Im Zeichen des Rukh von Erenya ================================================================================ Kapitel 13: Überfall -------------------- Die Schreie der Nando-Brüder hallten selbst noch in der Ferne wieder, doch unsere Blicke blieben auf den Wald vor uns gerichtet. Die Anspannung aller konnte man förmlich in der Luft greifen, denn jeden Augenblick konnte irgendeine Gefahr aus dem Wald vor uns preschen. Fest hielt ich den Dolch umklammert und spürte, wie sein rilliger Griff auf die Blasen drückte, welche ich durch das Führen der Pferde bekommen hatte. Doch gerade war dieses unangenehme Gefühle Nebensache. Der einzige Gedanke, der mich gerade beseelte, war die Angst, jetzt schon gezwungen zu sein, offensiv werden zu müssen. Umso bedrohlicher wirkten die hohen Zedernbäume, die dicht an dicht standen. Ihre Äste warfen Schatten die wie greifende Arme wirkten. Im sanften Wind wiegten sie sich, sodass die Schatten sich bewegten. Jeder bewegte Schatten schien aber ein potentieller Angreifer zu sein, so dass es unmöglich war auszumachen, ob es ein Feind oder eben nur ein schattenwerfender Ast war. Doch es kam nichts. Der befürchtete Angriff blieb aus und nur die Stille hielt Einzug und forderte unsere Geduld und unsere Vorsicht heraus. Die Anspannung wich aber nicht, denn niemand wollte diesem Frieden trauen, schon gar nicht Cassius und Varius, die ihre Waffen immer noch fest umklammert hielten. „Wir sollten umkehren!“, rief der Händler aus Balbadd, der plötzlich nicht mehr unweit von mir entfernt stand. Die offensichtlichen Schreie schienen ihm in Erinnerung gerufen zu haben, was ich ihm versprochen hatte. Klar war damit, dass er wirklich vorhatte mich als seinen Schutzschild zu missbrauchen, wenn es darauf ankam. Aber schön, sollte der Feigling doch. „Hier kehrt niemand um, solange Cassius nicht die Anweisung dafür gibt“, murrte Tiberius, der den Händler am Kragen packte und so daran hinderte, in die Richtung der Nando-Brüder zu fliehen. Empfehlenswert wäre das sowieso nicht gewesen, da diese Drei sicher nicht einfach mal so zum Kaffeekränzchen geladen hätten. Dennoch, selbst mir erschien es klüger, nun wegzulaufen, allerdings wovor sollten Räuber fliehen? Was lag vor uns, das so furchtbar war, aber scheinbar nicht das Interesse besaß, ihnen zu folgen? Und warum war es auf einmal so verdammt ruhig? Ich sah mich um und erkannte, wie angespannt alle weiterhin blieben. Kein Wunder, Varius und Cassius hatten ihre Kampfposition immer noch aufrechterhalten und schienen damit zu rechnen, dass jeden Augenblick etwas aus dem Gehölz kam. Sie verweilten eine ganze Ewigkeit so, bis ihre Körper sich schließlich entspannten und Cassius Waffe wieder unter seiner Toga in der Schwertscheide verschwand. „Junge, wir müssen umkehren und zurück zur Karawanserei. Dieser Weg ist eindeutig nicht sicher.“ Der balbaddische Händler hatte sich von Tiberius losgerissen und war auf Cassius zugegangen, ebenso wie der Händler aus Kou. Da sich alle anderen ebenfalls wieder entspannten, lockerte ich meinen Griff um den Dolch und steckte diesen wieder weg. Ich war erleichtert darüber, dass ich in diesem Augenblick nicht die Entschlossenheit aufbringen musste, doch noch offensiv zu werden. Die Entscheidung mein eigenes Leben und meine eigene Sicherheit über andere zu stellen, war damit aufgeschoben, glücklicherweise. „Tiberius!“ Cassius' Stimme hallte durch die Stille, als er nach dem Wächter rief, der sofort zu der Gruppe von Händlern ging und sich aktiv an dessen Gespräch beteiligte. Sein Blick war ernst und er nickte immer wieder auf Cassius' Worte, die ich allerdings nicht verstehen konnte, weil ich des Lippenlesens einfach nicht mächtig war. Dennoch blieb selbst mir nicht verborgen, dass unsere Situation sich keineswegs entspannt zu haben schien. Es lag immer noch eine gewisse Spannung in der Luft und die ernsten Blicke der miteinander redenden Männer machten das nicht besser. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, den Dolch schon wegzustecken. Erneut vergingen Sekunden, als wären sie Minuten gewesen und schließlich hatten die vier Männer sich auf etwas geeinigt. Mit einem Signal, machte Cassius uns klar, das wir uns alle um sie versammeln sollten. Ein mulmiges Gefühl lag mir in der Magengegend, als ich auf die Händler zuging und erwartungsvoll lauschte, was sie uns zu sagen hatten. „Wir brauchen einen Freiwilligen, der mit Tiberius den Weg als Vorhut geht.“ Ohne lange zu fackeln, kam Cassius direkt zum Thema und sah in die Runde. Freiwillig also. Wenn man es recht bedachte, war die Suche nach einem Freiwilligen das Beste. So musste der Rest sich nicht ausmalen, was für Gefahren vor ihnen lagen und welche sie überwinden mussten, wenn sie ebenfalls zur Vorhut abgeschoben wurden. Auch mir schwante nichts Gutes und obwohl es mir klar war, dass da vorne, im Wald, oder am anderen Ende, ein riesiges Monster auf uns warten konnte, hätte ich wohl todesmutig die Hand gehoben. Aber nicht jetzt. Ich hatte immerhin dieses eine Problem, welches mich daran hinderte, nützlich zu sein. Am Ende wäre ich Tiberius mehr ein Klotz am Bein, statt einer Hilfe gewesen, also hielt ich mich dieses Mal besser zurück. „Ich gehe mit Tiberius!“ In Chens Augen funkelte die Entschlossenheit eines Kriegers, als er hervortrat. Beneidenswert, denn er musste sich sicher keine Gedanken darüber machen, ob er mehr Last als Hilfe war. Er konnte ohne zu Zögern tun, was getan werden musste. „Also schön. Sollte euch auf dem Weg etwas seltsam vorkommen, kehrt umgehend zurück. Wir warten hier auf euch. Wenn alles in Ordnung ist, wird Tiberius uns das Signal geben.“ Mein Blick glitt zu dem Wächter, der sich mit dem Rücken zur Gruppe gewandt hatte und in die Tiefen des Waldes blickte, der mit einem falschen Schritt sein Grab werden konnte. Ob ihm das bewusst war? Ob er Angst verspürte? Wie ging es außerdem Chen bei der ganzen Sache? Wenn ich ehrlich war, machte ich mir Sorgen um die beiden und das, obwohl sie die besser ausgebildeten Kämpfer waren. Sie würden schon wissen, was es im Notfall zu tun gab, darauf waren sie doch schließlich trainiert, oder? „In Ordnung, Chen. Sehen wir nach, was uns auf der anderen Seite erwartet.“ Tiberius schien sowohl geistig als auch körperlich gewappnet zu sein, als er erneut sein Schwert zog. Ein letztes Mal, sahen die beiden zu Gruppe und lächelten, als wollten sie damit sagen, dass alles gut werden würde, doch niemand glaubte das, als sie gemeinsam den Wald betraten.   Ich hatte mich auf dem Boden neben meinen beiden Hengsten niedergelassen und starrte zu dem Wald, in dem vor wenigen Minuten Tiberius und Chen verschwunden waren. Auch wenn dies nicht viel Zeit war, so fühlten sich diese Minuten an, als wären bereits Stunden vergangen. Unerträglicher als das Warten war nur die Ungewissheit und diese Stille, die mit einem Mal unerträglich zu werden schien. Niemand von uns wusste, was am anderen Ende des Waldes auf uns wartete und wahrscheinlich fürchteten alle, dass Tiberius und Chen das noch am eigenen Leib erfahren mussten. 'Vielleicht hätte ich sie vor dem Slenderman warnen sollen.' Ich lächelte bitter, als mir dieser schwachsinnige Gedanke, dass Slenderman ausgerechnet in diesem Wäldchen wohnen sollte, in den Sinn kam. Warum sollte er, wenn er in meiner Welt die Wälder unsicher machte, wobei die Erfolgsquote ein Kind in einem Wald zu schnappen, in Magi wohl wesentlich größer war und ihm wie ein Einkaufszentrum vorkommen musste. Lächerlich. Einfach lächerlich, dass ich in so einer Situation an Slenderman denken konnte. Dennoch, der Gedanke an diese Creepypasta-Figur beruhigte mich und ließ diese Stille nicht mehr ganz so unerträglich erscheinen. „Hätten wir nicht alle zusammen gehen sollen?“, fragte Hinata leise in ihre Gesprächsrunde. Nahe meines Platzes, hatten sich Hinata, Panthea, Iunia und Tacita niedergelassen. Man sah den vier Frauen wirklich ihre Sorgen an und doch konnte keine von ihnen diese Sorge wirklich offen an die Männer bringen. Besonders Hinata schien Chens Abwesenheit alles andere als gut zu tun. Ihr standen die Sorgenfalten im wahrsten Sinne des Wortes ins Gesicht geschrieben und alleine dieser Ausdruck reichte, um mich zu verunsichern. War dies ein Zeichen dafür, dass sie seinen Kampffertigkeiten nicht vertraute? Hatte ich die beiden überschätzt? Hatte der Händler aus Kou sie vielleicht überschätzt? Ich erinnerte mich an die Situation in der Karawanserei zurück. Vielleicht hatte ich schon dort die ganze Situation fehlinterpretiert. Was, wenn an den von mir gehörten Gerüchten über die übernatürlichen Räuber doch etwas dran war? Waren mit den Räubern dann vielleicht nicht die Nando-Brüder gemeint? Wenn nicht, warum waren sie dann aber so krachend aus dem Wald gepoltert? Eine alte Gewohnheit ergriff wieder von mir Besitz. Ohne dass es mir selbst bewusst war, hatte ich den Daumen zu meinen Lippen gehoben und biss auf den Fingernagel. Er brach nicht, denn mein Biss war dafür zu zart, allerdings kaute ich auf diesen herum als wäre er der Kauknochen eines Hundes. Wenn Hinata Chen schon nicht vertraute, war das doch kein gutes Zeichen. „Mach dir keine Sorgen, Hinata. Chen ist wie du ein erfahrener Kämpfer. Noch dazu ist Tiberius bei ihm. Es gibt also keinen Grund zur Sorge.“ Mütterlich legte Tacita ihre Hand auf Hinatas Arm. Scheinbar vertraute immerhin die Römerin den beiden Männern. Ob mich das auch beruhigen konnte? Ich seufzte tief auf und sah zu Cassius, der mit verschränkten Armen an einen Wagen lehnte und in den Wald hinein sah. Äußerlich wirkte er ruhig, allerdings hatte ich bei Cassius, abgesehen von seinen cholerisch anmutenden Ausbrüchen noch nie viele Gefühlsregungen gesehen. Dieser grummelte Gesichtsausdruck schien in seinem Gesicht fest gemeißelt zu sein. Obwohl, er hätte Tiberius sicher nicht als Vorhut geschickt, wenn er sich Sorgen machen würde. Nachdem, was ich im Training mit dem Wächter gesehen hatte, auch wenn das nicht viel war dank meiner Unfähigkeit, ahnte ich, dass seine Muskeln nicht nur Show waren. Genau, ich musste mir keine Sorgen machen und dennoch... Varius und Cassius Verhalten, nachdem die Räuber geflohen waren, war trotz der Stille doch sehr bedenklich gewesen. Allein dieser Fakt ließ das miese Gefühl in meiner Magengegend nicht verschwinden.   Ich vermied es mit den Anderen zu reden, da ich sicherlich niemanden glaubwürdig beruhigen oder ermutigen konnte. Ich selbst machte mir zu große Sorgen, auch wenn diese nicht permanent meine Gedanken erfüllten. Damit blieb mir nur zu schweigen, doch die Stille war tödlich für meinen Kopf, denn ich spielte bereits jetzt alle möglichen Szenarien durch, die meine Kreativecke erdenken konnte. Ich musste vorbereitet sein, nur für den Fall der Fälle. Es war schließlich nicht abwegig, dass plötzlich etwas aus dem Gehölz kam und dieses Etwas nicht wie unsere Gefährten aussah. „Es ist alles deine Schuld!“ Ich hob meinen Kopf, als ich plötzlich Hinatas erzürnte Stimme neben mir erklang. Wie gewohnt hatte ich es geschafft meine Umwelt vollständig zu vergessen, oder viel mehr auszublenden. Wahrscheinlich wusste ich deswegen nicht was Hinata meinte. „Nur wegen die denkt Chen, dass er uns allen etwas beweisen müsste und hat sich freiwillig gemeldet. Wärst du nicht, hätte unser Herr eingelenkt und hätte weiterhin den nördlichen Weg in Betracht gezogen. Ich schwöre dir...“ Das war es also. Anhand der Informationen, die mir Hinata entgegenwarf, wusste ich nun, was wohl meine Schuld war. Noch bevor sie irgendetwas anderes aber sagen konnte, hob ich meine Hand und sah sie an. „Moment, ich habe euren Herren lediglich gefragt, ob er euch das zutraut, mit ein paar Räubern fertig zu werden. Augenscheinlich tut er das. Aber das hat noch lange nichts mit mir zu tun. Nur weil er es euch zutraut, hätte er nicht von seinem Plan abweichen müssen. Das er es getan hat, bedeutet doch lediglich, dass er diesen Weg trotz der bekannten Gefahr als sicherer sieht.“ „Red dich nicht raus! Mich kannst du mit deinen ach so logischen Worten nicht um den Finger wickeln. Chen ist zwar wie ich ausgebildet worden, aber er kämpft nicht gerne! Nur weil unser Herr uns sagte, dass du und er von unseren Fähigkeiten überzeugt sind, hat er sich freiwillig gemeldet. Sonst hätte er das niemals gemacht.“ Zweifelnd hob ich eine Augenbraue und sah zu Hinata, deren Wut gerade ein Ventil suchte. Oder viel mehr eine Fixierung, auf die sie sich richtigen konnte, und ich schien ausgerechnet das richtige Opfer zu sein. Immerhin zeigte mir diese Szene gerade, dass der Händler aus Kou mit seinen Dienern sprach und sie nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellte, soviel musste man ihm Zugute halten. „Warum hast DU dich nicht freiwillig gemeldet, wenn du so entschieden für diesen Weg warst? Oder glaubst du wirklich, wir retten dir den Hintern, wenn es Probleme gibt? Das kannst du vergessen!“ Hinatas Vorwürfe wurden schärfer und gerade jetzt kämpfte ich mit einem sich anbahnenden Wutausbruch. Ruhig bleiben. Sie machte sich Sorgen um Chen, da durfte sie aufbrausend sein. Sie durfte mir auch gerne die Schuld geben, denn ich hatte ja ebenfalls nachdrücklich gefordert diesen Weg zu gehen. Also ganz ruhig, es war ihr gutes Recht wütend zu sein. „Chen kam mir etwas zuvor mit dem Melden...“, antwortete ich daher ruhig und sah Hinata an. Ganz gelogen war es nicht, auch wenn ich wirklich froh gewesen war, dass Chen sich freiwillig gemeldet hatte. Hätte sich allerdings niemand gemeldet, hätte ich mich wohl „geopfert“. So wie in meiner Welt, wenn es niemanden gab, der eine unliebsame Aufgabe tun wollte. Es musste ja schließlich weitergehen. Doch Chen hatte mir die Entscheidung abgenommen, sodass ich nicht dieser grausigen Eigenschaft der Opferung verfallen war. „Und du erwartest wirklich, dass ich dir das glaube? Du bist doch froh, dass sich jemand statt deiner geopfert hat. Aber ich schwöre dir, wenn Chen etwas passiert, wird dich kein Varius vor mir beschützen können.“ Ich schluckte schwer, denn irgendwie glaubte ich Hinatas Drohung. Sie schien wirklich nicht zu spaßen und gleichzeitig fragte ich mich, was ich ihr getan hatte, dass sie so dermaßen wütend auf mich war. Solche Vorhaltungen machte man nicht einfach jemanden, der einfach nur nicht genug Rückgrat besaß; sich freiwillig zu melden. Da musste noch mehr in ihr brodeln. „Ehrlich, Hinata... Ich weiß nicht, wo dein Problem ist. Tiberius ist doch bei Chen. Damit ist er nicht alleine. Beide können einander unterstützen. Ich wäre Tiberius wohl keine große Hilfe gewesen.“ Ich versuchte ruhig zu bleiben, auch wenn Hinata es mir wirklich schwer machte, besonders als sie mich am Kragen packte und auf die Beine zwang. „Hör gut zu, Miststück...“, fing sie an und ihre Stimme nahm einen unheimlichen Klang an. Denselben Klang hatten meine Kundinnen, wenn sie sich bereit dafür machten mich verbal fertig zu machen. Hinata hingegen neigte wohl zum nonverbalen Fertigmachen. „... glaub bloß nicht, dass du dich einfach so zurücklehnen kannst, während andere deine Verantwortung übernehmen. Du bevorzugst es doch, für dich alleine zu sein, dann lass also nicht andere deine Arbeit machen. Wir beide wissen genau, dass diese Vorhut deine Aufgabe gewesen wäre, und wenn du es noch nicht weißt, dann mache ich dir das mit Vergnügen klar. Besonders dann, wenn Chen etwas passieren sollte.“ Es kostete sie ebenfalls alles an Beherrschung, mir jetzt nicht sofort eine zu verpassen. Ihr wäre es wohl auch egal gewesen, wenn alle anderen um uns herum das gesehen hätten. Die Aufmerksamkeit von den anderen hatten wir ja eindeutig. „Hinata, beherrsch dich!“, herrschte sie der Händler von Kou an, der so schnell er konnte auf uns zukam und Hinatas Arm ergriff und fest zudrückte. Sie schien diese Geste zu verstehen und ließ von mir ab, widmete mir aber noch einen erbosten Blick. „Ich warne dich...“, flüsterte sie, bevor sie sich wieder von mir abwandte und sich aus dem Griff ihres Herren befreite und sich von uns entfernte.   Ich muss gestehen, dass Hinatas Warnung wirklich tief in mir saß. Sie hatte Recht. Wenn es drauf ankam, konnte ich mich nicht auf die Anderen verlassen. Schon gar nicht auf Hinata. Dennoch, ihre Warnung entlockte mir auch ein leises Lachen. Seltsam, wie ähnlich diese Situation derer mit Suleika war. Sie und ich hatten uns zu Beginn auch nicht verstanden und ich wusste immer noch nicht wieso. Wir waren aber Freunde geworden. Freunde, die nun einiges an Kilometer trennten, nur damit beide Parteien sicher waren. Ich biss mir auf die Unterlippe, denn erneut musste ich mit den Tränen kämpfen. Ich vermisste sie, die Mädchen aus dem Freudenhaus. Ich vermisste Assad, Ameen und irgendwie auch Sadiq. Selbst wenn Letzterer mich oft genug belogen hatte. Sie waren normal, nichts Besonderes, so wie ich. Abgesehen von Sadiq schien nicht einmal Assad zu wissen, wie man kämpfte. Er war zwar stark, aber beherrschte nicht mehr als den Prügel-Knigge von den Klischeepubs, wie ich sie aus meiner Welt kannte. Im Vergleich zu dem hier, war es bei ihnen nicht deprimierend, niemanden töten oder verletzen zu können, auch wenn das Leben in Balbadd nicht zu den ungefährlichsten gehörte. Dort erwartete aber niemand, dass ich auf einmal zur Amazone mutierte und mit Kriegsgeschrei auf den Feind zu stürmte und ihm eigenhändig das Herz aus der Brust riss. … … Okay, ich gebe zu, das war übertrieben, aber es fühlte sich allmählich so an. Abgesehen von meinem Borg, konnte ich doch nichts tun. Lebender Schutzschild, dass war alles. Und mit etwas Glück hatte ich die Lektionen von Tiberius und Varius noch nicht vollständig vergessen und konnte immerhin mit meinem Dolch blocken. Grandios, sicher etwas, das man in einem blutigen Gemetzel brauchte. Am Ende wäre ich doch wieder auf die anderen angewiesen, sogar auf Hinata. Wahrscheinlich hatte sie mich dahingehend durchschaut. „Geht es wieder, Hinata?“, fragte Iunia besorgt, als Hinata sich wieder zu den Frauen begab. Seltsam. Ich fühlte mich so ausgeschlossen. Wobei, hatte ich jemals zu dem Grüppchen Frauen gehört? Wir waren nie zusammen baden gegangen und außer den dürftigen Sachen, hatte ich nie mit ihnen gesprochen. Ich war so gesehen ausgeschlossen. Aber nur, weil Kommunikation so live und in Farbe nicht gerade zu meinen Stärken gehörte. „Sie sind schon so lange weg. Wie soll ich da ruhig bleiben? Was wenn sie diesem... Diesem... Was auch immer da ist, in die Arme gelaufen sind? Wie stellt Cassius sich das vor? Schickt er dann die nächsten Opfer rein um nach Tiberius oder Chen zu suchen? Oder lässt er sie dort eiskalt verrecken?“ Hinatas Gemüt hatte sich augenscheinlich immer noch nicht beruhigt. Ebensowenig hatte sie aufgehört, sich um Chen zu sorgen. Eben doch wie ein altes Ehepaar. Sicherlich machte sich auch Chen Sorgen, wenn er noch lebte... Nein nein, das war ganz falsch. Er lebte noch. Er musste noch leben. Es gab kein „Wenn er noch lebte.“ Zumindest versuchte ich mir das einzureden. Sie lebten, beide. Beide waren erfahrene Kämpfer. Nichts würde sie also so einfach aus dem Leben reißen. Ich legte meine Hand aufs Herz und versuchte mich zu beruhigen. „Keine Sorge. Ihnen wird nichts passieren. Und Cassius wird uns auch nicht unnötig in Gefahr bringen.“ Es war Iunia die sich nun für Cassius einsetzte, doch Hinata schien vollkommen resistent für jede Erklärung zu sein. Trotzig wie ein Kind verschränkte sie die Arme und suchte scheinbar den nächsten Schuldigen dafür, dass ihr Chen sich freiwillig gemeldet hatte. „Dann hätte er selbst gehen sollen!“ „Oh, du hättest dich lieber von dem Fettsack aus Balbadd weiter führen lassen?“, fragte Panthea, der Hinatas Laune scheinbar auch gegen den Strich ging. „Nein. Unser Herr hätte uns auch weiterführen können.“ Es war nur logisch, dass Hinata ihren Herren als ersten im Kopf hatte, wenn es darum ging, einen neuen Reiseführer festzulegen. Allerdings zweifelte ich, dass ihr Herr genug Durchsetzungsvermögen hatte. Er war zwar nett, aber wirkte nicht so, als wäre er ein geeigneter Reiseführer. Ebensowenig schien mir der balbaddische Händler einer zu sein. Cassius war damit schon die beste Wahl die wir hatten. Dennoch, die Frauen schwiegen, auch wenn sie wohl dasselbe wie ich dachten. „Kommt schon. Ohne Cassius wärt ihr doch auch viel besser dran. Keiner könnte euch mehr aufhalten, wenn ihr dahin reist wohin ihr wollt. Wäre das nicht toll?“ Betretenes Schweigen machte sich auf Hinatas Worte breit. Was meinte sie damit, dass keiner sie aufhalten könnte? Das sie dahin reisen könnten, wohin sie wollten? Konnten sie das jetzt nicht auch? Wobei, sie reisten ja schon genug. Sicher sahen sie viele Orte, die sie gerne mal gesehen hätten. Mit Cassius konnten sie diesen Wunsch wahr machen. „Ich mag nicht dran denken, was wir ohne unseren jungen Meister machen würden. Genauso wie du dir nicht vorstellen magst, was du ohne Chen machen würdest.“ Das Gespräch wurde allmählich seltsam. Seit wann stellte man Diener und Pärchen auf eine Stufe? Das war wirklich ungewöhnlich. Oder wollte Iunia damit andeuten, dass sie bei Cassius war, weil sie tiefere Gefühle für ihn hatte? Schon bei dem Gedanken errötete ich und gab mein Bestes dabei, diesem Gespräch nicht länger zu folgen. Deswegen waren Frauengespräche nichts für mich. Sobald es romantisch wurde oder etwas emotionaler im positiven Sinne, hatte ich nichts mehr zu melden. Es war also besser, dass ich nicht bei dieser Gruppe saß und für mich alleine darauf wartete, dass Tiberius Zeichen ertönte. Wie weit würden die beiden gehen müssen? Könnten wir das Zeichen überhaupt noch hören? Nein, bloß nicht daran denken. Es würde alles gut werden. Es wurde immer alles gut. Alles würde gut werden.   „Pst, Weib...“ Da die Warterei doch etwas länger dauerte, hatte ich mich etwas von der Gruppe entfernt um auszutreten. Natürlich war ich nicht zu weit weggegangen, sondern weit genug, dass ich im Notfall noch schreien konnte. Doch alles war beim Austreten gut gegangen, sodass ich mich schnell wieder auf dem Weg zurück zum Lager machen konnte. Mit dem balbaddischen Händler der mich angesprochen hatte, hatte ich dabei aber nicht gerechnet. „Oh...“, antwortete ich und blieb stehen. Der Händler sah mich an, hielt aber einen gewissen Abstand gewahrt. Wahrscheinlich fürchtete er, dass ich ihm sonst an die Gurgel ging, wenn er mir zu nahe kam. Diese kleine Auseinandersetzung mit Hinata hatte er immerhin auch mitbekommen. „Ich wollte dich nur an dein Versprechen erinnern. Selbst wenn dieser reimische Wächter und der Diener aus Kou nicht mehr aus dem Wald kommen, werden wir unsere Reise fortsetzen. Cassius hat das bereits entschieden. Egal was uns dann erwartet, du wirst mein Schutzschild sein und meine Waren und mich beschützen, verstanden?“ Die Art wie er sprach, gefiel mir gar nicht. Sein Schutzschild. Das zeigte mir nur zu deutlich, wie viel Wert mein Leben für ihn hatte. Es war gerade mal wertvoll genug um seine Waren und ihn zu beschützen. Wahrscheinlich würde er auch noch auf mich eintreten, während ich mit dem Tod kämpfte. Ein Glück blieb dieses Szenario noch in der Zukunft und vielleicht blieb ich davon auch verschont. Ich musste höchstens bis Aza mit diesem Mann aushalten und seinen „Schutzschild“ mimen. Danach konnte er sehen, wie er zurecht kam. „Ich habe Ihnen das versprochen, also werde ich auch dazu stehen. Sie müssen mich nicht ständig daran erinnern“, murmelte ich und holte gut sichtbar tief Luft um mich zu beruhigen. Schon jetzt war mein Puls wieder auf 180. Scheinbar hatte heute jeder vor mich zum explodieren zu bringen. „Ich war mir nicht sicher, nachdem du mit der Kou-Göre gesprochen hast. Du musst übrigens nicht kämpfen können. Setz deinen Körper ein, dann warst du wenigstens zu etwas gut.“ Dieser Mann wusste, wirklich, wie man das Blut von jemanden in Wallung brachte. Meines kochte und irgendwo in meinem Kopf hörte ich die Stimme meiner Aggression. 'Mach ihn kalt... Zieh den Dolch und erlöse diese Welt heldenhaft von diesem Schandfleck!' 'Lass das. Gewalt ist keine Lösung. Noch dazu wolltest du kein Blut an deinen Händen kleben haben.' 'Oh bitte. Wir können ja an diesem Mastschwein üben. Das ist sicher lustig.' 'Wenn er wichtig für die Handlung sein sollte, hat SIE ein Problem. Sie sollte also nicht einfach mal nach belieben Menschen abstechen.' „Würdet ihr bitte die Klappe halten.“ Auch wenn meine Worte laut ausgesprochen waren, galten sie doch nicht dem Händler aus Balbadd, auch wenn er diese wohl ebenso gut verdient hatte. Diese ganzen Stimmen im Kopf waren echt eine Qual. „Du Kleine...“, knurrte der Händler, der sich verständlicherweise angesprochen fühlte, während ich mir die Schläfen massierte. Die Stimmen hatten sich immerhin wieder in das hinterste Stübchen meiner Fantasie zurückgezogen und nun blieb mir nur noch dieser Mann als einziger Ursprung für meine Kopfschmerzen. „Wie gesagt, ich werde zu dem Versprechen stehen. Danke dennoch, dass Sie mich noch einmal daran erinnert haben.“ Ohne ihm weitere Beachtung zu schenken, ging ich die letzten Meter zur Karawane zurück. Ich hatte die Wut erneut runterschlucken können. Die Frage war nur, wie lange ich das noch konnte, bevor ich bei der falschen Person explodierte oder das Falsche sagte. Personen, die es einfach nicht verdient hatten, sollten nicht zu meinen Opfern werden.   Das Warten setzte sich fort und schien kein Ende nehmen zu wollen. Doch die einzigen, die wirklich ruhig blieben, waren Varius und Cassius. Entweder hatten sie ein großes Urvertrauen in Tiberius, oder sie zeigten einfach nicht, dass es ihnen selbst quer im Magen lag. Mich störte diese Warterei allmählich und die Sorgen wurden erneut größer. Der Einzige, mit dem ich darüber reden konnte, war aber Varius. Ihm vertraute ich hier am meisten. Er hatte meine Verletzung gerochen, war ehrlich zu mir und hatte sogar bemerkt, als mir viele Dinge den Kopf gegangen waren. Als wäre ich seine kleine Schwester oder so. Ja. Irgendwie konnte ich mich nicht verwehren, ihn als den großen Bruder zu sehen, den ich mir schon immer gewünscht hatte. Warum sollte ich also nicht jetzt, da ich wieder von Sorgen geplagt wurde, zu ihm gehen und mit ihm reden? 'Er findet dich sicher nervig... Ständig jammerst du herum und so weiter. Das hält keiner wirklich lange im Kopf aus. Wenn du einmal für dich bleibst, kannst du endlich mal zeigen, dass du auch ohne Hilfe eine Situation durchstehen kannst.' In meinem Kopf ging es wirklich zu voll her. Meist konnte ich diese Stimmen erfolgreich ignorieren, doch seit ich hier war, oder viel mehr, seit ich auf Reisen war, übernahmen sie Stück für Stück den Part von wirklich echten Gesprächspartnern. Es war zum Mäuse melken und insgeheim fragte ich mich, ob ich in meiner Welt auch so shizophren gewesen war. Mit Sicherheit, denn ich hatte jeder dieser Stimmen einen Namen gegeben. Kein Wunder also, dass sie wie echte Persönlichkeiten wirkten, auch wenn ich mir im Klaren war, dass jede von ihnen Ich war. Teile meiner Persönlichkeit, die ich unterdrückte, Teile meiner Vernunft, mein Verstand, oder einfach nur Eigenschaften, die ich gerne hätte, mich aber nicht traute auszudrücken und sie so zu Charakteren aus meinen Geschichten machte, um sie irgendwie ausleben zu können. Von blutrünstig und vulgär bis hin zu unschuldig und mutig war alles dabei. Sollte man nun glauben, dass ich eine komplizierte Persönlichkeit war, so irrte man sich. In jedem von uns stecken mehrere Persönlichkeiten. Seiten, die wir nicht gerne offenbaren, alte Egos oder einfach nur eine Maske, die wir vor diversen Menschen trugen um einfacher durchs Leben zu kommen. So zumindest die Theorie aus Persona, die mir ehrlich gesagt mehr als nur gefiel, mich aber gleichzeitig hin und wieder in die Identitätskrise warf. Doch das durfte mir jetzt in Magi nicht passieren, weswegen ich diese Stimmen unbedingt zum Schweigen bringen musste. Bei Varius hatte das bisher immer ganz gut geklappt, weswegen ich gezielt zu dem Wächter ging, der auf dem Boden saß und seine Augen geschlossen hatte. Schlief er? Wie konnte er in so einem Moment ans Schlafen denken? Unglaublich. Das war so typisch Mann. Selbst in meiner Heimat konnten Männer in den seltsamsten Situationen schlafen. Wieder eine bekannte Sache, die es auch in meiner Welt gab. Nachdenklich sah ich Varius an. Er bewegte sich keinen Zentimeter. Sein Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Ja, er schlief wohl wirklich. „Ich kann noch keine Gedanken lesen. Wenn du mit mir reden willst, musst du Worte dafür benutzen, Erenya.“ Ein Lächeln zeichnete sich auf Varius' Gesicht ab, als er ein Auge öffnete und mich ansah. Er hatte mich also veralbert. Na super. Dieser Tag ging definitiv nicht als einer der Besten meiner Zeit im Magi-Fandom ein. Sollte ich jemals dazu kommen, meine Abenteuer hier niederzuschreiben, wäre dieser Tag ganz dezent raus gesegelt. Niemand hätte dann davon erfahren. „Ich dachte du schläfst...“, murrte ich beleidigt und entlockte mit meinem schmollenden Unterton dem Wächter ein Lachen. Es war wirklich unglaublich, dass er nun auch noch über mich lachte, auch wenn er das nicht böse meinte. „Ich hoffe für dich, dass du mich jetzt anlachst...“, knurrte ich und verschränkte die Arme. „Du bist ganz schön gereizt. Du machst dir Sorgen um Tiberius und Chen, oder? Keine Sorge. Es wird alles gut.“ „Es wird alles gut“, das war nun nicht der Satz den ich hören wollte. Denn er beruhigte mich in keinster Weise. Varius sollte das eigentlich wissen. Aber gut, er hatte ja zugegeben, dass er in Sachen Gefühle nicht der richtige Gesprächspartner war und dennoch hatte ich ihn aufgesucht. Nicht Iunia oder Tacita, sondern ihn. Wohl wissend, dass er mir nicht helfen konnte. Vielleicht wollte ich das auch nicht. Also, dass er mir half. Ich wollte wohl einfach eine freundliche Stimme hören, die mir nicht gleich Vorhaltungen machte. „Irgendwie sind doch alle gereizt. Abgesehen von dir und Cassius. Schon das alleine ist unheimlich. Also, dass ihr beide euch scheinbar keine Sorge macht. Außer ihr seid gute Schauspieler.“ Letzteres glaubte ich nicht. Die Wahrscheinlichkeit war nicht gerade groß, dass beide ein schauspielerisches Talent hatten. Cassius traute ich das ja noch zu, so wie er die Reisegruppe aus Kou behandelt hatte. „Wir machen uns schon Sorgen, allerdings ist der Zeitpunkt, an dem Cassius die Vorhut schickte gut abgepasst gewesen. Viel müssen die beiden also nicht fürchten.“ Ich setzte mich neben Varius und verzog etwas Gesicht. Erneut machte er wieder Andeutungen, die ich so gar nicht verstand. Wie sollte Cassius diesen Zeitpunkt bitte abgepasst haben? „Da fällt mir ein, ihr wart vorhin trotz der Stille sehr angespannt. Meinst du nicht, dass ihr etwas übervorsichtig wart?“ Ich sah Varius an, der kurz zu mir sah, schließlich aber grinste. Er packte mich, unter seinen linken Arm, als sei ich ein Vogelküken und zog mich an sich heran. „Spätzünder, huh? Das du das immer noch nicht verstanden hast, ist eigentlich traurig.“ Sanft strubbelte mir Varius durchs Haar. Ich spürte die harten Knöchel seiner Faust, doch es schmerzte nicht. Er war wirklich bemüht, mich nicht mit seiner groben, männlichen Art zu überraschen oder gar zu verschrecken. „Wen nennst du hier bitte einen Spätzünder? Ich kann doch nichts dafür, wenn du keinen Klartext sprichst“, wehrte ich mich und versuchte mich aus Varius' Griff zu entziehen. Diese Aktion ging in eine kleine Rangelei über, in der ich versuchte Varius in die Seite zu boxen, allerdings merkte ich schnell, dass dies unmöglich war, da mich seine goldene Rüstung daran hinderte. Stattdessen spürte ich einen scharfen Schmerz durch meine Knöchel ziehen. „Moah, Varius hör auf!“ Ich nutzte das letzte Mittel, welches ich zur Verfügung hatte, um Varius doch noch von mir zu lösen. Ich zwickte ihn ohne Rücksicht auf Verluste in die Wade. Sofort ließ Varius von mir ab, sah mich geschockt an und rieb sich die Stelle, als hätte ich ihm damit besonders schlimm wehgetan. „Das war für das Versauen meiner Frisur, Kumpel.“ Einen Moment sah mich Varius noch schweigend an, bevor er selbst in lauten Gelächter ausbrach und sich auf die Schenkel klopfte. „In dir steckt also doch ein Rüpel“, lachte er und klopfte mir auf den Rücken, wobei ich etwas nach vorne kippte, auch wenn Varius nicht viel Kraft in den Schlag setzte. Dennoch, etwas in diesem sanften Klaps, erfüllte mich mit Verwunderung. Tiberius hatte sich auch schon einmal aufgeregt, dass Varius mit ganzer Kraft zugeschlagen hätte, obwohl dem wohl nicht so gewesen war. So hatte es Varius zumindest gesagt. Damals hatte ich nicht geglaubt, dass er noch mehr Kraft hatte, doch irgendetwas an diesem Klaps, schien mir zu sagen, das Varius seine Kraft wohl nicht ganz unter Kontrolle hatte oder zumindest nicht wusste, wie man einen sanften Klaps gab. „Und in dir scheinbar ein echter Schläger...“, murrte ich, sah dabei aber Varius an, dessen Lachen nicht verstummte. Scheinbar hatte ich wirklich etwas sehr witziges gesagt, aber schön, immerhin einer hatte seinen Spaß. Und während Varius lachte, hatte ich eben die Gelegenheit meine Sorgen doch etwas zu verdrängen. Zumindest so lange, bis Varius Gelächter abrupt verstarb und der Wächter ernst wurde und in die Stille lauschte. Er schien sich über irgendetwas sicher werden zu wollen, den er schloss wieder die Augen. Just als ich das bemerkte, öffnete er sie wieder und erhob sich. Er griff zu seinem Dreizack und sah zu Cassius, der ebenfalls seinen Blick suchte und nur nickte, so als wusste er, was Varius sagen würde. Wirklich, die beiden mussten Freunde sein, anders konnte ich mir die stumme Kommunikation nicht erklären. „Erenya, geh zu deinen Wagen, wir brechen auf.“   So wie es mir Varius gesagt hatte, gab Cassius den Befehl zur Weiterfahrt. Die Atmosphäre der Gruppe war immer noch angespannt. Niemand wusste, warum wir nun weitergingen, außer Varius, der erneut die Nachhut bildete, während Cassius vorneweg den Weg entlang ging. Scheinbar hatte er nicht vor, von der Reiseroute abzuweichen, nicht einmal jetzt. Ob es Tiberius und Chen gut ging? Wohin würde uns dieser Weg führen? Was würde uns erwarten? Ich wusste nichts von alledem, machte mich geistig aber auf das Schlimmste gefasst. Eine Horde von Räubern die am Ende des Waldes auf uns wartete, vielleicht ein paar magische Objekte, aus denen Feuerbälle, Wasser und was weiß ich nicht noch alles schießen konnte. Vielleicht auch ein schwarzer Dschinn... wobei nein, der war etwas over the top. Warum sollte ein schwarzer Dschinn unter Räubern sein? Einfach lächerlich. Gut. Immerhin mit diesem Schlimmsten musste ich nicht rechnen. Dennoch, was konnte schlimm genug sein um auf Räuber zu passen? Abgesehen von Mord und Totschlag, fiel mir nicht viel ein, aber das was mir einfiel, reichte ja schon. Anders als gewohnt machten es mir auch meine Hengste dieses Mal nicht leicht. Sie wehrten sich und es kostete nicht nur körperlicher Überzeugung, sondern auch meine Überredungskunst, die beiden zu ziehen. Vielleicht war der Weg vor uns doch nicht ganz so sicher und die beiden Hengste spürten das. Tiere waren immerhin empfindlicher, feinfühliger, auch wenn es sich hier um zwei Männer handelte. Verunsichert durch die Beiden sah ich mich um. Hinter jedem Baum konnte ein potentieller Räuber oder Slenderman lauern. Vor letzteren hätte ich wahrscheinlich nicht ganz soviel Angst, da er nur imaginär war, als vor den Räubern, die gerade grausam real sein konnten. „Passt auf, wo ihr hintretet...“, rief Cassius uns zu. Kein Wunder, denn diverse Äste hingen von den Bäumen, abgebrochen, so als wäre wirklich eine Urmacht hier durch gestürmt. Vielleicht waren die Nando-Brüder auch nur sehr eilig aufgebrochen. Oder ein Sturm hatte gewütet... Nein. Ein Sturm definitiv nicht. Die letzten Tage waren so herrlich gewesen, dass meine Haut sich nach einem Regenguss sehnte. Das hier war also definitiv nicht normal, zumindest nicht aus meiner Sicht. Ich seufzte und sah zu den Hengsten, die erneut mit dem Kopf in die andere Richtung zogen. Sie wollten nicht dahin, wo wir hingingen und wahrscheinlich wollte ich das auch nicht. Aber wir drei hatten unter Cassius Führung keine andere Wahl. „Keine Sorge, alles wird gut. Ihr wart teuer, sicher würde Cassius euch dann nicht dahin führen, wo ihr abgeschlachtet werdet. Am wenigsten habt also ihr zu befürchten.“ Ich gab mir Mühe, die Pferde anzulächeln und scheinbar wirkte es. Zumindest beruhigten sie sich und machten mir das Führen leichter. Oder aber, sie wussten bereits, dass dort wo wir ankommen würden, der Tod uns nicht entgegen lächeln würde.   Der Zederwald endete so plötzlich, dass ich als Autorin fast beleidigt darüber war, dass es keinerlei Action in diesem Wald gegeben hatte. Selbst Slenderman war nicht aufgetaucht. Nicht, das ich wirklich ein Gemetzel erwartete, aber dieser düstere Wald war doch ideal dafür, um Leichen zu beseitigen, oder eine Gruppe Reisender zu überfallen und ihnen alle ihre Habe zu berauben. Der Gedanke über diese Enttäuschung, wurde allerdings im wahrsten Sinne des Wortes weggewischt, als ich sah, was vor mir lag und förmlich erstarrte. Vor uns lag ein weiter Strand. Der Sand war weiß und an den Stellen, an denen das Wasser sich hoch spülte, etwas dunkler und schwerer. Die Möwen sangen ihre Litanein davon, dass sie zu ihrem Lebensende auf das Meer flogen um dort, getrennt von Familie und Freunden einsam zu sterben und zum Teil des Kreislaufs des Lebens zu werden. Ein Weg schlängelte sich am Strand entlang, einer der nicht natürlichen Ursprunges war, sondern von den vielen Wägen und Füßen geebnet wurde, die ihn bereits beschritten hatten. Dieser Weg, entlang am Strand, unter den Liedern der Möwen, umspielt von einer sanften Brise, die einen Wanderer das Salz in die Haare flocht, hatte etwas romantisches. Nicht aber heute... Rotbraune Flecken legten sich über den grünen Streifen der zwischen dem Sand und dem Weg lag. Der weiße Sand selbst, war von roten Spritzern befleckt, ebenso wie seine Ebenheit durch Fußabdrücke zerstört worden war. Ein Karren lag umgekippt im Gras nahe von uns, das Rad drehte sich, als wäre der Karren noch nicht lange in dieser Lage. Der Geruch von verbrannten Holz lag in der Luft und vermischte sich mit dem eisenhaltigen Duft der rotbraunen Flecke, die zwar nicht mehr frisch waren, aber in einigen kleinen Pfützen doch noch Zeuge davon waren, dass hier etwas passiert war, dass erst wenige Stunden zurücklag. Langsam löste sich die Karawane vom Waldrand und lief näher zu dem Ort des Geschehens. Überall rot, soviel rot. Fliegen setzten sich ins Gras nieder und mir gefror das Blut in den Adern, als ich in ungebremster Neugier dahin sah, wo sie sich niederließen. Da lag ein Arm, inmitten des hohen Grases verborgen. Die Hand hielt noch ein Schwert fest umklammert. Dieser Arm war definitiv nicht sauber abgetrennt worden, denn einige Hautfetzen hingen schlaff darüber als sei er achtlos abgerissen worden und der Rest von diesem Arm lag sicher irgendwo zwischen den anderen Körpern, die sich Schritt für Schritt offenbarten. Mein Griff um die Lederriemen wurde fester. Auch wenn ich bereits in Balbadd zerstückelte Leichen gesehen hatte, so versetzte mir das hier doch einen wesentlich größeren Schrecken. Ich wandte meinen Blick vom hohen Gras ab, um so nicht mehr zu den Menschen zu sehen, die hier ihr Leben gelassen hatten, doch auf der anderen Seite, nahm das Grauen kein Ende. Bruchstücke von Holz zierten den Weg, zerbrochenes Glas oder blutige Stoffe lagen überall verstreut. Teile von Karren und Wagen lagen überall, als hätte ein Tornado sie erfasst und einfach so willkürlich in die Gegend gespuckt. Blut. Blut klebte an einigen Holzstücken und je näher wir dem Ganzen kamen, um so stärker wurden Gerüche von Körperflüssigkeiten und verbrannten Holz, welche selbst die freie Natur nicht so schnell beseitigen konnte. „Chen!“ Vor mir hörte ich den Ruf von Hinata, die sofort in dem Schlachtfeld ihren Freund ausmachte. Sie vergaß für diesen Moment ihre Verantwortung und Aufgabe und lief auf den jungen Mann aus Kou zu, der wie paralysiert inmitten der Zeugen des Überfalles stand und mit leidgeplagten Blick zu ihr aufsah. Neben ihm stand Tiberius, kreidebleich. Wahrscheinlich war es zwar nicht das erste Mal, dass er so etwas gesehen hatte und dennoch schockierte ihn dieser Anblick. „Habt ihr irgendjemanden gesehen?“ Der einzige, der sich von diesem Anblick nicht beeindrucken ließ, war Cassius, der mit einer Handbewegung die Karawane zum Stillstand zwang und auf den Wächter zuging, der seine Frage nur mit einem Kopfschütteln beantwortete. Ich hielt in meiner Bewegung inne, die Hengste kamen zum Stillstand und ich löste mich von ihren Liederriemen, um näher zu dem Geschehen zu gehen. Es war wortwörtlich wie ein Autounfall. So schrecklich man auch das, was man sah, fand, man konnte einfach nicht wegsehen und musste sich den Schrecken vor Augen führen, der durch Menschenhand hier verbreitet wurde. Vollkommen geistesabwesend, ging ich zum hohen Gras. Mein Herz schlug schwer gegen meine Brust, während mein Magen wegen der Gerüche rebellierte. Erst jetzt nahm ich wahr, dass die Körper, die hier lagen, so etwas wie eine Panzerung getragen hatten. Es waren auch nicht alle von ihnen zerstückelt, die meisten lagen im Ganzen dort. Einige mit weit aufgerissenen, leblosen Augen, Andere mit durchgeschnittenen Kehlen, aus denen noch die Reste ihres Blutes tropften. Im feuchten, braunen Boden sah man nichts von dem Blut, welches eingedrungen war, nur an den Halmen, die sich verdunkelt hatten und nicht mehr saftig grün leuchteten, konnte man erkennen, wohin es gesickert war. „Schaut nach, ob noch jemand lebt!“, wies Cassius plötzlich lauthals an. Ob noch jemand lebte? Mir liefen Tränen über die Wangen. Nein... Hier lebte niemand mehr, abgesehen von der Karawane, die soeben hier eingetroffen war. Um sie alle flogen Rukh, nicht aber diese Körper, die nur noch eine blasse Erinnerung an ihrer Selbst waren. Hatten sie vielleicht Familie? Mussten sie leiden bevor sie starben? Was waren ihre letzten Gedanken gewesen? Ich spürte wie mich diese Gedanken gen Erde zogen. Ich musste mich setzen, erst einmal verarbeiten, was ich hier sah. Menschen... tote, echte Menschen... Genau das, hätten wir sein können. Genau das, konnten wir noch werden, wenn die Angreifer immer noch in unmittelbarer Nähe waren. Ich tastete mit der Hand vorsichtig, fast schon zurückhaltend über den Boden, um mich nicht auf ein Körperteil zu setzen. Doch ich zuckte zurück, als etwas meine Fingerkuppe berührte. Erschrocken blickte ich in die Richtung und sah in die Augen eines Pferdekopfes. Aus Reflex schlug ich mir die Hände vor dem Mund, und wich zurück, wodurch ich deutlich den braunen Pferdekörper sah, über den sich unzählige Schnitte zogen. Ich erkannte sogar einen abgebrochenen Pfeil in seiner Hüfte stecken. Wahrscheinlich hatte man auf den Reiter gezielt, denn das Pferd war, anders als meine beiden Hengste, gesattelt. Jemand musste also darauf gesessen haben. Weiter und weiter wich ich von dem toten Tier zurück, bis ich über etwas stolperte und rücklings ins Gras fiel. Mein Hintern bremste den Sturz ab, ein kleiner Schrei entwich mir, doch das alles war nichts im Vergleich zu dem, was ich gesehen hatte und noch sah. Vorsichtig zog ich die Beine zurück und rappelte mich auf. Ein Blick nach unten verriet mir, was mich zum stolpern gebracht hatte. Ein Junge, mit violettfarbenen Haar, welches ihm ins Gesicht hing. An seinem Körper trug er blutige Lumpen, seine Arme waren nackt und aus ihnen sickerte Blut bis tief ins Erdreich. Mein Herz schlug schneller. Er hatte keine Rukh... Dieser Junge... hier zwischen all den Männern... „Ist alles in Ordnung?“ Iunia hatte wohl meinen Schrei bemerkt und war zu mir gekommen. Sie sah, worauf mein Blick gerichtet war und sofort weiteten sich ihre Augen. „Dieser....“ Sie stockte. Statt wie ich einfach nur hinzustarren, ging sie auf die Knie und tastet den Körper des Jungen ab, sie beugte ihren Kopf über seinen, lauschte, versuchte jegliche Regung die auf Leben hindeutete, sollte sie auch noch so schwach sein, zu erkennen. Doch schließlich schüttelte sie den Kopf. „Armer Sklavenjunge...“, flüsterte sie und strich ihm sanft über den Kopf. „Sklavenjunge?“, fragte ich immer noch wie paralysiert nach. Iunia nickte und verwies mit der Hand zu seinen Füßen, an denen Fesseln befestigt waren. „Wären sie nicht, hätte er vielleicht fliehen können. Oder... wären wir nur etwas eher hier gewesen...“ Ich sah Iunia an, fragend, was ihre letzten Worte bedeuteten. „Er ist erst seit kurzem tot. Wahrscheinlich hat er sogar noch gelebt, als Tiberius und Chen hier angekommen sind. Aber, sie hätten ihn bei seinen Verletzungen unmöglich von all den Toten unterscheiden können.“ Iunias Worte trafen mich mit voller Wucht. Er hatte also noch gelebt. Natürlich konnte man Tiberius und Chen sein Ableben nicht zum Vorwurf machen. Aber mir. Wäre ich mitgegangen... Hätte ich mich freiwillig als Vorhut gemeldet... Ich hätte es doch dank der Rukh gesehen. Wir hätten ihn retten können... Er war doch noch ein Kind... Ich brach zusammen, die Tränen liefen unaufhörlich über meine Wangen. Ich hätte ihn retten können. Ich hätte ihn retten können. Ich hätte ihn... Dieser Gedanke kreiste über mir wie ein gieriger Aasgeier. Diese Erkenntnis, dieses Wissen, es setzte mir einfach zu sehr zu. Ich hätte ihn retten können. Damit, hatte ich mich zum Mörder gemacht und meine Hände mit seinem Blut befleckt. Nun, war ich wahrhaftig im Magi-Fandom, meiner neuen Realität, angekommen.   Iunia hatte bemerkt wie nahe mir dieses ganze Chaos ging und hatte mich zurück zu meinen Hengsten gebracht. Dort stand ich, während die anderen versuchten, auch nur einen Funken Leben in diesem Feld aus Toten zu finden. Nur ich wusste, dass es vergebliche Liebesmüh war. Das Bild des Jungen hatte sich mitsamt der anderen in meinen Kopf gebrannt. Er hätte leben können... 'Hätte, hätte Fahrradkette... hat er leider nicht. Ist traurig aber wahr. Mach dir nicht solche Vorwürfe, genauso gut hättest du ihn finden und versorgen können, damit er dann dennoch seinen Verletzungen erliegt.' Meine Vernunft versuchte zu mir durchzudringen. Doch das war gerade unmöglich. Dafür saß das Erlebte zu tief. „Okay, kommt alle her. Wir müssen gemeinsam abklären, wie wir weitermachen.“ Nach einer Zeit, die so unglaublich schnell vergangen war, rief Cassius alle zu sich. Ich schleppte mich mehr abwesend als wirklich im Hier und Jetzt zu der Gruppe. „Es waren eindeutig Piraten!“, hörte ich den Mann aus Kou sagen. Egal... egal wer es war. Das war einfach nicht rechtens... oder fair. Noch weniger fair war es, dass sie damit davon kamen. „Wer auch immer das war, er hat ganze Arbeit geleistet. Nicht nur das die Waren gestohlen wurden, die Hälfte der Gruppe und die Pferde sind verschwunden. Wir müssen uns also überlegen was wir tun sollen, damit wir nicht genauso enden.“ Cassius hatte scheinbar in jeder Situation einen klaren Kopf. Ihm schien das alles nichts auszumachen. Anders als mir. Ich war wirklich so dumm gewesen zu glauben, dass etwas Kämpfen-Lernen helfen würde, diese Welt zu überleben. „Wir sollten gut überlegen was wir machen. Mit ihnen und mit unsere weiteren Reise. Jeder kann gerne Vorschläge anbringen.“ Es war eine Seltenheit, dass das weitere Verfahren nun nicht nur unter den Händlern diskutiert werden sollte, sondern auch unter all den anderen Teilnehmern. Allerdings, wusste ich nicht, wie man weiter verfahren könnte. Ich spürte nur, wie durch dieses Ereignis all mein Tun und meine Ziele lächerlich wurden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)