurzen Moment aus der Fassung brachte. Just in diesem Moment sah ich vor meinem inneren Auge ein Bild. Ein heller Strahl, wie ein Blitz ging auf die Erde hinab. Ich hörte eine Stimme flüstern. Eine Stimme die ich nicht kannte, aber ich wusste, was für ein Wort sie mir sagte. „Flash?“, kam es mir zweifelnd aber wie von selbst über die Lippen. Als hätte der Stab nur auf einen Befehl gewartet, glühte dieser auf und ein mächtiger Lichtstrahl schleuderte den Piraten von mir weg. 'Au... das tut sicher morgen noch weh', wisperte mir eine meiner Stimmen zu und ich musste ihr recht geben, denn der Flug gegen die Mauer, sah alles andere als sanft aus. Zumindest tat mir mein Rücken schon vom Hinsehen weh und selbst als ärztlicher Laie konnte ich sehen, oder hören wie ein paar Knochen bei dem Aufprall brachen. „Scheint als wärt Ihr ein oranger Magier“, kommentierte die Magierin meinen Zauber. Wenn man es recht bedachte, hatte sie Recht. Mein Feuerzauber war nicht ganz so mächtig gewesen und es hatte sich auch anders angefühlt, ihn zu sprechen. Aber dieser Zauber, er hatte sich angefühlt als sei er ein Teil von mir gewesen. Von meinem Geist und meiner Seele. „Ja, scheint so. Keine Ahnung was man damit machen kann, aber der Zauber hat reingehauen.“ Ich log nicht einmal. Dank Magi hatte ich ja schon einiges an Zauber gesehen. Bevorzugt, Eis, Feuer und Wasser. Lichtmagie, oder war das Blitzmagie, war da eher seltener aufgetaucht. Dennoch, mit zwei Zaubern konnte man nun variieren und hoffentlich die Situation zum Guten wenden.   Auch wenn unsere Kampfkraft als Magier wirklich unmenschlich war, in gewisser Weise, spürten die Magierin aus dem Teehaus und ich, wie uns allmählich die Kraft verließ. Auch wenn es zu Beginn gut ausgesehen hatten, so war die Verstärkung, welche für die Piraten gekommen war, übermächtig. „Das nimmt hier scheinbar kein Ende... Wie sieht es mit eurem Freund aus?“ Cassius, den hatte ich im Eifer des Gefechtes fast vergessen. Es war auch schwer sich auf ihn zu konzentrieren und auf mich. So multitaskingfähig war ich nun doch nicht. Vorsichtig riskierte ich einen Blick in die Richtung, in der ich Cassius und die Piratenprinzessin zuletzt gesehen hatte. Wenn ich es richtig sah, hatte er an Tempo eingebüßt und doch setzte er einen Schlag nach dem anderen nach. Die Prinzessin hingegen blockte immer noch so seltsam mit ihrem Säbel. Wobei sie nicht einmal zu blocken schien. Seine Angriffe wurden, so sah es zumindest aus, umgelenkt. „Irgendetwas stimmt nicht. Und ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.“ In mir machte sich der Drang breit Cassius zu unterstützen, aber ich hatte ja selbst alle Hände voll zu tun. Die Lage schien damit aussichtslos. Die einzige, die hier wahrscheinlich noch heil herauskommen konnte, war sie, die Teemagierin. Immerhin war sie diejenige, die auf ihrem Stab fliegen konnte. Die Frage war nur, wie man sie vom Schlachtfeld bekommen würde, ohne dass die Piraten ihr etwas antaten. „Frau Magierin...“, setzte ich an. „Cassandra“, antworte sie und ich sah sie überrascht an. Schon eine seltsame Art den Namen von einer Person zu erfahren. Aber es war besser als sie Teemagierin oder Frau Magierin zu nennen. Wesentlich besser. „Cassandra, sehr erfreut. Ich bin Erenya. Es gibt vielleicht eine Möglichkeit. Hier in Bitroun laufen ein Paar von unseren Gefährten herum und außerdem glaube ich, einen General aus Sindria gesehen zu haben. Wenn Sie diese Leute finden und zu uns oder zum Hafen führen, könnte man diese Piraten noch aufhalten.“ Nun war sie es, die mich überrascht ansah, als sie realisierte, was ich da gerade gesagt hatte. Ihre Überraschung hinderte sie aber nicht daran mit einem Gravitationszauber das Bruchstück eines Holzfasses schweben zu lassen und gegen einen Piraten zu schleudern. „Ich soll euch im Stich lassen?“, fragte sie ein wenig entsetzt, doch ich schüttelte mit dem Kopf, während ich meinen Stab auf einen Mann richtete und meinen neuen Lieblingszauber sprach. „Flash! Nein. Nicht im Stich lassen. Hilfe holen. Und ihr solltet euch beeilen, bevor euch das Magoi ausgeht. Der General aus Sindria ist übrigens der mit der großen Lanze. Ziemlich unscheinbar der Junge, aber im Kampf kann man ihn nicht übersehen. Holt einfach alle her.“ Ich hoffte zumindest, dass die Karawane noch in der Stadt war, zumindest einige von ihnen. „Ich werde sie ablenken und Ihr flieht.“ Als ob ich meine Worte unterstreichen wollte, holte ich mich dem Stab aus aus und bewegte ihn von Gegner zu Gegner, während ich Flash benutzte um sie auf Abstand zu bekommen. Mit diesem Angriff würde ich das für einige Zeit sicher schaffen. Cassandra verstand das und machte sich sofort bereit mit ihrem Stab und der Hilfe eines Levitationszaubers. Ich lächelte sie an und nickte, hoffend, dass wir einander wiedersehen würden. Dann könnte ich mich bei ihr bedanken, schließlich hatte sie mir das Leben gerettet und noch dazu dafür gesorgt, dass ich meinen ersten richtigen Zauber gelernt hatte. Die Piraten waren bei weitem nicht so dumm wie sie aussahen. Sie merkten schnell, dass Cassandra vom Schlachtfeld fliehen wollte und stürzten auf sie zu, obwohl sie noch nicht einmal die richtige Höhe für eine Flucht erreicht hatte. Ich musste sie aufhalten, wenn ich nicht wollte, dass unsere einzige Rettungsleine riss. „Flash!“ Mit einem erneuten Lichtstrahl, schleuderte ich die Angreifer Cassandras zurück. Sie nutzte diese Chance um genug Höhe zu bekommen und so aus der Reichweite unserer Angreifer zu gelangen. Erleichtert sah ich, wie sie mit ihrem Stab vom Marktplatz flog, konzentrierte mich aber schnell auf die Piraten, von denen einige sich schon wieder aufrappelten. Nun waren wir wirklich zahlenmäßig unterlegen, Cassius und ich. Auch wenn Cassius immer noch mit der Piratenprinzessin kämpfte. „Ich glaube es reicht langsam.“ Als hätte sie meine Gedanken gelesen, ertönte die Stimme der Prinzessin und mein Blick wandte sich zu ihr, was ich nur der Tatsache verdankte, dass auch ihre Schergen inne hielten. Was ich sah, gefiel mir gar nicht. Sie hatte Cassius in die Knie gezwungen und hielt ihm ihren Säbel bedrohlich an die Kehle. Ich sah wie Cassius dagegen aufbegehrte, doch der Kampf schien ihn stark ermüdete zu haben. Seine Bewegungen waren langsamer und steifer, fast so als hielte ihn eine unsichtbare Macht. Das war in der Tat ein ungewohnter Anblick. „Du da, Hexe, ergib dich, oder deinem Fanalis-Freund hier wird es leid tun.“ Ich ignorierte einfach mal die Tatsache, dass sie Cassius als Fanalis bezeichnete und damit wohl schneller auf den Trichter seiner Abstammung gekommen war, als ich. Wirklich, mich hatte diese Feststellung einige Tage und ein Schlachtfeld gekostet. Wichtig war gerade nur, dass sie Cassius in der Hand hatte. „Erledige sie und lauf!“, hörte ich Cassius noch hervorwürgen. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass er mir schon ein paar mal den Allerwertesten gerettet hatte, konnte ich nicht einfach so laufen. Nicht ohne Cassius, was würden sonst die Anderen von mir halten? Die Frage war nur, wie ich im Alleingang eine Gruppe Piraten und deren Prinzessin erledigen wollte. Mit Sicherheit würden sie nicht auf einen Bluff reagieren, so wie es Kassim getan hatte. Zu dem Zeitpunkt waren die Karten zwar nicht besser verteilt gewesen, aber ich schätzte die Prinzessin als ein anderes Kaliber ein, als Kassim. Was aber, wenn sie bluffte? Wenn sie gar nicht vor hatte Cassius zu ermorden. Sie hätte es sicher schon getan. Wenn diese Piraten dieselben waren, die auch schon die eine Reisegruppe auf unserem Weg angegriffen hatten, dann würde sie doch weder Cassius noch mich verschonen. Schließlich waren auch bei der Reisegruppe alle kampftüchtigen Personen und der Sklavenjunge getötet worden. Der einzige Grund warum sie uns verschonen würden, wäre die Tatsache das wir so etwas wie einen gegenständlichen Wert besaßen und wenn das so war, dann konnte ich ohne Bedenken angreifen, denn dann würde sie Cassius nichts tun. Doch wollte ich das riskieren? Selbst wenn Cassius es gut heißen würde, konnte ich so mit seinem Leben spielen? Ich sah zweifelnd zu Cassius, sein Blick sprach eine eindeutige Sprache. Er wollte, dass ich floh und diese Piraten noch zurückschlug. Es war damit eindeutig, was ich tun würde. Jeder aus meiner Welt der mich kannte, wusste, was das war. Ich streckte den Stab den Piraten entgegen, die meine Geste schon jetzt als Angriff sahen und zurückschreckten. Immerhin durch den Schmerzen hatten sie gelernt, dass meine Anwesenheit mit Vorsicht zu genießen war. Dass sie mit dieser Vorsicht gerade falsch lagen, begriffen sie erst, als ich den Stab fallen ließ. Cassius Leben war niemals weniger wert als meine Freiheit. Selbst wenn die Piratenprinzessin bluffte und Cassius dennoch am Leben gelassen hätte, ich wollte es einfach nicht riskieren. Dafür hatte ich zu wenig Informationen über sie und ihre Bande. „Ich gebe auf.“ Es widerstrebte mir, diese Worte wirklich laut auszusprechen, besonders nachdem sich zwei der Männer förmlich auf mich stürzten, um mir Hände und Füße zu fesseln. Dasselbe taten sie auch bei Cassius, der von der Piratenprinzessin in Schach gehalten wurde. Auch wenn er sich gegen sie aufbegehrte, spürte ich, wie sein wütender Blick auf mir ruhte. Vielleicht würde er nicht verstehen können, warum ich das tat und vielleicht würde er auch nie wieder mit mir reden, nicht dass er das vorher oft getan hätte. „Also schön, bringt sie zum Hafen. Achtet darauf, dass sie nicht entkommen. Nehmt ihre Waffen mit und schaut nach, ob sie noch welche bei sich tragen.“ Da Cassius gut verschnürrt war und ich keine weitere Gegenwehr zu leisten schien, wandte sich Ikram von ihren Piraten ab und ging zurück in die Gasse aus der sie gekommen war. Es schien sie nicht einmal zu interessieren, ob ihre Männer es mit uns zurück schafften, vielleicht war sie sich dessen aber auch zu sicher.   Da ich mit gefesselten Füßen nicht laufen konnte, hatte mich einer der Piraten über seine Schulter geworfen als sei ich ein Sack. Mal davon abgesehen, dass seine Schulter unbequem war und bei Cassius selbst jetzt noch die größere Gefahr einer Flucht bestand. Obwohl er genauso gefesselt war wie ich, brauchte es zwei Männer, die ihn trugen und selbst diese hatten Probleme ihn zu halten. Ich fragte mich kurz, ob ich vielleicht zu wenig Gegenwehr leistete. Es war an sich schon seltsam, wie ruhig ich blieb, obwohl mich diese Gefangenschaft doch schon sehr in meinen Plänen zurück warf. 'So kommst du nicht nach Sindria, schon vergessen?', fragte eine meiner Stimmen und ich wusste, dass sie Recht hatte. Doch sollte ich mich wirklich wehren und dabei riskieren, dass sie Cassius etwas taten? Würden sie das tun, hätte ich den anderen noch weniger unter die Augen treten können als zuvor. Sicher hätten mir die Mitglieder der Karawane das übel genommen. Für sie hätte es dann so ausgesehen, dass ich nicht versucht hatte, ihren Karawanenleiter zu beschützen. Selbst, wenn sie wussten, dass meine Kampferfahrung gleich null war und ich mich für eine Schlacht nicht sonderlich eignete. Als Bodyguard wäre ich hier also durchgefallen. Alles, was ich da noch tun konnte, war mit diesen Piraten zu kooperieren, für den Moment. Richtig, ich hatte nicht vor, lange bei den Piraten zu bleiben. Wenn sie uns irgendwo einsperrten, konnten wir sicher auch fliehen. In meinem Kopf bildete sich bereits ein Plan. Sicher, wir waren gefesselt, aber die Art wie sie mich gefesselt hatten, wie ich es ihnen nur gestattet hatte, gab viel Freiheiten. Freiheiten, die ich vorerst besser nicht aufs Spiel setzte, indem ich sie nutzte. Die Frage war nur, wie ich das Cassius erklären sollte? Momentan war ich viel zu weit von ihm entfernt. Ich konnte ihn damit nicht einmal in meinen Plan einweihen. Zumindest nicht, wenn ich diesen nicht verraten wollte. Ich musste also einen Zeitpunkt abfangen, an dem wir mal unmittelbar nebeneinander waren und ich ihm erzählen konnte, was ich vor hatte. „Sarim, hilf uns. Dieser Bursche ist ganz schön wild.“ „Und wer soll dann die Hexe tragen?“ Ich verdrehte die Augen, denn ich war nicht scharf darauf gewesen getragen zu werden. Sie hätten mir auch einfach die Füße losmachen können, ich wäre schließlich auch freiwillig mitgekommen. Noch dazu, nur weil ich zauberte, war ich keine Hexe, aber wahrscheinlich entsprachen die Vorstellungen der Magi-Hexen nicht jenen, die wir in meiner Welt hatten. Wobei ich gestehen musste, dass es selbst da Differenzierungen gab. „Ruriel kann sie tragen.“ „Genau, ich kann sie auch tragen. Du willst immer nur die Frauen tragen weil sie leichter sind.“ „Diese Hexe ist auch kein Fliegengewicht.“ „HEY!“ Es war ein Reflex, der sich ergab, als ich hörte was der Pirat etwas über mein Gewicht äußerte. Das war etwas, dass ich nicht einmal in meiner Welt hören wollte. Um ihm das zu demonstrieren, schlug ich mit meinen gefesselten Händen gegen seinen Rücken, was mit einem „Uff“ quittiert wurde. „Ich will sofort von diesem Ruriel getragen werden, du Ekel!“, murrte ich und spürte, während ich wackelte und mich bewegte um weg von diesem Typen zu kommen. „Halte still, Hexe, oder ich werde deinem Freund ein paar Kiemen einritzen.“ „Dafür müsstest du Idiot mich endlich loslassen und das scheinst du ja nicht vor zu haben!“, konterte ich und ließ erneut meine Fäuste gegen seinen Rücken schlagen. Erneut uffte er und ließ mich etwas rutschen, so dass mir das Herz beinahe in die Hose rutschte. Er merkte allerdings, dass sich mein Gewicht unangenehm verlagerte. Unangenehm sowohl für ihn, als auch für mich, weswegen er mich leicht hoch hievte, wobei es sich für mich so anfühlte wie ein leichter Wurf. Das schlimmste daran war, dass ich mich nicht panisch an ihn krallen konnte, sondern einfach darauf vertrauen musste, dass er mich nicht fallen ließ. „Zappel nicht so, oder du fällst, Hexe. Beschädigte Ware verkauft sich nicht so gut.“ „Beschädigte Ware?“ Ich schrie fast vor Entsetzen, denn ich glaubte zu verstehen, dass ich als Sklavin verkauft werden sollte. Auch wenn ich bereits einen Fluchtplan sponn und mir so etwas längst hätte klar sein müssen, traf diese Erkenntnis mitten in das Epizentrum meiner Angst. „Sarim, ich trage sie. Ich fürchte sie ist mit deinen Methoden nicht einverstanden. So kommen wir nie zum Hafen, wenn sie uns nun auch Probleme macht.“ Da ich die Person nicht sehen konnte, die gerade diesen Sarim ansprach, ruckelte ich etwas mehr, so als wollte ich die Worte der Person weiter unterstreichen. Dabei war es gerade die Panik, die meine Sinne Stück für Stück mehr vernebelte. „Ruriel... Du versuchst dich nur wieder bei Ikram beliebt zu machen.“ Schweigen herrschte auf Sarims Worte, so als wäre dessen Bemerkung an Ruriel abgeprallt. Vor meinem inneren Augen sah ich förmlich, wie dieser Sarim schweigend ansah, ernst aber doch sehr bestimmend. „Sarim, nun gib ihm schon die Hexe und hilf uns. Ikram wird es nicht mögen, wenn wir noch mehr Zeit verschwenden.“ Es war erneut einer der anderen Piraten, die sich in diese offene Rivalität einmischten. Wieder kam Stille auf, doch nach einigen Sekunden spürte ich, wie ich angehoben wurde. Ich sah wie die Welt sich ein wenig aufrichtete und ich in die andere Richtung gedreht wurde. Dahin wo ein Pirat mit eindringlichen blauen Augen stand. Er trug wie die anderen auch, ein zerschlissenes Hemd und Hosen was deutlich machte, dass er schon längere Zeit als Pirat auf offener See war. Dabei wirkte sein Gesicht wie das eines Mannes, der gerade mal die Hälfte seines Lebens, wo auch immer die in der Welt des Magi-Fandoms lag, erlebt. Dennoch, im Vergleich zu den anderen Piraten, wirkte er trotz seiner Wildheit harmlos. Auch wenn mir bewusst war, dass er nicht ungefährlich war, beruhigte es mich doch ein wenig, als er mich über seine Schulter hievte. Die Gefahr als Sklavin verkauft zu werden, war zwar nicht in die Ferne gerückt, aber etwas an ihm war so beruhigend. Vielleicht war es sein Geruch, der an das Meer erinnerte. Er war nicht herb, sondern frisch, wie eine Brise. Seltsam wenn man bedachte, wie er aussah. „Hör auf dich zu wehren. Niemand kann gegen sein Schicksal ankämpfen. Es zu akzeptieren, wird es erträglicher machen.“ Seine Worte waren ein entschuldigendes Flüstern, als er seinen Arm um meine Taille schlang, damit ich nicht von seiner Schulter fiel. Seine Worte hatten aber nichts tröstliches für mich. Viel eher erinnerte sie mich an Nel, der mir gesagt hatte, dass das Schicksal sicher einen Platz für mich hatte. Wenn dieser Platz nun doch der einer Sklavin war, konnte man dieses Schicksal nur verabscheuen. Wie gut, dass ich bereits schwarzes Rukh hatte, denn sonst wäre ich nun in tiefste Verzweiflung gefallen, ohne Wiederkehr.   Ob sie glaubten, dass ich mein Schicksal akzeptiert hatte, war mir egal. Selbst das ich nur noch wenige Schritte vom Sklaventum entfernt war, hätte mich nicht weniger interessieren können. Selbst mein Plan, mich im richtigen Moment zu befreien, war vollkommen in Vergessenheit geraten. Irgendwo im hintersten Eckchen meines oberen Stübchens existierte er vielleicht noch, aber es interessierte mich einfach nicht mehr. „Tschuldigung“, hörte ich Ruriel wispern, als ich etwas von seiner Schulter rutschte, da er die Planke des Schiffes hinaufstieg, welches nun vor dem Hafen ankerte. Ich antwortete nicht, sondern sah mir einfach die Bilder des zerstörten Hafens an. Blut war auf dem kalten, grauen Stein zu sehen, Leichen von Wachposten und einzelne Häuser brannten noch lichterloh, weil sie von den Angriffen der magischen Utensilien getroffen worden waren. Es roch sogar nach verbrannten Fleisch, was ich nur unterschwellig wahrnahm, weil Ruriels Geruch immer noch kräftig an meinen Nerven kitzelte. Wie viele von diesen Schäden hätten vermieden werden können, wenn sich alle einfach ihrem Schicksal ergeben hätte? Sicher viele, aber im Gegensatz zu mir hatten sie alle einen Grund zu kämpfen. Familie, Freunde, Freiheit. Das waren alles Dinge, die ich so gesehen nicht hatte, nicht in dieser Welt. Meine Freiheit und zweite Familie hatte ich verloren, als ich aus Balbadd geflüchtet war, Freunde hatte ich unter Cassius Leuten nicht gefunden und alles an allem war ich seit meiner Ankunft in dieser Welt eine Gefangene. Ich hatte nicht selbst entscheiden können, hier her zu kommen. Irgendwer anders hatte das entschieden. Der Mann mit Kufiya vielleicht. Zumindest vermutete ich, dass ich meinem Aufenthalt bei Ugo ihm verdankte. Einzig dass ich Leben wollte... Das war die erste und letzte Entscheidung, die ich bei Ugo getroffen hatte. Und wofür? Um irgendwo als Sklavin zu enden. Als magische Sklavin. Vielleicht war ich dadurch sogar zu Recht in dieser Welt. Einer Welt, in der niemand sein eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen schien. Eine Welt, in der die Rukh die Geschicke der Menschen leiteten und eine dunkle Organisation gegen das Schicksal rebellierte. Gegen die eigene Bestimmung. Was war so falsch, daran gegen eine Bestimmung zu kämpfen, die man nicht selbst gewählt hatte? Was war falsch daran, selbst entscheiden zu wollen? Sicher, die Wege dieser Organisation waren nun auch nicht das Gelbe vom Ei, aber der Gedanke, dass man dem eigenen Schicksal entfliehen konnte, war doch zu verführerisch. Eine zweite Chance zu erhalten und seinen eigenen Weg zu wählen, dass war doch alles, was man sich wünschen konnte. 'Und selbst dieser eigens gewählte Weg, ist Schicksal. Du kannst dem nicht entfliehen. Das Schicksal hat viele Fäden die für dich vorherbestimmt und gewoben wurden. Es liegt an dir, welchen Faden du aufnimmst. Erinnere dich an dein Studium und das Gedankenexperiment mit dem Tagebuch, dass dir die Zukunft vorhersagt. Egal was du tust, das Tagebuch wird immer Recht behalten.' „Sei ruhig...“, antwortete ich auf die Stimme in meinem Kopf, die eindeutig Recht hatte, was ich nicht sehen wollte, da ich lieber in Selbstmitleid und Verzweiflung zerfloss. Unglaublich eigentlich, dass es noch ein paar Gedanken in meinem Kopf gab, die so vernünftig denken konnten. „Es tut mir leid, dass ich atme...“, antwortete Ruriel, der meine Worte scheinbar auf sich bezog. Für gewöhnlich wäre mir nun die Schamesröte in die Wangen geschossen, doch dieses Mal war es mir egal. Ich war absolut immun, im Moment, gegen irgendwelche Emotionen. „Da seid ihr endlich. Die Hexe kommt unters Deck. Der Fanalis zu den anderen Aufmüpfigen.“ Ich hörte, kaum, dass wir die Planke hinter uns gelassen hatten, die tiefe Bassstimme eines Mannes, den ich durch meine unpassende Lage aber nicht erkennen konnte. Sicher hatte die Verzögerung durch den Streit zwischen den Piraten sie einige Minuten im Zeitplan zurück geworfen, was ihnen meiner Meinung nach recht geschah. „Ist Ikram wieder zurück?“ Ruriel setzte mich an Deck des Schiffes ab und machte sich daran, meine Füße zu entfesseln. Augenscheinlich waren sich die Piraten nun absolut sicher, dass ich nicht mehr entkommen konnte. Ich hatte dadurch aber auch genug Zeit um mich umzusehen. Cassius wurde gerade ebenfalls etwas anders verschnürt, allerdings machte seine Gegenwehr es nötig, dass insgesamt sieben Piraten damit beschäftigt waren ihn in Zaum zu halten. Hätte ich so viel Kraft wie er, wäre ich sicherlich auch keine angenehme Genossin gewesen. Doch alles was ich hatte, war schwarzes Rukh und Magie, die ich ohne Zauberstab nicht einmal kontrolliert einsetzen konnte. Nels Stab erblickte ich jedoch auch, als er mit anderen Sachen zu einer Tür Oberdeck geführt wurde. „Entschuldige die Verspätung. Wir haben einen jungen Mann gefangen, der von den Fanalis abstammt. Seine Kraft steht zwar nicht im Vergleich zu einem Vollblutigen, aber er hat einiges an Ärger gemacht. Ikram hat sich persönlich um ihn gekümmert.“ Es war ein kurzer, aber wohl stimmiger Bericht, den Sarim vortrug. Wobei ich das Gefühl hatte, dass er ein wenig zu stolz von der Prinzessin sprach. Dabei stand er vor einem Mann, oder eher einem Wesen, dass ihn um fast das Doppelte überragte. Das konnte ich zumindest sehen, als ich zu den beiden blickte. Ich konnte im Dunkeln zwar nicht viel sehen, aber der Leuchtturm sorgte dafür, das einiges von diesem Wesen sichtbar wurde, als Silhouette und teils auch in Farbe. Augenscheinlich, war dieses Wesen der Kapitän. Zumindest deutete ich das aus Sarims Art, wie er mit diesem Wesen sprach. Abgesehen von der unstimmigen Zahl an Armen, es hatte ganze vier davon, meines Wissens nach besaßen Menschen nur zwei, wenn sie körperlich unmutiert und gesund waren, störte ich mich doch an den Kamm, der fischiger Natur war und seinen gesamten Rücken hinab ging. Es schien sogar so, dass dieser Fischkamm seine Haare waren, denn sie zierten seinen Körper nicht nur am Rücken, sondern auch auf dem Kopf und schimmerten im Licht des Dungeons in einem bläulichen Lila. Mir stellte sich einen kurzen Moment die Frage, wie die Piraten an so einen... Kapitän gekommen waren. Sahen sie denn nicht einmal jetzt, im Licht des Turmes seine schuppige, Haut? Merkten sie nicht, dass seine Farbe sich von denen menschlicher Natur unterschied? Ich meine, abgesehen vom Hulk, welcher Mensch war schon grün und leuchtet glitschig silber und blau? Nicht einmal der Hulk leuchtete oder glitzerte silber und blau. Nur Edward tat das unter den richtigen Lichteinwirkungen. Aber auch er tat nicht beides grün sein und glitzern. Der einzige mutierte Mensch in Magi, der mir bekannt war, war Drakon und selbst er hatte nicht so eine Farbe. „Schon gut, auch heute habt ihr gute Arbeit geleistet.“ Seine tiefe Stimme war mehr das Brummen eines Basses, als eine Stimmlage. Sie vibrierte in der Stille der Nacht und übertönte die Klageschreie jener, die alles zu beklagen hatten. Es gab nur eine wichtige Frage, die sich mir gerade stellte. Hatte er Kiemen? Oder war er vielleicht wie Drakon ein Mensch gewesen, der durch eine Assimilation diese Form angenommen hatte? Nein, wichtiger war doch ob er Kiemen hatte und dennoch an Land atmen konnte. „Wir können ihn nicht halten!“ Ich hörte wie Rufe laut wurde und wollte gerade zu der Stelle sehen, von wo sie kamen, als mich Ruriel am linken Oberarm packte und in Richtung zur Treppe, die unter Deck führen sollte, zog. Ich fragte mich, warum er es auf einmal so eilig hatte, nachdem er sich augenscheinlich mit dem Entfesseln meiner Füße Zeit gelassen hatte. Er war aber nicht schnell genug, denn aus dem Augenwinkel sah ich Cassius Silhouette, wie sie sich freikämpfte und er auf den Kapitän zustürzte. Der Kapitän fiel, das dumpfe Geräusch von einem Handgemenge wurde an Deck laut, während mich Ruriel weiter in die Richtung der Treppe zerrte. Ich versuchte etwas Gegengewicht auszuüben, denn ich wollte sehen, was passierte. Oder viel mehr wollte ich mich versichern, dass Cassius gewann. Ich vernahm nur noch eine Bewegung des Kapitäns. Eine ausholende Faust, die Reling, die bedrohlich nahe an Cassius Rücken war, das Knarzen von Holz und just als der entscheidende Schlag landen sollte, hatte Ruriel es wirklich geschafft mich jeglicher Sicht zu berauben und weg vom Ort des Geschehens zu zerren. Ich sah nur noch andere Gefangene und unter dem Klagegeschrei hörte ich ein leises „Platsch“, dass deutlich nach einem über Bord gehenden Körper klang. Ein zweites „Platsch“, folgte dem ersten und abgesehen von den Mitgefangenen die ihr Klagelied sangen, kehrte Stille ein. Kapitel 19: Piraten ------------------- Auch wenn die Sorgen um Cassius tief wogen, so gab es doch ein Problem, welches gerade größer war. Ich war gefangen, gebrochen und verzweifelt. Monokuma hätte sich gefreut. Wie gut, dass das hier die Welt von Magi war und nicht die von Danganronpa, wobei ich nicht hätte sagen können, was davon ich schlimmer fand. Bei beiden Serien musste ich wohl um mein Leben fürchten, dauerhaft. Beides war also nicht ideal. Aber schön, ich war nun in der Welt von Magi und nicht bei Monokuma. „Hier entlang...“, hörte ich Ruriel flüstern, als er mich um die Ecke zerrte. Ich sah Türen unter Deck. Sie lagen nebeneinander, und entsprachen der Größe, wie ich sie mir in diversen Otomegames vorgestellt hatte. Pirates in Love. Hier würde ich sicher keine Liebe finden, soviel stand fest. Zumindest sahen die meisten Piraten nicht gut aus, was nicht bedeuten sollte, dass es nicht auch ein paar schnuckelige unter Ihnen gab. Wir lebten hier schließlich nicht im Klischeebild Amerikas, in dem die meisten Antagonisten hässlich wie die Nacht waren. Nein, die Mischung der „bösen Jungs“ war ausgewogen. Einige sahen gut aus, andere nicht und der vermeintliche Kapitän war ein humanoides Monster, dass mich an Spidermans Rivalen, die Echse erinnerte. Noch bevor ich dieses Schiff betreten oder Ruriel mich auf mein unausweichliches Schicksal aufmerksam gemacht hatte, war mir der Gedanke zur Flucht gekommen. Im Nachhinein betrachtet, wenn ich dank Ruriel nicht alles verworfen hätte, wäre dieser Gedanke spätestens jetzt baden gegangen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ohne Cassius war ich einfach chancenlos. „Wohin bringst du mich?“ Da ich hier auf einem Piratenschiff war, entschied ich, alle Höflicheitsfloskeln beiseite zu schieben. Zumindest denen gegenüber, die augenscheinlich nur kleine Lakaien war. Noch dazu machte sich Ruriel auch nicht die Mühe, mich höflich zu behandeln. Auch wenn ich ihm doch ein gewisses Maß an Freundlichkeit zusprechen musste. Sein Griff war fest, seine Worte bestimmend, aber nichts davon hatte etwas furchteinflößendes an sich. Seltsam, wenn man bedachte, dass mein Bild von Piraten eher in die Richtung brutal und blutrünstig ging. Ruriel war auch nicht so schrullig wie Jack Sparrow... pardon, Captain Jack Sparrow. Fakt war, Ruriel passte irgendwie nicht in das Weltbild, das ich hatte. „Zu den anderen Gefangenen.“ Erneut sah ich mich bei seiner Antwort um, denn diese Türen wirkten nicht, als ob hier ein Gefängnis war. Eher Kajüten und Räume für die Mannschaft. Eine Tür ging neben uns auf, als Ruriel mich daran vorbei lotste. Kurz erhaschte ich einen Blick in die Räumlichkeit, in der sich Vasen, Stoffe und anderen Sachen auftürmten. Eine der Schatzkammern also. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie viel Blut an diesem Diebesgut klebte, denn sonst wäre mir schlecht geworden. Ruriel führte mich zu einer weiteren Treppe, die noch weiter unters Deck zu führen schien. Dahin, wo das Holz wahrscheinlich vor sich hinmoderte, wenn man das Schiff nicht richtig wartete. Da die Piraten aber dieses Schiff sicher lange für sich behalten wollten, hatten sie sicher den ein oder anderen Zimmermann an Bord, der es in Schuss hielt. Selbst wenn es da unten also muffig und vermodert sein sollte, ich konnte darauf vertrauen, dass ich da unten nicht sterben würde. Hoffte ich zumindest. Da wir tiefer gingen und es immer dunkler wurde, musste ich mich ganz auf Ruriel verlassen, dessen Schritte so sicher waren, als wäre er eine Fledermaus die mit Sonar alle Hindernisse erkennen konnte. Der Gang war lang, und irgendwo liefen wir noch einmal eine Treppe hinauf. Ich verlor ehrlich gesagt die Orientierung, was vielleicht Sinn und Zweck der Sache war. Eine Flucht von einem Ort an dem man keinerlei Orientierung mehr besaß war aussichtslos, unmöglich. Fast wie der Versuch sich in einer Großstadt ohne Stadtkarte zurecht zu finden. „Lasst uns raus...“ Hier unten waren die Klageschreie lauter. Vermutlich von Menschen die schon wesentlich länger hier ausharren mussten. Schweinerei. Vor einer Zelle, zumindest hätte ich diesen Raum, der von Gitterstäben umfasst war, so bezeichnet, blieb Ruriel stehen und schloss diese auf. Er fackelte nicht lange, als er mich mit sanfter Gewalt hinein stieß, oder eher drückte. Ich ging keine großen Schritte, als ich auch schon gegen einen Körper stieß. „Hier ist voll. Verteilt den Rest auf die anderen Zellen.“ Mit einem Klicken schloss Ruriel die Zelle wieder ab, während er seinen Kameraden wie Befehle zurief und wieder den Weg zurückging, den wir gekommen waren. „Warte!“ Ich wusste, dass es sinnlos war und doch gab ich dem Reflex nach und ging an die Gitter und versuchte noch etwas von Ruriels Silhouette zu erhaschen. Doch da war nichts mehr zu sehen, außer Fackeln, die das Dunkel etwas erhellten, aber nicht genug Licht spendeten, um Hoffnung zu säen.   Die Bewegungsfreiheit war in unserem Gefängnis weit eingeschränkt. Das war mir gar nicht aufgefallen, als Ruriel mich hineinbuxiert oder, wie ich es im Nachhinein lieber sagte, gequetscht hatte. Nach dem ersten Schock und einen kleinen Moment der Ruhe, in dem ich nur noch Gewimmer hörte, hatte ich mir die Zeit genommen mich etwas mehr umzusehen. Durch die Gitterstäbe passte gerade einmal ein Arm. Sie waren breit, eigentlich nicht einmal Stäbe, sondern eher Latten. Latten die so breit waren, dass ein Dieb nicht einmal einen entwendeten Kerkerschlüssel zur Rettung hätte nutzen können. Man hätte also nicht einmal einen Gitterstab umfunktionieren können. Nicht, dass ich das jemals in Erwägung gezogen hätte. Selbst wenn, die Decke war zu niedrig, die Räume zu gut befüllt... Wahrscheinlich hätte ich mit einem Zauber sowieso noch andere verletzt. Und das wäre auch nicht im Sinne des Erfinders gewesen. Alles was man in dieser Zelle tun konnte, war sitzen, liegen und stehen. Wobei es ein knappes Stehen war, denn wenn man die Hand etwas hob, spürte man bereits das Holz der Decke unter seinen Fingern. Viel Bewegungsspielraum hatte man also nicht auf diesen engsten Raum. Und sonderlich viel Hilfe würde man auch nicht erwarten können, wenn man an die Flucht dachte. Immerhin bestanden meine Zellengenossen nur aus Frauen und Kinder. Noch größere Schweinerei. Nach den Geräuschen meiner Nachbarzelle zu urteilen, traf dasselbe auch auf diese zu. Kampftüchtige Gefährten konnte man also nicht erwarten. Zumal diese mich hätten durchschleifen müssen, da es in der Zelle absolut gar nichts gab, was ich als Waffe oder dergleichen zweckentfremden hätte können. Nicht einmal die Frauen oder Kinder trugen auch nur etwas bei sich. Keine Haarspangen, keine Ketten, nichts. Lediglich die Kleidung, welche sie am Leib trugen, hatte man ihnen gelassen. Sie waren also genauso entwaffnet wie ich. Ich setzte mich an die Stelle, an der mein Platz war, nachdem mich Ruriel in diese Zelle genötigt hatte. Es brachte nichts über eine Flucht nachzudenken. Im Moment. Selbst am anderen Ende des Ganges, wo es Luken gab, durch die Luft drang, gab es keine Aussicht auf Freiheit. Wenn ich es richtig einschätzte, passte kein Erwachsener durch, ergo auch ich nicht. Nicht einmal, wenn ich eine Diät hielt. Dennoch, etwas war mir aufgefallen. Die Färbung diverser Hölzer war heller als die von anderen. Das traf auch auf die der Luke zu. Selbst bei diesen miesen Lichtverhältnissen konnte ich das sehen. Schließlich waren die helleren Hölzer nicht ganz so schwarz wie die anderen. Irgendetwas musste also an diesem Schiff verändert worden sein. Vielleicht war dieses Schiff das größte Diebesgut. Ja, das war schon eher etwas, dass mich an Piraten erinnerte. Damals, als ich jünger war, hatte ich mir ein Buch von meinem Vater geliehen. Es hatte von Männern gehandelt, die auf eine Expedition aufgebrochen waren. Der Kapitän war das wohl größte Arschloch des Landes gewesen und so war es zur Meuterei gekommen. Die Crew, die nun eigentlich wie Verrat hätte gehängt werden müssen, entschied sich, ein Leben als Freibeuter zu führen und so war aus dem Handelsschiff ein Piratenschiff geworden. Selbst in der Moderne wurden Schiffe dieser Art zweckentfremdet. Daher, würde das wohl in der Welt von Magi nicht anders laufen. Ich seufzte leise und holte tief Luft. Ich musste erst einmal zur Ruhe kommen, das Adrenalin noch abklingen lassen, wobei dieses bereits vollständig abgeklungen war. Stattdessen, war ich verzweifelt. So verzweifelt wie ein Mensch sein konnte. Und doch, war ich wohl die einzige, die in ihrer Verzweiflung das Schicksal hasste. Ein Blick zu meinen Mitgefangenen zeigte das deutlich. Überall leuchteten die weißen Rukh. Sie waren die Hoffnungsvollen und ich war der Virus, der nur eine falsche Bewegung machen musste, um alle zu infizieren. Ein schlechtes Gefühl, denn auch wenn ich verzweifelte, wollte ich sie nicht alle mit mir in den Abgrund reißen. Ich hatte nie in das Schicksal eingreifen wollen, doch wer wusste schon, was meine Anwesenheit bereits in dieser Welt ausgelöst hatte? Wie viele Schmetterlinge hatte ich wohl schon zertreten, ohne mir dessen bewusst zu sein? Sicher waren auch hier, unter diesen Gefangenen, ein paar Schmetterlinge, ich musste also aufpassen. Doch wie? Wie sollte ich das bewerkstelligen? Ich konnte doch nicht einfach hier sitzen bleiben und darauf hoffen, dass ich zurück in meine Welt kam. Wobei ich ehrlich bezweifelte, dass ich zurück kommen würde, wenn ich auf dem Piratenschiff vergammelte. Und wirklich viel Hoffnung auf Hilfe machte ich mir auch nicht, außer Cassandra würde Alexander und die anderen finden. Ich bezweifelte aber, dass diese kleine Truppe, selbst wenn Spartos dabei war, eine Chance hatte. „Beruhige dich, Mädchen. Wir alle wollen nicht hier sein, es bringt nichts, wenn du dir hier die Hand brichst.“ Ich horchte auf, als ich von der Zelle neben mir eine tiefere, alte Frauenstimme hörte. Gefolgt von einem dumpfen Schlagen, dass so klang, als versuchte jemand ein Loch in die Holzwände zu schlagen. „Beruhigen? Ich werde mich sicher nicht beruhigen. Ich werde diesen Pack da draußen zeigen, dass man sich mit mir besser nicht anlegt.“ Meine Ohren spitzten sich etwas mehr, als ich diese Stimme hörte. Die Stimme einer Frau, die ich nur zu gut kannte, weil ich schon längere Zeit mit ihr auf Reisen war. Ich hatte momentan echt kein Glück, denn diese Frau gehörte zu den letzten Personen, mit denen ich zusammen auf einem Piratenschiff gefangen sein wollte. Dennoch machte mein Herz einen erleichterten Hüpfer. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich hier doch jemanden hatte, den ich kannte. Ich war damit nicht ganz allein. Nicht so wie damals, als ich Balbadd verlassen hatte. „Hinata?“ Ich versuchte, so nahe wie möglich an die Wand zu robben, die an Hinatas Zelle lag. Die Damen um mich herum machten mir so gut es ging Platz, augenscheinlich verstanden sie mein Gebaren, einer Person irgendwie nahe zu sein, die ich kannte. Das ich eine Person zu kennen glaubte, schlossen sie aus der Tatsache, dass ich den Namen ausgesprochen hatte. Schneller wäre das ganze wohl nur gegangen, wenn meine Hände nicht mehr gefesselt gewesen wären. Meine Vermutung schien sich zu bestätigen, denn das Schlagen verstummte. Stattdessen, hörte ich Bewegung. Wahrscheinlich versuchte die Person auf der anderen Seite ebenfalls an ihre Wand zu kommen. „Erenya, du? Das ist echt nicht mein Tag“, hörte ich Hinatas Antwort auf meine unausgesprochene Frage. Es schien so, dass sie genauso erfreut war wie ich. Ich konnte mich also glücklich schätzen, dass sie mir überhaupt antwortete. „Nur nicht so viel Begeisterung.“ Ich konnte nicht umhin zu lächeln. Selbst jetzt. Seltsam zu wissen, dass Hinata der Grund für dieses Lächeln war. „Sie haben dich also auch gekriegt. Weißt du etwas von den Anderen?“, fragte ich, hoffend, dass sie mir jetzt nicht die Hiobsbotschaft schlechthin brachte. Immerhin war ich so lange mit der Gruppe gereist, dass ich mich an diverse Personen gewöhnt hatte. Allerdings erinnerte ich mich auch, was jenen blühte, die sich gegen die Piraten wehrten. Die Bilder des Schlachtfeldes hatten sich in mein Gedächtnis gebrannt und würden wohl noch für den ein oder anderen Albtraum sorgen. „Mein Herr konnte fliehen. Hoffe ich zumindest. Ich habe die Piraten abgelenkt, damit er entkommen konnte. Wie es mit Chen steht... weiß ich nicht. Wie sieht es bei dir aus?“ Es war fast schon lächerlich, dass wir ausgerechnet jetzt eine ruhige Unterhaltung führen konnten. Vielleicht war es einfach die Hoffnung die wir hatten, durch die andere noch gute Nachrichten zu erfahren. „Ich war bei Cassius, als der Überfall begann. Ich weiß leider nicht wie es um die Anderen steht. Der Typ aus Balbadd war kurz in der Zwickmühle, keine Ahnung ob er da wieder raus kam. Cassius allerdings... wir wurden an Deck getrennt und er hat diesen mutierten Goldfisch angegriffen.“ „Was ist ein Goldfisch?“ „Nicht so wichtig, Hinata. Mehr weiß ich aber leider auch nicht.“ Ich lauschte an der Wand, denn Hinata schwieg. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, dass ich etwas von Chen wusste. Genauso hatte ich gehofft, einen kurzen Moment, dass sie mir sagen konnte, wie es den Anderen ergangen war. „Scheint als hätten die Händler mehr Glück als wir. Immerhin ein paar.“ Ich versuchte, dass Gespräch aufrecht zu erhalten, doch scheinbar hatte Hinata bereits jetzt genug von mir. Richtig, in Sachen Flucht wäre ich die Letzte gewesen, die man an der eigenen Seite wissen wollte. Noch dazu waren Hinata und ich nicht gerade das, was man beste Freundinnen nannte. Die Gefangenschaft auf einem Piratenschiff würde das wohl nicht ändern. Wahrscheinlich war es genau das, was mich enttäuschte. „Erenya...“ Ich horchte auf, als nach einiger Zeit Hinata doch noch zu reden begann. „Ja?“, fragte ich, hoffend, dass dieses Gespräch nicht wieder in einem Streit enden würde. Oder mit einem unschönen Wortaustausch. „Ich mag dich immer noch nicht. Und ich denke, dass du gerade die schlimmste Gefährtin bist, die man sich in so einer Situation wünschen könnte.“ Irgendwie starb mit diesen Worten alle Hoffnung, die ich hatte. Nein, Hinata und ich würden wirklich keine Freunde werden. Ihre Worte zeigten das nur zu deutlich. „Aber... ich bin froh, dass du da bist. Wenn du also einen Plan hast, wie wir fliehen können, würde ich mit Freuden helfen. Pläne schmieden ist nämlich nicht so meine Sache.“ Das war bitter. Auch wenn es schon an ein Kompliment heran kam, dass sie mir zutraute hier raus zu kommen. Bitter wenn man bedachte, dass ich im Prinzip schon aufgegeben hatte. „Leider habe ich keinen Plan. Und ich weiß auch nicht, ob ich einen schmieden könnte. Pläne sind nämlich auch nicht meine Sache. Außerdem sind die Piraten in der Überzahl.“ Ich seufzte tief auf und lehnte meinen Kopf gegen die Holzwand. Es war wohl das Schlimmste, jemanden zu enttäuschen, besonders dann, wenn diese Person einen nicht mochte und dennoch vertraute. „Willst du mich veralbern?“ Ich zuckte zusammen, als Hinata ihre Stimme erhob. „Willst du mir wirklich weismachen, dass du keinen Plan hast? Sag mal, wofür bist du überhaupt gut? Du bist eine Magierin, die sich weigert zu zaubern, du bist nicht in der Lage zu kämpfen und nun hast du nicht einmal einen Plan wie du hier raus willst? Ist es dir so egal, ob du dein Ziel erreichst?“ Sie war die Letzte, von der ich mir eine Standpauke holen wollte. Dabei hatte ich diese wohl nötig, auch wenn sie selbst darin nicht gut war. „Ich hab gezaubert und konnte Cassius dennoch nicht retten. Du hast Recht, wahrscheinlich bin ich in nichts gut. Ich bin für diese Welt einfach nicht geschaffen. Wahrscheinlich war es mein Schicksal hier her zu kommen und als Sklavin zu enden.“ „Bla Bla Bla. Hörst du dich eigentlich selbst reden? Glaubst du wirklich du bist die einzige, die jemals versagt hat? Hätte ich nicht versagt, würde ich nicht hier sein. Aber ich gebe noch lange nicht auf. Ich werde hier rauskommen, ob mit dir, oder ohne.“ Nein, sie war nicht gut darin, jemanden zu motivieren. Aber es war doch schön zu wissen, dass sie mich noch genauso hasste wie zuvor. „Sag mal, warum zickst du mich eigentlich ständig an? Ich kann mich nicht erinnern, dir irgendetwas getan zu haben.“ Abgesehen davon, dass ich mich nicht freiwillig als Vorhut gemeldet hatte. Aber diesen Gedanken ersparte ich mir, denn sowohl sie als auch ich wussten, dass sie mir das schon mehr als deutlich klar gemacht hatte. „Ich mag dich halt einfach nicht. Und Momente wie diese zeigen mir, dass ich richtig damit liege. Du bist zu sehr auf dich fixiert, alle Anderen sind dir doch egal. So wie jetzt. Du ertrinkst in deinem Selbstmitleid und gibst einfach so auf.“ Im Selbstmitleid ertrinken... Sie hatte Recht. Ich hatte aufgegeben, kaum das Ruriel mir gesagt hatte, dass es besser war, mich meinem Schicksal zu ergeben. Ich hatte sogar die Stimme ignoriert, die mir gesagt hatte, dass ich mein eigenes Schicksal bestimmen würde, oder zumindest eine der vielen Möglichkeiten wählen konnte, die das Schicksal für mich geplant hatte. „Es tut mir Leid...“, kam es mir nur über die Lippen. Das Gefühl, sich bei Hinata zu entschuldigen war einfach unerträglich. „Ich bin nicht sonderlich gut daran immer positiv zu sein. Das war ich auch in meiner Heimat nicht. Aber in meiner Heimat hatte ich auch mit anderen Problemen zu kämpfen als hier.“ „Jeder hat eben sein Päckchen zu tragen. Aber... erzähl doch mal, mit was für Problemen kämpft man in deiner Heimat, wenn nicht mit solchen?“ Ich dachte darüber nach, was ich Hinata anvertrauen konnte. Ich würde wohl auf den Part verzichten, den ich Kouha bereits erzählt hatte. Das war dann doch zu explizit. „Den Verlust der Arbeit, den Verlust von Freunden...“ „Letzteres kannst du auch hier ganz schnell haben.“ „Das meine ich nicht. Wo ich herkomme, verliert man seine Freunde eher seltener, weil sie sterben. Zumindest in meinem Land. Ich habe viele Freunde verloren, weil ich bin, wer ich bin. Sollte ich jemals wieder nach Hause kommen, werde ich sicher alle Freunde verloren haben.“ Schweigen, von Hinatas Seite aus. Ich stellte mir vor, wie sie die Augen verdrehte. Auch wenn es seltsam war, dass wir zum ersten Mal so ein ehrliches Gespräch führten. „Ich kenne das Gefühl. Viele meiner Freunde haben mich verlassen. Lediglich Chen ist geblieben. Er konnte immer am Besten mit meinen Macken leben. Er ist auch der Einzige, der mich in meinen schwachen Momenten erlebt hat. Sonst habe ich immer so getan, als wäre ich stark.“ „Du bist doch auch stark. Ich meine, du bist kampferfahren und dir kann man auch nicht so schnell etwas vor machen.“ Es war meine ehrliche Meinung, die ich Hinata sagte, auch wenn es nicht gerade ihre Meinung über mich ändern würde. Sie war tough und im Gegensatz zu mir hatte sie sicher auch kein Problem damit jemanden zu töten, wenn ihr Leben davon abhing. „Schleimer. Das macht dich auch nicht sympathischer. Aber... Danke.“   Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mit Hinata gesprochen habe, oder wie spät es war, aber sie hatte sich zur Ruhe gelegt. Ich hingegen konnte noch nicht schlafen. Das Gespräch mit ihr hatte gut getan und mich auch ein wenig aus diesem Tief geholt. Sie hatte recht, wir mussten hier weg. Die Frage war nur wie? Vor allem wenn wir schon die Flucht wagten, dann konnten wir das nicht nur zu zweit bewerkstelligen. Mein Blick glitt zu den Frauen und Kindern, von denen die meisten schliefen. Auch sie waren Opfer dieser Angriffe geworden und hatten damit alles Recht ebenfalls in die Freiheit zu kommen. Der Plan musste dann also gut durchdacht sein und vor allem mit allen abgesprochen. Niemand durfte daran zweifeln und das war das eigentliche Problem. Wir brauchten einen Anführer, jemanden, der ihre Hoffnung symbolisierte und ihnen Mut machen konnte. „Hey, Kleines, du kannst auch nicht schlafen, oder?“ Ich sah neben mich, wo eine Frau saß, die ich auf ungefähr mein Alter schätzte. Ihre Augen strahlten aufgeweckt. Es konnte natürlich auch das gedimmte Licht sei, welches nicht einmal stark genug war, um mir zu verraten, was für eine Farbe sie hatten. „Fällt mir schwer zu schlafen, wenn ich daran denke, was mich erwarten könnte.“ Ich verzog das Gesicht, denn noch immer war der Gedanke, als Sklavin verkauft zu werden, abartig, auch wenn ich als Autorin eine gewisse Neugier darauf hegte. „Was auch immer sie noch vor haben, sie sollen bloß die Flossen von meinen Schätzen in dem Dungeon lassen.“ Ihrem Dungeon? Wie man es auch sah, ich wusste nun immerhin, was für eine Berufung mein Gesprächspartner hatte. Ihr Dungeon... Das klang dennoch albern. Denn niemanden gehörte ein Dungeon und wenn dann wohl eher dem Magi, der ihn in die Höhe hatte schießen lassen. „Ihre Schätze? Haben Sie denn schon einen Weg hinein gefunden?“ Sie sah mich an und schüttelte den Kopf. Demnach hatten die Fischer, mit denen ich am Tag gesprochen hatte, Recht behalten. Keiner der Schatzsucher schien auch nur ansatzweise eine Ahnung zu haben, wie man in diesen Dungeon kam. Ich reihte mich da einfach mal ein. Wenn nicht über Nacht plötzlich eine Tür sichtbar wurde, gingen mir die Ideen aus. „Der Dungeon sollte Ihr kleinstes Problem sein. Wenn die Piraten erst einmal den Hafen verlassen haben, sind alle unsere Fluchtmöglichkeiten verloren. Noch dazu... die wollen uns als Sklaven verkaufen.“ „Na das sollen sie mal versuchen.“ Ich hob eine Augenbraue, denn diese Schatzsucherin schien fernab jeglicher Realität zu sein. Oder einfach nur furchtlos. Oder dumm. Irgendetwas schien sicherlich darauf zuzutreffen. „Ich sehe gerade, sie haben dir nicht die Fesseln an den Händen abgenommen? Nicht einmal das machen sie richtig. Wie soll man denn so schlafen? Ich sage dir, wenn sie so mit meinen Schätzen umgehen wie mit ihren Gefangenen, dann sehe ich rot.“ Ohne, dass ich sie darum gebeten hatte, wandte sie sich meinen Fesseln an den Händen zu, wobei ich mich erneut im Raum umsah. Die Anderen waren wirklich so gar nicht mehr gefesselt. Wahrscheinlich, weil sich die Piraten sicher waren, dass niemand hier Gegenwehr leisten würde. Fragte sich nur, warum Hinata scheinbar genug Bewegungsfreiheit bekam, denn sie war eine Kampfmaschine. Glaubte ich. Allerdings war ich nun auch froh darüber, dass ich diese Fesseln los wurde. Ebenso war es mein Körper, der meine tauben Glieder mit einem sanften Stechen erfüllte. Es kribbelte unter der Haut und man konnte deutlicher als sonst weiße Abdrücke auf meiner so schon hellen Haut erkennen. „Verdammt, seit Jahren forsche ich wegen diesem Dungeon und nun glauben Piraten einfach so in Bitroun einzufallen und sich alles unter den Nagel reißen zu können. Nicht mit mir, Kleines, nicht mit mir.“ Ich hörte gar nicht mehr richtig zu, denn an sich wiederholte sich die Schatzsucherin nur immer wieder. Es war ihr Dungeon, mit ihrem Schatz und diese miesen, fiesen Piraten würden all die Früchte ihrer Arbeit ernten. Was auch immer das für Früchte waren, denn scheinbar war weder sie, noch ein anderer Schatzsucher jemals in die Tiefen des Dungeons vorgedrungen. „Sind Sie schon lange in Bitroun?“, fragte ich schließlich, denn irgendwie war es ja doch interessant, das alles mal aus der Sicht eines Schatzsuchers zu hören. „Schon lange? Ich verbringe bereits einige Monate vor den Toren. Und ich sag dir, Kleines, dass ist kein Zuckerschlecken. Man kann niemanden von den Anderen vertrauen. Alle sind nur drauf aus, dir deine Geheimnisse aus der Nase zu ziehen, um sich durch dich zu bereichern. Am Ende hast du nichts von den Früchten deiner Arbeit. Die anderen sind doch nicht besser als dieses Piratenpack.“ Auch wenn sie nicht gerade genau in ihrer Angabe von einigen Monaten war, so hörte man doch deutlich heraus, dass diese schon einige Strapazen hinter sich hatte. Scheinbar gab es auch unter Schatzsuchern Unstimmigkeiten, was mich fast schon an den Goldrausch in Amerika erinnerte. Bei Schätzen und Geld hörten die Freundschaft und Teamwork eben auf. „Und was hast du in Bitroun gemacht, Kleines?“ Es war doch erstaunlich, dass sie tatsächlich über andere Dinge reden konnte, oder viel mehr sich auch für andere Sachen interessierte als „ihren Dungeon“. Wobei ich sie nicht als schlechte Person einschätzte. Allein die Tatsache, dass sie meine Fesseln gelöst hatte, zeigte doch, dass sie eine fürsorgliche Person war. „Durchreise, mit einer Karawane. Hinata von neben an gehörte auch dazu. Unser Reiseführer ist aber glaube ich über Bord gegangen, als er sich mit der Echse geprügelt hat.“ Ein anerkennender Pfiff kam von der Schatzsucherin. Scheinbar hatte sie die Echse auch schon gesehen, was mich nicht verwundert hätte. Der Kerl war ein halbes Haus. Übertrieben gesprochen. „Tapfer. Hoffentlich kann er gut schwimmen.“ Gut schwimmen... Ich war mir sicher, dass Cassius das konnte. Ich meine, der Junge war von Geburt an sehr gut unterrichtet worden. Im Schwertkampf, in Geographie und sicher auch noch einem Dutzend anderer Dinge. Warum hätte man da ausgerechnet auf das Schwimmen verzichten sollen? So als Händler wäre es doch nur verständlich gewesen, auch mal mit dem Schiff zu reisen und da musste man gegen alles gewappnet sein. „Ich hoffe eher, dass die Kavallerie bald kommt. Wobei ich bezweifle, dass es in der Stadt noch viele kampftüchtige Personen gibt.“ Ich seufzte leise, denn an sich wäre ich schon froh gewesen, wenn noch eine Rettungsleine in Sicht gekommen wäre. Oder viel mehr hoffte ich, dass wir noch nicht die Anker gelichtet hatten. Ich hörte zumindest noch leise Schritte über uns. Unter uns erklangen hin und wieder Stimmen, was darauf deutete, dass die Piraten immer noch nicht fertig damit waren, die Sachen zu verladen. „Wir müssen uns keine Sorgen machen. Die Armee von Balbadd kommt sicher, gemeinsam mit der Flotte des großen Sinbad.“ Sowohl die Schatzsucherin als auch ich sahen auf, zu der anderen Seite unseres Gefängnisses. Ein kleines Mädchen, höchstens zehn Jahre alt, saß dort, ihre Beine fest umklammert. Im schwachen Licht konnte ich ein wenig von ihrer Haarfarbe ausmachen, die doch schon für die Verhältnisse meiner Welt ungewöhnlich war, wenn man kein Punk sein wollte. Sie waren blau, vielleicht auch violett, sicher war ich mir nicht. Interessant war aber nur, dass sie so hoffnungsvoll war. Und vor allem, dass sie Balbadd zutraute, dass die sich für irgendwen außerhalb ihrer Stadtmauern interessierten. Ahbmad interessierte sich ja nicht einmal für die Menschen innerhalb der Stadtmauern. Aber so wollte ich das dem Mädchen nicht sagen. Vielleicht hatte sie ja Recht und eine Flotte aus Sindria würde kommen. Guter Witz. Selbst, wenn Spartos dort gewesen war und Sinbad davon erzählte, was sollten sie schon tun? Woher sollten sie wissen, welche Seeroute die Piraten nehmen würden? „Hör mal, Kleine... Niemand wird ko-“ Da meine Hände nun frei waren, konnte ich der Schatzsucherin einen leichten Klaps gegen den Oberarm geben. Sie hatte scheinbar nicht damit gerechnet und sah fragend zu mir. Ich konnte nicht anders als nur den Kopf zu schütteln um ihr zu sagen, dass sie die Hoffnungen dieses Mädchens nicht zerschlagen sollte. „Ich meine, niemand geringeres als Sinbad persönlich wird kommen.“ Unsicher sah die Schatzsucherin zu mir und ich nickte. Vielleicht war es übertrieben, der Kleinen weiß zu machen, dass Sinbad persönlich kam, aber das Lächeln des Mädchens, welches ich im Halbdunkel erahnte, war es wert. „Was bringt mir die Flotte des Seefahrers, wenn meine kleine Tochter ganz alleine da draußen ist? Ich will sie doch nur wiedersehen und in meinen Armen halten.“ Erneut mischte sich eine Person in dieses Gespräch ein. Sie lag in der hintersten Ecke, doch wir konnten deutlich hören, dass ihre Stimme Tränen erstickt war. „Haben sie Ihre Tochter aus den Augen verloren, Lady?“, fragte die Schatzsucherin an die weinende Frau gewandt. Taktgefühl schien ihr ein Fremdwort zu sein. „Es ging alles so schnell... Wir versuchten aus dem Hafen zu kommen, da waren so viele Menschen. Ich hab sie doch die ganze Zeit fest an der Hand gehalten und plötzlich... plötzlich war sie weg. Ich habe sie nicht mehr gehört...“ Ihr Schluchzen wurde lauter, während sie sprach. Es ging mir bis ins Mark. Wenn diese Mutter schon so weinte, wie ging es dann ihrer kleinen Tochter? Sicher war sie vollkommen verängstigt, so ganz ohne ihre Mutter. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin mir sicher, jemand hat sie gefunden und passt auf sie auf. Da draußen sind noch ein paar starke Männer meiner Karawane, wenn einer von ihnen sie gefunden hat, ist sie in Sicherheit.“ „Was macht Sie da so sicher?“ Ich versuchte mein Bestes so zuversichtlich wie möglich zu klingen, doch die Verzweiflung der Frau schien größer als alle guten Worte. „Weil zwei Mitglieder der Karawane Fanalis sind. Mein Freund Varius und Alexander sind stark. Es gibt sicher nichts, was sie in die Knie zwingen kann. Wenn einer von beiden ihre Tochter also gefunden hat, dann wird alles gut.“ Ich bemühte mich um ein Lächeln in der Stimme, doch die Tränen schienen nicht zu stoppen. Es wirkte sogar so, als hörte die Frau nicht, was ich sagte. Vielleicht war sie auch nicht mehr fähig dazu, vor lauter Sorge. „Wir sollten vielleicht schlafen gehen. Es bringt nichts, dauerhaft wach zu bleiben. Vielleicht haben wir irgendwie noch eine Chance zu fliehen.“ Da es keine Antwort mehr von der Mutter gab, wandte sich die Schatzsucherin wieder mir zu. Ich wusste, dass sie Recht hatte, aber nach Schlafen war mir immer noch nicht zumute. Vor allem nicht auf diesem Holzboden. „Du kannst unter diesen Umständen schlafen?“, fragte ich daher die Frau neben mir, die sich bereits gegen die Wand lehnte und die Augen schloss. Ein Lächeln war auf ihren Lippen zu sehen, welches schwer zu deuten war. „Ich hab schon unter schlimmeren Umständen geschlafen“, antwortete sie und holte tief Luft. Es dauerte nicht lange, da atmete sie tief und ich wusste, dass sie ins Reich der Träume abgedriftet war. Meinen Respekt hatte sie dafür. Aber nicht nur sie, sondern auch das Mädchen, welches so sehr auf Sindria und Balbadd hoffte und die Mutter, deren Schluchzen verstummt war. Ruhe kehrte ein und alles was ich in diesem Gefängnis noch hörte, war das Atmen der Menschen und zweimal die Türen, beziehungsweise Schritte, als die Piraten weitere Gefangene runter brachten. Es schien fast so, als hätten sie die ganze Stadt gefangen genommen. Ich hoffte natürlich, dass ich mich irrte.   Irgendwann war es mir doch gelungen wegzunicken. Die Anstrengung des Kampfes hatte sich bemerkbar gemacht und meine Augen waren wie von selbst zugefallen. Allerdings wusste ich, dass ich nicht lange geschlafen hatte. Es fühlte sich zumindest nicht so an. Geweckt wurde ich von einem Ruck, der das Schiff erfasste, wie es mir immer im Bus oder Bahn widerfuhr, wenn sie anfuhr. Ich war sofort hellwach und auf den Beinen. Ich war allerdings nicht die einzige, die davon geweckt wurde. Einige Kinder setzten sich auf, ebenso wie Frauen, in deren Gesichtern nur zu deutlich zu lesen war, was gerade passierte. „Wir verlassen den Hafen...“, merkte die Schatzsucherin neben mir an, die ihre Arme streckte, wobei ihre Glieder ein leises Knacksen von sich gaben. „Wie spät es wohl ist?“ Es war eine Frage die berechtigt, wenn auch selten dämlich war. Immerhin konnte ich ein helleres Licht vom anderen Ende des Flures sehen. Da wo diese Luke war, schien mehr Licht reinzufluten. Sonnenlicht. Dennoch es war nicht genug Licht, fast so, als sollte es niemals genug geben, was wiederum traurig war. „Ich würde von Morgen oder Mittag aus gehen. Sie haben ganz schön lange gebraucht. Mein Dungeon ist eben verdammt zäh.“ Es grenzte schon an Lächerlichkeit, dass die Schatzsucherin diesen Dungeon wie eine Person zu behandeln schien. Wahrscheinlich hatte sie sich in den letzten Monaten etwas zu viel mit diesem Leuchtturm beschäftigt. „Hey, Kleines, auch wenn es vielleicht schon Mittag ist, wir sollten noch etwas schlafen. Warst du schon einmal auf einen Schiff?“ Ich sah zu der Schatzsucherin und schüttelte den Kopf. Keine Lüge, meine Reise nach England in der siebten Klasse, hatte ich aufgeben müssen, aufgrund meiner Hüftoperation. Die Ärzte hatten mir davon abgeraten und so war ich nie in den Genuss der Überfahrt mit der Fähre gekommen. Ein Gutes hatte es gerade aber, ich war unter Deck und musste so nicht herausfinden ob ich seekrank war. Ich spürte lediglich die gleichbleibende Bewegung des Schiffes, ein leichtes Schaukeln, nichts was mein Magen zum Karussellfahren einlud. Hätte ich den Wellengang auch noch gesehen, wäre ich vielleicht in einer anderen Lage gewesen. Glücklicherweise hatte unsere Zelle kein Fenster. „Noch nie, aber ich bin ein Gewohnheitstier. Irgendwann ist eben immer das erste Mal.“ Auch wenn ich mir das erste Mal auf einem Schiff doch anders vorgestellt hatte, konnte ich nun mit Stolz behaupten, fast jede Fortbewegungsmöglichkeit in Magi genutzt zu haben. Fehlte nur noch das fliegen auf einem Zauberstab, was ich mir kneifen würde, denn etwas unbequemeres als einen Zauberstab gab es wohl nicht, und eine Sänfte. Auf die Pferde und Kamele wollte ich auch verzichten. „Dann gewöhnst du dich hoffentlich schnell. Wer weiß wie lange die Reise dauert. Wobei ich davon ausgehe, dass sie Kou oder Reim ansteuern werden. Sklaven verkaufen sich da besonders gut.“ Ja, dass konnte ich mir vorstellen, dass Sklaven sich in Reim und Kou gut verkauften. Städte des Reichtums hatten eben alles für Jedermann.   Geschlafen hatte ich kaum. Eher gedöst. Oder Powernapping betrieben. Fakt war, ich fühlte mich gerädert und alles andere als ausgeruht. Damit war immerhin nicht allein. Viele der Frauen schienen nicht vernünftig geschlafen zu haben. „Erenya?“ Da ich nie von der Wand gewichen war, erleichterte es mich, als ich Hinatas Stimme vernahm. Sie war also auch wieder aus ihrem Schlaf erwacht. „Bin noch da...“, antwortete ich, fühlte mich im Nachhinein aber selten dämlich, dass ich es gesagt hatte. Natürlich war ich noch da, dass hätte selbst Hinata wissen müssen. „Was gibt es, Hinata?“, fragte ich schließlich, um zu vermeiden, dass erneut eine peinliche Stille zwischen uns eintrat. „Kannst du schwimmen?“ Mir rutschte bei ihrer Frage das Herz in die Hose. Was auch immer sie plante, ich fand diese Idee jetzt schon bescheiden. „Wie ein Stein...“, murrte ich, was Hinata mit Schweigen quittierte. Scheinbar hatte sie nicht damit gerechnet, dass ich selbst im Meer verloren war. „Du kannst nicht zufälligerweise fliegen?“ Wollte Hinata mich verarschen? Was waren das denn für Ideen, die sie da gerade mit ihrem halb wachen Geist zusammen sponn? „Ich beherrsche gerade einmal zwei Zauber. Die Levitationszauber standen noch nicht auf dem Lehrplan. Also nein, fliegen kann ich auch nicht. Und nur für den Fall, dass du fragen willst, nein ich kann mich auch nicht unsichtbar machen.“ Ein entnervtes Seufzen von Hinatas Seite. Wahrscheinlich dachte sie wieder darüber nach, wie nutzlos ich gerade war. Oder eher, dass ich die schlimmste Mitgefangene war, die sie sich hätte wünschen können. Man konnte eben nicht alles haben, dass musste auch Hinata irgendwann lernen. „Mir gehen allmählich die Ideen aus. Mach doch auch mal was.“ Hinata hatte gut Reden. Was sollte ich bitte hier unten machen? Wir hatten keine Waffen. Es gab nicht einmal genug Bewegungsfreiheit um hier irgendetwas zu reißen. „Würde ich, aber mir fehlen Informationen. Auf dem Schiff sind wahrscheinlich an die 100 Piraten. Selbst zu zweit würden wir die nicht in die Knie zwingen. Noch dazu fehlen uns die Waffen. Und von den Kindern die in Gefahr geraten würden, bei einem Ausbruchsversuch will ich gar nicht erst reden.“ Mein Blick glitt zu den Kleinsten hier im Raum. Sie waren sicherlich nicht so gut für den Kampf geeignet. „Außerdem sind sie auch besser bewaffnet. Du hast sicher diese Waffen gesehen, mit denen sie Magie wirken konnten. Das sind magische Utensilien. Ich vermute mal, dass sie diese von Magnostadt oder einem Händler haben. Mein Borg könnte zwar ein paar Schläge aushalten, aber ich kann nicht alle Gefangenen beschützen.“ „Und was schlägst du dann vor? Warten?“ „Im Zweifelsfall, ja. Wenn ich das richtig einschätze, werden wir auf offener See sowieso nicht weit kommen. Das bedeutet wir müssen warten, bis sie wieder vor Anker gehen und uns vielleicht auf den Sklavenmarkt bringen wollen. Dort hätten wir vielleicht die Chance mit einem Ablenkungsmanöver die Flucht zu wagen.“ In meinem Kopf spielte sich bereits der Film ab. Ich sah mich auf dem Weg zum Podest, gefesselt, wieder mit Seilen an den Händen. Wenn sie nicht gerade auf Ketten umschwenkten, mit denen sie uns aneinander fest machten, hatten wir wirklich eine Chance. Märkte, egal was für welche, waren immer gut besucht. Man konnte sich unters Volk mischen, mit ihnen verschmelzen und dann untertauchen. „Du erwartest nicht ernsthaft, dass ich so lange warte. Ich werde alles tun, um hier runter zu kommen, ob mit dir oder ohne ist mir egal.“ Ja, da war sie wieder, die Zicke. Ich wollte immerhin kein Risiko eingehen, aber Hinata schien das nicht zu verstehen. „Dann trennen sich hier unsere Wege wohl“, konterte ich, was Hinata mit einem leisen 'Tze' beantwortete, bevor sie wieder schwieg und die Stille in unser Gefängnis einkehrte. Ich wagte mich auch nicht, den erneuten Versuch eines Gespräches zu starten. Die Fronten waren im Moment zu verhärtet. Hinata wollte schnellstmöglich hier raus, zu Chen, und ich brauchte einfach noch mehr Informationen um einen Plan zu erstellen, der all diese Leben hier nicht gefährdete. Ich schloss die Augen und überlegte, was ich wusste. Wir waren einmal runter und einmal wieder hoch gegangen. Immer gerade aus, wobei wir ganz zu Beginn einmal um die Ecke gebogen waren. Zumindest glaubte ich, dass es eine Ecke gewesen war. Ich hatte auf dem Weg hierher eine Schatzkammer gesehen, allerdings waren in dieser keine waffenähnlichen Gegenstände gewesen. Die Frage war also, wo die Waffen waren, welche sie den Kämpfern der Stadt abgenommen hatte, wenn sie das getan hatten. Das Lager zu räumen wäre eine gute Idee gewesen, allerdings hätte man dafür erst hier raus kommen müssen und wie man das bewerkstelligen würde, war mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Ich seufzte einmal tief auf, was aber durch das Öffnen der Türen in unserem „Verlies“ übertönt wurde. Ich öffnete die Augen und sah wie sich einige Piraten zu den Zellen neben der unseren bewegten. Schlüssel klapperten, als sie gezogen und schließlich ins Schloss gesteckt wurden. „Du...“, sagte einer der Piraten mit tiefer Stimme. Kleidung raschelte, was darauf hindeutete, dass eine Person sich erhob. Es dauerte auch einige Sekunden, bis erneut das Klappern der Schlüssel zu hören war und die Piraten mit einer Frau an unserer Zellentür vorbeizogen. Fragend sah ich zu der Schatzsucherin, die das ebenfalls mit angesehen hatte, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Vielleicht sind wir schon da...“, antwortete sie auf meine unausgesprochene Frage, doch ich spürte noch die Bewegung des Wellenganges. Nein, wir waren nicht an Land angekommen. Dieses Verhalten war dadurch noch seltsamer, oder auch nicht. Hier unten waren nur Frauen und Kinder. Was würden männliche Piraten also mit Frauen und Kindern tun? Mir schnürte sich bei diesem Gedanken unweigerlich der Magen zusammen. An sich wollte ich die Antwort nun nicht mehr wissen, doch sie spukte mir unablässig im Kopf herum. „Sag mal, Kleines, warum warst du eigentlich auf Reisen? Du scheinst mir nicht der Typ Frau zu sein, der durch die Welt reist um Abenteuer wie diese zu erleben.“ Als hätte sie gemerkt, dass mir ein Gedanke in den Sinn gekommen war, der mir Unbehagen bereitete, zog mich die Schatzsucherin in ein Gespräch. Wahrscheinlich wollte sie mich auf andere Gedanken bringen. Das zumindest gelang ihr. „Ich wollte in Balbadd ein Schiff nach Sindria nehmen. Allerdings war wegen eines Überfalls auf einen Diplomaten aus Kou dieser Weg für mich nicht mehr nutzbar. Ich wollte nach Aza um dort ein Schiff nach Sindria zu bekommen.“ „Sindria, huh? Bist wohl ins Exil verbannt worden“, scherzte die Schatzsucherin, doch mein Blick verfinsterte sich. Exil. Ja, so hätte man das wohl nennen können. „Ist nicht wahr, Kleines. Was hast du getan?“ Sie war gut darin meine Mimik zu lesen. Viel zu gut, denn nun konnte ich mir nicht einmal mehr eine Ausrede einfallen lassen. Ich konnte mir nur eine Lüge einfallen lassen, um das Ganze zu kitten. Doch weswegen sollte ich lügen? Ich hatte mir immerhin nichts zu schulden kommen lassen. Zumindest war ich mir keine Schuld bewusst. „Ich habe bei einem Mann gelebt, der Probleme mit dem Gesetz bekam, werde von der hiesigen Nebelbande gejagt, weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort war und ja... Das ist im Prinzip die grobe Zusammenfassung meines Vergehens.“ „Männer machen echt nur Probleme“, war alles, was die Schatzsucherin sagte. Scheinbar verstand sie den ersten Part mehr als falsch. „Oh, nein, Sadiq war nicht mein Mann fürs Leben. Ich bin noch vollkommen ledig und habe hier eigentlich auch nicht vor, mich zu binden. Sonst komme ich ja gar nicht mehr nach Hause.“ Die Schatzsucherin horchte auf und sah mich fragend an. Scheinbar musste ich meine Geschichte doch etwas genauer zum Besten geben. Bevor ich jedoch ansetzen konnte, wurde wieder die Verliestür geöffnet. Erneut traten Piraten ein, erneut klapperten Schlüssel und wieder wurde eine Frau aus dem Gefängnis geführt. Ich wartete bis unsere Gefängniswärter weg waren, bevor ich zur Schatzsucherin sah und mit meiner Erzählung begann. „Ich komme nicht von hier. Also, damit meine ich, dass ich nicht einmal aus Balbadd komme. Meine Heimat liegt weit, weit weg von hier. Keine Ahnung wie ich überhaupt nach Balbadd gekommen bin. Meine Erinnerungen sind dahingehend noch etwas verschwommen.“ Ich holte etwas Luft und überlegte. Dank Cassandra wusste ich nun immerhin, was diese schwarzen Flecken sein konnte. Schwarzes Rukh. „Eine weit entfernte Heimat? Verdammt, hätte ich nur meine Landkarte, du hättest mir zeigen können, wo es liegt.“ „Nein, nicht wirklich. Meine Heimat ist auf keine eurer Karten auch nur ansatzweise eingezeichnet.“ Die Schatzsucherin staunte auf meine Worte hin. Ich konnte sogar schwören in ihren Augen ein leidenschaftliches Feuer aufflackern zu sehen. Richtig, ein Land, das auf keiner Karte eingezeichnet war, musste wahnsinnig vielversprechend für sie sein. Wie die untergegangene Kultur von Atlantis für uns vielversprechend war. „Wäre es schlimm, wenn wir das Thema wechseln? Gerade mag ich nicht wirklich über meine Heimat reden. Ich habe sie nun fast zwei Monate nicht mehr gesehen und wenn ich die Situation recht bedenke, werde ich das sobald auch nicht.“ Ich flüsterte die letzten Worte, denn das Mädchen, welches so sehr auf Sindria oder Balbadd hoffte, war hellwach und schien unser Gespräch angeregt zu belauschen. Kein Wunder, etwas besseres gab es momentan nicht zu tun. Sie war ja auch nicht die Einzige, viele unserer Mitgefangenen hörten uns zu, selbst wenn sie es nicht so offensichtlich taten, wie das Mädchen. „Da fällt mir ein, meine Geschichte könnte fast wie die von Alice im Wunderland sein.“ „Alice im Wunderland?“, fragte die Schatzsucherin und hob eine Augenbraue. Scheinbar kannte man Lewis Carroll hier nicht. Auch gut. „Das ist eine Geschichte aus meiner Heimat. Sie handelt von Alice Liddell, einem Mädchen, dass ihren Kopf scheinbar immer in den Wolken hatte.“ Ich sah zu dem Mädchen auf der anderen Seite, das nun noch gespannter die Ohren spitzte. Ich war als Geschichtenerzählerin in diese Welt gekommen. Oder hatte mir viel eher unter diesen Vorwand einen Platz in Assads Freudenhaus verschafft. Gerade jetzt waren Geschichten alles, was uns vielleicht von der Verzweiflung ablenkte. Was mich ablenkte. Es war zumindest alles, was ich im Augenblick tun konnte.   Die Piraten hatten sich nicht davon stören lassen, dass ich eine Geschichte erzählte, während sie immer wieder Gefangene raus brachten. Während sie das taten, zählte ich heimlich mit. Von zwanzig Frauen, die sie raus gebracht hatten, waren sechs nicht wieder gekommen. Sechs Frauen, deren Verbleib ungewiss blieb. „Alice ist also wieder nach Hause gekommen?“ Ich nickte auf die Frage des Mädchens, was auf der anderen Seite des Gefängnisses saß. Die Schatzsucherin hatte während der Geschichte nicht einmal versucht, noch den Dialog mit mir einzugehen. Stattdessen waren es die Jüngsten unter uns, die immer wieder Fragen stellten oder erstaunte „Oh“s und „Ah“s von sich verlauten ließen. Für den Augenblick dieser Geschichte hatte ich ihnen immerhin die Angst nehmen können. Die Frage war nur, wie lange das halten würde. „Ja, das ist sie. Zurück zu ihrer Schwester, der sie sogleich von ihren Abenteuern im Wunderland erzählte. Ihre Schwester glaubte ihr natürlich nicht, denn sie hatte die ganze Zeit über die schlafende Alice gewacht.“ „Das heißt, sie hat die ganze Zeit geschlafen?“, fragte ein anderes Kind aufgeregt. „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Das dürft ihr entscheiden.“ So wie ich es mit meinen Lesern hielt, wollte ich es natürlich auch für die Kinder hier halten, die sofort anfingen aufgeregt miteinander zu debattieren ob Alice ihr Abenteuer nur geträumt hatte oder nicht. Kinder waren dahingehend ein dankbares Publikum. Sie dachten über so vieles in dieser Welt nach und akzeptierten sie nicht einfach, wie sie war. „Scheint, als wäre die Hexe auch ohne Zauberstab noch mächtig genug.“ Ich sah auf, als Ruriels Stimme vom anderen Ende unserer Gitterstäbe erklang. Er war in Begleitung vier weiterer Piraten und hielt den Schlüssel in der Hand, der vermeintlich für unsere Zelle bestimmt war. „Du, Hexe, komm mit.“ Ruriels Ton war harsch, auch wenn eine gewisse Wärme dahinter lag. Es war deutlich, dass er keine Widerrede duldete. Dennoch sah ich fragend und ein wenig verängstigt zu der Schatzsucherin, die mit einer Geste deutlich machte, dass ich mich nicht wehren sollte. Sie machte mir sogar Platz, so dass ich aufstehen und an ihr vorbei steigen konnte. In mir machte sich wirklich ein mulmiges Gefühl breit, auch wenn ich mir versuchte einzureden, dass ich in keinster Weise attraktiv genug war, sodass ein Mann auch nur ansatzweise das Bedürfnis hatte mich zu einem Opfer zu machen. „Bis gleich...“, rief ich noch in die Zelle rein, bevor Ruriel aufschloss und mich mehr hinaus zerrte, als mir die Freiheit zu lassen hinauszutreten. Er hielt mich auch den Weg über fest, so als befürchtete er, dass ich doch noch einen Fluchtversuch starten würde. Etwas, dass unmöglich war, da vor und hinter uns zwei seiner Kollegen liefen. An Flucht war damit nicht einmal zu denken. „Fragst du dich nicht, wohin ich dich führe?“, fragte Ruriel nach einigen Schritten, die wir aus dem Verlies gemacht hatten. Ich war in der Tat nicht einmal auf die Idee gekommen zu fragen. Dafür hatte ich schon ein zu sehr vorgefestigtes Bild. „Sollte ich?“ Im Nachhinein betrachtet, war meine Gegenfrage mehr ein Reflex als eine clevere Antwort. Natürlich sollte ich. Ich war eine Gefangene auf einem Piratenschiff nicht auf einer Luxuskreuzfahrt. Oh Gott, gerade wirkte ich sicher nicht wie eine der hellsten Leuchten hier an Bord. „Ich meine: Wohin führt ihr mich?“ Nein, ich war wirklich nicht die hellste gerade und ich hatte nicht einmal eine Ausrede dafür, warum es so war. Der Spätzünder in mir kam wohl wieder zum Vorschein. Ruriel quittierte meine späte Frage mit einem Seufzen und schüttelte den Kopf. Ich wollte gar nicht wissen, was er gerade von mir dachte, denn es war sicher nichts Gutes. „Saam will dich sprechen. Ich empfehle dir, dass du einfach seine Fragen beantwortest, ohne irgendwelche Anstalten zu machen. Gib ihm, was er will, und es wird dir nicht schaden.“ „Wer ist Saam?“ Ja, ich gestehe, meine Frage hätte eher lauten sollen, was dieser Saam wollte, statt wer Saam war, doch darauf war ich in diesem Moment gar nicht gekommen. Ich fand die Frage danach, wer Saam war, wesentlich interessanter. „Der Mann, der deinen Freund über Bord geschickt hat.“ Es dauerte nicht lange, um diesen Wink zu verstehen. Ruriel wusste sicher, dass ich das Handgemenge von Cassius bemerkt hatte. Demnach wusste ich wirklich, wer Saam war. Diese überdimensionale Echse. Vielleicht war Saam auch mehr ein Wesen in Richtung Kappa. „Und da soll ich einfach tun und machen was er will?“ „Es liegt an dir, wo du enden willst.“ Kryptischer hätte dieses Gespräch wohl nicht verlaufen können. Es erinnerte mehr an dem Versuch, mir eine Überraschung nicht verderben zu wollen. Wobei es so viele Überraschungen noch nicht gegeben hatte, bei denen man sich hätte verplappern können. Mehr sagte Ruriel auch nicht. Er führte mich schweigend an Deck. Ein kurzer Blick gestattete mir außer einer weit entfernten Insel, die sicher nicht mehr Bitroun war, nichts außer Meer zu sehen. Vor einer Tür, die wohl in die Kajüte des Kapitäns führte, blieben wir stehen. Mir wurde mulmig zumute, als Ruriel die Tür öffnete und ich den überdimensionalen Kappa-Echsenmann vom Vorabend sah. „Da rein...“ Ich spürte Ruriels Hand in meinem Rücken, die mich in das Innere der Kajüte drückte und schließlich, kaum dass seine Hand nicht mehr zu spüren war, verschloss sich die Tür hinter mir. Mir wurde immer mulmiger, dennoch sah ich mich um. Die Otome-Games hatten immerhin nicht gelogen, was das anbelangte. In der Kajüte des Kapitäns stand dessen Bett, ein großer Schreibtisch in der Mitte, vor dem ein Stuhl war und hinter dem der Kapitän selbst saß. Mit stechenden, wartenden Blick. Okay, das erinnerte nun doch mehr an ein Bewerbungsgespräch im Büro des Big Boss. Ich hasste Bewerbungsgespräche, denn sie machten mich nervös. Vor allem hasste ich Bewerbungsgespräche mit Männern wie diesem Saam, der mich grimmig ansah. Vielleicht war das aber auch einfach nur sein Gesicht und er konnte nicht lächeln. Diesen Gedanken behielt ich besser für mich. „Setzen!“, kam es von ihm, nachdem er scheinbar bemerkt hatte, dass ich auch bei der Tür Wurzeln geschlagen hätte. Oberste Regel bei einem Bewerbungsgespräch, erst setzen wenn der Chef es sagt. Selbst wenn er einen drei Minuten stehen lässt. Das hatte man uns in der Regelschule beigebracht, als wir bei einem Bewerbungstraining in der örtlichen DEKA waren. Um zu demonstrieren, dass ich doch in der Lage war, einfache Befehle zu befolgen und vor allem, weil mir Ruriel angeraten hatte, das zu tun, was Saam wollte, setzte ich mich auf dem Stuhl ihm gegenüber und bereute es just in diesem Moment. Denn die Nervosität stieg. „Name?“ Ich schwieg, denn diese Aufforderung war doch etwas... unerwartet. Fragten Piraten wirklich nach dem Namen ihrer Ware? Würden sie mich anpreisen wie Ikea es mit seinen Möbeln tat? In meinem Kopf spielte ich bereits einen entsprechenden Film ab. „Kaufen sie heute noch die Sklavin Erenya. Sie kann kochen, singen und Geschichten erzählen, ist außerdem eine hundertklassige Magierin, die sie mit ihrem Borg beschützen kann.“ Nicht einmal ich hätte mich bei so einer Werbung gekauft. „Name“, forderte Saam deutlicher, als ich nicht gleich beim ersten Mal antwortete. Egal, was hier lief, es war wohl besser, den Kappa nicht weiter zu verstimmen. „Erenya Tailor“, antwortete ich halb wahr. Erenya hatte ich mich in dieser Welt ja schon die ganze Zeit genannt und Tailor... naja, Attarath hätte sicher noch bescheidener geklungen. „Seltsamer Name, woher kommt der?“ Meine Augenbraue schnellte in die Höhe. Bisher hatte niemand auch nur ansatzweise ausgesprochen, dass mein Name seltsam klang. Piraten hatten echt das Feingefühl eines Kieselsteins im Schuh. „Aus meiner Heimat.“ Mehr oder minder. Die richtige Antwort wäre wohl gewesen 'aus meinem Kopf'. Das musste ich allerdings auch nicht dem Herrn Kappa auf die Nase binden. „Und deine Heimat liegt wo?“ Allmählich nahm dieses Gespräch die Form eines Ping-Pong-Spieles an. Er warf mir die Frage zu, ich konterte, er stellte daraufhin die nächste Frage. Passte doch. Solche fließenden Übergänge hätte ich mir beim Schreiben häufiger gewünscht. „Keine Ahnung.“ „Keine Ahnung?“, fragte Saam und sah mich eindringlich an. „Meine Heimat ist auf keine Ihrer Karten verzeichnet. Ich weiß nur, dass meine Heimat so weit entfernt und so schwer erreichbar ist, dass Ihre Schiffe sie nicht einmal erreichen könnten.“ Zweifelnd sah mich Saam an. Diese Antwort schien ihn nicht glücklich zu machen. Was anderes konnte ich aber auch nicht sagen. Und aus der Sache mit dem weit entfernten Land hatte ich bisher noch kein Geheimnis gemacht. „Und wie kommst DU dann hier her, Hexe?“ Ich war mir nicht sicher, aber die Tatsache, dass er mich Hexe nannte, ließ mich glauben, dass er bereits meinen Namen vergessen hatte. Wie unhöflich. „Keine Ahnung.“ „Du weißt nicht viel, oder?“ „Zumindest nicht was diese Angelegenheit betrifft.“ Nannte man das schon vorlaut, oder einfach gnadenlos ehrlich? Ich wusste es nicht. Wichtig war mir nur, dass ich sagte, was meiner Meinung nach die Wahrheit war. „Bist du schon lange in Bitroun gewesen?“ „Nur auf Durchreise. Mein Ziel ist... war Aza. Ich wollte von dort nach Sindria.“ Schweigend sah mich Kappa-Mann an. Er schien zu überlegen, was ich in Sindria wollte. Seltsam, denn das war ein Blick, den ich bisher immer gesehen hatte, wenn ich erwähnte nach Sindria zu wollen. „Nach Aza... Balbadd liegt näher.“ „Von da komme ich und es fuhren zu dem Zeitpunkt keine Schiffe mehr nach Sindria.“ Da der Kapitän Balbadd erwähnte, fragte ich mich, ob denn die Schiffe schon wieder auslaufen durften. Wenn ja, war es einfach doof gelaufen. Wobei vielleicht auch nicht. Da Kassim nach mir suchen lassen hatte, war es wohl besser, nicht in Balbadd zu warten bis irgendwann mal ein Schiff fuhr. Meine Entscheidung, die vor allem durch die Mädchen im Freudenhaus ausgelöst worden war, war damit definitiv die richtige gewesen. „Was wolltest du in Sindria?“ „Will. Ich will einfach dahin weil... Hab gehört es soll schön sein um diese Jahreszeit.“ Die Frage, was ich wollte, war einfach suboptimal. Ich wusste ja nicht einmal selbst, was ich genau da wollte, außer lernen und leben und den Zeitpunkt abzufangen, an dem Sinbad mit Masrur und Ja'far nach Balbadd reiste. „Was hast du angestellt, Hexe?“ War es wirklich so deutlich, dass ich mehr oder minder auf der Flucht war? Ich seufzte. Wahrscheinlich. „Mich mit der Nebelbande angelegt, den falschen Mitbewohner gehabt, einen Prinzen im Kampf unterstützt. Alles mal so nebenbei, ungewollt versteht sich.“ „Genauso ungewollt wie du uns das Leben schwer gemacht hast, vor deiner Kapitulation?“ Die Frage war natürlich gut und berechtigt. Wobei, die Antwort war ja. „Ja.“ Erneut sah mich der Kapitän grimmig an. Mittlerweile ging ich davon aus, dass es einfach nur sein Gesicht war, dass von Natur aus so grimmig blickte und er es als neutralen Gesichtsausdruck gewertet hätte. „Was hast du in Balbadd vor deiner Abreise getan?“ „Ich war in Assads Freudenhaus als Geschichtenerzählerin und Küchengehilfin zuständig.“ „Du kannst kochen?“ „Davon können Sie ausgehen, ja.“ „Was für Fähigkeiten besitzt du noch?“ Das ganze Gespräch mutete immer mehr wie ein Bewerbungsgespräch an, was mir nur noch ein mulmiges Gefühl bereitete, weil diese Situation einfach so absurd wirkte. „Ich kann lesen und schreiben. Außerdem lerne ich sehr schnell. Kampftechnisch, bin ich... ungeeignet. Ich habe zwar diesen Schutzschild und beherrsche so ansatzweise zwei Zauber, aber in Sachen Selbstverteidigung und Kampf... bin ich die schlechteste Person die Sie finden könnten. Ich bevorzuge es, Menschen nicht zu verletzten oder zu töten.“ „Du hast drei meiner Männer getötet und vier verletzt. Spricht nicht gerade für das, was du sagst.“ „Tut mir leid. Das waren... Kollateralschäden.“ Mehr konnte ich dazu auch nicht sagen. Diese drei Morde wollte ich nicht begehen, ebenso wollte ich niemanden großen Schaden zufügen. Eigentlich waren diese Piraten sogar selbst Schuld, aber diesen Gedanken verkniff ich mir vor deren Kapitän besser. „Was hast du in deiner Heimat alles gemacht?“ „Ich war primär für die Verwaltung der kommunikativen Bedürfnisse meiner Mitmenschen verantwortlich.“ Ich war selbst von mir erstaunt, wie gut es das erklärte, was ich machte. Ich meine ich verwaltete zwar die Probleme der Kunden, aber gleichzeitig auch deren Bedürfnisse, selbst wenn es bei dieser Verwaltung hin und wieder nicht zur Lösung kam. Aber das musste ich ja nicht jedem auf die Nase binden. Außerdem war ich mir sicher, dass Saam eher weniger mit dem Begriff „Kundenbetreuer“ anfangen konnte. „Was auch immer...“, bekam ich als Antwort und war drüber fast schon entsetzt. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal jetzt verstanden was ich getan hatte. Aber schön, scheinbar hatte es auch nicht sonderlich viel Belang für ihn. Sicherlich hatte er sich etwas nützlicheres vorgestellt. Na wenn er gewusst hätte, wie nützlich so ein Kundenbetreuer im Kommunikationsbereich war. „Was sind deine Stärken und Schwächen?“ „Zu meinen Stärken zählt Kreativität, Planung und Organisation, Pünktlichkeit, Treue, Aufmerksamkeit, schauspielerisches Talent, Singen, Schreiben, Lesen, eine schnelle Auffassungsgabe, ein gutes Gedächtnis...“ „Und Schwächen?“ Saam hatte mich inmitten meiner Aufzählung unterbrochen. Scheinbar waren es zu viele Stärken, falls man zu viele davon haben konnte. „Ich bin unordentlich, schüchtern, depressiv, zu neugierig, gerate schnell in Schwierigkeiten, bin etwas zu verträumt, mische mich schnell in zu viele Dinge ein, die mich nichts angehen, bin zu vertrauensselig, nahe am Wasser gebaut...“ „Das reicht.“ Erneut hatte er mich unterbrochen. Das war unhöflich. Er hatte schließlich gefragt, da hätte er mich zumindest ausreden lassen können. Saam erhob sich von seinem Platz und ging um den Tisch herum. Ich behielt ihn im Auge, bereit die nächste Frage zu beantworten, was auch immer diese sein konnte. „Verstehe...“, murmelte er schließlich, als er in meiner unmittelbaren Nähe zum Stehen kam. Erst jetzt konnte ich seine wahre Größe sehen. Etwas das mir auch schon aufgefallen war, als ich ihm gegenüber gesessen hatte, aber Leute anzustarren war böse. Die Frage war nur, was er nun verstand. Ich erwartete zumindest darauf eine Antwort. Statt einer Antwort zog Saam allerdings einen Säbel und ließ ihn mir entgegen sausen. Es war ein reiner Reflex, dass ich aufsprang, der Stuhl dabei umkippte und ich mich bereit machte wegzulaufen, auch wenn es unter den Umständen, dass er ziemlich nahe war, zu spät gewesen wäre. Erst als die Klinge auf den Borg traf, wurde mir wieder bewusst, dass ich gar nicht fliehen musste. Saam hatte nicht einmal den Arm voll ausgestreckt, als mein Borg ihn daran gehindert hatte, mir das Licht auszuknipsen. Wie schon damals in Balbadd wurde der Angriff von meinem Borg abgefedert, abgewandt, doch Saam schien alles andere als überrascht. Was bei seinem Gesicht natürlich auch nur ein Mangel an Emotionen hätte sein können. Er versuchte es aber auch gar nicht erst, noch einmal anzugreifen, sondern steckte den Säbel wieder weg. „Das ist deine einzige Chance, schließe dich uns an.“ Ich fühlte mich, als drückte mir Saam mit diesen Worten eine Pistole auf die Brust. Genauso wie es Kassim getan hatte. Das Ende des Liedes kannten wir ja. Vielleicht, war dies hier eine Chance daraus zu lernen. Nur, was hatte ich aus meiner Entscheidung gelernt? Das Kouha Ren ein Freund geworden, ich aus Balbadd vertrieben und schließlich von Piraten gefangen genommen war, oder dass es mein Schicksal war, irgendeiner zwielichtigen Gesellschaft beizutreten? War das wirklich das, was das Schicksal von mir erwartete? Eine der Bösen zu sein? Naja, ich hatte schwarzes Rukh... Das hätte schon stark darauf schließen lassen können. Vielleicht hätte ich es einfach mal versuchen sollen, die Böse zu sein. „Nicht als kämpfende Piratin. Das ist nicht mein Stil, ich bin nicht für den Kampf geeignet. Allerdings, wenn Ihr mir einen Kompromiss bieten könnt, gerne.“ Kapitel 20: Sklaven ------------------- Das man mehr als nur fernab der Heimat war, wurde einem erst bewusst, wenn man Dinge sah, die man nicht kannte. Das hatte ich gelernt. Auf meiner Reise, die mich in bergiges Gefilde gebracht hatte. Seltsam, wenn man bedachte, dass ich vor wenigen Minuten noch geglaubt hatte mich auf offenem Meer zu befinden. Seltsam, wenn man bedachte, dass es mir von Tag zu Tag schwerer fiel meine Welt nicht zu vergessen. Mein Blick schweifte zu den Bergen, wobei es eher Felswände waren. Wie der Canyon in dem der Kouga-Clan seine Freiheit gewann und irgendwie auch verlor. Aber es war nicht dieser Canyon. Hoffte ich. Wie war ich hier her gekommen? Eine Spur von Rukh, weißem Rukh, wies mir den Weg. Richtig, ich war dem Rukh gefolgt. Wie damals in Balbadd. Wie lange war das her? Zwei Wochen? Wenige Tage? Drei Monate? Jahre? Egal wie lange es her war, die Rukh hatten mich nie enttäuscht. Ich war es gewesen, die mich immer wieder enttäuscht hatte. Ich würde ihnen also wieder folgen. Sie würden alles zum Guten wenden. Ich machte einen Schritt nach vorne, verlor aber das Gleichgewicht. Ein Schmerz zog sich durch mein Bein und ein Blick gen meine Füße offenbarte mir, dass ich schon wieder die Fesseln der Sklaverei vergessen hatte. Fesseln, die an jene Morgianas erinnerten. Diese zu verdienen, ging schneller als man glaubte. Mit ihnen zu fliehen, grenzte an ein Wunder. Eines, dass ich augenscheinlich vollbracht hatte. Alleine, ohne die anderen. Was für ein bitteres Ergebnis. Ich hatte Cassius nicht retten können, Hinata auch nicht, ebenso die anderen Sklaven. Meine Flucht, mein Weg, mein Wunsch nach Hause zu kommen, hatte diese Schmetterlinge zertreten. Doch um diese Opfer zu beklagen, war es zu spät. Um nicht erneut zu stolpern, legte ich eine Hand auf das kalte, pulsierende Gestein. Ich fragte mich nicht einmal, warum es pulsierte. Das würde schon seine Richtigkeit haben. Ich ließ mich von der Felswand stützen. „Entschuldigen Sie...“ Mein Blick hob sich, als ich eine Stimme direkt vor mir hörte. Ihre Blicke waren verzweifelt. Tränen liefen der Frau vor mir über die Wange. „Haben Sie etwas zu Essen?“ Wut pulsierte in meiner Faust. Sah sie nicht, dass ich eine Sklavin war? Was erdreistete sie sich, gerade bei mir zu betteln? Bei mir... Bei mir... Bei mir... Ich griff unter meinen Umhang und zog ein Sandwich, welches ich ihr entgegen hielt. Zumindest wollte ich das. Sie stand nicht mehr da. Ich hätte ihr mein Sandwich gegeben... Warum hatte sie sich hingelegt, in diese rote Pfütze? Enttäuschung. Vielleicht hatte ich schon wieder versagt. Versagt auch nur ein einziges erbärmliches Leben zu retten. „Du bist wirklich nicht tot?“ Ich sah gen Himmel. Da war er, der Mistkerl der mich in diese Lage gebracht hatte. Der Riesenschädel und er erdreistete sich auch noch zu lächeln. „Idiot...“, murmelte ich, wandte meinen Blick ab und stieg so gut es ging über den Körper der Frau. Natürlich war ich nicht tot. Ich machte weiter und weiter und weiter und weiter... Dieser Canyon schien wirklich kein Ende zu haben. Das Sandwich war über den ganzen Weg den ich gelaufen war, schon zu Staub zerfallen. Armes Sandwich. Es war das Letzte seiner Art. „Gack, Gack!“ Nervige Hühner... Sie fraßen besser als die Gefangenen und sie wagten es sich zu beschweren. Ich drehte mich um und sah in den Käfig. Farmer zu sein hatte ich mir anders vorgestellt. „Ihr bekommt ja, ihr bekommt ja...“, murrte ich und hob den Sack voller Futter auf. Blöden Hühner. Sie brauchten sich keine Sorgen machen, ich würde sie nicht mehr vergessen. Nie wieder. Das letzte Mal hatte zu weh getan. Blöden Hühner. Wenn ich nach Hause kam, würde ich nie wieder blöde Hühner haben. Nicht einmal in Harvest Moon. Blöden Biester. „Das Schicksal hat sicher auch einen Platz für dich.“ „Und gegen den solltest du dich nicht wehren.“ Klugscheißer, alle beide. Nel und Ruriel... Seltsam, warum kannten sie sich? Nicht so wichtig. „Fresse...“, antwortete ich und beobachtete die Hühner, die sich in schwarzes Rukh auflösten. Sie bildeten einen Vorhang, bis sie empor stiegen und ich meinem eigenen Ebenbild ins Gesicht sehen konnte. „Richtig, auch wir haben unseren Platz... Ich habe meinen Platz, aber du, Geschichtenerzählerin, wirst auch hier in Vergessenheit geraten.“ Sie hob ihren Zauberstab, mit dem rot glühenden Alexandrit. Der Zauber den sie sprechen würde, lag mir auf der Zunge. „Lass mich vorher, dass Lied zu Ende hören...“, flüsterte ich leise, die Augen schließend und in die Stille lauschend. Das Lied, es war schwach, aber hörbar, irgendwo, irgendwann... Das alles... ergab... keinen Sinn... Und deswegen, würde ich aufwachen, wie so oft.   **~~**   Selbst nach drei Monaten hier auf einem Piratenschiff zu erwachen, erschien mir so unwirklich, auch wenn mein Kopf mir klar und deutlich machte, dass dies alles real war. Genauso machte mein Hirn mir an manchen Tagen klar, dass meine Träume eben nur das waren, Träume. Dennoch, ein Analytiker hätte seinen Spaß damit gehabt. Selbst mir wurde nach all dem, was ich bisher erlebt hatte klar, was diverse Bilder bedeuteten und das ich vielleicht mit einigen unausgesprochenen Emotionen zu kämpfen hatte. Wie zum Beispiel Wut oder Hass. Leider war eine Antiaggressionstherapie nicht wirklich nahe. Eher lag sie in sehr, sehr weiter Ferne. Besser war es, wenn ich alle meine Gefühle unterdrückte, so lange wie möglich. Ich wollte nicht riskieren, dass ich die anderen Sklaven, die Gefangenen oder gar mich selbst in Gefahr brachte. Ich erhob mich von meinem Nachtlager und sah mich im Zimmer um, der für uns Sklaven bereit gestellt wurde. Die anderen schliefen noch den Schlaf der Gerechten. Glücklicherweise. Ich hatte auch heute nicht vor, sie zu früh zu wecken. Die Arbeit an Bord war hart, ermüdend und manchmal gar nicht tragbar. Ich hatte mir daher angewöhnt schon früh wach zu werden, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen über den Zenit stiegen. Das ich das nun schon seit gut zweieinhalb Monaten wirklich durchhielt, grenzte an ein Wunder. Dabei war ich in meiner Welt immer ein Langschläfer gewesen. Aber wirklich viel Schlaf bekam ich selten. Nachdem alle Pflichten erledigt waren, versuchte ich Ruhe zu bekommen, wachte etwas über den Schlaf der anderen Sklaven, bis ich schließlich selbst einschlief. Wenn man es recht bedachte, bekam ich nicht viel Schlaf und das, was ich hatte, war auch nicht erholsam, da diese Albträume mich verfolgten. So leise wie möglich warf ich die Decke von mir und stieg aus meinem Nachtlager, wobei ich ein ein unangenehmes Ziehen an meinen Gliedern spürte. Ja, die Nacht lag mir definitiv noch in den Gliedern. Doch zu Jammern war keine Zeit. Ich musste das Frühstück vorbereiten, zu den Biestern, die sich Hühner nannten, gehen. In Harvest Moon waren sie wesentlich handzahmer und pickten nicht nach einem, sobald man ihnen Futter entgegen werfen wollte. Umgänglicher waren da die Schafe. Gerade in der Morgenstunde waren ihre wolligen Körper so etwas wie eine gemeine Versuchung. Eine, der ich bisher immer widerstanden hatte. Fast immer. Einmal war ich wirklich bei ihnen eingeschlafen und die Bestrafung brannte mir heute noch in der Erinnerung. So schnell würde mir das also nicht mehr passieren. Ich schloss die Tür leise hinter mir und verkrampfte automatisch. Den Raum für uns Sklaven zu verlassen, war für mich gleich bedeutend mit dem betreten der Höhle des Löwens. Ich fühlte mich alles andere als sicher, was nicht einmal daran lag, dass diese Männer hier alle Piraten waren. Es lag viel mehr an eine handvoll Individuen, die ich hinter jeder Ecke vermutete. In der Schule hätte man sie Petzen genannt und sie sozial isoliert. Hier hießen sie Sarim, Ruriel und so weiter. Ehrlich gesagt, traute ich keinen von ihnen weiter, als ich sie werfen konnte. Und werfen konnte ich bekanntlich nicht sehr weit. Dennoch, ich bemühte mich, es mir nicht anmerken zu lassen, und ging den langen Gang entlang in Richtung der Küche, die nicht weit von unserem Lager entfernt war. Die Piraten schliefen großteils noch, abgesehen vom Navigator und dem armen Verlierer, der seit dem Abendessen im Ausguck saß. Ein Job, um den sich die Piraten so sehr rissen, dass sie diese Aufgabe durch Stäbchen ziehen vergaben. Wirklich sehr erwachsen. Das Einzige, was ich für diese arme Gestalt tun konnte, war ihm nach den Frühstücksvorbereitungen seine Mahlzeit rauf zu bringen, auch wenn die Höhe mir immer noch zu schaffen machte. Immerhin brachte mir das in gewisser Weise Pluspunkte bei Saam, wenn auch keine Vertrauenspunkte. Vertrauen war nämlich Mangelware, eine die ich mir auch zugelegt hatte. Ich wusste nie, wem ich was erzählen konnte, oder was ich besser geheim hielt. Ich war daher dankbar, dass sie nur das Nötigste mit mir sprachen, auch wenn sie sich hin und wieder die ein oder andere Information aus der Nase ziehen ließen. So hatte mir der Navigator zum Beispiel ein wenig über die Kunst der Navigation beigebracht, was ich in frühen Morgenstunden, wenn die Sterne noch am Himmel standen, anzuwenden versuchte. An sich war es nicht schwer, denn zum ersten Mal war mir bewusst geworden, dass es in der Magi-Welt genau dieselben Sternenkonstellationen gab, wie in meiner Welt. Der Nordstern, der große Wagen, Herkules, Kleiner Wagen, sie waren alle nicht fremd, abgesehen von ihren Namen. Mir war erst dadurch bewusst geworden, wie ähnlich sich meine Welt und die von Magi waren. Wenn man sich darauf einließ, sie als ähnlich zu sehen. Oder ihre Ähnlichkeit zu akzeptieren. Es war schwer, das zu tun, aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich hier war, was schon unmöglich schien, konnte ich nicht anders. Es waren diese Morgenstunden, die ich nutzte, um meinen Gedanken nachzuhängen, darüber, was ich alles erfahren hatte, auf dieser dreimonatigen Reise. Ich hoffte immer noch, hier weg zu kommen, denn als Sklavin hätte man es sicher auch besser treffen können. Oder aber auch schlechter. Ich persönlich war mir nicht sicher, als was ich meine Lage bewerten wollte. Fakt war nur, ich wollte nicht länger in dieser Lage sein. Alles in mir sträubte sich dagegen. Der Drang zu fliehen war genauso überwältigend wie meine Wut und mein Hass. Und doch, wurde ich nicht von diesen Gefühlen, oder diesem Drang überrollt. „$[ß%ß& {} ¶ß}^, /^§% £] ${+Ɛ &/§& ß +{# $ß+Ɛ &{ &/^^ ß $ß+Ɛ }{% ]{~ #ß&/ £] /^§{& §+= £] ${~¶ ß'£ /^{^, #§ß&ß+Ɛ }{% ]{~ &{ §+$#^{ £^.“ Während ich in der Küche meine Arbeit verrichtete, sang ich leise das Lied, welches mir nach dem Erwachen im Kopf herum spukte. Ich kannte es, es kam immerhin aus einem Spiel, welches ich feierte. Aber der Text hätte genauso gut aus unserer Welt stammen können. Es wurden Geister des Lebens besungen, die einen leiten sollten. Für diese Geister sang man und auch wenn es eher unwahrscheinlich war, dass die Rukh mich verstanden, schließlich sang ich das Lied in einer Sprache, die aus meiner Welt kam, so betete ich in gewisser Weise zu ihnen. Dafür, dass sie mir noch einmal den Weg wiesen und mir aus dieser Miesere halfen, selbst wenn mein schwarzes Rukh eher davon zeugte, dass ich eine der Bösen war. Aber damit wollte ich mich genauso wenig abfinden, wie mit der Tatsache, dass dies hier mein Schicksal war. „Öffnet mir die Augen, lasst mich den Wind spüren, die Erde und mein Herz...“, flüsterte ich die nächsten Zeilen des Liedes in der hiesigen Sprache. „Helft mir mutig zu sein, macht mich weise, macht mich stark.“ Es war einer der seltenen Momente, in denen ich mir erlaubte, schwach zu werden und ein paar Tränen die Freiheit zu gönnen. Vor den Anderen traute ich mich das nicht. Im Gegenteil, ich versuchte dann immer stark zu sein, sprach das Mantra, welches mir von Tag zu Tag mehr wie eine Lüge erschien. 'Wir werden uns befreien.' Wie sehr ich selbst an dieses Mantra noch glaubte, wusste ich nicht und doch arbeitete mein Kopf immer weiter an Ideen für die Flucht und verwarf sie wieder. Ich hatte kurzzeitig daran gedacht, hin und wieder Lebensmittel bei einem der Beiboote zu lagern um dann in einer Nacht und Nebel-Aktion mit den Anderen zu fliehen, allerdings hatte ich schnell gelernt, dass dies ungünstig war. Nicht nur, dass in regelmäßigen Abständen die Beiboote geprüft wurden, sie waren auch in Nutzung. Noch dazu wäre das Verschwinden von Lebensmitteln aufgefallen, vor allem, wenn es über einen längeren Zeitraum geschah. Damit war dieser Plan hinfällig. Konzentriert sah ich auf eine Kartoffel, die ich gerade schälte. Kaum zu glauben, dass ich in Balbadd noch den halben Erdapfel weg geschält hätte. Ameen war damals halb verzweifelt, aber dennoch geduldig geblieben. Er hatte es mir ein ums andere Mal gezeigt. Wie ich das Messer halten musste, wie ich ansetzen sollte und Stück für Stück war ich besser geworden. Kartoffelschäler würden also auch in meiner Welt der Vergangenheit angehören. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich hatte hier schon einiges gelernt, Dinge, die ich in meiner Welt wohl niemals gelernt hatte. Dinge die hier wichtig waren und wertvoller als das Wissen, welches ich mir in meiner Welt angeeignet hatte. Zumindest hatte es mir bisher noch nicht viel gebracht. Das war deprimierend. „Du hast mich schon wieder nicht geweckt...“, hörte ich es müde von der Tür und sah zu dieser, während ich die geschälte Kartoffel in eine Schüssel legte. Da stand sie, die „Anführerin“ von uns Sklaven. Daria. Anmutig, stolz und stark. Die Sklaverei hatte sie nicht im Geringsten verzweifeln lassen. Sie wusste uns immer wieder zu motivieren, wenn wir es aus eigener Kraft nicht konnten und das Rukh, das sie an manchen Tagen umgab, war einfach nur wunderschön. „Ich dachte, du könntest noch etwas Schlaf gebrauchen. Die Kartoffeln sind fast schon fertig. Wir müssen sie nur noch reib- Ich meine klein schneiden und in den Teig von gestern Abend geben. Ich kümmere mich danach um die Äpfel und-“ Daria hatte schnell die Entfernung zwischen uns überwunden und legte mir einen Finger auf die Lippen und gebot mir zu schweigen. Eine Geste, die sie mehrmals am Tag mir gegenüber äußern musste und die mir sagte, dass ich es schon wieder getan hatte. „Lass uns auch noch etwas Arbeit. Du machst dich damit kaputt. Vergiss nicht, ich brauche dich. Ich hab nicht soviel Köpfchen, um mir einen Fluchtplan auszudenken. Du brauchst deine Kraft also.“ Sie lächelte breit und ich konnte nicht anders, als wie gewohnt den Blick von ihr abzuwenden und mich daran zu erinnern, dass sie mir vom ersten Tag unserer Begegnung, oder viel eher, als wir uns vertraut miteinander gemacht hatten, nichts anderes gesagt hatte. Sie sagte es auch den anderen Mädchen, weswegen unsere Gruppe noch nicht vollkommen der Verzweiflung verfallen war. „Wir brauchen alle unsere Kraft, auch du. Also lass mir dir und den anderen Arbeit abnehmen“, konterte ich und bekam plötzlich das Gefühl, dass wir dieses Gespräch jeden Morgen führen. „Abnehmen ja, aber nicht alles alleine machen. Ende der Diskussion.“ Damit war das letzte Wort gesprochen und eine Widerrede würde Daria auch nicht akzeptieren, deswegen versuchte ich es gar nicht erst, legte die letzte Kartoffel in die Schüssel und reichte diese meiner Mitstreiterin. „Da fällt mir ein, ich habe eine Bitte an dich.“ Ich sah auf und hob eine Augenbraue. Es war selten, dass Daria offen um etwas bat. In der Regel neigte sie ebenfalls dazu, alles selbst in die Hand zu nehmen, solange sie genau wusste, dass sie es tun konnte. Demnach musste ihre Bitte etwas beinhalten, von dem sie sich nicht wusste, ob sie das konnte. Was mich wiederum zweifeln ließ, ob ich es da konnte. „Worum geht es?“ Noch während ich darauf wartete, was Daria zu sagen hatte, ging ich zu einem Fass, in dem die Äpfel gelagert waren. Schon bei einem Blick in dieses verzog ich das Gesicht. Erneut hatte sich irgendjemand einen Imbiss gegönnt und war dabei nicht einmal dezent vorgegangen. An sich musste ich so etwas sicher Saam melden, aber ich wollte mir nicht ausmalen, was passierte, wenn herauskam, dass es eine von uns war. Allerdings war es auch besser, wenn ich es ihm sagte. Letzten Endes würde sonst einer seiner Männer das bemerken, es petzen und dann gnadete mir Gott. „Hinata... Sie kapselt sich von uns ab. Sie isst außerdem zu wenig.“ Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als hätte Daria mir eine schallende Ohrfeige verpasst. Hinata war nun nicht gerade ein Thema, über das ich gerne redete. Sie war, wie ich, eine Sklavin Saams geworden, hatte sich aber davon mehr erhofft, als eben nur Sklavin zu sein. Sie hatte gehofft so einen Weg für die Flucht zu finden, etwas das Tag für Tag in weite Ferne gerutscht war. Das hatte selbst sie bemerkt. Zwar legte sie sich immer noch mit den Piraten an, kassierte auch eine Strafe nach der anderen, aber etwas war anders, als auf der Reise mit Cassius und seiner Karawane. Sie schien mir nicht mehr dieselbe zu sein. Schlimmer war es erst geworden, nachdem eine von den Mädchen eine Flucht gewagt hatte und gescheitert war. Die Strafe... wurde uns nicht präsentiert, aber noch heute hallten in meinen Erinnerungen ihre Schreie wieder, wenn ich nur daran dachte. „Du willst also, dass ich mit ihr rede?“, fragte ich nach, da ich mir so etwas fast schon denken konnte. „Nur wenn du etwas Zeit hast. Hinata scheint mir und den Anderen nicht zu vertrauen. Du hingegen kennst sie doch schon etwas länger. Vielleicht hört sie auf dich.“ Hinata und auf mich hören. Dazu musste ein Wunder geschehen. Ein Großes. Oder ich brauchte einen plausiblen Plan für eine Flucht. Dennoch, ich konnte Daria diesen Wunsch nicht abschlagen. Selbst wenn Hinata und ich nicht gerade dicke miteinander waren. Versuchen konnte ich es immerhin. „Ich werde sehen, ob ich sie nach der Biesterfütterung in die Finger bekomme“, versprach ich daher und holte sechs Äpfel aus der Tonne. Für den Moment war die Zubereitung des Frühstücks wichtiger. Viel wichtiger.   **~~**   Ein Blick hinauf zum Ausguck bereitete mir immer noch Unbehagen. Doch der arme Tropf da oben brauchte eine Mahlzeit und ich wollte das nicht auch noch auf Daria abwälzen. Ich zurrte den kleinen Beutel fester um meine Hüfte. Darin war die wichtige Fracht. Ein Fladenbrot-Sandwich mit etwas Obst für den Start in den Tag. Die letzten Tage war ich nicht häufig zum Ausguck geklettert. Meist hatte ich Ruriel darum gebeten, oder einen anderen Kameraden, von dem ich glaubte, dass er mich nicht gleich zum Teufel schicken wollte. Das Wetter war zu unbeständig gewesen. Nass, verregnet und vor allem windig. Selbst in unserer Kabine zog es wie Hechtsuppe. Aber nun, je näher wir der Insel zu kommen schienen, die ich bereits seit drei Tagen erblickte, besserte sich die Wetterlage. Aber nicht nur die Wetterlage, sondern auch die Stimmung innerhalb der Mannschaft, die beinahe unerträglich geworden war. Es gab nur wenige Momente, in denen sie handzahm geblieben waren, meist wenn sie gut unterhalten wurden. Selbst das war aber nicht immer die Lösung für alles. Ich spürte das Zittern in meinem Körper, als ich Seilstufe um Seilstufe hinauf zum Mast stieg. Mir graute schon wieder, auf das nasse Holz zu treten, welches sicher glatt war und bei dem ich vorsichtiger sein musste, als bei Glatteis Zuhause. Dort bestand immerhin nicht die Gefahr mir das Genick zu brechen, abgesehen von der bescheuerten Metalltreppe, die ich laufen musste, wenn ich zu einer Schulung ins andere Gebäude wollte. Dort zählte ein Sturz aber wenigstens als Arbeitsunfall, hier als... Pech gehabt. Ich spürte das Brennen in meinen Handflächen, als ich die Seile fester umklammerte, doch loslassen war nicht in meinem Sinne, auch wenn der Wind mir immer stärker um die Ohren pfiff, je weiter ich hoch kam. Zwar nicht so stark, dass ich wie ein Windball hin und her geschleudert wurde, aber selbst jetzt den Wind so deutlich an meinem Körper zu spüren war in gewisser Weise beängstigend. Dennoch stieg ich weiter hinauf und hielt erst inne, als ich mich mit beiden Armen an den dicken Mast klammerte, um die letzte Leiter zu nehmen. Sie lag genau auf der anderen Seite. Es grenzte immer noch an ein Wunder, dass ich es wirklich auf die andere Seite schaffte, ohne das Gleichgewicht oder dergleichen zu verlieren. Das letzte Stück war damit so gut wie genommen und es machte sich wahre Erleichterung in mir breit, als ich endlich im Ausguck sah und in das Gesicht des Piraten blickte, der sehen wollte, wer ihn hier oben besuchte. „Guten Morgen. Ich hab hier dein Frühstück“, erklärte ich, während ich mir den Beutel von der Hüfte band und ihm entgegen hielt. „Ich hab dir auch etwas Saft mit gebracht.“ Ich bemühte mich zu Lächeln, während ich beobachtete, wie der Pirat sein Frühstück auspackte. Er beäugte mich dabei misstrauisch, obwohl es nicht das erste Mal war, dass er mich hier oben sah. Schließlich tat ich so etwas regelmäßig. Ich störte mich aber nicht mehr an diesem Blick, denn wie schon gesagt, Vertrauen war Mangelware. Stattdessen blickte ich über den Rand des Ausgucks und sah zu der Insel, die schon seit Tagen in Sicht war. Doch nun schien sie viel näher als zuvor. Ich konnte Bäume erkennen, die hinter den Felsen, welche aus dem Wasser aufragten, hervor leuchteten. „Wow, diese Insel ist ja nicht mehr weit von uns entfernt.“ „Mh...“, hörte ich den Piraten auf meine Anmerkung. Viel reden konnte er im Augenblick auch nicht, da er den Mund voll mit dem Sandwich hatte, welches aus einem Fladenbrot bestand. „Gehen wir da vor Anker?“ Sicher, jemand der die Flucht plante, hätte dezenter vorgehen sollen, denn so erweckte man nur das Misstrauen der Piraten. Allerdings war ich unter diesen auch als nicht gerade helle verschrien. Was natürlich kein Wunder war, nachdem ich mich zu Anfang wie der erste Mensch angestellt hatte. „Jup... So wie es der Kapitän geplant hat. Dann können wir zur nächsten Reise aufbrechen.“ Mir war nicht ganz klar, was der Mann meinte, aber es hatte schon etwas endgültiges. So als würde etwas enden. Im hintersten Stübchen meines Kopfes ließ das allerdings auch meine Alarmglocken schrillen. Ich wusste im Unterbewusstsein, was es für Piraten bedeuten würde, wenn sie zur nächsten Reise aufbrachen, doch so ganz wahrhaben konnte ich es nicht. Nicht in Anbetracht der Tatsache, dass die Insel vor uns verwildert und unbewohnt schien. Warum sollte also eine Reise an so einem Ort enden? „Mädchen, sag mal...“ Ich sah zu dem Piraten auf, der gerade einen großen Schluck aus der Saftflasche nahm. „Stimmt es, was man über dich hört?“ Verwundert hob sich eine Augenbraue von mir. Was auch immer man sich erzählte, es war sicher gelogen. Was sollte man sich schon von mir erzählen? „Du hast es noch nicht gehört? Man erzählt sich, dass du in die Träume der anderen eindringst und dass, wenn man nicht rechtzeitig erwacht, du sie umbringst. Im Schlaf und wach. Der alte Kian hat oft von dir geträumt und eines Morgens, ist er nicht mehr aufgewacht.“ Zweifelnder sah ich zu dem Piraten. Was er erzählte, konnte er doch nicht ernst meinen. Ich meine, ich sagte zwar immer, dass es sich nur um Albträume handeln konnte, wenn man von mir träumte, aber ich war doch nicht Freddy Krüger. „Er hatte einen Herzinfarkt, was durchaus normal in seinem Alter war. Das hatte nichts mit mir zu tun“, erläuterte ich, denn der alte Kian war wirklich alt gewesen. Wahrscheinlich schon an die Hundert. Noch dazu war er mir nie wie ein sonderlich gesunder Mann vorgekommen. Er aß zu wenig, überanstrengte sich bei der Arbeit und trank zu viel Alkohol. Er konnte da noch froh sein, dass sein Herz als erstes kapituliert hatte. Wenn er, während das passiert war, von mir geträumt hatte, war es also nicht meine Schuld. „Ich will nur sagen... Pass auf... Der Kapitän und Ruriel glauben das zwar nicht, ich auch nicht, aber, Seemänner sind sehr gläubig. Wenn du ihnen auch nur einen Anlass gibst zu glauben, dass du solche grausige Magie beherrschst, können dich weder der Kapitän noch Ruriel beschützen.“ „Du kannst deinen Kollegen dann gerne sagen, dass ein Magier ohne Zauberstab keine Magie wirken kann, ohne dass es schief geht. Das Risiko ist selbst mir zu hoch. Wie dem auch sei, lass dir noch dein Frühstück schmecken, ich muss mich noch um die Hühner und Schafe kümmern.“ Auch wenn mir nicht gefiel, was er mir erzählt hatte, machte es mir doch nur eines deutlich. Ich musste vorsichtiger sein. Selbst wenn Saam und Ruriel nicht daran glaubten, dass ich ihre Mannschaft im Schlaf töten konnte, wussten die Beiden sicher schon, dass ich nur zu gerne fliehen würde. Vor allem Ruriel, der sich augenscheinlich zu sehr um uns Sklaven bemühte.   Ich verdankte es allein Daria, dass ich nach der Biesterfütterung noch etwas Zeit hatte, um Hinata zu finden. Ein seltenes Ereignis, denn in der Regel ließen uns Saam und seine Männer kaum eine Minute Freizeit. Wie ich Daria aber einschätzte, hatte sie ihnen klar gemacht, dass es wichtig war, wenn es Hinata gut ging. Sie war schließlich auch eine Sklavin und wichtig für die Erledigung der Aufgaben. Auch wenn ich dieses Gespräch nur ungern führen wollte, es war schließlich Hinata mit der es stattfinden sollte, konnte ich Daria diesen Wunsch nicht abschlagen. Da ich den Plan kannte, wer für welche Aufgaben verantwortlich war, war es nicht schwer Hinata zu finden. Gebeugt und müde über einem Waschzuber unter Deck mit einem Berg von schmutziger Wäsche. Ihr Tempo bei der Arbeit war nicht jenes, welches ich noch vor zwei Monaten gewohnt war. Nichts an ihr erinnerte noch an die Frau von vor zwei Monaten. „Hey...“ Auch wenn Hinata bereit wissen musste, dass ich hier war, sie mich aber erfolgreich ignorierte, sprach ich sie an. Sie hielt inne mit dem Hemd, welches sie augenscheinlich schon zu lange geschrubbt hatte. Das würde Ärger geben, schon wieder. „Was willst du? Hat unsere Anführerin dir keine Aufgabe zugewiesen? Tut mir leid, aber ich habe auch nichts für dich zu tun.“ Ein Seufzen kam mir über die Lippen. Wirklich warm würden wir wohl nie miteinander werden. Allerdings konnte ich das auch verstehen, nach dem, wie unser Gespräch in der Zelle verlaufen war. Damals als sie noch gewillt war, zu fliehen. „Daria macht sich Sorgen um dich. Sie sagt, du isst kaum noch etwas. Das ist nicht gesund, Hinata.“ Ich ging auf sie und den Waschzuber, der groß genug für zwei Bretter war, zu. Allerdings lief ich an diesem vorbei, in Richtung der Wand, an der noch ein zweites Waschbrett stand. Wenn ich wirklich mit Hinata reden wollte, durfte ich unter keinen Umständen untätig bleiben. Nur für den Fall, dass die Piraten nach mir fragen würden, musste ich also Hand an die Wäsche legen. „Daria... Die Hexe kann mir gestohlen bleiben.“ „Hinata, ich bin die Hexe an Bord.“ Auch wenn ich wusste, wie Hinata das meinte, wollte ich doch nicht, dass man so über Daria sprach. Sie war mir eine Freundin geworden, eine Stütze, die ich fürchtete jeden Augenblick zu verlieren, wenn ich nicht auf sie acht gab. „Das ist nicht witzig... Daria soll sich aus meinen Angelegenheiten heraushalten. Und sie soll aufhören ihr Schosshündchen vorzuschicken.“ „Ich konnte noch besser damit leben, als du mich Hexe nanntest.“ Ich nahm das Waschbrett und ging zurück zu dem Waschzuber, vor dem ich mich hin hockte und das Brett in die leicht trübe Flüssigkeit hielt. Schweigend nahm ich ein Hemd von dem Haufen des Berges und begann, dieses zu schrubben. Ich versuchte gar nicht weiter, ein Gespräch mit Hinata zu führen. Ich hatte immerhin den ersten Schritt gemacht und es lag nun an ihr dies zu erwidern, indem sie sich mir annäherte. „Du solltest dich vor Daria hüten... Cybele hat es bereut.“ Es war wirklich Hinata, die nach kurzer Zeit das Schweigen brach, als sie das gewaschene Hemd auf den kleinen, feuchten Berg in einer Tonne warf. Cybele. Ich erinnerte mich an sie. Sie war so etwas wie Darias beste Freundin gewesen und war von den Piraten bei einem Fluchtversuch erwischt worden. Ihre Schreie waren es, die hin und wieder in meinen Gedanken erschallten. Jeder von uns hatte gedacht, ihr Plan sei gut gewesen. Er wäre gut gewesen, vor allem weil sie ganz alleine, ohne jemand anderen, versucht hatte zu fliehen. Das hatte ihr Risiko, erwischt zu werden, auf ein Minimum dezimiert. In ihren Plan eingeweiht, hatte sie auch nicht viele. „Cybele wurde erwischt, ja, aber das hatte nichts mit Daria zu tun. Sie wusste nicht einmal etwas von ihren Plan.“ „Hat sie dir das gesagt? Sie lügt. Daria wusste von dem Plan. Genauso wie ich davon wusste. Cybele hat mir sogar noch gesagt, dass sie glaubt, dass Daria uns alle für die Piraten ausspioniert.“ „Wenn sie sich so sicher war, warum hat sie dann die Flucht gewagt und Daria in ihre Pläne eingeweiht?“ „Weil sie gehofft hatte, sich zu irren. Sie hat sich nicht geirrt und mit ihrem Leben gebüßt. Egal was wir also tun, wir sitzen hier fest.“ 'Wir sitzen hier fest', das war das Letzte, was ich von Hinata hören wollte. Ich wollte nicht hören, dass sie endgültig aufgegeben hatte. Das passte nicht zu ihr. Sie war eine streitsüchtige Kampfmaschine und sie gab nie auf. „Tun wir nicht. Wir arbeiten bereits an einem Plan, wie wir von hier wegkommen.“ „Hast du nicht zugehört? Daria arbeitet für diese Piraten. Der Plan wird scheitern und du wirst alle in Gefahr bringen.“ „Werde ich nicht.“ „Was macht dich da bitte so sicher?“ „Nicht einmal Daria kennt jede Einzelheit des Planes.“ Schweigen. Hinata und ich schrubbten weiter die Hemden. Sie brauchte wahrscheinlich, um diese Information zu verarbeiten. „Was macht dich so sicher, dass es funktioniert? Wie sieht dein Plan aus, dass den Piraten diese Einzelheiten, die Daria nur kennt, nicht ausreichen, um dich aufzuhalten? Du kannst sterben, ist dir das klar? Cybele ist auch gestorben.“ Furcht war in Hinatas Stimme zu hören. Eine Furcht, die ich zuletzt nur gehört hatte, als Chen sich freiwillig als Vorhut gemeldet hatte. Seltsam, dass sie diese Furcht in Bezug auf mich aussprach. „Weil sie mich schlecht aufhalten kann, wenn sie den Plan nicht kennt. Denn der Plan sieht für sie vor, dass sie hier an Bord bleiben muss. Zusammen mit dir.“ Das Wasser plätscherte, während wir schrubbten und unser Gespräch eher flüsternd als wirklich laut führten. Wer wusste schon, wo die Ohren der Wände wieder waren. Hinatas Augen verengten sich aber zu Schlitzen. Sie verstand scheinbar nicht, was ich sagen wollte, was sicherlich auch schwer war, wenn man den Plan nicht kannte. Einen Plan, an dem ich lange gesessen hatte und der in keinster Weise vollkommen durchdacht war. Das wollte ich aber vor keinem der Mädchen zugeben. Dieser Plan war vielleicht alles an Hoffnung, woran sie sich noch klammern konnte. Zumindest war er die einzige Hoffnung die ich bisher besaß. Und bei meinem Glück, würde ich mir ein paar Schrammen davon kommen. „Du vertraust ihr also auch nicht“, schlussfolgerte Hinata, wobei ich ein hoffnungsvolles Lächeln aus ihrer Stimme heraushören konnte. „Doch, ich vertraue ihr. Oder viel eher will ein Teil in mir ihr vertrauen. Ein anderer Teil aber... lassen wir das. Ich will einfach auf Nummer sicher gehen. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu paranoid. Wie dem auch sei, egal ob Daria uns verrät oder nicht, der Plan wird funktionieren. Er muss einfach funktionieren.“ Er musste funktionieren. Das sagte ich mir immer wieder. Dabei war ich mir nicht einmal sicher, was funktionieren sollte. Das Ablenkungsmanöver an Bord, für welches Daria verantwortlich sein sollte? Oder der Plan, den ich für mich noch nicht entwickelt hatte. Bisher hatte ich nur Daten gesammelt. Fakten und auf Grundlage dessen entschieden, dass jene Sklaven, die an Bord blieben, zwar immer noch einer Vielzahl von Piraten gegenüber standen, diese aber leicht zu überwältigen waren. Die Kampftüchtigsten waren immerhin bei Saam. Und damit auch bei mir. Da ich aber nie die Inseln kannte, wusste ich nicht, wie ich fliehen sollte. Viele Möglichkeiten hatte ich nicht, zumal mir Ruriel und Sarim immer auf der Pelle gelegen hatten. Meine Flucht wäre also unmöglicher, als die der Anderen. Vielleicht wollte ich auch nicht mehr fliehen, vielleicht wollte ich einfach nur noch erwischt werden und... sterben. „Und wenn Saam sagt, ich soll mit von Bord gehen? Wir wissen doch nie, wen er an Bord lässt.“ „Dann wirst du die einzige sein, die flieht.“ Egal, wen Saam noch wählen würde, ich hatte es entschieden. Ich würde entweder uns alle befreien, oder nur jene, die ich beschützen konnte. Wenn schon sterben, dann mit Stil. Das Wasser, welches mir Hinata entgegen spritzte, ließ mich aus den trübseligen Gedanken aufschrecken. Verwundert sah ich zu ihr und erkannte dieses alte, streitsüchtige Feuer in ihren Augen. „Red nicht so einen Stuss, Hexe. Wenn sich auch nur eine Chance bietet, dass wir beide da raus kommen, werde ich dich mitschleifen. Und dann bring ich dich höchstpersönlich nach Sindria.“ Ein breites Grinsen lag auf Hinatas eingefallenem Gesicht. Nach Sindria, richtig, dass war vor drei Monaten mein Ziel gewesen und eigentlich war es das immer noch. „Wenn man schon ins Exil flieht, dann auf die Spaßinsel. Nicht aber auf ein dreckiges Piratenschiff. Auch wenn das sicherlich ebenso ein guter Ort für ein Versteck ist. Allerdings ist das nur halb so spaßig.“ Exil... Spaßinsel, es war unglaublich, dass beide Worte für denselben Ort stehen konnten. Allerdings, dieses Mal würde ich das Exil wirklich brauchen, wenn mir die Flucht gelang. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie angefressen die Piraten wären, wenn ihre Sklaven plötzlich verschwanden. Ja, das Exil wäre notwendig. „Na dann, Hinata. Ich verlasse mich auf dich.“   Die Küche war von einem wohltuenden Duft erfüllt, der die ganzen Strapazen des Tages förmlich dahin schmelzen ließ. Ihn zu riechen, machte das alles wert. Die ganze Arbeit, die ganzen Sorgen, all die negativen Gefühle, die in mir brodelten. Das Abendessen zeigte mir immer, dass alles diese Mühen wert war. „Haben wir alles?“, fragte ich zu meinen Mitstreitern in der Küche. Sie nickten. „Charybdis und ich haben das Fleisch mariniert und mit den komischen Nüssen gemacht.“ „Geröstet?“, fragte ich Skylla, die stolz nickte. Sie und Charybdis waren Geschwister, wie man es sich ja denken konnte, wenn man die Odyssee kannte. Aber anders als diese beiden Monster aus der Odyssee, waren die Geschwister nur Monster in Sachen Küchendienst. Ohne genaue Anweisungen vergifteten sie nicht nur die Mannschaft, sondern auch uns. Daher war es besser, wenn man ihnen detaillierte Befehle gab. „Schön, wie sieht es mit der Beilage aus?“ „Ich hab zwar noch nie... das gemacht, was ich heute getan habe, aber es riecht gut. Auch wenn es eine Ölverschwendung ist“, murmelte Daria und blickte in einen Topf, in dem das Fett oder eher tierische Öl noch blubberte. Panisch griff ich nach zwei Tüchern und hob das Fett von dem Feuer. Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, was passierte, wenn es länger brannte. „Frittiert. Du hast die Kartoffeln frittiert. In meiner Heimat frittieren wir so ziemlich alles, was man frittieren kann. Kartoffeln, Gemüse, Schokoriegel.“ „Was ist ein Schokoriegel?“ Nur zu gerne hätte ich mich dafür geohrfeigt. Mal davon abgesehen, dass ich nun Megahunger auf einen Schokoriegel hatte, ich hatte ganz vergessen, dass es so etwas hier nicht gab. Wie erklärte man solchen Leuten also einen Schokoriegel? „Etwas, das sehr lecker ist. Und das es hier nicht gibt. Ich könnte nicht einmal sagen, wie man sie herstellt.“ Keine Lüge. Ich wusste zwar, dass man Kakaobohnen dafür bräuchte, aber von der Herstellung hatte ich wirklich keinerlei Ahnung. Schade, denn nur zu gerne hätte ich ihnen diesen Genuß zukommen lassen, wenn wir frei waren. „Was machen wir mit dem restlichen Fett?“ Darias Blick haftete auf dem Topf. Das Öl warf zwar noch Bläschen, aber es kühlte ab. Ein Glück. Ein Fettbrand an Bord eines Holzschiffes, wäre wohl verheerend. „Ich werde mich später darum kümmern. Keine Sorge.“ Wie sagte man in meiner Welt immer? Fett musste man anderweitig entsorgen und ich hatte da so die ein oder andere Möglichkeit. Sicherheit ging immerhin vor. „Na schön, damit sind wir fertig. Richten wir es an, bevor die Hyänen uns zerreißen.“ „Was sind Hyänen?“ Heute war wirklich nicht mein Tag. Es passierte mir nur selten, dass ich so viele Dinge aus meiner Welt erwähnte und wenn ich weiter so machte, gingen mir die Erklärungen aus. Wobei die Erklärung 'Etwas aus meiner Heimat' noch lange nicht ausgereizt war. „Das sind Tiere aus meiner Heimat. Habt ihr die hier nicht?“ Wahrscheinlich nicht, aber meine Verwunderung klang wirklich glaubwürdig. Wie so oft. Entweder war ich eine verdammt gute Schauspielerin geworden, oder einfach wirklich nur ahnungslos. Egal, was es war, nur deswegen hatte ich bisher überlebt. Weil ich ahnungslos war, oder mich manchmal zu ahnungslos gab. „Erenya, vergiss nicht, dass wir nach dem Abendessen zu Saam müssen. Bring dann eine Schüssel warmen Wassers mit.“ Ich nickte auf die Worte von Daria. Sie war schließlich immer noch die Person, die hier die Anweisungen gab, solange es nicht ums Kochen ging. So etwas nannte man wohl Arbeitsteilung. Ebenso würden sich Daria und ich bei Saam die Arbeit teilen. Ich hasste diese Aufgabe und fragte mich immer noch, warum Daria ausgerechnet mich jedes Mal mit schleifte. Ich hasste schon die Augenblicke, in denen ich bei Saam sein musste, um dessen Schreibkram zu erledigen. Er gehörte nicht gerade zu den angenehmsten Zeitgenossen, aber da ich eine der Wenigen war, die schreiben und lesen konnten, war es kein Wunder, dass ich meine Zeit mit ihm totschlagen musste. „Skylla und Charybdis, ihre beide beginnt dann schon mit dem Abwasch. Macht uns die Reste warm, während ihr dabei seid. Wir werden zu euch stoßen, wenn wir fertig sind.“ Die Geschwister nickten, während sie den Braten anschnitten. Gleichgroße Stücke. Ich fand es immer noch erstaunlich, wie sie das schafften. Immerhin konnten wir so gewährleisten, dass jeder etwas abbekam. Auch wenn für uns meist nicht viel vom Fleisch übrig blieb, wir waren zufrieden, so lange wir etwas von den Resten bekamen. Ein Luxus, den die Gefangenen nicht hatten, den ich ihnen aber auch nicht ermöglichen konnte, was mir zutiefst in der Seele brannte. „Na schön, damit ist allen klar, was sie zu tun haben.“ „Und Hinata?“, fragte Skylla. Zu Recht. Es schien so, als würde Daria Hinata seit dem Tod von Cybele eine Extrawurst braten. Dabei war es einfach so, dass sie an Hinata nicht herankam, weil Hinata es nicht zu ließ. Im Nachhinein wunderte mich das nicht mehr. „Hinata füttert die Hühner und Schafe. Oder wolltet ihr das machen?“ Ich lächelte, da niemand von uns diese Aufgabe gerne tat. Nicht einmal die Geschwister. Hinata hatte damit ein perfektes Alibi, zumal sie so furchtlos war, dass man ihr wirklich zutraute, dass sie die Hühner aufsuchte.   **~~**   Das Abendessen war wie eh und je ausgelassen, und das Waschen von Saams Schopf, Kamm, was auch immer es war, war wie immer kein Zuckerschlecken. Ich wusste nie, wie ich ihn anfassen musste. Noch dazu bevorzugte ich es, ihn nicht wirklich nackt zu sehen, so gar nicht nackt, nicht einmal ansatzweise nackt. Nur dank Daria konnte ich diese „Tortur“, wie ich diese Aufgabe liebevoll bezeichnete, überstehen. Momente wie diese machten es mir schwer zu glauben, dass sie Cybele verraten haben sollte. Cybele und sie waren immer so gut miteinander ausgekommen. Warum also sollte Daria das tun? Allerdings, bezogen auf meine Situation, konnte ich Cybele verstehen. Ich vertraute keiner der anderen Mädchen wirklich zu hundert Prozent. Abgesehen von Hinata. Und bei ihr konnte ich mir dieses unerschütterliche Vertrauen partout nicht erklären. Wir waren verfeindet gewesen, allerdings, hatten wir uns auch unter anderen Umständen kennengelernt. Unter Umständen, in denen wir irgendwie gelernt hatten, einander zu vertrauen. Es war wirklich seltsam. Von dem Abwasch hatten Daria und ich dank Skylla und Charybdis nicht mehr viel zu tun. Wir konnten so schneller zum angenehmen Teil des Tages kommen. Dem gemeinsamen Abendessen, bei dem wir uns darüber austauschten, was wir am Tag erfahren hatten. Es waren ausgelassen Minuten, in denen wir lachen konnten und in denen ich vergaß, was wir waren oder wie die Wut in mir brodelte. Die Einzige, die an diesem Tagespunkt nicht teilnahm, war Hinata. Sie hatte sich zur Außenseiterin gemacht und selbst nach unserem Gespräch schien sie nicht vorzuhaben, sich der Gruppe anzuschließen. Etwas, dass ich ihr nicht übel nehmen konnte. Im Gegenteil, es passte zu unserem Plan. „Diese Reise endet also morgen?“ Ich nickte und nahm mir einen Brocken von dem Brot, um diesen in die übrig geblieben Bratensoße zu tunken. Vom Fleisch war wirklich nichts mehr übrig geblieben. Nicht schlimm, denn wir waren karge Mahlzeiten gewohnt und doch schmeckten sie immer unglaublich gut. „Was bedeutet das? Wo sind wir?“ Fragend sah mich Charybdis an, hoffend, dass ich wohl auf alles eine Antwort hatte. Eine Antwort, die ich aber nicht besaß. Woher sollte ich auch wissen, wo wir waren? Saam ließ mich nur selten einen Blick auf seine Karten werfen. Und auf Fragen antwortete er noch weniger. „Egal wo wir sind, morgen werden wir fliehen. Wir gehen aber in Gruppen. So können wir sicher gehen, dass wenigstens ein paar von uns es schaffen. Außerdem können sie uns nicht alle auf einmal verfolgen, die Gefangenen und uns.“ „Du willst die Gefangenen auch befreien?“ Daria schien entsetzt, doch ich lächelte. Das hatte ich mir geschworen. Sie sollten es alle schaffen, wenn nötig ohne mich. Ich wollte ihnen in jeglicher Hinsicht da raus helfen, selbst wenn ich das Ablenkungsmanöver sein musste. Eines, welches nur ich kannte. Dieses Geheimnis wollte ich mir bewahren. „Wenn wir schon versuchen zu fliehen, dann alle gemeinsam. Sie haben es nicht verdient zu sterben, oder verkauft zu werden.“ Erneut nahm ich ein Stück Brot und tunkte es in die Bratensaft. Ich musste an die Schatzsucherin erinnern, die im Gegensatz zu mir nicht diese Chance bekommen hatte, eine Sklavin zu werden. Die Kinder, die da unten vor Angst fast schon krank wurden. Ich konnte es einfach nicht ertragen, ohne sie zu fliehen. „Aber mit ihnen sind die Chancen zur Flucht noch geringer“, konterte Charybdis. Sie hatte Recht, die Chancen waren dadurch vielleicht nicht gut, aber wer wusste schon, was uns auf dieser Insel erwarten würde? Vielleicht waren unsere Chancen sogar dadurch nur noch besser. „Ich überlasse sie nicht ihrem Schicksal. Keine Sorge, der Plan wird funktionieren.“ Wieder und wieder, wenn Zweifel sich erhoben, wiederholte ich dieses Mantra. Es grenzte fast schon an ein Wunder, dass selbst ich mich überzeugend fand. Wenn ich nur mit dieser Überzeugungskraft daran geglaubt hätte, eine Magierin zu sein, wahrscheinlich wäre dann all das nicht passiert. Zumindest wäre ich vielleicht nicht in dieser Lage gewesen. Aber es brachte auch nichts, im Nachhinein darüber zu weinen. Passiert war passiert. Ich konnte nur noch das Beste aus dieser Situation machen. Oder es zumindest versuchen. „Wir sollten alle früh schlafen gehen. Ihr wisst eure Aufgaben für den Plan?“ Entschlossen sah ich zu den Mädchen, die zaghaft nickten. So sicher, wie ich es wollte, waren sie sich nicht über diesen Plan. Dabei wäre ein wenig mehr Sicherheit hilfreich gewesen. Ich wollte nicht riskieren, dass es vollständig in die Hose ging. „Keine Sorge, es wird gut gehen. Wir werden diese Hölle hinter uns lassen. Jede von euch kann dann zurück zu ihren Familien.“ Ich bemühte mich zu lächeln. Nach all dem, was ich von den Mädchen wusste, war mir klar, dass ihre Familien wie ein Zauber wirkten, der ihnen Mut gab. „Mein kleiner Bruder ist sicher wieder ein paar Zentimeter gewachsen“, erklärte Daria und erwiderte mein Lächeln. „Er wird wieder sagen, dass ich besser aufpassen soll und zu ihm kommen sollte, wenn es Probleme gibt. Das hat er immer gesagt. Obwohl er gerade mal sieben ist, glaubt er, der Mann im Haus zu sein.“ Skylla und Charybdis lächelten ebenfalls. Die Erinnerungen an ihre Familien schienen wirklich wahre Wunder zu wirken. Die Stimmung wurde auf einmal heiter und obwohl es mir lieber gewesen wäre, wenn sie bereits schliefen, so wollte ich sie doch nicht stören. Sollten sie doch noch einmal über ihre Familien reden, sich an sie erinnern, wer wusste schon, ob es nicht vielleicht das letzte Mal sein würde. „Und deine Familie, Erenya?“ Ich zuckte zusammen, als hätte man mich geohrfeigt. Ich hatte nie viel von meiner Familie erzählt, oder über mich. Je weniger sie von mir wussten, so hatte ich gedacht, umso besser war es. „Meine? Nicht so wichtig. Ich bin im Exil, das bedeutet, es gibt niemanden, der auf mich warten könnte, oder der mich vermissen würde.“ Richtig. Hier gab es niemanden. Abgesehen von meinen Freunden und meiner zweiten Familie in Balbadd. Doch Suleika würde ein Kind bekommen. Sicher würde das Kleine meinen Platz ausfüllen. Einen Platz, der mir nicht einmal zustand. Eigentlich war das ein trauriger Gedanke. Einfach so ersetzt und vergessen zu werden. Aber damit hatte ich mich schon lange Zeit abgefunden. Schon vor sehr sehr langer Zeit. Noch bevor ich überhaupt diese Welt betreten hatte. Nur deswegen hatte ich immer versucht, in etwas einzigartig zu sein. Ich wollte mir ein Andenken schaffen. „Ich bringe das Geschirr noch raus. Schlaft gut.“ Ich räumte das Geschirr zusammen und erhob mich von meinem Platz. Länger würde ich diese mitleidigen Blicke nicht ertragen. Blicke die mir sagten, dass sie es schade fanden, dass ich so ganz alleine in dieser Welt zu sein schien.   **~~**   Es war der übliche Gang, den ich aller paar Tage machte. Dahin, wo diese Reise auch für mich begonnen hatte. Mit einem Sack, gefüllt mit zugekorkten Tonflaschen und Broten, lief ich die Stufen hinab, rauf und in Richtung der Zellen. Die Haupttür blieb aufgeschlossen, denn scheinbar waren die Piraten nicht wirklich scharf darauf, die Gefangenen zu versorgen und überließen das einer fürsorglichen Seele wie mir. Oder hoffen, dass es eine fürsorgliche Seele wie mich gab. Dass ich die Gefangenen versorgte, war nicht einmal ein Geheimnis. Ruriel hatte mich oft genug gesehen, weswegen ich davon ausging, dass auch Saam davon wusste. Wäre es ein Fehler, hätte ich das sicher schon zu spüren bekommen. „Tut mir Leid, dass ich zu spät bin.“ Ich lächelte zu meinen ehemaligen Mitgefangenen, die um diese Uhrzeit noch nicht an schlafen denken konnten. Hunger war ein undankbarer Begleiter. Hunger, der jetzt ein wenig gestillt werden würde. Einige der Gefangenen, hatten diesen Hunger aber leider nicht überlebt. „Hauptsache du bist da. Die Kleinen haben sich schon gefragt, wann sie die Fortsetzung der Geschichte bekommen.“ Ein bitteres Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Eines, welches sie zum Glück nicht sehen konnten. Erneut machte ich mir bewusst, dass alles von diesem Plan abhing oder diese Menschen hier nicht mehr leben würden. „Essen und eine Geschichte, so so. Also schön, ich werde euch die Geschichte weiter erzählen. Wo waren wir stehen geblieben?“ Ich öffnete eine der Klappen, die als Durchreiche diente und gab einige Krüge ins Innere, gefolgt von einigen Broten, die sich die Kinder und auch die Erwachsenen leider teilen mussten. Es wurmte mich immer noch, dass ich nicht mehr tun konnte. „Dorothey hatte den Palast des Zauberers erreicht“, antwortete Aava, die Kleine, die einst so sehr darauf gehofft hatte, dass die Armee Balbadds oder Sindrias uns retten würde. Ihre Hoffnungen waren betrogen wurden, doch ihr Rukh hatte sich nicht verfärbt. Sie war immer noch das positive Mädchen, dass die Hoffnung nicht los ließ. „Richtig, der Zauberer. Dann sind wir fast am Ende von Dorothys Reise angekommen. Sie betrat den Smaragd-Palast mit ihren Freunden, dem ängstlichen Löwen, dem Zinnmann und der Vogelscheuche.“ „Toto, vergiss Toto nicht. Er war auch wichtig bei der Reise.“ Die Kleinen waren wirklich aufgeweckt. Gerade das machte dieses Bild vielleicht absurd. Gefangen und doch so frei zu wirken. „Natürlich, Toto war auch dabei.“ Während ich die Geschichte weiter erzählte, gab ich auch den anderen Gefangenen ihre Rationen. Es war allerdings kein Gefühl, dass mich mit Freude erfüllte. Es fühlte sich immer noch schlecht an, weil ich auf dieser Seite war und sie auf der anderen. Die Versorgung machte nicht einmal im Ansatz gut, was sie durchleben mussten. „Die Schuhe, welche Dorothy trug, waren magisch. Das offenbarte ihre Glinda, die gute Hexe des Südens. Alles, was Dorothy tun musste um nach Hause zu kommen, war die Hacken aneinander zu schlagen und zu sagen 'nirgendwo ist es so schön wie Zuhause'. Obwohl sie wusste, dass sie ihre Freunde vermissen würde, war die Sehnsucht nach Zuhause größer. Dorothy verabschiedete sich von ihren Freunden, schlug die Hacken zusammen und sprach die Formel, die sie zurück nach Hause brachte. Zusammen mit Toto. Als Dorothy wieder in Kansas, vor den Trümmern ihres Hauses stand, erschien ihr alles wie ein Traum. Nur die Tränen ihrer Tante und ihres Onkels, die sie sahen, wie sie dort an der alten Hausruine stand, waren Zeugen dessen, dass ihr Erlebnis real gewesen war.“ Ich schwieg einen Augenblick und ließ das Ende der Geschichte auf mich wirken. Wie gerne wäre ich wie Dorothy gewesen, die einfach nur ein paar magischer Schuhe brauchte um nach Hause zu kommen. Gleichzeitig fragte ich mich aber, ob es mir nicht auch so gehen würde. Nur das meinen Ruinen größer als ein Farmershaus sein würden. Meine Ruinen würden wohl mein ganzes Leben sein. Im Nachhinein betrachtet, fragte ich mich, ob es dann nicht doch besser war, hier in dieser Welt zu bleiben, wenn sich mir die Möglichkeit zur Entscheidung bot. Selbst, wenn ich nicht hierher gehörte. In meine Welt, würde ich auch nicht mehr gehören. „Erenya?“ Erschrocken sah ich zu Aava, die mich fragend ansah. Scheinbar hatten sie gemerkt, wie ich geistig weggetreten war, aber sicher wusste sie nicht, was ich genau dachte. Niemand hätte das wirklich wissen können. „Alles okay. Ich hoffe ihr mochtet die Geschichte. Ihr solltet jetzt schlafen gehen, morgen wird ein langer Tag. Der Tag, an dem ihr eure Reise nach Hause antretet.“ Es war, als hätten sie diese Worte verstanden. Ihre Blicke wurden ernst, zumindest die der Erwachsenen. „Es ist also so weit?“ Es war die Schatzsucherin, die sofort verstand, was ich meinte. Immerhin hatten wir schon Wochen darüber gesprochen. Über den Plan und über ihre Aufgabe. „Wir müssen alles auf diese eine Karte setzen. Egal was passiert, haltet euch an die Anweisungen, die ich euch gegeben habe. Wenn ihr Angst habt, singt das Lied, dass ich euch beigebracht habe.“ Ich erhob mich von meinem Platz auf dem ich gesessen hatte. Es war schon spät und wahrscheinlich war es besser, wenn auch ich noch etwas Ruhe fand. „Wirst du nicht nach Hause zurück gehen?“, fragte Aava. Sie konnte nicht einmal ahnen, wie viel Schmerzen mir diese Frage bereitete. Für diesen Moment, als ich an meine Heimat zurück dachte. „Erst, wenn ich sicher bin, dass ihr sicher von diesen Piraten weggekommen seid.“ Es war nicht einmal eine Lüge. Ich würde sichergehen, dass sie es weg schafften. Egal, was ich dafür tun musste. Diesen Entschluss hatte ich gefasst, kaum dass mir bewusst geworden war, dass mein bisheriges Verhalten alle Anderen um mich herum nur in Gefahr gebracht hatte. Meine Bedenken zu kämpfen, oder zu töten. Vielleicht war in diesem Punkt mein Überlebensinstinkt einfach zu schwach, um mich auf diese Weise selbst zu verteidigen. Doch wenn ich Glück hatte, war mein Wunsch, Anderen zu helfen, stärker, als die Angst jemanden zu töten.   Ich hatte letzten Endes doch noch gewartet, bis die Kleinsten eingeschlafen waren. Viel von der Nacht würde ich nicht mehr haben, doch ich fühlte auch keine Müdigkeit. Eher Erleichterung, dass bisher keiner der Piraten auch nur zu ahnen schien, was ich plante. Gleichzeitig machte sich aber in mir ein seltsames Gefühl breit. Die Tatsache, dass der Tag unserer Flucht näher kam, bereitete mir Unbehagen. Alles, was ich bisher gesagt und getan hatte, erschien mir wie eine Lüge, angesichts der Tatsache, wie viele der Piraten ich vielleicht noch auf dem Gewissen haben würde. Nur zu gut erinnerte ich mich an dieses Verhör, welches Saam geführt hatte. Vor drei Monaten hatte ich noch gesagt, dass ich es bevorzugte, Menschen nicht zu verletzen oder zu töten, doch nun war es mir egal. Mehr oder weniger. Es war viel mehr eine Notwendigkeit die dafür sorgen würde, dass unschuldige Kinder und Frauen überlebten und in die Freiheit zurückkamen. So weit es ging, würde ich natürlich vermeiden, sie zu besiegen, zu vernichten, wie auch immer man das nennen wollte. Ich verabschiedete mich nur noch von der Schatzsucherin und war dabei das Verlies zu verlassen, wobei mein Blick zu einem Raum ging, den ich noch nie betreten durfte. Ich erinnerte mich daran, vor ungefähr zwei Monaten durch eine Öffnung eine Gestalt gesehen zu haben. Eine vertraute Gestalt. Hin und wieder, wenn neben der Planung der Flucht oder anderen Tätigkeiten noch Zeit war, dachte ich über diese vertraute Gestalt nach. Von dem, was ich einen kurzen Moment erspäht hatte, glaubte ich, dass es sich bei dieser Gestalt um Varius handelte. Sicher war ich mir aber nicht und einen zweiten Blick in diesen Raum, oder dieses Gefängnis hatte ich nicht mehr bekommen. Die Piraten waren sehr daran interessiert, selbst für diesen Raum Sorge zu tragen. Egal wie oft ich nach weiteren Gefangenen fragte, Männern oder was mit den Anderen passiert war, die ich an Bord gesehen hatte, wurde ich ignoriert. Auch heute Nacht würde ich wohl nicht erfahren, wer dahinter war und ob diese Person noch lebte. Ich hoffte es allerdings und war fest entschlossen, auch diese Person zu retten. Ob es nun wirklich Varius war oder nicht. Niemand sollte ein Gefangener von diesen Mistkerlen sein. Ein Grund mehr, sich die Hände schmutzig zu machen. Wenn ich nur mehr Zeit gehabt hätte. Als ich hinaus trat, genoss ich die milde Abendluft. Meine Sorgen, wurden einen Moment lang über das Meer hinaus getragen. Irgendwohin. Doch niemand würde sie jemals hören. „Unter anderen Umständen würde ich dich immer noch hassen. Aber ich glaube mittlerweile verstehe ich die Anderen.“ Ich zuckte zusammen, als ich Hinatas Stimme neben dem Eingang hörte, der zum Verlies führte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass überhaupt noch jemand wach war. Doch ich war erleichtert, dass es Hinata war, die mich hier gefunden hatte. Wahrscheinlich, war sie die einzige Verbündete, die ich gerade noch hatte. „Ich glaube, wir müssen reden, Erenya.“ Hinata klang ernst. Viel zu ernst und das war nun doch etwas, dass mich beunruhigte. Es war immerhin selten, dass Hinata so einen Ton an den Tag legte. Bisher war ich nur anderes von ihr gewohnt. „Worüber?“ Ich war wirklich ahnungslos, was sie meinte. Was konnte wir schon zu besprechen haben? Das meiste hatten wir während der Wäsche geklärt. Für mich gab es nichts mehr zu bereden. „Ich weiß zwar immer noch nicht, wie dein ganzer Plan aussieht, aber eines ist mir klar geworden: Du wirst es bereuen, wenn du ihn vollkommen alleine ausführst. Du wirst dich zwingen, Dinge zu tun, die du eigentlich gar nicht tun willst. Und genau das ist es, was ich an dir hasse. Egal was kommt, ob es dir schwer fällt, ob du dich einsam fühlst, du bleibst alleine für dich.“ Verwundert sah ich Hinata an. Das waren wirklich Töne, die ich nicht von ihr gewohnt war. Dabei hatte sie mir noch vor wenigen Monaten gesagt, dass sie mich hasste, weil ich so selbstzentriert war. Mein Verhalten hatte so auf sie gewirkt. Ich selbst hatte es nur nicht so wahrgenommen. „Die ganze Zeit dachte ich, du interessierst dich nur für dich selbst, bist dir zu fein, um uns in dein Leben einzubinden... Erst jetzt verstehe ich, was Chen und die Anderen versucht haben, mir klar zu machen. Und ehrlich, ich kann vielleicht nicht verstehen, was in dir vorgeht. Ich meine du kommst aus einem Land, in das du wohl nicht so einfach zurückkehren kannst, wie wir anderen. Selbst wenn dein Plan erfolgreich ist und wir fliehen können. Noch dazu, scheint dir vieles bei uns so fremd zu sein. Würde mir in deiner Heimat wahrscheinlich nicht anders gehen. Aber anders als du... würde ich durchdrehen.“ Ich hörte Hinata zu, so gut es ging. An sich waren das Dinge, über die ich nicht reden wollte. Doch gleichzeitig, was vollkommen widersprüchlich war, tat es gut. Zuletzt hatte ich mich bei Kouha so gut gefühlt, als ich ihm die ganze Wahrheit von meiner Welt erzählt hatte. Mir war damals ein richtiger Stein vom Herz gefallen. Allerdings wusste ich nicht, inwieweit ich Hinata die Wahrheit erzählen konnte. Wir waren schließlich so etwas wie Feinde gewesen und ich hatte nicht die Hoffnung, dass sich das nach unserer Flucht änderte. Es gab Menschen, die konnte man einfach von Natur aus nicht leiden, egal wie sehr sie einem halfen. „Ich glaube, ich drehe sogar durch... Weißt du... in meiner Heimat... wir kennen diesen Ort. Also eure Länder, eure wichtigen Persönlichkeiten. Wir sind nur so weit davon entfernt, um es als real zu sehen. Bei uns gibt es auch keine Magie und kein Rukh. Piraten zwar schon, aber die sind ein anderes Kaliber. Ebenso führen wir unsere Kämpfe und Kriege auf einer anderen Ebene aus. Seit ich hier bin, ist die Sicherheit meiner Heimat so weit weg. Und sollte ich jemals nach Hause zurückkehren, dann bin ich meine Existenz los.“ Ich ließ mich auf den Boden sinken, denn dieses Gespräch konnte unter Umständen ein längeres werden. Hinata verstand das und tat es mir gleich. Auch wenn zwischen uns der Eingang zu den Verliesen blieb und damit immer noch deutlich machte, wie groß die Distanz zwischen uns war. „Dann bleib hier... Ich meine, du hast in Balbadd doch Freunde. Wenn sich dort erst einmal alles geregelt hat, kannst du dahin zurück. Geschichtenerzählerin ist zwar eine echt dämliche Arbeit, wenn man keine Geschichten mehr weiß, aber ich denke, nach dieser Reise kannst du vielleicht die ein oder andere Neue erzählen.“ Das war in der Tat ein Gedanke, mit dem ich gespielt hatte, doch wann sollte das sein? Wie viele Monate müsste ich noch ausharren, bevor die Nebelbande besiegt und Ahbmads Herrschaft beendet war? „Ich hab dort zwar die Mädchen und meine zweite Familie, allerdings... Es wird nie meine richtige Heimat sein. Ich werde immer ein Außenseiter bleiben.“ Wie ein Außenseiter sich fühlen musste, dass wusste ich nur zu gut aus meiner Schulzeit. Noch einmal wollte ich das nicht haben, denn ehrlich, mit 27 lag die Schulzeit schon weit, sehr weit zurück. „Zuhause ist da, wo das Herz ist... Vielleicht suchst du dann einfach einen Ort, wo auch dein Herz sein möchte. Klein ist unsere Welt ja nicht gerade. Es gibt Reim, den dunklen Kontinent, Das Kaiserreich Kou, Sindria... Wer weiß, vielleicht fühlst du dich ja in Sindria so wohl, dass du nicht mehr gehen willst.“ Ich schmunzelte leicht, denn wenn ich mich recht an Sindria erinnerte, würde ich mich dort nie heimisch fühlen. So verzweifelt war ich dann doch nicht. Es gab allerdings einen Ort, an dem ich mich vielleicht noch heimischer als in Balbadd fühlen konnte. „In Kou hätte ich einen Freund. Eigentlich hat er mich indirekt in Balbadd gefragt, ob ich nicht mit ihm reisen möchte. Allerdings habe ich Sindria vorgezogen.“ „Schön blöd. Wärst du mitgegangen, würdest du nicht in so einem Schlamassel stecken. Wie hast du diesen Freund eigentlich kennengelernt?“ „Im Freudenhaus. Ich wollte gerade nach Hause gehen, da überrumpelte er mich und bat mich, ihn zu seinem Hotel zu begleiten.“ Ein Blick zu Hinata verriet mir, dass sie nun doch sehr an dieser Geschichte interessiert war. Die Frage war nur, wie viele Details ich ihr mit auf dem Weg geben sollte? Vielleicht war es aber auch besser, endlich die ganze Wahrheit zu sagen. Wenn ich es recht bedachte, gab es selbst nach drei Monaten noch niemanden, der die ganze Geschichte kannte. Ich hatte es immer herunter gespielt als eine blöde Fügung des Schicksals. „An dem Abend wurde dieses Hotel von der Nebelbande angegriffen. Und ja, das war auch der Abend an dem deren Anführer begann, mich zu hassen. Immerhin ist meinem Freund nichts passiert. Er hat mich sogar in dieser Nacht im Hotel schlafen lassen. Naja und am nächsten Tag gab es da einiges zu erklären.“ Hinatas Augen weiteten sich, als sie meine Geschichte hörte. Ich konnte aber nicht anders als unwillkürlich zu lachen. Ich erinnerte mich an das erste Gespräch, welches ich mit Hinata und Chen geführt hatte. Damals war sie bei Kouen Ren ins Schwärmen verfallen. Wie würde sie da reagieren, wenn ich ihr von Kouha Ren erzählte? „Ja, ich glaube in Kou könnte ich es aushalten. Bei meinem Freund.“ „Warum hast du deine Reise dann nicht dahin angetreten?“ Ich wandte meinen Blick von ihr ab und sah auf das Deck. Ob sie wissen würde, wovon ich sprach, wenn ich die Wahrheit sagte. Doch es tat gut, wirklich gut, alles zu sagen. „In Kou gibt es Männer, die wahrscheinlich wissen, warum ich hier bin. So einen habe ich in meiner Heimat gesehen, bevor ich aus meinem Land verschwand. Ich hatte Angst. Angst, dass diese Männer mich benutzen, für irgendetwas, dass eurer Welt schadet. Warum auch immer ich hier bin, ich muss aufpassen.“ „Du willst also auf Nummer sicher gehen. Aber du kannst nicht ewig vor den Antworten fliehen. Für den Moment mag es richtig sein, ich meine du bist schwach, kannst nicht kämpfen, kennst dich hier gar nicht aus, aber das alles wirst du irgendwann überwinden. Und dann musst du dich ihnen stellen.“ Mich dem stellen. Hinata hatte Recht. Irgendwann, musste ich mich der Jesus-Fraktion stellen. Das war der Tag, vor dem ich mich fürchtete. „Was wenn alles danach noch schlimmer für diese Welt wird?“ „Nee. Das glaube ich nicht. Zumindest nicht, solange du dich nicht selbst verlierst. Deswegen... wenn dein Plan irgendwelche Drecksarbeit vorsieht, gib sie mir. Du solltest deine Hände nicht noch mehr mit Blut beflecken.“ Sie wusste es. Hinata wusste scheinbar, was ich plante. Oder sie ahnte es. Wie auch immer sie das gemacht hatte, sie hatte jetzt, in diesem Augenblick, meinen Respekt gewonnen. „Keine Sorge... Ich habe nicht vor sie umzubringen. Halte dich, einfach in der Nähe des Schiffes auf. Solltest du Feuer sehen, lösch es mit Tierfutter.“ „Feuer?“, fragte Hinata etwas entsetzt doch ich lächelte. „Keine Sorge, es wird nicht schlimm werden. Es reicht aber zur Ablenkung.“ Ablenkung, das war alles, was ich tun konnte. Für den Moment. Mit etwas mehr Zeit hätte ich diesen Plan sicher besser ausbauen können. „Wir sollten schlafen gehen. Morgen wird ein langer Tag.“ Hinata erhob sich von ihrem Platz und sah zu mir. Es war wirklich schon sehr spät und mittlerweile spürte selbst ich die Müdigkeit in meinen Gliedern. „Einverstanden. Morgen ist ein großer Tag.“   **~~**   Es war das erste Mal, dass ich nicht diejenige war, die vor allen anderen erwachte. Ich war dieses Mal sogar die Letzte. Es war seltsam, denn mein Biorythmus verriet mir, dass es nicht später war als die anderen Tage. Über uns hörte ich Schritte, die Mannschaft schien schon alle Vorbereitungen für den Landgang zu treffen. Die anderen Mädchen waren ebenfalls nicht mehr in der Kabine. Das würde Ärger geben, soviel wusste ich. Schnellstmöglich mühte ich mich aus meinem Nachtlager und verließ den Raum, auf den Weg in die Küche. Ich war erleichtert, dass wir das Frühstück zu großen Teilen schon am Vorabend vorbereitet hatten. Die wenigen Handgriffe konnten die Mädchen also auch ohne mich machen. Dennoch war es besser, wenn ich half. Denn eine Tracht Prügel hätte mir bei unserem Plan sicher nicht geholfen. Es war wohl ein Segen, dass die Piraten mit ihren eigenen Aufgaben beschäftigt waren und so gar nicht bemerkten, dass ich noch nicht in der Küche stand. Ich konnte mich durch das Gewusel schleichen und stand schließlich in der Küche, in der bereits eine Suppe in einem großen Topf köchelte. „Kaum zu glauben, dass wir mal vor dir wach werden. Hast du gut geschlafen?“ Etwas hämisches lag in Skyllas Lächeln, als sie mich auf mein „Vergehen“ aufmerksam machte. Sie liebte es einfach zu sehr, wenn andere Probleme bekamen und Charybdis sorgte gerne dafür, dass Andere diese Probleme bekamen. Ich wusste wirklich nie, woran ich bei den Beiden war. Für den Moment war das aber nicht wichtig. Ich ignorierte diese hämischen Bemerkungen und sah zu Daria. „Mach dir keine Sorgen, wir sind fertig. Du hilfst uns sicher beim Servieren, oder?“ Ich nickte. Daria konnte ich wirklich nicht viel abschlagen. Noch dazu würde das Servieren des Frühstücks wesentlich schneller gehen, wenn ich noch half. Als Entschädigung für mein Verschlafen wäre das nur fair. „Zu Befehl.“ Im Scherz salutierte ich vor Daria, was mir verwunderte Blicke der Anderen einbrachte. Wahrscheinlich salutierte man hier anders als mit der Hand an die Stirn. Im Endeffekt war es mir egal. Ich galt als Sonderling und das würde sich auch an unserem letzten Tag nicht ändern. In Wahrheit wollte ich das auch nicht. Ohne länger zu zögern, füllte ich zwei Teller mit Suppe, legte selbst gebackene kleine Brote auf den Rand und ging in Richtung der Tür. Ich verschwand auch schnell wieder aus der Küche. Die Suppe sollte nicht kalt werden, denn ich wollte noch einen kleinen Blick auf unser Ziel werfen. Mehr als Felswände und ein paar wenige Bäume hatte ich nie gesehen. Ich wollte den Eingang sehen, der wie ein Totenkopf aussah und durch den wir fahren würden. Das war zumindest mein Kopfkino. Allerdings enttäuschte mich der Anblick, als ich wieder an Deck kam um das Essen im gewohnten Raum zu servieren. Ich sah zwar immer noch Bäume und etwas das stark an Bambus erinnerte, so genau war das du den Morgennebel nicht auszumachen, aber kaum noch Felsen. Wenn, dann hatte dieser wohl magische Kräfte und war zu einem Sandstrand geworden. Viel mehr noch erschien der Sandstrand so etwas wie einen Hafen zu haben. Also doch kein ausgefallenes Piratenversteck. Im Gegenteil, ein Piratenversteck hatte mit Sicherheit nicht solche Häuser, die mehr nach einer Stadt wirkten. Entweder wurden Piraten immer weicher, oder sie hielten nicht sonderlich viel von naturbelassenen Behausungen. Diese Insel, unterschied sich nicht großartig von anderen und war damit fast schon langweilig. Das einzig Spannende würde unsere Flucht an diesem Tag werden.   Mein Frühstück mit den Mädchen war durch Saam und Ruriel unterbrochen wurden. Wenn der Kapitän nach einem schrie, war es besser dem Ruf zu folgen, ohne sich darüber zu beklagen, dass man nichts von dem Essen abbekommen würde. Versammelt standen wir in Saams Kajüte und fragten uns, wer wohl heute die ersten Opfer waren, die an Land gehen durften. Zwar durfte jeder mal von Bord, doch diejenigen, die es als Aufgabe hatten, würden den ganzen Tag unter Saams wachen Blick stehen und die Drecksarbeit erledigen. Da ich als Einzige von uns lesen und schreiben konnte, hatte ich das Glückslos schon so gut wie in der Hand. „Daria, du wirst mit Skylla und Charybdis an Bord bleiben. Zu Beginn. Ihr könnt euch später die Füße vertreten, allerdings rate ich euch, euch nicht zu weit vom Schiff zu entfernen. Sarim wird ein Auge auf euch haben. Hinata, du kommst mit uns und wirst die Waren tragen. Ich erwarte von dir, dass du vorsichtig damit umgehst.“ Mein Blick glitt zu Hinata, die genervt die Augen verdrehte. Sie hasste es, den Packesel zu spielen, aber in Sachen körperlicher Fitness und Kraft war sie uns anderen überlegen. Nur ein Fanalis wäre noch wesentlich kräftiger gewesen. „Hexe...“ Ja, irgendwie hatte Saam es immer noch nicht ganz so verstanden, dass ich einen Namen besaß. Während alle anderen mich entweder 'Mädchen', 'Erenya', 'Eri' oder 'Weibsbild' nannten, bevorzugte Saam scheinbar den Spitznamen Hexe. Regulär, bei anderen Leuten, hätte ich nicht darauf reagiert, doch bei Saam war es besser, man tat es dennoch. „Du wirst ebenfalls mit an Land kommen. Ich will, dass du alles, was wir verkauft haben, mit seinen Preisen aufschreibst und die einen oder anderen Nachrichten zurück zum Schiff bringst.“ Genau das hatte ich mir gedacht. Schreibarbeit. Für mehr brauchte man mich hier wohl nicht. Und fürs Kochen. Immerhin hatte ich mehr Landgang als andere, allerdings verdankte ich das auch nur Cybeles Tod. Zuvor hatte es sich immer abgewechselt, wer die Schreibarbeiten erledigte und irgendwie hatte Saam Cybele bevorzugt. „Abgesehen von den Botengängen bleibst du gefälligst in meiner Nähe.“ Die Worte, die er mit Nachdruck sagte, ließen mich zusammenzucken. Scheinbar fürchtete er wirklich, oder viel mehr ahnte, dass ich versuchen würde zu fliehen, wenn er mich nicht im Auge behielt. „Eines für euch alle, ich rate niemanden von euch, auch nur einen Fluchtversuch zu wagen. Die Letzte, die das versucht hat, musste viele Schmerzen ertragen. Ihr wollt doch nicht eure Körper bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln lassen. Cybele hat schon, nachdem wir ihr die Hand abgeschnitten haben und das Blut über ihre weiße Haut lief, um Gnade gewinselt. Sie erzählte uns, dass ihr mit an dem Plan beteiligt gewesen seid, doch wir wissen alle, dass es eine Lüge war. Und Lügner trennt man besser von ihrer Zunge.“ Angewidert verzog ich das Gesicht, wohingegen Skylla, Charybdis und Daria eher verängstigt schienen. Im Gegensatz zu mir hatten sie noch nie einen Splatter Horrorfilm gesehen. Die Einzige, die jedoch unbeeindruckt schien, war Hinata. Scheinbar waren Qualen und Folter nichts, was sie nicht kannte. Es wäre schon interessant gewesen zu erfahren, wie ihre Ausbildung gelaufen war. Schließlich wusste ich durch ihren Chef, dem Händler aus Kou, dass sie, genau wie Chen, für den Kampf ausgebildet worden war. Aus anderen Gründen wäre er sonst wohl nie mit nur zwei Personen gereist. „So, macht euch fertig, wir legen gleich an.“ Wir nickten zustimmend. Für mich war das der Moment, auf den ich gewartet hatte. Ich griff zu der Feder, dem Tintenfass und dem Papier, welches Saam bereits in meine Richtung geschoben hatte. Er wusste bereits, dass ich meine selbst genähte, oder eher von Daria genähte, Umhängetasche mitnehmen würde. Sie war praktisch, denn so verlor ich kein Papier und konnte außerdem noch ein paar kleine Tonflaschen mit Wasser mitnehmen. Das Wetter war zwar stürmisch, das Klima aber undankbar schwül. Immerhin diese Freiheit hatte ich. Zu trinken, wann ich es brauchte. Zusammen mit den Mädchen, verließ ich die Kajüte. Anders als gewohnt, war die Stimmung aber nicht freudiger Natur. Im Gegenteil, sie war angespannt. Wir hatten nicht mehr viel Zeit. Ich hatte nicht mehr viel Zeit, um die letzten, Entscheidenden Vorbereitungen für die Flucht zu treffen. Kapitel 21: Piratenmarkt ------------------------ Ich hatte meine Umhängetasche ziemlich schnell zusammen gepackt, sodass ich noch ein paar andere Sachen erledigen konnte. Dabei achtete ich darauf, dass man mich nicht beobachtete. Und das mein Handeln nicht zu auffällig war. Das Töpfchen mit dem Fettbrand war daher leicht platziert. Mit Deckel, in dem sich Löcher befanden. Sicher würde der Deckel die Hitze nicht lange durchmachen. Aber das war mir egal. Er musste nur vielleicht ein bis zwei Stunden halten. Lange genug, bis alle von Bord waren. Damit ich nicht zu viel Misstrauen erweckte, schloss ich mich schnell den Piraten an Deck an. Wie gewohnt würdigten sie mich keines Blickes, zumindest keines offensichtlichen. Dennoch, eine gewisse Nervosität schwang mit. Gleichzeitig, sprach ich das Mantra in meinen Gedanken. 'Es wird alles gut gehen.' Auch wenn ich nicht wusste, ob das der Wahrheit entsprach, ich wollte es unbedingt für die Anderen. Suchend, sah ich mich unter den Piraten, die mit Saam von Bord gehen würden, um. Etwas weiter erkannte ich Hinata, voll bepackt mit einigen Sachen. Sie würde sicher noch häufiger laufen müssen, denn mit Sicherheit war das nur eine gefühlte handvoll von den Schätzen, die hier an Bord schlummerten. Noch dazu war sie auch nicht die einzige, die diverse Frachtgüter trug. Auch einige der Piraten waren dazu verdammt, doch ihnen schien das nichts auszumachen. „Hier bist du.“ Ich zuckte zusammen und fühlte mich wie ein Kind, das man bei einer schlimmen Tat erwischt hatte, als mich Ruriel von der Seite ansprach. Mit dem unschuldigsten Blick, den ich auffahren konnte, sah ich zu ihm. Dabei prüfte ich, ob ich etwas in seinen Augen lesen konnte, das mir verriet, in welcher Gemütslage er sich befand. Dabei war das, gerade bei ihm, immer so schwer. Ruriel zeigte nicht viele Emotionen. Nicht einmal, wenn er angetrunken war. Im Gegenteil, er wirkte immer so steif und pflichtbewusst. Ich redete mir aber ein, dass dies durch seine Vergangenheit kam, von der er mir an einem äußerst feuchtfröhlichen Abend der Piraten erzählt hatte. Noch mehr redete ich mir aber ein, dass ihn genau diese Vergangenheit zu meinem wohl gefährlichsten Gegner machte, wenn ich den Fluchtplan geheim halten wollte. „Du hast lange gebraucht.“ Da war es, dieses Misstrauen in seiner Stimme. Er ahnte vielleicht wirklich etwas, oder schien zu glauben, dass ich die potentiell Größte Gefahr war. Auch wenn ich nicht wusste, wie er darauf kam. „T-Tut mir leid. Die Tasche ist schwer. Es ist so warm, da habe ich lieber etwas mehr Wasser mitgenommen“, erklärte ich und öffnete die Tasche, sodass er in ihr Inneres blicken konnte. Er sah nichts anderes außer vier Tonfläschchen und den Schreibkram. Dennoch, als ahnte er etwas, zog er eine der Flaschen heraus, betrachtete diese misstrauisch und entkorkte sie. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als er es an seine Nase hob und daran schnupperte. „Willst du jetzt ernsthaft an jeder Wasserflasche schnüffeln? Glaubst du, ich klau euch euren Alk? Sorry, das, was ihr trinkt, ist mir zuwider.“ Es war nicht gelogen. Das Zeug, welches die Piraten tranken, hätte ich nicht einmal mit der Zungenspitze berühren wollen. Es war zu starker Alkohol und noch dazu ekliger. Ich blieb bei Wein und würde diesen auch in dieser Welt bevorzugen. Immerhin veranlasste mein Gezetter Ruriel dazu, davon abzusehen nun jede Flasche zu überprüfen, indem er daran schnupperte. Er verkorkte stattdessen die Flasche, die er genommen hatte, wieder und steckte sie zurück in meine Tasche. „Komm mit.“ Fest, aber nicht brutal, ergriff Ruriel meinen Oberarm und zog mich durch die Reihen weiter nach vorne. Scheinbar war er sehr darauf aus, mich im Auge zu behalten. Oder zumindest nahe bei Saam, denn er zog mich in dessen unmittelbare Nähe. Wohl war mir bei der Sache nicht. Dennoch, solange ich mir nichts anmerken ließ, war alles in Ordnung, auch wenn ich mir sicher war, dass Ruriel mich keine Sekunde aus den Augen lassen würde. Auf Saams Signal hin setzte sich die Gruppe in Bewegung und lief über die Planke hinab auf einen Steg, der ächzende Laute unter uns zum Besten gab. Ein wirklich sicheres Gefühl hatte ich bei dem Steg nicht, denn ich spürte, wie das Holz unter meinen Füßen dezent nachgab. Es war alt und sicher waren schon hunderte von Menschen über diesen Steg gelaufen. Auf einmal war ich froh, dass ich diesen Steg nicht oft überqueren musste. Obwohl mir der Steg Sorgen bereitete, sah ich mich gut um. Dieser Hafen wirkte wie ein alter, ungenutzter Fischerhafen. Fischernetze standen auf Rahmen aufgespannt etwas weiter von uns entfernt. Allerdings hatten diese Netze sicher schon bessere Zeiten gesehen, denn Löcher machten es eher sinnlos sie in Nutzung zu halten. Wenn ich es recht sah, war dies aber nicht nötig, denn viele andere Schiffe lagen hier vor Anker. Schiffe von Piraten, glaubte ich zumindest an der Kleidung zu erkennen, die jene Seefahrer trugen. Von den Flaggen selbst konnte ich das ablesen. Na toll. Mein genialer Fluchtplan würde also an einem Umschlagplatz von Piraten ausgeführt werden. Unter anderen Umständen hätte ich mir nun vielleicht überlegt, ob ich meinen Plan wirklich ausführen wollte, allerdings waren die Vorbereitungen bereits getroffen und ein Zurück gab es damit nicht mehr. Viel weiter konnte ich allerdings auch nicht sehen, als ein paar Meter. Die Nebelsuppe vom Morgen hatte sich immer noch nicht gelichtet und hatte dies auch scheinbar nicht so schnell vor. Vielleicht würde der Nebel mir nützlich sein? Es ließ sich sicher gut darin verstecken und Ruriel konnte ja auch nicht die ganze Zeit so nahe bei mir sein. Sicher hatte er auch noch andere Aufgaben. Vorsichtig sah ich zu Ruriel, der neben mir lief. An ihm vorbei konnte ich einige Stände sehen, hinter denen fragwürdige Gestalten ihre Ware anboten. So stellte ich mir Drogendealer in meiner Welt vor. Grimmiger Blick, Narben im Gesicht, und eine Aura, die förmlich Warnsignale aussendete. „Denk nicht einmal daran.“ Ich sah zu Ruriel auf, mit großen Fragezeichen im Blick. Woher wollte der Kerl bitte wissen, woran ich dachte? Na gut, mal davon abgesehen, dass er mir sowieso nicht vertraute, schien er wirklich zu ahnen, dass ich an die Flucht dachte. Dennoch, bloß nichts anmerken lassen und dumm stellen. Das war meine Devise ihm gegenüber. „Woran soll ich nicht denken?“ „Das der Nebel dir guten Sichtschutz liefert. Du kannst von mir aus soviel über Flucht nachdenken wie du willst, solange du nur daran denkst. Saam dürfte euch ja heute daran erinnert haben, was passiert, wenn ihr es versucht und erwischt werdet.“ „Dann sollte ich mich einfach nicht erwischen lassen, oder?“ Ein Seufzen kam von Ruriel. Ein resignierendes Seufzen. „Ich dachte du wärst klüger, nachdem du dich in Bitroun ergeben hast. Scheinbar habe ich mich getäuscht. Lass mich dir den Rat geben, es dennoch nicht zu versuchen, denn wir werden dich erwischen.“ 'Das werden wir ja sehen', war der Gedanke, den ich nur zu gerne ausgesprochen hätte, doch ich verkniff ihn mir. Wer wusste schon, wie Ruriel ihn deuten würde. Im Gegensatz zu ihm konnte ich nämlich keine Gedanken lesen. „Danke für deinen Rat, Ruriel. Aber ich denke, ich bin erwachsen genug, um zu wissen was ich tue.“ Ich spürte förmlich Ruriels zweifelnden Blick. Er glaubte mir nicht. Kein Wunder, ich hatte nicht einmal gesagt, dass ich auf ihn hören würde. Wobei, selbst das hätte er mir nicht abgekauft. Damit wäre es egal gewesen, was ich gesagt hätte. „Wo sind wir hier überhaupt?“ Auch wenn Ruriel mir nicht vertraute, war er doch derjenige, der mir immer alles erklärte und mir jede Frage beantwortete, die ich hatte. Es war schon eine seltsame Art von Verhältnis, die wir zueinander hatten. Dennoch war es angenehmer als zu Leuten wie Sarim. „Nicht so wichtig. Es reicht, wenn du weißt, dass wir hier unsere Waren verkaufen. So schaffen wir Platz für die nächste Reise. Außerdem gibt es danach weniger Mäuler, die gefüttert werden müssen.“ Mir drehte sich der Magen förmlich um, als Ruriel das sagte. Es bedeutete doch wirklich, dass sie die Gefangenen verkaufen wollten. Es wurde höchste Zeit. Ich musste etwas tun. Irgendwie. „Verstehe.“ Es war alles, was ich sagen konnte. Doch mit dieser Antwort schien Ruriel nicht gerechnet zu haben. Scheinbar hatte er sich etwas Anderes von mir erhofft. Schade dass ich keine Gedanken lesen konnte, sonst hätte ich ihm vielleicht die gewünschte Antwort geben können. „Beeil dich und schließ zu Saam auf. Ich hab wichtigeres zu tun, als dich die ganze Zeit zu bespaßen.“ Ich verdrehte die Augen, denn irgendwie schien es Ruriel zu gefallen, so widersprüchlich zu sein. Erst war er nett, dann war er grummelig, scheinbar wusste er selbst nicht, in welche Richtung er gehen wollte. Eines war mir aber klar, ich tat besser, was er sagte, weswegen ich einen Schritt zulegte und zu Saam aufschloss. Die Stände, an denen ich dabei vorbei lief, verkauften bereits ihre Waren, oder viel eher ihr Diebesgut. Dieser ganze Ort, der früher eindeutig kein Schwarzmarkt für Piraten gewesen war, zumindest verrieten mir alte Fischernetze, Scherben von Tonkrügen und anderen Dingen, wie zum Beispiel einer Schreinerbank, dass dies hier mal ein ganz normales Dorf gewesen war, hatte alles von seinem Glanz verloren und erschien nur noch zwielichtig und dunkel. Aber heute zweckentfremdete dieses Pack die Ruinen des Dorfes. Wer wusste schon, wie lange das ging? Außerdem fragte ich mich, warum noch niemand diese Insel gefunden hatte? Gab es wirklich niemanden, der Interesse daran hatte, ein paar Piraten das Handwerk zu legen? Okay, sicher nicht. Vielleicht warfen die Piraten genug für die Wirtschaft des entsprechenden Landes ab, sodass dieses einfach wegsah. Genau nach demselben Prinzip funktionierte Politik auch in meiner Welt. Während ich mir die heruntergekommenen Häuser ansah, bemerkte ich, dass wir immer weiter ins Zentrum des Dorfes gingen. Die Stände der Piraten waren bald nicht nur vereinzelt zu sehen, sondern standen dicht an dicht. Von Waffen bis hin zu Schriftrollen war alles hier zu finden. Scheinbar stahlen Piraten wirklich alles, was nicht niet- und nagelfest war. Seltsam war nur, dass sie sich ihre Ware untereinander verkauften. Wozu? Wahrscheinlich entbehrte das jeglicher Logik. Meiner Logik. Auch wenn mich der Anblick faszinierte und gleichzeitig abschreckte, hatte ich schnell zu Saam aufgeschlossen. Er hatte vor einem Stand innegehalten, was für mich ein klares Zeichen war, endlich das Schreibzeug herauszunehmen. Ich platzierte mich direkt neben Saam, zog die Listen, die er angefertigt hatte und auf denen die Preise für diverse Stoffe, Juwelen, Bilder und was es nicht noch alles gab, standen, hervor. Ich würde die Aufgabe haben, auszurechnen, wie viel sie für die gesamte Ware eingenommen hatten. Auch wenn Saam so eine gewisse preisliche Vorstellung von dem hatte, was er gerne hätte, machte er doch hin und wieder Abstriche, die sich aber ausglichen, da manche Waren für einen höheren Wert weggingen. Es hing eben ganz davon ab, wie groß das Interesse an dem entsprechenden Gegenstand war. Meine Aufgabe war es, nachdem Saam einige der Waren bereits angepriesen und Interessenten gefunden hatte, dies den Männern am Schiff zu melden. Wie gut, dass ich mir den Weg gemerkt hatte, oder zumindest einige Stände, die ich sehen musste. Eines musste man Saam lassen, er hatte entweder verdammt großes Glück, oder einen wirklich guten Riecher dafür, wann Markttag war. Da gerade jetzt einige Besucher und Piraten den Markt besuchten, ging ich davon aus, dass Saam einiges an Waren loswerden würde und an Sklaven, wenn sich die Gefangenen nicht rechtzeitig befreien konnten. Oder ich nicht rechtzeitig eingriff. Doch ein Eingreifen war gefährlich. Mit Sicherheit würden nicht nur Saams Leute versuchen uns aufzuhalten, sondern auch die anderen Piraten. In dem ganzen Nebel, würde das alles im Chaos versinken. Gute Sache. „Pst, sag Saam, dass es einen Interessenten für die balbaddische Rüstung gibt.“ „Wie viel?“, flüsterte ich. Denn Gott bewahrte mich davor, dass ich jetzt wie von der Ratte gebissen Saam ansprach. Vorerst würde ich auf meine Liste schauen, gucken ob die Preisvorstellungen Saam entsprachen und dann Saams Befehle ausführen, nämlich sagen ob es reichte oder nicht. Die balbaddische Rüstung... Sie war nicht einmal eine Rüstung. Sie war lediglich eine Soldaten-Garnitur, da es aber schon reichte so etwas zu sein, um als Rüstung bezeichnet zu werden, bitte sollte mir recht sein. „Zwölf Huang.“ Ich sah auf meine Liste und fand sie. Zwölf Huang... das lag unter dem Wert, den Saam angedacht hatte. Kein Wunder. Mit so einer Garnitur konnte man sicher einiges an Ärger in Balbadd machen, oder nahe Balbadds. Ich nickte verstehend und wandte mich Saam zu, der meine Bewegung wahrnahm und mich sofort durch seine rot glühenden Guppyaugen heraus ansah. Ich erschauderte jedes Mal bei seinem Blick, einfach weil ich ihn nie zu deuten wusste und immer gleich irgendwelche niederträchtigen Beweggründe hinter ihnen vermutete. „Die balbaddische Garnitur wird angefragt. Die Interessenten bieten zwölf Huang. Auf der Liste steht es aber für 17 Huang.“ „Sie sollen ihn auf 15 Huang hochhandeln, und den Preis klar bei 17 Huang ansetzen. Unter 15 Huang verkaufen wir nicht.“ Ich nickte und notierte mir den Preis, den wir alternativ statt den 17 Huang nehmen wollten, bevor ich mich an den Piraten wandte, obwohl er die Antwort Saams eigentlich selbst gehört haben sollte. Schließlich stand Saam nicht zu weit von ihm entfernt. Dennoch wiederholte ich brav, was man mir aufgetragen hatte und sah zu, wie der Pirat die Beine in die Hand nahm und verschwand.   Die ersten Botengänge nutzte ich, um mir das Dorf doch etwas genauer anzusehen. Wie schon bei meinem ersten Blick waren die Häuser wirklich heruntergekommen, auch wenn die chinesische Architektur, vielleicht war sie auch japanisch, das Ganze noch recht edel erscheinen ließ. Einige von ihnen waren sogar durch Bretter vernagelt worden. An sich erinnerte das Dorf, wenn man all die Piraten ignorierte, an eine Geisterstadt. Verlassen und heimgesucht von Geistern. Für unwahrscheinlich hielt ich letzteres nicht, denn hier gab es sicher viele geschundene Seelen, die diesen Ort nicht verlassen konnten. Das einzig Interessante, das ich erkennen konnte, war ein Gehweg in nordöstliche Richtung, der aus dem Dorf führte. Halb zerstört aber doch noch gut intakt. Durch den Nebel konnte ich nur noch den Bambuswald erahnen, aber nicht sehen, wohin der Weg genau führte. Es war eine Schande. So schnell würde sich der Nebel allerdings auch nicht verziehen. Der Fluss, der sich durch das Dorf wand, schien die Brutstätte dieses Nebels zu sein. Ein seltsames, wenn auch natürliches Spiel, immerhin sah es so aus, als würde der Fluss kochen. Wirklich länger auf die Umgebung konnte ich mich allerdings nicht konzentrieren. Ich spürte mich bereits den Blicken eines „Wächters“ ausgesetzt. Wenn ich länger darauf verzichtete, diesen Botengang zu beenden, um die Umgebung auszukundschaften, würde es Ärger geben. Großen Ärger. Jetzt konnte ich wenigstens noch behaupten, mich verlaufen zu haben, aber wenn ich solche Ausflüge noch häufiger tat, würde diese Ausrede nicht mehr ziehen. Die ersten drei Male wurden mit viel Glück geduldet und die hatte ich mit diesem kleinen Ausflug ausgereizt. Für so dämlich hielt mich dieses Piratenpack doch nicht. Leider. Sonst wäre das häufigere Verlaufen noch erklärbar gewesen. Trotz alledem machte ich mich auf den Weg zurück zum Hafen. Die Botschaft war noch in mein Hirn eingebrannt. Glücklicherweise war ich noch nicht alt genug, um zu behaupten, dass ich Alzheimer hatte. Meine Sightseeing-Tour hatte mich nicht weit vom Hafen entfernt. Ich brauchte damit nicht lange, um das Schiff wieder zu finden. Einer der Piraten stand dort Wache oder schien viel mehr auf mich zu warten. Er war zumindest derjenige, der alle Anweisungen gab. Dementsprechend war er mein Mann, auch wenn er mich ignorierte. Dreist so etwas. „Entschuldige.“ Mein Unterton hatte schon etwas entnervtes, als ich den Piraten ansprach. Dieser würdigte mich nun doch endlich mal eines Blickes. Scheinbar hatte er verstanden, dass ich nicht zum Spaß hier war. Das hätte ihm eigentlich schon wesentlich früher bewusst sein müssen. „Saam schickt mich. Ihr sollt die Vorräte auffüllen. Getrocknetes Fleisch, Obst, Fladenbrote, wenn möglich noch ein paar Hühner und Schafe. Außerdem will er, dass ihr ihm die rubinrote Truhe bringt.“ Ich sah auf mein Papier, während ich sagte, was mir Saam mitgeteilt hatte. Nicht, das ich wirklich ablas, aber so konnte ich irgendwie an den Typen vorbeischielen zum Schiff. Es war ruhig an Bord und ich fragte mich, ob mein kleines Feuer noch unentdeckt geblieben war. An sich, wenn sie es entdeckt hätten und alles nach Plan lief, hätte es brennen müssen, irgendwo. Aber nichts war. „Was? Soll ich es dir aufschreiben?“, fragte ich den Piraten, der mich mit diesem Blick bedachte, der mir sagte, dass er null verstanden hatte. Da ich wusste, dass er auch nicht lesen konnte, war mein Kommentar eher unsinnig. „Oder soll ich es noch einmal langsam wiederholen?“ Der Blick des Piraten wurde grimmig. Kein Wunder, selbst ein Idiot wie er musste bemerken, dass ich ihn gerade verarschte. Immerhin gab es für so etwas noch keine Strafe von Saam. Gegen mein vorlautes Mundwerk oder etwas Zynismus konnte ich nichts machen. „Nochmal, Vorräte auffüllen. Wir brauchen neben ein paar Hühnern und Schafen...“ Ich wiederholte die ganze Prozedur, machte dazwischen aber genug Pausen, damit mein Gesprächspartner sich auch wirklich alles merken konnte. Es mutete aber mehr einer Tortur an, als einem Botengang. Ruriel oder Sarim hätten die Anweisungen besser befolgt und auch schneller verstanden. Es graute mir schon davor, ihm noch die letzte Nachricht zu überbringen. Ich befürchtete, dass diese seine kleines Hirn überfordern würde. „Gut da wir das haben, ich suche außerdem jemanden namens Xu? Ich soll ihm noch eine Nachricht von Saam bringen.“ „Der alte Xu ist dort.“ Mein Gegenüber wies mir noch die Richtung, bevor er sich von mir abwandte. Dort war ein breitgefächerter Begriff. Ich sah mir die Stände genauer an und erblickte schließlich den alten Xu. Er stach mit seinem schlohweißen Haar wirklich aus der Menge hervor. Niemand hatte so viele Falten wie er. Zielstrebig lief ich auf den alten Mann zu, der sich gerade eine Vase ansah. Ich hatte keine Ahnung, was er damit wollte, denn letzten Endes brauchte das Schiff kein Nippes. Solange es sein Geld war, das er damit ausgab, sollte es mir aber egal sein. „Xu?“ „TSCHU!“ Ich blinzelte ungläubig, als ich über mir etwas hörte. Ein Echo? Nein, wohl eher ein sehr niedliches Niesen. „Gesundheit“, murmelte ich, sah aber nach oben. Nichts. Seltsam, denn ich war mir sicher, dass ich mir dieses „tschu“ nicht eingebildet hatte. Und wie ein Echo hatte es auch nicht geklungen. Dafür war die Stimme viel zu tief gewesen. Zumindest tiefer als meine. Vielleicht bekam ich doch langsam Halluzinationen. „Wie bitte, Liebes, sprich lauter!“ Mein Blick wandte sich zu Xu. Was auch immer ich gehört hatte, es war nicht mehr da und für den Moment Nebensache. Stattdessen musste ich mich um Xu kümmern, oder viel mehr um die Nachricht, die Saam für ihn hatte. „Xu, Saam will dich zum frühen Nachmittag im Gasthaus treffen.“ Wie der Ochs vorm Berg sah Xu mich an. Ein Blick den ich bei allen Piraten gewohnt war. Dabei gehörte Xu zu der gebildeteren Klasse der Piraten. „Wie bitte, Liebes?“ Richtig, ich hatte ganz vergessen, dass der alte Xu echt schwerhörig war. Toll. Das war einfach nur herrlich. Wenn mein Job in meiner Welt mir nicht die Stimme ruinierte, dann würde es über kurz oder lang diese Welt tun. „SAAM WILL DICH AM FRÜHEN NACHMITTAG IM GASTHAUS TREFFEN!“ Ich schrie ihn förmlich an, denn anders hätte er es wohl nicht verstanden. Zumindest hatte ich bis heute noch nicht herausgefunden, wie laut ich sprechen musste, damit Xu mich verstand. „Du musst nicht so schreien, Liebes, ich verstehe dich klar und deutlich.“ Genau deswegen wusste ich das nie. Ich fühlte mich wie in einem Klischee und das war traurig, denn eigentlich mochte ich Klischees. Aber dieses hier wurde auf die Dauer langweilig. Immerhin hatte er nun die Nachricht bekommen und mein Auftrag war damit ausgeführt. „Sag, Saam, dass ich die Nachricht bekommen habe.“ Etwas anderes hätte ich sowieso nicht gesagt, nachdem ich es war, die die Nachricht überbracht hatte. So viel gewissenhafte Arbeit traute ich mir doch noch zu. Ich nickte nur zum Zeichen, dass ich es Saam sagen würde und wandte mich wieder von dem alten Xu ab. Ich lief los, in die Richtung aus der ich einst gekommen war, dennoch blickte ich einmal zurück. Dieses Niesen. Es lies mir keine Ruhe. Irgendetwas kam mir spanisch vor. Ich wusste nur nicht, wie ich dieses Gefühl richtig in Worte fassen sollte. Auf die weibliche Intuition konnte ich es schon einmal nicht schieben, denn mit Sicherheit wäre so manch anderem dieses Ereignis seltsam vorgekommen. „Lasst die Finger von mir!“ Ich war gerade an einer Bühne vorbeigelaufen, die zur Präsentation von Sklaven gedacht war. Mir kam die Stimme bekannt vor, die sich über alle anderen erhob. Da stand sie, die Schatzsucherin. Mir wurde heiß und kalt, denn wenn bereits jetzt die Gefangenen von Saam verkauft wurden, war ich vielleicht schon zu spät. Aber ich konnte noch nicht halten. Das Piratenschiff war noch zu ruhig. Das Feuer brannte noch nicht so, wie es geplant war. Ich fühlte mich wie ein Lügnerin. Immerhin hatte ich versprochen, dass ich sie alle befreien würde. Wobei, ich konnte es vielleicht. Meine Hand glitt wie von selbst zu der Tasche, in der sich die Wasserflaschen befanden. Es brauchte nur eine davon und einen Zauber. Die Feder würde zwar nicht mehr aushalten, vielleicht zwei wenn ich Glück hatte. Aber darauf wollte ich mich nicht verlassen. Ich war wirklich unschlüssig. 'Denk nicht dran, du hast genug für sie getan, wenn sie das nicht einzusetzen wissen, haben sie es nicht besser verdient.' Ich seufzte leise. Meine Vernunft hatte wohl Recht. Ich hatte ihnen vieles an Möglichkeiten gegeben. Ausnahmsweise musste ich wohl darauf vertrauen, dass sie es einzusetzen wussten. Wahrscheinlich hatten sie schon einen Plan, wie sie die Mittel nutzen wollten. Sie passten nur, genauso wie ich, den richtigen Augenblick ab. Noch dazu war die Schatzsucherin sicher nicht dumm. Sie würde sich um die Kleinen und die Anderen kümmern. Genau das würde sie tun, ohne Frage. Ich schüttelte daher alle meine Zweifel ab und ging weiter, wobei ich auf die Kinder, die in der Reihe standen, nicht mehr achten konnte. Wahrscheinlich hätte ich sonst doch noch eingegriffen. Doch meine Waffen waren ebenso kostbar wie die Freiheit. Meine Schritte wurden schneller, denn ich wollte schnell weg vom Ort des Geschehens. Erst als ich die Bühne wirklich hinter mir gelassen hatte, nahm ich wieder ein normales Schritttempo an und sah mich um. Irgendwo hier versteckte sich sicher auch mein Aufpasser. Wenn er denn noch da war. In dem Nebel war das allerdings nicht leicht auszumachen. Ich selbst konnte nicht weiter sehen als ein paar Meter, daher wollte ich gar nicht wissen, wie nahe mir derjenige war, der ein waches Auge auf mich werfen sollte. Umso glücklicher konnte ich sein, dass ich am „Sklavenstand“ nicht eingegriffen hatte. TOCK! Ich stolperte, spürte etwas feuchtes an meinem Hinterkopf und konnte meinen Gleichgewicht nur wieder finden, weil ich mich an einem Stand abstützte. Eines war mir klar, irgendjemand hatte irgendetwas auf mich geworfen und auch noch getroffen. Ich konnte froh sein, dass es kein Ziegelstein gewesen war. Dennoch, ich wollte wissen, was mich erwischt hatte, denn mit einem Griff an meinen Hinterkopf konnte ich es nicht ausmachen. Alles, was ich fühlte war nasses Haar. Eklig nasses Haar. Vorsichtig sah ich hinter mich. Kein Täter in Sicht. Verdammt. Vielleicht waren es ja doch Geister. Poltergeister. Nur was hatte ich ihnen getan? Keine Ahnung. Der einzige Beweis, dass ich mich nicht irrte und wirklich etwas auf mich geworfen worden war eine gelbe Frucht. Sie hatte die Größe eines Apfels und die Beule, die ich deutlich sehen konnte, erinnerte sehr stark an die Form meines Hinterkopfes. Das war also der Übeltäter. Erneut sah ich in die Richtung, aus der diese Nashibirne, ja so nannte man dieses Obst, gekommen sein musste, doch ich sah nichts. Seltsam. Wirklich sehr seltsam. Ich seufzte und sah zu dem Stand, der meinen Sturz verhindert hatte. Da stand er, der Stab von Nel. Mein temporärer Zauberstab. Er lag wirklich hier, bereit zum Verkauf. Nur eine Armlänge, eigentlich nur eine halbe, von mir entfernt. Noch dazu war der Händler selbst gerade abgelenkt. Wahrscheinlich würde er es nicht einmal merken, wenn ich mir einfach so diesen Stab nehmen würde. Dann könnte ich diesem Piratenpack einheizen. Die Gefangenen würden in die Freiheit kommen. Alles, was ich brauchte, war dieser Stab. Sein Kristall würde wieder so schön blutrot leuchten, wenn ich Har Har Infigar sprach. Mit etwas Glück würden einige der Waren hier in Flammen aufgehen. Ablenkung vom Feinsten. Wie von selbst streckte sich meine Hand nach dem Stab aus. Ich musste ihn nur noch mit meiner Hand umschließen. Gerade, als ich das aber tun wollte, spürte ich, wie mich jemand packte. Ich folgte dem Arm, der zu der Hand gehörte und sah in Ruriels ernstes Gesicht. „Versuch es nicht, oder ich schneid dir höchstpersönlich die Hand ab.“ Selbst, wenn ich es gewollt hätte, Ruriels Griff war so fest um meinem Handgelenk, dass ich die Hand kaum bewegen konnte. Ich hätte diesen Stab nicht einmal ergreifen können. „Ihr verkauft ernsthaft MEINEN Stab?“ „Unseren Stab. Er gehört dir nicht mehr, wir können damit also machen was wir wollen. Außerdem, der Stein dort sieht wertvoll aus. Sicher bringt dieses Stück Brennholz deswegen einiges an Geld.“ Stück Brennholz? Ihren Stab? Die Wut pulsierte in mir. Wie konnte er so über Nels Stab sprechen? Er war mir zwar nicht lieb und heilig geworden, aber ich hatte ihn von Panthea bekommen. Sie hatten ihn mir anvertraut. „Rede nicht so darüber... Der Stab gehörte einem guten Freund von mir. Wenn du so etwas noch einmal sagst, wirst du es bereuen.“ Schweigend sah mich Ruriel an. Unbeeindruckt, weil er wusste, dass ich doch nichts machen konnte. Ich wäre ihm jetzt unterlegen, denn ich hatte keine Waffe, mit der ich mich verteidigen konnte. Er musste nichts sagen, damit ich das verstand. „Saam wartet auf dich, also beeil dich.“ Ruriel ließ von meinem Handgelenk ab und wartete, bis ich mich aufrichtete. Es war eindeutig, dass ich nicht einmal diesen Stab vor seinem Verkauf retten konnte. Verdammt. Das war absolut deprimierend. Ergebend wandte ich mich wieder dem Weg zu, der ursprünglich meine Route war. Immerhin wusste ich nun ganz offiziell, dass Saam mir einen seiner Wachhunde auf den Hals gehetzt hatte. Das war eigentlich klar gewesen und zeigte nur noch einmal deutlich, dass er mir nicht vertraute. Damit wurde nur noch klarer, dass mein kleiner Plan wesentlich schwerer auszuführen war.   Ich fühlte mich mächtig deplatziert, als ich wieder zurück bei Saam war und man mich keines Blickes würdigte. Das war ich allerdings gewohnt. Es war immer so. Keiner sprach mich an, wenn es nicht absolut notwendig war und selbst Saam gab nur notwendige Befehle. Gerade schien Saam aber nicht in der Stimmung zu sein, Befehle zu geben. Viel eher handelte er mit einem Mann, der mir seltsam vertraut vorkam. Da ich aber kein Gedächtnis für Gesichter hatte, war ich mir alles andere als sicher. Ich hielt ja selbst die bekanntesten Gesichter auf dem Piratenschiff für fremd, da ich sie mir einfach nicht merken konnte. Mir war es auch so ziemlich egal, worüber sie handelten. Ich horchte lediglich auf, wenn eines der Crewmitglieder mir eine Ware mitsamt des Verkaufspreises entgegen rief. Aus Datenschutzgründen, werde ich natürlich nicht erwähnen, wie hoch der Gewinn der Piraten bereits war. Fakt war immerhin, dass sie mehr verdient hatten, als sie mir bezahlten. Und sie bezahlten mir nichts. Ich seufzte, während ich weitere zwanzig Huang für fünf Meter Stoff aufschrieb. Rote Seide, unglaublich, dass die nur zwanzig Huang wert sein sollte. Allerdings wusste ich nicht einmal, ob dies wirklich dem Wert entsprach. Ich hätte Seide für etwas wertvoller gehalten. „Was machen sie hier?“ „Keine Sorge, sie wollen sich sicher nur umsehen.“ „Das haben sie doch noch nie gemacht.“ Es war seltsam, als plötzlich Aufruhr laut wurde. Es klang nicht so, als würde irgendwo ein Schiff in Flammen stehen, sondern viel mehr, als wären plötzlich unerwünschte Gäste aufgetaucht. Ich konnte mir aber bei besten Willen nicht vorstellen, wer diese verlassene Insel einfach mal so aufsuchen sollte. Sinbad wäre sicher nicht so helle gewesen. Und auf Balbadd mussten wir gar nicht erst hoffen. Wer würde sich also auf diese Insel wagen? Neugierig, was die Männer hier in Aufruhr, aber nicht zum Stoppen ihrer Geschäfte brachte, sah ich gen Hafen und erkannte schließlich eine Flagge. Eine, die mir noch aus Balbadd sehr vertraut war. Die Flagge des Kaiserreichs Kou. „Hexe, sieh nach was da los ist.“ Der Befehl Saams war leise, aber dennoch gut hörbar. Wie gut, dass ich neugierig genug war und selbst wissen wollte, was da los war. So brauchte ich immerhin keine dumme Ausrede mehr. Dennoch, es war seltsam. Diese Unruhe. Sie ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Wobei, wenn das ein Schiff aus Kou war, war das vielleicht ein Zeichen, dass dieser illegal wirkende, und wohl seiende, Markt heute das letzte Mal tagte. Mit etwas Glück konnten dann alle anderen Gefangenen gerettet werden. Natürlich würde ich Saams Befehl mit Freuden folgen. Ohne zu zögern lief ich daher los, die Flagge nicht aus den Augen verlierend. Selbst wenn mein Orientierungssinn mies gewesen wäre, diese Flagge hätte mir klar und deutlich den Weg gewiesen. Aber selbst ohne Flagge hätte ich diesen Weg gefunden. „Erenya!“ Ich hatte gerade einmal die Hälfte des Weges hinter mir gelassen, als ich Hinata vor mir sah. Sie trug zwar eine Kiste in den Armen, doch sie legte ein forsches Tempo an den Tag. Unglaublich, wenn man bedachte, dass diese Kiste massiv aussah und alles andere als leicht. „Hinata, was ist los?“ „Sie sind da. Ein Kriegsschiff aus Kou ist hier.“ Hinatas Worte zeigten nur zu deutlich, dass ich mich nicht geirrt hatte. Es war also ein Schiff aus Kou. Nur, das es ein Kriegsschiff war, hatte ich nicht bemerkt. Demnach musste Hinata es schon von nächster Nähe gesehen haben. Kein Wunder, wenn sie gerade vom Hafen kam. Ich fragte mich nur, warum sie über diesen Fakt so breit lächelte. Was, wenn die Leute an Bord des Kriegsschiffes einfach nur ein paar Sklaven erwerben wollten? „Und das ist gut?“, fragte ich zweifelnd. Hinatas Lächeln wich aber nicht. Augenscheinlich wusste sie mehr als ich und ich wusste nicht, ob ich das gut finden sollte. „Das ist mehr als gut. Du musst deinen Plan nicht mehr in die Tat umsetzen. Überlass das alles mir. Ich hole uns zu hundert Prozent raus. Hier.“ Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie mir die Kiste in die Hand drückte und auf der Stelle kehrt machte. Egal, was sie vor hatte, ich wusste nicht, ob ich ihr trauen konnte. Oder ob sie sicher war. Was, wenn einer von Saams Wachhunden auch ihr folgte? Zumindest Ruriel, der mir auf den Fersen war, musste nun wissen, dass sie etwas plante. „Hinata, warte!“ Zu spät. Sie hörte nicht mehr auf mich und lief wie der Wind wieder in Richtung Hafen. Seufzend sah ich auf die Kiste und überlegte, was ich nun damit sollte. Ich wusste nicht einmal, wer die gefordert hatte. „Gib her...“ Ich erschrak, als Ruriel mir plötzlich die Kiste aus der Hand nahm. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. „Willst du Hinata nicht folgen?“ „Sarim wird ihr folgen. Da muss ich mir keine Sorgen machen. Ich bringe diese Kiste zu Kadir. Geh du zurück zu Saam und erzähl ihm vom Kriegsschiff.“ Vollkommen bedröppelt stand ich da, ohne Kiste, ohne einen Verfolger, einfach vollkommen alleine und verwirrt. Was meinte Hinata damit, dass sie uns zu hundert Prozent retten würde? Das alles ergab für mich absolut keinen Sinn.   Auch, als ich Saam von dem Kriegsschiff berichtet hatte, änderte sich nichts. Er verkaufte weiterhin die Waren, die er und seine Leute geraubt hatten, als wäre es das normalste der Welt. Nicht einmal die Streitmacht von Kou schien ihn abzuschrecken. Somit konnte ich Hinatas hundert Prozent nicht mehr vertrauen als den Wahlversprechen der Politiker meiner Welt. Es hatte sich seit der Ankunft des Kriegsschiffes nichts geändert. Ich spielte immer noch Botenmädchen und wurde von allen ignoriert. Es war frustrierend und am nächste Tag würde ich mit Sicherheit Muskelkater haben. Einen der schlimmen Sorte. „Hexe, sag Saam, dass wir gleich unsere Hauptattraktion holen werden.“ Ich verdrehte die Augen, als einer der Piraten mich wieder mit meinem ungeliebten Spitznamen ansprach. Allmählich gewöhnte ich mich aber daran, auch wenn ich nicht weniger beleidigt war. „Ich hab einen Namen...“, murmelte ich und sah den Piraten ernst an, der verächtlich schnaufte. „Klar, Hexe. Und nun geh schon und richte Saam die Nachricht aus. Oder muss ich dir Feuer unter dem Hintern machen?“ Feuer unterm Hintern? Was dachte dieser Typ wer er war? Ich konnte ihm viel eher etwas einheizen, als er mir. Aber gut, dass würde ich mir für später aufheben. „Schon gut, schon gut...“ Ich verdrehte die Augen und machte mich auf den Weg zurück zu Saam. Was war ich froh, wenn der Nachmittag in wenigen Stunden anbrach. Saam würde sich dann mit Xu treffen und ich war da hoffentlich nicht dabei. Auch, wenn es dann recht langweilig werden würde. Abgesehen von den Mädchen und Hinata, deren Verbleib aktuell unbekannt war, würde hier niemand mit mir reden. Langweilig also. Schon die Anwesenheit bei Saam war langweilig. „Entschuldigung, dürfte ich dir kurz ein paar Fragen stellen?“ Ich musste plötzlich inne halten, als mir ein Mann den Weg versperrte. Anders als die anderen Männer hier, war die Kleidung desjenigen, der mich angesprochen hatte, edel. Sauber und der Stoff schien ebenso teuer zu sein, wie diverse Schmuckstücke aus der Schatzkammer von Saams Schiff. Ich wagte sogar zu behaupten, dass ich diesen Kleidungsstil von Kouhas Angestellten kannte. Er erinnerte zumindest sehr an den von Kou. Und selbst, wenn er durch seinen Kleidungsstil nicht herausgestochen hätte, die Tatsache, dass er mich angesprochen hatte, machte deutlich, dass er keiner der hiesigen Händler war. „Es tut mir leid, ich muss zu...“ Ich stockte und würgte innerlich, denn ich hasste es, Saam so zu nennen. Deswegen vermied ich es, ihn namentlich ansprechen zu wollen. Ebenso vermied ich es, vor Fremden seinen Namen zu sagen. „Du musst zu deinem Herren?“ Ein Schaudern ging durch meinen Körper, als der Fremde aussprach, wozu ich nicht fähig war. Statt aber zu widersprechen nickte ich und versuchte, um den Mann herum zu gehen. So einfach wollte er mir das aber nicht machen, denn mit einem Schritt zur Seite versperrte er mir erneut den Weg. „Es sind unverfängliche Fragen.“ Ein Seufzen schlich sich über meine Lippen, als ich den Mann vor mir nun genauer musterte. Er war im mittleren Alter, sah für Magi-Verhältnisse wirklich gut aus, und war größer als der durchschnittliche Bewohner Kous. Dennoch hätte ihn Saam locker überragt, was für ihn nicht wirklich schwer war, da dieser um die vier Meter groß war. Und wirklich viele Vergleiche zu anderen Kou-Bewohnern hatte ich nicht. Kouha war noch im Wachstum, Chen sicherlich auch. Mehr Kou-Bewohner hatte ich ja noch nicht kennengelernt. Wenn sie aber nur ansatzweise so groß waren wie japanische Männer, dann ja, war dieser Mann größer als der Durchschnitt. „Sie lassen mir keine Wahl, also muss ich wohl Rede und Antwort stehen. Auch wenn ich...“ Ich stockte und sah mich um. Irgendwo war sicher einer von Saams Männern und egal was der Mann vor mir fragen würde, meine Antworten konnten sicher unangenehme Nebenwirkungen für mich haben. „Mache dir sich keine Sorgen. Ich möchte nur wissen, für wen du arbeitest.“ Das war doch eine Frage, die ich ohne Probleme beantworten konnte. Jeder hier wusste es und hätte der Herr mit dem zusammengebundenen braunen Haar mich etwas länger beobachtet, er hätte sicher auch bemerkt, dass ich zu Saam gehörte. „Für den überdimensionalen Kappa-Menschen. Grün, schuppig mit glänzenden Rückenflossen.“ Erneut sah ich mich um. Wirklich charmant sprach ich ja nicht über Saam, aber ich hatte noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass mir der Kerl zu wider war. „Sind du schon lange bei ihm tätig?“ Lange... Drei Monate fühlten sich wie eine Ewigkeit an. Eine grausige Ewigkeit. Länger würde ich das auch nicht mehr aushalten. So viel stand fest. „Seit Bitroun... das dürften nun drei Monate sein. Plus Minus ein paar Wochen.“ Misstrauisch beäugte ich den Mann, der scheinbar sehr zufrieden mit meiner Antwort schien. Dabei hatte ich nichts weltbewegendes gesagt. Warum also dieser Gesichtsausdruck? Wie gerne hätte ich die Zeit gehabt, darüber nachzudenken! Ich hatte sie nur leider nicht. „Lassen Sie mich jetzt vorbei? Ich muss zu...“ Erneut stockte ich. Ich brachte es wirklich nicht übers Herz, Saam meinen Herren oder Meister zu nennen. „Ich verstehe. Ich danke dir für die Auskunft.“ Er lächelte freundlich, als er mir den Weg frei machte, oder viel eher an mir vorbei ging. Das war wirklich seltsam. Hatte er wirklich nur diese zwei Fragen? Wozu? Verwundert sah ich dem Mann aus Kou nach. Ein kurzer Reflex in mir schrie danach, ihm nachzulaufen und um Hilfe zu bitten. Doch was, wenn das eine Falle war? Was, wenn er einfach nur mit Saam handeln wollte? Es wäre ein Risiko gewesen, diesem Reflex nachzugeben.   Es blieb bei dieser seltsamen Begegnung. Und bei dem Attentat mit dieser Nashibirne. Genauso blieb Hinata auf einmal spurlos verschwunden. Zwar war Sarim aufgetaucht, aber er schien die Fährte von Hinata verloren zu haben. Wenn sie nicht mehr da war, wusste ich nicht einmal mehr, wie ich sie befreien wollte. Das war momentan mein größtes Problem, neben der Tatsache, dass die Gefangenen schon zu großen Teilen verkauft worden waren. Das war mir bewusst geworden, als mich Saam zur Bühne für die Sklavenversteigerung beordert hatte. Meine Aufgabe bestand nur noch darin, seit ich die Nachricht mit der Hauptattraktion überbracht hatte, auf eben jene zu warten. Sie sollte wohl das meiste Geld bringen. Was auch immer es war, es war wichtig. Ich seufzte leise und sah mich um. Hier war wirklich der Abschaum aus Magi versammelt. Abschaum, der mich krank machte. Wofür kauften sich die Piraten eigentlich ihre Schätze ab? Was brachte ihnen das? So ganz wollte mir das einfach nicht einleuchten. „Zieht fester!“ Ich hörte die Stimmen von einigen Mitgliedern der Crew. Sie klangen äußerst angestrengt, weswegen ich die Neugier nicht zügeln konnte. Was konnte sie so verausgaben? Was für ein Ungetüm an Scha- Mir stockte der Atem, als ich sah, was, oder eher wen, die Männer in Richtung der Bühne zerrten. Diese blonde Mähne hätte ich überall erkannt, auch wenn sich nach drei Monaten bereits rote Ansätze zeigten. Seine Strähnen hingen ihm wild ins Gesicht und doch konnte ich diesen ungebändigten Blick sehen. Er rebellierte, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Deswegen hatten die Männer also zu kämpfen. „Varius...“, entkam es mir ungläubig. Ich hatte schon einmal geglaubt, ihn zu sehen, doch jetzt waren die Lichtverhältnisse besser. Jetzt war ich wach, jetzt sah ich ihn wirklich deutlich. Das war ohne jeden Zweifel Varius. Ich schluckte schwer und als hätte das Schicksal mir einen Wink gegeben, erklang eine laute Explosion vom Hafen. Es hieß nun alles oder nichts. Ohne Varius würde ich nicht fliehen. Kapitel 22: Befreiung --------------------- Ich muss gestehen, dass ich wirklich sehr überrascht war, denn die Explosion war doch größer, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich war mir sicher gewesen, dass die Menge an Öl, die ich für meinen kleinen Brandsatz verwendet hatte, nicht groß genug für diese Explosion sein konnte. Oder für das, was ich durch den Nebel sah. Rotes Leuchten. Es leuchtet so hell, als hätte sich das Feuer bereits so schnell ausgebreitet. Entweder hatten sie das Öl mit Unmengen an Wasser zu löschen versucht oder... nein. Irgendetwas stimmte nicht. Warum brannte dieses Holzschiff so gut? Es war nicht einmal ein halber Liter Öl gewesen. Wie konnte es da also so eine Explosion... Ich ohrfeigte mich innerlich, weil ich es vergessen hatte. Selbst eine kleine Menge konnte verheerend sein. Das hatte ich vollkommen vergessen, weil mir persönlich noch nie ein Fettbrand passiert war. Glücklicherweise, wenn ich so nun sah, was mit nur hundert Milliliter passieren konnte. Es waren nur wenige Sekunden, in denen alle gen Himmel zu starren schienen. Paralysiert, kurz darüber nachdenkend, was hier geschah. Es dauerte etwas, bis bei allen die Erkenntnis sackte, was dort passiert sein könnte und vor allem, das nicht klar war, was genau in Flammen stand. Zumindest hier auf dem Handelsplatz für Sklaven wusste es niemand. Die Menschen die am Hafen waren, hatten da sicher so eine kleine Ahnung. Zumindest sahen sie das Schiff, welches nun in Flammen stand. Und plötzlich kam die Menge in Bewegung. „Zum Hafen!“ „Seht nach, ob es unser Schiff ist!“ „Bring alles Brennbare ins Landesinnere!“ Ein Stimmgewirr machte sich breit. Überall ertönten Befehle, die sich unter die Schreie panische Massen mischten. Vergessen war die Auktion, die einen Varius anbieten sollte. Besser hätte es nicht laufen können und doch hoffte ich, dass das Feuer nicht ganz so schlimm war. Wie sonst wollte ich von dieser Insel runterkommen? Solange es nur Saams Schiff war, das brannte, konnte es mir doch egal sein. Was mir nicht egal sein konnte, war diese Gelegenheit, die sich mir gerade bot. „Verdammte-“ Ruriels Stimme kam irgendwie durch das Stimmgewirr durch. Schwer zu verstehen, aber dass er wie ein obszöner Seemann fluchte, hörte ich noch heraus. Und mit Sicherheit galten diese Flüche auch dem Feuer. Eines machte es mir aber deutlich, er war in meiner Nähe. Die Frage war nur, wie lange, denn mit Sicherheit musste auch er bald zum Hafen und sehen, was da vor sich ging. Ich musste nur- TOCK. Ich schüttelte mich, als etwas Feuchtes meine Schulter traf. Wobei es nicht nur hart war, sondern auch einen gewissen Widerstand bot, aufgrund der Tatsache, dass es wohl mal etwas fester gewesen war. Als wäre der Nebel nicht genug. Genervt wandte ich mich um, suchte im näheren Umfeld nach der Person, die das getan hatte. Die Zeit dafür hatte ich nicht, denn schon einen Augenaufschlag später landete eine gelbe Nashibirne einige Meter von mir entfernt im schlammigen Boden. Der Matsch spritzte in die Höhe. Verwundert blinzelte ich. Keine gerade Flugbahn. Zumindest hatte ich diese Frucht nicht aus einer Seitengasse kommen sehen, wie auch, überall liefen Menschen entweder dem Hafen entgegen oder rannten weiter ins Innere des Landes. Eine weitere Nashi folgte. Ich konnte die Flugbahn einigermaßen sehen. Wie von selbst hob sich mein Blick gen der Dächer. Wieder der Klang einer aufkommenden Frucht im Matsch. Nicht die Dächer. Von da kamen sie nicht. Mein Blick ging etwas weiter in die Höhe und hielt bei einem Etwas inne. Es flog, eindeutig, und flatterte ein wenig, so als würde es auf diese Weise rudern um oben zu bleiben. Auf ihm sah ich trotz all des Nebels zwei Silhouetten. Eine war definitiv menschlich und die Andere sah aus wie ein großer, gut gefüllter Sack. Was ich aber deutlich erkennen konnte, war das schwarze Rukh, welches um diese Gestalt herumflatterte, genauso wie mein Herz vor Aufregung flatterte. Wenn Er es war, hatte ich ein ernstes Problem. Mal davon abgesehen, dass er mich auf Grundschulniveau mit überreifen Obst bewarf. KLATSCH! Das war keine Nashi. Mein Blick wandte sich von dem Teppich, hoffend, dass dies kein Fehler war, denn wenn es wirklich Er war, dann musste ich auf alles gefasst sein. Ich war auf alles gefasst, aber nicht auf das, was ich im Schlamm sah. Neben dem überreifen Obst lag dort ein langer Gegenstand. Aus Holz mit einem grünen schimmernden Edelstein an der Spitze. Der Alexandrit. Meine Augen weiteten sich und wieder sah ich dahin, wo der fliegende Teppich war. „Hey, Nebelkrähe! Den Rest kannst du aber selbst, oder?“ Ich hatte mich nicht getäuscht. Diese selbstzufriedene Stimme. Als hätte er etwas besonderes getan. Er hatte Piraten bestohlen, aber gut, das wollte ich ihm nicht übelnehmen. Im Gegenteil, er hatte mir damit geholfen. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht, während ich beobachtete wie der Teppich in Richtung des Chaos flog. Wenn er, Judar, der Hohepriester aus Kou, wüsste, dass ich so ein klein wenig für dieses Chaos verantwortlich war, uh wir wären sicher beste Freunde geworden. Ich schüttelte den Kopf über diesen absurden Gedanken. Ich und Judar Freunde, sicher. Das war eine mindestens so gesunde Beziehung wie die von Jesus und Judas. Für den Moment war es mir aber egal. Judar hatte mir einen großen Gefallen getan. Und ja, den Rest würde ich alleine schaffen. Vielleicht besser sogar, als geplant. Zumindest hatte ich nun ein Mittel zur Hand, um Varius zu befreien.   Durch das Chaos war es mir recht leicht gefallen den Stab aufzuheben und bei mir zu tragen. Ich hörte Ruriel auch nicht mehr, wahrscheinlich war er zusammen mit Saam in Richtung Hafen geeilt, um die Lage zu checken. Das machte diese Sache einfacher. Auch wenn die fünf Wächter, die für Varius zuständig waren, meines Wissens nach zu den stärksten der Mannschaft gehörten. Stärke, die sie nötig hatten, denn Varius schien die Explosion ebenfalls als seine Chance zu sehen. Er zerrte an den Ketten, bewegte seinen Körper und schleuderte damit einen der Fünf wie eine halb gefüllte Puppe zu Boden. Mehr Freiheiten bekam er aber nicht, denn die anderen vier stürzten sich auf ihn und rangen ihn zu Boden. Das war alles andere als fair. Noch dazu waren die fünf bewaffnet. Anders als Varius, oder ich. Mein Blick glitt kurz zu meinem Zauberstab. Ich war auch bewaffnet. Besser als mit der Schreibfeder, die ich kurz als temporären Zauberstab in Betracht gezogen hatte. Noch dazu, ich hatte drei Monate nicht gezaubert. Mehr als genug Magoi war also vorhanden, um ein paar bösen Piraten böse wehzutun. 'Tschaka~', flüsterte mir eine Stimme hämisch zu. Nein. Ich durfte sie nicht töten, egal wie tief mein Hass und meine Wut auf Saams Bande lag. Ich musste sie einfach nur ausschalten, lange genug beschäftigen, damit ich Varius vom Boden aufsammeln und mit ihm die Flucht antreten konnte. Leichter gesagt als getan, das war mir klar. Und meine Überraschungsbomben zündete ich besser noch nicht. Schon gar nicht, da sie voll mit dem brennenden Wasserersatz waren. Mehr noch als das, was ich an Bord des Schiffes angezündet hatte. Ich wollte gar nicht wissen, wie groß die Explosion dieser Flaschen sein würde. Fakt war, es war zu gefährlich für Varius. Und zu tödlich für die Piraten, auch wenn sie es verdient hatten. 'Keine Zeit~' Die Stimme in meinem Kopf hatte Recht. Auch wenn sie immer noch hämisch klang. Fast schon schadenfroh. Ich hatte nicht die Zeit darüber nachzudenken, was ich nun tun konnte, oder was nicht. Entschlossen, holte ich mit dem Stab aus und sprach den Spruch, der mir zum ersten Mal über die Lippen gekommen war, als ich diesem Pack begegnet war. „FLASH!“ Der Lichtstrahl verfehlte nicht sein Ziel und schleuderte einen der Piraten von Varius. Abgesehen von diesen Fünf und Varius, wurde ich aber von allen anderen ignoriert. Immerhin, ich hatte etwas Aufmerksamkeit, auch wenn es bereits in meinem Kopf ratterte, wie ich als nächstes vorgehen sollte. „Fünf gegen einen ist etwas unfair, meint ihr nicht? Was dagegen, wenn ich mich einmische?“ Hatte ich das gesagt? Ich war selbst über mich verwundert, denn in der Regel hatte ich nicht so eine große Klappe. Wenn dann nur, wenn ich einen guten Grund dazu hatte. Aber hatte ich den? „Die Hexe.“ „Verdammt, ich habe einen Namen! Außerdem ich bin keine Hexe!“ Wie es mich ankotzte, dass sie mich Hexe nannten. Das entsprach mal nur so halb der Wahrheit. In Harry Potter hätte es gestimmt, aber in Magi wollte ich dieses Wort auf mich bezogen nicht hören. Ich war keine Hexe. „Richtig, du bist die untreue Dienerin von Saam.“ Untreue Dienerin? Ich wusste nicht einmal, wann ich Saam die Treue geschworen hatte. Nachdem ich abgelehnt hatte, eine Piratin zu werden, hatte Saam einfach entschieden, dass ich seine Dienerin, viel eher Sklavin, wurde. Die Treue hatte ich ihm damit nicht geschworen. „Wieder falsch. Ich bin, Erenya und ich bin eine Magierin!“ Es war das erste Mal, dass ich dazu stand. Das ich zugab und akzeptierte, dass ich eine Magierin war. Nachdem ich aber in Bitroun das erste Mal tatsächlich gezaubert hatte, konnte ich es einfach nicht mehr abstreiten. In dieser Welt war ich eine Magierin und das würden diese Piraten noch zu spüren bekommen. „Flash!“ Als wollte ich mir selbst in Erinnerung rufen, dass meine Worte der Wahrheit entsprachen, ließ ich einen weiteren Lichtstrahl auf die Piraten los. Dieses Mal wichen sie jedoch rechtzeitig genug aus, mussten aber von Varius ablassen, der diesen Augenblick nutzte und einen der Piraten seinerseits mit den Füßen ins Wanken brachte, indem er ihm die Beine wegzog. Selbst nach drei Monaten waren wir eben noch ein tolles Team, wenn ich das mal so sagen durfte. „Varius, alles in Or-“ Ich hatte gerade einen Schritt auf Varius zugemacht, als einer der Wächter seinen Säbel zog und diesen an Varius Hals hielt. Fakt war immerhin, dass er immer noch am Boden lag und durch seine eingeschränkte Bewegungsfreiheit nicht so schnell auf die Beine kam. „Einen Schritt weiter, Hexe, und er ist tot. Lass den Zauberstab fallen.“ Ich hasste Situationen wie diese, denn sie lösten ein Déjà-vu in mir aus. Ich erinnerte mich an den Kampf in Bitroun, daran, wie Ikram Cassius bedroht hatte. Hätte ich damals nicht aufgegeben... was wäre dann passiert? Cassius wäre vielleicht noch am Leben. 'Oder tot. Jetzt jammer nicht. Du hast gerade die Chance, diese Vergangenheit nicht noch einmal zu wiederholen.' Ich holte tief Luft. Ich hatte wirklich die Möglichkeit. Anders als beim letzten Mal hätte ich ohne Probleme den Säbel mit einem Lichtstrahl weg schleudern können. Wobei, die Klinge hätte dann dennoch Varius Hals zersäbelt. Keine gute Option. „Holt sie euch!“ Es war sein Befehl, der mich aus meinen Gedanken riss. Das war jetzt nicht der Zeitpunkt, um strategisch werden zu wollen. Strategie war sowieso nie wirklich meine Stärke gewesen. In Games haute ich auch immer einfach nur auf die Gegner drauf. Aber da waren auch keine echte Menschen in Gefahr. So wie Varius. „Kleines, kümmere dich nicht um mich. LAUF!“ Varius Worte drangen klar und deutlich zu mir vor. Ebenso der besorgte Unterton. So ein Idiot, er sollte sich besser Sorgen um sich selbst machen, als um mich. Seine Lage war gerade ein wenig bedrohlicher. Ein Grund mehr, ihn nicht hier alleine zu lassen. Und dennoch wandte ich mich um, als wollte ich weglaufen. Ich lief auch, hörte aber die Schritte der anderen drei Piraten hinter mir. Sie waren schnell. Schneller als ich. Aber ich erwartete auch gar nicht, dass ich entkommen konnte. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie mich gleich hinterrücks tackelten. Ohne eine Chance zu haben mein Gleichgewicht halten zu können, ging ich zu Boden und landete im Schlamm. Meine Landung war alles andere als schmerzfrei, besonders als ich das Gewicht zwei meiner Verfolger spürte, die mich am Boden halten wollten. „Uff... ich hab definitiv zu gut für euch gekocht“, presste ich leise hervor, umklammerte aber den Stab, an dem einer der Beiden zerrte. Nur über meine Leiche würden sie den noch einmal bekommen. „Was machen wir jetzt mit ihr?“ „Ist doch egal, so lange sie ihren Stab nicht nutzen kann, ist sie keine Gefahr. Brich ihr die Beine, dann kann sie auch nicht weglaufen.“ Beine brechen? Aus was für Horrorfilmen waren diese Deppen ausgebrochen? Das konnte ich nicht zulassen, ich brauchte meine Beine noch. Ich wandte meinen Kopf um, versuchte eine Möglichkeit zu finden, wie ich hier raus kam, bis plötzlich einer der Körper von mir weg geschleudert wurde. „Er ist entkommen, haltet ihn!“ Ich wandte meinen Blick etwas um, indem ich meinen Oberkörper, der nun nicht mehr gegen Boden gepinnt war, wand. Varius stand nahe bei mir. Immer noch gefesselt und doch recht aktiv, weil es dieses Mal keine fünf Mann waren, die ihn hielten. Wenn er sich nicht um mich gekümmert hätte, dann hätte er fliehen können. Das war der Plan gewesen, ich hätte mich schon... irgendwie befreit. „Ihr wisst wohl nicht wie man eine Lady richtig behandelt, oder?“ Abgelenkt durch Varius, grub ich meine freie Hand, welche nicht den Stab hielt, unter meinen Körper hervor. Ich schnappte mir dabei etwas Schlamm, erhob meinen Oberkörper und drückte die Ladung des Schlammes direkt in sein Blickfeld. Der Schlamm zeigte seine Wirkung, denn geblendet, weil sicher auch etwas davon mitten in die Augen kam, ließ er von mir ab und ich konnte mich aus dem Dreck erheben. Sofort nahm ich meinen Zauberstab und schleuderte einen Lichtstrahl auf einen der Piraten, die nun versuchten Varius in die Knie zu zwingen. Den Anderen erledigte Varius selbst indem er ihn tackelte. „Kleines, nun lauf!“ Nachdem ich einen weiteren Lichtstrahl auf den letzten Piraten geschossen hatte, entschied ich, dass es auch besser war, das zu tun. Immerhin waren Varius Füße nicht gefesselt. Das einzige Problem, das nun bestand war, wie wir den Rest der Ketten los wurden. Darüber konnten wir allerdings auch später nachdenken, denn im Moment hatten wir weiß Gott andere Probleme. „Komm mit Varius, wir müssen hier weg.“ Ich griff nach Varius gefesselten Armen, die mit einem Metallriemen am Hals verbunden waren. Dadurch war seine Bewegungsfreiheit natürlich eingeschränkt, dennoch hatte er noch genug Spielraum für Bewegungen. Damit war er auch frei genug, für den Moment, um mit mir weglaufen zu können. „Ihnen nach! Saam bringt uns um, wenn der Fanalis entkommt!“ Varius und ich dachten gar nicht daran, jetzt einfach so stehen zu bleiben, kaum dass wir uns in Bewegung gesetzt hatten. Im Gegensatz zu mir, war Varius aber wesentlich schneller, ebenso die Piraten, die ich immer wieder abschüttelte, indem ich ein paar Lichtstrahlen auf sie feuerte. „Kleines, du scheinst endlich etwas zaubern gelernt zu haben.“ „Leider nicht genug. Zwei Zauber reichen nicht, um diese Trottel lange zu beschäftigen.“ Erneut warf ich einen Lichtstrahl hinter mich auf die Piraten, während Varius sich meinem Tempo anpasste. Er schien zu ahnen, dass ich bereits eine Fluchtroute hatte, wir diese aber nicht nehmen konnten, wenn er voran lief. „Besser als gar nichts. Wichtig ist, dass du das was du kannst auch beherrschst.“ Ich verzog etwas das Gesicht, denn ich hatte noch nicht das Gefühl, dass ich das, was ich konnte, wirklich beherrschte. Drei Monate hatte ich nicht die Zeit gehabt zu üben, sonst wäre der Lichtstrahl wahrscheinlich stärker, vielleicht sogar tödlich gewesen. „Hier lang.“ Um das Thema zu vermeiden, lenkte ich eine neue Richtung ein. Dank meiner Botengänge und dem „verlaufen“ kannte ich nun viele Winkel dieses Piratenmarktes. Vielleicht, so hoffte ich es, konnte ich auf diese Weise diese fünf Piraten abhängen. Oder zumindest ein Versteck finden, das mir und Varius lange genug dienlich war, um seine Fesseln zu lösen, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte wie ich das bewerkstelligen sollte. 'Du hast andere Probleme', erinnerte mich eine meiner Stimmen und sie hatte Recht. Ich hatte wirklich andere Probleme. In einer Gasse mit einem einzigen Holzfass, war Endstation. „Sackgasse...“, merkte Varius an und ich applaudierte geistig für diese geniale Feststellung, die ich ich selbst nicht hatte treffen können. Nicht gut, ich hatte wohl eine Abzweigung zu früh genommen und uns damit selbst wie die Beute in die Ecke gedrängt. „Weit kommen sie nun nicht mehr.“ Das hämische Gelächter unserer Verfolger ertönte hinter uns. Scheinbar wussten sie genau wohin unser Fluchtweg geführt hatte. „Schnell, Erenya, das Fass.“ Varius schaltete schneller als ich und öffnete das Fass neben uns, wobei das Innere gut gefüllt mit Nashibirnen war. Nun wunderte mich gar nicht mehr, woher der Hohepriester seine Munition herbekommen hatte. Dabei hatte ich immer vermutet, dass er eher auf Pfirsiche stand. „Verstecken kann ich mich da sicher nicht“, murmelte ich leise, denn anders als Yunan fand ich solche engen Räumen nicht sehr bequem. „Es reicht wenn wir sie ablenken. Wirf so gut du kannst.“ Entsetzt sah ich Varius an, denn in Sachen zielen war ich genauso gut wie ein blindes Huhn. Ich traf vielleicht mal aus Glück heraus ein Korn. „Keine Sorge, wir schaffen es hier gemeinsam raus.“ Wahrscheinlich blieb mir nichts anderes übrig, als Varius zu vertrauen, weswegen ich mich direkt neben das Fass platzierte und sofort die ersten zwei Nashis herausholte. Im Gegensatz zu denen, mit denen ich beworfen worden war, waren diese nicht überreif. Sie waren fest und taten sicher weh, wenn man getroffen wurde. Die Frage war nur: Würde ich treffen? „Hahaha, schaut euch das mal an, die Hexe will uns mit Fallobst bewerfen.“ „Sie könnte ja nicht einmal den Fanalis treffen wenn er dreimal so groß wä-“ PATSCH! Ich war erstaunt, wie gut ich getroffen hatte. Auch wenn es nicht gerade der Pirat gewesen war, den ich hatte treffen wollen. Aber das konnte man ja gediegen überspielen. „Kumpel, du hast dich von einem Mädchen tref-“ PATSCH! Die nächste Nashibirne. Wahrscheinlich hatte mich die Zielsicherheit des Hohepriesters angesteckt, auch wenn ich schon wieder nicht mein eigentliches Opfer getroffen hatte. Musste ja keiner wissen. Sofort griff ich die nächsten zwei Nashi und warf sie auf die Piraten. Es war nicht schwer, was vielleicht auch daran lag, dass diese Gasse eng, sie zu fünft und wahre Schränke waren. Da konnte man doch nicht wirklich einen von ihnen verfehlen. Außer denjenigen, den man wirklich treffen wollte. „Argh, ich hab etwas ins Auge bekommen.“ Ich warf weiter und kümmerte mich gar nicht darum, wer was ins Auge bekommen hatte oder nicht. Treffer um Treffer landete ich, die Kleidung der Piraten war nun noch feuchter als sie es von der Meeresluft und dem Nebel waren. Es passierte, als ich gerade mit der nächsten Nashi die Piraten ins Visier nahm. Ein Wind zog an mir vorbei, ich hörte das Ächzen der Piraten, sah auch Varius, der scheinbar durch die Gruppe unserer Verfolger brach. „Komm, Kleines!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, immerhin lagen unsere Verfolger gerade am Boden und würden etwas brauchen um sich aufzurappeln. Auf Varius Worte hörend, lief ich zu ihm und bog gemeinsam wieder auf den Weg ab, auf dem wir gekommen waren.   Solange wir genügend Abstand zu unseren Verfolgern hatten, war es gut, leider waren auch diese Verfolger sehr lästig. Um etwas zu Ruhe zu kommen, waren Varius und ich daher in ein kleines Lager nahe dem Gasthaus „untergetaucht“. Warum die Piraten ausgerechnet dort nicht nach uns suchten, war mir unklar. Die Logik hätte mir als Verfolger geboten, mich dort zu verstecken. Vielleicht war es aber auch zu offensichtlich, oder sie dachten, dass das Lager unzugänglich war. Wer wusste das schon? Varius und ich nutzten die ersten Momente, um etwas zu Ruhe zu kommen. Dank Varius Gehör konnten wir uns darauf verlassen, dass wir sicher waren, denn ihm entging nicht, wenn unsere Verfolger nahe waren. „Sie sind auf dem Weg zum Hafen...“, erklärte er nach einiger Zeit, in der ich überlegt hatte, ob ich die Luft anhalten sollte. Zum Hafen, damit waren sie weit genug von uns entfernt. Erleichtert ließ ich mich gen Boden sinken und versuchte mich etwas zu beruhigen. Etwas, dass schwer war, denn mein Adrenalin ließ nicht auf Knopfdruck nach. Noch dazu machte ich mir Sorgen, wie wir zum Hafen kommen sollten. „Also schön, schauen wir mal wie wir deine Ketten losbekommen. Zu viel Schmuck ist schädlich für dein Image als Gladiator.“ Auch wenn ich mich nicht sofort erhob, ließ ich meinen Blick durch den Lagerraum schweifen. Es musste irgendetwas geben, dass mir half diese Ketten loszuwerden. Ein passender Schlüssel wäre ideal gewesen, allerdings würde ich so einen hier nicht erwarten können. 'Mist! Wir hätten den Wachen die Schlüssel abnehmen sollen, als sie am Boden lagen', fluchte die Stimme in meinem Kopf und ich musste ihr Recht geben. Allerdings war die Situation keine gewesen, in der mein logisches Denken wirklich aktiv war. „Kleines... Wie sieht es aus, weißt du was mit den Anderen der Gruppe passiert ist?“ Ich erstarrte förmlich, als Varius mir die Frage stellte, die von Anfang an unausweichlich war. Ich hätte sie sicher auch gestellt, sobald seine Ketten ihn nicht mehr fesselten. „Hinata hat es geschafft. Allerdings habe ich sie nach der Ankunft des Schiffs aus Kou nicht mehr gesehen. Und zum Rest...“ Ich hielt kurz inne und wusste nicht, wie ich Varius erklären sollte, was es zu erzählen gab. „Als die Piraten in Bitroun einfielen, war ich bei Cassius. Wir sind zusammen vom Hafen geflohen, wurden aber am Marktplatz von Ikram und ihren Männern entdeckt. Es kam zu einem Kampf, bei dem uns eine Magierin zur Seite stand. Allerdings war sie die einzige, der ich die Flucht ermöglichen konnten. Cassius und ich wurden gefangen genommen, nachdem Ikram drohte, ihn umzubringen, wenn wir nicht aufgeben.“ „Cassius wurde gefangen genommen? Ich hab ihn nicht in meiner Zelle gesehen. Gibt es noch andere?“ Ich zuckte mit den Schultern, denn ich wusste nicht, ob es mehr dieser Zellen gab. Wahrscheinlich aber nicht. So groß war das Schiff auch nicht. Dennoch, ich kannte die Wahrheit und wusste, dass Cassius nicht mehr zu den Gefangenen gehörte. „Cassius wurde gefangen genommen, als wir an Bord kamen, riss er sich los, stürzte sich auf Saam und wurde von ihm über die Reling geschickt. Auch wenn ich es nicht sah, ich hörte es und die Piraten haben mir das immer wieder bestätigt.“ Während ich sprach, spielten sich in meinem Kopf wieder die Bilder des Abends von vor drei Monaten ab. Die Geräusche, die Gerüche, alles wurde scheinbar wieder real, so als hätte es sich zu diesen Zeitpunkt in mein Gedächtnis gebrannt. „Cassius ist also tot?“ Verwundert sah ich zu Varius. Bisher war ich nie davon ausgegangen, dass er tot sein musste, nur weil er über die Reling gegangen war. Ich war mir immerhin sicher gewesen, dass Cassius schwimmen konnte. „Cassius, kann nicht sehr gut schwimmen. War er gefesselt?“ Ich schüttelte den Kopf. Cassius hatte bei Saam sicher einiges an Schlägen gelandet, noch dazu hatte seine Silhouette nicht gefesselt gewirkt. Ich konnte also davon ausgehen, dass er seine Fesseln, die, wie bei mir, nur aus Seilen bestanden hatten, durchgerissen hatte. „Außerdem... Die Piraten haben nie ein Wort darüber verloren was es war, aber ich hörte noch ein zweites Platschen. Als wäre jemand über Bord gesprungen und Cassius gefolgt.“ Ich schloss die Augen und spielte die Geräuschkulisse noch einmal ab. Das zweite Platschen kam kurz nach Cassius'. Die Platscher waren zu dicht, so als wäre jemand Cassius gefolgt. Entweder hatte jemand seine Freiheit in diesem Fluchtversuch gesehen, oder jemand hatte nach Cassius sehen und ihn retten wollen. „Vielleicht ein anderer Pirat?“ Ich schüttelte den Kopf. So wie ich diese Bande einschätzte, hätte sich keiner die Mühe gemacht, denjenigen aus dem Wasser zu ziehen, der Saam angegriffen hatte. „Egal wer es war. Cassius geht es sicher gut. Und er ist frei.“ „Bist du dir sicher?“ Sicher war ich mir nicht, allerdings wollte ich diese Hoffnung auch nicht fahren lassen. Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, wie es Varius gehen würde, wenn er Cassius verlor. Einen Freund. „Hey, ich bin eine Magierin. Vertrau mir einfach, Cassius lebt.“ Ich bemühte mich zu lächeln, als ich zu Varius sah. Cassius lebte, er musste leben. Jemand wie ihn brachte so schnell nichts um. Ich konnte oder eher wollte es mir zumindest nicht vorstellen. „Wie sieht es bei dir aus? Du warst mit den Anderen trinken. Weißt du was ihnen widerfahren ist?“ Es war das erste Mal, dass ich wirklich die Frage stellte, was mit den Anderen war. Abgesehen von dem Gespräch mit Hinata, hatte ich ja nicht viel erfahren. Zumindest nicht von den Anderen. Lediglich dass sie ihren Herren beschützt hatte. „Ich weiß es nicht. Abgesehen von Tiberius...“ Abgesehen von Tiberius. Ich wusste nicht, ob ich genauer fragen sollte, denn ich ahnte bereits, was für eine Antwort er mir geben würde. Die Frage war, wollte ich sie so genau wissen? War es nicht besser, mit einer Lüge zu leben, zu glauben, dass alles okay war? Nein. „Was ist passiert?“, fragte ich und holte tief Luft. Ich war bereit für die Wahrheit. Egal was es sein sollte. „Wir haben die Kneipe verlassen, als wir bemerkten, dass etwas nicht die stimmte. War nicht schwer bei dem Krach. Die Hauptstraße war voll und ich verlor Iunia und die Anderen aus den Augen. Tiberius und ich waren alleine, als die Piraten ihren Angriff an die Masse richteten und uns auseinandertrieben. Wahrscheinlich, um die Frauen und Kinder besser zu fangen. Tiberius und ich versuchten, einige Frauen vor den Piraten zu beschützen. Wir waren aber chancenlos. Gegen diese Blitze schleudernde Waffen hatten wir keine Chance. Sie überwältigten mich, Tiberius versuchte noch, sie daran zu hindern, doch sie töteten ihn kaltblütig.“ Ich erinnerte mich an den Strand, den wir vor Bitroun gesehen hatten, und es grenzte an ein Wunder, das Varius das alles überlebt hatte. Oder auch nicht. Das er noch lebte, verdankte er wohl seiner Fanalisabstammung. Dennoch, wie sehr musste Tiberius Tod an Varius genagt haben? Ganze drei Monate, in denen er alleine in dieser Zelle verbracht hatte. Gerade deswegen hoffte ich, dass Cassius überlebt hatte. Noch einen Freund sollte Varius nicht verlieren. „Hey, Kleines, schau nicht so traurig. Wir wussten alle, dass dieser Tag irgendwann einmal kommt. Es war Schicksal.“ „Nein!“ Es brach aus mir heraus. Wie oft hatte ich schon gehört, dass es Schicksal war? Sollte dies wirklich die Ausrede für alles schlechte sein? Für alles, was ihnen widerfuhr? Ich konnte und wollte das nicht akzeptieren. „Schicksal... das ist etwas, das ich höre, seit ich hier bin. Es war nicht Tiberius Schicksal zu sterben. Die Piraten haben ihn umgebracht.“ „Also Schicksal. Es war Schicksal, dass sie in Bitroun eingefallen sind.“ „Verdammt noch mal, Varius, nein! Mit Sicherheit war es nicht Schicksal. Sie haben sich bewusst dafür entschieden. Wäre es Schicksal gewesen, hätte es jede Stadt sein können. Aber irgendwas bei Bitroun hat sie angezogen und das war sicher kein Schicksal.“ Varius schwieg, aber ich erkannte deutlich, das diese Worte ihn nicht überzeugten. Kein Wunder. Wahrscheinlich war allen hier eingeimpft worden, dass es eben Schicksal war, was ihr Leben ausmachte. Traurig, denn selbst ich hatte mich entschieden, mich gegen mein Schicksal zu stellen und diesen Fluchtversuch zu wagen. Egal, was die Konsequenz sein würde. „Ich hab eine Axt hier gesehen. Sie ist vielleicht stark genug, um die Ketten zu trennen. Dein Halsband krieg ich dann zwar nicht ab, aber immerhin verschaffe ich dir mehr Bewegungsfreiheit.“ „Und dann? Wie sieht dein Plan aus?“ „Eigentlich habe ich keinen. Allerdings schlage ich vor, wir kämpfen uns zum Hafen vor. Dort soll ein Schiff aus Kou vor Anker liegen. Hinata meinte, sie wolle uns zu hundert Prozent hier rausholen. Vielleicht hat sie Freunde auf dem Schiff. Darauf verlassen würde ich mich aber nicht. Mein kleines Geschenk an Bord von Saams Schiff hat für ein wenig Chaos gesorgt.“ „Du warst das?“ „Ich hoffe zumindest, das es mein Geschenk war. Ein wenig brennendes Öl. Die Explosion ist zwar größer als geplant aber... mir egal. Solange wir hier wegkommen ist es mir recht. Aber erst einmal nehmen wir dir wirklich die Ketten ab.“ Ich erhob mich von meinem Platz und ging zu der Ecke des Lagers, in dem die Axt stand, von der ich gesprochen hatte. Sie war schwer, massiv und ich fühlte mich gerade wie Rose, die auf einem sinkenden Schiff war und mit diesem Schlüssel ihre erste große Liebe befreien konnte. Ein Glück befand ich mich nicht auf der Titanic. „Wow... weißt du wie man damit umgeht?“ Ich blickte von der Axt zu Varius, der mich zweifelnd ansah. Soviel vertraute er mir also. Gut, ich hätte mir nicht mehr vertraut. Das Ding war schwer und ich wusste nicht, wie gut ich damit zielen konnte. „Klar. Man kann damit Holz hacken, Ketten zerstören und anderen Leute böse wehtun.“ „Du hast also schon einmal eine Axt benutzt?“ „Indirekt.“ Ich musste Varius ja nicht auf die Nase binden, dass meine Axt-Erfahrung sich lediglich auf Harvest Moon bezog. Aber hey, ich schaffte es in Harvest Moon mein Holz zu hacken, da würde doch so eine kleine reale Kette kein Hindernis darstellen. „Indirekt überzeugt mich nicht.“ „Willst du diskutieren oder frei kommen? Vertrau mir. Ich werde dir schon nichts wichtiges abhacken.“ „Ich bitte dich, mir auch nichts unwichtiges abzuhacken.“ Ich verdrehte die Augen und suchte nach einer starken Unterlage. Ich hoffte, sie zumindest in Form eines Woks, ich glaube es war ein Wok, gefunden zu haben. Ich platzierte diesen auf ein Regalfach und wies Varius an, die Kette darauf zu legen. „Du weißt wirklich, was du tust?“ Ich schwieg kurz, als mich Varius das fragte. Ich wusste eigentlich gar nicht, was ich tat. Ich setzte lediglich Wissen ein, welches mich ein Film gelehrt hatte. Es war nur zu hoffen, dass James Cameron diese Variante des Fesseln-Lösens nicht erfunden hatte. „Bist du bereit?“, fragte ich und platzierte meine Hände an der Axt so, wie es Jack Rose angeraten hatte. Immerhin wirkte ich damit schon professioneller als Rose und schien doch etwas das Vertrauen von Varius zu gewinnen. „Nicht wirklich, aber ich fürchte ich habe keine andere Wahl, oder?“ Ich nickte und beobachtete, wie Varius sich platzierte. Die Gefahr seinen Hals zu treffen war groß und anders als bei den Nashibirnengeschoßen befanden wir uns hier nicht in einer engen Gasse. Hier konnte ich nicht behaupten, dass ich die Handgelenke Varius anvisiert hatte. Ich hob die Axt an, schluckte schwer und ließ sie mit geschlossenen Augen auf die Kette niedersausen. Ein Schrei blieb aus, stattdessen spürte ich wie die scharfe Seite der Axt auf etwas aufkam. Die Kette. Ich öffnete die Augen und sah, dass ich auch die Kette getroffen hatte. Nur war sie noch nicht zersprungen. Das würde dauern und die Frage war, ob ich so lange Kraft in den Armen hatte und wirklich immer wieder dieselbe Stelle traf.   Die Axt war nicht gut. Vielleicht schlug ich auch einfach nicht gut. Aber die Kette gab nicht nach. Nach einigen Schlägen verstand ich das und hielt inne mit meinem Tun. Ich spürte das Brennen meiner Muskeln und war froh, als ich die Axt endlich ablegen konnte. Stattdessen griff ich zu meinem Zauberstab, was bei Varius ein Zusammenzucken auslöste. „Was?“ „Du willst nicht wirklich diesen Lichtstrahl benutzen, um die Kette zu lösen!“ „Eis und Feuer habe ich leider nicht zur Hand. Also muss ich auf das zurückgreifen, was ich habe.“ „V-Versuchs doch bitte weiter mit der Axt.“ „Wir haben keine Zeit, Varius. Nun richte dich auf, stell dich seitlich hin und ich mach das.“ Ein leidvoller Blick war zu erkennen. Varius vertraute mir scheinbar wirklich nicht bei dem, was ich tat. Sollte er aber, ich hatte ihn immerhin nicht mit der Axt entmannt. Und mit meinem Flash-Spruch war ich wesentlich zielsicherer als mit der blöden Axt. Noch dazu konnte ich auch einigermaßen die Stärke des Lichtstrahls kontrollieren. Hoffte ich. „Also gut, Rukh... Stark genug um diese Ketten zu sprengen, mehr nicht“, flüsterte ich leise und zielte mit dem Zauberstab auf die Kette. „Flash!“ KLIRR. Es war eindeutig, dass der Strahl die Kette getroffen hatte, denn sie fiel klirrend zu Boden. Varius sah auch noch gesund aus. Etwas blass, aber sonst ganz gesund. „Siehst du. Alles in Ordnung.“ Varius schüttelte sich noch etwas und sah zu, wie die restlichen Ketten von ihm fielen. Abgesehen von dem Halsband erinnerte nichts mehr daran, dass er mal als Sklave verkauft werden sollte. Er hatte seine Freiheit wieder. „Kleines... Nie wieder“, nuschelte er und ich nickte. Ich war nicht weniger erleichtert als er. „Keine Sorge, nie wieder. Außer du lässt dich wieder fesseln“, witzelte ich. Die Antwort blieb aus, denn statt dieser, zog er mich in seine Arme und drückte mich an sich, als wäre unser Wiedersehen nun Jahre her. Es tat gut, denn nun wurde mir richtig bewusst, dass Varius wirklich lebte. „Ich bin froh, dass du es überlebt hast. Vor allem nachdem, wie wir uns das letzte Mal gesehen haben.“ Ich hatte die Ereignisse aus der Kneipe fast vergessen, doch nun kamen sie mir wieder in den Sinn. Ich war aber viel zu froh darüber, dass Varius hier war, als dass ich ihm verübeln konnte, was zwischen den Geschwistern und mir passiert war. „Schon okay. Sollten Panthea und Nel noch leben, muss ich den beiden auf jeden Fall danken. Ohne Nels Stab, wäre ich wohl nicht mehr am Leben.“ „Das, was die Beiden zu dir gesagt haben, meinten sie nicht so. Es war Tiberius und mein Vorschlag, dir auf diese Art und Weise klar zu machen, dass sie diesen Stab nicht zurücknehmen werden. Deswegen, weil dich das sicher sehr verletzt hat, tut es mir Leid.“ Nun war ich es, die ihre Arme um Varius legte. Er war abgemagert, hatte sicher nicht genug zu Essen bekommen und doch spürte ich die Muskeln an seinem warmen Körper. Eines stand fest, ich würde ihm was zu Essen besorgen, wenn wir hier weg waren. „Idiot. Ich bin euch schon lange nicht mehr böse. Ihr habt so viel Gutes für mich getan und ich war nur am herumzetern. Mir tut es Leid, dass ich nicht mehr für Cassius tun konnte.“ „Sag so etwas nicht. Du hast kapituliert, als er bedroht wurde. Ich gehe mal nicht davon aus, dass du das getan hast, um dein Leben zu retten.“ Ich war mir nicht mehr sicher, warum ich es getan hatte. Fakt war, genau das hatte mich in diese Situation gebracht. Und eigentlich wollte ich auch nicht wissen, was passiert wäre, wenn ich es nicht getan hätte. „Wir sollten weiter zum Hafen gehen, bevor sich alles beruhigt. Mach dir keine Sorge, auch ohne Dreizack kann ich dem Pack hier gehörig die Leviten lesen. Sie werden bereuen, was sie Tiberius angetan haben.“ Die Entschlossenheit war deutlich in Varius Worten zu hören. Aber er hatte Recht. Jetzt war unsere Chance. Und wir durften sie nicht ungenutzt lassen. Ich nickte daher und löste mich von Varius. „Aber vorher, schauen wir, was wir aus dem Lager hier noch mitnehmen können. Ein paar Überraschungen für eventuelle Angreifer können niemals schaden.“ Mein Blick glitt erneut durch das Lager. Es war eindeutig auf ein Lokal eingerichtet auch wenn die Axt hier einfach nicht ins Gesamtbild passte. Interessant erschien mir da schon eher eine Kiste voller Alkohol. „Uh~ Da kribbelt mir doch der Finger vor Begeisterung“, kommentierte ich meinen Fund mit Begeisterung, wobei ich mir selbst wie eine Pyromanin vorkam. Ich meine, ich führte Öl mit mir spazieren und freute mich über Alkohol der leicht entzündlich war. In meiner Welt hätte ich mich nicht so darüber gefreut. Aber gut, sobald ich bei den Piraten weg war, würde ich mir verbieten, Leute anzünden zu wollen. Sie mit einem Flash wegzustoßen und übel wehzutun reichte vorerst. „Kleines, du hast dich verändert.“ Ich ignorierte Varius Kommentar, denn er hatte Recht. Ich hatte mich in den drei Monaten verändert und mit Sicherheit lag es nicht nur an den Schafen, die ich hatte schlachten müssen. „Ein Kochmesser. Perfekt.“ Das Lager entpuppte sich als kleines Paradies. Es war Ersatzbesteck zu finden, etwas Stoff, der sich wunderbar mit dem Alkohol nutzen ließ. An Lebensmittel gab es leider nichts Reiseproviantfähiges. Ebenso wenig gab es eine Waffe für Varius, allerdings sollte das, was wir hatten, reichen. „Gabeln?“, fragte Varius mich zweifelnd, als ich ein paar einsteckte. Ein breites Grinsen lag auf meinen Lippen. „Es gibt Menschen, die wurden mit einer Kuchengabel erstochen. Man weiß nie, was die unscheinbaren Dinge bringen können.“ Immer noch nicht ganz überzeugt, sah sich Varius dennoch um. Allerdings schien ihn nichts zu Tonkrügen und Co. als Nutzungsgegenstand einzufallen. „Hast du alles, Kleine?“ Ich nickte, denn ich hatte in der Tat alles, was uns nützlich sein konnte. Zwei Flaschen Alkohol mussten reichen, wenn nicht als Sprengstoff, dann vielleicht als Desinfektionsmittel. Er war vielseitig nutzbar. Zur allerhöchsten Not konnte Varius ihn trinken. Nach drei Monaten wäre das sicher auch was Schönes gewesen. „Dann mal los. Was sagt das Gehör?“ „Sie sind nicht in unserer Nähe.“ Immerhin das klappte. Wir hatten die Wächter wohl wirklich abgeschüttelt. Mit etwas Glück konnten wir unsere Reise zum Hafen recht sicher fortsetzen.   Was auch immer passiert war, die Kämpfe auf der Pirateninsel waren entbrannt. Keine Ahnung warum. Allerdings vermutete ich, dass es was mit den Kou-Kriegern zu tun hatte, derer sich die Piraten erwehrten. Auch Varius und ich wurden in kleinere Kämpfe verwickelt, allerdings erwiesen wir uns als ein wirklich gutes Team, denn wir hielten einander den Rücken frei und konnten so sicher weiter in Richtung Hafen fliehen. Im Grunde hatten wir es auch nicht mit sonderlich kampfstarken Piraten zu tun. Zumindest waren sie nicht stark genug, um gegen einen Zauber oder einen Fanalis zu bestehen. Wir hatten also Glück. Ein Glück, dass uns schnell verließ, kaum dass wir nur noch wenige Meter vom Hafen entfernt waren. Varius und ich hatten eine weniger bekämpfte Seitengasse bevorzugt und waren gerade dabei, den letzten Teil des Marktes hinter uns zu lassen, als sich vor uns eine Gestalt aufbaute. Sie hatte dort einfach auf einem Fass sitzend gewartet, wissend, dass wir wahrscheinlich den Hafen aufsuchen würden. Das Tragische daran war, dass ich diese Gestalt nur zu gut kannte. „Wir waren scheinbar nicht vorsichtig genug mit dir. Selbst Daria, die uns immer wieder über deine Pläne auf dem Laufenden gehalten hat, schien niemals wirklich zu wissen, was in deinem Kopf vorging. Schon seltsam, ihr schient euch wirklich gut zu verstehen.“ Ernst sah ich zu Ruriel, der seinen Säbel zog. Egal wie freundlich er immer zu mir gewesen war, ich hatte immer gewusst, dass er mir das Licht ausknipsen würde, wenn ich ihm an Bord auch nur eine Möglichkeit bot. Seine Psychospielchen mochten vielleicht bei den anderen Sklavinnen geholfen haben, nicht aber bei mir. „Du hast doch den Brand gelegt und ich lasse sicher nicht zu, dass es noch einmal zu so einer Sicherheitslücke kommen wird. Saam mag gerade beschäftigt sein, aber ich nehme mir gerne Zeit, deine Bestrafung persönlich vorzunehmen, Erenya.“ Ich erkannte die Position, die Ruriel einnahm. Ich hatte sie an Bord oft genug gesehen, wenn er die jüngeren Piraten „ausbildete“ und ihnen noch ihren Feinschliff gab. Er war bereit gegen mich zu kämpfen und irgendwie, war ich bereit diesen Kampf zu führen. Denn er war alles, was zwischen meiner und Varius' Freiheit stand. „Oh, bitte. Ich hab nur ein kleines Feuerchen gemacht. Ich habe nicht versucht es mit Wasser zu löschen, auch wenn ich gestehe, dass ich damit gerechnet habe, dass man es auf diese Weise versuchen würde.“ „Kleines, ich lenk ihn ab und du-“ „Nein, Varius, das hier ist etwas, das ich tun muss.“ Es war wirklich dieses Gefühl da, dass diese Auseinandersetzung persönlich war. Keine Ahnung, woher diese Überzeugung kam und warum ich sie so entschlossen akzeptierte, aber vielleicht hatte sich in den drei Monaten an Bord eines Piratenschiffes etwas bei mir verändert. „Eine Frage an dich noch, Ruriel. Wer hat Cybele veraten?“ Ein Seufzen kam von Ruriel, als hätte er gedacht, dass ich wesentlich klüger war. Das war die Antwort, die ich brauchte und mich ehrlich gesagt noch tiefer verletzte, als ich es geglaubt hatte. „Du weißt es doch. Dieselbe Person, die dich verraten hat. Und nicht nur sie. Auch Skylla und Charybdis waren uns im Gegensatz zu dir und Hinata treu.“ Also doch mehr. Wobei Mädchen, die die Namen von Monstern aus der Odyssee trugen, konnte man nicht trauen. War ja klar gewesen. Ebenso, dass Daria die Verräterin gewesen war. Ich seufzte, denn damit war die letzte endgültige Hoffnung dahin gegangen. Kurz schloss ich die Augen und holte tief Luft. Vor anderen Piraten hätte ich dies nicht getan, aber soviel Vertrauen hatte ich doch noch in Ruriel. „Danke.“ Es war das wohl letzte Mal, dass ich mich bei Ruriel, bedanken wollte. Er hatte mir immerhin ehrlich geantwortet, aber wir waren nun keine Freunde mehr oder „Kollegen“ oder wie man unsere Beziehung miteinander hätte nennen können. Von diesen Zeitpunkt an waren wir Gegner. Er war bereit mich umzubringen und ich war bereit mich ihm zu stellen und davon abzuhalten mir im Weg zu stehen. „Flash!“ Ich zögerte nicht lange und schoss einen Lichtstrahl auf Ruriel der diesem geschickt auswich, gleichzeitig aber auf mich zulief und mit seinem Säbel ausholte. Er prallte an meinem Borg ab, holte aber sogleich wieder aus. Seine Geschwindigkeit war im Vergleich zu der von Varius und Cassius nichts, aber doch war er auf rein menschlicher Ebene flink. Ich konnte nur wenige Hiebe mit dem Stab abblocken, den Rest erledigte mein Borg. Zum Angriff kam ich selbst nicht mehr, denn die Kaskade an Schläge, die Ruriel auf mich runtersausen ließ, nahmen kein Ende. Das Ruriel kein leichter Gegner sein würde, war mir von Anfang an klar gewesen, doch dass ich wirklich keinerlei Fuß ohne Borg gefasst hätte, damit hätte ich nicht gerechnet. Fakt war, ich musste etwas tun, denn mich einfach nur auf meine Fähigkeiten des Blockens und Borg konnte ich mich nicht verlassen. So würde ich diese Auseinandersetzung nicht gewinnen können. Allerdings, war dies auch der einzige Augenblick, in dem ich beweisen konnte, wie unabhängig ich in dieser Welt sein würde. Für Varius wäre es immerhin sicher kein Problem gewesen, Ruriel aus dem Weg zu räumen. Aber ich konnte mich nicht immer auf Andere verlassen. Genauso wenig wie ich das in meiner Welt konnte. Dafür musste ich ein Risiko eingehen. Ich konnte nur hoffen, dass die Rukh oder wenigstens das Glück ein wenig auf meiner Seite waren. Ich griff in meine Tasche, bereit etwas heraus zu ziehen, genau in dem Moment, als Ruriel durch den Borg brach. Er hatte genug Schläge auf meinen Schutzschild gegeben, dass er dem irgendwann nicht mehr standhalten oder eher regenerieren konnte. Ich versuchte noch, mit meinem Stab zu blocken, doch Ruriel kam mit seiner gesamten körperlichen Kraft und Größe über mich, dass er mir meine einzige Waffe aus der Hand schlug und mich zu Boden rang. „Du hättest dich einfach deinem Schicksal ergeben sollen, so wie ich es dir angeraten hatte.“ Um mich vollkommen Bewegungsunfähig zu machen, mir also jede Chance zu nehmen, seinem letzten Angriff aufzuweichen, hatte er sich auf meine Hüfte gesetzt und seinen Säbel erhoben, mit dem er in Richtung meines Halses zielte. Es war eindeutig, dass dies meine letzten Augenblicke sein würden. „Lass von ihr ab!“, rief Varius, der bereit war einzugreifen, um mein Leben zu retten, doch ich wollte nicht, dass er es beendete, denn diese Kampf war noch nicht vorbei. „Halt, Varius! Ganz ruhig, alles wird gut.“ „Hexe, du überschätzt deine Fähigkeiten!“ „Und du unterschätzt mich!“ Ruriel ließ seinen Säbel auf mich runtersausen, ich rutschte mit dem Oberkörper so weit es ging aus der Richtung des Säbelhiebes. Dieser schnitt mir übers rechte Schlüsselbein bis zur Schulter. Mit etwas Glück war dort nichts wichtiges, das mich hätte umbringen können. Für den Moment allerdings war der stechende Schmerz, der meine Schulter durchzog, egal, denn ich hatte nur diese eine Chance. Und ich nahm sie wahr, hob die Gabel, die ich zuvor aus der Tasche genommen hatte, und rammte sie in Höhe der Nieren in seinen Rücken. Ich spürte förmlich, wie der Schmerz Ruriels Körperhaltung veränderte. Das war meine Chance. Schnell griff ich mit der rechten Hand in die offene Tasche, welche durch meinen Sturz aufgeklappt war und zog die Schreibfeder. „FLASH!“ Ich zielte schnell und sprach den Spruch in dem Moment, als Ruriel sich die Gabel herausziehen wollte. Der Lichtstrahl ergriff ihn und schleuderte ihn mit aller Kraft von mir. „Das war wohl eher Schicksal, Idiot. Glaub nie wieder, dass deine tragische Vergangenheit irgendwelche Sympathien bei mir weckt.“ Ich erhob mich vom Boden, sah zu Ruriel, der sich den Bauch hielt und wieder erhob. Nun waren wir ebenbürtig. Waffenlos, angeschlagen und kräftig wohl auf gleicher Ebene. „Willst du das wirklich weiterführen? Willst du das Leben, welches Ikram dir nach der Sklaverei geschenkt hat, so einfach wegwerfen?“ „Die Feder hält nicht noch so einen Zauber aus... Auch wenn ich dir zugute halten muss, dass du dieses Geheimnis gut bewahrt hast.“ Ruriel hob seine Hand und wischte sich etwas Blut von den Mundwinkeln. Wenn er jetzt nicht ruhte und ich vielleicht mit einer Gabel einen Lichtstrahl auf ihn sandte, würde er das nicht überleben. Das die Feder hinüber war, sah selbst ich. Aber für mehr Zauber war sie auch nie gedacht gewesen. Sie war ja nicht einmal für einen Zauber gemacht worden. Allerdings, hatte ich etwas vor meinen Füßen, was vielleicht noch besser war. Ich bückte mich, hielt dabei aber Ruriel im Blick, und hob seinen Säbel auf. „Das ich dich nicht töten kann, verdankst du meiner Erziehung und der Tatsache, dass du mir Leid tust. Dein Leben lang scheinst du dir selbst eingeredet zu haben, dass alles, was dir widerfahren ist, dein Schicksal war. Dein Leben in Parthevia, in diesem Grenzgebiet zu Reim. Deine Kriegsgefangenschaft, dass du versklavt wurdest und schließlich auch, dass Ikram deine strahlende Heldin wurde. Es ist gut, dankbar zu sein, aber schlecht, sich aus Dankbarkeit abhängig zu machen. Und du hast dich abhängig gemacht von deinem Schicksal und von Ikram. Das unterscheidet uns, denn ich werde mich niemals abhängig von der Gnade irgendwelcher Menschen machen, schon gar nicht von denen, die etwas verkörpern, was ich nicht tolerieren und akzeptieren kann. Ihr habt Menschen getötet. Ihr habt Tiberius getötet... ihr habt sie ihrer Habe bestohlen und das ist einfach unverzeihlich.“ Als verachtete Ruriel, was ich sagte, spuckte er etwas auf dem Boden, das leicht wie Blut aussah. Eine starke Geste, die er sich, so schätzte ich ihn ein, verkniffen hätte, wenn er mich respektierte. „Du kannst sehr wohl töten. Wir beide wissen, dass die Wut und der Hass dich zerfressen. Außerdem hast du schon drei MEINER Freunde getötet. Und du sagst, dass du mich nicht töten kannst? Lügen.“ Er wusste, wie man Menschen manipulierte. Er versuchte es gerade bei mir und das traurige Ergebnis war, dass er Erfolg hatte. Ich spürte die Wut und den Hass wieder in mir hochkochen. Genauso wie sie es taten, wenn ich diese Träume hatte. Ich spielte wirklich mit dem Gedanken, ihn einfach mit Har Har Infigar zu seinen Ahnen zu schicken, erhob auch schon den Säbel. Deutlich spürte ich, wie meine Vernunft sich Stück für Stück ausschaltete. Du sollst deine Hände nicht mit noch mehr Blut beflecken. Es waren Hinatas Worte, die mich daran hindert diesen verheerenden Zauber zu sprechen. Doch ich wollte Ruriel nicht zeigen, dass ich nicht nach seinem Plan spielt. „Flash!“ Kaum dass der erste Buchstaben über meine Lippen gekommen war, hob ich den Säbel etwas und zielte damit auf das Haus unter dem Ruriel stand. Die Ziegel lösten sich, zusammen mit dem Holz, kaum, dass der Lichtsstrahl sie traf und einiges, was das Dach zu einem Schutz vor Regenwetter gemacht hatte, stürzte auf den Piraten hinab. Ich warf den Säbel von mir und lief zu meinen Stab, den ich nahm. „Varius, zum Hafen!“ Viel Zeit hatten wir sicher nicht, denn das Bisschen, würde Ruriel höchstens etwas ausknocken, aber nicht töten. Aber es würde uns Zeit genug geben, uns dem Hafen zu nähern und vielleicht sogar auf das Kriegsschiff aus Kou zu schleichen.   Je näher wir dem Hafen kamen, desto mehr Kämpfe wurden ausgefochten. Der Hafen selbst schien das Herz der Kämpfe zu sein, der Ort an dem die Piraten ihre Schiffe hatte, wo das Feuer immer noch brannte. Das sahen Varius und ich durch den Nebel nur zu deutlich. Doch wahrscheinlich verdankte man es dem Nebel, dass nur dieses eine Schiff bisher brannte. Saams Schiff. Andere Schiffe waren bereits aus den Hafen herausgeführt worden. Damit war der Markttag wohl offiziell beendet. „Das Schiff von Kou?“, fragte Varius, der mit dem Kopf in die Richtung nickte, wo es vor Anker lag. Ich nickte. Das sollte also das Schiff in meine Freiheit sein. Hoffte ich, denn ich war mir nicht einmal sicher, ob wir es bis dahin schaffen würden. Eisdolche schossen durch den Himmel und scheinbar auch ein paar Blitze, allerdings war ich mir nicht sicher, ob diese von den Waffen der Piraten kamen, oder nicht doch von dem unverschämten Hohepriester. „Varius, bist du bereit zu kämpfen? Wenn wir den Leuten aus Kou helfen, könnten wir als Gefallen vielleicht eine kleine Schiffsreise einfordern.“ Ich hörte Varius Knöchel neben mir knacksen und in seinem Gesicht spielte sich etwas ab, dass ich noch nie gesehen hatte. Freude und auch etwas Dunkles. Etwas, dass seinen Freund Tiberius rächen wollte. „Kleines, ich bin so bereit wie man nur sein kann.“ Ich nickte, sah mich noch einmal um. Doch durch den Nebel war nicht einmal Saam auszumachen, dabei war er der Letzte, dem ich jetzt in die Arme laufen wollte. Ihn konnte ich zwar nicht sehen, dafür erkannte ich Hinata, nicht unweit von uns. Sie kniete vor einem Krieger des Kaiserreiches und nahm dessen Waffe, verweilte aber kurz andächtig einen Augenblick, ehe sie sich erhob und in den Kampf stürzte. Geschickt wich sie den Angriffen der Piraten aus und griff im selben Augenblick an. Ihre Bewegungen waren ohne Zweifel, ohne Zögern. Es wirkte so, als hätte sie diese Bewegung ein Leben lang einstudiert. Sie wurde auf diesem Schlachtfeld ein Teil der Kou-Soldaten, deren Bewegungen den ihren so identisch waren. Ich hatte aber nicht die Zeit, um über den Grund dafür nachzudenken, zum einen, weil der Schmerz meiner Schulter allmählich stärker spürbar wurde und zum anderen weil Varius und ich nicht die einzigen waren, die entschieden hatten, wer zu ihren Gegnern gehörte. Die Piraten hatten uns bemerkt, und richteten ihre Angriffe gegen uns. Mein Borg blockte sie ab, genug Zeit zur Regeneration hatte er ja gehabt. „Flash!“ Als wäre dieser Spruch mein Startzeichen, gingen Varius und ich auf das Schlachtfeld. Kämpfend für den Funken Hoffnung, der in unsere Freiheit führen sollte. Kapitel 23: Sicherheit ---------------------- Ich verzog das Gesicht, als ich ein Geräusch wahrnahm, das klang, als hätte jemand seine Finger gedehnt und diese knacksen lassen. Auch wenn es tiefer klang. Wie... das Einkugeln einer Schulter? Hatte ich dieses Geräusch schon einmal gehört? Keine Ahnung, aber es klang schmerzhaft und eklig und riss mich aus den Tiefen von etwas, in dem ich versunken war. Ohne Erinnerungen, wie damals, als ich die Magi-Welt betreten hatte. Ich wusste, dass irgendetwas passiert war, dass hier zu liegen irgendwie falsch war und mir ein paar Erinnerungen fehlten. Die schwachen Schmerzen in meiner Schulter verrieten mir das nur zu deutlich. Ich atmete tief ein und dachte nach. Richtig, Ruriel hatte mir nun auch die zweite Schulter ruiniert. Super, wenn das so weiterging, würde mich kein Mann mehr ansehen wollen, wobei, dass wäre wieder eine Kleinigkeit, die mich dann an meine Welt erinnerte. Yey, vertraute Einsamkeit. Nach dem Kampf, so wahr man das so nennen konnte, waren Varius und ich zum Hafen gegangen, bereit uns auch in das Getümmel zu stürzen. Mehr wusste ich nicht mehr. Da fehlten definitiv ein paar Momente meines Lebens. Ich atmete aus. Nein, da war absolut nichts, woran ich mich erinnern konnte. Ich wusste nicht einmal wo ich hier lag. Lag... lag... lag... es dauerte einige Sekunden bis ich realisierte, dass ich lag, dass ich Geräusche um mich herum wahrnahm. Wo war ich verdammt nochmal eigentlich? Meine Augen öffneten sich, als hätte jemand gerade den Startknopf von mir gedrückt. Nicht langsam, sondern blitzartig. Eine Holzdecke... ich hatte mehr ein paar Leichen erwartet, aber gut... eine Holzdecke. In meinem Kopf ratterte es. Eine Holzdecke... war ich wieder auf einem Schiff? Auf welchem? Saams bezweifelte ich einfach mal aufgrund der Flammen, die es fest im Griff hatten. Doch wo war ich dann? Mein Blick wandte sich zu meiner Linken. Ein weiterer Verletzter. Der arme Teufel sah genauso schlimm aus, wie ich mich nach dem Kampf gegen Ruriel gefühlt hatte. Der Blick zu meiner Rechten offenbarte nichts anderes, wieder ein Verletzter. Wo verdammt war ich hier? Ganz ruhig. Ich spürte eine gewisse Panik aufkommen. Ich lebte noch, das war immerhin ein gutes Zeichen. Alles war okay, oder? Erneut versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. Varius und ich waren am Hafen angekommen. Eisspeere hatte ich am Himmel gesehen, der Wind hatte einige von ihnen förmlich abgeschmettert. Ein Blitz war zur Erde niedergegangen und Varius. „Varius!“ Meine Gedanken waren hellwach, als ich mich erinnerte, wie Varius gegen einen Piraten kämpfte und ein Eisspeer auf ihn zuschoss. Wie von selbst schoss mein Körper in die Höhe, was mit einem ziehenden Schmerz meiner Schulter quittiert wurde. Verdammt! Ich tastete mit der linken Hand zu meiner Schulter. Das Erste, was mir auffiel, war der Stoff. Fühlte sich vollgebluteter Stoff so weich an? Nein, sicher nicht. Die Erinnerung daran, wie sich mein Oberteil nach Kouhas Angriff angefühlt hatte, war noch recht lebendig, auch wenn bereits etwas mehr als drei Monate dazwischen lagen. Was verdammt nochmal war passiert? Was hatte ich gemacht? Oder besser: Was hatte ich nicht gemacht? Ein dumpfes Gefühl sagte mir, dass ich da die ein oder andere Sache besser gelassen hätte, auch wenn ich nicht mehr genau wusste welche. Erneut schloss ich kurz die Augen und atmete tief ein und aus. Ganz ruhig. Ganz ruhig. Ich fühlte mich seltsamerweise nicht bedroht, auch wenn der Geruch von Blut in der Luft hing. Vielleicht war es auch mein eig- nein. Meine Sachen waren gar nicht blutig. Meine Sachen? 'Du weißt schon, dass dich jemand nackt gesehen hat, oder?' „Huh?“ Meine Gewissheit wusste scheinbar schon mehr als ich. Ich öffnete die Augen wieder und sah an mir hinab. Das waren nicht die Sachen, die ich am Markt getragen hatte. Wie kam ich in diese neue Kleidung? Es war ein weißes Oberteil, weit von dem grauen, rauen Fetzen entfernt, den die Piraten mir überlassen hatten. Der Stoff überschlug sich in einer Art die mich stark an den asiatischen Kleidungsstil von langen Gewändern, wie einem zugebundenen Haori oder etwa Yukata erinnerte. Wobei, nein, die Diagnose war wohl für beides fehlerhaft. Egal was es war, die eine Seite überlappte die andere und war durch einen Stoffgürtel verschnürt so dass sich nichts löste. Noch dazu, als sollte es zur absoluten Sicherheit dienen, war es unter der rechten Achsel zusammengeschnürt. Und nebst diesem Stoffgürtel war selbst das Oberteil viel zu groß, vielleicht war es eher für einen großen Mann, statt für eine Frau wie mich, gedacht? Der Gedanke kam mir auch bei der Hose. Immerhin hatte ich eine Hose. Unterwäsche hatte man mir scheinbar keine gegönnt. Wobei Unterwäsche hier Mangelware war. Yamraiha trug ja auch nur einen BH aus selbstklebenden Muscheln. Fakt war aber... Jemand hatte mich ausgezogen und nackt gesehen. Mich... nackt... gesehen. Sofort schoss mir die Schamesröte ins Gesicht. Mich hatte jemand nackt gesehen. MICH! Das war peinlich. Mehr als nur ein bisschen. Oh Gott, ich wollte gerade vor Scham sterben. Dabei hatte ich bisher so gut darauf geachtet, dass man nicht zu viel von mir sah und nun hatte mich doch tatsächlich... Nein, ich durfte diesen Gedanken nicht weiter festhalten. Argh... mich hatte wirklich jemand nackt gesehen. 'Oh bitte, Dornröschen, dass sollte gerade dein kleinstes Problem sein.' Sollte es? Nein, eigentlich war es gerade DAS Problem. Wobei... ich tastete an meiner rechten Schulter entlang. Sie war nicht so eben wie gewohnt. Vorsichtig schob ich den Stoff etwas beiseite und erkannte einen Verband. Scheinbar hatte sich jemand nicht nur Sorgen um meinen Kleidungsstil gemacht, sondern auch um meine körperliche Verfassung. Der Verband war frisch, nicht durchgeblutet. Wahrscheinlich schmerzte deswegen die Schulter kaum. Belasten sollte ich sie dennoch nicht so schnell. Nur zu gut erinnerte ich mich immerhin daran, wie sie geschmerzt hatte, nachdem ich etwas runtergekommen war. Höllisch. Nein, so schmerzpervers war ich nicht, dass ich mir das noch einmal antun wollte. 'Zweite Schulter im Eimer. Langsam wird es kritisch. Eine Dritte hast du nicht.' 'Sähe ja auch albern aus. Drei Schultern.' Na immerhin die Stimmen in meinem Kopf amüsierten sich köstlich. Grandios. Wobei, wie lange war es her, dass sie sich so angeregt unterhalten hatten? 'Wir haben endlich mal gut geschlafen.' Gut geschlafen? Richtig, so erholt wie gerade, hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Es fühlte sich an, als hätte ich eine ganze Woche lang durch geschlafen. Wobei das eher unmöglich war. Aller Wahrscheinlichkeit waren es höchstens ein paar Stunden. 'Kann man Bewusstlosigkeit als Schlaf bezeichnen?' Eine interessante Frage. Wobei, war ich bewusstlos gewesen? Ich rieb mir die Schläfe und seufzte leise, aber tief. Erneut kam mir die Frage in den Sinn, wo ich nun eigentlich war. Hätten Piraten sich so um mich gekümmert? Ich bezweifelte es irgendwie. Mein Blick glitt durch den Raum. Er wirkte eher wie ein Lazarett, statt eines Kerkers. Mit Sicherheit hätten die Piraten nur ihre eigenen Männer verarztet. Meine linke Hand rutschte etwas von der Matte auf der ich nun aufrecht saß. Sicher hätten sie mir auch keine Matte gegeben. Also, wo war ich? Klack. Etwas stieß gegen meine Fingerspitzen. Ich sah zu meiner linken Hand und erkannte, was ich berührt hatte. Und wieder schlug die Gewissheit ein, dass dies sicher nicht ein Gefangenenlager der Piraten sein konnte. Sie wären nicht so größenwahnsinnig gewesen und hätten mir meinen Stab, Nels Stab, an die Seite gelegt. Ein Glück. Noch einmal hätte ich seinen Verlust wahrscheinlich nicht verkraftet. Der kleine Mistkerl war mir, dank seines Alexandrits, doch irgendwie ans Herz gewachsen. Doch nicht nur der Stab lag dort. Ich erkannte auch die Tasche, welche Daria genäht hatte. Ohne zu zögern griff ich nach dieser und öffnete sie und... eine einsame, imaginäre Fliege kam mir entgegen geflogen. „Was zum?“ War ich doch noch ausgeraubt worden? Es war nichts mehr darin. Keine Ölflaschen, die zwei Flaschen Alkohol fehlten, das Papier, das Küchenmesser und die Gabeln. Hatte ich etwa die ganze Munition verballert? Ich meine eine Gabel hatte sich mit Ruriel angefreundet, die Schreibfeder war einem Zauber gewichen... Hatte ich doch noch das Öl verwendet? Oder den Alkohol? 'Den Drink hätten wir nun gut gebrauchen können...', erklärte eine Stimme grinsend. 'Vielleicht doch Piraten... wenn sie wissen, dass Öl und Alkohol gut brennt, wollten sie dich sicher von der Materie fernhalten.' 'Baka~ Dann hätten sie ihr auch nicht den Stab hingelegt.' Meine Stimmen machten deutlich, dass das Chaos und die Verwirrung groß war. Aber ehrlich gesagt, vermisste ich momentan keine der Sachen. Abgesehen von dem Papier. Ich hätte nur noch eine Feder gebraucht und ich hätte meinen Kopf zum ersten Mal seit über drei Monaten wieder freibekommen können. Aber nein, das Schicksal war eine Bitch. 'Wahrscheinlich... wenn ich das anmerken darf, dachte man, dass wir nach dem erwachen durchdrehen. Du weißt schon, verwirrt und orientierungslos, vielleicht noch panisch, was wir eindeutig sind. Dann noch die Tatsache, dass wir ein Schiff abgefackelt haben... das dient vielleicht nur zur Sicherheit aller hier.' 'Klar, sie ist ja so ein durchgeknallter Psychopath.' 'Naja über den Alkohol hat sie sich etwas zu sehr gefreut, wenn du verstehst was ich meine.' 'Yey, wir sind ein Pyromane Level 10.' Ich schüttelte widerwillig mit dem Kopf. Oh man, diese Stimmen waren mir lieber, als ich noch übermüdet war. Da gab es sie kaum. Verdammt. Papier... ich brauchte bald wirklich Papier und Feder. Ganz dringend. 'Das klärt allerdings immer noch nicht die Frage wo wir sind, richtig?' Richtig. Das klärte es nicht. Ich musste fokussiert bleiben, wenn ich die Antwort wollte. Immerhin ich wusste schon einmal, dass ich mich nicht in einem Kerker befand. Eher eine Krankenstation oder Lazarett. Es herrschte eine Totenstille. Da sich aber die Leiber der Menschen bewegten, konnte man davon ausgehen, dass sie nur schliefen. 'Haben die armen Soldaten sich verdient.' Soldaten? Ich hatte es zu Beginn nicht vollständig bemerkt, aber einige von ihnen trugen noch Teile, die wahrscheinlich von einer Rüstungen stammen konnten oder zumindest von einer militärischen Uniform. Ich hätte zumindest schwören können, Kleidung dieser Art auch auf dem Schlachtfeld gesehen zu haben. Ich lauschte angestrengt. Meine Sinne hatten von den hinteren Bereich etwas wahrgenommen, einige Geräusche. Irgendwoher musste ja dieses eklige Knochengezwurbel gekommen sein. So weit es ging, wandte ich meinen Kopf und irgendwo, im schummrigen Kerzenlicht war eine Tür. Sicher ein Behandlungszimmer. Auch wenn die Vorstellung absurd war, dass dort hinten ein Arzt sitzen sollte, der Patienten mit einer Gehirnerschütterung fragte, ob ihnen schlecht war. Ich bildete mir einfach ein, dass genau das der Fall war, denn von den Stimmen die aus eben jener Richtung kamen, konnte ich nichts heraushören. Vielleicht war das auch besser so. Mehr konnte ich allerdings auch nicht ausmachen. Außer, dass ich wohl irgendwie außer Gefahr war. Es fühlte sich zumindest nicht mehr bedrohlich an. Bedrückend vielleicht und staubig, Gott hatte ich einen Durst, aber nicht bedrohlich. Durst... wie lange hatte ich nun nichts getrunken? Den ganzen Morgen. Und den halben Nachmittag. Wie spät war es eigentlich? Allmählich wurde mir bewusst, wie wichtig die Frage wurde, wie lange ich das Bewusstsein verloren hatte. Mein Hals fühlte sich so trocken an, als hätte ich einen ganzen Tagesmarsch durch die Sahara gemacht. Staubtrocken und bröselig. „Du bist wach...“ Das Rascheln von Kleidung kam mir näher, begleitet von einer brüchig klingenden Stimme. Ich sah in die Richtung woher sie kam und erkannte einen Mann mit einem Stab. Sehr wahrscheinlich ein Magier, zumindest flatterte das Rukh aufgeregt um ihn herum, so wie ich es zuletzt nur bei Cassandra gesehen hatte. „Wie fühlst du dich? Schmerzt die Schulter? Ist dir schwindlig?“ Das waren viele Fragen auf einmal. Zu viele, die sich zusätzlich zu meinen eigenen gesellten, aber doch deutlich anmuten ließen, dass dieser Mann sich sorgte. „Ich... hab nur etwas Durst...“ Meine Stimme war kratzig, kein Wunder. „Verstehe. Hier.“ Er reichte mir einen Becher mit Wasser, den ich zuvor nicht bemerkt hatte. Scheinbar war er es aber gewohnt, dass nach dem ersten Erwachen der Ruf nach Wasser laut wurde. Mit solchen Kriegserfahrungen konnte ich leider, oder eher glücklicherweise, nicht dienen. Wobei ich darüber auch mal etwas gelesen hatte. Sicher war ich mir aber nicht. „Danke“, krächzte ich, nahm ihm den Becher ab und stürzte das erfrischende Nass meine Kehle runter. Öl hätte sicher nicht so gut getan wie das Wasser jetzt. Garantiert so gar nicht. „Könnten Sie mir ein paar Fragen beantworten?“ Nachdem ich endlich wieder bei Stimme war, die erste Dürre überwältigt schien, sah ich zu dem Magier, dessen Pupillen im Kerzenlicht klein wirkten. Er schien definitiv eine lange Nacht hinter sich zu haben. „Nur zu. Du hast lange geschlafen, da ist es nur verständlich, wenn du viele Fragen hast.“ Ich hatte mehr als nur viele Fragen. Ich hatte Dutzende und einige traute ich mich nicht einmal offen auszusprechen. Zum Beispiel wer mich in diese Klamotten gesteckt hatte. Wenn ich so tat als hätte ich es nicht bemerkt, konnte ich vielleicht auch darüber hinwegsehen... oder eher nicht. „Einige. Zum Beispiel, wo bin ich?“ „Auf dem Kriegsschiff von General Hayato Ii. Du musst dir also keine Sorgen machen.“ „Keine Sorgen? Das Wort Kriegsschiff ist nun nicht gerade eines, was danach schreit, das man sorglos sein kann. Was ist mit den Piraten passiert?“ „Sie wurden besiegt und für ihre Taten hingerichtet. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Ii-sama hat ausdrücklich befohlen, dass wir uns um die Gefangenen der Piraten kümmern und sicher nach Nantou bringen.“ Das waren viele Infos, die ich gerade bekam. Dennoch, ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, dass Saam zu der Sorte Pirat gehörte, der sich so einfach hinrichten ließ. Auch wenn ich es irgendwie hoffte, dass er zu den Verurteilten gehörte, denn ein Wiedersehen mit ihm würde sicher keine Freude bereiten. Und wie ich die Welt von Magi einschätzte, war auch sie ein Dorf. Verdammt. „Danke. Uhm... Das Sie sich um mich gekümmert haben. Ich... Sollte dann mal für den nächsten Platz machen.“ „Das solltest du noch nicht. Du warst in keiner sehr guten Verfassung. Dein Körper war sehr erschöpft und mit dem Zaubern hast du es in deinem Zustand auch übertrieben. Du solltest wirklich noch etwas Kraft tanken.“ Ich hob eine Augenbraue und sah zweifelnd zu dem Magier. Ich hatte es mit dem Zaubern übertrieben? Mein Körper war in keinem guten Zustand gewesen? Meiner Meinung nach hatte ich nicht viel gezaubert. Ein paar Lichtstrahlen, mehr nicht. Nichts, was mich erschöpft hätte. Dagegen war der Kampf in Bitroun wesentlich langwieriger gewesen und dieser hatte mich nicht ausgeknockt. „Mir geht’s wirklich gut. Die Schulter schmerzt nicht mehr so stark und ich denke, ich habe lange genug geruht. Wie lange eigentlich?“ Der Magier schwieg einen Moment. Er schien zu überlegen, wie lange ich schon hier lag. Kurz fragte ich mich, ob es denn so lange war, das man darüber nachdenken musste. „Seit dem vergangenen Nachmittag. Die Dämmerung ist in ein paar Stunden.“ Geistig rechnete ich nach. Mit einer genaueren Uhrzeit hätte ich wohl abschätzen können wie viele Stunden ich geschlafen hatte, aber ich ging mal davon aus, dass ich zum ersten Mal wieder auf die acht Stunden Schlaf gekommen war, die ich für gewöhnlich bevorzugte. Ein Wunder. „Eine ganze Zeit also... Unglaublich, dabei hat die Schulter so wehgetan. Haben Sie einen Heilzauber benutzt?“ „Nicht wirklich. Es ist ein Zauber der die Schmerzen bei Verletzungen stillt. Er gehört in die Kategorie der Kraftzauber.“ Ein Zauber der Schmerzen stillte? Das klang gut und war sicher praktisch. Noch dazu, wenn es ein Kraftzauber war, konnte ich ihn sicher lernen. Zumindest wollte ich es versuchen. „Wenn du willst, kann ich ihn dir beibringen. Man sagte mir, dass du mit einem Lichtzauber gekämpft hast. Dann sollte dieser Zauber dir kaum Probleme bereiten.“ Ich schwöre, meine Augen glänzten vor Freude. Drei Zauber zu können war für den Anfang sicher gut. Noch dazu, wenn er Schmerzen stillte. Es wäre endlich mal etwas nützliches, womit ich vielleicht sogar den Mädchen in Balbadd helfen konnte. „Allerdings, rate ich dir, wenn du den Zauber beherrschst, dass du ihn wirklich nur auf Wunden anwendest.“ „Was wenn ich es nicht tue?“ „Nun... Meist passiert nichts, die Rukh wissen dann nicht, wie sie reagieren sollen. Allerdings habe ich Gerüchte gehört, dass es Magier gab, die damit Menschen folterten. Sieh einfach davon ab, einen Zauber für etwas zu nutzen, wofür er nicht bestimmt ist.“ Vielleicht war es merkwürdig, dass ich überhaupt gefragt hatte, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, der Magier hatte durch meine Frage die falsche Message bekommen. Wie geisteskrank hatte ich nur in der Schlacht gewirkt? Oder hatte jemand das Öl bemerkt und erfahren, dass ich das Piratenschiff in Brand gesetzt hatte? Würde ich dafür noch Ärger bekommen? Hoffentlich nicht. „Verstanden, nur bei Wunden anwenden. Also, wie funktioniert der Zauber?“ Was folgte, war eine ausschweifende Erklärung von Worten, die ich wohl niemals würde aussprechen können. Der Zauber war einfach ein Zungenbrecher. Ich wusste nicht, wie der Magier diesen Spruch so oft hintereinander sagen konnte, aber ich brach mir schon beinahe beim ersten Versuch die Zunge. „Können Sie mir nicht einfach sagen, wie ich es visualisiere? Oder was für geistige Befehle ich den Rukh geben muss? Fremdsprachen sind jetzt nicht so mein Fall.“ „Fremdsprachen?“ War Magiersprache keine Fremdsprache? Argh, sicher nicht. Ich hatte ganz vergessen, dass es in Magi nur eine Sprache weltweit gab. Kein Wunder daher, dass mich bisher jeder verstanden hatte. „Ich meine Sprüche, sind nicht so mein Fall. Ich komme immer durcheinander. Wenn ich weiß, was ich visualisieren muss, geht das besser.“ Der Magier sah mich immer noch verwundert an und ich fragte mich, ob ich damit so ungewöhnlich war. Jeder hatte doch seine eigene Art zu lernen. „Denk an die Verletzung, an das Gefühl, welches sie auslöst und bitte die Rukh die Schmerzen zu mildern. Mit einem Spruch ist es einfacher, es ist wie ein direkter Befehl, aber wenn du es visualisieren musst... Stell dir den Schmerz vor und die Wirkung des Zaubers. Stell dir vor, wie der Schmerz nachlässt, während die Wunde in Berührung mit dem Magoistrom kommt.“ Selbst ich musste mir eingestehen, dass es so wohl schwerer war. Vielleicht sollte ich den Spruch 'Alam daght' üben. Zumindest die Aussprache. Wenn ich ihn das erste Mal richtig anwendete, konnte ich es vielleicht sogar leichter visualisieren. Ich konnte mich dann an das Gefühl erinnern, was der Zauber auslöste und dieses Gefühl immer wieder abrufen. So wie es bei Flash war. Ich hatte den Spruch nun sicher oft genug gesagt, dass ich ihn bald nicht mehr sagen musste. „Wenn die anderen aufwachen, können wir den Zauber gleich üben. Ich denke aber wirklich, dass du damit als oranger Magier weniger Probleme haben wirst. Halte dich an Licht- und Stärkezauber und du kannst den ein oder anderen Menschen damit helfen.“ War das wirklich die Sichtweise, die die Magier hier vertraten? Sich allein auf das zu verlassen, was man prädestiniert beherrschte. Yamraiha sollte ja auch eine sehr große Vorliebe für das Wasser haben. Dabei war es doch sicher hilfreicher, wenn man viele verschiedene Zauber oder zumindest ihre Wirkungen kannte. Aber gut, für den Anfang war es vielleicht besser, wenn ich mich mit dem beschäftigte, was mir Ugo mit auf dem Weg gegeben hatte. Also, Licht- und Stärkemagie. 'Was für ein Zufall, dass der Magier dir diesen Zauber beibringen kann. Was für ein Zufall, dass die ersten Magier die du kennengelernt hast, ebenfalls Stärkemagie beherrschten. Da ist was faul.' Die Stimme meines Misstrauens hatte Recht. Da war etwas faul. Es passte irgendwie zu gut. Viel zu gut. So als ob ich ferngesteuert wurde. Und das war ein beängstigender Gedanke, denn die Frage war, wie viel Entscheidungsgewalt ich da besaß. 'Nur nicht paranoid werden. Das sind Zufälle. Viele, aber es sind Zufälle.' „Du solltest dich wirklich noch ausruhen. Du siehst noch etwas blass aus.“ Es war der Magier, der mich von dem Thema des Absurden ablenkte. Erneut forderte er, dass ich noch etwas ruhte, allerdings gab es da noch ein paar Dinge, die ich sehen wollte. Und ohne diverse Gewissheiten, würde ich nicht ruhen können. „Nein danke, ich denke ich habe genug geruht. Es... ich möchte gerne aufstehen und nach jemanden sehen oder eher ihn suchen. Ich mache mir sonst zu große Sorgen um ihn.“ Der Magier seufzte, als ich es erneut ablehnte mich wieder hinzulegen und noch etwas zu ruhen. Er schien allerdings auch nicht vorzuhaben mich aufzuhalten. „Wenn das so ist, dann geh ruhig. Mach aber Pausen wenn dir schwindlig ist, überanstrenge deine Schulter nicht. Und die Tasche, auch wenn sie leer ist, solltest du vielleicht über der linken Schulter tragen.“ „So bevorzuge ich es meine Tasche zu tragen. Keine Sorge. Ich werde auf mich aufpassen. Danke, dass Sie mir geholfen haben.“ Ich griff zu meiner Tasche und dem Stab, bevor ich mich erhob. Die Schulter schmerzte ein wenig bei dieser kleinen Bewegung, aber der Magier hatte wirklich gute Arbeit geleistet. So, wie er es mir angeraten hatte und wie ich es sowieso schon immer tat, hing ich die Tasche über die linke Schulter. Seltsamerweise fühlte ich mich wirklich gut. Kein Zeichen von Schwäche war da, mein Kreislauf war hochgefahren. Ja, ich denke ich war zu diesem Zeitpunkt okay.   Entweder hatte der Magier selbst jegliches Zeitgefühl verloren, oder ich hatte mich einmal zu oft unter Deck des Kriegsschiffes verlaufen. Und das, obwohl ich immer wieder gefragt hatte, wie ich ans Deck kam. Im Gegensatz zu diesem Schiff war Saams eine kleine Nussschale gewesen. Irgendwann, wahrscheinlich weil man mir angemerkt hatte, wie verloren ich mich fühlte, hatte sich einer der Krieger meiner erbarmt und mich zum Deck begleitet. Auch er gab mir nötige Hinweise, die besagten, dass ich es nicht gleich übertreiben sollte und wenn notwendig wieder das Lazarett aufsuchen sollte, damit meine Gesundheit gewährleistet wurde. Er erzählte mir von einem Freund, Kampfgefährten, der seine Verletzung ebenfalls zu leicht genommen hatte und das mit seinem Leben bezahlt hatte. Aber ehrlich, was sollte mir passieren? Die Schulter hatte nur einen größeren Kratzer und abgesehen von den Kleinigkeiten die sich angesammelt hatten, hatte mir mein Körper wohl einfach den Dienst versagt. Mehr nicht. Erschöpfung war nichts, woran man so schnell starb. „Danke für Ihre Hilfe.“ Ich lächelte den Krieger an, der sich vor mir verbeugte, wie ich es nur von Hakuryuu kannte. Musste ich das auch tun? Keine Ahnung. Wenn es hier nach japanischem Standard in Sachen Verbeugung ging, wie tief musste ich mich dann vor einem Krieger verbeugen? Ich dachte nicht groß darüber nach, sondern verbeugte mich, einfach kurz und schmerzlos und nicht sonderlich tief. Im Nachhinein betrachtet, war das vielleicht nicht ganz so respektvoll. Dennoch, der Krieger schwieg und ging zurück unter Deck. Wahrscheinlich hatte er noch genug zu tun. Ich wartete, bis der Krieger außer Sicht war, bevor ich mich von der Tür abwandte und an Deck umsah. Die Luft war frischer als im Lazarett, doch es war keineswegs heller, auch wenn ich am Horizont diverse Farbunterschiede bei den Wolken sehen konnte. Mehr allerdings auch nicht. Wahrscheinlich dämmerte es wirklich gerade, da der Himmel aber nur aus dicken Wolken bestand, war das schwer auszumachen. Immerhin der Nebel hatte sich gelöst. Lediglich ein paar Nebelschwaden konnte ich in der Ferne des Bambuswaldes sehen. Bambuswald. Scheinbar hatten wir die Insel noch nicht verlassen, oder ich hatte die halbe Fahrt verpennt und wir waren bereits nahe einer anderen Insel. Ausschließen konnte ich es nicht. Ich strich mir ein paar meiner langen Haare aus dem Gesicht. Erfolglos, denn der Wind, der uns mit seiner Kraft umgab, wehte sie mir immer wieder vor die Augen. Wie dankbar wäre ich nun über einen von Suleikas Zopfbändern gewesen. Vielleicht sollte ich allmählich doch über einen neuen Haarschnitt nachdenken. Kurze Haare waren auf die Dauer sicher praktischer. Allerdings, wozu wollte ich es praktisch? 'Wie wir uns kennen, reiten wir uns noch in die ein oder andere Schlacht.' Ich seufzte. Richtig, in irgendeinen Konflikt geriet ich sicher wieder. Es würde also wohl wirklich Zeit werden, dass ich praktischer dachte und vor allem für alle möglichen und unmöglichen Situationen vorplante. Bisher hatte ich das zu wenig gemacht, was mich nicht wunderte. Mir fehlte das Wissen zu dieser Welt. Zur aktuellen politischen Lage, zur Lage der Hotspots für Kämpfe und so weiter. Vielleicht, so dachte ich, würde mir einer der Krieger auf die Sprünge helfen, wenn ich mal lieb fragte. Auch wenn ich für die Auskunft kein Bezahlung geben konnte, abgesehen von einer Geschichte. Mit etwas Glück mochten aber auch Krieger Geschichten. „Beschütze sie auf ihren Weg und vereine sie mit jenen die sie lieben...“ Auch wenn diese Stimme nur ein Flüstern war, wusste ich doch sofort, zu wem sie gehörte. Mein Blick sah sich suchend um und nicht unweit von mir stand Hinata an der Reling, ihre Hände zu einem Gebet gefaltet hatte. Die Frage für wen sie betete, erübrigte sich bei mir, als ich mich daran erinnerte, wie würdevoll sie den gefallenen Krieger behandelt hatte, dessen Schwert sie an sich genommen hatte. Der Wind, der ihr kurzes Haar umspielte, sie hatte es sich scheinbar wieder etwas gekürzt, schien ihr Gebet aufs Meer hinauszutragen. Doch nicht nur der Wind. Ich sah die Rukh, die ihren Worten lauschten und andächtig ihre Flügel bewegten. Vielleicht waren es die Rukh ihrer Kameraden, so wahr man jene Krieger die gefallen waren, als Kameraden bezeichnen konnte, oder Angehörige, die sich bedankten und ihr vermitteln wollten, dass nun alles gut war. Es war schwer, das anhand der einfachen Bewegungen der Rukh zu erkennen, doch es hatte etwas tröstliches zu wissen, dass es Wesen in der Welt gab, die einen immer zuhörten. „Möget ihr über jene wachen, die euer Werk fortführen werden“, flüsterte sie abschließend und verweilte noch einen Moment in ihrer Gebetshaltung. Auch wenn ich für gewöhnlich der Typ gewesen wäre, der direkt auf sie zugegangen wäre, vermied ich es, schwieg selbst und ließ Hinata diesen Moment, den sie wahrscheinlich mehr als nötig hatte. Einen Moment, den ich mir, wenn ich es recht bedachte noch nicht gegönnt hatte, da ich mich unmittelbar nach meiner kurzen Lehrstunden auf die Suche nach Varius und eben Hinata gemacht hatte. „Du kannst ruhig näher kommen.“ Verwundert neigte ich den Kopf etwas, als Hinatas Stimme nun kraftvoll und verständlicher erhoben war. Sie hatte mich bemerkt? „Ich wollte nicht stören. Dir war dieser Moment sicher wichtig.“ „Natürlich. Wir trauern um unsere Kameraden, wenn die Zeit es erlaubt. Vor allem um jene, die uns ihre Waffen hinterlassen haben.“ Hinata wandte sich zu mir um und zog ein Schwert aus einer schwarzen Hülle, in der ich ein paar winzige Kerben sehen konnte. Ja, dieses Schwert hatte jemandem wirklich sehr gute Dienste geleistet. Doch es war nicht nur das Schwert, welches Hinata trug, auch sie hatte sich umgezogen und ähnelte in ihrer Tracht mehr den Kriegern, die ich hier gesehen hatte, unterschied sich aber immer noch von meiner. „Sie haben dir einen Shuhe gegeben? Nett. Vielleicht solltest du wirklich überlegen dich in Kou niederzulassen. Ich kann mir vorstellen, dass dir auch noch andere Kleidung unserer Art steht.“ War das ein Kompliment? Hatte mir Hinata eben gesagt, dass mir der Shuhe, wenn die Kleidung die ich an hatte so hieß, stand? „Ich gehe mal davon aus, dass du mich nicht umgezogen hast... verdammt.“ „Unschuldig. Ich weiß doch, dass du dich zu Tode schämen würdest.“ Sie grinste verspielt, als sie das mit einem hämischen Grinsen sagte. Ich musste für meine Umwelt wirklich ein offenes Buch sein, wenn selbst Hinata das bemerkt hatte. Allerdings wollte ich nun noch weniger wissen, wer mich nackt gesehen hatte. Bei Freunden wäre es vielleicht nur halb so peinlich gewesen. Noch dazu war Hinata wie ich eine Frau. „Hast du Varius gesehen?“ „Ein geschickter Themenwechsel.“ Verdammt, sie hatte es bemerkt. „Schon ein paar Mal. Ich helfe dir beim Suchen. Er macht sich verdammt große Sorgen. Ich weiß zwar nicht, was im Kampf passiert ist, aber mir haben ein paar Kameraden erzählt, dass die Piraten nichts zu lachen hatten, während er dich beschützt hat.“ „Er hat mich beschützt?“ „Ja. Du bist wohl mitten im Kampf zusammengebrochen. Aber ehrlich, mich wundert es nicht. Wirklich gesund ist das nicht, was du die letzten Monate abgezogen hast.“ Hinata verschränkte die Arme und signalisierte mir damit, dass sie bereit war, mir eine gehörige Standpauke zu verpassen. „Wie meinst du das?“ „Hör auf. Denkst du, ich hab nicht bemerkt, wie du selbst die Reste so aufgeteilt hast, dass die anderen Mädchen genug hatten? Du hast zu selten etwas von dem Fleisch abbekommen, hast dein Obst an Daria, die Anderen und sogar an mich abgetreten. Obendrein hast du am wenigsten geschlafen, weil du dich heimlich um die Gefangenen gekümmert hast. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das auf dich zurückfällt. Allerdings muss ich ehrlich gestehen, dass ich schon früher damit gerechnet hatte. Du bist wirklich zäh.“ Anerkennend klopfte mir Hinata auf die rechte Schulter, allerdings zuckte ich wie vom Blitz getroffen zurück. „Oh richtig, die war verletzt. Tut mir leid.“ „Schon okay. Ich sehe eben zu gesund aus. Aber sag mal, was ist genau passiert, ich hab da ein paar Lücken.“ „Ah, richtig. Vielleicht hat man es dir schon gesagt, aber die Piraten wurden von Ii-sama besiegt und hingerichtet. Es war mir ein diabolisches Vergnügen, Sarim bei seinen letzten Atemzügen zu beobachten.“ Sarim... der Name weckte schlimme Erinnerungen. Vor allem aber bei Hinata, denn scheinbar hatte der Mistkerl sich Hinata als sein Opfer ausgesucht. Egal was es war, er hatte an Bord immer einen Weg gefunden, sie zu schikanieren. Immerhin war das nun nicht mehr. „Und Ruriel?“ „Huh? Ich habe jeder Hinrichtung beigewohnt, aber Ruriel war nicht dabei. Vielleicht ist er einem anderen Krieger zum Opfer gefallen.“ „Eher mir... allerdings... ich hätte schwören können, dass ich ihn nicht umgebracht habe.“ „Wie meinst du das?“ „Als ich Varius befreit hatte und wir auf dem Weg zum Hafen waren, hat sich Ruriel uns in den Weg gestellt. Er wurde unter einem Haufen Dachziegel und Holz begraben... Hat man das Dorf abgesucht?“ „So ziemlich. Hat ganz schön lange gedauert, die Piraten zusammenzutreiben. Einige haben versucht ins Landesinnere zu fliehen. Mit dem Schiff konnten sie nicht, dass hat ein gewisser Jemand in Brand gesteckt.“ Ich spürte, wie Hinata zu mir sah und wurde schlagartig rot. Ja, sie konnte es sich definitiv denken, genauso wie Ruriel. „D-Das heißt also Ruriel wurde nicht gefunden.“ „Nicht das ich wüsste.“ „Und die anderen Mädchen? Daria, Skylla und Charybdis?“ Ich sah zu Hinata und erkannte deutlich, wie ihr Blick sich verfinsterte, als Darias Name gefallen war. Scheinbar gab es auch in diesem Bereich eine Episode, die mir noch nicht bekannt war. Wie ich Hinata aber einschätzte, würde sie mir diese gleich präsentieren. „Daria geht’s zu gut. Und wenn es nach mir ginge, würde man diese falsche Schlange über Bord werfen.“ „Huh?“ „Wir wussten ja beide, dass sie den Piraten den ein oder anderen heißen Tipp gegeben hat. Auch wegen Cybele.“ „Zumindest hat mir Ruriel das noch bestätigt auf, seine Weise.“ „Gerade als der Kampf losging, hat sie die Piraten noch unterstützt, ihnen Waffen gebracht, sie gewarnt, doch als es schlecht für diese aussah, hat sie einen von hinten niedergestochen. Ich weiß nicht, was Ii-sama sich dabei denkt, sie an Bord zu lassen. Argh!“ Das klang in der Tat nicht positiv. Allerdings war ich mir sicher, dass der General des Schiffes nicht einfach so potentielles Gefahren mitkommen ließ. Wahrscheinlich sah er in Daria keine Gefahr sondern lediglich ein Mädchen, das verzweifelt war. „Mh...“ „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“ „Naja ich wüsste auf Anhieb nicht was. Außer... Je eher sie nicht mehr in unserer Nähe ist, desto besser.“ „Also wirklich. Sie hat uns verraten, Erenya. Sie hätte dich eiskalt ans Messer geliefert, wenn sie es nicht sogar hat.“ „Oh du meinst sie hat über das Feuer geplaudert?“ „Genau!“ „War der Plan.“ „Wie bitte?“ „Uhm... halt mich jetzt nicht für schräg, aber... Wenn man Öl anzündet, brennt es. Der einzige Weg es zu löschen ist die Luftzufuhr zu unterbinden. Menschen neigen allerdings rein psychologisch dazu, als erstes zum Wasser zu greifen. Was bei Öl jetzt nicht unbedingt gut ist. Öl schwimmt auf Wasser. Heißt das Feuer brennt oben, das Wasser erhitzt sich, verdampft dehnt sich aus und dann BOOM.“ „Das heißt...“ „Jap, ich habe Daria genauso wie dir von dem Feuer erzählt. Mit dem Unterschied, dass ich nur dir sagte, dass du es mit Tierfutter löschen sollst.“ „Also... ich... ERENYA! Weißt du wie gefährlich das war?“ „Scheiß gefährlich, ich weiß. Ich hab auch ehrlich nicht damit gerechnet, dass die Explosion so groß ist. Ich hab geschätzt höchstens hundert Milliliter angezündet.“ „Erenya...“ „Ja?“ „Du bist die gefährlichste Reisende, die mir je begegnet ist.“ „Lass mich raten, man weiß, dass ich die Brandstifterin bin?“ „Klar, Daria hat geplaudert, wie aus dem Nähkästchen, als sie dich sah. Sie hat versucht deine Exekution auszulösen.“ Das war neu und vor allem beängstigend. „Was?“ „Skylla und Charybdis sind bei dem Brand ums Leben gekommen. Vielleicht fürchtet sie, dass du ihr noch das Licht ausknipst. Bei mir müsste sie sich mehr Sorgen machen.“ „Und was ist mit den Kriegern hier? Ich meine...“ „Keine Sorge, sie waren etwas besorgt, vor allem mit den ganzen brennbaren und gefährlichen Sachen in deiner Tasche, aber keiner von ihnen ist wirklich davon ausgegangen, dass du dieses Schiff versenken wirst. Varius hat da sein Bestes gegeben alle zu überzeugen und... Ich natürlich auch.“ Diese ganze Beziehung zwischen Hinata und mir wurde immer skurriler. Seltsam aber irgendwie auch wohltuend. „Dann, schulde ich euch beiden wohl was. Danke.“ „Ich glaube kaum, dass er das hören wollen würde.“ „Wer?“ „Varius. Wir sollten ihn suchen, bevor er noch durchdreht. Er wird es dir sicher selbst erklären.“ Sie lächelte, als wüsste sie mehr, als sie mir bisher gesagt hatte. Ich ging davon aus, dass Varius ihr vielleicht doch etwas mehr von der ganzen Sache erzählt hatte. Doch was genau sollte mir Varius selbst erklären. Ich nickte daher auf ihr Angebot, sah noch einmal zu der Insel und spürte wie innerhalb kürzester Zeit mein Gesicht von Tropfen benetzt wurde. Mein Blick ging gen Himmel, an dem die schweren Wolken kleine Fäden, in einem langsamen Tempo, auf mein Gesicht fallen ließen. Regen. Wann hatte er sich das letzte Mal so gut angefühlt? So wohltuend, so befreiend.   Ich war ein bisschen angefressen, als unsere kurze Suche von einem Krieger verhindert wurde. Das Frühstück war in einem großen Raum angerichtet worden, der mehr einem Besprechungsraum glich. Doch nun war es ein Speisesaal. Kein Wunder, die Mannschaft des Schiffes wirkte nicht mehr wie die eines reinen Kriegsschiffes. Ich erkannte weitere Menschen, die nicht in der Tracht der Krieger gekleidet waren. Egal, was man sich von dem Kaiserreich Kou erzählte, durch dieser Schlacht waren sie für viele zu Helden geworden. Ich fühlte mich unwohl, als ich den Raum betrat. Denn kurzzeitig kam die Frage in mir auf, wie viele dieser Leben ich aufgrund meiner Machtlosigkeit geopfert hätte. Was hatte ich mir dabei gedacht? Zu glauben, dass Hinata und die Anderen sicher aus der ganzen Sache rauskommen konnten. „Kleines!“ Ich hatte nicht die Gelegenheit weiter in den Raum einzutreten, als eine Hand mich am Arm packte und ich mich plötzlich in einem paar kräftiger Arme wiederfand. Ohne hinzusehen, wusste ich, wer mich da in seinem liebevollen Klammergriff hatte. Dieses Mal wusste ich, dass da mehr als nur Erleichterung und Freude hinter dieser Umarmung steckte. „Varius, du erdrückst mich...“, flüsterte ich leise, denn sein Griff war wirklich fest. „Es tut mir leid, Kleines. Ich bin nur so froh, dich wach zu sehen. Was hast du dir dabei gedacht?“ Was hatte ich mir womit gedacht? Ich war verwundert, denn noch immer hatte ich die ein oder andere Erinnerungslücke. Doch Varius Worten zu urteilen, musste es wirklich etwas schlimmes gewesen sein. „Du weißt es nicht mehr, oder?“ Wie hatte er das gewusst? Verwundert sah ich zu ihm auf. Konnte er nun schon Gedanken lesen, oder war es einfach zu offensichtlich? „Würdest du dich erinnern, hättest du dich entschuldigt. Vielleicht ist es besser, wenn du es nicht mehr weißt.“ Varius beugte sich zu mir vor und küsste mich sanft auf den Kopf. Seine Worte aber machten mir mehr Angst als die Erinnerungen, die ich vielleicht in meinem Unterbewusstsein finden konnte. Sie gaben mir das Gefühl, dass ich etwas schlimmes getan hatte. Ein Grund mehr, warum ich mich unbedingt erinnern wollte. „Varius, ich wäre dir sehr verbunden, wenn du Erenya erst einmal nicht vor versammelter Mannschaft blamierst, oder viel mehr offenbarst, was für ein liebenswürdiges Biest du bist. Außerdem, habe ich Hunger und will hier keine Wurzeln schlagen.“ Ein Seufzen lag in Hinatas Stimme. Wer wusste schon, wie lange sie sich die Sorgen des Großen hatte anhören dürfen. Und hey, wie man merkte, ich lebte ja noch. Er musste sich also keine weiteren Sorgen um mich machen. „Schon okay, schon okay. Erenya, pass auf. Hier setz dich, neben mir ist ein Platz frei.“ Wenn ich Varius vorher nicht schon als großen Bruder gesehen hätte, hätte ich das sicher jetzt. Er behandelte mich gerade wirklich mehr als nur brüderlich und ich konnte mir nicht erklären, wieso. Es schien eine gewisse Sorge in seinen Taten zu stecken, so als fürchtete er, mich in jeden Augenblick auch noch zu verlieren. Dabei war er sich nicht bewusst, dass er mich damit vielleicht mehr erdrücken konnte als mit einer kräftigen Umarmung. Dennoch, wenn das, woran ich mich nicht erinnern konnte, wirklich so schlimm war, dann verstand ich ihn, weswegen ich mich seiner Liebenswürdigkeit ergab und mich neben ihn setzte.   Ich hatte einmal in meinem ganzen Leben Reisbrei gegessen. Damals, als ich mich für japanische Rezepte begeistert hatte und erkältet war. Okayu, war... wie sollte man es beschreiben... sehr sparsam im Geschmack. Dazu noch die breiige Konsistenz und eben das Topping, wenn man denn noch gesund genug war, um überhaupt etwas zu schmecken. Damals, hatte ich das Gesetz des Gesundheitsgrades ignoriert. Kein Wunder, das Okayu nie wieder für mich in Frage kam, bis zum heutigen Tag zumindest. Ich starrte in die Schüssel mit dem, was ich als Okayu bezeichnete, der mit Lauchzwiebeln und anderen Gemüse getoppt wurde. Definitiv eine Portion für Menschen die noch ganz viel Geschmack hatten. Mein Magen rebellierte dennoch bei dem Anblick. Mit dem Löffel in der Hand, sah ich zu den Anderen, die hier am Tisch saßen und es wirklich schafften den Brei runter zu würgen. Varius hatte seine Portion sogar schon aufgegessen, was mir einmal mehr deutlich machte, wie wenig Essen er wohl bei dem Piraten bekommen hatte. So unauffällig wie möglich versuchte ich ihm daher meine Schüssel zuzuschieben, zuckte aber durch ein Räuspern Hinatas ertappt zusammen. „Kleines, du solltest auch Essen.“ „Richtig, du hast genug geteilt.“ „Uhm, ich habe keinen Hunger.“ Meine Ausrede zog nicht, denn mein knurrender Magen, der sich laut bemerkbar machte, strafte meine Worte lügen. Unisono seufzten Hinata und Varius. „Wann hörst du endlich auf ständig an andere zu denken? Vor allem jetzt. Du bist hier in Sicherheit. Ebenso sind es Varius und ich.“ Was Hinata sagte, mochte wahr sein, aber es war leichter gesagt als getan. Ich war schon immer so. Wurde ich von einem Auto angefahren und die Pfandflasche einer Freundin ging kaputt, war das erste, wofür ich mich bei ihr entschuldigte, die kaputte Pfandflasche. „Komm her.“ Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie Varius mir den Löffel aus der Hand genommen hatte. „Rechts ist die schlimme Schulter. Sie tut sicher weh. Komm her, ich helfe dir.“ Varius tunkte den Löffel in den Reisbrei und füllte ihn besser als ich es selbst getan hatte. Er hob ihn an und mir entgegen. Was auch immer er sich dabei dachte, er gab mir keine Chance mich vor diesem Brei zu drücken. Ich ergab mich dem brüderlichen Schicksal, öffnete den Mund und erlaubte Varius, mir vor versammelter Mannschaft, den ersten Bissen anzubieten.   Peinlicher hätte man nicht frühstücken können und ich war froh, als ich Varius davon überzeugen konnte, dass ich etwas Zeit für mich, an der frischen Luft brauchte. Die Stille war gut, auch wenn ich nicht alleine war. An Deck waren viele Menschen zu sehen, einige von ihnen waren sicher auch Gefangene anderer Piraten gewesen, doch sie störten mich nicht, weswegen ich mich an die Reling stellte. Jetzt, da weder Hinata noch Varius da waren, konnte ich einige Ereignisse Revue passieren lassen. Ich wollte mich erinnern. Ich wollte wissen, warum Varius froh darüber schien, dass ich mich nicht erinnern konnte. Irgendwo, in meinem Unterbewusstsein, lag diese Antwort verankert. Ich brauchte nur etwas Ruhe, um sie zu finden. Ich schloss meine Augen und holte tief Luft. Von meiner okkulten Zeit her wusste ich, dass Meditation der Schlüssel zu den Erinnerungen sein konnte. Und der Schlüssel zur Meditation war eine gleichmäßige Atmung. Ich konzentrierte mich auf die Atmung. Tief ein und lange aus. Tief ein und lange aus. Tief ein... Die wenigen Geräusche um herum verschwammen, langsam, blieben aber immer erhalten, so dass ich jederzeit wieder in diese Realität fand. Ich visualisierte vor meinem inneren Auge die Insel, den Hafen. Varius, der neben mir gewesen war. Und mit einem Mal, war die ganze Szenerie wieder lebendig.   **~~**   „Flash!“ Da uns ein Pirat im Weg gestanden hatte, war unsere einzige Chance, ihn aus dem Weg zu räumen, der Lichtzauber. Es fiel mir schwer, den Stab dabei zu führen, denn meine rechte Schulter schmerzte noch mehr als zuvor. Ich hatte die Verletzung eindeutig unterschätzt, doch noch konnte ich den Stab halten. Kritischer würde es werden, wenn ich kein Gefühl mehr in den Fingern hatte. Um zu vermeiden, dass ich den Stab erneut verlor, umklammerte ich ihn so fest es ging mit der linken Hand. Es machte meinen Lauf, der näher zu den Schiffen führte, schwerer, aber gleichzeitig auch sicherer, denn ich konnte so besser zielen und die Piraten, die uns im Weg standen, mit dem Lichtstrahl aus dem Weg räumen. „Vorsichtig, Kleines!“ Als hätte Varius einen klaren Befehl gegeben, blieb ich stehen und sah Varius' Faust von meiner rechten aus, an mein Gesicht vorbeiziehen. Neben mir konnte ich hören, wie eine Nase brach. Vielleicht auch mehr, mir war es aber egal, als ich herum wirbelte und der Körper, der wie ein Sandsack auf mich zu fallen drohte, mit dem Stab von mir stieß. „Danke, Varius“, keuchte ich erschrocken, merkte aber schnell, dass Varius nicht mehr nahe bei mir war. Ein Windzug ging an mir vorbei und als ich in Richtung der Schiffe blickte, konnte ich Varius sehen, der mit bloßen Fäusten auf die Piraten einschlug, die uns als neue Teilnehmer der Schlacht bemerkten. Selbst, wenn er kein reinblütiger Fanalis war, er war immer noch schnell. Respekt. Ebenso war es Cassius gewesen. Doch anders als im Kampf in Bitroun, wollte ich Varius so gut es ging den Rücken frei halten. Noch einmal, würde ich niemanden verlieren, der mir geholfen hatte. Ich hatte einen Schritt auf Varius zugemacht, als ein starker Wind aufkam. Ein Klirren, als würde Glas aufeinander treffen, übertönte die Geräusche des Kampfes. Woran ich wusste, dass es keine Schwerter waren? Der Klang war klarer. Nicht so schwer, sondern auf seine Weise leichter. Es war schwer zu beschreiben, wenn man es nicht hörte, aber ich erkannte diesen Unterschied. Konzentriert sah ich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war und entdeckte durch den Nebel hindurch das Aufblitzen eines Eisspeeres, der scheinbar durch den Wind von einem anderen abgelenkt worden war und nun direkt auf Varius zuflog. „Flash!“ Ich zögerte keine Sekunde und schoss einen Lichtstrahl auf den Eisspeer, der brach und erneut von seiner Flugbahn abgelenkt wurde. Varius war in Sicherheit und mir war ehrlich egal, wen dieses Fluggeschoss erwischte, solange es nicht Varius war. Zufrieden sah ich, dass er noch kämpfen konnte, merkte aber gleichzeitig, dass meine Sicht verschwamm. Ich schwankte etwas nach links, fasste aber sofort wieder einen festen Stand und schüttelte den Kopf, als wollte ich den Schleier, der über meinen Augen lag, von mir werfen. Das war nicht der richtige Moment um Schwäche zu zeigen. „Erenya, Kleines, hey ist alles in Ordnung?“ Irgendetwas stimmte gar nicht. Ich hörte Varius so dumpf, als hätte man mir Watte in die Ohren gestopft und das, obwohl er förmlich vor mir stand. Wann hatte er diese paar Meter zurückgelegt? „Alles okay“, wisperte ich leise, wissend, dass momentan gar nichts okay war. Was war nur los? Die Welt drehte sich, irgendwie. Meine Beine gaben nach, während mein Herz immer schneller raste. Ah, das war los. Am liebsten hätte ich gelacht darüber, dass es mir erst jetzt auffiel. Mein Kreislauf brach zusammen. Ich hatte sogar den Stab fallen gelassen. Warum jetzt? Warum-   Mir fehlten ein paar Momente. Das wusste ich. Nicht viele vielleicht, aber ich wusste, mir fehlte Zeit, in denen meine Sicht vollkommen schwarz war, ich aber meinen Körper deutlich spüren konnte. Ich spürte sogar den Griff des Küchenmessers in meiner Hand. Wann hatte ich? Nein, nein... falsche Frage. War ich nicht zusammengebrochen? Warum, stand ich dann eindeutig? SPLOSH!“ Ein Widerstand gegen das Messer. „Uargh!“ Ein Ächzen von einer Stimme die mir vertraut war. Diese Situation war mir vertraut. Mehr oder weniger. Viel eher aber in einem anderen Kontext. Dieses Gefühl, alles zu erleben, ohne es zu sehen. Ich hatte es schon einmal. Damals, als mich das Auto angefahren hatte. Oder zumindest davor. Keine Kontrolle über die Sinne, über den Körper. Alles, was ich konnte, war wahrnehmen, so wie jetzt. Ein Ruck durchfuhr meinen Körper, meine Schulter schmerzte als hätte jemand auf die Verletzung Kraft eingewirkt, die Welt wackelte scheinbar und plötzlich, als hätte jemand den Lichtschalter betätigt, sah ich wieder. Ich sah in ein vertrautes Gesicht. Ich hatte ihm am Tag zuvor Frühstück gebracht. Sein gesundes blaues Auge sah mich weit aufgerissen an. Das andere war blockiert, durchbohrt, nicht mehr zugänglich, wie auch immer man es nennen wollte. Volltreffer. Das Gewicht des Körpers wurde von mir genommen. Varius, er sah erschrocken zu mir hinab. Erneut drehte sich die Welt. Die Farben überlappten, meine Augenlider wurden schwer, der Schmerz wurde größer. Erneut schnürte er mir die Luft ab. Ich konnte wirklich nicht mehr.   **~~**   PLATSCH! Ich riss meine Augen auf, als ich spürte wie etwas meinen Hinterkopf traf. Die Meditation war damit endgültig beendet. Wobei das auch nicht mehr wichtig war, denn ich hatte mich erinnert und wenn ich eins und eins richtig zusammenzählte, dann hatte Varius Recht. Es wäre besser gewesen, ich hätte mich niemals erinnert. Aber irgendwer ließ mir keine Chance darüber nachzudenken. PLATSCH! Wieder traf mich etwas. Allerdings blieb dieses Etwas auf meinem Kopf liegen. Ein mieses Gelächter ertönte hinter mir. Vorsichtig ertastete ich das Ding, das mir nun auf dem Kopf saß. Oder lag. Es fühlte sich glibberig an. Vor meinen Augen zogen sich auch dünne, durchsichtige, mit feinen Härchen versehene... Ach du heilige Scheune! Sofort ergriff ich das glibbrige Getier, welches sich als Qualle entpuppte und warf es über die Reling zurück ins Meer. Zu hoffen blieb, dass sie nicht giftig war. Das Gegacker hinter mir, das wohl ein Lachen darstellen sollte, machte mir deutlich, wer der Übeltäter war und als ich mich umdrehte, erkannte ich, dass ich nicht das einzige Opfer war. Der Hohepriester aus Kou zeigte mit dem Finger auf mich und schien sich noch köstlich darüber zu amüsieren, wie mir die Qualle als Hut gestanden hatte. Meine Diagnose war eindeutig: Dem Kerl war langweilig. „Judar, ich glaube, du würdest einigen hier einen Gefallen tun, wenn du uns nicht eine Freundschaft mit den Lebewesen des Meeres aufzwingst.“ Das Lachen verstummte und Judar sah mich irritiert an. Warum auch immer. „Ich kann verstehen, dir ist langweilig. Gegen die Piraten zu kämpfen war spannender, ebenso jemanden gegen das Schicksal aufzuwiegeln, oder mich mit Birnen zu bewerfen, aber versteh bitte, einige der Leute hier haben eine anstrengende Zeit hinter sich. Sie wären dir also sehr verbunden, wenn du dich mal ein paar Stunden ausruhst.“ PLATSCH! „Nö, hab ich schon, Nebelkrähe!“ Ein Fisch landete in meinem Gesicht und zeigte, wie belehrbar ein gewisser Hohepriester aus Kou war. Oder eher wie gelangweilt. „Das reicht! Dir ist langweilig, in Ordnung, dann setz dich hin und ich erzähle dir eine Geschichte. Sie handelt von einem Gott, der nur Streiche im Kopf hatte und damit einiges an Chaos stiftete. Sein Name war, Loki.“ Ich verschränkte die Arme und sah zu Judar. Er schien nicht gerade überzeugt zu sein. Wieso auch? Aber gut. Ich war mir sicher, dass ihm die Geschichte Lokis gefallen würde. „Diese Geschichte, handelt von den nordischen Göttern meiner Heimat. Lokis Eltern waren aber keine Götter, oder Asen, wie man sie nannte. Sie waren sogar die Gegner eben jener. Riesen. Doch Loki verdiente sich dank seiner taktischen Klugheit, seiner perfiden und strategischen Pläne einen Platz und wurde selbst von Odin und Thor, den mächtigsten Asen, respektiert. Noch dazu hatte er sich den Asen durch eine Blutsbrüderschaft mit Odin angenähert, so dass er von ihm als Teil der Familien angenommen wurde.“ Ich konnte es kaum glauben, als ich sah wie Judar auf einmal ruhig wurde und meiner Erzählung lauschte. Wahrscheinlich identifizierte er sich mit Loki. Ein Grund mehr vorsichtig zu sein, was ich ihm erzählte. Nicht, dass ich ihn noch auf Ideen brachte, die es im Canon nicht gab.   Es blieb nicht nur bei der Geschichte Lokis. Genauso wenig blieb es bei Loki als Zuhörer. Einige wenige hatten sich hinter den Magi gesetzt, andere wiederum schienen so zu tun, als würden sie das Meer betrachten, doch wenn man sie genau beobachtete, konnte man Reaktionen auf das Erzählte erleben. „Loki nutzte aber den einzigen Schwachpunkt, den Baldr hatte. Beziehungsweise das einzige Geschöpf, welches nicht geschworen hatte ihm kein Leid zuzufügen. Eine Mistel. Klein und unscheinbar. Frigg hatte sie als unbedeutend gesehen, weswegen sie dieser Mistel keinen Schwur abgenommen hatte. Loki gab Baldrs blinden Bruder Höldur einen Mistelzweig und garantierte ihm den Sieg, wenn er diesen abschoss. Höldur zweifelte nicht und schoss den Zweig auf Baldr ab. Unfähig, diesen Angriff abzuwehren, wurde Baldr getroffen und sank tot zu Boden.“ Ich holte kurz etwas Luft, bevor ich die Geschichte Baldrs, zumindest die seines Lebens, beendete. „Wie jedem Asen wurde auch Baldr eine ehrwürdige Bestattung zuteil. Seine Frau folgte ihm noch am selben Tag, als der Hel, den Gott in seinen Untiefen, begrüßte.“ „Was ist mit Loki?“ Ich war verwundert, dass Judar die Geschichte scheinbar so gut gefallen hatte, dass er nun noch mehr wissen wollte. Wobei, eigentlich hätte es mich nicht wundern sollen, immerhin hatte Judar die Geschichte Lokis mit Freuden gehört. Kein Wunder, dass er also mehr über den Trickster wissen wollte. „Das, ehrenwerter Hohepriester, ist eine Geschichte, die ich euch später vielleicht erzählen werden. Vorausgesetzt, ihr seht davon ab, die Menschen hier mit Meeresgetier zu bewerfen.“ Ob man Judar noch erziehen konnte? Ich bezweifelte es. Doch die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt, auch wenn sie wohl schon bei dem Anblick des Hohepriesters hätte sterben müssen, der mir ein Grinsen schenkte als wollte er sagen: „Kann ich nicht garantieren, du wirst sie mir dennoch erzählen.“ Oh ja, ich würde sie ihm erzählen. Er wusste wahrscheinlich jetzt schon, welche Knöpfe er drücken musste, um mich um seinen Zauberstab zu wickeln. „Sind Sie die Geschichtenerzählerin Erenya?“ Verwundert wandte ich meinen Blick von Judar ab und sah zu einem Soldaten, der sich mir näherte. Woher wusste er, dass ich mich hier als Geschichtenerzählerin vorstellte? Zumindest seit ich in Balbadd diesen Beruf ergriffen und ihn als äußerst nützlich für mich gesehen hatte. „Uhm, ja. Hab ich was falsch gemacht?“ Ich befürchtete, dass meine kleine Unterhaltungseinlage an Bord doch nicht willkommen gewesen war, vielleicht sogar einige Krieger abgelenkt hatte, auch wenn ich mir selbst nicht soviel Talent zumutete, dass es wirklich noch das ein oder andere pflichtbewusste Ohr ablenkte. „Nein. Ii-sama möchte Sie sprechen. Folgen Sie mir.“ Zweifelnd sah ich zu dem Krieger und hob eine Augenbraue. Was wollte ein General von mir? Ich fürchtete um meine Freiheit. Erneut. Denn das letzte Mal, als mich der Verantwortliche eines Schiffes hatte sehen wollen, war ich zur Sklavin geworden. Alles in mir sträubte sich, dem Krieger zu folgen. Allerdings, was hatte ich für eine Wahl? Über Bord konnte ich unmöglich. Schwimmen war jetzt nicht gerade meine Stärke, außerdem bezweifelte ich, dass ich genug Kraft besaß, um es bis zur nächsten Insel zu schaffen. Noch dazu hatte ich ein verletzte Schulter. Wahrscheinlich bemerkte der Krieger mein Zögern, weswegen er sich zu mir umwandte und ein sanftes Lächeln seine harten, militärischen Züge erweichen ließ. „Keine Sorge, dieses Treffen wird Ihnen nicht zum Nachteil werden.“ Ein trockenes Lachen kam mir über die Lippen, ungewollt, denn er meinte das, was er sagte auch so. „Entschuldigen Sie, dass letzte Mal, als man mir das versicherte, wurde ich von einem überdimensionalen Kappa versklavt.“ Auch wenn es nur widerwillig war, ging ich mit. Ich hatte meinen Zauberstab, so schnell würde ich also nicht untergehen, egal was mich beim General erwartete.   Ich musste ein paar Mal blinzeln, als ich in der Kapitänskajüte mehr als nur zwei bekannte Gesichter erblickte. Auch wenn ich gestehen muss, dass Hinatas und Varius' Anwesenheit mich doch beruhigte. So schnell würde man mich wohl nicht wieder versklaven. Varius hätte das sicher nicht gefallen. Doch das dritte bekannte Gesicht, stand vor dem Schreibtisch. Gut, es war jetzt nicht direkt das Gesicht, welches ich erkannte, sondern viel mehr diese edle Kleidung, auch wenn sich die Schlinge, in der sein rechter Arm lag nicht gerade positiv einfügte. „Ihr?!“, entwich es mir, kaum, dass ich ihn gesehen hatte und erntete sofort den Ellenbogen Hinatas in meiner Kniekehle. „Nicht so respektlos. Knie endlich nieder!“, zischte sie mir zu. In meiner ganzen Aufregung, hatte ich nicht bemerkt, dass kurz nach meinem Eintreten Hinata und Varius auf die Knie gegangen war. Ehrfürchtig, als würden sie vor einem König knien. Da Sitten und Knigge hier sicher anders waren als in meiner Welt, entschied ich mich, selbst wenn ich nicht der Typ dafür war, auf die Knie zu gehen und diesem Mann den Respekt entgegen zu bringen, den ich nicht einmal verstand. „Erenya, dieser Mann, ist unser Retter. Hayato Ii-sama, General der westlichen Unterwerfungsarmee.“ Da ich nicht nur auf die Knie gegangen war, sondern auch meinen Kopf geneigt hatte, nur um ganz sicher zu gehen, respektvoll zu sein, sah ich vorsichtig auf, als Hinata mir den Mann vor uns vorstellte. Das war definitiv eine Figur, die ich nicht kannte, aber gut, mir hätte auch klar sein müssen, dass es unmöglich war, alle hohen Generäle in einem Fandom zu erwähnen, wenn sie für die Geschichte selbst eher eine so winzige Rolle spielten, dass sie nicht einmal eines Namens wert waren. Kouhas Schwestern, abgesehen von Kougyoku, waren diesem Prinzip ja auch zum Opfer gefallen. „Ii-sama, das ist Erenya. Sie war eine der Sklavinnen auf dem Schiff und kam neben der Hexe Daria näher an Saam heran, als ich selbst.“ Ich verzog das Gesicht, als ich hörte, wie mich Hinata vorstellte. Ich kam mit Sicherheit nicht so nahe an Saam heran wie Daria. Das bezweifelte ich aufrichtig. Allerdings war dem General nach unserer ersten Begegnung sicher klar, wie nahe ich dem Echsenmenschen gekommen war. Dennoch konnte ich nicht vermeiden eine gesunde Portion von Misstrauen ihm gegenüber zu haben. Die Tatsache, dass ich nun hier war, dass er mich am Piratenmarkt angesprochen hatte, das passte alles zu gut. Noch dazu waren auch die Aufzeichnungen verschwunden, die ich den Vormittag über gemacht hatte. „Deswegen seid ihr alle drei hier. Man sagte mir, dass ihr mit derselben Karawane gereist seid. Mich interessiert, was in Bitroun passiert ist.“ Betreten sah ich von Hayato weg und entdeckte hinter ihm, sehr abseits und leicht zu übersehen, einen Soldaten, der Papier in den Händen hielt und scheinbar darauf wartete, dass einer von uns mit seinem Bericht begann. „Viel kann ich nicht berichten. Ich war auf der Hauptstraße und wurde, abgesehen von Tiberius, von den anderen Mitgliedern getrennt. Die Piraten schienen es vor allem auf Frauen und Kinder abgesehen zu haben, oder auf... kostbare Sklaven.“ Ich merkte, wie Varius Unterton bitter wurde, als er das sagte. Vermutlich nagte Tiberius Tod doch schlimmer an ihm, als er zugeben wollte. Schicksal war also nur eine Ausrede, um es erträglich zu machen. In Wahrheit verfluchte er sich, dass er nichts hatte tun können, dass es Tiberius war, der gestorben war und nicht er. Es war sein persönliches Trauma und wer wusste schon, wie lange er noch daran knabbern musste? „Wir hatten keine Chance. Ohne ihre magischen Waffen, die Blitze schleuderten, wären wir vielleicht siegreich hervor gegangen.“ Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Piraten waren zahlreich gewesen und Tiberius und Varius mit einem Handicap. Zumindest konnte ich mir vorstellen, dass es nicht leicht war, Frauen und Kinder zu beschützen, während man sich selbst verteidigen und die Piraten zurückschlagen musste. „Dein Kamerad hat den Angriff nicht überlebt?“, fragte Hayato nach, scheinbar um sicher zu gehen, dass er Varius' Worte richtig verstanden hatte. Varius aber, wandte seinen Blick bitter ab. Antwort genug. „Bei mir sieht es leider nicht anders aus. Mein Herr und ich wurden von dem Angriff überrascht. Die Piraten versuchten uns bewusst in die Ecke zu drängen. Anders als Varius hatten wir aber das Glück, dass es keinen Piraten mit magischen Waffen gab. Ich konnte sie so daran hindern, meinen Herren anzugreifen, allerdings wurde ich von ihrer Überzahl überwältigt. Ich weiß daher nicht, ob mein Herr es lebend aus Bitroun geschafft hat, oder mein Freund Chen.“ Hinatas und Varius' Berichte schienen in dieser Hinsicht wirklich eher minimalistisch und ich fürchtete schon, dass es bei mir nicht anders aussehen würde. Fakt war, wir drei waren alle in diesen Angriff verwickelt worden und hatten Glück, diesen überlebt zu haben. „Erenya, was hast du zu berichten?“ Ich sah zu Hinata, die meine Pause scheinbar falsch gedeutet hatte. Dabei wollte ich mir nur bewusst werden, was ich erzählen konnte und was ich besser wegließ. „Zu aller erst... ich glaube Varius weiß es auch, aber auf unserem Weg nach Bitroun sind wir an einem Ort vorbei gekommen, an dem wir Leichen und zerstörte Wagen gefunden hatten. Hinatas Herr hatte damals schon Piraten vermutet und ich gehe davon aus, dass es dieselben wie in Bitroun waren. Sie hatten kleine Boote die aussahen wie die von den Wikingern-“ „Was sind Wikinger, Kleines?“ Oh verdammt, schon wieder verplappert. Warum musste das immer mir passieren? Ach richtig, ich war die Dumme aus der anderen Welt. Wie sollte ich nun erklären was Wikinger waren? „Ein Volk von Kriegern... Aus meiner Heimat. Zumindest aus der Geschichte meiner Heimat. Es gibt sie heute nicht mehr.“ Ich schüttelte den Kopf, denn das sollte ja nicht Teil meines Berichtes sein. Es war eher ein Vergleich, der hier hinkte, weil niemand von ihnen wusste, was Wikingerboote waren. Verdammt. „Wie dem auch sei. Es schien, dass Hinatas Herr Recht hatte. Noch dazu hatten die Piraten, die den Hafen angriffen, magische Waffen, eine Feststellung, die sich mit Aussagen von Reisenden aus Karawansereien überschnitt. Ich war mit Cassius, dem Reiseführer unserer Karawane am Hafen, als sie angriffen. Allerdings sind wir nicht über die Hauptstraße geflohen, sondern erst in die Nebengassen und dann über die Dächer. Von dort konnten wir einiges an Schlachten sehen. Magische Angriffe und ich schwöre, einige davon kamen nicht nur von den Piraten. Unsere Flucht war aber nicht sonderlich erfolgreich, denn wir wurden entdeckt und mussten von den Dächern. Wir schlugen uns bis zu Marktplatz vor, wo uns Ikram erwartet hatte. Zumindest schien es so. Sie war nicht alleine und wir wurden in eine Auseinandersetzung mit ihr verwickelt. Cassius kämpfte gegen sie, wohingegen ich mit ihren Männern zu kämpfen hatte. Dank einer Magierin, Cassandra, habe ich es irgendwie geschafft, mich einigermaßen wacker zu schlagen. Doch...“ Ich hielt inne und dachte noch einmal über den Kampf nach. Ich hatte vielleicht keine Probleme. Anders sah es bei jemand anderen aus. „Der Kampf war seltsam. Nicht der, den ich führte, sondern der von Cassius. Auch wenn ich nicht viel bemerkt habe, aber etwas stimmte nicht. Ich bin in Sachen bewaffneten Kampf nicht sonderlich bewandert, aber Cassius hätte keine Probleme haben dürfen. Ikram war ihm in Sachen Geschwindigkeit unterlegen. Und als ich sah, wie sein Schwert auf ihren Säbel aufkam... nun, ich will nicht sagen das er aufkam. Es schien eher, als wurde der Schlag umgelenkt. Ebenso Cassius Bewegungen, sie waren nicht das, was ich gesehen habe, als er gegen andere Piraten kämpfte. Ich kann es wirklich schwer beschreiben, weil ich nur kurz hinsah. Ich hatte immerhin mit meinen eigenen Dämonen zu kämpfen. Piraten meine ich. Die Magierin, die uns zu Hilfe geeilt war, konnte noch fliehen, allerdings sah es nicht so gut für Cassius und mich aus. Ikram hatte ihn besiegt und drohte damit, ihn umzubringen, wenn ich nicht kapitulierte. Ich wusste nicht, inwieweit sie das tun würde, entschied mich aber, es besser nicht zu riskieren. Das war das letzte Mal, dass ich Ikram sah. Wir wurden von ihren Männer, darunter Sarim und Ruriel, gefesselt und zum Schiff gebracht, wo wir Saam trafen. Cassius riss sich von seinen Fesseln los und griff Saam an. Dafür wurde er über Bord geschickt. Das ist auch schon alles, was ich erzählen kann. Abgesehen von... Ich glaube, einen General Sindrias in Bitroun gesehen zu haben. Allerdings bin ich mir nicht sicher. Mehr als eine Silhouette und Schatten habe ich nie gesehen. Ich bin ihm vom Gasthof aus gefolgt, aber habe seine Spur verloren. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingeredet.“ „Ihr müsst wissen, Erenya wollte nach Aza, um von dort nach Sindria zu reisen. Sie war in Balbadd in ein paar unglücklich Ereignisse verwickelt.“ „Hinata!“ Entsetzt sah ich sie an, als sie so frei ausplauderte, was mein Ziel war und vor allem warum. Es war nun nichts, womit ich weiter hausieren gehen wollte. Was hatte es schon Hayato zu interessieren, was mir in Balbadd widerfahren war? „Das hat alles nichts mit der Sache zu tun.“ „Mach dir doch keine Sorgen. Wenn Ii-sama davon weiß, kann er dir vielleicht helfen.“ Ich seufzte und schüttelte den Kopf, denn gerade war das, was ich brauchte nicht wirklich Hilfe. Sondern eher ein Ziel. Ich wusste nach drei Monaten nicht einmal mehr, ob ich noch nach Sindria wollte, oder warum ich danach gestrebt hatte, die Spaßinsel zu besuchen. Dafür brauchte ich erst einmal etwas Ruhe, um meine Gedanken zu ordnen, mich neu zu sammeln und zu fokussieren. „Könnt ihr mir von eurer Reise mit den Piraten erzählen? Wie ist sie verlaufen? Gab es irgendwelche ungewöhnlichen Dinge, die euch vielleicht aufgefallen sind?“ Ungewöhnlich? Das war wohl einiges. Oder eher weniges. Ich wusste nicht, was es hier zu erzählen gab, weswegen ich erneut Varius und Hinata den Vortritt ließ. „Ich saß drei Monate in einer Einzelzelle. Viel habe ich nicht gehört. Die Piraten haben vermieden mit mir zu reden. Es kam meist auch nur einer, der mir Essen brachte und es mit großen Sicherheitsabstand abstellte.“ Irgendwie hatte ich mir das gerade bei Varius schon gedacht. Ich hatte ihn ja nie gesehen, obwohl ich ihm so nahe gewesen war. Eine Tatsache, die ich irgendwie bereute, obwohl mein Verstand mir sagte, dass ich nichts dafür konnte. Ich hätte nichts tun können, außer mein Leben zu verlieren. „Ich muss gestehen, ich habe auf nicht viel geachtet. Sarim hatte mich immer stark im Blick. Cybele hat mir damals noch geholfen, wenn er wieder einen seiner Momente hatte, in denen er mich zur Weißglut treiben wollte. Die Piraten waren vorsichtig mit uns Sklaven. Besonders mit Erenya und mir. Sarim war mein persönlicher Wachhund und Ruriel Erenyas. Allerdings hat Ruriel sich geschickter angestellt und noch ein paar andere Piraten eingeweiht. Er war häufiger mit Saam zusammen, trainierte die Anderen und brachte damit Sarim auf die Palme. Zwischen den Beiden gab es wohl irgendeine Art Rivalität, allerdings war die eher einseitiger Natur. Die Grausamkeit dieser Männer zeigte sich, als Cybele versuchte zu fliehen. Sie hatte mir davon erzählt und Daria. Ihr Plan bestand darin, verkleidet als Pirat auf der nächsten Insel zu fliehen. Sie hatte aus vollkommen zerstörten Sachen der Piraten irgendwie ein ähnliches Outfit erstellt. Dieses hatte sie unter ihrer gewöhnlichen Kleidung getragen. Es war absolut nicht aufgefallen. Sie hätte es definitiv geschafft, aber Daria hat von dem Plan erzählt und Ruriel hat sie erwischt. Saam hat sie nach der Abfahrt, auf offener See, gefoltert. Ihre Schreie hallten selbst durch das Holz. Mir haben sie hinterher befohlen, den Raum zu säubern...“ Entsetzt sah ich zu Hinata, denn das war eine Geschichte, die ich nicht kannte. Von der sie auch nicht gesprochen hatte. Ich hätte das unmöglich gekonnt, es hätte mich wahrscheinlich gebrochen. Endgültig. Sie hatte wahrscheinlich all die Qualen gesehen, die Cybele in ihren letzten Stunden hatte ertragen müssen. Qualen, die ich mir wahrscheinlich nur vorstellen konnte und vielleicht nicht einmal das. „Viel habe ich danach nicht mehr mitbekommen. Abgesehen von Daria. Nachdem Cybele nicht mehr war, bekam sie etwas mehr zu Essen. Kleinigkeiten wie Äpfel, die man ihr zuspielte, wenn wir an Land waren um die Vorräte aufzufüllen, oder man bestrafte ihre kleinen Fehler nicht so schlimm, wie die der Anderen. Sie hat sich bei den Piraten definitiv eine Sonderposition erarbeitet, indem sie alle anderen verpetzt und verraten hat. Sie wussten immer, wenn ich was plante oder jemand anderes.“ Es war bitter, das auch noch von Hinata zu hören. Dank Ruriel hatte ich ja die Gewissheit bekommen, aber nun noch mehr Fakten zu hören fühlte sich noch mehr nach Verrat an. Die Daria, die ich kennengelernt hatte und die, von der Hinata sprach, schienen zwei verschiedene Personen zu sein. Und dennoch, irgendetwas in mir hatte es die ganze Zeit geahnt. Glücklicherweise, denn sonst, wäre mein Überraschungspaket nicht so ein bombiger Erfolg gewesen. „Eins fällt mir gerade ein... Die Rivalität zwischen Sarim und Ruriel... ich hab einmal ein Gespräch gehört. Sarim erklärte, dass er nicht erlauben würde, dass Ruriel als nächstes die Ehre zustände.“ Das was Hinata erzählte, klang doch schon ereignisreicher, als das, was ich erzählen konnte. Oder viel eher interessanter. Alles, was ich wusste, hatte ich von den Piraten gehört und auch nur, weil ich ihnen häufiger Geschichten erzählte und sie währenddessen getrunken oder geraucht hatten. „Im Gegensatz zu Hinata, habe ich da eher weniger zu berichten. Ich habe versucht mich bedeckt zu halten. Allerdings erinnere ich mich daran, dass die Reise nicht immer ganz ruhig war. Es war eines Abend, wir fuhren durch einen Sturm. Saam war an Deck, gab Befehle, eigentlich nichts ungewöhnliches, will ich meinen. Der Grund, warum mir der Abend in Erinnerung blieb, liegt eher darin, dass der Sturm das Schiff zu sehr verschonte. Es schien fast so, als hätte er das Schiff gemieden oder wäre gelenkt worden. An sich war unsere Reise dahingehend sehr begünstigend. Selbst an Tagen, an denen es kaum Wind gab, hatten wir immer Fahrt. Sonst habe ich die Fahrt über nur Geschichten gehört. Von den Piraten, ihrem Leben davor und so weiter. Eine Gemeinsamkeit gab es bei ihnen. Ikram, die Frau, die ich seit Bitroun nicht mehr gesehen hatte. Keine Ahnung, wo sie gerade ist oder sich aufgehalten hat. Analytisch gesehen, hatte ich das Gefühl, dass sie den Piraten wichtig war. Die Prinzessin unter ihnen sozusagen.“ Ich holte Luft und dachte nach. Die Situation mit Cybele hatte Hinata bereits erzählt. Mehr als meine Beobachtungen konnte ich auch nicht berichten. Kein Wunder, ich hatte mir auch mehr Gedanken darüber gemacht, wie man fliehen konnte. „Ich hatte kurzzeitig versucht, eine der magischen Waffen zu Gesicht zu bekommen, um herauszufinden, woher sie die hatten. Leider haben sie die gut verschlossen gehalten und nicht einmal im Traum daran gedacht, mich oder andere Sklaven in die Nähe des Raumes zu lassen. Sonst hatten wir kaum Räume, in die wir nicht konnten. Die meisten waren allerdings sowieso mit unseren Aufgabenbereich verbunden. Das ist so ziemlich das, was ich berichten kann.“ Ich überlegte noch einmal kurz, ob ich irgendwelche Ergänzungen hatte, aber da war nichts. Sicherlich interessierte Hayato sich nicht für die tragische Geschichte Ruriels, weswegen ich es vermied, diese zu rezitieren. Bis auf das, was Hinata und ich bereits erzählt hatten, war mir nichts in Erinnerung geblieben. „Danke, für eure Berichte. Eine letzte Frage, wisst ihr, zu welchem Königsgefäß der Kapitän des Schiffes gehört?“ Ich horchte auf. Gehören? Hatte er da gerade im Präsens gesprochen? Bedeutete das... Nein, ich wollte gar nicht daran denken, denn schon der Gedanke ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. „Niemanden, der an Bord war, sonst wäre es wohl nicht Saam gewesen, der als Kapitän die volle Befehlsgewalt hatte.“ Hinatas Antwort klang logisch. Ein Königsgefäß hätte sich sicher nicht einmal zur Tarnung runter gestuft. Und wenn, es wäre aufgefallen. Irgendwie. Interessant daran war nur, dass ich mir selbst diese Frage gestellt hatte. Wer war das Königsgefäß? „Ikram...“, flüsterte ich leise. Ich hatte oft genug über diese Frage nachgedacht und wenn Saam jetzt nicht gerade ein Überbleibsel von Barbarossa war, dann deuteten alle Fakten auf die Prinzessin. „Die Frau, die den Leiter eurer Karawane besiegt hat?“, fragte Hayato noch einmal und machte mir damit bewusst, dass mein Flüstern dennoch gut genug hörbar war. „Ja. Mal davon abgesehen, dass alle Piraten eine sehr hohe Meinung von ihr hatten. Frauen waren ebenfalls nicht vertreten unter ihnen, abgesehen von den Gefangenen und uns. Und da ist noch etwas... Ihre Waffe. Ein normaler Säbel, wie der der anderen Piraten. Ein Dshinn wählt doch einen x-beliebigen Gegenstand für ein Gefäß. Solange der Besitzer etwas damit verbindet. Die meisten Königsgefäße haben eine Waffe als Gefäß für ihren Dshinn. Sinbad, Kouha Ren, Muu Alexius, Barbarossa... Wenn also Ikram das Königsgefäß ist, dann... ist es ihr Säbel und das würde auch erklären, warum Cassius trotz aller körperlichen Vorteile verloren hat. Allerdings habe ich keine Beweise dafür. Ich habe ihren Säbel nicht genau gesehen und kann daher auch nicht sagen ob es wirklich so ist.“ „Woher weißt du, dass Kouha Ren-samas Metallgefäß eine Waffe ist?“ Verdammt schon wieder verplappert und das vor Hinata. Schlimmer hätte es nicht kommen können. „Uhm... uh...“ Das Schlimmste war wohl, dass mir einfach keine Ausrede einfiel. „Gehört das nicht zum Allgemeinwissen? Weibliche Intuition?“ Ich seufzte leise. „Ich erklär das später, Hinata, okay? Wir haben denke ich gerade andere Sorgen?“ Hoffnungsvoll, dass er uns wenigstens sagen würde, warum er uns solche Fragen stellte. Noch dazu wollte ich Hinata so von meinem Wissen ablenken. Denn scheinbar sollte es kein Allgemeinwissen sein. Da ich aber Kouha live und in Action gesehen hatte, war es nicht mehr verwunderlich. „Jemand hat den zwölften Dungeon, Sitri, erobert. Er stand in Bitroun.“ Vielleicht hätte ich etwas nervöser sein sollen über diese Nachricht, die Hayato offenbarte. Vielleicht hätte mein erster Gedanke nicht der Schatzsucherin gelten sollen, die es geahnt hatte. Vielleicht hätte ich einfach nur Hinata imitieren sollen, die entsetzt über diese Nachricht war, doch ich sah einfach nur zu Hayato. Vollkommen ruhig, als würde es nichts mehr geben, was mich schockierte. Vielleicht war ich nur zu geschockt um zu realisieren, was die Worte Hayatos wirklich bedeuteten. „Hm... scheint mir der perfekte Tag zum Trinken zu sein. Könnte ich meine zwei Flaschen mit dem Alkohol zurückbekommen?“ Kapitel 24: Orientierung ------------------------ Während Varius sich schwer damit tat, ein Lachen zu verbergen, spürte ich, wie Hinata mich entsetzt ansah, als mein Blick todernst auf Hayato ruhte. Ich hatte es ernst damit gemeint, dass ich meinen Alkohol gerne wieder hätte. „Ich garantiere ich zündel nicht und teile ihn mit niemanden, abgesehen von Varius.“ „Ich bitte darum, vor allem nicht mit... dem Hohepriester.“ „Judar? Kein Problem.“ „Erenya, woher kennst du den Namen des ehrenwerten Hohepriesters?“ „Huh? Ist das echt kein Allgemeinwissen? Oh man... Wie dem auch sei, ich teile nur mit Varius.“ Ich verfluchte innerlich, dass es für mich im Prinzip zum Allgemeinwissen gehörte, die Namen diverser Persönlichkeiten zu kennen. Dass ich mich damit irrte, hätte man mir mal früher sagen können, bevor ich anfing, klug zu sein. Im dumm stellen war ich immerhin richtig gut. „Ich werde sehen, was sich tun lässt. Wir stehen in eurer Schuld. Es ist eine Schande, dass Piraten einen Markt wie diesen auf dem Territorium des Reiches abhalten konnten. Aus diesem Grund werden wir in Nantou vorerst für eure Versorgung und die der übrigen Befreiten aufkommen. Ihr seid in Kou willkommen. Es steht euch frei, euch in Nantou niederzulassen oder der Armee anzuschließen.“ Meine Nase rümpfte sich unwillkürlich bei dem Vorschlag Hayatos. Es war ja schön zu wissen, dass ich mir in Nantou erst einmal keine Sorgen um ein Dach über den Kopf machen musste, allerdings war der Armee beizutreten nicht gerade eines der Dinge, die ich wollte. Wäre meine Entschlossenheit für die Reise nach Sindria noch da, hätte ich wohl ohne zu zögern abgelehnt, aber diese Entschlossenheit war innerhalb von drei Monate gebröckelt wie der Putz von alten Hauswänden. Anders als Hinata und Varius hatte ich eben kein Ziel. Varius würde sicher nach Cassius und den Anderen suchen und Hinata wollte sicher irgendwie in Erfahrung bringen, ob Chen noch lebte. Und ich... stand genau da, wo ich bei Ankunft in dieser Welt gestanden hatte. Mittellos und innerlich verzweifelt. „Ihr dürft gehen. Überlegt euch gut, was ihr tut.“ Gut überlegen, das würde ich definitiv. Was wollte ich tun? Was wollte ich nicht tun? Wohin sollte mein Weg mich führen? Das waren alles Fragen über die ich unbedingt nachdenken musste. „Wir danken Euch, für eure Hilfe, Ii-sama“, erklärte Hinata, bevor sie sich wieder erhob, was ich ihr gleichtat, und sie das Zimmer verließ. Ich spürte, wie Varius sich hinter mir einreihte, so als hätten beide einen geheimen Plan gefasst, den sie, kaum dass die Tür hinter Varius geschlossen wurde, verwirklichten, denn ich spürte plötzlich Varius' Hände, behutsam, auf meinen Schultern. Er machte mir dennoch deutlich, dass eine Flucht unmöglich war. „Okay, Erenya, Zeit endlich alles zu sagen! Komm mit.“ Mir rutschte bei diesen Worten das Herz in die Hose. Hinatas Worte klangen so ernst und als ich aufsah konnte ich denselben Ernst in Varius' Blick erkennen. Irgendetwas schien ich gesagt zu haben, abgesehen davon, dass ich Judars Namen wusste oder was für ein Metallgefäß Kouha besaß, dass die beiden misstrauisch gemacht hatte. Wenn dem so war, hatte ich höchstwahrscheinlich auch das Misstrauen des Generals geweckt. Verdammt. Weder Varius noch Hinata ließen mir eine Wahl und schoben mich zu einer Stelle, an der sie sich mit mir zusammen unbeobachtet fühlten. Weglaufen war sinnlos, ich hatte wohl wirklich keinerlei Optionen mehr zu fliehen. „Also schön, Erenya. Woher weißt du, dass Ren Kouha-sama, ein Metallgefäß hat? Und nein, komm mir nicht mit Allgemeinwissen! Denn selbst mir ist neu, dass er eines hat und du konntest einwandfrei klassifizieren, dass es eine Waffe ist. Wie ist das möglich?“ Ich seufzte. Warum nur hatte ich mich verplappert? Bisher hatte es doch so gut geklappt, meine Freundschaft, wenn man das wirklich so bezeichnen konnte, zu Kouha zu verheimlichen. Doch nun... Musste ich die Karten offen legen. „Erinnerst du dich, an die Geschichte mit meinem Freund aus Kou? Der, dem ich in Balbadd begegnet bin?“ Eigentlich hätte das schon alles sagen müssen, doch Hinata sah mich zweifelnd an. Vielleicht glaubte sie, dass dieser Freund mir alles erzählt hatte. „Ja, der dich bat, ihn zu seinem Hotel zu begleiten.“ Ich sah etwas verlegen weg. Es war schon schwierig genug sich selbst bewusst zu machen, dass man sich gut mit Kouha verstand. Eigentlich war es ein Ding der Unmöglichkeit und ich verstand bis heute nicht, warum er mich angesprochen hatte, aber im Endeffekt war ich froh darüber. „Der Name meines Freundes ist... Kouha Ren.“ Hinatas schien so überrascht, dass sie erst einmal nach Luft schnappte. Fangirl eben. Das machte dieses klärende Gespräch nicht weniger unangenehm. Im Gegenteil. „Du und Ren Kouha-sama... Wieso?“ „Gute Frage. Es kam eines zum Anderen. Wir hatten an dem Abend hohen Besuch im Freudenhaus. Ich habe eine Geschichte erzählt und danach wie gewohnt in der Küche ausgeholfen. Als ich nach Hause wollte, und das habe ich dir bereits gesagt, sprach mich Kouha an. Er bat mich, ihn zu begleiten und eigentlich wollte ich ja nicht. Ich meine... ich bin nicht so ein Mädchen. Ich habe ihm ja angeboten, dass ich eines der anderen Mädchen frage, aber er bestand darauf von mir begleitet zu werden. Naja und... da ich ihm letzten Endes nichts abschlagen konnte... bin ich mit ihm gegangen. Ich hab ihm noch ein paar Geschichten erzählt, er hat mir ein Lied vorgesungen-“ „Ren Kouha-sama hat für dich gesungen?“ Hinata war definitiv ein Fangirl, das gerade in Schnappatmung verfiel. Scheinbar unterschätzte ich das Glück, das ich hatte, Kouha so nahe gewesen sein zu dürfen. „Richtig. Ein tragisches Lied über Tauben und einen Bratenspieß. Er hat eine echt schöne Stimme. So klar und sanft. Aber doch so furchtlos. Sie unterstreicht seinen Charakter.“ „Du hast Ren Kouha-sama singen hören. Wie ich dich beneide.“ „Hinata, hol Luft. Ich würde gerne wissen, wie diese Geschichte weitergeht“, erklärte Varius, der mit einem Schmunzeln zu Hinata sah. „Richtig. Der Kampf am Hotel“, antwortete sie und schien nun gewillt zu sein, von jeder Bewegung Kouhas zu erfahren. „Genau. Wir kamen am Hotel an und bemerkten den Nebel, der unheimlich war. Da ich im Freudenhaus Gerüchte über den Nebel gehört hatte, versuchte ich Kouha irgendwie da rauszuhalten. Allerdings schien er es nicht gerne zu sehen, wenn Fremde seinen Abend ruinierten. Da ich ihn schlecht bevormunden konnte, gab ich ihm meinen Dolch, damit er sich wenigstens verteidigen konnte.“ „Ren Kouha-sama hat deinen Dolch gehalten. Warum hast du das nicht eher gesagt? Wobei... Erenya, gib mir deine Hand!“ „Hinata, ehrlich das ist gruselig. Und vor allem klingt das bei dir so zweideutig.“ Ich errötete und tat alles, um meine Hand von Hinata fernzuhalten. Sie war ein schlimmeres Fangirl als ich. Selbst ich wusch mir die Hände, nachdem ich die meines Lieblingsmusikers gehalten hatte. „Jedenfalls, während des Kampfes, kam ich auf die glorreiche Idee, zwei von Kouhas Leuten helfen zu wollen und wurde in einer Illusion gefangen. Erst durch einen von Kouhas Kriegern konnte ich mich daraus befreien, da war der Kampf bereits in vollem Gange. Und Kouha schwang sein Nyoi Rentou, sein Metallgefäß. Es war unglaublich. Er konnte die Größe seiner Waffe verändern und konnte so fast alleine gegen die Nebelbande ankommen.“ Ich weiß nicht, ob ich vielleicht zu sehr von Kouha schwärmte. Ich meine, er war unglaublich. Und auch noch so stark. Wenn auch ein kleines bisschen psychopathisch. Als Freundin konnte ich gut darüber hinwegsehen. „Und wie kam es dann zu der Verletzung an deiner linken Schulter?“ Eigentlich war das eine der Fragen, die ich gefürchtet hatte, aber in der Tat, sie musste wohl gestellt werden, denn noch schien nichts danach zu schreien, dass ich es mir mit Kassim oder sonst wem verscherzt hatte. „Ganz blöde Sache. Der Anführer der Nebelbande, Kassim, war kurz davor von Kouha niedergerungen zu werden. Mit einem Schlag. Da ich allerdings noch eine Lebensschuld bei Kassim abzuzahlen hatte, warf ich mich dazwischen. Ich hatte Glück, dass Kouha rechtzeitig seine Waffe schrumpfen ließ, sonst wäre der linke Arm, und vielleicht noch mehr von mir, ab.“ Ich hörte ein Klatschen, welches von Hinata ausging. Ich wusste, was sie dachte, und ehrlich, ich hätte doch dasselbe gedacht. „Wie kannst du...? Och, Kleines... Man wirft sich nicht zwischen ein Königsgefäß und einem wahnsinnigen Rebellen. Hat man dir das in deiner Heimat nicht beigebracht?“ Varius sprach aus, was Hinata dachte. Alles andere hätte mich ja gewundert. „Es ging ja gut aus. Ich meine, letzten Endes trat die Nebelbande den Rückzug an. Kouhas Leute haben überlebt, Kouha hat überlebt und wie du siehst, ich auch. Das ist doch alles was man wissen muss.“ „Moment... Du hast danach ja im selben Hotel geschlafen, etwa auch im...“ „HINATA! Verdammt, nein! Das wäre doch echt zu viel gewesen.“ „Aber du hast ihn zum Hotel begleitet...“ „Hinata, ich sagte doch, ich bin nicht so ein Mädchen. Ich wäre danach gleich nach Hause gegangen.“ „Abgeneigt wärst du aber nicht gewesen, richtig?“ Einen kurzen Moment fragte ich mich, was für ein Film hier gerade lief. Und wieso ich so rot wurde. Aber gut, verlegen wurde ich ja schnell. „Wir reden hier von Kouha. Er ist ein Prinz und ich nur eine Geschichtenerzählerin, außerdem hatte ich ihn gerade kennengelernt und sicher, er ist charmant und niedlich und es fällt mir schwer ihm was abzuschlagen, aber...“ „Du wirst rot.“ „Varius, nicht du auch noch... könnten wir bitte wieder zum Thema kommen?“ Ich versuchte meine Verlegenheit so gut es ging zu verbergen. Ich meine, was malten die Beiden sich hier aus? Dass ich Gefühle für Kouha entwickelt hatte. Gut, freundschaftliche Gefühle ganz klar. Und ich bewunderte und respektierte ihn und ich mochte ihn ja auch, aber mehr... Ich war doch viel älter als Kouha, gefühlte hundert Jahre. Warum musste das alles plötzlich so kompliziert werden? „Ich habe in einem anderen Zimmer übernachtet. Habe am nächsten Morgen mit Kouhas Gefolge gegessen und danach Kouha getroffen und ihm von meiner Herkunft erzählt. Er erklärte mir, dass die Person, die mich in dieses Land gebracht hat, vielleicht in Verbindung zu anderen Leuten in Kou stehen könnte. Er hat mich damit indirekt eingeladen, ihn nach Kou zurückzubegleiten, aber wie ihr sicher wisst, habe ich mich dagegen entschieden. Das ist im Prinzip die ganze Geschichte und auch der Grund, warum ich weiß, was für ein Metallgefäß Kouha hat.“ „Na schön, dass ist dann geklärt, auch wenn ich dich wirklich dafür beneide. Du warst Ren Kouha-sama so nahe und er bot dir an mit ihm zu reisen... Warum hast du abgelehnt?“ „Ich bin nicht der Mensch, der seinen Freunden gerne zur Last fällt. Und so gesehen hatte Kouha zu diesem Zeitpunkt schon mehr als genug für mich getan. Mehr konnte ich da nicht verlangen.“ Beide seufzten im Chor. Augenscheinlich hatte ich wieder etwas Dummes getan, aus deren Sicht. Aber ich war mir sicher, dass es nicht falsch war, Freundschaftsdienste nicht überzustrapazieren zu wollen. „Also gut... Du bleibst du, selbst wenn ein Prinz dich bei sich haben will. Oh man, dass nächste Mal wenn dich eine Obrigkeit indirekt fragt, sag JA!“ Liebevoll strich mir Varius über den Kopf. Wahrscheinlich lief das wirklich so in dieser Welt, aber ich würde mich wohl niemals an so etwas gewöhnen können. „Aber noch eine Frage, wer ist dieser Muu Alexius?“ Bei Hinatas Frage, wich mir so ziemlich alle Farbe aus dem Gesicht. War das hier echt kein Allgemeinwissen? Hatte ich mich noch schlimmer verplappert, als nur mit der Sache mit Kouha? „Muu Alexius. Der Bezwinger von Barbatos und Anführer des Fanalis Corp. Kennt man ihn nicht?“ Fragend sah ich zu Varius auf, der nur grinste. „Nicht überall. Aber ja, Muu Alexius ist der Bezwinger von Barbatos. Und der Anführer des Fanalis Corps. Wirklich interessant, dass du das weißt, Kleines. Vor allem was sein Metallgefäß ist.“ „Uhm... In meiner Heimat...“, fing ich an, hoffend, dass diese Ausrede noch etwas ziehen würde. Doch anhand von Varius und Hinatas Gesichtern konnte ich sehen, dass diese sie nicht mehr befriedigte oder beruhigte. „Deine Heimat, die keiner erreichen kann... Woher wisst ihr von den Fanalis? Oder von diesem Muu Alexius? Wer hat euch das erzählt? Du sagst, es gibt keine Magie bei euch und doch, kannst du zaubern... Es gibt einfach zu viele Dinge, die diese unerreichbare Heimat unglaubwürdig machen. Selbst wenn es ein weit entferntes Land ist, die Regeln sollten immer noch dieselben sein, wie für alle anderen Menschen dieser Welt.“ Ich seufzte. Wahrscheinlich hatte ich mich zu sehr in Ausreden verstrickt. Mein Fandomwissen war mir im Endeffekt zum Verhängnis geworden. Und noch mehr Lügen konnte ich nicht erzählen. Vielleicht, war es auch gut so. Ich holte tief Luft und überlegte, was ich sagen sollte, doch letzten Endes, entschied ich mich für die Wahrheit. „Es ist halb wahr. Meine Heimat kann keiner erreichen und ich weiß daher nicht, wie ich hier her kam. Aber in meiner Heimat, kennt man diese Welt. Die Wahrheit ist... Ich komme aus einer anderen Welt.“   **~~**   Nachdem ich Hinata und Varius fast die ganze Wahrheit über mich erzählt hatte, war die Zeit des Abendessens gekommen. Wirklichen Hunger hatte ich nun nicht mehr, da die Stimmung zwischen Hinata, Varius und mir doch eher bedrückter wurde. Kein Wunder, die Bombe, die ich hatte platzen lassen, lag fernab dessen, was sie vielleicht in Wahrheit erwartet hatten. Dennoch, sie sagten nichts, als ich mich neben sie setzte und ein paar Bissen von dem Abendessen nahm. Es war keine gute Stimmung, weswegen ich mich schnell von den Anderen trennte, um zurück an Deck zu gehen. Es gab da Dinge, über die ich mir erst einmal klar werden musste und dazu brauchte ich ein wenig Ruhe. Erneut. Es fühlte sich an, als wollte ich vor Hinata und Varius fliehen. Vielleicht war das auch gerade der Fall. An Deck achtete ich darauf, dass ich wirklich ungestört war. Erneut sollte der Magi mich nicht mit Quallen bewerfen, oder mit Fisch. Es ging darum, dass ich kurz Zeit bekam, über Hayatos Angebot nachzudenken. Ich wusste, dass es für mich auf alle Fälle nicht in Frage kam, der Armee beizutreten. Noch dazu war ich nicht für so etwas gemacht. So etwas sollte ein General wie Hayato wissen. Ich ging daher davon aus, dass dieses Angebot eher für Varius oder Hinata galt. Allerdings wollte ich auch nicht in Nantou bleiben. Etwas in mir sagte mir mit Gewissheit, dass dies nicht das Ziel war. Und diese Gewissheit, hinterließ ein reißendes Loch der Zweifel. Noch vor drei Monaten hatte ich geglaubt, dass Sindria mein Ziel sein sollte. Mittlerweile bröckelte selbst diese Entschlossenheit. Nicht, das ich nicht schon vorher hin und wieder gezweifelt hätte. Aber selbst da hatte ich noch genug Entschlossenheit aufbringen können, dass es sich richtig anfühlte. Selbst als ich geglaubt hatte Spartos zu sehen, war ich mir sicher gewesen, doch nun, nach drei Monaten, war da nichts mehr. Es fühlte sich an, als wäre ich wieder an der Stelle, an der ich zu Beginn in Balbadd gestanden hatte. „Mann, Ugo... warum konntest du mir nicht wenigstens sagen, was ich hier soll? Ich wollte doch nur nach Hause.“ Seufzend rieb ich mir den Kopf. Die Frage, was ich hier sollte, war berechtigt. Oder warum ich überhaupt bei Ugo gelandet war. Während der Reise mit den Piraten waren da diverse Erinnerungen zurückgekommen. Ugo, der Ort, an dem ich mich befunden hatte... Von dort aus hatte Aladdins Reise begonnen. Irgendetwas nagte an mir, dass ich dort gewesen war. An dem Ort, der wohl eigentlich nur für Magis bestimmt war? So sicher war ich mir da nicht. In einigen Punkten war ich wirklich nicht Fandomsicher. Ebenso, was das schwarze Rukh anging. Ich fühlte mich nicht verdorben oder korrumpiert oder wie auch immer man „depravity“ übersetzen wollte. Ich hasste mein Schicksal jetzt nicht mehr als gewöhnlich und war auch nicht gewillt, diese Welt komplett ins Chaos zu stürzen. Es machte daher keinen Sinn, auch wenn der Fanfiction-Autor in mir immer noch an der Theorie hing, dass die schwarzen Rukh ein Zeichen dafür war, dass ich die Macht hatte, das Schicksal zu ändern. Sicher, mit meinem Fandomwissen hätte ich das gekonnt. Allerdings... „Es hätte doch jeder Andere sein können. Vielleicht wäre jemand ohne Fandomwissen sogar besser gewesen.“ Das war der einzige Entschluss, den ich noch festhalten konnte. Wer auch immer mich hierher geschickt hatte, oder eher zu Ugo, hatte sich bei mir geirrt. Ich war nicht in der Lage mehr Gutes zu tun und ich würde mich davor hüten, diverse Schicksale zu verhindern. Allerdings, wenn das so weiter ging, zweifelte ich daran, dass ich es nicht schon getan hatte. Viele der Menschen, die mir begegnet waren, waren mir vollkommen Fandomfremd. Es hatte sie so gesehen nie gegeben und doch war ich nun bei ihnen. Vielleicht hatte ich schon ein Leben gerettet, dass ein anderes, Wichtiges schützen würde, obwohl es vergehen musste. „Verdammter Schmetterlingseffekt.“ Es hätte mir wirklich sehr geholfen, wenn ich ein Zeichen erhalten hätte, was ich tun sollte, was man von mir erwartete, oder was Ugo sich dabei gedacht hatte. Nur ein kleiner Hinweis hätte mir vielleicht geholfen, nun zu entscheiden, ob Sindria immer noch der nächste Schritt war oder ob ich nicht doch einen anderen Weg einschlagen sollte. Es war zum Mäuse melken. Ich wusste zwar, was ich wahrscheinlich nicht sollte, oder was ich selbst nicht wollte, ich wusste aber nicht, was meine Bestimmung war. „Als wäre ich wirklich ein Mensch dieser Welt...“, dachte ich bitter. Denn abgesehen von den Fandomevents, wusste ich, wie die Menschen dieser Welt, nicht, was mich erwartete. Insofern blieb sich diese Welt wenigstens treu und auch noch verdammt gerecht. „Geschichtenerzählerin?“ Ich zuckte zusammen, als ich die Stimme eines Mannes hinter mir hörte. Dennoch drehte ich mich um und sah in das schwach beleuchtete Gesicht eines Kriegers, der mir zwei Flaschen entgegen streckte, die mir sehr vertraut waren. Der Alkohol. „Ii-sama bittet darum, dass Sie diskret damit umgehen.“ Was der Krieger meinte war: 'Trink das bloß nicht vor den Augen der Mannschaft'. Wie gut, dass ich das nicht vor hatte. „Werde ich. Danke.“ Damit niemand sah, was der Krieger mir überreicht hatte, ließ ich die Flaschen in meiner Tasche verschwinden, die ja nun mehr als genug Platz bot, so ganz ohne die Ölflaschen. Perfekt also. Wobei mir als Inhalt Papier und Feder mit etwas Tinte lieber gewesen wäre. In der Dunkelheit hätte ich allerdings nichts schreiben können. Ich wartete, bis der Krieger weg war und musste schon in mich hinein schmunzeln. „Nicht ganz das Zeichen, was ich erwartet habe, aber okay, ich gehe zu Varius und trink mit ihm einen. Das hat er sich verdient.“ Dieser Gedanke war wirklich lächerlich, aber man musste die Zeichen nehmen, wie sie kamen. Und gerade rieten sie mir, mich volllaufen zu lassen, auch wenn diese zwei Flaschen alkoholischer Flüssigkeit sicher nicht reichen würden. Außer, dieser Körper war noch weniger trinkfest, als der aus meiner Welt. Und der konnte immerhin eine ganze Flasche Sarotti Schokolikör kippen, ohne dass ich unfähig war ordentliche Sätze zu bilden.   Es hatte nicht lange gedauert, bis ich Varius gefunden hatte, allerdings war ich nicht sofort zu ihm gegangen und hatte mich versteckt, da er in ein Gespräch mit Hinata verwickelt war. Eines, das zu der interessanten Sorte anzugehören schien, weswegen ich nicht anders konnte, als zu lauschen. „Das erklärt einiges, auch wenn es schwer zu verdauen ist.“ „Ich konnte mir ja schon schwer vorstellen, wie es sein muss, in einem fremden Land fernab der Heimat zu sein, dann aber in einer anderen Welt...“ „Du glaubst ihr, Hinata?“ „Du ihr doch auch. Es klingt unglaubwürdig sicher, aber für sie war Magie sicher auch so ein unglaubwürdiges Konzept. Die eigentliche Frage ist nun aber, was machen wir jetzt? Ich würde gerne eine Zeit lang bei Ii-sama bleiben. Es ist die Chance einer Legende nahe zu sein.“ Ich hörte ein Seufzen von Varius. Eines, das mir aus der Seele sprach, denn Hinatas Fangirltum konnte man schon fast in die Kategorie Fanatismus einteilen. Dennoch, es machte sie sympathisch und wenn Chen sie liebte, konnte es doch nicht so schlimm sein. „Ich dachte, du willst nach deinem Herren suchen.“ „Wer weiß wo der ist. Er geht, wohin der Wind ihn führt. In der Armee habe ich größere Chancen ihn zu finden, immerhin hat er gute Beziehung zu ihnen.“ „Richtig, du hattest eine militärische Ausbildung und dein Herr hat dich und Chen nach Abschluss sofort eingestellt. Chen hat uns das erzählt. Du solltest dich da ganz gut einfügen können.“ Hinata nickte, verschränkte aber die Arme und sah ernst zu Varius. „Damit bleibst nur noch du. Was wirst du tun? Ich meine, drei Monate sind vergangen. Wenn du die Route von Cassius noch weißt, kannst du sicher Ii-sama oder die Anderen fragen, ob sie dir auf den Weg zurück helfen können.“ Varius schwieg. Ich sah, wie sein Kopf sich gen Boden neigte. Er schien mit sich zu ringen, ich fragte mich nur, warum. Es war doch nur logisch, dass er seine Freunde suchen würde. Wahrscheinlich hätte ich nicht anders reagiert. „Ich weiß nicht, ob ich so einfach gehen kann.“ Hinata dachte kurz nach, schien aber schnell zu erkennen, was er meinte. „Verstehe. Du machst dir Sorgen. Vor allem jetzt, nachdem du die Wahrheit erfahren hast. Du solltest mit ihr darüber reden. Auch wenn sie dich wahrscheinlich vor ihre eigenen Wünsche stellen wird und sagen wird: 'Geh, Varius, ich komme schon irgendwie alleine zurecht.'“ Ich blinzelte. Versuchte Hinata mich gerade nachzuäffen? Sehr schlecht. Diese gekünstelte hohe Stimme war unmöglich meine. Oder doch? „Mir würde es zumindest besser gehen, wenn ich weiß, dass sie in guten Händen ist. Das jemand bei ihr ist, der ihr helfen und ihr das Maß an Sicherheit bieten kann, das sie im Moment braucht. Es ist... uhm... kompliziert. Wie soll ich das sagen... Sie ist wie meine kleine Schwester. Zwar älter, aber in Sachen Naivität und Gutmütigkeit ebenbürtig. Sie geht einfach so mit Fremden mit, obwohl sie wissen sollte, dass es für Mädchen aus dem Freudenhaus nicht gut ist... Sie wirft sich zwischen ein Königsgefäß und einem Kriminellen, sie gibt Informationen kostenlos an Reisende raus. Sie macht sich kaputt, wenn sie weiter in Konflikte gerät, die sie dazu zwingen, Dinge zu tun, an denen sie zerbricht. Ich würde es begrüßen, wenn sie ihre Reise nach Sindria fortsetzen würde, oder sich hier in Nantou niederlässt. Wo ist mir eigentlich egal, solange ich Gewissheit habe, dass es ihr gut geht, da wo sie gerade ist.“ Nachdem, was Varius erzählte, hielt selbst ich es für besser, wenn ich mich irgendwo niederließ. Ich konnte es aber nicht. „Du weißt, dass Verweilen für sie keine Lösung sein wird. Auch wenn ich es niedlich finde, dass du wie ein großer Bruder reagierst.“ Hinata kicherte, wurde aber schnell wieder ernst. „Sie gehört nicht in unsere Welt. Dass sie solange durchgehalten hat, verdankt sie wahrscheinlich Menschen wie dir, allerdings wird das nicht ewig halten außer...“ „Außer?“ „Außer sie kann alles hinter sich lassen. Familie, Freunde, Existenz, Erinnerungen. Wenn sie das alles hinter sich lassen kann, wäre sie wahrscheinlich in der Lage, sich hier bei uns einzuleben. Überleg doch mal. Sie könnte als Geschichtenerzählerin durch die Welt reisen. Selbst die Piraten haben ihre Geschichten geliebt. Sie kann außerdem schreiben. Stell dir vor, sie würde ihre eigenen Geschichten schreiben und erzählen. Damit könnte sie wahrscheinlich selbst den Abenteuern von Sinbad bedrohlich werden.“ Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Was Hinata sich da ausmalte, klang so gar nicht nach mir. Auch wenn ich gestehen musste, dass dieser Plan, hier eine schriftstellerische Karriere zu beginnen wahrscheinlich greifbarer war als in meiner eigenen Welt. Allerdings bezweifelte ich, dass sie so gut gelesen wurden wie Sinbads Abenteuer. Magical Girls hatten eben schlechte Karten gegen einen feuerspeienden Ja'far. Dennoch, es war niedlich zu hören und irgendwie schön zu wissen, was sie von meinen Fähigkeiten als Geschichtenerzählerin hielt. „Vielleicht, kannst du sie überzeugen hier zu bleiben. Sich anzusiedeln, oder zu reisen. Dann könntet ihr gemeinsam nach Cassius und den Anderen suchen. Du könntest sie nach Reim mitnehmen, ihr deine Familie und deine Schwester vorstellen. Cassius Vater kann ihr vielleicht auch helfen. Alles, was sie braucht, ist der Schubs in die richtige Richtung.“ Varius seufzte. Er schien wirklich mit diesem Gedanken zu spielen, oder zumindest abzuwägen, ob es möglich war. Ich fühlte mich verraten, auch wenn ich wusste, dass Hinata es nur gut meinte. „Ich werde darüber nachdenken. Danke, Hinata.“ „Nicht dafür. Wir werden ihr helfen, irgendwie. Wie dem auch sei, ich geh schlafen. Du solltest das auch tun.“ Hinata gab Varius einen sanften Klaps gegen die linke Schulter, bevor sie sich abwandte und in meine Richtung kam. Eilig drückte ich mich gegen mein Versteck, hoffend, dass sie mich nicht entdeckte. Und sie tat es nicht. „Wird schwer dich zu überzeugen, wenn du alles gehört hast, oder Kleines?“ Es hätte mir klar sein müssen, dass Varius mich bemerkt hatte. Seinem Fanalis-Gehör entging eben nichts. „Könnte schwer werden, ja. Du kannst es aber gerne versuchen. Wie wäre es, wenn wir dazu etwas trinken, ein wenig reden und... naja... einfach den Abend ausklingen lassen?“ Während ich sprach, zog ich die beiden Flaschen mit dem Alkohol heraus und reichte Varius eine, der mir ein warmes Lächeln schenkte. Er setzte sich auch sogleich auf den Boden und deutete mir an, es ihm gleich zu tun. Ein melancholisches Gefühl machte sich in mir breit, als ich mich neben ihn setzte. Ich erinnerte mich an das erste Gespräch, welches ich mit Varius geführt hatte, damals am Abend am Lagerfeuer. Es schien sich nichts zwischen uns verändert zu haben, abgesehen davon, dass ich nun mit Gewissheit wusste, dass er mich als kleine Schwester sah. „Du verträgst das?“, fragte er plötzlich, als ich meine Flasche öffnete und daran roch. Sake. Wahrscheinlich hatte er bemerkt, wie ich mein Gesicht verzogen hatte, denn mit Sake verband ich keine leckeren Erinnerungen. Im Gegenteil. Aber, was besseres hatte ich nicht und mit Schokolikör brauchte ich die nächsten Tage, Wochen oder Monate nicht rechnen. „Werden wir sehen. Wenn ich vor dir betrunken bin, trag mich ins Bett.“ Ich wartete, bis Varius seine Flasche öffnete und hielt ihm meine entgegen, damit wir anstoßen konnten. „Oh, du erlaubst mir, dich zu tragen? Es gab eine Zeit, da hast du mir gedroht, wenn ich das angedeutet habe.“ „Nun weiß ich ja, dass ich wie eine Schwester für dich bin.“ Varius schüttelte grinsend den Kopf und stieß mit seiner Flasche vorsichtig gegen meine, bevor er sie an die Lippen hob und leise flüsterte „Auf Tiberius.“ Mit einem kräftigen Schluck huldigte er seinem besten Freund, der nicht mehr war und ich seufzte andächtig, nahm ebenfalls einen Schluck aus der Flasche und verzog das Gesicht. Definitiv Sake. „Wie sieht es bei dir aus. Hast du Geschwister?“ Es herrschte einen kurzen Moment Stille zwischen uns, bevor Varius mit einer Frage das Gespräch mit mir suchte. „Ich bin ein Einzelkind. Wenn meine Eltern noch ein Kind bekommen hätte, wäre ich die ältere Schwester. Der Plan sah mal vor, drei Jahre nach mir noch ein Kind zu bekommen.“ „Was hat diesen Plan verhindert?“ „Die Entwicklung des Sozialsystems, denke ich. So sicher bin ich mir aber nicht. Das sind die Gründe die meine Mutter mir zumindest genannt hat.“ Erneut nahm ich einen Schluck von dem Sake. Ich wusste, es würde nicht helfen, aber für den Augenblick konnte ich vielleicht erneut meine Heimat vergessen. Die Toten Hosen hatten Recht, kein Alkohol war eben auch keine Lösung. Zumindest nicht im Moment.   **~~**   Dass dieser Körper nicht trinkfest war, wurde mir bewusst, als ich am nächsten Morgen aufwachte und mein Magen gegen jegliche Bewegung rebellierte. Ich erinnerte mich noch dunkel daran, das ich meine Flasche getrunken hatte und Varius mir noch liebevoll seinen Part aufgedrückt hatte. Kurzum, der Mistkerl hatte mich abgefüllt. Na schön, es gab für alles ein erstes Mal. Selbst in dieser Welt. Ein Schnarchen neben mir ließ mich zusammen zucken. Ich spüre einen mächtigen Körper unter mir beben und versuchte trotz Migräne mehr von meiner Umgebung wahrzunehmen. Da lag er, Varius, an dem ich mich gekuschelt hatte, als wäre er ein überdimensionaler Teddybär. Sofort wich ich von ihm, wach und peinlich berührt. So nahe, wie ich Varius gerade oder eher in dieser Nacht gewesen war, war ich noch keinem Mann in dieser Welt gekommen. Alkohol war wirklich ein Teufelszeug, vor allem in diesen Massen. Nie wieder also. „Nom... ist schon Morgen?“ Ich hoffte, dass Varius es nicht bemerkt hatte, wie dicht wir aneinander gelegen hatten und selbst wenn, es hätte ihn wohl nicht gestört. Er hätte sicher so etwas gesagt wie, dass es normal sei und ich mir keine Sorgen machen musste. „J-Ja. I-Ich denke schon.“ Er musste es einfach bemerken, immerhin stotterte ich. Wie peinlich. Schnell überprüfte ich meine Kleidung, alles lag wie es liegen sollte. Darum musste ich mir also keine Sorgen machen. „Ah... okay... Gute Nacht.“ Varius hatte es wohl doch nicht bemerkt. Er griff zu der Decke, drehte sich um und schnarchte sofort wieder. Mich hingegen hatte der Schock gut genug geweckt, um mich daran zu hindern noch einmal etwas Schlaf zu suchen. Auch wenn alle Anderen schliefen, die Zeit bei den Piraten hing ihnen scheinbar in den Knochen und bei mir sollte es wohl nicht anders sein. Doch seltsamerweise, vielleicht auch, weil meine Ohnmacht mir einiges an Schlaf beschert hatte, fühlte ich mich bereit für das was noch kommen würde. Und zuallererst sollte ein Gang an Deck kommen, denn diesen Brummschädel konnte ich nur mit etwas Frischluft loswerden. Vorsichtig erhob ich mich und stieg über die Schlafenden, immer bedacht sie nicht zu treten oder zu wecken. Ich schaffte es schließlich raus aus dem Schlafbereich in die Freiheit des Deckes, die mir mit erfrischenden Regen entgegenschlug. Regen... die Wolken vom Vortag hatten es ja schon angedeutet und so wie es hier in diesen Gewässer ums Wetter stand, zweifelte ich, dass der Regen sich sobald verziehen würde. „Da bist du, Nebelkrähe.“ Kopfschmerzen und diese Stimme. Ich wusste, dass das keine gute Kombination werden würde. Wahrscheinlich wollte Judar Teil zwei von Loki hören. Dem war ich ihm schuldig geblieben. Aber gerade hatte ich nicht einmal die Konzentration dafür. „Dir auch guten Morgen, Judar.“ „Woher weißt du das, Nebelkrähe?“ Vielleicht lag es daran, dass ich noch den Restalkohol zu verdauen hatte oder aber an den Kopfschmerzen oder aber das eben Morgen war, ich verstand nicht, was der Magi meinte. „Woher soll ich was wissen? Das es ein guter Morgen ist? Ist so eine Redewendung, das muss nicht heißen, dass der Morgen wirklich gut ist.“ „Das meine ich nicht. Woher kennst du meinen Namen?“ Die Frage mitsamt der Erkenntnis, dass ich ihn soeben bei seinem Namen genannt hatte, traf mich wie ein Faustschlag. Richtig. Der Hohepriester war mir noch nicht vorgestellt worden und dennoch war mir, wenn ich mich recht erinnerte sogar mehrmals, sein Name über die Lippen gekommen. Mein Fandomwissen würde wirklich noch die Schlinge sein, an der ich mich selbst aufknüpfen konnte. Die Frage war nur, was antwortete ich Judar darauf? Ein „Du siehst aus wie ein Judar“ würde es sicher nicht glaubwürdig machen. Gleichzeitig durfte ich aber nicht zu lange über meine Ausrede nachdenken, denn sonst hätte das Judars Misstrauen nur noch mehr erregt. Woher konnte ich also seinen Namen kennen? „Die Rukh haben ihn mir gesagt.“ Noch bevor sich ein klarer Gedanke geformt hatte, war mein Mund mir zuvor gekommen und sprach aus, was halbwegs glaubwürdig klang. „Auf dem Markt, als du mir freundlicherweise meinen Stab gebracht hast. Dafür danke ich dir übrigens. Du hast mir damit sehr geholfen.“ Ohne viel darüber nachzudenken, was ich tat, verbeugte ich mich etwas vor Judar. Ich war ihm wirklich dankbar für den Lieferservice, allerdings wusste ich noch nicht, wie ich ihm das zeigen konnte, außer eben mit einer Verbeugung. „Wie geht die Geschichte mit Loki weiter?“ Judar ließ sich nicht in die Karten schauen. Er zeigte nicht, ob er mir glaubte oder nicht, stattdessen kam er zu einem anderen Thema, das ihm wohl auf dem Herzen brannte. Die Fortsetzung, die ich ihm versprochen hatte. Am frühen Morgen. Aber gut, ich wollte ja nicht so sein und augenscheinlich war er am Vortag auch nicht mehr ganz so anstrengend für die anderen Leute an Bord gewesen. Das war für Judars Verhältnisse ein deutliches Zeichen, dass er brav war. Und solange er mich nicht wieder mit Meeresgetier bewarf, sollte er seine Fortsetzung bekommen. „Darf ich dir die Geschichte im Trockenen erzählen? Ich bin nicht Baldr. An mir prallt der Regen nicht ab wie an einem Schutzschild.“ Ich sah gen Himmel, von dem immer mehr Fäden fielen. Wenn ich Judar hier draußen die Geschichte erzählte, würde ich mir sicher den Tod holen. Vom Hohepriester wollte ich gar nicht erst reden, auch wenn ich mich fragte, was er bei Regen hier an der Luft machte.   Das Judar Lokis Ende nicht gefiel, hätte mir klar sein müssen. Aber ich wollte auch nicht die Tatsachen, wie sie waren, verschönern. Unglaublich war an der Sache nur, dass Judar Worte wie „unfair“ in den Mund nahm, als er Lokis Schicksal gehört hatte. Unfair hätte ich es zwar nicht genannt, aber Judars und meine Auffassung von Fairness lagen doch schon in gewisser Weise weit auseinander. Wenn es nach ihm ging, musste ich diese Geschichte ändern. Mir fiel nur nicht ein wie, denn es war nun einmal eine Tatsache. Genauso war es Tatsache, dass Judar mehr wollte. „Erzähl mir eine andere Geschichte!“, hatte er gefordert und erst die Tatsache, dass es Frühstück gab, hatte mich gerettet. Ohne den Magi im Schlepptau war ich in den zweckentfremdeten Speisesaal angekommen, froh darüber, dass Judar aufgegeben hatte. Ich war mir nämlich wirklich nicht sicher, was ich ihm noch über Loki erzählen sollte, wobei ich immer noch auf die Kamigami no Asobi Serie oder die Avengers zugreifen konnte. Meine Erinnerungen an letzteres waren eher schwach und Kamigami brachte Judar vielleicht noch auf blöde Gedanken. Allerdings hatte ich auch keine Wahl, denn Papier, Tinte und Schreibgerät fehlten mir, sodass ich nicht einfach mal eine eigene Geschichte schreiben konnte. Vielleicht konnte ich aber jemanden fragen, ob ich das bekam, was ich brauchte. Fragen kostete nichts. Mit diesem Entschluss, setzte ich mich an den Tisch und starrte auf die Schüssel mit Reisbrei. Super... der Appetit war mir vergangen, aber immerhin gab es keinen Varius, der mich vor versammelter Mannschaft füttern würde. Dennoch nahm ich den Löffel und tunkte ihn in den Brei. Seufzend sah ich auf und erkannte an der Tür eine Person, die mir vertraut war. Daria. Es war ein seltsames Gefühl, sie nun zu sehen, nachdem ich die Wahrheit über sie erfahren hatte, doch das Gefühl dauerte nicht lange an, denn kaum, dass sie mich erblickt hatte, machte sie kehrt. Sie schien zu fliehen, was mich doch schon sehr verletzte, denn davon abgesehen, dass sie mich an die Piraten verkauft hatte, waren wir doch so etwas wie Freunde gewesen. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hatte sie mir nur etwas vorgespielt, um mein Vertrauen zu gewinnen. Das war ihr teilweise auch gelungen. Hinata hatte wohl Recht damit, dass ich naiv war. Es wäre nichts neues gewesen, wenn ich Menschen für etwas hielt, als das sie sich selbst nicht sahen, zumindest nicht in der Beziehung mit mir. Am Besten war, ich schloss das Kapitel Daria. Es würde mir nichts bringen, weiter darüber nachzudenken. Solange sie mich nicht persönlich auf den Grund des Meeres verfrachten wollte, konnte es mir egal sein. Allerdings hatte diese Begegnung bewirkt, dass ich nun noch weniger Hunger hatte. Ich nahm zwei Löffel von dem Brei und teilte ihn letzten Endes mit einem abgemagerten, ehemaligen Gefangenen neben mir. Hinata hätte mich erschlagen, wenn sie das gesehen hätte.   Ich hibbelte auf der Stelle herum, an der mich ein Krieger stehen gelassen hatte, kurz nachdem ich ihn gefragt hatte, ob es denn möglich sei, mir Papier, Tinte und Schreibgerät zu geben. Der Krieger hinterfragte nicht einmal, wozu ich das wollte, was mich vermuten ließ, dass er wohl dachte, dass ich meiner Familie einen Brief schreiben wollte, um ihnen zu berichten, dass es mir gut ging. Ich hatte in der Tat daran gedacht, Assad und den Mädchen einen Brief zu schreiben, allerdings wusste ich nicht, wie ich ihnen diesen zukommen lassen sollte. Wahrscheinlich würde ich ihn erst einmal aufheben, bis sich die Gelegenheit dafür bot. Das Zweite, was ich tun wollte, war meinen Kopf freizubekommen. Zwar waren die Stimmen aufgrund meiner Kopfschmerzen gerade verstummt, aber es würde Momente geben in denen sie dennoch ihr hässliches Haupt erhoben und mich in den Wahnsinn trieben. Während ich auf den Krieger wartete, dachte ich nach. Was würde ich jetzt schreiben? Was brannte mir am meisten auf der Seele, was für eine Idee wollte unbedingt das Licht der Welt erblicken? Ich musste grinsen, als ich mich erinnerte, was Hinata gesagt hatte. In meiner Welt war es schwe,r Schriftstellerin zu werden, aber hier, wo alles, was es gab, Schriften über Geographie, Geschichte, Politik und so weiter waren, und eben Sinbads Abenteuer, hatte ich doch gute Chancen. Es wäre sicher lustig zu sehen, wie Sinbad erfuhr, dass er nun Konkurrenz hatte. 'Ein Versuch ist es doch wert. Die Frage ist, was kann ich schreiben, dass übergreifend viele anspricht... Nein... das ist der falsche Weg. Zu Schreiben, um Sinbad herauszufordern. Reiß dich zusammen. Wenn du Literatur schreibst, dann um Menschen glücklich zu machen. Sie etwas Leid vergessen zu lassen, Hoffnung zu säen. Das ist etwas, dass diese Welt braucht. Wahrscheinlich kommt Sinbads Geschichte deswegen so gut an. Sie erzählt einen Aufstieg, den sich wohl viele wünschen.' Es war wirklich nicht leicht, sich etwas einfallen zu lassen. Aber es war richtig. Ich sollte nicht schreiben, um einen Sinbad von seinem literarischen Thron zu stoßen. Ich sollte schreiben, weil ich Menschen zum Lächeln bringen wollte, so wie ich es Zuhause auch getan hatte. „Hier ist das was Ihr gewünscht habt.“ Ich sah zu dem Krieger auf, der vor einigen Minuten losgezogen war, um mir das Gewünschte zu bringen. In seiner Hand hielt er Papier, ein Tintenfässchen und einen Pinsel. Na schön, es war keine Schreibfeder und kein Gelstift, aber es würde gehen. Ich verbeugte mich zum Dank und nahm das entgegen, was mir gereicht wurde. Mein Herz schlug wild vor Aufregung und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, wieder ich sein zu können.   **~~**   Auch wenn während der Reise das Wetter stürmischer wurde und man mir angeraten hatte, nicht an Deck zu gehen, konnte ich doch nicht die ganze Zeit eingepfercht unter Deck sein. Zumal ich hin und wieder die Flucht vor Judar suchte, der mir immer noch gehörig auf die Nerven ging, weil er wollte, dass ich Lokis Geschichte umschrieb. Er trieb mich oft genug in die Enge, so dass ich Variationen von Lokis Geschichten erfand, oder ihm einfach Episoden von Kamigami no Asobi erzählte. So z.B auch von Lokis Liebesringen, mit denen er einen Gott und ein Menschenmädchen aneinander gefesselt hatte und sie erst voneinander loskamen, wenn sie sich einander näherten. Witz an der Sache war, dass Loki es so ausgedrückt hatte, dass die beiden sich verlieben müssten. Die Wahrheit war, sie sollten sich einfach nur besser kennenlernen. Allmählich gingen mir aber die Ideen aus und an Deck, weit weg von Judar zu sein, entpuppte sich als zwar stürmische und nasse Angelegenheit, aber auch als eine abwechslungsreiche. Immerhin konnte ich so meine Gedanken revidieren, dass wir nahe an einer Insel vorbei segelten. Es gab nie einen Tag, an dem ich nicht das Festland sah. Ich sah zwar nur Steinstrände, Felsen und Wälder, die dahinter hervorragten, aber es war, vor allem im Sturm, ein atemberaubender Anblick. Ich hatte mir sogar den Spaß erlaubt, eine der leeren Alkoholflaschen mit einem zusammengerollten Papier zu füllen. Eher mit zwei. Einen Brief und einer Kurzgeschichte von einem heiligen Stein, der seine Farbe änderte, weil ein Fluch auf ihm lag. Jeder, der diesen Stein erblickte und die rote Farbe sah, wusste, dass er sterben würde. Lediglich die Protagonistin der Kurzgeschichte, die diesen Stein in einen Stab eingearbeitet hatte, blieb von diesem Schicksal verschont. Sie führte ihn mit sich, hütete ihn wie einen Schatz und hinterließ auf ihrer Reise eine Spur des Todes. Am Ende der Geschichte erkannte die Protagonistin, dass der Stein sie nur benutzt hatte, um seine Mordlust zu stillen. Sie zerstöre ihn, starb aber dabei, weil sie über die Jahre eins mit dem Stein geworden war. Mit einem Grinsen musste ich daran denken, wie Varius den Stab von Nel angestarrt hatte. Scheinbar hatte er die Parallele erkannt. Ich konnte ihn aber beruhigen und erklärte ihm, dass man so etwas in meiner Welt als Horror bezeichnete. Er war nicht damit einverstanden, dass ich auch nur irgendjemand Anderem diese Geschichte präsentierte. Vermutlich aus Sorge, dass mir dann was passieren könnte. Deswegen, weil die Wahrscheinlichkeit so unglaublich gering war, dass derjenige, der die Flaschenpost fand, mich treffen würde, warf ich dieses Werk über Bord. Ich hatte mich nach diesem besonderen Versand von Post zurückgezogen, mied allerdings die unterste Etage des Schiffes. Wir alle konnten uns zwar so frei wie möglich bewegen, aber die unterste Etage war besser bewacht als die Kronjuwelen der Queen. Was auch immer da unten war, mein Kopf sagte mir, dass es ein „Wer auch immer“ sein könnte, ich wollte es eigentlich gar nicht wissen. Noch dazu, brauchte ich mehr Bewegungsfreiraum nicht. Ich war schließlich nicht Daria, die immer wieder die Flucht ergriff, sobald sie Varius, Hinata oder mich sah. Ihre Bewegungsfreiheit war damit stark eingeschränkt, denn wir drei bevorzugten es, nicht ständig aufeinander zu hocken. Die Reise musste damit für sie wie ein Albtraum sein. Ich erkannte sogar, dass Hinata ihren Spaß daran gefunden hatte, Daria auf diese Art und Weise zu erschrecken. Sie hatte sich an einem Tag sogar die Mühe gemacht und sie verfolgt, unauffällig. Wenn man so etwas bei der militärischen Ausbildung in Kou lernte, hatte sie ihr Wissen definitiv missbraucht, aber verübeln konnte es ihr wohl niemand.   Es war der letzte Abend, vor unserer Ankunft in Nantou. Das Schiff schaukelte, denn ein neuer Sturm hatte seine Klauen nach dem unsinkbaren Kriegsschiff ausgestreckt. Ich hatte mir einen recht ruhigen Platz gesucht, um erneut meine Gedanken und Ideen niederzuschreiben. Insgesamt war das der zweite Stapel Papier, der nun daran glauben musste, denn der Erste hatte nicht lange gehalten. Mit Sicherheit fragten sich die Krieger, was ich mit dem Papier machte, aber sie gaben mir erneut ein paar Blätter ohne Diskussion. Insgeheim trauerte ich mittlerweile sogar um die Kurzgeschichten, die ich in Balbadd zurück gelassen hatte. Hätte ich mir nur gemerkt, was ich genau geschrieben hatte... Es brachte im Endeffekt wenig sich zu beklagen. Ich hatte immerhin neues Papier und das bettelte mich förmlich an, mit meinen kreativen Ergüssen beschmutzt zu werden. Es dauerte nicht lange, bis die Ruhe und meine Gedanken mich in das Innere meiner Welten geführt hatten und ich ohne nachzudenken mit dem Pinsel die ersten Worte geschrieben hatte. Eine Geschichte über Loki war, wahrscheinlich dank Judars penetranten Generve, in seiner Entstehung. Es war sogar in der Tat ein Ende, dass nicht ganz so beschissen für Loki ausging. Anders als im Mythos, fand mein Loki einen Weg, das Netz, welches er entwickelt hatte, zu zerstören. Logisch, wenn man bedachte, dass er es entwickelt hatte und damit auch alle Schwächen kannte. Jeder Erfinder baute schließlich kleine Schwächen ein, die er zur Not selbst nutzen konnte, wenn es darauf ankam und Loki war ein Trickster, warum sollte er auf so etwas verzichten? Loki konnte sich in meiner Version also befreien und schwor Rache, dass man versucht hatte, alles, was er den Asen gegeben hatte, gegen ihn zu verwenden. Einen seiner Verfolger ließ er mit Illusionsmagie aussehen wie er. Er selbst nahm die Gestalt des Verfolgers an. Niemand merkte es, obwohl der falsche Loki immer wieder versicherte, dass er nicht der Gejagte war. Niemand glaubte ihm, denn die Asen gingen davon aus, dass dies wieder einer von Lokis Tricks war. Sie bemerkten so nicht einmal, wie der richtige Loki der Strafe, die ihm zugestanden hätte, beiwohnte. Niemand hatte den Unterschied bemerkt, nicht einmal seine Frau. Ich holte tief Luft und dachte darüber nach, ob das wirklich einer der Tricks war, die Loki anwenden würde. Ohne Google und Recherche, war das schwer zu sagen, weswegen ich mich nur auf mein Wissen verlassen konnte. Letzten Endes war es aber egal, denn diese Geschichte war für Judar, auch wenn er wahrscheinlich nicht gerade viel Dankbarkeit dafür übrig haben würde und er davon ausging, dass es eine Selbstverständlichkeit war. Man hatte den Hohepriester definitiv verzogen und jeglicher Versuch, das zu korrigieren würde zum Scheitern verurteilt sein. Ich brauchte es wohl gar nicht versuchen... „Nebelkrähe, was machst du da?“ Ich erschrak, als ich plötzlich Judars Stimme neben mir hörte. Aus einem Reflex heraus drückte ich das Papier an mich, als versuchte ich zu verstecken, was ich geschrieben hatte. Es war immerhin noch nicht fertig. „Musst du mich so erschrecken?“ „Ich hab dich zweimal angesprochen, Nebelkrähe. Also, was machst du da?“ „Nichts wichtiges... ich schreibe einfach nur ein wenig. Mehr nicht.“ „Was schreibst du? Ist es eine Neufassung von Lokis Geschichte?“ Innerlich war mir nach heulen zumute, denn Judar hatte voll ins Schwarze getroffen. Wenn er jetzt schon dachte, dass ich alles tat, was er wollte, na dann Prost Mahlzeit. Da er aber nachfragte, ging ich davon aus, dass er es noch nicht gelesen hatte. Glück gehabt. „Nein. Das ist ein Brief an Freunde aus Balbadd. Nur weil du mich nervst, schreibe ich sicher nicht die Geschichte um.“ „Aber das Ende ist doof. Warum kann es nicht wie das eine sein, von dem anderen Loki? Nur mit weniger Funkel.“ Ich seufzte. Judar konnte wirklich nerven, wenn er etwas wollte. Ich fragte mich, wie die Menschen in seinem Umfeld das nur aushielten. „Das ist eben das Ende, das ihm vorherbestimmt ist.“ „Warum muss es ihn erwischen und nicht jemand anderen?“ Schweigend sah ich Judar an. Diese Worte, sie erinnerten mich an den Manga. Als er sein Schicksal hinterfragt hatte. Warum er Al Thamen in die Hände gefallen war und nicht Yunan, Scheherazade oder Aladdin. Der Gedanke daran, dass er so war, wie er jetzt vor mir stand, weil ihm dieses Schicksal zuteil geworden war, zerriss mir das Herz. Und gleichzeitig... „Die Ereignisse die uns widerfahren, machen uns zu den Personen, die wir sind. Lokis Strafe hat viele andere Asen geprägt. Sie wären nicht das, was sie geworden sind, wenn nicht all das passiert wäre.“ „Aber das ist nicht fair. Loki war im Gegensatz zu den Anderen cool. Also ändere das. Sorg dafür, dass er entkommt.“ Ich seufzte. Sicher, ich hatte die Geschichte bereits geändert, aber zum Einen war sie noch nicht fertig und zum Anderen fragte ich mich, ob es richtig war. Wie widersprüchlich war ich denn, wenn ich mir in dieser Welt geschworen hatte, keine Ereignisse zu ändern, es aber mit einer Geschichte tat, weil Judar mich darum bat. „Ich kann die Geschichte ändern, ja. Aber es ist doch fraglich, ob die Veränderung zu etwas führen würden, das dir gefällt. Man mag zwar das Schicksal an diesem einen Punkt verändert haben, aber das was kommt, könnte noch viel schlimmer sein.“ „Wenn Loki frei ist, passiert doch nichts schlimmeres.“ „Ragnarök war also harmlos?“ „Ragnarök?“ Judar horchte auf und ich erinnerte mich dunkel daran, dass ich bei dem Part, an dem Loki mit den Gedärmen seines Sohnes am Felsen gefesselt und von Skadis Schlange verätzt wurde, aufgehört hatte. Ragnarök hatte ich vollkommen außer Acht gelassen. „Richtig Ragnarök. Das ist der Kampf zwischen den Göttern und Riesen, wie er prophezeit wurde. Es war dieser Krieg, der den Untergang der Welt hervorrief. Als Ragnarök begann, konnte sich Loki von seinen Fesseln lösen.“ Judars Augen leuchteten, als er die Geschichte hörte, oder zumindest erfuhr, dass Loki sich befreien konnte. Das sein Ende noch schlimmer sein würde, als nur an einen Felsen gekettet zu sein, bereitete mir Unbehagen. Aber Geschichten mussten eben so erzählt werden, wie sie niedergeschrieben worden waren.   **~~**   Ich hatte letzten Endes vor dem Kampf Heimdalls gegen Loki gestoppt. Irgendwie war es mir gelungen, Judar davon zu überzeugen, dass ich etwas Zeit zum nachdenken brauchte, um mich daran zu erinnern wie es weiterging. Schonfrist also. Wobei ich mir den restlichen Abend über die Mühe gemacht hatte, dem Magi aus dem Weg zu gehen. Nun, am Morgen, kurz vor unserer Ankunft in Nantou, musste ich mir keine Sorgen machen. Judar würde tun, was ein Judar eben so tat. Die nächste Begegnung, sollte es noch einmal eine geben, wäre dann in Balbadd. An der Reling stehend sah ich, was mir im Sturm verborgen geblieben war, oder eher dank felsiger Umgebung. Der Sturm hatte sich rechtzeitig vor der Ankunft gelegt, fast, als wollte man all jenen, die heute ihre Reise beendeten, unter angenehmen Umständen begrüßen. Ich hätte wohl nie die Einfahrt zu Nantou gesehen, denn sie lag hinter Klippen verborgen. Doch nun, da wir in diese Bucht einfuhren, konnte ich die Dächer der Stadt sehen. Sie waren im asiatischen Stil, was nur noch einmal deutlich unterstrich, dass ich in Kou war. Im Kaiserreich. Welch Ironie, dass ich, wenn ich mit Kouha gegangen wäre, diesen Ort, oder eher dieses Land schon viel früher hätte sehen können. Vielleicht war das der Wink des Schicksals, der mir zeigen sollte, dass Sindria niemals mein Ziel hätte sein sollen. Wie deprimierend. Ich wandte meinen Blick ab und sah hinter mich, in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Die Stadtmauer, welche die Stadt umgab, schien an einigen Stellen rußig schwarz zu sein und an Andere wieder weiß, so als wären diese gerade neu gebaut worden. Das wäre zumindest logisch gewesen, wenn diese Mauer mal in einem Krieg teilweise zerstört worden war. Mein Blick wandte sich wieder nach vorne. Hinter all den Häusern, immer weiter gerade aus, ragte ein Palast über die Dächer. Dort würde also Judar unterkommen. Wie passend. Ich ließ meinen Blick noch etwas über die Stadt hinweg schweifen. Felder leuchteten auf, was mir sagte, dass hier die Erde wohl fruchtbar war. Vielleicht waren es auch Reisfelder, denn mal ehrlich, irgendwoher musste der Reis für den Reisbrei kommen. Die Bergkette, die ich am Horizont sah, schien die Stadt in sich einzuschließen und im Westen, dort wo die Berge sich zu einem Gebirge auftürmten, verschwanden ihre Spitzen hinter einer dichten Wolkendecke. Ein Maler hätte dieses Bild sicher besser einfangen können, als ich es mir Worten getan hätte. An sich waren Beschreibungen ja schon immer meine Schwäche gewesen, weil ich nie genau wusste, worauf ich mich fokussieren sollte, wenn der Anblick so unglaublich war. Ja, Nantou war unglaublich, selbst wenn jeder andere es als nichts besonderes gesehen hätte. Diese Welt, die mir fremd und bekannt gleichzeitig war, war auch in jeglicher Hinsicht besonders für mich. Ich spürte diesen Hunger in mir anschwellen. Den Hunger, mehr von dieser Welt zu sehen. Mehr lernen zu wollen und vielleicht auch zu erfahren, warum ich hier war. Ich hörte Schritte neben mir, konnte aber den Blick von der Stadt nicht abwenden. „Das Wetter in dieser Region wird von dem 45. Dungeon, Vinea, beeinflusst. Du kannst ihn nicht sehen, weil er sich im Westen hinter den Wolken verbirgt. Allerdings scheint er die Stürme und Niederschläge förmlich anzuziehen.“ Ich sah nun doch neben mich und erkannte Hayato. Um meine Manieren stand es in dieser Welt wohl wirklich schlecht, wenn ich einen General seines Kalibers nicht standesgemäß grüßte. Allerdings wusste ich nicht einmal, wie eine standesgemäße Begrüßung aussehen sollte, wenn er neben einen stand. „V-Vinea?“, fragte ich leise noch einmal nach. Dunkel erinnerte ich mich daran, wer der Eroberer von Vinea war. „Richtig. Sagt dir der Name etwas? Haben die Piraten mal über den Dungeon gesprochen?“ Sofort schüttelte ich den Kopf, spürte aber die Röte in meine Wangen schießen. Ich konnte dem General ja schlecht erzählen, dass ich bereits wusste, wer diesen Dungeon erobern würde. Nein, das war keine gute Idee. „Ich... uhm... hab mich nur gerade an etwas erinnert. Aus meiner Heimat. Mehr nicht. Verzeiht, ich wollte euch nicht beunruhigen.“ Es war schwer, aus Hayatos Gesichtszügen zu lesen, ob er mir glaubte oder nicht. Deswegen ließ ich es und sah stattdessen wieder zu der Stadt. Gleichzeitig stellte ich mir eine Frage. Was machte das Kaiserreich mit den Schätzen, die sie aus den Dungeons holten? Worin investierten sie diese? „Ich gehe davon aus, dass Ihr jetzt nicht nur hier steht, um mich noch einmal über meine Erlebnisse bei den Piraten zu befragen, richtig?“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der General wirklich nicht nur einfach so neben mir stand. Vielleicht bildete ich mir aber auch zu viel ein und es war wirklich nur ein Zufall. „Der Hohepriester braucht etwas Gesellschaft und es scheint, dass er sich gut von dir unterhalten fühlt. Ich begrüße es sehr, wenn du mich zum Palast begleitest, um ihn noch etwas zu beschäftigen.“ Mein Albtraum wurde wahr. Dabei war ich froh gewesen, Judar nicht mehr über den Weg laufen zu müssen, damit er nicht das grausige Ende von Loki erfuhr. Und nun lud Hayato mich in den Palast ein. Super. Vielleicht war es besser, wenn ich ablehnte. Oh man, dass nächste Mal wenn dich eine Obrigkeit indirekt fragt, sag JA! In meinem Kopf hallten Varius' Worte wieder. Hayato zählte zur Obrigkeit und er lud mich nicht nur indirekt in den Palast ein. Im Gegenteil, er schien es sogar irgendwie zu erwarten, was ich nachvollziehen konnte. Judar war anstrengend und wenn man die Möglichkeit hatte, mal etwas Ruhe von dem Schelm zu bekommen, nahm man sie wahr. Aber gut, was hatte ich schon für Möglichkeiten? Ich hatte sowieso noch keinen Plan, also konnte ich auch genauso gut noch etwas den Magi bespaßen. Irgendwann hatte er sicher auch die Nase voll von den Geschichten. „In Ordnung.“ „Sehr schön. Wir sehen uns dann an Land.“ Hayato wandte von mir ab, was mir noch einmal deutlich zeigte, dass er dieses Gespräch mit mir wirklich gesucht hatte. Diese Bitte war ihm scheinbar so wichtig gewesen, dass er für einen kurzen Moment seine eigentliche Aufgabe, was auch immer das war, liegen gelassen hatte. Wie ich ihn aber als Kapitän des Schiffes einschätzte, wenn es denn die Aufgabe eines Kapitäns war, würde er überwachen, dass beim Anlegen nichts schief ging. Saam hatte das auch immer so gehalten. „Ach, da fällt mir ein...“ Hayato hielt inne und wandte sich noch einmal zu mir um. Etwas lag da in seinen Augen verborgen. Ein Lächeln? Nein, eher etwas wissendes. „Ich soll dir herzliche Grüße von Kouha-dono ausrichten.“ Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da wurde ich schon rot. Grüße von Kouha an mich? Das war irgendwie niedlich, doch gleichzeitig fragte ich mich, woher Hayato wusste, dass ich Kouha kannte. Er musste etwas wissen. Damit waren wir dann wohl quitt. Kapitel 25: Nantou ------------------ Ich bemühte mich so gut es ging, die Soldaten beim abladen nicht zu stören. Ich suchte lediglich noch die letzten Papiere zusammen, bevor ich von Bord ging. Zwischen den Arbeitenden und einigen anderen ehemaligen Gefangenen der Piraten fand ich schließlich auch Varius und Hinata, die vor mir von Bord gegangen waren. Es war vielleicht das letzte Mal, dass ich sie gemeinsam sehen würde. Besonders Varius würde ich vermissen, allerdings, wenn Hayato das Angebot nur mir gemacht hatte, wäre es doch unverschämt gewesen Varius und Hinata zu fragen, oder? Andererseits wusste Hinata mehr von den Sitten des Kaiserreiches als ich und hätte mir eine große Hilfe sein können. Varius hingegen war mir schon so sehr ans Herz gewachsen, dass ich ihn gerne noch etwas länger in meiner Nähe gewusst hätte. Die Frage war nun also, wollte ich unverschämt sein, oder wollte ich den beiden einfach nur kurz erklären, dass ich eingeladen worden war? Ich holte tief Luft und seufzte leise, bevor ich mich zu den beiden auf machte. Irgendwie würde ich das schon schaffen. Den Abschied oder die Bitte mich zu begleiten. „Beeil dich, Erenya. Wir warten nicht ewig hier!“, rief mir Hinata zu, die mich bereit entdeckt hatte. Die Ungeduld war deutlich aus ihrer Stimme zu hören. Wahrscheinlich konnte sie es kaum erwarten endlich der Armee zu folgen und ihrem Idol nahe zu sein. Wie nahe würde sie ihm im Palast sein? Sicher näher als irgendein Krieger. Aber was sollte Varius dort? Varius gehörte zu einer anderen Gruppe. Er hatte eine feste Heimat, seine Freunde und Kameraden, die er suchen musste. Ich hingegen war kein Mitglied dieser Gruppe. Ich hatte mich hinein gekauft. Mehr aber auch nicht. „Ich komme.“ Auch wenn noch keine Entscheidung gefallen war, ging ich die Planke hinab und lief direkt auf meine beiden Freunde und Gefährten zu. Sie lächelten und schienen nicht einmal zu ahnen, in was für einem Zwiespalt ich gerade war. Wahrscheinlich ging es ihnen aber auch wie mir und sie versuchten ihre Unsicherheit zu überspielen. „Da sind wir nun also. Nantou. Unsere Reise scheint ein Ende zu haben. Was macht ihr nun?“ Selbst wenn mir bereits klar war, was die beiden tun würden, wollte ich einfach sicher gehen. Vielleicht hoffte ich, dass einer von beiden jetzt sagte, dass sie mir folgen würden, bis ich mich sicher fühlte. Nur war die Frage wann ich mich jemals sicher fühlen würde. „Ich werde der Armee beitreten und auch direkt anpacken. Morgen werde ich wieder mit dem Training beginnen. Unsere Wege werden sich also hier trennen.“ „Schade“, flüsterte ich und wusste damit, dass ich Hinata wohl nicht fragen brauchte, ob sie mich begleiten würde. „Und du, Varius? Gehst du die anderen suchen?“ „Das kommt drauf an, was du vor hast, Kleines.“ Varius war eben doch ein Herz und eine Seele. Er setzte mich vor seine eigenen Wünsche und zeigte deutlich, dass er sich darum sorgte, was ich nun tun würde. „Nun ja. Ich wurde gebeten, dem Hohepriester noch etwas Gesellschaft zu leisten.“ „Dem Hohepriester? Du meinst den Typen, der dich die ganze Zeit genervt hat?“ Gequält lächelte ich Varius an. Er hatte es also während unserer Reise mitbekommen. Doch scheinbar hatte er sich nicht getraut etwas zu sagen. Bis jetzt. In seiner Stimme waren auch deutliche Zweifel herauszuhören. Ihm schien es wirklich aufgefallen zu sein, wie gestresst ich alleine von Judars Anwesenheit gewesen war. „Genau der. General Ii hat mich gebeten ihn zum Palast zu begleiten, da der Hohepriester sich gut von mir unterhalten fühlte. Außerdem ist das die Chance noch das ein oder andere in Sachen Magie zu lernen. Wer könnte ein besserer Lehrmeister sein, als ein Magi?“ Ich mühte mir ein Lächeln ab, einfach um zu zeigen, dass ich wohl alleine zurecht kam. Varius sollte schließlich nicht seine eigenen Pläne über den Haufen werfen, weil er glaubte, ich sei so hilflos wie seine Schwester. Doch meine Worte schienen nicht zu fruchten. Er sah mich mit diesem besorgten Blick an, als wollte er sagen, dass er es für keine gute Idee hielt. „Moment, Ii-sama hat dich in den Palast gebeten?“ Hinata war für mich vollkommen in Vergessenheit geraten. Doch ihr Ausruf sorgte dafür, dass ich mich wieder an sie erinnerte. Stimmt, da war ja was. Sie war ein Fangirl. „Richtig. Und ich habe zugesagt. Es besteht also kein Grund zur Sorge.“ „Kein Grund zur Sorge? Und ob wir uns Sorgen machen müssen. Du hast keinerlei Ahnung von der Hofetikette, geschweige denn von den Umgangsformen unserer Welt. Dich alleine in den Palast zu lassen ist als würde man einen Sinbad in eine Grube voller nackter Damen werfen. Nein. Das kann ich nicht erlauben.“ „Was? Das man Sinbad in eine Grube voller nackter Damen wirft, oder das Eri in den Palast geht.“ „Beides, wobei ersteres hoffentlich niemals in Erwägung gezogen wird!“ „Es ist sogar fast mal passiert. Auf seinen Abenteuern. Nur dass in der Grube keine nackten Damen waren“, scherzte ich und sah zu Hinata, die mir sanft gegen die Stirn schnippte. „Nur damit wir uns verstehen, Erenya, ich komme mit. Ich lasse nicht zu, dass du respektlos der kaiserlichen Familie gegenüber bist.“ Auch wenn Hinatas Worte mehr einer Beleidigung glichen als einem Scherz, war ich erleichtert, dass sie mit mir kommen wollte, ohne das ich gefragt hatte. Damit blieb nur noch Varius. Hoffnungsvoll sah ich zu dem Fanalis, der seine Hand sanft auf meinen Kopf legte und mir über das Haar strich. „Dann ist das für uns drei doch kein Abschied, Kleines. Ich werde dich noch nicht alleine lassen. Ich denke du fühlst dich wohler, wenn du ein paar Vertraute bei dir hast, die die Wahrheit kennen. Außerdem können wir zu zweit deine Stütze sein. Dir helfen und mehr von unserer Welt beibringen. Dann fällt das 'Lügen' nicht mehr ganz so auf.“ Das Varius nun auch sagte, dass er bei mir bleiben würde, nahm mir die wohl größte Last von meiner Schulter. Mit zwei vertrauten Freunden an meiner Seite fühlte ich mich doch schon wesentlich ruhiger. Noch dazu drohte mir etwas mehr Wissen über diese Welt, was ich sehr gut gebrauchen konnte. Das hatte selbst ich verstanden. „Ich danke euch. Sehr sogar.“   Es schien fast so als hätte Hayato bereits alles bedacht. Er war nicht sonderlich überrascht, als ich mit Hinata und Varius zu ihm stieß. Ebenso schienen die Krieger die ihn begleiteten nicht überrascht zu sein. „Wie mir scheint, hast du alles geklärt.“ Ich nickte schweigend auf Hayatos Worte und sah zu Hinata und Varius, die respektvoll zu dem General sahen. Ihre Haltung war anders als mir gegenüber. Gefestigter, strenger. War vielleicht meine Haltung schon vollkommen falsch? „Dann können wir zum Palast gehen.“ Als hätten alle die ihn begleiteten, Diener, Kämpfer und andere Menschen deren Rang oder Aufgabe mir nicht ganz bewusst war, auf sein Zeichen gewartet, reihten sie sich hinter ihm ein, und folgten den General durch die Straßen. Ich hatte da mehr mit etwas komfortableren gerechnet, als einen Fußmarsch durch die Stadt. „Nantou ist nicht sonderlich groß. Der kleine Marsch wird dir wie ein Spaziergang vorkommen. Außerdem kannst du so etwas von der Stadt sehen“, flüsterte mir Hinata zu, die scheinbar meine Bedenken mitbekommen hatte. Dass sie mit ihren Worten Recht behielt, merkte ich schnell, immerhin waren wir schon mit wenigen Schritten aus dem Hafen raus. So groß wie Balbadd war der eben nicht, dennoch hatte er größere Ausmaße als Bitroun. Hier fanden genug Kriegsschiffe platz, welche die Soldaten ausluden. Nicht unweit von uns sah ich auch eine weitere Gruppe, unter denen ich einige der früheren Gefangenen Saams entdeckte. Sie wurden von Soldaten angeführt und in Richtung von Häusern geführt, die mehr danach aussahen, als seien sie unbewohnte Häuser, die noch ein paar Bewohner beherbergen konnten. Hayato hielt also Wort und würde sich um jene kümmern, die sich hier in Nantou niederlassen wollten. Für die meisten war es wahrscheinlich eine glückliche Fügung, immerhin hatten einige von ihnen alles in Bitroun verloren. Familie, Heimat und das bisschen, was sie als Vermögen deklarierten. Hätte Hayato mir nicht das Angebot unterbreitet ihn in den Palast zu folgen, wäre ich aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei ihnen gelandet und hätte mich erst einmal gesammelt um wieder zu wissen, was ich wollte. Nun konnte ich das ja im Palast erledigen. Gleichzeitig freute ich mich für die Menschen, die nun ihre Qual von drei Monaten hinter sich lassen konnten, auch wenn es einige Zeit dauern würde sich hier einzuleben. „Ich frage mich, ob die Schatzsucherin auch unter ihnen ist... oder die Kinder...“, flüsterte, als ich mich an jene erinnerte, denen ich versucht hatte die Flucht zu ermöglichen. Seit dem Vorfall, hatte ich sie nicht mehr gesehen, allerdings war es auch nicht sonderlich einfach gewesen auch nur ein bekanntes Gesicht zu erblicken, wenn man nicht gezielt danach suchte. Und ich hatte sie nicht gesucht. „Keine Sorge. Jeder der bei den Piraten war und nicht gerade das zeitliche Gesegnet hat, ist bei ihnen. Und es wird genug Platz für alle geben. Sieh nur.“ Hinata hatte mitbekommen, was ich geflüstert hatte und stupste mich daher mit ihrem Ellenbogen in die Seite, sie dass ich auf sie aufmerksam wurde. Sie verwies auf ein Haus, welches sich gerade in Aufbau befand und nicht nur dieses eine, halbfertige schien im Aufbau zu sein. Neben den alltäglichen Arbeiten die hier verrichtet wurden, wie das Abhalten des Marktes, wurde an so ziemlich jeder Ecke gebaut. Eine neue Brücke, die über den Fluss führen sollte, war erkennbar in Kontruktion und auf der anderen Seite wurden weitere Bauten wie Häuser bereits in Angriff genommen. Ein Krachen ertönte hinter uns und ich konnte nicht anders als mich umzudrehen, da mir bei diesem Geräusch doch schon das Herz in die Hose rutschte. Ich fürchtete, diese Idylle genauso schnell und unerwartet wieder zu verlieren, wie ich sie gewonnen hatte. Meine Befürchtungen blieben allerdings unbegründet. Es schien so, dass man die Mauer einriss, zumindest jene Stellen, an denen die Steine dunkler und von der Zeit gezeichnet waren. Das erklärte nun auch, warum an einigen Stellen die Steine wesentlich heller waren. Hier in Nantou wollte man wohl wirklich dafür sorgen, dass sich die Bevölkerung nicht sorgen musste und eine erneuerte Mauer sollte dafür sorgen. „Keine Sorge, Kleines. Auch wenn ich nicht gerade der beste Freund vom Kaiserreich Kou bin, so kann ich dir versichern, dass dies wohl der letzte Ort ist, an dem dir etwas schlimmeres als eine Erkältung passieren wird. General Ii ist nicht nur ein aufrichtiger Mann, sondern auch ein starker Krieger hinter dem eine ebenso starke Armee steht. Das habe ich im Kampf gesehen und auf dem Schiff.“ Auch wenn Varius Worte mich wohl beruhigen sollten, so taten sie es nicht. Ich tat mich wirklich schwer, nach all dem was passiert war, so etwas wie ein Gefühl der Sicherheit zuzulassen. Ich hatte immerhin verstanden, wie schnell ich alles verlieren konnte, was ich besaß. Mir war es schon zweimal passiert. Ein drittes Mal hatte ich nicht vor mich um meine Habe zu bringen. Allerdings... Mir wurde etwas bewusst. Es würde wieder passieren, wenn ich weiter in meinen Verhaltensmustern stagnierte. Varius hatte es schon einmal richtig erkannt, ich war nicht für den Kampf geeignet und dass ich bisher bestanden hatte, verdankte ich etwas Glück, meinem Borg und den magischen Fähigkeiten die mir Ugo mitgegeben hatte. Aber auf Dauer konnte ich mich darauf nicht ausruhen. Irgendwann musste ich offensiver werden oder zumindest meinen Weg finden zu kämpfen, ohne zu töten. Mehr Blut sollte wirklich nicht mehr an meinen Händen kleben. Neben den drei Piraten aus Bitroun und der Gefangenen, die an Unterernährung dahin geschieden war, hatte ich sicher noch ein paar mehr Menschen auf dem Gewissen, wenn man bedachte, wie das Piratenschiff gebrannt hatte. Mindestens die Person die das Feuer versucht hatte zu löschen war den Flammen zum Opfer gefallen. Wäre ich stark gewesen, hätte ich auch nur einmal den Mut gehabt in die Offensive zu gehen, oder darauf zu vertrauen, dass ich eine Magierin war, ich hätte einige Tode vielleicht verhindern können. Irgendwie. Und selbst wenn ich mich nun hinter starken Mauern befand, ich konnte so nicht weitermachen. Mich hinter Mauern zu verstecken war gleichbedeutend damit, mich selbst in einen Käfig zu sperren. Noch dazu würde es mich nicht weiter bringen. Ich musste endlich herausfinden, warum ich hier war und wie ich wieder zurück in meine Welt kam. Selbst wenn ich wohl Gefahr lief, dass ich in meiner Welt kein Leben mehr hatte. Aber wenn ich es hier schaffte von null an alles wieder neu aufzubauen, dann würde ich das doch auch in meiner Welt schaffen. „Varius... Ich habe eine Bitte an dich.“ Ich sah zu dem Wächter, der mich verwundert anblickte. Er schien wohl nicht erwartet zu haben, dass ich mit ihm die Konversation in diesem Moment suchen würde. Wenn meine Gedanken sich nicht so überschlagen hätten, wäre es wohl auch nie passiert. Dann hätte ich mir einfach weiter die Umgebung angesehen, die an uns vorbeizog. Vielleicht hätte ich mir dann ein paar Flecken gemerkt, die ich später aufsuchen, oder eben nicht aufsuchen würde. Aber im Moment gab es ein viel wichtigeres Problem. „Ich weiß, dass du gesagt hast, dass ich für den Kampf nicht geeignet bin. Das ich zu sehr zögere und mich deswegen besser irgendwo niederlasse und ein friedliches Leben friste. Wahrscheinlich sollte ich das wirklich tun, denn ich bin ein Feigling, habe immer Angst verletzt zu werden und ja, ich bin wohl auch zu naiv in manchen Punkten, aber ich kann das nicht. Nicht in dieser Welt. Ich kann mich nicht einfach zurücklehnen und hoffen, dass alles gut wird. Dass das was ich beherrsche reicht um mir ein Leben hier zu ermöglichen. Deswegen... Versuchen wir es noch einmal. Bring mir jede Kampftechnik bei, die du kennst. Waffenlos und mit Waffen. Es reicht, wenn es die Grundlagen sind.“ Die Grundlagen. Das musste einfach reichen. Zumindest um mich zu verteidigen. Gegebenenfalls auch um einen Gegner zurück zu schlagen. „Bist du dir sicher, Kleines? Du musst nicht kämpfen, wenn es dir widerstrebt. Was ich meine... Wenn du es wirklich ernst meinst, bringe ich dir einige Dinge bei. So etwas wie den Umgang mit dem Dreizack oder einem Speer, aber du solltest dich nicht gezwungen fühlen, das zu tun. Du hast andere Stärken die du nutzen kannst um hier zu überleben. Zum Beispiel den Hohepriester unterhalten. Wenn du diesen Job gut machst, dann kannst du am Hofe sicher eine gute Anstellung bekommen.“ Ich seufzte leise, denn wenn ich ehrlich war, schien mir Varius meinen Plan ausreden zu wollen. Dabei hatte ich es bereits entschieden. Ich wusste momentan sowieso nichts mit mir anzufangen und wenn neben dem Erlernen von wichtigen Fähigkeiten für diese Welt konnte ich so sicher auch etwas Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein lernen. Zumindest das von der Sorte, dass sich nicht nur aktivierte, wenn mein Kopf unter dem Beil eines Schafottes lag. Oder die Lage aussichtslos war. „Varius! Ich meine das ernst. Ich will mich nicht mehr schwach und nutzlos fühlen. Ich will nicht mehr einfach nur mit dem was ich kann überleben. Ich will mehr als nur überleben. Verstehst du das? Selbst wenn ich mich jetzt zurücklehne und einfach in Sicherheit lebe, irgendwann kommt der Tag an dem das vorbei ist. Irgendwann holt mich der Grund meiner Anwesenheit ein und ich bin machtlos. Das geht einfach nicht mehr. Ich kann nicht erwarten, dass es immer jemanden gibt, der mich beschützt und meinen Kopf aus der Schlinge zieht.“ Sein Blick ruhte immer noch ernst auf mir, während er sich meine Worte durch den Kopf gehen lassen schien. Einen kurzen Augenblick glaubte ich zu wissen, dass er meine Bitte ablehnte, doch schließlich zeigte sich auf seinen Gesichtszügen ein sanftes Lächeln. „Dann werde ich dir helfen. Vielleicht findest du so deinen Weg.“ „Und ich werde dich natürlich auch unterrichten. Je mehr Kampfrichtungen du kennst, desto wahrscheinlicher ist es, dass die findest, die dir am besten steht.“ Ich wandte meinen Blick zu Hinata, die mich breit angrinste, als hätte sie nur auf diesen Moment gewartet. Ich war beiden dankbar, dass sie mich unterrichten wollten. Jetzt musste ich also nur noch Judar überzeugen, mein temporärer Lehrmeister zu sein. Mit etwas Glück fand ich ein paar Pfirsiche und konnte ihn so bestechen. Oder ich bekam Zugang zur Küche und konnte ihm etwas backen oder zubereiten. Einen Weg gab es sicher.   Auch wenn ich mir den Palast doch ganz anders in seiner Gesamtheit vorgestellt hatte, war das, was ich vor mir sah einfach nur pompös. Der Palast war nicht ganz so groß wie der in der Hauptstadt, zumindest ging ich davon aus, aber er war schon jetzt für meinen Geschmack zu groß. Mit genug Pech würde ich mich darin verlaufen und müsste immer wieder nach dem Weg fragen. Oder aber Judar fand mich und dann konnte ich nicht mehr fliehen. Denn bei dieser Flucht würde ich mich definitiv verlaufen. Just in diesem Moment, als ich den Palast sah, wusste ich, dass mein gigantischer, temporärer Käfig gerade nicht nur golden gefärbt wurde, sondern auch kleiner. Auch wenn ich zugeben musste, dass alles hier wesentlich größer war als meine kleine Wohnung. Die Größe war aber wohl notwendig, wenn ich es nämlich richtig sah, waren hier einige Diener und Soldaten angestellt, die wie jene Menschen in der Stadt, ihren Aufgaben nachgingen. Wo meine Aufgabe sich im Moment befand, fragte ich mich allerdings. Wahrscheinlich war er aber bereits voraus geflogen. Wie sehr ich ihn doch beneidete. Ich hätte nur zu gerne den Levitationszauber gekannt. Nie wieder zu Fuß gehen... Wobei, es war wohl besser wenn ich noch etwas zu Fuß ging, sonst endete ich mit einer körperlichen Konstitution die Judar gerecht wurde. Demnach war es eine gute Idee mir nebenbei etwas Kampftraining anzutun. Vielleicht konnte ich so auch meinen inneren Schweinehund mal überwinden. Immerhin plante ich bereits seit Jahren jeden morgen joggen zu gehen. Das ich es noch nicht tat... naja war eigentlich klar. Die Trägheit hatte mich fest im Griff und es grenzte an ein Wunder, dass mich der Himmelschor noch nicht in die Hölle gestoßen hatte. Aber in der Welt von Magi hatte sich ja schon einiges verändert, wenn ich es recht bedachte. „Worüber denkst du nach, Kleines?“, fragte Varius flüsternd und verhinderte damit, dass ich ein ordentliches Resümee der letzten Monate hier ziehen konnte. „Nur darüber, wie unglaublich riesig das hier ist. Ich meine in meiner Vorstellung war der Palast noch etwas gigantischer. Aber das hier, ja ich glaube das hier ist schon groß genug um sich verlaufen zu können.“ Ein trockenes, leises Lachen kam von Varius, der nur mit dem Kopf schüttelte. Scheinbar sah er das ganze anders als ich. Aber er kam immerhin auch aus dieser Welt. „Das Kolloseum ist noch viel größer. Genauso wie Scheherazades Palast. Glaub mir, Kleines, wenn du mal auf Reisen gehst, wirst du Bauten sehen, die diesen Palast bei weitem übertreffen. Aber ja, hier ist es angenehm, man hat genug Bewegungsfreiraum und wenn deine Schulter wieder in Ordnung ist, finden wir sicher auch einen Platz zum trainieren.“ Die Schulter... Ich hatte das verdammte Ding doch tatsächlich vergessen. Ohne die Erinnerung von Varius, wäre es wohl wirklich passiert, dass ich mich schon jetzt ins Training gestürzt hätte. Solange ich keine Heilzauber beherrschte, brauchte ich wohl besser gar nicht erst ans Training zu denken. Schade eigentlich. Da hatte ich schon den Entschluss gefasst endlich mal was zu tun und ich musste wegen eines nervigen Kratzers warten. „Aber wehe dir du trainierst ohne mich. Das wäre absolut inakzeptabel“, murrte ich, um Varius deutlich zu machen, dass mir meine Verletzung missfiel. Ein gutes Zeichen, wenn man es psychologisch betrachtete, denn vielleicht würde ich dadurch endlich besser aufpassen. Von Varius hingegen kam nur ein kehliges Lachen, welches die Angestellten um uns herum zusammenzucken und zu uns blicken ließ. Während es Varius nicht störte, trieb es mir schon wieder die Verlegenheit ins Gesicht. Gott war das peinlich? Waren alle Fanalis so laut, wenn sie nicht gerade so schweigsam waren wie Masrur und Morgiana? Ich hoffte, dass mein Alexander sich nicht dahingehend entwickeln würde. Und ja, ich war der festen Überzeugung, dass Alexander noch lebte, sonst hätte ich ihn wahrscheinlich auf dem Sklavenmarkt wiedergefunden. Er musste also noch frei sein und wahrscheinlich waren Panthea und Nel bei ihm. Oh mein Gott, sie würden meinen kleinen süßen Alexander verderben. Ich machte mir erst relativ spät bewusst, dass ich in Gedanken gerade abgetriftet war, als Hinata mich liebevoll in die Seite stupste und ich bemerkte, dass wir fast alleine waren. Die meisten Krieger waren bereits von Hayatos Seite gewichen, wahrscheinlich um anderen, ihnen zugeteilten Aufgaben zu erledigen. Es mussten immerhin noch ein paar Sachen weggeschafft werden und andere Soldaten am Hafen brauchten mit Sicherheit auch noch etwas Hilfe. Ich für meinen Teil wusste gar nicht, was ich tun sollte. Sicher, meine Aufgabe bestand darin Judar zu unterhalten, aber im Moment schien Hayato nicht zu verlangen das ich es tat. Noch dazu wusste ich sowieso nicht, wo der Magi war. Aber wie ich ihn einschätzte, suchte er nach der langen Schiffreise nach einem ganzen Sack voller Pfirsiche. Wir waren bereits im Innenhof des Palastes angekommen und das Wetter war gnädig genug um einer Frau mit wohlvertrauten roten Haar ein paar Stunden in der Sonne zu gönnen. Sie saß im Hof auf einer Bank, neben dem ein Sonnenschirm aufgestellt war, doch sie hatte jene Seite bevorzugt, die von der Sonne begünstigt war. „Sie trainieren hier also auch schon die Jungen. Gute Sache. Man kann nie früh genug den Umgang mit den Waffen lernen.“ Verwundert sah ich zu Varius, der mich von der Frau ablenkte, die ich wahrscheinlich gerade so permanent angestarrt hatte, als hätte ich noch nie jemanden gesehen der sich sonnte. „Wie bitte?“, fragte ich verdattert, da mir sein Kommentar nichts sagte. „Hast du es nicht gesehen? Etwas weiter dort hinten trainieren die Kleinen mit Holzschwertern. Ich sag dir, sollte ich eine Familie gründen, werden sie von mir in der Kunst des Speerkampfes und des Schwertkampfes unterrichtet. Und natürlich auch in der waffenlosen Kampfkunst.“ „Du kannst auch ohne Waffe kämpfen?“ „Na hör mal, Kleines. Natürlich. Wo ich hinschlage, wächst kein Gras mehr.“ Varius lachte wieder sein freies Lachen, welches ich so oft am Lagerfeuer mit den anderen gehört hatte. Es schien ihm wirklich besser zu gehen, so in Freiheit und auch wenn er sich wahrscheinlich seine Freunde vermisste, so merkte man es ihm nicht an. Das war eines der Dinge, für die ich ihn beneidete, dass man eben nicht merkte, dass es ihm nicht gut ging. „Varius, sei ruhig, du störst Ren Kouren-sama!“ Varius Lachen verstummte wieder, als Hinata ihn erbost um Ruhe bat. Mein Blick wandte sich wieder zu der Frau, die uns mit strengen Blick bedachte. Allerdings kommentierte sie nichts von dem was wir taten. Im Gegenteil sie blieb sitzen und wartete darauf das Hayato sich ihr näherte. Ich erkannte zum ersten Mal ein kurzes Lächeln auf seinen Lippen, eines das mir sagte, dass diese Frau ihm soviel mehr bedeutete, als wahrscheinlich alle anderen Menschen. „Hayato, es ist gut dich wieder zu sehen.“ Vor ihr blieb Hayato stehen und hielt ihr die Hand entgegen. Sie nahm sie und erhob sich langsam und elegant, wie es sich für eine wahre Königin oder Herrscherin geziemte. „Keine Sorge, die Piraten waren zwar nicht schwach, aber ohne Disziplin und Organisation.“ Ihr Blick glitt zu Hayatos Arm, der nicht gerade sehr davon zeugte, dass die Piraten unorganisiert waren, doch sie schwieg darüber und blickte ihn wieder an. „Kourin und dein Bruder sind in der Nacht ebenfalls hier eingetroffen. Ich habe die Diener angewiesen ihnen ein Zimmer bereit zu machen. Ich denke sie werden heute mit uns zu Abend essen.“ Das Lächeln welches ich zuvor bei Hayato bemerkt hatte, erschien mir immer verständnisloser. Mir war absolut nicht klar, in was für einer Beziehung die beiden zueinander standen. Ich meine er war der General und sie augenscheinlich die Herrscherin. Hieß das, er war ihr Untergebener? „Ich danke dir. Ich möchte dir jemanden vorstellen. Ich habe sie als Gast zu uns an den Hof gebeten.“ Hayato wandte sich zu uns um und ich erstarrte förmlich als er mich zu sich und der Ren winkte. Alles in mir sträubte sich loszugehen, doch Hinata versetzte mir einen Schubs in die Richtung des Generals, so dass ich stolpernd auf die beiden zuging. „Kouren, ich stelle dir Erenya vor. Sie hat sich bereit erklärt dem Hohepriester etwas die Langeweile zu nehmen.“ „Sie?“ Unglauben war deutlich in Kourens Stimme zu hören. Sicher, ich sah jetzt nicht gerade fähig aus, aber man konnte auch nicht behaupten eine Banane die gerade war, schmeckte schlechter als eine Krumme. „Keine Sorge, der Hohepriester hat sich bereits an Bord des Schiffes gut von ihr unterhalten gefühlt.“ Hayato sah zu mir und irgendwie hatte ich gerade eher das Gefühl nicht wirklich anwesend zu sein, so wie man über mich sprach. „Erenya, darf ich vorstellen, meine Gemahlin Ren Kouren. Zweite Prinzessin des Kaiserreichs Kou und Herrscherin über Nantou.“ Nun erklärte sich das Lächeln. Sie war also seine Frau. Wobei, musste man so lächeln wenn man verheiratet war? Mein Blick glitt zu Kouren und ich versuchte zu erkunden, was sie fühlte, was sie dachte oder wie sie zu Hayato stand, denn momentan wirkte sie mehr distanziert und so als sei sie mit ihm verheiratet worden ohne, dass da Gefühl im Spiel waren. Allerdings wäre das im Magi-Fandom auch nicht sonderlich neu oder verwunderlich gewesen. „S-Sehr erfreut, Ren Kouren-sama...“, stotterte ich und sah zu Hinata, die alles mit anhören konnte und mir wahrscheinlich schon für den kleinsten Fehler Feuer unterm Hintern gemacht hätte. Und das ich bereits einen Fehler begangen hatte, konnte ich ihm am Gesicht ablesen. Sie gestikulierte und imitierte die Begrüßung wie ich sie von Hakuryuu gegenüber Sinbads gesehen hatte. Musste ich das etwa auch tun? Mein Blick glitt zu Kouren, die mich erwartungsvoll ansah. Scheinbar, war da wirklich etwas, dass ich tun sollte. Es ratterte in meinem Kopf und schließlich, ging ich vor ihr auf die Knie und ahmte die Bewegung Hinatas nach. „Es ist mir eine Ehre hier sein zu dürfen“, erklärte ich, um das unangenehme Schweigen zu durchbrechen, welches meine zögernde, richtige Begrüßung heraufbeschworen hatte. „Und die zwei da hinten?“, fragte Kouren ohne auf mich näher einzugehen. Scheinbar wollte sie meinen Fehler einfach übergehen und zu den nächsten wichtigen Dingen kommen. „Sie sind die Begleiter von Erenya. Hinata-san möchte ihren Herren wiederfinden und ist solange bereit unserer Armee beizutreten. Ich empfehle sie vorerst, solange sie als Begleiterin Erenyas hier ist, sie hier im Palast einzustellen. Varius hingegen kommt aus Rem und hat seine Karawane verloren zu der auch Erenya gehörte.“ „Wird der Fanalis unserer Armee beitreten?“ „Ich glaube nicht, Kouren. Auch wenn ich seine Kampfkraft in unseren Reihen sehr begrüßen würde.“ Kouren schien das Interesse an mir nun vollständig verloren zu haben. Kein Wunder, wenn sie mir schon nicht zutraute, dass ich Judar irgendwie ablenken konnte. Ich betrachtete sie und bemerkte von nahem, eine kleine Wölbung an ihrem Bauch. Es war keine Wölbung, wie ich sie in meiner Welt hatte, im Gegenteil, sie wirkte strukturierter und irgendwie schöner. Genauso wie bei einer Frau die schwanger war. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Deswegen also sollte ich Judar ablenken, um ihre Nerven zu schonen, um ihr den wohl größten Streß vom Leib zu halten, der sich derzeit in Nantou befand. Für alles andere hatte sie ja sicher noch die Hilfe ihres Mannes, aber wenn es um Judar ging, schien nicht einmal Hayato genug Nervendraht aufweisen zu können. Die Frage war nur, ob ich genug Nerven für den Magi hatte. „Ich werde mein bestes geben Judar zu beschäftigen. Er wird euch nicht stören... zumindest nicht ständig.“ Warf ich ein und erntete damit einem doch schon sehr ernsten Blick von Kouren, der mir sagte, dass ich in meiner geistigen Abwesenheit nicht bemerkt hatte, wohin das Gespräch abgedriftet war. Es ging gar nicht mehr um mich und meine Begleiter. „Warum stehst du dann noch hier wenn du weißt was deine Aufgabe ist?“ Wenn Blicke töten könnten, dann wäre ich auf der Stelle tot umgefallen. Hilfesuchend sah ich hinter mich, in der Hoffnung, Varius und Hinata zu sehen, doch beide standen nicht mehr da. Ich hatte mich damit wohl gehörig ins Fettnäpfchen gesetzt. Doch die Peinlichkeit über diese Tatsache währte nicht lange, als ein Tor sich im Innenhof öffnete und Pferdehufe deutlich hörbar den Untergrund erbeben ließen. An vorderster Spitze der Soldaten ritt eine rothaarige Frau hinein. Sie trug die wohl königliche Kleidung einer Prinzessin, deren Stoff aber alles andere als reinlich wirkte. Im Gegenteil, er war an einigen Stellen abgewetzt und abgetreten und zeugte davon, dass diese Dame nicht ganz dem Ideal einer Prinzessin oder Herrscherin entsprach, wie es Kouren tat. „Schwester!“ Vor Hayato und Kouren blieb das Pferd der Frau stehen. In einer fließenden Bewegung, die sie scheinbar schon häufiger getan hatte, sprang sie von dem Tier und warf sich Kouren förmlich in die Arme. Wobei auch sie, deutlich sichtbar, vorsicht, wegen Kourens Bauch, walten ließ. „Kourin, ich dachte du bist bei deinem Lehrer.“ „Ach weißt du... mir war langweilig und da dachte ich, dass ich ein wenig ausreite. Und als wir schon so dabei waren, haben wir auch gleich ein kleines Wettreiten veranstaltet.“ Genauso schnell wie sie ihren Weg in Kourens Arme gefunden hatte, löste sie sich aber wieder um sich Hayato zuzuwenden, der die Soldaten, die nach Kourin eingeritten kamen, begutachtete. „Du hättest besser eine Rüstung zum Reiten getragen“, erwiderte er, während er begutachtete, was der wilde Ritt mit Kourins Kleidung angestellt hatte. „Verzeiht, Ii-sama. Es war ein sehr spontaner Entschluss und meine Schwester wünscht, dass ich diese Tracht im Palast trage. Ich werde beim nächsten Mal besser Acht geben.“ Respektvoll, als wäre Hayato auch ihr General, verbeugte sich Kourin vor ihm und blies sich noch während dieser Verbeugung eine lästige Haarsträhne aus dem Gesicht. Scheinbar war diese aus dem hochgesteckten Zopf gerutscht, der dem von Kouren ähnelte, aber in seiner Machart wesentlich schlampiger war. „Dann solltest du dich umziehen, Kourin.“ „Jawohl!“ Als hätte Hayato ihr einen Befehl gegeben, wandte sie sich zu den Soldaten um und gab ihnen ein Zeichen dafür, dass sie wegtreten sollten. Auch für mich war das ein Zeichen, dass ich hier wohl nicht mehr gebraucht wurde, auch wenn ich nicht einmal wusste wohin ich sollte. Ein Anfang wäre aber sicher gewesen, Judar zu suchen. Immerhin hatte ich einen Auftrag zu erledigen.   Judar hatte ich nicht gefunden, dafür hatte mich eine Dienerin entdeckt, die scheinbar nach mir gesucht hatte. Ohne das ich die Chance bekommen hätte es abzulehnen, hatte sie mich dazu überredet ihr zu folgen und als ich sah, wohin, verschlug es mir die Sprache. Ein Zimmer, ein wirklich eigenes Zimmer, das erst einmal mein persönliches Reich darstellte. Und es war gigantisch, mehr oder weniger. Denn wenn ich ehrlich war, wusste ich nach meiner Reise auf dem Piratenschiff nicht einmal mehr, ob diese Größe von vielleicht 15 Quadratmetern als gigantisch gelten konnte. Jedenfalls hatte dieser Raum ein großes Bett, vor dem eine Truhe stand, ein Fenster mit schöner Aussicht und eine Tischchen mittig im Raum, auf dem ich bereits einen Stapel Papier und Schreibzeug vorfand. „Ii-sama hat euch dieses Gästezimmer zugeteilt. Ihre Sachen können Sie in der Truhe lagern und weil... naja weil sie nicht viele Habe hatten, haben wir ihnen auch ein paar Kleider in den Schrank getan. Wenn Sie möchten, können Sie sich gerne vor dem Abendessen umziehen. Wir haben ihnen auch eine Schüssel mit warmen Wasser bereit gestellt, falls sie sich waschen möchten.“ Überfordert mit der ganzen Situation, vor allem mit der Tatsache, wie mich die Dienerin ansprach, sah ich zu dieser. „Und wenn Ihr noch etwas braucht, gebt uns Bescheid.“ „Ähm, danke. Ich... Uhm... Ich glaube ich bin ganz zufrieden, im Augenblick?“ Ich hoffte zumindest das ich es war, denn mehr Luxus konnte ich wahrscheinlich nicht vertragen. Mal ehrlich, eine Dienerin behandelte mich, als wäre ich jemandes besonderes. Dabei war ich auf gesellschaftlicher Ebene eher mit ihr gleichauf. Es fühlte sich daher nicht einmal gut an, so behandelt zu werden. „Wobei... Haben Sie Judar gesehen?“ Es war das wohl einzige worum ich bitten konnte. Ein paar mehr Augen um den Schelm zu finden hätte sicher nicht geschadet. Wie sonst hätte ich ihn von Kouren fernhalten und so beweisen sollen, dass ich zu etwas gut war? „Der ehrenwerte Hohepriester zieht den Obsthain im westlichen Teil des Schlosses als seinen Rückzugsort vor. Wenn Ihr ihn sucht, werdet Ihr ihn dort sicher finden.“ „Und wo befinde ich mich gerade?“ Verblüfft sah mich die Dienerin an, denn scheinbar hätte ich das wissen müssen. Allerdings war ich in Sachen Orientierung nicht gerade die beste, so dass ich wirklich nicht wusste, wo ich mich gerade befand. „Im östlichen Flügel des Palastes. Wenn ihr zum westlichen Teil wollt, braucht ihr nur quer über die Terrasse gehen. Sie führt in den Innenhof. Seid aber vorsichtig, denn manchmal trainieren die Soldaten Ii-samas dort.“ Sie verwies mit einer Handbewegung zu einer Schiebetür, deren Sichtschutz aus Reispapier bestand. Ich hätte sie eiskalt für einen Schrank gehalten, aber scheinbar war es eher ein Weg ins Freie. Gut zu wissen. „Danke vielmals. Ich denke ich komme nun zurecht.“ Ich lächelte ermutigende, erntete allerdings wie bei Kouren einen zweifelnden Blick. Ich fragte mich wirklich, wieso man mich jedes Mal so zweifelnd ansah. Was wusste man hier über mich? Oder viel eher, was wusste man nicht? „Wirklich. Ich werde mich später noch umsehen. Wenn ich einmal alles gesehen habe, ist alles in Ordnung.“ Ich bemühte mich wirklich, es so klingen zu lassen, als würde alles in Ordnung sein. Ich meine, an sich war es das ja auch. Abgesehen davon dass ich von den zwei Ren-Prinzessinnen wesentlich verschreckter war als von Kouha. Aber Kouha war sowieso eine Nummer für sich. Und irgendwie vermisste ich ihn gerade. Ich meine ich wusste wie abgedreht er sein konnte, aber irgendwie hätte er mir hier sicher helfen können. Vor allem bei Judar. 'Ganz ruhig, du schaffst das schon', sprache ich mir im Geiste selbst Mut zu. Richtig. Ich konnte es schaffen. Ich hatte es ja auch bereits. Warum sollte ich also dieses Mal scheitern? 'Sieh es positiv, Judar ist momentan der Einzige, der dir vielleicht etwas über Magie beibringen kann. Also nutz das aus. Eine Hand wäscht die andere.' Ich schmunzelte bei diesem absurden Gedanken. Sicher. Ich konnte Judar vielleicht damit erpressen mein Lehrmeister zu werden, wenn er unbedingt ein anderes Ende für Loki wollte. Die Frage war nur, würde er sich darauf einlassen oder würde er durch diese Erpressung das Interesse an den Geschichten verlieren? Ich musste das ganze sorgfältig durchdenken. 'Vielleicht sollten wir uns, solange wir darüber nachdenken, einfach umsehen.' Das war doch in der Tat ein guter Vorschlag. Bevor ich mich auf dem Weg zum Obsthain verlief, war es wohl wirklich besser die Umgebung erst einmal zu studieren. Schaden konnte es auf alle Fälle nicht.   Es war eigentlich lächerlich, aber die Küche war das erste, was ich gefunden hatte. Wahrscheinlich wollte mein Schicksal mir damit irgendetwas sagen. So etwas wie „Hier gehörst du hin“, oder „Hey, beginne in jeder deiner neuen Umgebungen am besten mit der Küche.“ Vielleicht war es auch einfach nur der Wink mit dem Zaunpfahl, dass ich hier meinen kulinarischen Horizont erweitern konnte. Sicherlich gab es auch in Nantou ein paar leckere Gerichte die ich später Ameen beibringen konnte. Freuen würde es ihn garantiert. Doch anders als in Ameens Küche, merkte ich deutlich, dass ich hier nicht erwünscht war. Man erlaubte zwar, dass ich mich hier aufhielt, schielte mich aber schief von der Seite an, als versuchte über die Schulter der Köche zu blicken und so zu sehen, was in den Töpfen brutzelte. Das Ende vom Lied war, dass man mich liebevoll raus warf. Ins Freie. Draußen, nicht unweit von der Küche, fand ich schließlich auch die Ställe. Neben den Pferden, von denen ich einige bereits bei Kourins Ankunft hatte bewundern können, entdeckte ich auch ein paar dicke Schweine und Hühner. Das niedlichste waren aber wohl die Kaninchen, die in ihrem kleinen Zwinger umherhüpften, oder an an Karotten knabberten, die man ihnen zum Essen reingelegt hatte. Sie waren alle so quickfidel und ich musste schon in gewisser Weise dem Drang widerstehen einfach eines dieser flauschigen Knäule aus dem Zwinger zu holen und zu knuddeln. Und ja, sie waren flauschig. Eines von ihnen sah sogar aus wie ein aufgeplatztes Sofakissen und machte es nur noch knuddelswerter. „Gewöhn dich bloss nicht an ihren Anblick.“ Während ich in den Zwinger sah, hatte sich meine Welt nur noch auf die flauschigen Bälle beschränkt, so dass ich den jungen Mann neben mir gar nicht mitbekommen hatte. Andererseits hatte ich mich aber auch nicht erschrocken, sondern sah zu ihm mit diesem fragenden Blick. „Oh, du weißt es also nicht. Da wo du her kommst isst man wohl keine Kaninchen.“ Ich wusste nicht, was an seiner Aussage mich mehr stören sollte, dass man bei mir wohl keine Kaninchen aß, was wir eindeutig taten, oder dass es ausgerechnet diese süßen, niedlichen, treu schauenden Kaninchen waren, die auf dem Speiseplan standen. „Die Kaninchen hier werden gegessen?“ „Natürlich, wofür sind sie sonst da?“ „Ich dachte das sind Haustiere.“ Ein Lachen erschallte im Stall, als meine Aussage bei dem jungen Mann durchgesickert war. „Natürlich, genauso wie die Schweine unsere Haustiere sind.“ „Und die Pferde?“ „Pff... Man isst keine Pferde, außer sie taugen nichts mehr. Wobei man alte Pferde nicht essen sollte. Die sind zäh wie die Schleifriemen der Krieger.“ Meine Gesichtszüge verzogen sich unweigerlich, als ich das hörte. Denn Pferdefleisch mit Schleifriemen zu vergleichen war mir doch etwas zu absurd. Woher wollte dieser junge Mann noch dazu wissen, dass Schleifriemen zäh schmeckten? „Wie ist dein Name?“, fragte er schließlich nach einiger Zeit und griff in den Zwinger um das aufgeplatzte Sofakissen hervorzuholen. „Erenya“ Meine Antwort blieb kurz angebunden. Noch dazu sah ich ihn zweifelnd an, denn er hielt mir das Kaninchen entgegen. Es war seltsam. Erst hatte er mir gesagt, dass ich mich nicht zu sehr an sie gewöhnen sollte und nun schien er sogar zu wollen, dass ich ein noch tieferes Band mit dem flauschigen Etwas einging. „Ah, Ii-donos Gast von den Piraten. Einer der Soldaten hat mir erzählt, dass du ein Piratenschiff in Brand gesteckt hast.“ „Naja nicht direkt. Ich habe nur die Vorbereitungen getroffen, dass es brennt. Jemand anderes hat den Kleinbrand nur verschlimmert.“ Erneut ertönte ein Lachen von dem Jungen, der ein weiteres Kaninchen aus dem Zwinger fischte, es dieses Mal aber selbst behielt und streichelte. „Dennoch, eine großartige Leistung. Auch wenn du damit vielleicht etwas in Ii-donos Plan reingefuscht hast. Glücklicherweise ist alles gut gegangen. Sag, hast du Ii-dono kämpfen sehen? Ist er nicht unglaublich?“ Euphorisch sah der Junge zu mir. In seinen Augen funkelten Erwartungen, die ich nicht erfüllen konnte, denn ich hatte Hayato nicht kämpfen sehen. Von dem Kampf selbst hatte ich kaum was erlebt. Dank meiner Ohnmacht. „Äh, ja, ich glaube schon das er unglaublich ist.“ Es war das einzige was was ich wohl einigermaßen Wahrheitsgemäß rausbringen konnte. Ich meine, der Mann war mit einer Ren verheiratet. Und noch dazu ertrug er Judar. Um so etwas zu schaffen musste man wohl einigermaßen unglaublich sein, auch wenn seine Unglaublichkeit der von Sinbad um einiges hinterhinkte. Und ganz im ernst, ich würde Sinbad das niemals auf die Nase binden, dass ich das dachte. „Ich beneide Ren Kourin-sama, die von ihm so vieles lernt. Oder seinen Sohn.“ „Er hat schon einen Sohn?“ „Das wusstest du nicht? Yuuta Ii ist der fünfjährige Sproß von Ren Kouren-dono und Ii-dono. Er wird sicher mal bei seinem Vater in die Lehre gehen und dann unsere Armeen verstärken. Ii-dono hat ein Gespür dafür. Nicht ohne Grund ist selbst die Armee die Ren Kourin-sama als Offizierin leitet so erfolgreich.“ Ich sah zu dem Kaninchen und strich sanft über sein flauschiges Fell. Es war schon eine Menge was ich nun über diese Menschen erfuhr aber dennoch, so interessant es war, ich konnte mich dieser Euphorie für die Armee einfach nicht anschließen, geschweige denn mich darauf einlassen. Allerdings wurde mir nun auch bewusst, warum Hinata immer so respektvoll von den Menschen des Königshauses sprach. Wahrscheinlich hätte sie sich nach diesen Informationen die Finger geleckt, wenn sie die nicht sogar schon kannte. Letzteres bezweifelte ich nicht einmal.   Nachdem ich das arme flauschige Häschen zurück in seinen Zwinger gesetzt und mich von dem Jungen verabschiedet hatte, war ich meiner mir auferlegten Aufgabe den Palast zu erkunden weiter nachgegangen. Neben einigen Räumen die für Gäste wie mich tabu waren und daher niemals betreten werden durften, hatte ich noch in Erfahrung bringen können, dass der Palast selbst eine Bibliothek haben dürfte. Jackpot. Ich hatte so also tatsächlich die Chance mich mal ausgiebig über diese Welt zu erkunden. Da ich allerdings keinen Zutritt zu dieser Bibliothek hatte, würde ich wohl auf die nächste Chance warten müssen, bis ich mit Hayato oder seiner Frau reden konnte. Wobei ich ehrlich gesagt Hayato bevorzugte. Kouren wirkte mir so ernst fast schon grimmig und wenn ich ehrlich war, machte mir das Angst. Hayato hingegen lächelte zwar auch nicht, aber ich hatte ihn bisher als einen sehr freundlichen und zuvorkommenden Mann kennengelernt. Ich meine, wer gab einer Magierin mit pyromanischer Veranlagung schon Alkohol? Allein durch diese Tatsache ging ich davon aus, dass er mir wenigstens ein kleines bisschen vertraute. Noch dazu traute er mir ja auch zu, dass ich Judar ablenken konnte. Wo wir wieder beim eigentlichen Grund meiner Erkundung waren. Nachdem ich nämlich den größten Teil des Palastes erkundet hatte, beschloss ich mich auf dem Weg zum Obsthain zu machen. Sicherlich suchte Judar immer noch Pfirsiche, oder schlug sich den Wanst mit ihnen voll, wenn er sie gefunden hatte. Ich ging um die letzte Ecke die mich zu der Tür führen sollte, die in den Obsthain verwies, als ich einen Mann erblickte. Komplett in gelber Kleidung, mit einem äußerst dämlichen Hut und heimlichtuerisch. Mir kam diese schmale Statur bekannt vor und das gelb und die Heimlichtuerei. 'Ka Koubun?' Ich hielt in meinen Schritten inne und versuchte mich bestmöglich zu verbergen, so dass mich der Berater und das spätere Hausgefäß von Kougyoku nicht erblickte. Leider war meine Entfernung zu groß, so dass ich nicht einmal hören konnte, was er ausheckte. Das er es tat, daran zweifelte ich in keinster Weise, denn er tat alles, damit Kougyoku an Macht kam und er dadurch auch bedeutend in seinem Rang aufstieg. Diese Seite an ihm fand ich widerwärtig, doch selbst ich musste mir eingestehen, dass er wahrscheinlich auch nur gutes für Kougyoku im Sinn hatte. Zumindest in den späteren Phasen. Er hatte sie schließlich aufwachsen sehen, wusste um ihre Schwächen und Ängste und vielleicht sah er sich selbst in Kougyoku wieder. Vollkommen angewidert von ihm sein konnte ich also nicht. Doch ich wollte ihn auch nicht unbedingt kennenlernen. Persönlich. So von weitem reichte mir schon voll und ganz. Es dauerte einige Zeit bis der Mann, den ich für Ka Koubun hielt, seinen Weg in die entgegengesetzte Richtung des Obsthains fortgesetzt hatte. Damit war die Luft für mich rein und ich konnte mich dem widmen, was ich vor hatte. Judar finden. Und ehrlich, ich glaubte immer noch nicht, dass ich ihn wirklich freiwillig suchte. Nur zu gut erinnerte ich mich an seine penetrante Nervigkeit, aber schön, ich wollte etwas. Mehr Zauber, mehr Tipps wie ich mich als Magierin verhalten könnte. Wenn ich schon vorerst nicht mit Varius trainieren konnte, dann wenigstens die Magie. So schädlich sollte die für meine Schulter nicht sein. Und wenn ich doch zu starke Schmerzen spürte, dann hatte ich immer noch den Zauber, den mir der Magier an Bord von Hayatos Schiff beigebracht hatte. Entschlossener denn je, Schritt ich durch die Tür und erblickte zu allererst Obstbäume in Massen. Erstaunt machte ich meinen ersten Schritt in diese so anders wirkende Welt des Palastes und erblickte zu meiner Linken unzählige Kirschbäume. Zumindest hoffte ich, dass es mal Kirschen sein sollten. Die Andeutungen dafür waren offensichtlich. Zu meiner Rechten hingegen waren die Bäume bereits vollbehangen mit reifen, fruchtig wirkenden Pfirsichen. So wie ich sie aus den Animes kannte. Rosa und in der ähnlichen Form eines Herzens, baumelten sie an den Ästen und warteten darauf gepflückt zu werden. Der Anblick war zwar eintöntig, aber doch auf seine Weise schön. „Ein Hain voller Herzen...“, murmelte ich und musste schmunzeln. Es wirkte wirklich so, auch wenn nicht jeder Pfirsich die perfekte Herzform hatte. Es war irgendwie beruhigend zu wissen, dass auch hier nicht alles perfekt geformt war. Noch beruhigender war, dass die EU keinen dieser Pfirsiche vernichten musste, weil sie nicht zu deren Kriterien passten. Selbst wenn das Magi-Universum auch ein gewisses Schönheitsideal hatte, ich hatte es zwar noch nicht offensichtlich wahrgenommen, würde jeden, vor allem Judar, nur interessieren, dass diese Pfirsiche auch wie Pfirsiche schmeckten. Mein Weg entlang der Bäume hätte ruhig noch ein wenig länger dauern können. Ich fühlte mich gut dabei hier entlang zu laufen und mich von der Natur inspirieren zu lassen. Es fühlte sich an, als würden meine Lebensgeister ein Stückchen mehr erwachen und aufblühen. Ich genoss dieses Gefühl der Wohligkeit, dass mir sagte, dass es nichts gab wovor ich mich fürchten musste. Im Nachhinein betrachtet gab es das vielleicht auch nicht. Ich hatte den Angriff auf das Hotel überlebt, war Kassims Fängen entkommen, denen der balbaddischen Soldaten, hatte den Angriff der Piraten auf Bitroun überlebt und war ihnen schließlich auch irgendwie entkommen. So im Nachhinein betrachtet grenzte das alles an ein Wunder oder viel eher an erstaunlichen Kräften. Kräften von denen ich nicht wusste, woher sie kamen, die aber wohl irgendwo in mir schlummerten und die ich, wenn auch nicht kontrolliert auslassen konnte. Wenn ich sie kontrollieren konnte... wer wusste schon wozu ich fähig war. Wozu ich noch in meiner Welt fähig sein würde. Selbst in der hatte ich mit meiner Stärke so einiges geschafft. Das Abitur, obwohl ich daran gedacht hatte es einfach hinzuwerfen, später das Studium. Ich hatte mich sogar irgendwie bei den Vodafonekunden durchgewrungen und hatte es eine lange Zeit ausgehalten und würde es vielleicht auch noch, wenn ich zurückkam und man mich nicht unehrenhaft entlassen hatte. Vielleicht konnte ich aber auch Ugo darum bitten, dass er die Zeit zurückdrehte. Irgendeine Möglichkeit würde es schon geben. Mein Blick glitt weiter über die Bäume im Obsthain. Selbst einen Apfelbaum, auch wenn er ziemlich einsam schien, stand hier und ein Magi-Bau- Ich stockte als ich die schwarzen Sachen des dunklen Magis in einem der Pfirsichbäume ausmachte. Er lag gemütlich auf einen Ast, ließ ein Bein herabbaumeln und hatte einen Arm hinter seinem Kopf verschränkt, während er mit dem anderen einen Pfirsich hielt den er sich zu Gemüte führte. Er genoß diese Frucht ausgiebig und kleckerte auf sein Oberteil und den Bauch. Scheinbar hatte Al-Thamen verpennt ihm ein paar Tischmanieren beizubringen. „Hier steckst du also, Judar. Ich hab dich schon überall gesucht.“ Unter dem Baum, auch wenn das wohl keine gute Idee war, blieb ich stehen und sah zu Judar hinauf, der kurz nach unten blickte und ein klein wenig überrascht schien. Allerdings war dieser Anflug von Überraschung nur so kurz, dass man ihn kaum bis gar nicht bemerkt hätte, wenn man ihm nicht so nahe gewesen wäre. „Du bist auch hier, Nebelkrähe.“ „Hayato hat mich eingeladen. Außerdem dachte ich dich interessiert wie Lokis Geschichte ausgeht. Oder du willst mehr von ihm hören. Ich hab da noch ein paar auf Lager.“ „Wirklich?“ Judar biss von dem Pfirsich ab und glitt von seinem Ast, so dass dieser wackelte und mich ein reifer Pfirsich haarscharf verfehlte. Es war wirklich nicht gut gewesen sich direkt unter diesen Baum zu stellen. Wobei es wohl allgemein nicht gut war in einem Obsthain zu stehen, in dem Judar genug Munition für ein Attentat fand. „Wirklich. Allerdings... Möchte ich für meine Dienste als Geschichtenerzählerin bezahlt werden.“ „Dann rede mit Hayato.“ „Er kann mir aber nicht geben, was ich will.“ Vor mir kam Judar auf dem Boden auf, nachdem er sich abwärts gleiten lassen hatte, dank seiner Levitationsmagie. Ich musste diesen Mist unbedingt lernen, denn es war einfach zu cool. „Und was willst du?“ „Ich will zaubern lernen. Bisher beherrsche ich nur Har Har Infigar und Flash. Außerdem habe ich einen Zauber gelernt der Schmerzen bei offenen Wunden lindert, aber auf die Dauer wird das nicht viel bringen.“ Und schon hatte ich Judars Interesse verloren. Er wandte sich von mir ab und lief auf eine Stelle zu, an der ein Pfirsich auf dem Boden lag. „Dann frage Hayato... er hat in seinem Gefolge auch den ein oder anderen Magier, der dir sicher etwas beibringen kann.“ „Ich will es aber nicht von irgendwem lernen, sondern von dir.“ „Keine Lust.“ „Dann bekommst du auch keine Geschichten von Loki.“ Schweigen trat ein. Scheinbar hatte ich Judar irgendwie in einen kindlichen Zwiespalt getrieben. Einerseits wollte er mir nichts beibringen, andererseits wollte er aber auch alles über Loki wissen. „Und warum muss es dann unbedingt ich sein?“ Er hatte wirklich keine Lust aber immerhin, ich hatte ihn am Haken, ich musste ihn nur noch ans Land ziehen. „Weil du zum einen schwarzes Rukh hast, wie ich. Du kannst mir also sicher zeigen, wie ich das zu meinem Vorteil nutzen kann. Noch dazu weißt du über schwarzes Rukh mit Sicherheit mehr als ich. Außerdem bist du ein mächtiger Magi. Warum sollte ich mich mit einem zweit- oder drittklassigen Magier abfinden, wenn ich von einem mächtigen Magi etwas lernen kann.“ Judar wandte sich wieder zu mir und biss in den Pfirsich. Ich konnte förmlich sehen wie es in seinem Kopf ratterte. Noch dazu kämpfte gerade sein Stolz gegen die Unlust an. Ich wusste das. Mir wäre es wohl nicht anders gegangen als ihm. „Außerdem, wenn wir diesen Deal hätten, würde ich dir auch jede Geschichte umschreiben, die dir nicht gefällt.“ Mein Grinsen wurde breiter. Sicher, mir schmeckte es nicht eine Geschichte umzuändern, aber für so etwas wertvolles wie das Wissen um die Magie, die hier meine Fähigkeit war, würde ich es tun. Ich musste es tun. „Na schön. Wenn du mir aber keine Geschichten erzählst wenn ich eine will, ist der Deal geplatzt.“ „Und nach jeder Geschichte bringst du mir etwas bei, auch wenn es länger dauert?“ Er schwieg. Unglaublich eigentlich, dass er gerade versucht hatte mich zu veräppeln. Da musste er aber früher aufstehen. Ich war vielleicht naiv aber nicht blöd. „In Ordnung. Ich rate dir aber schnell zu lernen.“ Sieg. Das war es, was Judars Andeutung bedeutete. Ich würde also von ihm etwas über die Magie und schwarzes Rukh lernen. Das war immerhin ein Anfang.   **~~**   Nach der ersten Geschichtsstunde mit Judar und der ersten Zauberstunde die darauf folgte, fühlte ich mich so gemattert wie nach einem Marathonlauf. Judar war einfach nur anstrengend und das in vielerlei Hinsicht. Als Zuhörer war er ein Kind, als Verhandlungspartner eine Nervensäge und als Lehrmeister der Horror. Irgendwie schien es Judar einfach nicht auf die Reihe zu bekommen, dass ich, selbst mit meinem schwarzen Rukh die Macht eines Magis haben konnte, ich aber dennoch ein einfacher Magier war. Er schien von mir zu erwarten, nur weil ich nun seine Schülerin war, dass ich ebenso machtvolle Zauber sprechen konnte wie er. In meiner ersten Stunde hatte er mir beigebracht wie ich die Macht meines Flashs vergrößern oder verkleinern konnte, indem ich mein schwarzes Rukh nutzte. Ich war sang- und klanglos gescheitert. Das bedeutete also nur, dass ich bis zur nächsten Geschichte üben musste. Ein Glück würde das nicht jetzt sein. Judar hatte sich zurückgezogen, etwas schmollend, aber dennoch nicht gelangweilt. Ich ging also davon aus, dass er Kouren in Ruhe lassen würde. Noch dazu war ich mir sicher, dass er mich aufsuchen würde, wenn ihm langweilig wurde. Denn das Ende von Loki hatte ihm alles andere geschmeckt und ich hatte ihm versprochen es umzuschreiben. Und ja, dieses Versprechen wollte ich auch einhalten. Es hing immerhin einiges davon ab. Deswegen wollte ich mich nun auch mein Zimmer zurückziehen und mich an das Tischchen mit dem Papier setzen. Da ich mich kurzzeitig aber auch verlaufen hatte, ja mein Orientierungssinn war nun wirklich nicht das Wahre, hatte ich einen anderen Weg zurückgenommen, sodass ich durch einen der vielen Innenhöfe, die für mich alle gleich aussahen, lief. Ich war schon kurz davor aufzugeben, als ich Kourin entdeckte. Unschlüssig ob ich zu ihr gehen sollte, näherte ich mich ihr einfach doch ich hielt inne, denn sie war nicht allein. Im Gegenteil, bei ihr war ein Mann in Rüstung, der seine schwarzen Haaren zu einem Zopf trug, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von Hayatos hatte. Ebenso, auch wenn er von der Statur eher athletischer war und wesentlich jünger wirkte, ähnelte er ihm dezent. Ich hielt in meinen Schritten inne und beobachtete das Geschehen, aus sicherer Entfernung, so dass man mich nicht entdeckte. Kourin wirkte nicht erfreut, im Gegenteil, sie gestikulierte erbost und auf ihrem Gesicht waren deutlich Falten des Zornes zu sehen. Es war daher wohl wirklich besser auf Abstand zu sein, auch wenn die Neugier in mir nur zu gerne erfahren hätte, worum es in diesem Gespräch ging. Da ich aber nichts hören konnte und es auch besser nicht riskierte noch näher an sie heranzugehen, würde ich es wohl nie erfahren. Mit etwas Glück, würde ich höchstens erfahren, wer dieser Mann war. Doch ob dem so sein würde, stand noch in den Sternen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)