Im Zeichen des Rukh von Erenya ================================================================================ Kapitel 23: Sicherheit ---------------------- Ich verzog das Gesicht, als ich ein Geräusch wahrnahm, das klang, als hätte jemand seine Finger gedehnt und diese knacksen lassen. Auch wenn es tiefer klang. Wie... das Einkugeln einer Schulter? Hatte ich dieses Geräusch schon einmal gehört? Keine Ahnung, aber es klang schmerzhaft und eklig und riss mich aus den Tiefen von etwas, in dem ich versunken war. Ohne Erinnerungen, wie damals, als ich die Magi-Welt betreten hatte. Ich wusste, dass irgendetwas passiert war, dass hier zu liegen irgendwie falsch war und mir ein paar Erinnerungen fehlten. Die schwachen Schmerzen in meiner Schulter verrieten mir das nur zu deutlich. Ich atmete tief ein und dachte nach. Richtig, Ruriel hatte mir nun auch die zweite Schulter ruiniert. Super, wenn das so weiterging, würde mich kein Mann mehr ansehen wollen, wobei, dass wäre wieder eine Kleinigkeit, die mich dann an meine Welt erinnerte. Yey, vertraute Einsamkeit. Nach dem Kampf, so wahr man das so nennen konnte, waren Varius und ich zum Hafen gegangen, bereit uns auch in das Getümmel zu stürzen. Mehr wusste ich nicht mehr. Da fehlten definitiv ein paar Momente meines Lebens. Ich atmete aus. Nein, da war absolut nichts, woran ich mich erinnern konnte. Ich wusste nicht einmal wo ich hier lag. Lag... lag... lag... es dauerte einige Sekunden bis ich realisierte, dass ich lag, dass ich Geräusche um mich herum wahrnahm. Wo war ich verdammt nochmal eigentlich? Meine Augen öffneten sich, als hätte jemand gerade den Startknopf von mir gedrückt. Nicht langsam, sondern blitzartig. Eine Holzdecke... ich hatte mehr ein paar Leichen erwartet, aber gut... eine Holzdecke. In meinem Kopf ratterte es. Eine Holzdecke... war ich wieder auf einem Schiff? Auf welchem? Saams bezweifelte ich einfach mal aufgrund der Flammen, die es fest im Griff hatten. Doch wo war ich dann? Mein Blick wandte sich zu meiner Linken. Ein weiterer Verletzter. Der arme Teufel sah genauso schlimm aus, wie ich mich nach dem Kampf gegen Ruriel gefühlt hatte. Der Blick zu meiner Rechten offenbarte nichts anderes, wieder ein Verletzter. Wo verdammt war ich hier? Ganz ruhig. Ich spürte eine gewisse Panik aufkommen. Ich lebte noch, das war immerhin ein gutes Zeichen. Alles war okay, oder? Erneut versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. Varius und ich waren am Hafen angekommen. Eisspeere hatte ich am Himmel gesehen, der Wind hatte einige von ihnen förmlich abgeschmettert. Ein Blitz war zur Erde niedergegangen und Varius. „Varius!“ Meine Gedanken waren hellwach, als ich mich erinnerte, wie Varius gegen einen Piraten kämpfte und ein Eisspeer auf ihn zuschoss. Wie von selbst schoss mein Körper in die Höhe, was mit einem ziehenden Schmerz meiner Schulter quittiert wurde. Verdammt! Ich tastete mit der linken Hand zu meiner Schulter. Das Erste, was mir auffiel, war der Stoff. Fühlte sich vollgebluteter Stoff so weich an? Nein, sicher nicht. Die Erinnerung daran, wie sich mein Oberteil nach Kouhas Angriff angefühlt hatte, war noch recht lebendig, auch wenn bereits etwas mehr als drei Monate dazwischen lagen. Was verdammt nochmal war passiert? Was hatte ich gemacht? Oder besser: Was hatte ich nicht gemacht? Ein dumpfes Gefühl sagte mir, dass ich da die ein oder andere Sache besser gelassen hätte, auch wenn ich nicht mehr genau wusste welche. Erneut schloss ich kurz die Augen und atmete tief ein und aus. Ganz ruhig. Ganz ruhig. Ich fühlte mich seltsamerweise nicht bedroht, auch wenn der Geruch von Blut in der Luft hing. Vielleicht war es auch mein eig- nein. Meine Sachen waren gar nicht blutig. Meine Sachen? 'Du weißt schon, dass dich jemand nackt gesehen hat, oder?' „Huh?“ Meine Gewissheit wusste scheinbar schon mehr als ich. Ich öffnete die Augen wieder und sah an mir hinab. Das waren nicht die Sachen, die ich am Markt getragen hatte. Wie kam ich in diese neue Kleidung? Es war ein weißes Oberteil, weit von dem grauen, rauen Fetzen entfernt, den die Piraten mir überlassen hatten. Der Stoff überschlug sich in einer Art die mich stark an den asiatischen Kleidungsstil von langen Gewändern, wie einem zugebundenen Haori oder etwa Yukata erinnerte. Wobei, nein, die Diagnose war wohl für beides fehlerhaft. Egal was es war, die eine Seite überlappte die andere und war durch einen Stoffgürtel verschnürt so dass sich nichts löste. Noch dazu, als sollte es zur absoluten Sicherheit dienen, war es unter der rechten Achsel zusammengeschnürt. Und nebst diesem Stoffgürtel war selbst das Oberteil viel zu groß, vielleicht war es eher für einen großen Mann, statt für eine Frau wie mich, gedacht? Der Gedanke kam mir auch bei der Hose. Immerhin hatte ich eine Hose. Unterwäsche hatte man mir scheinbar keine gegönnt. Wobei Unterwäsche hier Mangelware war. Yamraiha trug ja auch nur einen BH aus selbstklebenden Muscheln. Fakt war aber... Jemand hatte mich ausgezogen und nackt gesehen. Mich... nackt... gesehen. Sofort schoss mir die Schamesröte ins Gesicht. Mich hatte jemand nackt gesehen. MICH! Das war peinlich. Mehr als nur ein bisschen. Oh Gott, ich wollte gerade vor Scham sterben. Dabei hatte ich bisher so gut darauf geachtet, dass man nicht zu viel von mir sah und nun hatte mich doch tatsächlich... Nein, ich durfte diesen Gedanken nicht weiter festhalten. Argh... mich hatte wirklich jemand nackt gesehen. 'Oh bitte, Dornröschen, dass sollte gerade dein kleinstes Problem sein.' Sollte es? Nein, eigentlich war es gerade DAS Problem. Wobei... ich tastete an meiner rechten Schulter entlang. Sie war nicht so eben wie gewohnt. Vorsichtig schob ich den Stoff etwas beiseite und erkannte einen Verband. Scheinbar hatte sich jemand nicht nur Sorgen um meinen Kleidungsstil gemacht, sondern auch um meine körperliche Verfassung. Der Verband war frisch, nicht durchgeblutet. Wahrscheinlich schmerzte deswegen die Schulter kaum. Belasten sollte ich sie dennoch nicht so schnell. Nur zu gut erinnerte ich mich immerhin daran, wie sie geschmerzt hatte, nachdem ich etwas runtergekommen war. Höllisch. Nein, so schmerzpervers war ich nicht, dass ich mir das noch einmal antun wollte. 'Zweite Schulter im Eimer. Langsam wird es kritisch. Eine Dritte hast du nicht.' 'Sähe ja auch albern aus. Drei Schultern.' Na immerhin die Stimmen in meinem Kopf amüsierten sich köstlich. Grandios. Wobei, wie lange war es her, dass sie sich so angeregt unterhalten hatten? 'Wir haben endlich mal gut geschlafen.' Gut geschlafen? Richtig, so erholt wie gerade, hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Es fühlte sich an, als hätte ich eine ganze Woche lang durch geschlafen. Wobei das eher unmöglich war. Aller Wahrscheinlichkeit waren es höchstens ein paar Stunden. 'Kann man Bewusstlosigkeit als Schlaf bezeichnen?' Eine interessante Frage. Wobei, war ich bewusstlos gewesen? Ich rieb mir die Schläfe und seufzte leise, aber tief. Erneut kam mir die Frage in den Sinn, wo ich nun eigentlich war. Hätten Piraten sich so um mich gekümmert? Ich bezweifelte es irgendwie. Mein Blick glitt durch den Raum. Er wirkte eher wie ein Lazarett, statt eines Kerkers. Mit Sicherheit hätten die Piraten nur ihre eigenen Männer verarztet. Meine linke Hand rutschte etwas von der Matte auf der ich nun aufrecht saß. Sicher hätten sie mir auch keine Matte gegeben. Also, wo war ich? Klack. Etwas stieß gegen meine Fingerspitzen. Ich sah zu meiner linken Hand und erkannte, was ich berührt hatte. Und wieder schlug die Gewissheit ein, dass dies sicher nicht ein Gefangenenlager der Piraten sein konnte. Sie wären nicht so größenwahnsinnig gewesen und hätten mir meinen Stab, Nels Stab, an die Seite gelegt. Ein Glück. Noch einmal hätte ich seinen Verlust wahrscheinlich nicht verkraftet. Der kleine Mistkerl war mir, dank seines Alexandrits, doch irgendwie ans Herz gewachsen. Doch nicht nur der Stab lag dort. Ich erkannte auch die Tasche, welche Daria genäht hatte. Ohne zu zögern griff ich nach dieser und öffnete sie und... eine einsame, imaginäre Fliege kam mir entgegen geflogen. „Was zum?“ War ich doch noch ausgeraubt worden? Es war nichts mehr darin. Keine Ölflaschen, die zwei Flaschen Alkohol fehlten, das Papier, das Küchenmesser und die Gabeln. Hatte ich etwa die ganze Munition verballert? Ich meine eine Gabel hatte sich mit Ruriel angefreundet, die Schreibfeder war einem Zauber gewichen... Hatte ich doch noch das Öl verwendet? Oder den Alkohol? 'Den Drink hätten wir nun gut gebrauchen können...', erklärte eine Stimme grinsend. 'Vielleicht doch Piraten... wenn sie wissen, dass Öl und Alkohol gut brennt, wollten sie dich sicher von der Materie fernhalten.' 'Baka~ Dann hätten sie ihr auch nicht den Stab hingelegt.' Meine Stimmen machten deutlich, dass das Chaos und die Verwirrung groß war. Aber ehrlich gesagt, vermisste ich momentan keine der Sachen. Abgesehen von dem Papier. Ich hätte nur noch eine Feder gebraucht und ich hätte meinen Kopf zum ersten Mal seit über drei Monaten wieder freibekommen können. Aber nein, das Schicksal war eine Bitch. 'Wahrscheinlich... wenn ich das anmerken darf, dachte man, dass wir nach dem erwachen durchdrehen. Du weißt schon, verwirrt und orientierungslos, vielleicht noch panisch, was wir eindeutig sind. Dann noch die Tatsache, dass wir ein Schiff abgefackelt haben... das dient vielleicht nur zur Sicherheit aller hier.' 'Klar, sie ist ja so ein durchgeknallter Psychopath.' 'Naja über den Alkohol hat sie sich etwas zu sehr gefreut, wenn du verstehst was ich meine.' 'Yey, wir sind ein Pyromane Level 10.' Ich schüttelte widerwillig mit dem Kopf. Oh man, diese Stimmen waren mir lieber, als ich noch übermüdet war. Da gab es sie kaum. Verdammt. Papier... ich brauchte bald wirklich Papier und Feder. Ganz dringend. 'Das klärt allerdings immer noch nicht die Frage wo wir sind, richtig?' Richtig. Das klärte es nicht. Ich musste fokussiert bleiben, wenn ich die Antwort wollte. Immerhin ich wusste schon einmal, dass ich mich nicht in einem Kerker befand. Eher eine Krankenstation oder Lazarett. Es herrschte eine Totenstille. Da sich aber die Leiber der Menschen bewegten, konnte man davon ausgehen, dass sie nur schliefen. 'Haben die armen Soldaten sich verdient.' Soldaten? Ich hatte es zu Beginn nicht vollständig bemerkt, aber einige von ihnen trugen noch Teile, die wahrscheinlich von einer Rüstungen stammen konnten oder zumindest von einer militärischen Uniform. Ich hätte zumindest schwören können, Kleidung dieser Art auch auf dem Schlachtfeld gesehen zu haben. Ich lauschte angestrengt. Meine Sinne hatten von den hinteren Bereich etwas wahrgenommen, einige Geräusche. Irgendwoher musste ja dieses eklige Knochengezwurbel gekommen sein. So weit es ging, wandte ich meinen Kopf und irgendwo, im schummrigen Kerzenlicht war eine Tür. Sicher ein Behandlungszimmer. Auch wenn die Vorstellung absurd war, dass dort hinten ein Arzt sitzen sollte, der Patienten mit einer Gehirnerschütterung fragte, ob ihnen schlecht war. Ich bildete mir einfach ein, dass genau das der Fall war, denn von den Stimmen die aus eben jener Richtung kamen, konnte ich nichts heraushören. Vielleicht war das auch besser so. Mehr konnte ich allerdings auch nicht ausmachen. Außer, dass ich wohl irgendwie außer Gefahr war. Es fühlte sich zumindest nicht mehr bedrohlich an. Bedrückend vielleicht und staubig, Gott hatte ich einen Durst, aber nicht bedrohlich. Durst... wie lange hatte ich nun nichts getrunken? Den ganzen Morgen. Und den halben Nachmittag. Wie spät war es eigentlich? Allmählich wurde mir bewusst, wie wichtig die Frage wurde, wie lange ich das Bewusstsein verloren hatte. Mein Hals fühlte sich so trocken an, als hätte ich einen ganzen Tagesmarsch durch die Sahara gemacht. Staubtrocken und bröselig. „Du bist wach...“ Das Rascheln von Kleidung kam mir näher, begleitet von einer brüchig klingenden Stimme. Ich sah in die Richtung woher sie kam und erkannte einen Mann mit einem Stab. Sehr wahrscheinlich ein Magier, zumindest flatterte das Rukh aufgeregt um ihn herum, so wie ich es zuletzt nur bei Cassandra gesehen hatte. „Wie fühlst du dich? Schmerzt die Schulter? Ist dir schwindlig?“ Das waren viele Fragen auf einmal. Zu viele, die sich zusätzlich zu meinen eigenen gesellten, aber doch deutlich anmuten ließen, dass dieser Mann sich sorgte. „Ich... hab nur etwas Durst...“ Meine Stimme war kratzig, kein Wunder. „Verstehe. Hier.“ Er reichte mir einen Becher mit Wasser, den ich zuvor nicht bemerkt hatte. Scheinbar war er es aber gewohnt, dass nach dem ersten Erwachen der Ruf nach Wasser laut wurde. Mit solchen Kriegserfahrungen konnte ich leider, oder eher glücklicherweise, nicht dienen. Wobei ich darüber auch mal etwas gelesen hatte. Sicher war ich mir aber nicht. „Danke“, krächzte ich, nahm ihm den Becher ab und stürzte das erfrischende Nass meine Kehle runter. Öl hätte sicher nicht so gut getan wie das Wasser jetzt. Garantiert so gar nicht. „Könnten Sie mir ein paar Fragen beantworten?“ Nachdem ich endlich wieder bei Stimme war, die erste Dürre überwältigt schien, sah ich zu dem Magier, dessen Pupillen im Kerzenlicht klein wirkten. Er schien definitiv eine lange Nacht hinter sich zu haben. „Nur zu. Du hast lange geschlafen, da ist es nur verständlich, wenn du viele Fragen hast.“ Ich hatte mehr als nur viele Fragen. Ich hatte Dutzende und einige traute ich mich nicht einmal offen auszusprechen. Zum Beispiel wer mich in diese Klamotten gesteckt hatte. Wenn ich so tat als hätte ich es nicht bemerkt, konnte ich vielleicht auch darüber hinwegsehen... oder eher nicht. „Einige. Zum Beispiel, wo bin ich?“ „Auf dem Kriegsschiff von General Hayato Ii. Du musst dir also keine Sorgen machen.“ „Keine Sorgen? Das Wort Kriegsschiff ist nun nicht gerade eines, was danach schreit, das man sorglos sein kann. Was ist mit den Piraten passiert?“ „Sie wurden besiegt und für ihre Taten hingerichtet. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Ii-sama hat ausdrücklich befohlen, dass wir uns um die Gefangenen der Piraten kümmern und sicher nach Nantou bringen.“ Das waren viele Infos, die ich gerade bekam. Dennoch, ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, dass Saam zu der Sorte Pirat gehörte, der sich so einfach hinrichten ließ. Auch wenn ich es irgendwie hoffte, dass er zu den Verurteilten gehörte, denn ein Wiedersehen mit ihm würde sicher keine Freude bereiten. Und wie ich die Welt von Magi einschätzte, war auch sie ein Dorf. Verdammt. „Danke. Uhm... Das Sie sich um mich gekümmert haben. Ich... Sollte dann mal für den nächsten Platz machen.“ „Das solltest du noch nicht. Du warst in keiner sehr guten Verfassung. Dein Körper war sehr erschöpft und mit dem Zaubern hast du es in deinem Zustand auch übertrieben. Du solltest wirklich noch etwas Kraft tanken.“ Ich hob eine Augenbraue und sah zweifelnd zu dem Magier. Ich hatte es mit dem Zaubern übertrieben? Mein Körper war in keinem guten Zustand gewesen? Meiner Meinung nach hatte ich nicht viel gezaubert. Ein paar Lichtstrahlen, mehr nicht. Nichts, was mich erschöpft hätte. Dagegen war der Kampf in Bitroun wesentlich langwieriger gewesen und dieser hatte mich nicht ausgeknockt. „Mir geht’s wirklich gut. Die Schulter schmerzt nicht mehr so stark und ich denke, ich habe lange genug geruht. Wie lange eigentlich?“ Der Magier schwieg einen Moment. Er schien zu überlegen, wie lange ich schon hier lag. Kurz fragte ich mich, ob es denn so lange war, das man darüber nachdenken musste. „Seit dem vergangenen Nachmittag. Die Dämmerung ist in ein paar Stunden.“ Geistig rechnete ich nach. Mit einer genaueren Uhrzeit hätte ich wohl abschätzen können wie viele Stunden ich geschlafen hatte, aber ich ging mal davon aus, dass ich zum ersten Mal wieder auf die acht Stunden Schlaf gekommen war, die ich für gewöhnlich bevorzugte. Ein Wunder. „Eine ganze Zeit also... Unglaublich, dabei hat die Schulter so wehgetan. Haben Sie einen Heilzauber benutzt?“ „Nicht wirklich. Es ist ein Zauber der die Schmerzen bei Verletzungen stillt. Er gehört in die Kategorie der Kraftzauber.“ Ein Zauber der Schmerzen stillte? Das klang gut und war sicher praktisch. Noch dazu, wenn es ein Kraftzauber war, konnte ich ihn sicher lernen. Zumindest wollte ich es versuchen. „Wenn du willst, kann ich ihn dir beibringen. Man sagte mir, dass du mit einem Lichtzauber gekämpft hast. Dann sollte dieser Zauber dir kaum Probleme bereiten.“ Ich schwöre, meine Augen glänzten vor Freude. Drei Zauber zu können war für den Anfang sicher gut. Noch dazu, wenn er Schmerzen stillte. Es wäre endlich mal etwas nützliches, womit ich vielleicht sogar den Mädchen in Balbadd helfen konnte. „Allerdings, rate ich dir, wenn du den Zauber beherrschst, dass du ihn wirklich nur auf Wunden anwendest.“ „Was wenn ich es nicht tue?“ „Nun... Meist passiert nichts, die Rukh wissen dann nicht, wie sie reagieren sollen. Allerdings habe ich Gerüchte gehört, dass es Magier gab, die damit Menschen folterten. Sieh einfach davon ab, einen Zauber für etwas zu nutzen, wofür er nicht bestimmt ist.“ Vielleicht war es merkwürdig, dass ich überhaupt gefragt hatte, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, der Magier hatte durch meine Frage die falsche Message bekommen. Wie geisteskrank hatte ich nur in der Schlacht gewirkt? Oder hatte jemand das Öl bemerkt und erfahren, dass ich das Piratenschiff in Brand gesetzt hatte? Würde ich dafür noch Ärger bekommen? Hoffentlich nicht. „Verstanden, nur bei Wunden anwenden. Also, wie funktioniert der Zauber?“ Was folgte, war eine ausschweifende Erklärung von Worten, die ich wohl niemals würde aussprechen können. Der Zauber war einfach ein Zungenbrecher. Ich wusste nicht, wie der Magier diesen Spruch so oft hintereinander sagen konnte, aber ich brach mir schon beinahe beim ersten Versuch die Zunge. „Können Sie mir nicht einfach sagen, wie ich es visualisiere? Oder was für geistige Befehle ich den Rukh geben muss? Fremdsprachen sind jetzt nicht so mein Fall.“ „Fremdsprachen?“ War Magiersprache keine Fremdsprache? Argh, sicher nicht. Ich hatte ganz vergessen, dass es in Magi nur eine Sprache weltweit gab. Kein Wunder daher, dass mich bisher jeder verstanden hatte. „Ich meine Sprüche, sind nicht so mein Fall. Ich komme immer durcheinander. Wenn ich weiß, was ich visualisieren muss, geht das besser.“ Der Magier sah mich immer noch verwundert an und ich fragte mich, ob ich damit so ungewöhnlich war. Jeder hatte doch seine eigene Art zu lernen. „Denk an die Verletzung, an das Gefühl, welches sie auslöst und bitte die Rukh die Schmerzen zu mildern. Mit einem Spruch ist es einfacher, es ist wie ein direkter Befehl, aber wenn du es visualisieren musst... Stell dir den Schmerz vor und die Wirkung des Zaubers. Stell dir vor, wie der Schmerz nachlässt, während die Wunde in Berührung mit dem Magoistrom kommt.“ Selbst ich musste mir eingestehen, dass es so wohl schwerer war. Vielleicht sollte ich den Spruch 'Alam daght' üben. Zumindest die Aussprache. Wenn ich ihn das erste Mal richtig anwendete, konnte ich es vielleicht sogar leichter visualisieren. Ich konnte mich dann an das Gefühl erinnern, was der Zauber auslöste und dieses Gefühl immer wieder abrufen. So wie es bei Flash war. Ich hatte den Spruch nun sicher oft genug gesagt, dass ich ihn bald nicht mehr sagen musste. „Wenn die anderen aufwachen, können wir den Zauber gleich üben. Ich denke aber wirklich, dass du damit als oranger Magier weniger Probleme haben wirst. Halte dich an Licht- und Stärkezauber und du kannst den ein oder anderen Menschen damit helfen.“ War das wirklich die Sichtweise, die die Magier hier vertraten? Sich allein auf das zu verlassen, was man prädestiniert beherrschte. Yamraiha sollte ja auch eine sehr große Vorliebe für das Wasser haben. Dabei war es doch sicher hilfreicher, wenn man viele verschiedene Zauber oder zumindest ihre Wirkungen kannte. Aber gut, für den Anfang war es vielleicht besser, wenn ich mich mit dem beschäftigte, was mir Ugo mit auf dem Weg gegeben hatte. Also, Licht- und Stärkemagie. 'Was für ein Zufall, dass der Magier dir diesen Zauber beibringen kann. Was für ein Zufall, dass die ersten Magier die du kennengelernt hast, ebenfalls Stärkemagie beherrschten. Da ist was faul.' Die Stimme meines Misstrauens hatte Recht. Da war etwas faul. Es passte irgendwie zu gut. Viel zu gut. So als ob ich ferngesteuert wurde. Und das war ein beängstigender Gedanke, denn die Frage war, wie viel Entscheidungsgewalt ich da besaß. 'Nur nicht paranoid werden. Das sind Zufälle. Viele, aber es sind Zufälle.' „Du solltest dich wirklich noch ausruhen. Du siehst noch etwas blass aus.“ Es war der Magier, der mich von dem Thema des Absurden ablenkte. Erneut forderte er, dass ich noch etwas ruhte, allerdings gab es da noch ein paar Dinge, die ich sehen wollte. Und ohne diverse Gewissheiten, würde ich nicht ruhen können. „Nein danke, ich denke ich habe genug geruht. Es... ich möchte gerne aufstehen und nach jemanden sehen oder eher ihn suchen. Ich mache mir sonst zu große Sorgen um ihn.“ Der Magier seufzte, als ich es erneut ablehnte mich wieder hinzulegen und noch etwas zu ruhen. Er schien allerdings auch nicht vorzuhaben mich aufzuhalten. „Wenn das so ist, dann geh ruhig. Mach aber Pausen wenn dir schwindlig ist, überanstrenge deine Schulter nicht. Und die Tasche, auch wenn sie leer ist, solltest du vielleicht über der linken Schulter tragen.“ „So bevorzuge ich es meine Tasche zu tragen. Keine Sorge. Ich werde auf mich aufpassen. Danke, dass Sie mir geholfen haben.“ Ich griff zu meiner Tasche und dem Stab, bevor ich mich erhob. Die Schulter schmerzte ein wenig bei dieser kleinen Bewegung, aber der Magier hatte wirklich gute Arbeit geleistet. So, wie er es mir angeraten hatte und wie ich es sowieso schon immer tat, hing ich die Tasche über die linke Schulter. Seltsamerweise fühlte ich mich wirklich gut. Kein Zeichen von Schwäche war da, mein Kreislauf war hochgefahren. Ja, ich denke ich war zu diesem Zeitpunkt okay.   Entweder hatte der Magier selbst jegliches Zeitgefühl verloren, oder ich hatte mich einmal zu oft unter Deck des Kriegsschiffes verlaufen. Und das, obwohl ich immer wieder gefragt hatte, wie ich ans Deck kam. Im Gegensatz zu diesem Schiff war Saams eine kleine Nussschale gewesen. Irgendwann, wahrscheinlich weil man mir angemerkt hatte, wie verloren ich mich fühlte, hatte sich einer der Krieger meiner erbarmt und mich zum Deck begleitet. Auch er gab mir nötige Hinweise, die besagten, dass ich es nicht gleich übertreiben sollte und wenn notwendig wieder das Lazarett aufsuchen sollte, damit meine Gesundheit gewährleistet wurde. Er erzählte mir von einem Freund, Kampfgefährten, der seine Verletzung ebenfalls zu leicht genommen hatte und das mit seinem Leben bezahlt hatte. Aber ehrlich, was sollte mir passieren? Die Schulter hatte nur einen größeren Kratzer und abgesehen von den Kleinigkeiten die sich angesammelt hatten, hatte mir mein Körper wohl einfach den Dienst versagt. Mehr nicht. Erschöpfung war nichts, woran man so schnell starb. „Danke für Ihre Hilfe.“ Ich lächelte den Krieger an, der sich vor mir verbeugte, wie ich es nur von Hakuryuu kannte. Musste ich das auch tun? Keine Ahnung. Wenn es hier nach japanischem Standard in Sachen Verbeugung ging, wie tief musste ich mich dann vor einem Krieger verbeugen? Ich dachte nicht groß darüber nach, sondern verbeugte mich, einfach kurz und schmerzlos und nicht sonderlich tief. Im Nachhinein betrachtet, war das vielleicht nicht ganz so respektvoll. Dennoch, der Krieger schwieg und ging zurück unter Deck. Wahrscheinlich hatte er noch genug zu tun. Ich wartete, bis der Krieger außer Sicht war, bevor ich mich von der Tür abwandte und an Deck umsah. Die Luft war frischer als im Lazarett, doch es war keineswegs heller, auch wenn ich am Horizont diverse Farbunterschiede bei den Wolken sehen konnte. Mehr allerdings auch nicht. Wahrscheinlich dämmerte es wirklich gerade, da der Himmel aber nur aus dicken Wolken bestand, war das schwer auszumachen. Immerhin der Nebel hatte sich gelöst. Lediglich ein paar Nebelschwaden konnte ich in der Ferne des Bambuswaldes sehen. Bambuswald. Scheinbar hatten wir die Insel noch nicht verlassen, oder ich hatte die halbe Fahrt verpennt und wir waren bereits nahe einer anderen Insel. Ausschließen konnte ich es nicht. Ich strich mir ein paar meiner langen Haare aus dem Gesicht. Erfolglos, denn der Wind, der uns mit seiner Kraft umgab, wehte sie mir immer wieder vor die Augen. Wie dankbar wäre ich nun über einen von Suleikas Zopfbändern gewesen. Vielleicht sollte ich allmählich doch über einen neuen Haarschnitt nachdenken. Kurze Haare waren auf die Dauer sicher praktischer. Allerdings, wozu wollte ich es praktisch? 'Wie wir uns kennen, reiten wir uns noch in die ein oder andere Schlacht.' Ich seufzte. Richtig, in irgendeinen Konflikt geriet ich sicher wieder. Es würde also wohl wirklich Zeit werden, dass ich praktischer dachte und vor allem für alle möglichen und unmöglichen Situationen vorplante. Bisher hatte ich das zu wenig gemacht, was mich nicht wunderte. Mir fehlte das Wissen zu dieser Welt. Zur aktuellen politischen Lage, zur Lage der Hotspots für Kämpfe und so weiter. Vielleicht, so dachte ich, würde mir einer der Krieger auf die Sprünge helfen, wenn ich mal lieb fragte. Auch wenn ich für die Auskunft kein Bezahlung geben konnte, abgesehen von einer Geschichte. Mit etwas Glück mochten aber auch Krieger Geschichten. „Beschütze sie auf ihren Weg und vereine sie mit jenen die sie lieben...“ Auch wenn diese Stimme nur ein Flüstern war, wusste ich doch sofort, zu wem sie gehörte. Mein Blick sah sich suchend um und nicht unweit von mir stand Hinata an der Reling, ihre Hände zu einem Gebet gefaltet hatte. Die Frage für wen sie betete, erübrigte sich bei mir, als ich mich daran erinnerte, wie würdevoll sie den gefallenen Krieger behandelt hatte, dessen Schwert sie an sich genommen hatte. Der Wind, der ihr kurzes Haar umspielte, sie hatte es sich scheinbar wieder etwas gekürzt, schien ihr Gebet aufs Meer hinauszutragen. Doch nicht nur der Wind. Ich sah die Rukh, die ihren Worten lauschten und andächtig ihre Flügel bewegten. Vielleicht waren es die Rukh ihrer Kameraden, so wahr man jene Krieger die gefallen waren, als Kameraden bezeichnen konnte, oder Angehörige, die sich bedankten und ihr vermitteln wollten, dass nun alles gut war. Es war schwer, das anhand der einfachen Bewegungen der Rukh zu erkennen, doch es hatte etwas tröstliches zu wissen, dass es Wesen in der Welt gab, die einen immer zuhörten. „Möget ihr über jene wachen, die euer Werk fortführen werden“, flüsterte sie abschließend und verweilte noch einen Moment in ihrer Gebetshaltung. Auch wenn ich für gewöhnlich der Typ gewesen wäre, der direkt auf sie zugegangen wäre, vermied ich es, schwieg selbst und ließ Hinata diesen Moment, den sie wahrscheinlich mehr als nötig hatte. Einen Moment, den ich mir, wenn ich es recht bedachte noch nicht gegönnt hatte, da ich mich unmittelbar nach meiner kurzen Lehrstunden auf die Suche nach Varius und eben Hinata gemacht hatte. „Du kannst ruhig näher kommen.“ Verwundert neigte ich den Kopf etwas, als Hinatas Stimme nun kraftvoll und verständlicher erhoben war. Sie hatte mich bemerkt? „Ich wollte nicht stören. Dir war dieser Moment sicher wichtig.“ „Natürlich. Wir trauern um unsere Kameraden, wenn die Zeit es erlaubt. Vor allem um jene, die uns ihre Waffen hinterlassen haben.“ Hinata wandte sich zu mir um und zog ein Schwert aus einer schwarzen Hülle, in der ich ein paar winzige Kerben sehen konnte. Ja, dieses Schwert hatte jemandem wirklich sehr gute Dienste geleistet. Doch es war nicht nur das Schwert, welches Hinata trug, auch sie hatte sich umgezogen und ähnelte in ihrer Tracht mehr den Kriegern, die ich hier gesehen hatte, unterschied sich aber immer noch von meiner. „Sie haben dir einen Shuhe gegeben? Nett. Vielleicht solltest du wirklich überlegen dich in Kou niederzulassen. Ich kann mir vorstellen, dass dir auch noch andere Kleidung unserer Art steht.“ War das ein Kompliment? Hatte mir Hinata eben gesagt, dass mir der Shuhe, wenn die Kleidung die ich an hatte so hieß, stand? „Ich gehe mal davon aus, dass du mich nicht umgezogen hast... verdammt.“ „Unschuldig. Ich weiß doch, dass du dich zu Tode schämen würdest.“ Sie grinste verspielt, als sie das mit einem hämischen Grinsen sagte. Ich musste für meine Umwelt wirklich ein offenes Buch sein, wenn selbst Hinata das bemerkt hatte. Allerdings wollte ich nun noch weniger wissen, wer mich nackt gesehen hatte. Bei Freunden wäre es vielleicht nur halb so peinlich gewesen. Noch dazu war Hinata wie ich eine Frau. „Hast du Varius gesehen?“ „Ein geschickter Themenwechsel.“ Verdammt, sie hatte es bemerkt. „Schon ein paar Mal. Ich helfe dir beim Suchen. Er macht sich verdammt große Sorgen. Ich weiß zwar nicht, was im Kampf passiert ist, aber mir haben ein paar Kameraden erzählt, dass die Piraten nichts zu lachen hatten, während er dich beschützt hat.“ „Er hat mich beschützt?“ „Ja. Du bist wohl mitten im Kampf zusammengebrochen. Aber ehrlich, mich wundert es nicht. Wirklich gesund ist das nicht, was du die letzten Monate abgezogen hast.“ Hinata verschränkte die Arme und signalisierte mir damit, dass sie bereit war, mir eine gehörige Standpauke zu verpassen. „Wie meinst du das?“ „Hör auf. Denkst du, ich hab nicht bemerkt, wie du selbst die Reste so aufgeteilt hast, dass die anderen Mädchen genug hatten? Du hast zu selten etwas von dem Fleisch abbekommen, hast dein Obst an Daria, die Anderen und sogar an mich abgetreten. Obendrein hast du am wenigsten geschlafen, weil du dich heimlich um die Gefangenen gekümmert hast. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das auf dich zurückfällt. Allerdings muss ich ehrlich gestehen, dass ich schon früher damit gerechnet hatte. Du bist wirklich zäh.“ Anerkennend klopfte mir Hinata auf die rechte Schulter, allerdings zuckte ich wie vom Blitz getroffen zurück. „Oh richtig, die war verletzt. Tut mir leid.“ „Schon okay. Ich sehe eben zu gesund aus. Aber sag mal, was ist genau passiert, ich hab da ein paar Lücken.“ „Ah, richtig. Vielleicht hat man es dir schon gesagt, aber die Piraten wurden von Ii-sama besiegt und hingerichtet. Es war mir ein diabolisches Vergnügen, Sarim bei seinen letzten Atemzügen zu beobachten.“ Sarim... der Name weckte schlimme Erinnerungen. Vor allem aber bei Hinata, denn scheinbar hatte der Mistkerl sich Hinata als sein Opfer ausgesucht. Egal was es war, er hatte an Bord immer einen Weg gefunden, sie zu schikanieren. Immerhin war das nun nicht mehr. „Und Ruriel?“ „Huh? Ich habe jeder Hinrichtung beigewohnt, aber Ruriel war nicht dabei. Vielleicht ist er einem anderen Krieger zum Opfer gefallen.“ „Eher mir... allerdings... ich hätte schwören können, dass ich ihn nicht umgebracht habe.“ „Wie meinst du das?“ „Als ich Varius befreit hatte und wir auf dem Weg zum Hafen waren, hat sich Ruriel uns in den Weg gestellt. Er wurde unter einem Haufen Dachziegel und Holz begraben... Hat man das Dorf abgesucht?“ „So ziemlich. Hat ganz schön lange gedauert, die Piraten zusammenzutreiben. Einige haben versucht ins Landesinnere zu fliehen. Mit dem Schiff konnten sie nicht, dass hat ein gewisser Jemand in Brand gesteckt.“ Ich spürte, wie Hinata zu mir sah und wurde schlagartig rot. Ja, sie konnte es sich definitiv denken, genauso wie Ruriel. „D-Das heißt also Ruriel wurde nicht gefunden.“ „Nicht das ich wüsste.“ „Und die anderen Mädchen? Daria, Skylla und Charybdis?“ Ich sah zu Hinata und erkannte deutlich, wie ihr Blick sich verfinsterte, als Darias Name gefallen war. Scheinbar gab es auch in diesem Bereich eine Episode, die mir noch nicht bekannt war. Wie ich Hinata aber einschätzte, würde sie mir diese gleich präsentieren. „Daria geht’s zu gut. Und wenn es nach mir ginge, würde man diese falsche Schlange über Bord werfen.“ „Huh?“ „Wir wussten ja beide, dass sie den Piraten den ein oder anderen heißen Tipp gegeben hat. Auch wegen Cybele.“ „Zumindest hat mir Ruriel das noch bestätigt auf, seine Weise.“ „Gerade als der Kampf losging, hat sie die Piraten noch unterstützt, ihnen Waffen gebracht, sie gewarnt, doch als es schlecht für diese aussah, hat sie einen von hinten niedergestochen. Ich weiß nicht, was Ii-sama sich dabei denkt, sie an Bord zu lassen. Argh!“ Das klang in der Tat nicht positiv. Allerdings war ich mir sicher, dass der General des Schiffes nicht einfach so potentielles Gefahren mitkommen ließ. Wahrscheinlich sah er in Daria keine Gefahr sondern lediglich ein Mädchen, das verzweifelt war. „Mh...“ „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“ „Naja ich wüsste auf Anhieb nicht was. Außer... Je eher sie nicht mehr in unserer Nähe ist, desto besser.“ „Also wirklich. Sie hat uns verraten, Erenya. Sie hätte dich eiskalt ans Messer geliefert, wenn sie es nicht sogar hat.“ „Oh du meinst sie hat über das Feuer geplaudert?“ „Genau!“ „War der Plan.“ „Wie bitte?“ „Uhm... halt mich jetzt nicht für schräg, aber... Wenn man Öl anzündet, brennt es. Der einzige Weg es zu löschen ist die Luftzufuhr zu unterbinden. Menschen neigen allerdings rein psychologisch dazu, als erstes zum Wasser zu greifen. Was bei Öl jetzt nicht unbedingt gut ist. Öl schwimmt auf Wasser. Heißt das Feuer brennt oben, das Wasser erhitzt sich, verdampft dehnt sich aus und dann BOOM.“ „Das heißt...“ „Jap, ich habe Daria genauso wie dir von dem Feuer erzählt. Mit dem Unterschied, dass ich nur dir sagte, dass du es mit Tierfutter löschen sollst.“ „Also... ich... ERENYA! Weißt du wie gefährlich das war?“ „Scheiß gefährlich, ich weiß. Ich hab auch ehrlich nicht damit gerechnet, dass die Explosion so groß ist. Ich hab geschätzt höchstens hundert Milliliter angezündet.“ „Erenya...“ „Ja?“ „Du bist die gefährlichste Reisende, die mir je begegnet ist.“ „Lass mich raten, man weiß, dass ich die Brandstifterin bin?“ „Klar, Daria hat geplaudert, wie aus dem Nähkästchen, als sie dich sah. Sie hat versucht deine Exekution auszulösen.“ Das war neu und vor allem beängstigend. „Was?“ „Skylla und Charybdis sind bei dem Brand ums Leben gekommen. Vielleicht fürchtet sie, dass du ihr noch das Licht ausknipst. Bei mir müsste sie sich mehr Sorgen machen.“ „Und was ist mit den Kriegern hier? Ich meine...“ „Keine Sorge, sie waren etwas besorgt, vor allem mit den ganzen brennbaren und gefährlichen Sachen in deiner Tasche, aber keiner von ihnen ist wirklich davon ausgegangen, dass du dieses Schiff versenken wirst. Varius hat da sein Bestes gegeben alle zu überzeugen und... Ich natürlich auch.“ Diese ganze Beziehung zwischen Hinata und mir wurde immer skurriler. Seltsam aber irgendwie auch wohltuend. „Dann, schulde ich euch beiden wohl was. Danke.“ „Ich glaube kaum, dass er das hören wollen würde.“ „Wer?“ „Varius. Wir sollten ihn suchen, bevor er noch durchdreht. Er wird es dir sicher selbst erklären.“ Sie lächelte, als wüsste sie mehr, als sie mir bisher gesagt hatte. Ich ging davon aus, dass Varius ihr vielleicht doch etwas mehr von der ganzen Sache erzählt hatte. Doch was genau sollte mir Varius selbst erklären. Ich nickte daher auf ihr Angebot, sah noch einmal zu der Insel und spürte wie innerhalb kürzester Zeit mein Gesicht von Tropfen benetzt wurde. Mein Blick ging gen Himmel, an dem die schweren Wolken kleine Fäden, in einem langsamen Tempo, auf mein Gesicht fallen ließen. Regen. Wann hatte er sich das letzte Mal so gut angefühlt? So wohltuend, so befreiend.   Ich war ein bisschen angefressen, als unsere kurze Suche von einem Krieger verhindert wurde. Das Frühstück war in einem großen Raum angerichtet worden, der mehr einem Besprechungsraum glich. Doch nun war es ein Speisesaal. Kein Wunder, die Mannschaft des Schiffes wirkte nicht mehr wie die eines reinen Kriegsschiffes. Ich erkannte weitere Menschen, die nicht in der Tracht der Krieger gekleidet waren. Egal, was man sich von dem Kaiserreich Kou erzählte, durch dieser Schlacht waren sie für viele zu Helden geworden. Ich fühlte mich unwohl, als ich den Raum betrat. Denn kurzzeitig kam die Frage in mir auf, wie viele dieser Leben ich aufgrund meiner Machtlosigkeit geopfert hätte. Was hatte ich mir dabei gedacht? Zu glauben, dass Hinata und die Anderen sicher aus der ganzen Sache rauskommen konnten. „Kleines!“ Ich hatte nicht die Gelegenheit weiter in den Raum einzutreten, als eine Hand mich am Arm packte und ich mich plötzlich in einem paar kräftiger Arme wiederfand. Ohne hinzusehen, wusste ich, wer mich da in seinem liebevollen Klammergriff hatte. Dieses Mal wusste ich, dass da mehr als nur Erleichterung und Freude hinter dieser Umarmung steckte. „Varius, du erdrückst mich...“, flüsterte ich leise, denn sein Griff war wirklich fest. „Es tut mir leid, Kleines. Ich bin nur so froh, dich wach zu sehen. Was hast du dir dabei gedacht?“ Was hatte ich mir womit gedacht? Ich war verwundert, denn noch immer hatte ich die ein oder andere Erinnerungslücke. Doch Varius Worten zu urteilen, musste es wirklich etwas schlimmes gewesen sein. „Du weißt es nicht mehr, oder?“ Wie hatte er das gewusst? Verwundert sah ich zu ihm auf. Konnte er nun schon Gedanken lesen, oder war es einfach zu offensichtlich? „Würdest du dich erinnern, hättest du dich entschuldigt. Vielleicht ist es besser, wenn du es nicht mehr weißt.“ Varius beugte sich zu mir vor und küsste mich sanft auf den Kopf. Seine Worte aber machten mir mehr Angst als die Erinnerungen, die ich vielleicht in meinem Unterbewusstsein finden konnte. Sie gaben mir das Gefühl, dass ich etwas schlimmes getan hatte. Ein Grund mehr, warum ich mich unbedingt erinnern wollte. „Varius, ich wäre dir sehr verbunden, wenn du Erenya erst einmal nicht vor versammelter Mannschaft blamierst, oder viel mehr offenbarst, was für ein liebenswürdiges Biest du bist. Außerdem, habe ich Hunger und will hier keine Wurzeln schlagen.“ Ein Seufzen lag in Hinatas Stimme. Wer wusste schon, wie lange sie sich die Sorgen des Großen hatte anhören dürfen. Und hey, wie man merkte, ich lebte ja noch. Er musste sich also keine weiteren Sorgen um mich machen. „Schon okay, schon okay. Erenya, pass auf. Hier setz dich, neben mir ist ein Platz frei.“ Wenn ich Varius vorher nicht schon als großen Bruder gesehen hätte, hätte ich das sicher jetzt. Er behandelte mich gerade wirklich mehr als nur brüderlich und ich konnte mir nicht erklären, wieso. Es schien eine gewisse Sorge in seinen Taten zu stecken, so als fürchtete er, mich in jeden Augenblick auch noch zu verlieren. Dabei war er sich nicht bewusst, dass er mich damit vielleicht mehr erdrücken konnte als mit einer kräftigen Umarmung. Dennoch, wenn das, woran ich mich nicht erinnern konnte, wirklich so schlimm war, dann verstand ich ihn, weswegen ich mich seiner Liebenswürdigkeit ergab und mich neben ihn setzte.   Ich hatte einmal in meinem ganzen Leben Reisbrei gegessen. Damals, als ich mich für japanische Rezepte begeistert hatte und erkältet war. Okayu, war... wie sollte man es beschreiben... sehr sparsam im Geschmack. Dazu noch die breiige Konsistenz und eben das Topping, wenn man denn noch gesund genug war, um überhaupt etwas zu schmecken. Damals, hatte ich das Gesetz des Gesundheitsgrades ignoriert. Kein Wunder, das Okayu nie wieder für mich in Frage kam, bis zum heutigen Tag zumindest. Ich starrte in die Schüssel mit dem, was ich als Okayu bezeichnete, der mit Lauchzwiebeln und anderen Gemüse getoppt wurde. Definitiv eine Portion für Menschen die noch ganz viel Geschmack hatten. Mein Magen rebellierte dennoch bei dem Anblick. Mit dem Löffel in der Hand, sah ich zu den Anderen, die hier am Tisch saßen und es wirklich schafften den Brei runter zu würgen. Varius hatte seine Portion sogar schon aufgegessen, was mir einmal mehr deutlich machte, wie wenig Essen er wohl bei dem Piraten bekommen hatte. So unauffällig wie möglich versuchte ich ihm daher meine Schüssel zuzuschieben, zuckte aber durch ein Räuspern Hinatas ertappt zusammen. „Kleines, du solltest auch Essen.“ „Richtig, du hast genug geteilt.“ „Uhm, ich habe keinen Hunger.“ Meine Ausrede zog nicht, denn mein knurrender Magen, der sich laut bemerkbar machte, strafte meine Worte lügen. Unisono seufzten Hinata und Varius. „Wann hörst du endlich auf ständig an andere zu denken? Vor allem jetzt. Du bist hier in Sicherheit. Ebenso sind es Varius und ich.“ Was Hinata sagte, mochte wahr sein, aber es war leichter gesagt als getan. Ich war schon immer so. Wurde ich von einem Auto angefahren und die Pfandflasche einer Freundin ging kaputt, war das erste, wofür ich mich bei ihr entschuldigte, die kaputte Pfandflasche. „Komm her.“ Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie Varius mir den Löffel aus der Hand genommen hatte. „Rechts ist die schlimme Schulter. Sie tut sicher weh. Komm her, ich helfe dir.“ Varius tunkte den Löffel in den Reisbrei und füllte ihn besser als ich es selbst getan hatte. Er hob ihn an und mir entgegen. Was auch immer er sich dabei dachte, er gab mir keine Chance mich vor diesem Brei zu drücken. Ich ergab mich dem brüderlichen Schicksal, öffnete den Mund und erlaubte Varius, mir vor versammelter Mannschaft, den ersten Bissen anzubieten.   Peinlicher hätte man nicht frühstücken können und ich war froh, als ich Varius davon überzeugen konnte, dass ich etwas Zeit für mich, an der frischen Luft brauchte. Die Stille war gut, auch wenn ich nicht alleine war. An Deck waren viele Menschen zu sehen, einige von ihnen waren sicher auch Gefangene anderer Piraten gewesen, doch sie störten mich nicht, weswegen ich mich an die Reling stellte. Jetzt, da weder Hinata noch Varius da waren, konnte ich einige Ereignisse Revue passieren lassen. Ich wollte mich erinnern. Ich wollte wissen, warum Varius froh darüber schien, dass ich mich nicht erinnern konnte. Irgendwo, in meinem Unterbewusstsein, lag diese Antwort verankert. Ich brauchte nur etwas Ruhe, um sie zu finden. Ich schloss meine Augen und holte tief Luft. Von meiner okkulten Zeit her wusste ich, dass Meditation der Schlüssel zu den Erinnerungen sein konnte. Und der Schlüssel zur Meditation war eine gleichmäßige Atmung. Ich konzentrierte mich auf die Atmung. Tief ein und lange aus. Tief ein und lange aus. Tief ein... Die wenigen Geräusche um herum verschwammen, langsam, blieben aber immer erhalten, so dass ich jederzeit wieder in diese Realität fand. Ich visualisierte vor meinem inneren Auge die Insel, den Hafen. Varius, der neben mir gewesen war. Und mit einem Mal, war die ganze Szenerie wieder lebendig.   **~~**   „Flash!“ Da uns ein Pirat im Weg gestanden hatte, war unsere einzige Chance, ihn aus dem Weg zu räumen, der Lichtzauber. Es fiel mir schwer, den Stab dabei zu führen, denn meine rechte Schulter schmerzte noch mehr als zuvor. Ich hatte die Verletzung eindeutig unterschätzt, doch noch konnte ich den Stab halten. Kritischer würde es werden, wenn ich kein Gefühl mehr in den Fingern hatte. Um zu vermeiden, dass ich den Stab erneut verlor, umklammerte ich ihn so fest es ging mit der linken Hand. Es machte meinen Lauf, der näher zu den Schiffen führte, schwerer, aber gleichzeitig auch sicherer, denn ich konnte so besser zielen und die Piraten, die uns im Weg standen, mit dem Lichtstrahl aus dem Weg räumen. „Vorsichtig, Kleines!“ Als hätte Varius einen klaren Befehl gegeben, blieb ich stehen und sah Varius' Faust von meiner rechten aus, an mein Gesicht vorbeiziehen. Neben mir konnte ich hören, wie eine Nase brach. Vielleicht auch mehr, mir war es aber egal, als ich herum wirbelte und der Körper, der wie ein Sandsack auf mich zu fallen drohte, mit dem Stab von mir stieß. „Danke, Varius“, keuchte ich erschrocken, merkte aber schnell, dass Varius nicht mehr nahe bei mir war. Ein Windzug ging an mir vorbei und als ich in Richtung der Schiffe blickte, konnte ich Varius sehen, der mit bloßen Fäusten auf die Piraten einschlug, die uns als neue Teilnehmer der Schlacht bemerkten. Selbst, wenn er kein reinblütiger Fanalis war, er war immer noch schnell. Respekt. Ebenso war es Cassius gewesen. Doch anders als im Kampf in Bitroun, wollte ich Varius so gut es ging den Rücken frei halten. Noch einmal, würde ich niemanden verlieren, der mir geholfen hatte. Ich hatte einen Schritt auf Varius zugemacht, als ein starker Wind aufkam. Ein Klirren, als würde Glas aufeinander treffen, übertönte die Geräusche des Kampfes. Woran ich wusste, dass es keine Schwerter waren? Der Klang war klarer. Nicht so schwer, sondern auf seine Weise leichter. Es war schwer zu beschreiben, wenn man es nicht hörte, aber ich erkannte diesen Unterschied. Konzentriert sah ich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war und entdeckte durch den Nebel hindurch das Aufblitzen eines Eisspeeres, der scheinbar durch den Wind von einem anderen abgelenkt worden war und nun direkt auf Varius zuflog. „Flash!“ Ich zögerte keine Sekunde und schoss einen Lichtstrahl auf den Eisspeer, der brach und erneut von seiner Flugbahn abgelenkt wurde. Varius war in Sicherheit und mir war ehrlich egal, wen dieses Fluggeschoss erwischte, solange es nicht Varius war. Zufrieden sah ich, dass er noch kämpfen konnte, merkte aber gleichzeitig, dass meine Sicht verschwamm. Ich schwankte etwas nach links, fasste aber sofort wieder einen festen Stand und schüttelte den Kopf, als wollte ich den Schleier, der über meinen Augen lag, von mir werfen. Das war nicht der richtige Moment um Schwäche zu zeigen. „Erenya, Kleines, hey ist alles in Ordnung?“ Irgendetwas stimmte gar nicht. Ich hörte Varius so dumpf, als hätte man mir Watte in die Ohren gestopft und das, obwohl er förmlich vor mir stand. Wann hatte er diese paar Meter zurückgelegt? „Alles okay“, wisperte ich leise, wissend, dass momentan gar nichts okay war. Was war nur los? Die Welt drehte sich, irgendwie. Meine Beine gaben nach, während mein Herz immer schneller raste. Ah, das war los. Am liebsten hätte ich gelacht darüber, dass es mir erst jetzt auffiel. Mein Kreislauf brach zusammen. Ich hatte sogar den Stab fallen gelassen. Warum jetzt? Warum-   Mir fehlten ein paar Momente. Das wusste ich. Nicht viele vielleicht, aber ich wusste, mir fehlte Zeit, in denen meine Sicht vollkommen schwarz war, ich aber meinen Körper deutlich spüren konnte. Ich spürte sogar den Griff des Küchenmessers in meiner Hand. Wann hatte ich? Nein, nein... falsche Frage. War ich nicht zusammengebrochen? Warum, stand ich dann eindeutig? SPLOSH!“ Ein Widerstand gegen das Messer. „Uargh!“ Ein Ächzen von einer Stimme die mir vertraut war. Diese Situation war mir vertraut. Mehr oder weniger. Viel eher aber in einem anderen Kontext. Dieses Gefühl, alles zu erleben, ohne es zu sehen. Ich hatte es schon einmal. Damals, als mich das Auto angefahren hatte. Oder zumindest davor. Keine Kontrolle über die Sinne, über den Körper. Alles, was ich konnte, war wahrnehmen, so wie jetzt. Ein Ruck durchfuhr meinen Körper, meine Schulter schmerzte als hätte jemand auf die Verletzung Kraft eingewirkt, die Welt wackelte scheinbar und plötzlich, als hätte jemand den Lichtschalter betätigt, sah ich wieder. Ich sah in ein vertrautes Gesicht. Ich hatte ihm am Tag zuvor Frühstück gebracht. Sein gesundes blaues Auge sah mich weit aufgerissen an. Das andere war blockiert, durchbohrt, nicht mehr zugänglich, wie auch immer man es nennen wollte. Volltreffer. Das Gewicht des Körpers wurde von mir genommen. Varius, er sah erschrocken zu mir hinab. Erneut drehte sich die Welt. Die Farben überlappten, meine Augenlider wurden schwer, der Schmerz wurde größer. Erneut schnürte er mir die Luft ab. Ich konnte wirklich nicht mehr.   **~~**   PLATSCH! Ich riss meine Augen auf, als ich spürte wie etwas meinen Hinterkopf traf. Die Meditation war damit endgültig beendet. Wobei das auch nicht mehr wichtig war, denn ich hatte mich erinnert und wenn ich eins und eins richtig zusammenzählte, dann hatte Varius Recht. Es wäre besser gewesen, ich hätte mich niemals erinnert. Aber irgendwer ließ mir keine Chance darüber nachzudenken. PLATSCH! Wieder traf mich etwas. Allerdings blieb dieses Etwas auf meinem Kopf liegen. Ein mieses Gelächter ertönte hinter mir. Vorsichtig ertastete ich das Ding, das mir nun auf dem Kopf saß. Oder lag. Es fühlte sich glibberig an. Vor meinen Augen zogen sich auch dünne, durchsichtige, mit feinen Härchen versehene... Ach du heilige Scheune! Sofort ergriff ich das glibbrige Getier, welches sich als Qualle entpuppte und warf es über die Reling zurück ins Meer. Zu hoffen blieb, dass sie nicht giftig war. Das Gegacker hinter mir, das wohl ein Lachen darstellen sollte, machte mir deutlich, wer der Übeltäter war und als ich mich umdrehte, erkannte ich, dass ich nicht das einzige Opfer war. Der Hohepriester aus Kou zeigte mit dem Finger auf mich und schien sich noch köstlich darüber zu amüsieren, wie mir die Qualle als Hut gestanden hatte. Meine Diagnose war eindeutig: Dem Kerl war langweilig. „Judar, ich glaube, du würdest einigen hier einen Gefallen tun, wenn du uns nicht eine Freundschaft mit den Lebewesen des Meeres aufzwingst.“ Das Lachen verstummte und Judar sah mich irritiert an. Warum auch immer. „Ich kann verstehen, dir ist langweilig. Gegen die Piraten zu kämpfen war spannender, ebenso jemanden gegen das Schicksal aufzuwiegeln, oder mich mit Birnen zu bewerfen, aber versteh bitte, einige der Leute hier haben eine anstrengende Zeit hinter sich. Sie wären dir also sehr verbunden, wenn du dich mal ein paar Stunden ausruhst.“ PLATSCH! „Nö, hab ich schon, Nebelkrähe!“ Ein Fisch landete in meinem Gesicht und zeigte, wie belehrbar ein gewisser Hohepriester aus Kou war. Oder eher wie gelangweilt. „Das reicht! Dir ist langweilig, in Ordnung, dann setz dich hin und ich erzähle dir eine Geschichte. Sie handelt von einem Gott, der nur Streiche im Kopf hatte und damit einiges an Chaos stiftete. Sein Name war, Loki.“ Ich verschränkte die Arme und sah zu Judar. Er schien nicht gerade überzeugt zu sein. Wieso auch? Aber gut. Ich war mir sicher, dass ihm die Geschichte Lokis gefallen würde. „Diese Geschichte, handelt von den nordischen Göttern meiner Heimat. Lokis Eltern waren aber keine Götter, oder Asen, wie man sie nannte. Sie waren sogar die Gegner eben jener. Riesen. Doch Loki verdiente sich dank seiner taktischen Klugheit, seiner perfiden und strategischen Pläne einen Platz und wurde selbst von Odin und Thor, den mächtigsten Asen, respektiert. Noch dazu hatte er sich den Asen durch eine Blutsbrüderschaft mit Odin angenähert, so dass er von ihm als Teil der Familien angenommen wurde.“ Ich konnte es kaum glauben, als ich sah wie Judar auf einmal ruhig wurde und meiner Erzählung lauschte. Wahrscheinlich identifizierte er sich mit Loki. Ein Grund mehr vorsichtig zu sein, was ich ihm erzählte. Nicht, dass ich ihn noch auf Ideen brachte, die es im Canon nicht gab.   Es blieb nicht nur bei der Geschichte Lokis. Genauso wenig blieb es bei Loki als Zuhörer. Einige wenige hatten sich hinter den Magi gesetzt, andere wiederum schienen so zu tun, als würden sie das Meer betrachten, doch wenn man sie genau beobachtete, konnte man Reaktionen auf das Erzählte erleben. „Loki nutzte aber den einzigen Schwachpunkt, den Baldr hatte. Beziehungsweise das einzige Geschöpf, welches nicht geschworen hatte ihm kein Leid zuzufügen. Eine Mistel. Klein und unscheinbar. Frigg hatte sie als unbedeutend gesehen, weswegen sie dieser Mistel keinen Schwur abgenommen hatte. Loki gab Baldrs blinden Bruder Höldur einen Mistelzweig und garantierte ihm den Sieg, wenn er diesen abschoss. Höldur zweifelte nicht und schoss den Zweig auf Baldr ab. Unfähig, diesen Angriff abzuwehren, wurde Baldr getroffen und sank tot zu Boden.“ Ich holte kurz etwas Luft, bevor ich die Geschichte Baldrs, zumindest die seines Lebens, beendete. „Wie jedem Asen wurde auch Baldr eine ehrwürdige Bestattung zuteil. Seine Frau folgte ihm noch am selben Tag, als der Hel, den Gott in seinen Untiefen, begrüßte.“ „Was ist mit Loki?“ Ich war verwundert, dass Judar die Geschichte scheinbar so gut gefallen hatte, dass er nun noch mehr wissen wollte. Wobei, eigentlich hätte es mich nicht wundern sollen, immerhin hatte Judar die Geschichte Lokis mit Freuden gehört. Kein Wunder, dass er also mehr über den Trickster wissen wollte. „Das, ehrenwerter Hohepriester, ist eine Geschichte, die ich euch später vielleicht erzählen werden. Vorausgesetzt, ihr seht davon ab, die Menschen hier mit Meeresgetier zu bewerfen.“ Ob man Judar noch erziehen konnte? Ich bezweifelte es. Doch die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt, auch wenn sie wohl schon bei dem Anblick des Hohepriesters hätte sterben müssen, der mir ein Grinsen schenkte als wollte er sagen: „Kann ich nicht garantieren, du wirst sie mir dennoch erzählen.“ Oh ja, ich würde sie ihm erzählen. Er wusste wahrscheinlich jetzt schon, welche Knöpfe er drücken musste, um mich um seinen Zauberstab zu wickeln. „Sind Sie die Geschichtenerzählerin Erenya?“ Verwundert wandte ich meinen Blick von Judar ab und sah zu einem Soldaten, der sich mir näherte. Woher wusste er, dass ich mich hier als Geschichtenerzählerin vorstellte? Zumindest seit ich in Balbadd diesen Beruf ergriffen und ihn als äußerst nützlich für mich gesehen hatte. „Uhm, ja. Hab ich was falsch gemacht?“ Ich befürchtete, dass meine kleine Unterhaltungseinlage an Bord doch nicht willkommen gewesen war, vielleicht sogar einige Krieger abgelenkt hatte, auch wenn ich mir selbst nicht soviel Talent zumutete, dass es wirklich noch das ein oder andere pflichtbewusste Ohr ablenkte. „Nein. Ii-sama möchte Sie sprechen. Folgen Sie mir.“ Zweifelnd sah ich zu dem Krieger und hob eine Augenbraue. Was wollte ein General von mir? Ich fürchtete um meine Freiheit. Erneut. Denn das letzte Mal, als mich der Verantwortliche eines Schiffes hatte sehen wollen, war ich zur Sklavin geworden. Alles in mir sträubte sich, dem Krieger zu folgen. Allerdings, was hatte ich für eine Wahl? Über Bord konnte ich unmöglich. Schwimmen war jetzt nicht gerade meine Stärke, außerdem bezweifelte ich, dass ich genug Kraft besaß, um es bis zur nächsten Insel zu schaffen. Noch dazu hatte ich ein verletzte Schulter. Wahrscheinlich bemerkte der Krieger mein Zögern, weswegen er sich zu mir umwandte und ein sanftes Lächeln seine harten, militärischen Züge erweichen ließ. „Keine Sorge, dieses Treffen wird Ihnen nicht zum Nachteil werden.“ Ein trockenes Lachen kam mir über die Lippen, ungewollt, denn er meinte das, was er sagte auch so. „Entschuldigen Sie, dass letzte Mal, als man mir das versicherte, wurde ich von einem überdimensionalen Kappa versklavt.“ Auch wenn es nur widerwillig war, ging ich mit. Ich hatte meinen Zauberstab, so schnell würde ich also nicht untergehen, egal was mich beim General erwartete.   Ich musste ein paar Mal blinzeln, als ich in der Kapitänskajüte mehr als nur zwei bekannte Gesichter erblickte. Auch wenn ich gestehen muss, dass Hinatas und Varius' Anwesenheit mich doch beruhigte. So schnell würde man mich wohl nicht wieder versklaven. Varius hätte das sicher nicht gefallen. Doch das dritte bekannte Gesicht, stand vor dem Schreibtisch. Gut, es war jetzt nicht direkt das Gesicht, welches ich erkannte, sondern viel mehr diese edle Kleidung, auch wenn sich die Schlinge, in der sein rechter Arm lag nicht gerade positiv einfügte. „Ihr?!“, entwich es mir, kaum, dass ich ihn gesehen hatte und erntete sofort den Ellenbogen Hinatas in meiner Kniekehle. „Nicht so respektlos. Knie endlich nieder!“, zischte sie mir zu. In meiner ganzen Aufregung, hatte ich nicht bemerkt, dass kurz nach meinem Eintreten Hinata und Varius auf die Knie gegangen war. Ehrfürchtig, als würden sie vor einem König knien. Da Sitten und Knigge hier sicher anders waren als in meiner Welt, entschied ich mich, selbst wenn ich nicht der Typ dafür war, auf die Knie zu gehen und diesem Mann den Respekt entgegen zu bringen, den ich nicht einmal verstand. „Erenya, dieser Mann, ist unser Retter. Hayato Ii-sama, General der westlichen Unterwerfungsarmee.“ Da ich nicht nur auf die Knie gegangen war, sondern auch meinen Kopf geneigt hatte, nur um ganz sicher zu gehen, respektvoll zu sein, sah ich vorsichtig auf, als Hinata mir den Mann vor uns vorstellte. Das war definitiv eine Figur, die ich nicht kannte, aber gut, mir hätte auch klar sein müssen, dass es unmöglich war, alle hohen Generäle in einem Fandom zu erwähnen, wenn sie für die Geschichte selbst eher eine so winzige Rolle spielten, dass sie nicht einmal eines Namens wert waren. Kouhas Schwestern, abgesehen von Kougyoku, waren diesem Prinzip ja auch zum Opfer gefallen. „Ii-sama, das ist Erenya. Sie war eine der Sklavinnen auf dem Schiff und kam neben der Hexe Daria näher an Saam heran, als ich selbst.“ Ich verzog das Gesicht, als ich hörte, wie mich Hinata vorstellte. Ich kam mit Sicherheit nicht so nahe an Saam heran wie Daria. Das bezweifelte ich aufrichtig. Allerdings war dem General nach unserer ersten Begegnung sicher klar, wie nahe ich dem Echsenmenschen gekommen war. Dennoch konnte ich nicht vermeiden eine gesunde Portion von Misstrauen ihm gegenüber zu haben. Die Tatsache, dass ich nun hier war, dass er mich am Piratenmarkt angesprochen hatte, das passte alles zu gut. Noch dazu waren auch die Aufzeichnungen verschwunden, die ich den Vormittag über gemacht hatte. „Deswegen seid ihr alle drei hier. Man sagte mir, dass ihr mit derselben Karawane gereist seid. Mich interessiert, was in Bitroun passiert ist.“ Betreten sah ich von Hayato weg und entdeckte hinter ihm, sehr abseits und leicht zu übersehen, einen Soldaten, der Papier in den Händen hielt und scheinbar darauf wartete, dass einer von uns mit seinem Bericht begann. „Viel kann ich nicht berichten. Ich war auf der Hauptstraße und wurde, abgesehen von Tiberius, von den anderen Mitgliedern getrennt. Die Piraten schienen es vor allem auf Frauen und Kinder abgesehen zu haben, oder auf... kostbare Sklaven.“ Ich merkte, wie Varius Unterton bitter wurde, als er das sagte. Vermutlich nagte Tiberius Tod doch schlimmer an ihm, als er zugeben wollte. Schicksal war also nur eine Ausrede, um es erträglich zu machen. In Wahrheit verfluchte er sich, dass er nichts hatte tun können, dass es Tiberius war, der gestorben war und nicht er. Es war sein persönliches Trauma und wer wusste schon, wie lange er noch daran knabbern musste? „Wir hatten keine Chance. Ohne ihre magischen Waffen, die Blitze schleuderten, wären wir vielleicht siegreich hervor gegangen.“ Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Piraten waren zahlreich gewesen und Tiberius und Varius mit einem Handicap. Zumindest konnte ich mir vorstellen, dass es nicht leicht war, Frauen und Kinder zu beschützen, während man sich selbst verteidigen und die Piraten zurückschlagen musste. „Dein Kamerad hat den Angriff nicht überlebt?“, fragte Hayato nach, scheinbar um sicher zu gehen, dass er Varius' Worte richtig verstanden hatte. Varius aber, wandte seinen Blick bitter ab. Antwort genug. „Bei mir sieht es leider nicht anders aus. Mein Herr und ich wurden von dem Angriff überrascht. Die Piraten versuchten uns bewusst in die Ecke zu drängen. Anders als Varius hatten wir aber das Glück, dass es keinen Piraten mit magischen Waffen gab. Ich konnte sie so daran hindern, meinen Herren anzugreifen, allerdings wurde ich von ihrer Überzahl überwältigt. Ich weiß daher nicht, ob mein Herr es lebend aus Bitroun geschafft hat, oder mein Freund Chen.“ Hinatas und Varius' Berichte schienen in dieser Hinsicht wirklich eher minimalistisch und ich fürchtete schon, dass es bei mir nicht anders aussehen würde. Fakt war, wir drei waren alle in diesen Angriff verwickelt worden und hatten Glück, diesen überlebt zu haben. „Erenya, was hast du zu berichten?“ Ich sah zu Hinata, die meine Pause scheinbar falsch gedeutet hatte. Dabei wollte ich mir nur bewusst werden, was ich erzählen konnte und was ich besser wegließ. „Zu aller erst... ich glaube Varius weiß es auch, aber auf unserem Weg nach Bitroun sind wir an einem Ort vorbei gekommen, an dem wir Leichen und zerstörte Wagen gefunden hatten. Hinatas Herr hatte damals schon Piraten vermutet und ich gehe davon aus, dass es dieselben wie in Bitroun waren. Sie hatten kleine Boote die aussahen wie die von den Wikingern-“ „Was sind Wikinger, Kleines?“ Oh verdammt, schon wieder verplappert. Warum musste das immer mir passieren? Ach richtig, ich war die Dumme aus der anderen Welt. Wie sollte ich nun erklären was Wikinger waren? „Ein Volk von Kriegern... Aus meiner Heimat. Zumindest aus der Geschichte meiner Heimat. Es gibt sie heute nicht mehr.“ Ich schüttelte den Kopf, denn das sollte ja nicht Teil meines Berichtes sein. Es war eher ein Vergleich, der hier hinkte, weil niemand von ihnen wusste, was Wikingerboote waren. Verdammt. „Wie dem auch sei. Es schien, dass Hinatas Herr Recht hatte. Noch dazu hatten die Piraten, die den Hafen angriffen, magische Waffen, eine Feststellung, die sich mit Aussagen von Reisenden aus Karawansereien überschnitt. Ich war mit Cassius, dem Reiseführer unserer Karawane am Hafen, als sie angriffen. Allerdings sind wir nicht über die Hauptstraße geflohen, sondern erst in die Nebengassen und dann über die Dächer. Von dort konnten wir einiges an Schlachten sehen. Magische Angriffe und ich schwöre, einige davon kamen nicht nur von den Piraten. Unsere Flucht war aber nicht sonderlich erfolgreich, denn wir wurden entdeckt und mussten von den Dächern. Wir schlugen uns bis zu Marktplatz vor, wo uns Ikram erwartet hatte. Zumindest schien es so. Sie war nicht alleine und wir wurden in eine Auseinandersetzung mit ihr verwickelt. Cassius kämpfte gegen sie, wohingegen ich mit ihren Männern zu kämpfen hatte. Dank einer Magierin, Cassandra, habe ich es irgendwie geschafft, mich einigermaßen wacker zu schlagen. Doch...“ Ich hielt inne und dachte noch einmal über den Kampf nach. Ich hatte vielleicht keine Probleme. Anders sah es bei jemand anderen aus. „Der Kampf war seltsam. Nicht der, den ich führte, sondern der von Cassius. Auch wenn ich nicht viel bemerkt habe, aber etwas stimmte nicht. Ich bin in Sachen bewaffneten Kampf nicht sonderlich bewandert, aber Cassius hätte keine Probleme haben dürfen. Ikram war ihm in Sachen Geschwindigkeit unterlegen. Und als ich sah, wie sein Schwert auf ihren Säbel aufkam... nun, ich will nicht sagen das er aufkam. Es schien eher, als wurde der Schlag umgelenkt. Ebenso Cassius Bewegungen, sie waren nicht das, was ich gesehen habe, als er gegen andere Piraten kämpfte. Ich kann es wirklich schwer beschreiben, weil ich nur kurz hinsah. Ich hatte immerhin mit meinen eigenen Dämonen zu kämpfen. Piraten meine ich. Die Magierin, die uns zu Hilfe geeilt war, konnte noch fliehen, allerdings sah es nicht so gut für Cassius und mich aus. Ikram hatte ihn besiegt und drohte damit, ihn umzubringen, wenn ich nicht kapitulierte. Ich wusste nicht, inwieweit sie das tun würde, entschied mich aber, es besser nicht zu riskieren. Das war das letzte Mal, dass ich Ikram sah. Wir wurden von ihren Männer, darunter Sarim und Ruriel, gefesselt und zum Schiff gebracht, wo wir Saam trafen. Cassius riss sich von seinen Fesseln los und griff Saam an. Dafür wurde er über Bord geschickt. Das ist auch schon alles, was ich erzählen kann. Abgesehen von... Ich glaube, einen General Sindrias in Bitroun gesehen zu haben. Allerdings bin ich mir nicht sicher. Mehr als eine Silhouette und Schatten habe ich nie gesehen. Ich bin ihm vom Gasthof aus gefolgt, aber habe seine Spur verloren. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingeredet.“ „Ihr müsst wissen, Erenya wollte nach Aza, um von dort nach Sindria zu reisen. Sie war in Balbadd in ein paar unglücklich Ereignisse verwickelt.“ „Hinata!“ Entsetzt sah ich sie an, als sie so frei ausplauderte, was mein Ziel war und vor allem warum. Es war nun nichts, womit ich weiter hausieren gehen wollte. Was hatte es schon Hayato zu interessieren, was mir in Balbadd widerfahren war? „Das hat alles nichts mit der Sache zu tun.“ „Mach dir doch keine Sorgen. Wenn Ii-sama davon weiß, kann er dir vielleicht helfen.“ Ich seufzte und schüttelte den Kopf, denn gerade war das, was ich brauchte nicht wirklich Hilfe. Sondern eher ein Ziel. Ich wusste nach drei Monaten nicht einmal mehr, ob ich noch nach Sindria wollte, oder warum ich danach gestrebt hatte, die Spaßinsel zu besuchen. Dafür brauchte ich erst einmal etwas Ruhe, um meine Gedanken zu ordnen, mich neu zu sammeln und zu fokussieren. „Könnt ihr mir von eurer Reise mit den Piraten erzählen? Wie ist sie verlaufen? Gab es irgendwelche ungewöhnlichen Dinge, die euch vielleicht aufgefallen sind?“ Ungewöhnlich? Das war wohl einiges. Oder eher weniges. Ich wusste nicht, was es hier zu erzählen gab, weswegen ich erneut Varius und Hinata den Vortritt ließ. „Ich saß drei Monate in einer Einzelzelle. Viel habe ich nicht gehört. Die Piraten haben vermieden mit mir zu reden. Es kam meist auch nur einer, der mir Essen brachte und es mit großen Sicherheitsabstand abstellte.“ Irgendwie hatte ich mir das gerade bei Varius schon gedacht. Ich hatte ihn ja nie gesehen, obwohl ich ihm so nahe gewesen war. Eine Tatsache, die ich irgendwie bereute, obwohl mein Verstand mir sagte, dass ich nichts dafür konnte. Ich hätte nichts tun können, außer mein Leben zu verlieren. „Ich muss gestehen, ich habe auf nicht viel geachtet. Sarim hatte mich immer stark im Blick. Cybele hat mir damals noch geholfen, wenn er wieder einen seiner Momente hatte, in denen er mich zur Weißglut treiben wollte. Die Piraten waren vorsichtig mit uns Sklaven. Besonders mit Erenya und mir. Sarim war mein persönlicher Wachhund und Ruriel Erenyas. Allerdings hat Ruriel sich geschickter angestellt und noch ein paar andere Piraten eingeweiht. Er war häufiger mit Saam zusammen, trainierte die Anderen und brachte damit Sarim auf die Palme. Zwischen den Beiden gab es wohl irgendeine Art Rivalität, allerdings war die eher einseitiger Natur. Die Grausamkeit dieser Männer zeigte sich, als Cybele versuchte zu fliehen. Sie hatte mir davon erzählt und Daria. Ihr Plan bestand darin, verkleidet als Pirat auf der nächsten Insel zu fliehen. Sie hatte aus vollkommen zerstörten Sachen der Piraten irgendwie ein ähnliches Outfit erstellt. Dieses hatte sie unter ihrer gewöhnlichen Kleidung getragen. Es war absolut nicht aufgefallen. Sie hätte es definitiv geschafft, aber Daria hat von dem Plan erzählt und Ruriel hat sie erwischt. Saam hat sie nach der Abfahrt, auf offener See, gefoltert. Ihre Schreie hallten selbst durch das Holz. Mir haben sie hinterher befohlen, den Raum zu säubern...“ Entsetzt sah ich zu Hinata, denn das war eine Geschichte, die ich nicht kannte. Von der sie auch nicht gesprochen hatte. Ich hätte das unmöglich gekonnt, es hätte mich wahrscheinlich gebrochen. Endgültig. Sie hatte wahrscheinlich all die Qualen gesehen, die Cybele in ihren letzten Stunden hatte ertragen müssen. Qualen, die ich mir wahrscheinlich nur vorstellen konnte und vielleicht nicht einmal das. „Viel habe ich danach nicht mehr mitbekommen. Abgesehen von Daria. Nachdem Cybele nicht mehr war, bekam sie etwas mehr zu Essen. Kleinigkeiten wie Äpfel, die man ihr zuspielte, wenn wir an Land waren um die Vorräte aufzufüllen, oder man bestrafte ihre kleinen Fehler nicht so schlimm, wie die der Anderen. Sie hat sich bei den Piraten definitiv eine Sonderposition erarbeitet, indem sie alle anderen verpetzt und verraten hat. Sie wussten immer, wenn ich was plante oder jemand anderes.“ Es war bitter, das auch noch von Hinata zu hören. Dank Ruriel hatte ich ja die Gewissheit bekommen, aber nun noch mehr Fakten zu hören fühlte sich noch mehr nach Verrat an. Die Daria, die ich kennengelernt hatte und die, von der Hinata sprach, schienen zwei verschiedene Personen zu sein. Und dennoch, irgendetwas in mir hatte es die ganze Zeit geahnt. Glücklicherweise, denn sonst, wäre mein Überraschungspaket nicht so ein bombiger Erfolg gewesen. „Eins fällt mir gerade ein... Die Rivalität zwischen Sarim und Ruriel... ich hab einmal ein Gespräch gehört. Sarim erklärte, dass er nicht erlauben würde, dass Ruriel als nächstes die Ehre zustände.“ Das was Hinata erzählte, klang doch schon ereignisreicher, als das, was ich erzählen konnte. Oder viel eher interessanter. Alles, was ich wusste, hatte ich von den Piraten gehört und auch nur, weil ich ihnen häufiger Geschichten erzählte und sie währenddessen getrunken oder geraucht hatten. „Im Gegensatz zu Hinata, habe ich da eher weniger zu berichten. Ich habe versucht mich bedeckt zu halten. Allerdings erinnere ich mich daran, dass die Reise nicht immer ganz ruhig war. Es war eines Abend, wir fuhren durch einen Sturm. Saam war an Deck, gab Befehle, eigentlich nichts ungewöhnliches, will ich meinen. Der Grund, warum mir der Abend in Erinnerung blieb, liegt eher darin, dass der Sturm das Schiff zu sehr verschonte. Es schien fast so, als hätte er das Schiff gemieden oder wäre gelenkt worden. An sich war unsere Reise dahingehend sehr begünstigend. Selbst an Tagen, an denen es kaum Wind gab, hatten wir immer Fahrt. Sonst habe ich die Fahrt über nur Geschichten gehört. Von den Piraten, ihrem Leben davor und so weiter. Eine Gemeinsamkeit gab es bei ihnen. Ikram, die Frau, die ich seit Bitroun nicht mehr gesehen hatte. Keine Ahnung, wo sie gerade ist oder sich aufgehalten hat. Analytisch gesehen, hatte ich das Gefühl, dass sie den Piraten wichtig war. Die Prinzessin unter ihnen sozusagen.“ Ich holte Luft und dachte nach. Die Situation mit Cybele hatte Hinata bereits erzählt. Mehr als meine Beobachtungen konnte ich auch nicht berichten. Kein Wunder, ich hatte mir auch mehr Gedanken darüber gemacht, wie man fliehen konnte. „Ich hatte kurzzeitig versucht, eine der magischen Waffen zu Gesicht zu bekommen, um herauszufinden, woher sie die hatten. Leider haben sie die gut verschlossen gehalten und nicht einmal im Traum daran gedacht, mich oder andere Sklaven in die Nähe des Raumes zu lassen. Sonst hatten wir kaum Räume, in die wir nicht konnten. Die meisten waren allerdings sowieso mit unseren Aufgabenbereich verbunden. Das ist so ziemlich das, was ich berichten kann.“ Ich überlegte noch einmal kurz, ob ich irgendwelche Ergänzungen hatte, aber da war nichts. Sicherlich interessierte Hayato sich nicht für die tragische Geschichte Ruriels, weswegen ich es vermied, diese zu rezitieren. Bis auf das, was Hinata und ich bereits erzählt hatten, war mir nichts in Erinnerung geblieben. „Danke, für eure Berichte. Eine letzte Frage, wisst ihr, zu welchem Königsgefäß der Kapitän des Schiffes gehört?“ Ich horchte auf. Gehören? Hatte er da gerade im Präsens gesprochen? Bedeutete das... Nein, ich wollte gar nicht daran denken, denn schon der Gedanke ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. „Niemanden, der an Bord war, sonst wäre es wohl nicht Saam gewesen, der als Kapitän die volle Befehlsgewalt hatte.“ Hinatas Antwort klang logisch. Ein Königsgefäß hätte sich sicher nicht einmal zur Tarnung runter gestuft. Und wenn, es wäre aufgefallen. Irgendwie. Interessant daran war nur, dass ich mir selbst diese Frage gestellt hatte. Wer war das Königsgefäß? „Ikram...“, flüsterte ich leise. Ich hatte oft genug über diese Frage nachgedacht und wenn Saam jetzt nicht gerade ein Überbleibsel von Barbarossa war, dann deuteten alle Fakten auf die Prinzessin. „Die Frau, die den Leiter eurer Karawane besiegt hat?“, fragte Hayato noch einmal und machte mir damit bewusst, dass mein Flüstern dennoch gut genug hörbar war. „Ja. Mal davon abgesehen, dass alle Piraten eine sehr hohe Meinung von ihr hatten. Frauen waren ebenfalls nicht vertreten unter ihnen, abgesehen von den Gefangenen und uns. Und da ist noch etwas... Ihre Waffe. Ein normaler Säbel, wie der der anderen Piraten. Ein Dshinn wählt doch einen x-beliebigen Gegenstand für ein Gefäß. Solange der Besitzer etwas damit verbindet. Die meisten Königsgefäße haben eine Waffe als Gefäß für ihren Dshinn. Sinbad, Kouha Ren, Muu Alexius, Barbarossa... Wenn also Ikram das Königsgefäß ist, dann... ist es ihr Säbel und das würde auch erklären, warum Cassius trotz aller körperlichen Vorteile verloren hat. Allerdings habe ich keine Beweise dafür. Ich habe ihren Säbel nicht genau gesehen und kann daher auch nicht sagen ob es wirklich so ist.“ „Woher weißt du, dass Kouha Ren-samas Metallgefäß eine Waffe ist?“ Verdammt schon wieder verplappert und das vor Hinata. Schlimmer hätte es nicht kommen können. „Uhm... uh...“ Das Schlimmste war wohl, dass mir einfach keine Ausrede einfiel. „Gehört das nicht zum Allgemeinwissen? Weibliche Intuition?“ Ich seufzte leise. „Ich erklär das später, Hinata, okay? Wir haben denke ich gerade andere Sorgen?“ Hoffnungsvoll, dass er uns wenigstens sagen würde, warum er uns solche Fragen stellte. Noch dazu wollte ich Hinata so von meinem Wissen ablenken. Denn scheinbar sollte es kein Allgemeinwissen sein. Da ich aber Kouha live und in Action gesehen hatte, war es nicht mehr verwunderlich. „Jemand hat den zwölften Dungeon, Sitri, erobert. Er stand in Bitroun.“ Vielleicht hätte ich etwas nervöser sein sollen über diese Nachricht, die Hayato offenbarte. Vielleicht hätte mein erster Gedanke nicht der Schatzsucherin gelten sollen, die es geahnt hatte. Vielleicht hätte ich einfach nur Hinata imitieren sollen, die entsetzt über diese Nachricht war, doch ich sah einfach nur zu Hayato. Vollkommen ruhig, als würde es nichts mehr geben, was mich schockierte. Vielleicht war ich nur zu geschockt um zu realisieren, was die Worte Hayatos wirklich bedeuteten. „Hm... scheint mir der perfekte Tag zum Trinken zu sein. Könnte ich meine zwei Flaschen mit dem Alkohol zurückbekommen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)