Im Zeichen des Rukh von Erenya ================================================================================ Kapitel 19: Piraten ------------------- Auch wenn die Sorgen um Cassius tief wogen, so gab es doch ein Problem, welches gerade größer war. Ich war gefangen, gebrochen und verzweifelt. Monokuma hätte sich gefreut. Wie gut, dass das hier die Welt von Magi war und nicht die von Danganronpa, wobei ich nicht hätte sagen können, was davon ich schlimmer fand. Bei beiden Serien musste ich wohl um mein Leben fürchten, dauerhaft. Beides war also nicht ideal. Aber schön, ich war nun in der Welt von Magi und nicht bei Monokuma. „Hier entlang...“, hörte ich Ruriel flüstern, als er mich um die Ecke zerrte. Ich sah Türen unter Deck. Sie lagen nebeneinander, und entsprachen der Größe, wie ich sie mir in diversen Otomegames vorgestellt hatte. Pirates in Love. Hier würde ich sicher keine Liebe finden, soviel stand fest. Zumindest sahen die meisten Piraten nicht gut aus, was nicht bedeuten sollte, dass es nicht auch ein paar schnuckelige unter Ihnen gab. Wir lebten hier schließlich nicht im Klischeebild Amerikas, in dem die meisten Antagonisten hässlich wie die Nacht waren. Nein, die Mischung der „bösen Jungs“ war ausgewogen. Einige sahen gut aus, andere nicht und der vermeintliche Kapitän war ein humanoides Monster, dass mich an Spidermans Rivalen, die Echse erinnerte. Noch bevor ich dieses Schiff betreten oder Ruriel mich auf mein unausweichliches Schicksal aufmerksam gemacht hatte, war mir der Gedanke zur Flucht gekommen. Im Nachhinein betrachtet, wenn ich dank Ruriel nicht alles verworfen hätte, wäre dieser Gedanke spätestens jetzt baden gegangen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ohne Cassius war ich einfach chancenlos. „Wohin bringst du mich?“ Da ich hier auf einem Piratenschiff war, entschied ich, alle Höflicheitsfloskeln beiseite zu schieben. Zumindest denen gegenüber, die augenscheinlich nur kleine Lakaien war. Noch dazu machte sich Ruriel auch nicht die Mühe, mich höflich zu behandeln. Auch wenn ich ihm doch ein gewisses Maß an Freundlichkeit zusprechen musste. Sein Griff war fest, seine Worte bestimmend, aber nichts davon hatte etwas furchteinflößendes an sich. Seltsam, wenn man bedachte, dass mein Bild von Piraten eher in die Richtung brutal und blutrünstig ging. Ruriel war auch nicht so schrullig wie Jack Sparrow... pardon, Captain Jack Sparrow. Fakt war, Ruriel passte irgendwie nicht in das Weltbild, das ich hatte. „Zu den anderen Gefangenen.“ Erneut sah ich mich bei seiner Antwort um, denn diese Türen wirkten nicht, als ob hier ein Gefängnis war. Eher Kajüten und Räume für die Mannschaft. Eine Tür ging neben uns auf, als Ruriel mich daran vorbei lotste. Kurz erhaschte ich einen Blick in die Räumlichkeit, in der sich Vasen, Stoffe und anderen Sachen auftürmten. Eine der Schatzkammern also. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie viel Blut an diesem Diebesgut klebte, denn sonst wäre mir schlecht geworden. Ruriel führte mich zu einer weiteren Treppe, die noch weiter unters Deck zu führen schien. Dahin, wo das Holz wahrscheinlich vor sich hinmoderte, wenn man das Schiff nicht richtig wartete. Da die Piraten aber dieses Schiff sicher lange für sich behalten wollten, hatten sie sicher den ein oder anderen Zimmermann an Bord, der es in Schuss hielt. Selbst wenn es da unten also muffig und vermodert sein sollte, ich konnte darauf vertrauen, dass ich da unten nicht sterben würde. Hoffte ich zumindest. Da wir tiefer gingen und es immer dunkler wurde, musste ich mich ganz auf Ruriel verlassen, dessen Schritte so sicher waren, als wäre er eine Fledermaus die mit Sonar alle Hindernisse erkennen konnte. Der Gang war lang, und irgendwo liefen wir noch einmal eine Treppe hinauf. Ich verlor ehrlich gesagt die Orientierung, was vielleicht Sinn und Zweck der Sache war. Eine Flucht von einem Ort an dem man keinerlei Orientierung mehr besaß war aussichtslos, unmöglich. Fast wie der Versuch sich in einer Großstadt ohne Stadtkarte zurecht zu finden. „Lasst uns raus...“ Hier unten waren die Klageschreie lauter. Vermutlich von Menschen die schon wesentlich länger hier ausharren mussten. Schweinerei. Vor einer Zelle, zumindest hätte ich diesen Raum, der von Gitterstäben umfasst war, so bezeichnet, blieb Ruriel stehen und schloss diese auf. Er fackelte nicht lange, als er mich mit sanfter Gewalt hinein stieß, oder eher drückte. Ich ging keine großen Schritte, als ich auch schon gegen einen Körper stieß. „Hier ist voll. Verteilt den Rest auf die anderen Zellen.“ Mit einem Klicken schloss Ruriel die Zelle wieder ab, während er seinen Kameraden wie Befehle zurief und wieder den Weg zurückging, den wir gekommen waren. „Warte!“ Ich wusste, dass es sinnlos war und doch gab ich dem Reflex nach und ging an die Gitter und versuchte noch etwas von Ruriels Silhouette zu erhaschen. Doch da war nichts mehr zu sehen, außer Fackeln, die das Dunkel etwas erhellten, aber nicht genug Licht spendeten, um Hoffnung zu säen.   Die Bewegungsfreiheit war in unserem Gefängnis weit eingeschränkt. Das war mir gar nicht aufgefallen, als Ruriel mich hineinbuxiert oder, wie ich es im Nachhinein lieber sagte, gequetscht hatte. Nach dem ersten Schock und einen kleinen Moment der Ruhe, in dem ich nur noch Gewimmer hörte, hatte ich mir die Zeit genommen mich etwas mehr umzusehen. Durch die Gitterstäbe passte gerade einmal ein Arm. Sie waren breit, eigentlich nicht einmal Stäbe, sondern eher Latten. Latten die so breit waren, dass ein Dieb nicht einmal einen entwendeten Kerkerschlüssel zur Rettung hätte nutzen können. Man hätte also nicht einmal einen Gitterstab umfunktionieren können. Nicht, dass ich das jemals in Erwägung gezogen hätte. Selbst wenn, die Decke war zu niedrig, die Räume zu gut befüllt... Wahrscheinlich hätte ich mit einem Zauber sowieso noch andere verletzt. Und das wäre auch nicht im Sinne des Erfinders gewesen. Alles was man in dieser Zelle tun konnte, war sitzen, liegen und stehen. Wobei es ein knappes Stehen war, denn wenn man die Hand etwas hob, spürte man bereits das Holz der Decke unter seinen Fingern. Viel Bewegungsspielraum hatte man also nicht auf diesen engsten Raum. Und sonderlich viel Hilfe würde man auch nicht erwarten können, wenn man an die Flucht dachte. Immerhin bestanden meine Zellengenossen nur aus Frauen und Kinder. Noch größere Schweinerei. Nach den Geräuschen meiner Nachbarzelle zu urteilen, traf dasselbe auch auf diese zu. Kampftüchtige Gefährten konnte man also nicht erwarten. Zumal diese mich hätten durchschleifen müssen, da es in der Zelle absolut gar nichts gab, was ich als Waffe oder dergleichen zweckentfremden hätte können. Nicht einmal die Frauen oder Kinder trugen auch nur etwas bei sich. Keine Haarspangen, keine Ketten, nichts. Lediglich die Kleidung, welche sie am Leib trugen, hatte man ihnen gelassen. Sie waren also genauso entwaffnet wie ich. Ich setzte mich an die Stelle, an der mein Platz war, nachdem mich Ruriel in diese Zelle genötigt hatte. Es brachte nichts über eine Flucht nachzudenken. Im Moment. Selbst am anderen Ende des Ganges, wo es Luken gab, durch die Luft drang, gab es keine Aussicht auf Freiheit. Wenn ich es richtig einschätzte, passte kein Erwachsener durch, ergo auch ich nicht. Nicht einmal, wenn ich eine Diät hielt. Dennoch, etwas war mir aufgefallen. Die Färbung diverser Hölzer war heller als die von anderen. Das traf auch auf die der Luke zu. Selbst bei diesen miesen Lichtverhältnissen konnte ich das sehen. Schließlich waren die helleren Hölzer nicht ganz so schwarz wie die anderen. Irgendetwas musste also an diesem Schiff verändert worden sein. Vielleicht war dieses Schiff das größte Diebesgut. Ja, das war schon eher etwas, dass mich an Piraten erinnerte. Damals, als ich jünger war, hatte ich mir ein Buch von meinem Vater geliehen. Es hatte von Männern gehandelt, die auf eine Expedition aufgebrochen waren. Der Kapitän war das wohl größte Arschloch des Landes gewesen und so war es zur Meuterei gekommen. Die Crew, die nun eigentlich wie Verrat hätte gehängt werden müssen, entschied sich, ein Leben als Freibeuter zu führen und so war aus dem Handelsschiff ein Piratenschiff geworden. Selbst in der Moderne wurden Schiffe dieser Art zweckentfremdet. Daher, würde das wohl in der Welt von Magi nicht anders laufen. Ich seufzte leise und holte tief Luft. Ich musste erst einmal zur Ruhe kommen, das Adrenalin noch abklingen lassen, wobei dieses bereits vollständig abgeklungen war. Stattdessen, war ich verzweifelt. So verzweifelt wie ein Mensch sein konnte. Und doch, war ich wohl die einzige, die in ihrer Verzweiflung das Schicksal hasste. Ein Blick zu meinen Mitgefangenen zeigte das deutlich. Überall leuchteten die weißen Rukh. Sie waren die Hoffnungsvollen und ich war der Virus, der nur eine falsche Bewegung machen musste, um alle zu infizieren. Ein schlechtes Gefühl, denn auch wenn ich verzweifelte, wollte ich sie nicht alle mit mir in den Abgrund reißen. Ich hatte nie in das Schicksal eingreifen wollen, doch wer wusste schon, was meine Anwesenheit bereits in dieser Welt ausgelöst hatte? Wie viele Schmetterlinge hatte ich wohl schon zertreten, ohne mir dessen bewusst zu sein? Sicher waren auch hier, unter diesen Gefangenen, ein paar Schmetterlinge, ich musste also aufpassen. Doch wie? Wie sollte ich das bewerkstelligen? Ich konnte doch nicht einfach hier sitzen bleiben und darauf hoffen, dass ich zurück in meine Welt kam. Wobei ich ehrlich bezweifelte, dass ich zurück kommen würde, wenn ich auf dem Piratenschiff vergammelte. Und wirklich viel Hoffnung auf Hilfe machte ich mir auch nicht, außer Cassandra würde Alexander und die anderen finden. Ich bezweifelte aber, dass diese kleine Truppe, selbst wenn Spartos dabei war, eine Chance hatte. „Beruhige dich, Mädchen. Wir alle wollen nicht hier sein, es bringt nichts, wenn du dir hier die Hand brichst.“ Ich horchte auf, als ich von der Zelle neben mir eine tiefere, alte Frauenstimme hörte. Gefolgt von einem dumpfen Schlagen, dass so klang, als versuchte jemand ein Loch in die Holzwände zu schlagen. „Beruhigen? Ich werde mich sicher nicht beruhigen. Ich werde diesen Pack da draußen zeigen, dass man sich mit mir besser nicht anlegt.“ Meine Ohren spitzten sich etwas mehr, als ich diese Stimme hörte. Die Stimme einer Frau, die ich nur zu gut kannte, weil ich schon längere Zeit mit ihr auf Reisen war. Ich hatte momentan echt kein Glück, denn diese Frau gehörte zu den letzten Personen, mit denen ich zusammen auf einem Piratenschiff gefangen sein wollte. Dennoch machte mein Herz einen erleichterten Hüpfer. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich hier doch jemanden hatte, den ich kannte. Ich war damit nicht ganz allein. Nicht so wie damals, als ich Balbadd verlassen hatte. „Hinata?“ Ich versuchte, so nahe wie möglich an die Wand zu robben, die an Hinatas Zelle lag. Die Damen um mich herum machten mir so gut es ging Platz, augenscheinlich verstanden sie mein Gebaren, einer Person irgendwie nahe zu sein, die ich kannte. Das ich eine Person zu kennen glaubte, schlossen sie aus der Tatsache, dass ich den Namen ausgesprochen hatte. Schneller wäre das ganze wohl nur gegangen, wenn meine Hände nicht mehr gefesselt gewesen wären. Meine Vermutung schien sich zu bestätigen, denn das Schlagen verstummte. Stattdessen, hörte ich Bewegung. Wahrscheinlich versuchte die Person auf der anderen Seite ebenfalls an ihre Wand zu kommen. „Erenya, du? Das ist echt nicht mein Tag“, hörte ich Hinatas Antwort auf meine unausgesprochene Frage. Es schien so, dass sie genauso erfreut war wie ich. Ich konnte mich also glücklich schätzen, dass sie mir überhaupt antwortete. „Nur nicht so viel Begeisterung.“ Ich konnte nicht umhin zu lächeln. Selbst jetzt. Seltsam zu wissen, dass Hinata der Grund für dieses Lächeln war. „Sie haben dich also auch gekriegt. Weißt du etwas von den Anderen?“, fragte ich, hoffend, dass sie mir jetzt nicht die Hiobsbotschaft schlechthin brachte. Immerhin war ich so lange mit der Gruppe gereist, dass ich mich an diverse Personen gewöhnt hatte. Allerdings erinnerte ich mich auch, was jenen blühte, die sich gegen die Piraten wehrten. Die Bilder des Schlachtfeldes hatten sich in mein Gedächtnis gebrannt und würden wohl noch für den ein oder anderen Albtraum sorgen. „Mein Herr konnte fliehen. Hoffe ich zumindest. Ich habe die Piraten abgelenkt, damit er entkommen konnte. Wie es mit Chen steht... weiß ich nicht. Wie sieht es bei dir aus?“ Es war fast schon lächerlich, dass wir ausgerechnet jetzt eine ruhige Unterhaltung führen konnten. Vielleicht war es einfach die Hoffnung die wir hatten, durch die andere noch gute Nachrichten zu erfahren. „Ich war bei Cassius, als der Überfall begann. Ich weiß leider nicht wie es um die Anderen steht. Der Typ aus Balbadd war kurz in der Zwickmühle, keine Ahnung ob er da wieder raus kam. Cassius allerdings... wir wurden an Deck getrennt und er hat diesen mutierten Goldfisch angegriffen.“ „Was ist ein Goldfisch?“ „Nicht so wichtig, Hinata. Mehr weiß ich aber leider auch nicht.“ Ich lauschte an der Wand, denn Hinata schwieg. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, dass ich etwas von Chen wusste. Genauso hatte ich gehofft, einen kurzen Moment, dass sie mir sagen konnte, wie es den Anderen ergangen war. „Scheint als hätten die Händler mehr Glück als wir. Immerhin ein paar.“ Ich versuchte, dass Gespräch aufrecht zu erhalten, doch scheinbar hatte Hinata bereits jetzt genug von mir. Richtig, in Sachen Flucht wäre ich die Letzte gewesen, die man an der eigenen Seite wissen wollte. Noch dazu waren Hinata und ich nicht gerade das, was man beste Freundinnen nannte. Die Gefangenschaft auf einem Piratenschiff würde das wohl nicht ändern. Wahrscheinlich war es genau das, was mich enttäuschte. „Erenya...“ Ich horchte auf, als nach einiger Zeit Hinata doch noch zu reden begann. „Ja?“, fragte ich, hoffend, dass dieses Gespräch nicht wieder in einem Streit enden würde. Oder mit einem unschönen Wortaustausch. „Ich mag dich immer noch nicht. Und ich denke, dass du gerade die schlimmste Gefährtin bist, die man sich in so einer Situation wünschen könnte.“ Irgendwie starb mit diesen Worten alle Hoffnung, die ich hatte. Nein, Hinata und ich würden wirklich keine Freunde werden. Ihre Worte zeigten das nur zu deutlich. „Aber... ich bin froh, dass du da bist. Wenn du also einen Plan hast, wie wir fliehen können, würde ich mit Freuden helfen. Pläne schmieden ist nämlich nicht so meine Sache.“ Das war bitter. Auch wenn es schon an ein Kompliment heran kam, dass sie mir zutraute hier raus zu kommen. Bitter wenn man bedachte, dass ich im Prinzip schon aufgegeben hatte. „Leider habe ich keinen Plan. Und ich weiß auch nicht, ob ich einen schmieden könnte. Pläne sind nämlich auch nicht meine Sache. Außerdem sind die Piraten in der Überzahl.“ Ich seufzte tief auf und lehnte meinen Kopf gegen die Holzwand. Es war wohl das Schlimmste, jemanden zu enttäuschen, besonders dann, wenn diese Person einen nicht mochte und dennoch vertraute. „Willst du mich veralbern?“ Ich zuckte zusammen, als Hinata ihre Stimme erhob. „Willst du mir wirklich weismachen, dass du keinen Plan hast? Sag mal, wofür bist du überhaupt gut? Du bist eine Magierin, die sich weigert zu zaubern, du bist nicht in der Lage zu kämpfen und nun hast du nicht einmal einen Plan wie du hier raus willst? Ist es dir so egal, ob du dein Ziel erreichst?“ Sie war die Letzte, von der ich mir eine Standpauke holen wollte. Dabei hatte ich diese wohl nötig, auch wenn sie selbst darin nicht gut war. „Ich hab gezaubert und konnte Cassius dennoch nicht retten. Du hast Recht, wahrscheinlich bin ich in nichts gut. Ich bin für diese Welt einfach nicht geschaffen. Wahrscheinlich war es mein Schicksal hier her zu kommen und als Sklavin zu enden.“ „Bla Bla Bla. Hörst du dich eigentlich selbst reden? Glaubst du wirklich du bist die einzige, die jemals versagt hat? Hätte ich nicht versagt, würde ich nicht hier sein. Aber ich gebe noch lange nicht auf. Ich werde hier rauskommen, ob mit dir, oder ohne.“ Nein, sie war nicht gut darin, jemanden zu motivieren. Aber es war doch schön zu wissen, dass sie mich noch genauso hasste wie zuvor. „Sag mal, warum zickst du mich eigentlich ständig an? Ich kann mich nicht erinnern, dir irgendetwas getan zu haben.“ Abgesehen davon, dass ich mich nicht freiwillig als Vorhut gemeldet hatte. Aber diesen Gedanken ersparte ich mir, denn sowohl sie als auch ich wussten, dass sie mir das schon mehr als deutlich klar gemacht hatte. „Ich mag dich halt einfach nicht. Und Momente wie diese zeigen mir, dass ich richtig damit liege. Du bist zu sehr auf dich fixiert, alle Anderen sind dir doch egal. So wie jetzt. Du ertrinkst in deinem Selbstmitleid und gibst einfach so auf.“ Im Selbstmitleid ertrinken... Sie hatte Recht. Ich hatte aufgegeben, kaum das Ruriel mir gesagt hatte, dass es besser war, mich meinem Schicksal zu ergeben. Ich hatte sogar die Stimme ignoriert, die mir gesagt hatte, dass ich mein eigenes Schicksal bestimmen würde, oder zumindest eine der vielen Möglichkeiten wählen konnte, die das Schicksal für mich geplant hatte. „Es tut mir Leid...“, kam es mir nur über die Lippen. Das Gefühl, sich bei Hinata zu entschuldigen war einfach unerträglich. „Ich bin nicht sonderlich gut daran immer positiv zu sein. Das war ich auch in meiner Heimat nicht. Aber in meiner Heimat hatte ich auch mit anderen Problemen zu kämpfen als hier.“ „Jeder hat eben sein Päckchen zu tragen. Aber... erzähl doch mal, mit was für Problemen kämpft man in deiner Heimat, wenn nicht mit solchen?“ Ich dachte darüber nach, was ich Hinata anvertrauen konnte. Ich würde wohl auf den Part verzichten, den ich Kouha bereits erzählt hatte. Das war dann doch zu explizit. „Den Verlust der Arbeit, den Verlust von Freunden...“ „Letzteres kannst du auch hier ganz schnell haben.“ „Das meine ich nicht. Wo ich herkomme, verliert man seine Freunde eher seltener, weil sie sterben. Zumindest in meinem Land. Ich habe viele Freunde verloren, weil ich bin, wer ich bin. Sollte ich jemals wieder nach Hause kommen, werde ich sicher alle Freunde verloren haben.“ Schweigen, von Hinatas Seite aus. Ich stellte mir vor, wie sie die Augen verdrehte. Auch wenn es seltsam war, dass wir zum ersten Mal so ein ehrliches Gespräch führten. „Ich kenne das Gefühl. Viele meiner Freunde haben mich verlassen. Lediglich Chen ist geblieben. Er konnte immer am Besten mit meinen Macken leben. Er ist auch der Einzige, der mich in meinen schwachen Momenten erlebt hat. Sonst habe ich immer so getan, als wäre ich stark.“ „Du bist doch auch stark. Ich meine, du bist kampferfahren und dir kann man auch nicht so schnell etwas vor machen.“ Es war meine ehrliche Meinung, die ich Hinata sagte, auch wenn es nicht gerade ihre Meinung über mich ändern würde. Sie war tough und im Gegensatz zu mir hatte sie sicher auch kein Problem damit jemanden zu töten, wenn ihr Leben davon abhing. „Schleimer. Das macht dich auch nicht sympathischer. Aber... Danke.“   Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mit Hinata gesprochen habe, oder wie spät es war, aber sie hatte sich zur Ruhe gelegt. Ich hingegen konnte noch nicht schlafen. Das Gespräch mit ihr hatte gut getan und mich auch ein wenig aus diesem Tief geholt. Sie hatte recht, wir mussten hier weg. Die Frage war nur wie? Vor allem wenn wir schon die Flucht wagten, dann konnten wir das nicht nur zu zweit bewerkstelligen. Mein Blick glitt zu den Frauen und Kindern, von denen die meisten schliefen. Auch sie waren Opfer dieser Angriffe geworden und hatten damit alles Recht ebenfalls in die Freiheit zu kommen. Der Plan musste dann also gut durchdacht sein und vor allem mit allen abgesprochen. Niemand durfte daran zweifeln und das war das eigentliche Problem. Wir brauchten einen Anführer, jemanden, der ihre Hoffnung symbolisierte und ihnen Mut machen konnte. „Hey, Kleines, du kannst auch nicht schlafen, oder?“ Ich sah neben mich, wo eine Frau saß, die ich auf ungefähr mein Alter schätzte. Ihre Augen strahlten aufgeweckt. Es konnte natürlich auch das gedimmte Licht sei, welches nicht einmal stark genug war, um mir zu verraten, was für eine Farbe sie hatten. „Fällt mir schwer zu schlafen, wenn ich daran denke, was mich erwarten könnte.“ Ich verzog das Gesicht, denn noch immer war der Gedanke, als Sklavin verkauft zu werden, abartig, auch wenn ich als Autorin eine gewisse Neugier darauf hegte. „Was auch immer sie noch vor haben, sie sollen bloß die Flossen von meinen Schätzen in dem Dungeon lassen.“ Ihrem Dungeon? Wie man es auch sah, ich wusste nun immerhin, was für eine Berufung mein Gesprächspartner hatte. Ihr Dungeon... Das klang dennoch albern. Denn niemanden gehörte ein Dungeon und wenn dann wohl eher dem Magi, der ihn in die Höhe hatte schießen lassen. „Ihre Schätze? Haben Sie denn schon einen Weg hinein gefunden?“ Sie sah mich an und schüttelte den Kopf. Demnach hatten die Fischer, mit denen ich am Tag gesprochen hatte, Recht behalten. Keiner der Schatzsucher schien auch nur ansatzweise eine Ahnung zu haben, wie man in diesen Dungeon kam. Ich reihte mich da einfach mal ein. Wenn nicht über Nacht plötzlich eine Tür sichtbar wurde, gingen mir die Ideen aus. „Der Dungeon sollte Ihr kleinstes Problem sein. Wenn die Piraten erst einmal den Hafen verlassen haben, sind alle unsere Fluchtmöglichkeiten verloren. Noch dazu... die wollen uns als Sklaven verkaufen.“ „Na das sollen sie mal versuchen.“ Ich hob eine Augenbraue, denn diese Schatzsucherin schien fernab jeglicher Realität zu sein. Oder einfach nur furchtlos. Oder dumm. Irgendetwas schien sicherlich darauf zuzutreffen. „Ich sehe gerade, sie haben dir nicht die Fesseln an den Händen abgenommen? Nicht einmal das machen sie richtig. Wie soll man denn so schlafen? Ich sage dir, wenn sie so mit meinen Schätzen umgehen wie mit ihren Gefangenen, dann sehe ich rot.“ Ohne, dass ich sie darum gebeten hatte, wandte sie sich meinen Fesseln an den Händen zu, wobei ich mich erneut im Raum umsah. Die Anderen waren wirklich so gar nicht mehr gefesselt. Wahrscheinlich, weil sich die Piraten sicher waren, dass niemand hier Gegenwehr leisten würde. Fragte sich nur, warum Hinata scheinbar genug Bewegungsfreiheit bekam, denn sie war eine Kampfmaschine. Glaubte ich. Allerdings war ich nun auch froh darüber, dass ich diese Fesseln los wurde. Ebenso war es mein Körper, der meine tauben Glieder mit einem sanften Stechen erfüllte. Es kribbelte unter der Haut und man konnte deutlicher als sonst weiße Abdrücke auf meiner so schon hellen Haut erkennen. „Verdammt, seit Jahren forsche ich wegen diesem Dungeon und nun glauben Piraten einfach so in Bitroun einzufallen und sich alles unter den Nagel reißen zu können. Nicht mit mir, Kleines, nicht mit mir.“ Ich hörte gar nicht mehr richtig zu, denn an sich wiederholte sich die Schatzsucherin nur immer wieder. Es war ihr Dungeon, mit ihrem Schatz und diese miesen, fiesen Piraten würden all die Früchte ihrer Arbeit ernten. Was auch immer das für Früchte waren, denn scheinbar war weder sie, noch ein anderer Schatzsucher jemals in die Tiefen des Dungeons vorgedrungen. „Sind Sie schon lange in Bitroun?“, fragte ich schließlich, denn irgendwie war es ja doch interessant, das alles mal aus der Sicht eines Schatzsuchers zu hören. „Schon lange? Ich verbringe bereits einige Monate vor den Toren. Und ich sag dir, Kleines, dass ist kein Zuckerschlecken. Man kann niemanden von den Anderen vertrauen. Alle sind nur drauf aus, dir deine Geheimnisse aus der Nase zu ziehen, um sich durch dich zu bereichern. Am Ende hast du nichts von den Früchten deiner Arbeit. Die anderen sind doch nicht besser als dieses Piratenpack.“ Auch wenn sie nicht gerade genau in ihrer Angabe von einigen Monaten war, so hörte man doch deutlich heraus, dass diese schon einige Strapazen hinter sich hatte. Scheinbar gab es auch unter Schatzsuchern Unstimmigkeiten, was mich fast schon an den Goldrausch in Amerika erinnerte. Bei Schätzen und Geld hörten die Freundschaft und Teamwork eben auf. „Und was hast du in Bitroun gemacht, Kleines?“ Es war doch erstaunlich, dass sie tatsächlich über andere Dinge reden konnte, oder viel mehr sich auch für andere Sachen interessierte als „ihren Dungeon“. Wobei ich sie nicht als schlechte Person einschätzte. Allein die Tatsache, dass sie meine Fesseln gelöst hatte, zeigte doch, dass sie eine fürsorgliche Person war. „Durchreise, mit einer Karawane. Hinata von neben an gehörte auch dazu. Unser Reiseführer ist aber glaube ich über Bord gegangen, als er sich mit der Echse geprügelt hat.“ Ein anerkennender Pfiff kam von der Schatzsucherin. Scheinbar hatte sie die Echse auch schon gesehen, was mich nicht verwundert hätte. Der Kerl war ein halbes Haus. Übertrieben gesprochen. „Tapfer. Hoffentlich kann er gut schwimmen.“ Gut schwimmen... Ich war mir sicher, dass Cassius das konnte. Ich meine, der Junge war von Geburt an sehr gut unterrichtet worden. Im Schwertkampf, in Geographie und sicher auch noch einem Dutzend anderer Dinge. Warum hätte man da ausgerechnet auf das Schwimmen verzichten sollen? So als Händler wäre es doch nur verständlich gewesen, auch mal mit dem Schiff zu reisen und da musste man gegen alles gewappnet sein. „Ich hoffe eher, dass die Kavallerie bald kommt. Wobei ich bezweifle, dass es in der Stadt noch viele kampftüchtige Personen gibt.“ Ich seufzte leise, denn an sich wäre ich schon froh gewesen, wenn noch eine Rettungsleine in Sicht gekommen wäre. Oder viel mehr hoffte ich, dass wir noch nicht die Anker gelichtet hatten. Ich hörte zumindest noch leise Schritte über uns. Unter uns erklangen hin und wieder Stimmen, was darauf deutete, dass die Piraten immer noch nicht fertig damit waren, die Sachen zu verladen. „Wir müssen uns keine Sorgen machen. Die Armee von Balbadd kommt sicher, gemeinsam mit der Flotte des großen Sinbad.“ Sowohl die Schatzsucherin als auch ich sahen auf, zu der anderen Seite unseres Gefängnisses. Ein kleines Mädchen, höchstens zehn Jahre alt, saß dort, ihre Beine fest umklammert. Im schwachen Licht konnte ich ein wenig von ihrer Haarfarbe ausmachen, die doch schon für die Verhältnisse meiner Welt ungewöhnlich war, wenn man kein Punk sein wollte. Sie waren blau, vielleicht auch violett, sicher war ich mir nicht. Interessant war aber nur, dass sie so hoffnungsvoll war. Und vor allem, dass sie Balbadd zutraute, dass die sich für irgendwen außerhalb ihrer Stadtmauern interessierten. Ahbmad interessierte sich ja nicht einmal für die Menschen innerhalb der Stadtmauern. Aber so wollte ich das dem Mädchen nicht sagen. Vielleicht hatte sie ja Recht und eine Flotte aus Sindria würde kommen. Guter Witz. Selbst, wenn Spartos dort gewesen war und Sinbad davon erzählte, was sollten sie schon tun? Woher sollten sie wissen, welche Seeroute die Piraten nehmen würden? „Hör mal, Kleine... Niemand wird ko-“ Da meine Hände nun frei waren, konnte ich der Schatzsucherin einen leichten Klaps gegen den Oberarm geben. Sie hatte scheinbar nicht damit gerechnet und sah fragend zu mir. Ich konnte nicht anders als nur den Kopf zu schütteln um ihr zu sagen, dass sie die Hoffnungen dieses Mädchens nicht zerschlagen sollte. „Ich meine, niemand geringeres als Sinbad persönlich wird kommen.“ Unsicher sah die Schatzsucherin zu mir und ich nickte. Vielleicht war es übertrieben, der Kleinen weiß zu machen, dass Sinbad persönlich kam, aber das Lächeln des Mädchens, welches ich im Halbdunkel erahnte, war es wert. „Was bringt mir die Flotte des Seefahrers, wenn meine kleine Tochter ganz alleine da draußen ist? Ich will sie doch nur wiedersehen und in meinen Armen halten.“ Erneut mischte sich eine Person in dieses Gespräch ein. Sie lag in der hintersten Ecke, doch wir konnten deutlich hören, dass ihre Stimme Tränen erstickt war. „Haben sie Ihre Tochter aus den Augen verloren, Lady?“, fragte die Schatzsucherin an die weinende Frau gewandt. Taktgefühl schien ihr ein Fremdwort zu sein. „Es ging alles so schnell... Wir versuchten aus dem Hafen zu kommen, da waren so viele Menschen. Ich hab sie doch die ganze Zeit fest an der Hand gehalten und plötzlich... plötzlich war sie weg. Ich habe sie nicht mehr gehört...“ Ihr Schluchzen wurde lauter, während sie sprach. Es ging mir bis ins Mark. Wenn diese Mutter schon so weinte, wie ging es dann ihrer kleinen Tochter? Sicher war sie vollkommen verängstigt, so ganz ohne ihre Mutter. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin mir sicher, jemand hat sie gefunden und passt auf sie auf. Da draußen sind noch ein paar starke Männer meiner Karawane, wenn einer von ihnen sie gefunden hat, ist sie in Sicherheit.“ „Was macht Sie da so sicher?“ Ich versuchte mein Bestes so zuversichtlich wie möglich zu klingen, doch die Verzweiflung der Frau schien größer als alle guten Worte. „Weil zwei Mitglieder der Karawane Fanalis sind. Mein Freund Varius und Alexander sind stark. Es gibt sicher nichts, was sie in die Knie zwingen kann. Wenn einer von beiden ihre Tochter also gefunden hat, dann wird alles gut.“ Ich bemühte mich um ein Lächeln in der Stimme, doch die Tränen schienen nicht zu stoppen. Es wirkte sogar so, als hörte die Frau nicht, was ich sagte. Vielleicht war sie auch nicht mehr fähig dazu, vor lauter Sorge. „Wir sollten vielleicht schlafen gehen. Es bringt nichts, dauerhaft wach zu bleiben. Vielleicht haben wir irgendwie noch eine Chance zu fliehen.“ Da es keine Antwort mehr von der Mutter gab, wandte sich die Schatzsucherin wieder mir zu. Ich wusste, dass sie Recht hatte, aber nach Schlafen war mir immer noch nicht zumute. Vor allem nicht auf diesem Holzboden. „Du kannst unter diesen Umständen schlafen?“, fragte ich daher die Frau neben mir, die sich bereits gegen die Wand lehnte und die Augen schloss. Ein Lächeln war auf ihren Lippen zu sehen, welches schwer zu deuten war. „Ich hab schon unter schlimmeren Umständen geschlafen“, antwortete sie und holte tief Luft. Es dauerte nicht lange, da atmete sie tief und ich wusste, dass sie ins Reich der Träume abgedriftet war. Meinen Respekt hatte sie dafür. Aber nicht nur sie, sondern auch das Mädchen, welches so sehr auf Sindria und Balbadd hoffte und die Mutter, deren Schluchzen verstummt war. Ruhe kehrte ein und alles was ich in diesem Gefängnis noch hörte, war das Atmen der Menschen und zweimal die Türen, beziehungsweise Schritte, als die Piraten weitere Gefangene runter brachten. Es schien fast so, als hätten sie die ganze Stadt gefangen genommen. Ich hoffte natürlich, dass ich mich irrte.   Irgendwann war es mir doch gelungen wegzunicken. Die Anstrengung des Kampfes hatte sich bemerkbar gemacht und meine Augen waren wie von selbst zugefallen. Allerdings wusste ich, dass ich nicht lange geschlafen hatte. Es fühlte sich zumindest nicht so an. Geweckt wurde ich von einem Ruck, der das Schiff erfasste, wie es mir immer im Bus oder Bahn widerfuhr, wenn sie anfuhr. Ich war sofort hellwach und auf den Beinen. Ich war allerdings nicht die einzige, die davon geweckt wurde. Einige Kinder setzten sich auf, ebenso wie Frauen, in deren Gesichtern nur zu deutlich zu lesen war, was gerade passierte. „Wir verlassen den Hafen...“, merkte die Schatzsucherin neben mir an, die ihre Arme streckte, wobei ihre Glieder ein leises Knacksen von sich gaben. „Wie spät es wohl ist?“ Es war eine Frage die berechtigt, wenn auch selten dämlich war. Immerhin konnte ich ein helleres Licht vom anderen Ende des Flures sehen. Da wo diese Luke war, schien mehr Licht reinzufluten. Sonnenlicht. Dennoch es war nicht genug Licht, fast so, als sollte es niemals genug geben, was wiederum traurig war. „Ich würde von Morgen oder Mittag aus gehen. Sie haben ganz schön lange gebraucht. Mein Dungeon ist eben verdammt zäh.“ Es grenzte schon an Lächerlichkeit, dass die Schatzsucherin diesen Dungeon wie eine Person zu behandeln schien. Wahrscheinlich hatte sie sich in den letzten Monaten etwas zu viel mit diesem Leuchtturm beschäftigt. „Hey, Kleines, auch wenn es vielleicht schon Mittag ist, wir sollten noch etwas schlafen. Warst du schon einmal auf einen Schiff?“ Ich sah zu der Schatzsucherin und schüttelte den Kopf. Keine Lüge, meine Reise nach England in der siebten Klasse, hatte ich aufgeben müssen, aufgrund meiner Hüftoperation. Die Ärzte hatten mir davon abgeraten und so war ich nie in den Genuss der Überfahrt mit der Fähre gekommen. Ein Gutes hatte es gerade aber, ich war unter Deck und musste so nicht herausfinden ob ich seekrank war. Ich spürte lediglich die gleichbleibende Bewegung des Schiffes, ein leichtes Schaukeln, nichts was mein Magen zum Karussellfahren einlud. Hätte ich den Wellengang auch noch gesehen, wäre ich vielleicht in einer anderen Lage gewesen. Glücklicherweise hatte unsere Zelle kein Fenster. „Noch nie, aber ich bin ein Gewohnheitstier. Irgendwann ist eben immer das erste Mal.“ Auch wenn ich mir das erste Mal auf einem Schiff doch anders vorgestellt hatte, konnte ich nun mit Stolz behaupten, fast jede Fortbewegungsmöglichkeit in Magi genutzt zu haben. Fehlte nur noch das fliegen auf einem Zauberstab, was ich mir kneifen würde, denn etwas unbequemeres als einen Zauberstab gab es wohl nicht, und eine Sänfte. Auf die Pferde und Kamele wollte ich auch verzichten. „Dann gewöhnst du dich hoffentlich schnell. Wer weiß wie lange die Reise dauert. Wobei ich davon ausgehe, dass sie Kou oder Reim ansteuern werden. Sklaven verkaufen sich da besonders gut.“ Ja, dass konnte ich mir vorstellen, dass Sklaven sich in Reim und Kou gut verkauften. Städte des Reichtums hatten eben alles für Jedermann.   Geschlafen hatte ich kaum. Eher gedöst. Oder Powernapping betrieben. Fakt war, ich fühlte mich gerädert und alles andere als ausgeruht. Damit war immerhin nicht allein. Viele der Frauen schienen nicht vernünftig geschlafen zu haben. „Erenya?“ Da ich nie von der Wand gewichen war, erleichterte es mich, als ich Hinatas Stimme vernahm. Sie war also auch wieder aus ihrem Schlaf erwacht. „Bin noch da...“, antwortete ich, fühlte mich im Nachhinein aber selten dämlich, dass ich es gesagt hatte. Natürlich war ich noch da, dass hätte selbst Hinata wissen müssen. „Was gibt es, Hinata?“, fragte ich schließlich, um zu vermeiden, dass erneut eine peinliche Stille zwischen uns eintrat. „Kannst du schwimmen?“ Mir rutschte bei ihrer Frage das Herz in die Hose. Was auch immer sie plante, ich fand diese Idee jetzt schon bescheiden. „Wie ein Stein...“, murrte ich, was Hinata mit Schweigen quittierte. Scheinbar hatte sie nicht damit gerechnet, dass ich selbst im Meer verloren war. „Du kannst nicht zufälligerweise fliegen?“ Wollte Hinata mich verarschen? Was waren das denn für Ideen, die sie da gerade mit ihrem halb wachen Geist zusammen sponn? „Ich beherrsche gerade einmal zwei Zauber. Die Levitationszauber standen noch nicht auf dem Lehrplan. Also nein, fliegen kann ich auch nicht. Und nur für den Fall, dass du fragen willst, nein ich kann mich auch nicht unsichtbar machen.“ Ein entnervtes Seufzen von Hinatas Seite. Wahrscheinlich dachte sie wieder darüber nach, wie nutzlos ich gerade war. Oder eher, dass ich die schlimmste Mitgefangene war, die sie sich hätte wünschen können. Man konnte eben nicht alles haben, dass musste auch Hinata irgendwann lernen. „Mir gehen allmählich die Ideen aus. Mach doch auch mal was.“ Hinata hatte gut Reden. Was sollte ich bitte hier unten machen? Wir hatten keine Waffen. Es gab nicht einmal genug Bewegungsfreiheit um hier irgendetwas zu reißen. „Würde ich, aber mir fehlen Informationen. Auf dem Schiff sind wahrscheinlich an die 100 Piraten. Selbst zu zweit würden wir die nicht in die Knie zwingen. Noch dazu fehlen uns die Waffen. Und von den Kindern die in Gefahr geraten würden, bei einem Ausbruchsversuch will ich gar nicht erst reden.“ Mein Blick glitt zu den Kleinsten hier im Raum. Sie waren sicherlich nicht so gut für den Kampf geeignet. „Außerdem sind sie auch besser bewaffnet. Du hast sicher diese Waffen gesehen, mit denen sie Magie wirken konnten. Das sind magische Utensilien. Ich vermute mal, dass sie diese von Magnostadt oder einem Händler haben. Mein Borg könnte zwar ein paar Schläge aushalten, aber ich kann nicht alle Gefangenen beschützen.“ „Und was schlägst du dann vor? Warten?“ „Im Zweifelsfall, ja. Wenn ich das richtig einschätze, werden wir auf offener See sowieso nicht weit kommen. Das bedeutet wir müssen warten, bis sie wieder vor Anker gehen und uns vielleicht auf den Sklavenmarkt bringen wollen. Dort hätten wir vielleicht die Chance mit einem Ablenkungsmanöver die Flucht zu wagen.“ In meinem Kopf spielte sich bereits der Film ab. Ich sah mich auf dem Weg zum Podest, gefesselt, wieder mit Seilen an den Händen. Wenn sie nicht gerade auf Ketten umschwenkten, mit denen sie uns aneinander fest machten, hatten wir wirklich eine Chance. Märkte, egal was für welche, waren immer gut besucht. Man konnte sich unters Volk mischen, mit ihnen verschmelzen und dann untertauchen. „Du erwartest nicht ernsthaft, dass ich so lange warte. Ich werde alles tun, um hier runter zu kommen, ob mit dir oder ohne ist mir egal.“ Ja, da war sie wieder, die Zicke. Ich wollte immerhin kein Risiko eingehen, aber Hinata schien das nicht zu verstehen. „Dann trennen sich hier unsere Wege wohl“, konterte ich, was Hinata mit einem leisen 'Tze' beantwortete, bevor sie wieder schwieg und die Stille in unser Gefängnis einkehrte. Ich wagte mich auch nicht, den erneuten Versuch eines Gespräches zu starten. Die Fronten waren im Moment zu verhärtet. Hinata wollte schnellstmöglich hier raus, zu Chen, und ich brauchte einfach noch mehr Informationen um einen Plan zu erstellen, der all diese Leben hier nicht gefährdete. Ich schloss die Augen und überlegte, was ich wusste. Wir waren einmal runter und einmal wieder hoch gegangen. Immer gerade aus, wobei wir ganz zu Beginn einmal um die Ecke gebogen waren. Zumindest glaubte ich, dass es eine Ecke gewesen war. Ich hatte auf dem Weg hierher eine Schatzkammer gesehen, allerdings waren in dieser keine waffenähnlichen Gegenstände gewesen. Die Frage war also, wo die Waffen waren, welche sie den Kämpfern der Stadt abgenommen hatte, wenn sie das getan hatten. Das Lager zu räumen wäre eine gute Idee gewesen, allerdings hätte man dafür erst hier raus kommen müssen und wie man das bewerkstelligen würde, war mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Ich seufzte einmal tief auf, was aber durch das Öffnen der Türen in unserem „Verlies“ übertönt wurde. Ich öffnete die Augen und sah wie sich einige Piraten zu den Zellen neben der unseren bewegten. Schlüssel klapperten, als sie gezogen und schließlich ins Schloss gesteckt wurden. „Du...“, sagte einer der Piraten mit tiefer Stimme. Kleidung raschelte, was darauf hindeutete, dass eine Person sich erhob. Es dauerte auch einige Sekunden, bis erneut das Klappern der Schlüssel zu hören war und die Piraten mit einer Frau an unserer Zellentür vorbeizogen. Fragend sah ich zu der Schatzsucherin, die das ebenfalls mit angesehen hatte, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Vielleicht sind wir schon da...“, antwortete sie auf meine unausgesprochene Frage, doch ich spürte noch die Bewegung des Wellenganges. Nein, wir waren nicht an Land angekommen. Dieses Verhalten war dadurch noch seltsamer, oder auch nicht. Hier unten waren nur Frauen und Kinder. Was würden männliche Piraten also mit Frauen und Kindern tun? Mir schnürte sich bei diesem Gedanken unweigerlich der Magen zusammen. An sich wollte ich die Antwort nun nicht mehr wissen, doch sie spukte mir unablässig im Kopf herum. „Sag mal, Kleines, warum warst du eigentlich auf Reisen? Du scheinst mir nicht der Typ Frau zu sein, der durch die Welt reist um Abenteuer wie diese zu erleben.“ Als hätte sie gemerkt, dass mir ein Gedanke in den Sinn gekommen war, der mir Unbehagen bereitete, zog mich die Schatzsucherin in ein Gespräch. Wahrscheinlich wollte sie mich auf andere Gedanken bringen. Das zumindest gelang ihr. „Ich wollte in Balbadd ein Schiff nach Sindria nehmen. Allerdings war wegen eines Überfalls auf einen Diplomaten aus Kou dieser Weg für mich nicht mehr nutzbar. Ich wollte nach Aza um dort ein Schiff nach Sindria zu bekommen.“ „Sindria, huh? Bist wohl ins Exil verbannt worden“, scherzte die Schatzsucherin, doch mein Blick verfinsterte sich. Exil. Ja, so hätte man das wohl nennen können. „Ist nicht wahr, Kleines. Was hast du getan?“ Sie war gut darin meine Mimik zu lesen. Viel zu gut, denn nun konnte ich mir nicht einmal mehr eine Ausrede einfallen lassen. Ich konnte mir nur eine Lüge einfallen lassen, um das Ganze zu kitten. Doch weswegen sollte ich lügen? Ich hatte mir immerhin nichts zu schulden kommen lassen. Zumindest war ich mir keine Schuld bewusst. „Ich habe bei einem Mann gelebt, der Probleme mit dem Gesetz bekam, werde von der hiesigen Nebelbande gejagt, weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort war und ja... Das ist im Prinzip die grobe Zusammenfassung meines Vergehens.“ „Männer machen echt nur Probleme“, war alles, was die Schatzsucherin sagte. Scheinbar verstand sie den ersten Part mehr als falsch. „Oh, nein, Sadiq war nicht mein Mann fürs Leben. Ich bin noch vollkommen ledig und habe hier eigentlich auch nicht vor, mich zu binden. Sonst komme ich ja gar nicht mehr nach Hause.“ Die Schatzsucherin horchte auf und sah mich fragend an. Scheinbar musste ich meine Geschichte doch etwas genauer zum Besten geben. Bevor ich jedoch ansetzen konnte, wurde wieder die Verliestür geöffnet. Erneut traten Piraten ein, erneut klapperten Schlüssel und wieder wurde eine Frau aus dem Gefängnis geführt. Ich wartete bis unsere Gefängniswärter weg waren, bevor ich zur Schatzsucherin sah und mit meiner Erzählung begann. „Ich komme nicht von hier. Also, damit meine ich, dass ich nicht einmal aus Balbadd komme. Meine Heimat liegt weit, weit weg von hier. Keine Ahnung wie ich überhaupt nach Balbadd gekommen bin. Meine Erinnerungen sind dahingehend noch etwas verschwommen.“ Ich holte etwas Luft und überlegte. Dank Cassandra wusste ich nun immerhin, was diese schwarzen Flecken sein konnte. Schwarzes Rukh. „Eine weit entfernte Heimat? Verdammt, hätte ich nur meine Landkarte, du hättest mir zeigen können, wo es liegt.“ „Nein, nicht wirklich. Meine Heimat ist auf keine eurer Karten auch nur ansatzweise eingezeichnet.“ Die Schatzsucherin staunte auf meine Worte hin. Ich konnte sogar schwören in ihren Augen ein leidenschaftliches Feuer aufflackern zu sehen. Richtig, ein Land, das auf keiner Karte eingezeichnet war, musste wahnsinnig vielversprechend für sie sein. Wie die untergegangene Kultur von Atlantis für uns vielversprechend war. „Wäre es schlimm, wenn wir das Thema wechseln? Gerade mag ich nicht wirklich über meine Heimat reden. Ich habe sie nun fast zwei Monate nicht mehr gesehen und wenn ich die Situation recht bedenke, werde ich das sobald auch nicht.“ Ich flüsterte die letzten Worte, denn das Mädchen, welches so sehr auf Sindria oder Balbadd hoffte, war hellwach und schien unser Gespräch angeregt zu belauschen. Kein Wunder, etwas besseres gab es momentan nicht zu tun. Sie war ja auch nicht die Einzige, viele unserer Mitgefangenen hörten uns zu, selbst wenn sie es nicht so offensichtlich taten, wie das Mädchen. „Da fällt mir ein, meine Geschichte könnte fast wie die von Alice im Wunderland sein.“ „Alice im Wunderland?“, fragte die Schatzsucherin und hob eine Augenbraue. Scheinbar kannte man Lewis Carroll hier nicht. Auch gut. „Das ist eine Geschichte aus meiner Heimat. Sie handelt von Alice Liddell, einem Mädchen, dass ihren Kopf scheinbar immer in den Wolken hatte.“ Ich sah zu dem Mädchen auf der anderen Seite, das nun noch gespannter die Ohren spitzte. Ich war als Geschichtenerzählerin in diese Welt gekommen. Oder hatte mir viel eher unter diesen Vorwand einen Platz in Assads Freudenhaus verschafft. Gerade jetzt waren Geschichten alles, was uns vielleicht von der Verzweiflung ablenkte. Was mich ablenkte. Es war zumindest alles, was ich im Augenblick tun konnte.   Die Piraten hatten sich nicht davon stören lassen, dass ich eine Geschichte erzählte, während sie immer wieder Gefangene raus brachten. Während sie das taten, zählte ich heimlich mit. Von zwanzig Frauen, die sie raus gebracht hatten, waren sechs nicht wieder gekommen. Sechs Frauen, deren Verbleib ungewiss blieb. „Alice ist also wieder nach Hause gekommen?“ Ich nickte auf die Frage des Mädchens, was auf der anderen Seite des Gefängnisses saß. Die Schatzsucherin hatte während der Geschichte nicht einmal versucht, noch den Dialog mit mir einzugehen. Stattdessen waren es die Jüngsten unter uns, die immer wieder Fragen stellten oder erstaunte „Oh“s und „Ah“s von sich verlauten ließen. Für den Augenblick dieser Geschichte hatte ich ihnen immerhin die Angst nehmen können. Die Frage war nur, wie lange das halten würde. „Ja, das ist sie. Zurück zu ihrer Schwester, der sie sogleich von ihren Abenteuern im Wunderland erzählte. Ihre Schwester glaubte ihr natürlich nicht, denn sie hatte die ganze Zeit über die schlafende Alice gewacht.“ „Das heißt, sie hat die ganze Zeit geschlafen?“, fragte ein anderes Kind aufgeregt. „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Das dürft ihr entscheiden.“ So wie ich es mit meinen Lesern hielt, wollte ich es natürlich auch für die Kinder hier halten, die sofort anfingen aufgeregt miteinander zu debattieren ob Alice ihr Abenteuer nur geträumt hatte oder nicht. Kinder waren dahingehend ein dankbares Publikum. Sie dachten über so vieles in dieser Welt nach und akzeptierten sie nicht einfach, wie sie war. „Scheint, als wäre die Hexe auch ohne Zauberstab noch mächtig genug.“ Ich sah auf, als Ruriels Stimme vom anderen Ende unserer Gitterstäbe erklang. Er war in Begleitung vier weiterer Piraten und hielt den Schlüssel in der Hand, der vermeintlich für unsere Zelle bestimmt war. „Du, Hexe, komm mit.“ Ruriels Ton war harsch, auch wenn eine gewisse Wärme dahinter lag. Es war deutlich, dass er keine Widerrede duldete. Dennoch sah ich fragend und ein wenig verängstigt zu der Schatzsucherin, die mit einer Geste deutlich machte, dass ich mich nicht wehren sollte. Sie machte mir sogar Platz, so dass ich aufstehen und an ihr vorbei steigen konnte. In mir machte sich wirklich ein mulmiges Gefühl breit, auch wenn ich mir versuchte einzureden, dass ich in keinster Weise attraktiv genug war, sodass ein Mann auch nur ansatzweise das Bedürfnis hatte mich zu einem Opfer zu machen. „Bis gleich...“, rief ich noch in die Zelle rein, bevor Ruriel aufschloss und mich mehr hinaus zerrte, als mir die Freiheit zu lassen hinauszutreten. Er hielt mich auch den Weg über fest, so als befürchtete er, dass ich doch noch einen Fluchtversuch starten würde. Etwas, dass unmöglich war, da vor und hinter uns zwei seiner Kollegen liefen. An Flucht war damit nicht einmal zu denken. „Fragst du dich nicht, wohin ich dich führe?“, fragte Ruriel nach einigen Schritten, die wir aus dem Verlies gemacht hatten. Ich war in der Tat nicht einmal auf die Idee gekommen zu fragen. Dafür hatte ich schon ein zu sehr vorgefestigtes Bild. „Sollte ich?“ Im Nachhinein betrachtet, war meine Gegenfrage mehr ein Reflex als eine clevere Antwort. Natürlich sollte ich. Ich war eine Gefangene auf einem Piratenschiff nicht auf einer Luxuskreuzfahrt. Oh Gott, gerade wirkte ich sicher nicht wie eine der hellsten Leuchten hier an Bord. „Ich meine: Wohin führt ihr mich?“ Nein, ich war wirklich nicht die hellste gerade und ich hatte nicht einmal eine Ausrede dafür, warum es so war. Der Spätzünder in mir kam wohl wieder zum Vorschein. Ruriel quittierte meine späte Frage mit einem Seufzen und schüttelte den Kopf. Ich wollte gar nicht wissen, was er gerade von mir dachte, denn es war sicher nichts Gutes. „Saam will dich sprechen. Ich empfehle dir, dass du einfach seine Fragen beantwortest, ohne irgendwelche Anstalten zu machen. Gib ihm, was er will, und es wird dir nicht schaden.“ „Wer ist Saam?“ Ja, ich gestehe, meine Frage hätte eher lauten sollen, was dieser Saam wollte, statt wer Saam war, doch darauf war ich in diesem Moment gar nicht gekommen. Ich fand die Frage danach, wer Saam war, wesentlich interessanter. „Der Mann, der deinen Freund über Bord geschickt hat.“ Es dauerte nicht lange, um diesen Wink zu verstehen. Ruriel wusste sicher, dass ich das Handgemenge von Cassius bemerkt hatte. Demnach wusste ich wirklich, wer Saam war. Diese überdimensionale Echse. Vielleicht war Saam auch mehr ein Wesen in Richtung Kappa. „Und da soll ich einfach tun und machen was er will?“ „Es liegt an dir, wo du enden willst.“ Kryptischer hätte dieses Gespräch wohl nicht verlaufen können. Es erinnerte mehr an dem Versuch, mir eine Überraschung nicht verderben zu wollen. Wobei es so viele Überraschungen noch nicht gegeben hatte, bei denen man sich hätte verplappern können. Mehr sagte Ruriel auch nicht. Er führte mich schweigend an Deck. Ein kurzer Blick gestattete mir außer einer weit entfernten Insel, die sicher nicht mehr Bitroun war, nichts außer Meer zu sehen. Vor einer Tür, die wohl in die Kajüte des Kapitäns führte, blieben wir stehen. Mir wurde mulmig zumute, als Ruriel die Tür öffnete und ich den überdimensionalen Kappa-Echsenmann vom Vorabend sah. „Da rein...“ Ich spürte Ruriels Hand in meinem Rücken, die mich in das Innere der Kajüte drückte und schließlich, kaum dass seine Hand nicht mehr zu spüren war, verschloss sich die Tür hinter mir. Mir wurde immer mulmiger, dennoch sah ich mich um. Die Otome-Games hatten immerhin nicht gelogen, was das anbelangte. In der Kajüte des Kapitäns stand dessen Bett, ein großer Schreibtisch in der Mitte, vor dem ein Stuhl war und hinter dem der Kapitän selbst saß. Mit stechenden, wartenden Blick. Okay, das erinnerte nun doch mehr an ein Bewerbungsgespräch im Büro des Big Boss. Ich hasste Bewerbungsgespräche, denn sie machten mich nervös. Vor allem hasste ich Bewerbungsgespräche mit Männern wie diesem Saam, der mich grimmig ansah. Vielleicht war das aber auch einfach nur sein Gesicht und er konnte nicht lächeln. Diesen Gedanken behielt ich besser für mich. „Setzen!“, kam es von ihm, nachdem er scheinbar bemerkt hatte, dass ich auch bei der Tür Wurzeln geschlagen hätte. Oberste Regel bei einem Bewerbungsgespräch, erst setzen wenn der Chef es sagt. Selbst wenn er einen drei Minuten stehen lässt. Das hatte man uns in der Regelschule beigebracht, als wir bei einem Bewerbungstraining in der örtlichen DEKA waren. Um zu demonstrieren, dass ich doch in der Lage war, einfache Befehle zu befolgen und vor allem, weil mir Ruriel angeraten hatte, das zu tun, was Saam wollte, setzte ich mich auf dem Stuhl ihm gegenüber und bereute es just in diesem Moment. Denn die Nervosität stieg. „Name?“ Ich schwieg, denn diese Aufforderung war doch etwas... unerwartet. Fragten Piraten wirklich nach dem Namen ihrer Ware? Würden sie mich anpreisen wie Ikea es mit seinen Möbeln tat? In meinem Kopf spielte ich bereits einen entsprechenden Film ab. „Kaufen sie heute noch die Sklavin Erenya. Sie kann kochen, singen und Geschichten erzählen, ist außerdem eine hundertklassige Magierin, die sie mit ihrem Borg beschützen kann.“ Nicht einmal ich hätte mich bei so einer Werbung gekauft. „Name“, forderte Saam deutlicher, als ich nicht gleich beim ersten Mal antwortete. Egal, was hier lief, es war wohl besser, den Kappa nicht weiter zu verstimmen. „Erenya Tailor“, antwortete ich halb wahr. Erenya hatte ich mich in dieser Welt ja schon die ganze Zeit genannt und Tailor... naja, Attarath hätte sicher noch bescheidener geklungen. „Seltsamer Name, woher kommt der?“ Meine Augenbraue schnellte in die Höhe. Bisher hatte niemand auch nur ansatzweise ausgesprochen, dass mein Name seltsam klang. Piraten hatten echt das Feingefühl eines Kieselsteins im Schuh. „Aus meiner Heimat.“ Mehr oder minder. Die richtige Antwort wäre wohl gewesen 'aus meinem Kopf'. Das musste ich allerdings auch nicht dem Herrn Kappa auf die Nase binden. „Und deine Heimat liegt wo?“ Allmählich nahm dieses Gespräch die Form eines Ping-Pong-Spieles an. Er warf mir die Frage zu, ich konterte, er stellte daraufhin die nächste Frage. Passte doch. Solche fließenden Übergänge hätte ich mir beim Schreiben häufiger gewünscht. „Keine Ahnung.“ „Keine Ahnung?“, fragte Saam und sah mich eindringlich an. „Meine Heimat ist auf keine Ihrer Karten verzeichnet. Ich weiß nur, dass meine Heimat so weit entfernt und so schwer erreichbar ist, dass Ihre Schiffe sie nicht einmal erreichen könnten.“ Zweifelnd sah mich Saam an. Diese Antwort schien ihn nicht glücklich zu machen. Was anderes konnte ich aber auch nicht sagen. Und aus der Sache mit dem weit entfernten Land hatte ich bisher noch kein Geheimnis gemacht. „Und wie kommst DU dann hier her, Hexe?“ Ich war mir nicht sicher, aber die Tatsache, dass er mich Hexe nannte, ließ mich glauben, dass er bereits meinen Namen vergessen hatte. Wie unhöflich. „Keine Ahnung.“ „Du weißt nicht viel, oder?“ „Zumindest nicht was diese Angelegenheit betrifft.“ Nannte man das schon vorlaut, oder einfach gnadenlos ehrlich? Ich wusste es nicht. Wichtig war mir nur, dass ich sagte, was meiner Meinung nach die Wahrheit war. „Bist du schon lange in Bitroun gewesen?“ „Nur auf Durchreise. Mein Ziel ist... war Aza. Ich wollte von dort nach Sindria.“ Schweigend sah mich Kappa-Mann an. Er schien zu überlegen, was ich in Sindria wollte. Seltsam, denn das war ein Blick, den ich bisher immer gesehen hatte, wenn ich erwähnte nach Sindria zu wollen. „Nach Aza... Balbadd liegt näher.“ „Von da komme ich und es fuhren zu dem Zeitpunkt keine Schiffe mehr nach Sindria.“ Da der Kapitän Balbadd erwähnte, fragte ich mich, ob denn die Schiffe schon wieder auslaufen durften. Wenn ja, war es einfach doof gelaufen. Wobei vielleicht auch nicht. Da Kassim nach mir suchen lassen hatte, war es wohl besser, nicht in Balbadd zu warten bis irgendwann mal ein Schiff fuhr. Meine Entscheidung, die vor allem durch die Mädchen im Freudenhaus ausgelöst worden war, war damit definitiv die richtige gewesen. „Was wolltest du in Sindria?“ „Will. Ich will einfach dahin weil... Hab gehört es soll schön sein um diese Jahreszeit.“ Die Frage, was ich wollte, war einfach suboptimal. Ich wusste ja nicht einmal selbst, was ich genau da wollte, außer lernen und leben und den Zeitpunkt abzufangen, an dem Sinbad mit Masrur und Ja'far nach Balbadd reiste. „Was hast du angestellt, Hexe?“ War es wirklich so deutlich, dass ich mehr oder minder auf der Flucht war? Ich seufzte. Wahrscheinlich. „Mich mit der Nebelbande angelegt, den falschen Mitbewohner gehabt, einen Prinzen im Kampf unterstützt. Alles mal so nebenbei, ungewollt versteht sich.“ „Genauso ungewollt wie du uns das Leben schwer gemacht hast, vor deiner Kapitulation?“ Die Frage war natürlich gut und berechtigt. Wobei, die Antwort war ja. „Ja.“ Erneut sah mich der Kapitän grimmig an. Mittlerweile ging ich davon aus, dass es einfach nur sein Gesicht war, dass von Natur aus so grimmig blickte und er es als neutralen Gesichtsausdruck gewertet hätte. „Was hast du in Balbadd vor deiner Abreise getan?“ „Ich war in Assads Freudenhaus als Geschichtenerzählerin und Küchengehilfin zuständig.“ „Du kannst kochen?“ „Davon können Sie ausgehen, ja.“ „Was für Fähigkeiten besitzt du noch?“ Das ganze Gespräch mutete immer mehr wie ein Bewerbungsgespräch an, was mir nur noch ein mulmiges Gefühl bereitete, weil diese Situation einfach so absurd wirkte. „Ich kann lesen und schreiben. Außerdem lerne ich sehr schnell. Kampftechnisch, bin ich... ungeeignet. Ich habe zwar diesen Schutzschild und beherrsche so ansatzweise zwei Zauber, aber in Sachen Selbstverteidigung und Kampf... bin ich die schlechteste Person die Sie finden könnten. Ich bevorzuge es, Menschen nicht zu verletzten oder zu töten.“ „Du hast drei meiner Männer getötet und vier verletzt. Spricht nicht gerade für das, was du sagst.“ „Tut mir leid. Das waren... Kollateralschäden.“ Mehr konnte ich dazu auch nicht sagen. Diese drei Morde wollte ich nicht begehen, ebenso wollte ich niemanden großen Schaden zufügen. Eigentlich waren diese Piraten sogar selbst Schuld, aber diesen Gedanken verkniff ich mir vor deren Kapitän besser. „Was hast du in deiner Heimat alles gemacht?“ „Ich war primär für die Verwaltung der kommunikativen Bedürfnisse meiner Mitmenschen verantwortlich.“ Ich war selbst von mir erstaunt, wie gut es das erklärte, was ich machte. Ich meine ich verwaltete zwar die Probleme der Kunden, aber gleichzeitig auch deren Bedürfnisse, selbst wenn es bei dieser Verwaltung hin und wieder nicht zur Lösung kam. Aber das musste ich ja nicht jedem auf die Nase binden. Außerdem war ich mir sicher, dass Saam eher weniger mit dem Begriff „Kundenbetreuer“ anfangen konnte. „Was auch immer...“, bekam ich als Antwort und war drüber fast schon entsetzt. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal jetzt verstanden was ich getan hatte. Aber schön, scheinbar hatte es auch nicht sonderlich viel Belang für ihn. Sicherlich hatte er sich etwas nützlicheres vorgestellt. Na wenn er gewusst hätte, wie nützlich so ein Kundenbetreuer im Kommunikationsbereich war. „Was sind deine Stärken und Schwächen?“ „Zu meinen Stärken zählt Kreativität, Planung und Organisation, Pünktlichkeit, Treue, Aufmerksamkeit, schauspielerisches Talent, Singen, Schreiben, Lesen, eine schnelle Auffassungsgabe, ein gutes Gedächtnis...“ „Und Schwächen?“ Saam hatte mich inmitten meiner Aufzählung unterbrochen. Scheinbar waren es zu viele Stärken, falls man zu viele davon haben konnte. „Ich bin unordentlich, schüchtern, depressiv, zu neugierig, gerate schnell in Schwierigkeiten, bin etwas zu verträumt, mische mich schnell in zu viele Dinge ein, die mich nichts angehen, bin zu vertrauensselig, nahe am Wasser gebaut...“ „Das reicht.“ Erneut hatte er mich unterbrochen. Das war unhöflich. Er hatte schließlich gefragt, da hätte er mich zumindest ausreden lassen können. Saam erhob sich von seinem Platz und ging um den Tisch herum. Ich behielt ihn im Auge, bereit die nächste Frage zu beantworten, was auch immer diese sein konnte. „Verstehe...“, murmelte er schließlich, als er in meiner unmittelbaren Nähe zum Stehen kam. Erst jetzt konnte ich seine wahre Größe sehen. Etwas das mir auch schon aufgefallen war, als ich ihm gegenüber gesessen hatte, aber Leute anzustarren war böse. Die Frage war nur, was er nun verstand. Ich erwartete zumindest darauf eine Antwort. Statt einer Antwort zog Saam allerdings einen Säbel und ließ ihn mir entgegen sausen. Es war ein reiner Reflex, dass ich aufsprang, der Stuhl dabei umkippte und ich mich bereit machte wegzulaufen, auch wenn es unter den Umständen, dass er ziemlich nahe war, zu spät gewesen wäre. Erst als die Klinge auf den Borg traf, wurde mir wieder bewusst, dass ich gar nicht fliehen musste. Saam hatte nicht einmal den Arm voll ausgestreckt, als mein Borg ihn daran gehindert hatte, mir das Licht auszuknipsen. Wie schon damals in Balbadd wurde der Angriff von meinem Borg abgefedert, abgewandt, doch Saam schien alles andere als überrascht. Was bei seinem Gesicht natürlich auch nur ein Mangel an Emotionen hätte sein können. Er versuchte es aber auch gar nicht erst, noch einmal anzugreifen, sondern steckte den Säbel wieder weg. „Das ist deine einzige Chance, schließe dich uns an.“ Ich fühlte mich, als drückte mir Saam mit diesen Worten eine Pistole auf die Brust. Genauso wie es Kassim getan hatte. Das Ende des Liedes kannten wir ja. Vielleicht, war dies hier eine Chance daraus zu lernen. Nur, was hatte ich aus meiner Entscheidung gelernt? Das Kouha Ren ein Freund geworden, ich aus Balbadd vertrieben und schließlich von Piraten gefangen genommen war, oder dass es mein Schicksal war, irgendeiner zwielichtigen Gesellschaft beizutreten? War das wirklich das, was das Schicksal von mir erwartete? Eine der Bösen zu sein? Naja, ich hatte schwarzes Rukh... Das hätte schon stark darauf schließen lassen können. Vielleicht hätte ich es einfach mal versuchen sollen, die Böse zu sein. „Nicht als kämpfende Piratin. Das ist nicht mein Stil, ich bin nicht für den Kampf geeignet. Allerdings, wenn Ihr mir einen Kompromiss bieten könnt, gerne.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)