Im Zeichen des Rukh von Erenya ================================================================================ Kapitel 7: Kouha ---------------- Als sich der Nebel endgültig verzog, war deutlich zu sehen, was diese Schlacht bewirkt hatte. Auf Boden lagen Teile von Rüstungen und Waffen, sowie Leichenteile. Das Pflaster war mit Blut gesprenkelt, dem Blut derer aus Balbadd, die aus Verzweiflung heraus für Kassim gekämpft hatten. Das Bild, von dem ich zwar erwartet hatte es zu sehen, schlug in meine Gewissheit ein und brannte sich in meine Erinnerung. Ich schüttelte mich und wandte meinen Blick ab, erneut gegen den unbändigen Drang zu weinen, ankämpfend. „Geht es euch gut?“ Ich hörte wie Kouha zu jeden seiner Männer ging und sich nach ihrem Wohlbefinden erkundete. Ich hörte, wie er sie beim Namen nannte, erwähnte, dass ihre Frauen und Kinder sich sicher freuen würden, wenn Papi lebend nach Hause kam. Das unterschied Kouha eben von Kassim. Er interessierte sich für sein Gefolge. Immerhin, ihnen ging es gut und wahrscheinlich hätte Kouha mit diesen kleinen, für viele unbedeutend erscheinenden Gesten, einen noch größeren Stein im Brett. Verständlich. Hätte er bei mir auch, aber ich war für ihn eine Fremde. Da war es schon das höchste der Gefühle, dass er sich während der Schlacht um mich gesorgt hatte. „Du solltest diese Wunde versorgen lassen“, sagte Kouha schließlich, als er sich zu mir gesellte. Seit ich zusammengesunken war, hatte ich mich keinen Meter mehr von der Stelle bewegt. Ich nickte schweigend, während meine Gedanken sich um das alles drehten. Erneut wurde mir klar, dass ich hätte sterben können. Kouha hätte mich zweiteilen können. An der Stelle hätte ein doppeltes Eri sicher nicht besser gehalten. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Die Schulter schmerzte wirklich tierisch. Nicht dran denken, bloß ablenken, denn mit Sicherheit gab es in Balbadd keine Schmerztabletten. „Wer hätte gedacht, dass eine Geschichtenerzählerin einen so mächtigen Zauber besitzt, der selbst ein paar Straßenkindern Angst macht.“ Kouha lachte, versuchte das ganze noch etwas aufzulockern, auch wenn sich in wenigen Minuten, mit vielen Worten, wahrscheinlich viel zwischen uns verändert hatte. Nicht das wirklich viel zwischen uns bestand. „Das war gelogen... ich kenne keinen einzigen Zauber...“ Ich sah zu Kouha auf, der mich kurz verwundert ansah und sich meine Worte durch den Kopf gehen ließ, bis er schließlich lauthals loslachte. Meine Lüge musste wirklich glaubwürdig genug gewesen sein, wenn selbst Kouha das gedacht hatte und das nachdem er drei Magierinnen in seinem Gefolge hatte. Vielleicht war es auch der Punkt gewesen, dass ich erwähnt hatte, aus einer anderen Welt zu kommen. Wobei, warum sollte man mir so etwas glauben? Warum sollte man nicht? Hier gab es Dungeons, die in scheinbar andere Welten führten. Kouha reichte mir seine Hand und half mir ganz Gentlemen-like auf. Wieder stehend, merkte ich, wie kraftlos ich mittlerweile war. Ich war müde, meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. „Wenn ich nach Hause komme, muss Sadiq mich erst einmal verarzten. Mit Sicherheit hat er das mit der Abwechslung anders gemeint als das hier.“ Ein bitteres Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab, doch Kouha hielt meine Hand. Sein Grinsen wich einem ernsten Blick, einem besorgten. „Du bleibst heute Nacht besser hier. Meine Leute können sich um deine Verletzung kümmern. Außerdem... Es gibt da etwas, dass du mir morgen erklären solltest.“ Schon wieder. Warum endeten so viele dramatische Abende bei mir mit dem Klärungsbedarf meiner Umwelt? Wahrscheinlich würde das eine Gewöhnungssache werden. Oder ich sollte gleich mit offenen Karten spielen, auch wenn mir sowieso keiner glaubte. „Du wirst mir nicht erlauben zu gehen, oder?“, fragte ich und sah in seinen Augen, dass er es ernst meinte. Na schön. Da hatte ich ja wohl keine andere Wahl. Auch wenn ich mir das Unterkommen in diesem Hotel anders vorgestellt hatte und ich damit meine Regel brach, nicht mit einem Kunden irgendwohin abzusteigen. Ich sollte es wohl einfach positiv sehen. Ein Luxusbett, welches ich mir bei meinem Gehalt nicht leisten konnte. Was wollte man mehr für eine Nacht?   „NEIN! NEIN! ALLES NUR NICHT DAS!“ Panisch suchte ich nach einem Fluchtweg, als eine Dame von Kouhas Gefolgsleuten bei mir im Zimmer stand. Sie hatte auf einem Tisch Verbandszeug und Faden liegen, wobei sie selbst die Nadel in der Hand hielt. „Schneidet mir den Arm ab, aber nicht die Nadel...“ Ich muss gestehen, ich hasse Nadeln. Nadeln, Spritzen, Bienen, Mücken alles was eben stechen konnte. Ich hasse Impfungen und drückte mich bereits erfolgreich vor ihnen, eben so Blutabnahmen, um die ich bis heute leider nicht herumgekommen war. Schon der Gedanke an etwas langes, dünnes Spitzes, das man mir in den Arm oder sonst wo reinjagen konnte, ließ mich mehr erschaudern, als der Moment, als ich Angesicht zu Angesicht mit Kassim gestanden hatte. „Aber Prinz Kouha Ren möchte, dass wir eure Verletzung ordentlich versorgen. In seinem Gefolge befindet sich leider kein Magier mit der Fähigkeit zu heilen, also müssen wir auf den traditionellen Weg zurückgreifen.“ Ich wollte nicht. Von mir aus konnte ich verbluten, solange man mich nicht nähte. Ehrlich, das war zwar maßlos übertrieben, aber als ich ein Kind war, brauchte es zwei Schwestern, meine Mom und den Arzt selbst um mich ruhig zu stellen. Je älter ich wurde, desto vernünftiger war ich zwar, aber die Furcht wich nie. Noch dazu war das hier eine andere Situation. Hier hatte ich nicht die Wahl unter Vollnarkose genäht zu werden, hier geschah es bei vollem Bewusstsein und ich war weiß Gott nicht schmerzpervers genug um auf so etwas scharf zu sein. „Können wir nicht darüber reden? Ich meine... wir können ja einfach etwas Verbandszeug drum machen und gut ist.“ Natürlich wäre es nicht gut gewesen. Die Verletzung an der Schulter war nicht einfach nur ein kleiner Kratzer. Sie ging tiefer und würde wohl nur ordentlich verheilen, wenn man sie nähte. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass es notwendig war, doch jegliche Logik schaltete sich dank meiner Angst ab. „Bitte, verhalten Sie sich nicht wie ein kleines Kind und lassen Sie mich Ihre Wunden versorgen.“ Ich fühlte mich wie ein verängstigtes Tier, als meine Pflegerin auf mich zukam, Nadel und Faden erhoben. Ich war absolut nicht bereit für so etwas.   **~~**   Ich wälzte mich in dem Bett hin und her. Ein Bett, mehr als nur Kissen. Ein weiches Bett. Ja, ich musste wohl Zuhause sein. Gott, was für ein Albtraum. Wenn ich auch nur irgendjemanden davon erzählte, man würde mich für bekloppt halten. Immerhin, es wäre sicher eine gute Story. Langsam öffnete ich meine Augen und erblickte sofort ein Gestrüpp von dunkelblonden Haar. Seltsam, ich trug beim Schlafengehen immer einen Zopf. Selbst nach einem ausgiebigen Bad. Ich drehte mich auf dem Rücken und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, wobei ein Schmerz durch meine linke Schulter zog. Seltsam, hatte ich falsch gelegen? Nein... Nein ich hatte nicht falsch gelegen, das wurde mir bewusst, als ich an die Decke über mir sah. Meine war weiß. Schneeweiß und es hing auch keine Lampe hinab. Viel mehr die Verdrahtung für eine Lampe, die ich wohl niemals besitzen würde. Aber hier hing eine Lampe, irgendwo weiter weg von meinem Bett. Entnervt stöhnte ich auf. Dieser Albtraum war noch lange nicht vorbei. Kouha hatte mich wirklich fast zweigeteilt, ich konnte Borg, ich sah Lichtvögel... verdammt. Und ich war in einem Luxushotel... Mir fehlte gerade das morgendliche Sandwich Sadiqs, das mir irgendwie Normalität und Sorglosigkeit versprochen hätte. Wahrscheinlich machte dieser sich bereits Sorgen darüber, dass ich nicht Zuhause war, oder dachte, dass ich seinen Rat mit der Abwechslung befolgt hatte. Ich setzte mich auf und sah mich im Zimmer um. Auf einem Stuhl lag mein blutiges Oberteil. Das würde mir sicher nur noch seinen Dienst bis nach Hause erweisen, danach würde es im Müll landen. Mit solch beschmutzter Kleidung brauchte ich gar nicht erst auf Arbeit erscheinen. Arbeit... Gott der Gedanke graute mich. Dort würde ich Assad sehen, das wäre wirklich unangenehm. Die wohl peinlichste Begegnung seit langem. Wobei, wenn ich ehrlich war, war mir nicht danach, in das Freudenhaus zurückzukehren. Aber es war meine Arbeit. Ohne meinen linken Arm großartig zu belasten, erhob ich mich, nackt wie Gott... nein halt, wie Ugo mich geschaffen hatte. Da diese Übernachtung eher spontan gewesen war, hatte ich eben keine Abendgarderobe bei mir. Geschweige denn Wechselkleidung. Was den Gedanken umso widerlicher machte, in diesem Oberteil durch die Stadt zu gehen, den Blicken der Bevölkerung ausgesetzt zu sein. Einige von ihnen wussten sicher, was passiert war, jene, die zur Nebelbande gehörten. Ich konnte dann von Glück reden, wenn ich nicht plötzlich in einer Seitengasse zu mir kam und das Gesicht meines Mörders oder Kassims erblicken würde. Der linke Arm schmerzte bei jeder Bewegung, vor allem als ich ihn hob um in das Oberteil zu schlüpfen. Ich erinnerte mich daran, was für ein Akt es gewesen war, diese Wunde zu nähen. Sie hätten mich abfüllen sollen, dann hätte ich nicht das Hotel zusammen geschrien. Wobei Arm- und Kopfschmerzen wäre auch scheiße gewesen. Ich holte tief Luft und sah zu meiner linken Schulter. Der Arm fühlte sich noch etwas taub an, aber ich konnte ihn bewegen. Mit etwas Glück würde eine feine, dünne Narbe bleiben. Mit etwas Fantasie, würde die eine coole Kriegsgeschichte abgeben. So wie sie die Veteranen in meiner Welt erzählen konnten, nur das meine nicht wirklich wahr war. Eigentlich eine Respektlosigkeit gegenüber den Veteranen meiner Welt, dann ebenfalls eine heroische Geschichte erzählen zu wollen. Dennoch, die Narbe würde mich dann an die vergangene Nacht erinnern, an meine Schwäche... daran, dass ich einfach Glück hatte. Das musste ich ändern.   Den blutroten Fleck an meinem Oberteil hatte ich, dank einer Blume, von denen einige im Zimmer standen, abgedeckt. Sie war groß genug, so dass die Blütenblätter den Fleck verbargen. Es hatte zwar etwas Zeit gekostet, aber mit einigen Hilfsmitteln, die ich im Zimmer für mich nutzen konnte, war es mir gelungen. Irgendwie erinnerte mich das an die Zeit, als ich mein Gästeschlafbett, welches eine bessere Version einer Luftmatratze war, mit Posterstripes und irgendetwas anderem geflickt hatte. Zumindest hatte es lange genug gehalten, damit ich nicht auf dem Boden hatte schlafen müssen. Lange genug, bis ich mir irgendwann eine richtige Matratze zugelegt hatte. Auch wenn man mir nun nachsagen könnte, dass das echt dämlich ist, es hat gehalten und selbst ist die Single-Frau. Mein Weg führte mich gezielt zu dem Zimmer, in dem Kouha untergekommen war. Er hatte es mir am Abend zuvor gezeigt und mich darum gebeten, ihn nach dem Aufstehen aufzusuchen. Die Frage war nur, ob er schon wach war. Unschlüssig stand ich vor seiner Tür. War er ein Frühaufsteher oder eher wie ich ein Morgenmuffel? Ihn wollte ich zumindest nicht morgenmuffelig über den Weg laufen. „Guten Morgen.“ Ich hatte meine Hand gerade nach der Türklinke ausgestreckt, als ich etwas weiter entfernt vom Gang eine vertraute Frauenstimme hörte. Ich wandte meinen Blick in diese Richtung und erkannte Kouhas Magierinnen, die mich lächelnd ansahen. „Der Prinz schläft noch. Sie sollten ihn noch nicht wecken. Wollt Ihr nicht vielleicht mit uns und den anderen frühstücken?“ Frühstück? Gut, dagegen war nichts einzuwenden. Da es nicht den gewohnten Service von Sadiq gegeben hatte, musste ich mir die Nahrung anders besorgen. Außerdem konnte ich so sehen, wie es den anderen nach der letzten Nacht ging, ob der rote Nebel irgendwelche Nebenwirkungen hatte, oder nicht. „Gerne. Kouha hat sich seinen Schlaf verdient.“ Ich lächelte und lief auf die drei Damen zu. Vielleicht konnte ich bei diesem Frühstück auch noch herausbekommen, wie Kouha wohl auf meine Geschichte reagieren würde. Und ob er sie weitererzählte, oder darüber schwieg, wenn ich ihn darum bat. Auch wenn ich Kouha sympathisch fand und das Gefühl hatte, dass wir Freunde sein konnten, war ich mir nicht sicher, inwieweit ich ihm vertrauen konnte.   Die Gefolgsleute Kouhas machten der Lebhaftigkeit beim gemeinsamen Essen im Freudenhaus wirklich Konkurrenz. Auch wenn die Gespräche sich hier nicht gerade um Männerbekanntschaften der letzten Nacht drehte. Viel eher sprach man über die eigene Familie, über Kouha und über den „Sieg“ vom Vortag. Großteils hatte ich mich aus diesen Gesprächen herausgehalten und mir ein Fladenbrot mit Fleisch und Gemüse gefüllt. Es war zwar nicht das gleiche wie wenn Sadiq mir eines machte, aber wenigstens diesen Hauch Routine konnte ich mir so erhalten. Selbst das ich während des Essens meines Fladenbrotes angestarrt wurde, blieb nicht aus. Dennoch ein unangenehmeres Gefühl als bei Sadiq machte sich breit. Ich konnte das einfach nicht, vor Fremden essen. „Sie sind doch eine Magierin, oder?“, fragte Jinjin neben mir, während ich an einem etwas größeren Bissen kaute. Ich schwieg aber. „Der Prinz hat uns gesagt, dass Sie keinen Zauber beherrschen. Wenn dem so ist, dann sollten Sie vielleicht nach Magnostadt gehen. Die Stadt ist gewaltig und unterliegt der Führung von Magiern. Dort gibt es auch eine Akademie, in der Sie alles über Magie lernen können.“ Ich schwieg immer noch. Magnostadt... Ich brauchte mir diesen Vorschlag gar nicht erst durch den Kopf gehen lassen. Nein. Magnostadt war für mich in gewisser Weise keine Option, auch wenn jeder andere wohl das als sein nächstes Ziel vor Augen genommen hätte. „Ich bin keine Magierin“, antwortete ich kurz angebunden und biss erneut in das Fladenbrot. Keine Magierin, das hatte ich für mich selbst entschieden. „Aber... Sie können Borg...“, erwiderte Reirei, als wollte sie mich davon überzeugen, dass ich eine war. Eine Magierin. „Zufall... Glücksgriff... Keine Ahnung was das ist, aber ich bin keine Magierin.“ Die Magierinnen sahen einander fragend an. Sie hatten mit Sicherheit auch gehört, was ich zu Kassim gesagt hatte, dass ich aus einer anderen Welt kam. Warum sollte es dann also nicht möglich sein, Borg zu besitzen und kein Magier zu sein? Nein... in Magi war das nicht möglich. Ich unterlag den Regeln dieser Welt. Dennoch musste ich sie nicht akzeptieren. Ich war keine Magierin. Demnach war Magnostadt keine Option für mich. Es war besser, dass Thema zu wechseln, sonst kamen sie noch auf die Idee danach zu fragen, ob ich diese Lichtvögel sehen konnte. „Was macht Kouha eigentlich hier?“ Irgendwie fühlte es sich seltsam an, in dieser Art und Weise über Kouha zu reden, wenn alle ihn mit Herr oder Prinz betitelten. Meine Anrede hingegen war richtig persönlich, fast schon privat und kurz fragte ich mich, ob sein Gefolge das akzeptieren würde. Doch sie sagten nichts dagegen. Ich bekam nicht einmal seltsame Blicke geschenkt. Vielleicht hätten sie alle Kouha ebenso persönlich anreden können, doch der tiefe Respekt, den sie für ihn empfanden, hinderte sie daran. Man darf mich nicht falsch verstehen, ich respektierte Kouha auch, entgegen seinem jungen Alters. Aber die Art wie ich mit Kouha in Kontakt gekommen war, wie wir miteinander umgingen, wenn das denn noch so bleiben würde, unterschied sich doch schon deutlich von den Begegnung mit seinem Gefolge und irgendwie beneidete ich sie. „Er wurde als Diplomat gesandt. Kou wird Balbadd in seiner wirtschaftlichen Misslage unter die Arme greifen und der Prinz verhandelt mit dem König. Auch wenn er noch sehr jung ist, hat er ein großes Verhandlungsgeschick.“ Seine Magierinnen verfielen ins Schwärmen, was mich schon sehr stark an die Fangirls aus meiner Welt erinnerte. Noch eine Sache die es in Magi gab, die ich kannte. Fangirls. Also wusste ich, wie man damit umging. Nicht widersprechen, konnte ich im Falle Kouha sowieso nicht, und sie einfach schwärmen und fangirlen lassen. So konnte ich selbst vielleicht noch das ein oder andere über den Prinzen lernen. „Heißt das, er zieht bald weiter?“ Ich griff zu einem Becher Tee und setzte ihn an die Lippen, während die Magierinnen mich ansahen. Meine Frage war berechtigt, immerhin hatte Ahbmad am Tag zuvor dem Volk bereits verkündet, dass Kou seine Hilfe zugesagt hatte. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum die Nebelbande das Hotel angegriffen hatte. Um Kou abzuschrecken. Selbst Assad war vor Ort gewesen. Für gewöhnlich war er nie bei einem Überfall dabei, das wusste ich, weil er immer bis spät Abends im Freudenhaus blieb. Aber dieses Mal... er war nicht begeistert von Ahbmads Rede gewesen. „Wir werden noch ein paar Tage hier bleiben. Da fällt mir ein, wir sollten die Wachposten verstärken. Bei wem hat der rote Nebel nicht funktioniert?“ Kaum dass ich meine Antwort bekommen hatte, ging das Gefolge Kouhas zu einem strategischen Meeting über. Kein Wunder. Sie rechneten damit, dass die Nebelbande erneut angreifen würde. Wäre auch mein erster Gedanke gewesen, nachdem ich Kassims rachsüchtigen Charakter kannte. Für Kouha und seine Leute war es damit nicht sicher, ebensowenig wie für mich. Doch vielleicht hatte Assad in diesem Punkt ein gutes Wort für mich bei Kassim eingelegt. Er neigte doch dazu, dass er seine Mädchen beschützte. Ich war doch eines seiner Mädchen, oder?   Mit einem müden Gähnen begrüßte mich Kouha, als ich von seinen Magierinnen in sein Zimmer gebracht wurde. Er saß da, ließ sich einkleiden, wobei seine Mädchen das scheinbar mit dem größten Vergnügen taten. „Hast du gut geschlafen, Kouha?“, fragte ich um keine unangenehme Stille entstehen zu lassen. Kouha erwiderte diesen Versuch mit einem charmanten Lächeln. Er sorgte einfach dafür, dass es nicht unangenehm war, sondern dass es sich so natürlich und normal wie am Abend vor dem Angriff anfühlte. „Die Betten hier sind so bequem, man legt sich hinein und könnte sofort einschlafen, oder?“, fragte er statt mir zu antworten, oder war das seine Antwort? Ganz so sicher war ich mir nicht, auch wenn ich gestehen musste, dass er recht hatte. Ich erinnerte mich nicht einmal, dass ich mich nach der Verarztung hingelegt hatte. Aber da ich in einem Bett aufgewacht war, musste ich es wohl getan haben. „Viele Vergleiche habe ich hier in der Welt nicht. Das war erst mein zweites Bett und das erste bestand aus Kissen.“ Ich lachte leise und sah zu Kouha. Er verstand den Wink der Einleitung, die ich gewählt hatte. Mit Sicherheit war es das, was er wissen wollte und ich musste gestehen, dass ich diese Geschichte endlich jemanden erzählen wollte. „Wie ich es gestern gesagt habe, stamme ich nicht einfach nur aus einem fremden Land. Ich komme aus einer Welt, die sich sehr von dieser hier unterscheidet. So etwas wie Magie oder dergleichen gibt es bei uns nicht. Sie existiert nur in Geschichten und Legenden oder in Form von billigen Zaubertricks. Wo ich herkomme, besitze ich auch diesen Schutz nicht und ehrlich Waffen wie dein Schwert würde es niemals geben.“ Ich begann Kouha von meiner Welt zu erzählen, damit er sich ein Bild davon machen konnte, wo ich herkam. Aufmerksam hörte er zu, staunte sogar hin und wieder in seiner kindlichen Naivität. Ihm wäre es in meiner Welt wohl nicht anders gegangen als es mir hier ging, auch wenn mein Staunen eher weniger aus kindlicher Natur heraus zeugte. „Und wie bist du hier her gekommen?“, fragte Kouha schließlich. Die Frage war berechtigt, denn wenn es keine Magie in meiner Welt gab, sollte es schier unmöglich sein, dass ich in dieses Abenteuer hinein gezogen wurde. „Das ist das Problem... Ich erinnere mich an nicht mehr viel. Eine Pfütze... schwarze Flecken, ein Mann mit Kufiya die von einer Art Dornenranke gehalten wird, allerdings war sein Gesicht von dieser Kufiya verdeckt. Mehr aber auch nicht. Ich weiß nicht einmal ob das die Reihenfolge der Ereignisse war. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem seltsamen Raum, mit einem riesengroßen Schädel. An sich sollte er mich nach Hause bringen, doch irgendetwas ging bei unserer Kommunikation schief und er schickte mich hierher. Ich bin mitten im Wasser beim Hafenbecken gelandet und weil ich nicht schwimmen kann... naja ich wäre fast hops gegangen, wenn mich der Anführer der Nebelbande nicht rausgezogen hätte. Als ich bemerkte, dass dies hier nicht meine Heimat, geschweige denn meine Welt ist, habe ich mich etwas umgesehen und zwei Mädchen getroffen, die mich zu Assad und seinem Freudenhaus geführt haben. Den Rest kannst du dir sicher denken.“ Schweigen kam auf und Kouha sah mich nachdenklich an. Nun war die Frage, ob er mir glaubte oder nicht. Ich war ihm immerhin als Geschichtenerzählerin bekannt, noch dazu hatte ich am Tag zuvor eine Lüge darüber erzählt, dass ich einen mächtigen Zauber beherrschte. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn ich auch diese Geschichte, die durch und durch wahr war, erfunden hätte. „Hast du schon jemanden davon erzählt?“ Ich schüttelte den Kopf und sah weiterhin zu Kouha. Anhand seiner Frage konnte ich schließlich nicht ausmachen, ob er mir glaubte oder nicht. „Ich habe allen gesagt, dass ich von Räubern überfallen wurde, nachdem wir aber entdeckten, dass ich diesen Schutz besitze, hat diese Lüge mir nicht mehr weitergeholfen. Allerdings bezweifle ich, dass mir auch nur einer geglaubt hätte, wenn ich das erzählt hätte, was du eben gehört hast.“ Erneutes Schweigen und Kouha ließ mich keine Sekunden aus den Augen, so als wollte er prüfen, ob diese Geschichte wahr war. Doch schließlich nickte er. „Das fällt schon schwer zu glauben, dass es eine andere Welt neben unserer gibt. Vor allem eine, in der es solche seltsamen Dinge wie Autos und Handys gibt. En-Nii fände das sicher genauso interessant. Dennoch, wir sollten herausfinden, warum du hier bist. Dieser Mann, den du beschrieben hast... In Kou gibt es einige Berater, die genauso aussehen, wie du es beschrieben hast. Wenn du nach Kou gehen würdest, könntest du sie treffen und fragen, ob sie von dem Mann etwas wissen, der für all das verantwortlich ist.“ Wenn ich nach Kou gehen würde... Erneut wurde mir ein Ziel genannt, welches ich anvisieren konnte. Das Kaiserreich Kou hatte für mich aber schon mehr seinen Reiz als Magnostadt. Wenn es dort wirklich mehr solcher Männer gab wie jenen, der für das ganze Desaster mit verantwortlich war, dann musste ich es herausfinden... allerdings... wie sollte ich an den Hof des Kaisers kommen. Die einzige Chance wäre dann... Mein Blick haftet auf Kouha. Sollte ich ihn fragen? Erwartete er, dass ich ihn fragte? Oder war ich ihm vielleicht dann eine Last? Konnte ich ihm das antun? Mich antun? „Sehen wir uns in den nächsten Tagen vielleicht noch einmal?“ Es war die einzige Frage die ich stellen konnte. Ich musste nachdenken. Wieder einmal. Dabei hatte mich die Begleitung vom Vorabend davon ablenken sollen zu viel zu denken. Etwas Ruhe war mir aber wohl verwehrt. „Ich weiß nicht, aber ich werde ihnen hier sagen, dass sie dich reinlassen sollen, wenn du kommst. Dann kannst du mehr Geschichten von deiner Welt erzählen.“ Von meiner Welt. Die Art wie Kouha diese Worte aussprach, ließ mein Herz höher schlagen, denn sie gaben mir das Gefühl, dass er mir wirklich glaubte. Der erste, der mir glaubte. „Kouha, sollten wir uns vor deiner Abreise nicht mehr sehen... Danke für alles.“ Ich war froh, Kouha kennengelernt zu haben, denn die Tatsache, endlich die Wahrheit ausgesprochen zu haben, hatte mir schon den Teil einer Last abgenommen. Eine Person in dieser Welt kannte dann die Wahrheit über mich. Vor einer Person musste ich mich nicht verstellen.   **~~**   Die Blume hielt den ganzen Weg zu meiner Unterkunft, auch wenn die Sorge groß war, dass sie verrutschte und ich so das blutige Stück Stoff offenbarte. Umso besser war es, dass ich bei Sadiq zu meinen anderen Sachen kam und mich umziehen konnte. Um mehr hatte ich Kouha nicht bitten wollen, immerhin hatte er dafür gesorgt, dass man mich versorgt hatte und mich in einem teurem Luxusbett schlafen lassen. Noch dazu musste ich Sadiq doch mitteilen, dass ich noch lebte. Keine Ahnung, warum ich mir solche Gedanken darum machte, ob er sich sorgte, aber vielleicht war das auch ein Zeichen davon, dass ich in dem Monat, den ich hier bereits in Balbadd verbracht hatte, so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis zu meinem Vermieter aufgebaut hatte. Ehrlich, am Anfang meiner Reise hätte ich das nicht gedacht. Ein Monat. Das war schon eine lange Zeit. Ob man das auf Arbeit merkte? Sicher würde man das. Da ich keinen Krankenschein eingereicht hatte, würde ich wohl auch keine Arbeit mehr haben, wenn ich wieder zurückkam. Und meine Freunde... Gott was würden meine Freunde mir die Hölle heiß machen, wenn ich sie dann noch hatte. War es da nicht vielleicht besser, hier zu bleiben? Gar nicht erst nach der Spur zu suchen und mich hier einfach einzufügen? Ich hatte doch ein Leben hier. Und es funktionierte. Ich hatte Freunde, einen Job... und doch... war das hier nicht meine Heimat. War das eine absurde Art von Heimweh die ich empfand? Die Angst nach Hause zu kommen und gleichzeitig die hier zu bleiben? Ich schüttelte den Kopf. Es war besser jetzt nicht darüber nachzudenken. Wohin sollte das führen? Vorerst war das hier meine Heimat. Temporär. Das durfte ich nur nicht vergessen. Nur temporär, ich gehörte nicht hier her. Mit diesen Gedanken ging ich um die letzte Ecke und sah das Haus von Sadiq. Doch stockte ich. Ein Anblick der mir nicht geheuer war, offenbarte sich mir. Dort standen Männer in Uniformen von Kriegern. Die Tür war aufgebrochen. Zwei von ihnen standen Wache, während aus dem Inneren Scheppern zu hören war. Was war hier los? „Wie grausig... Seit gestern Abend durchsuchen sie schon Herrn Sadiqs Haus.“ Ich hörte zwei Nachbarn in der Nähe, die sich scheinbar gerade über diesen Vorfall unterhielten. „Ich wusste schon immer, dass dieser Taugenichts nichts gutes bedeutet. Niemand weiß, wie er sich sein Geld verdient hat.“ „Mir tut ja das arme Mädchen leid, dass bei ihm untergekommen ist. Ich habe gehört, sie und Herr Sadiq sollen festgenommen werden, sobald sie hier auftauchen. Deswegen die Wachen... In was Herr Sadiq sie nur hineingezogen hat.“ „Von wegen hineingezogen. Ich habe gehört, dass sie und er Partner waren. Du weißt doch, es sind immer die unschuldig Aussehenden die am gefährlichsten sind.“ Mir wurde schlecht. Sie hatten Sadiqs Haus gestürmt? Was hatte der Idiot nun schon wieder gemacht? Verdammt. Wo sollte ich dann hin nach der Arbeit? Der Gedanke keinen Ort zum zurückkehren zu haben, fröstelte mich. Dennoch... ich hatte einen Ort. Einen Ort, an dem ich zurückkehren konnte. Wo noch Freunde waren. Noch einmal, blickte ich zu Sadiqs Haus. Hoffentlich ging es ihm gut. Ich hoffte, dass er bereits wusste, was hier los war und nicht mehr zurückkam. Er sollte sich besser in Sicherheit bringen, was auch immer er getan hatte. Sadiq war kein schlechter Mensch, zumindest hatte er mir gegenüber, abgesehen von seinen Lügen, niemals böse Absichten offenbart. Deswegen, sollte er frei sein, damit ich ihn wiedersehen konnte.   In das Freudenhaus zu kommen, hatte mit einem Mal etwas tröstliches, etwas schönes, etwas heimatliches. Zumindest hatte ich mir das eingeredet, als ich vor diesem stand und über die Schwelle trat. Aber das Bild, welches sich mir bot, war nicht das gewohnte. Mich begrüßte nicht das grummelige Gesicht Assads, der mir befahl mich fertig zu machen. Oder der gerade auf dem Weg in die Küche war, um Ameen die Hölle heiß zu machen, weil wieder einmal das Geschirr nicht abgewaschen war. Da stand kein Assad, sondern Suleika, die die Mädchen koordinierte und alles für den Abend vorbereitete. Zumindest, deutete ich das aus ihrem Befehlston. Verwundert darüber, ging ich auf sie zu und sah mich um, wie die Mädchen alles fertig machten. Kissen aufschüttelten, Obstschalen auffüllten und den Unrat vom Vorabend beseitigten. Doch kaum, dass ich an ihnen vorbei lief, hielten sie inne und sahen mich mit diesen undeutbaren Blicken an. Ich versuchte zu lächeln und grüßte sie wie gewohnt, doch die Erwiderung blieb aus. „Uhm... Suleika, wo ist Assad?“ Ich blieb vor Suleika stehen und sah sie an. Doch in ihrem Blick erkannte ich nur Entsetzen. War irgendetwas passiert? Hatten die Soldaten Balbadds auch hier gewütet? „Du... Komm mit...“ Ich wusste nicht, was plötzlich los war, aber Suleika packte mich am Handgelenk und zog mich in das Umkleidezimmer. Nur Cecilia und zwei weitere Mädchen waren dort, doch als sie Suleika und mich bemerkten, verließen die zwei das Zimmer. „Erenya, du hättest nicht herkommen sollen“, begrüßte mich Cecilia gleich und weitere Fragezeichen schwirrten imaginär um meinen Kopf herum. Irgendetwas stimmte nicht, das hätte selbst ein Idiot erkannt. „Hätte jemand die Güte und würde mir sagen, was passiert ist? Ich will nach Hause und sehe, dass die Soldaten Sadiqs Haus durchsuchen und hier werde ich behandelt, als wäre ich eine Aussätzige.“ Kaum dass ich meine Frage ausgesprochen hatte und sah, wie sich Suleika und Cecilia vielsagende Blicke zuwarfen, drehte sich mir der Magen um. „Zieh dich erst einmal um... Wir packen dir eine Reisetasche zusammen...“ Fast schon hektisch, zog Suleika aus einem der Schränke einige Kleidungsstücke hervor. Die Schubladen, aus denen sie diese hatte, waren mir noch nie aufgefallen. Sie hatte lange, Umhangen ähnelnden Sachen zur Hand genommen und reichte sie mir. Immer noch verwirrt, entblätterte ich mich und warf die blutigen Sachen in die Ecke. Die geschockten Blicke Suleikas und Cecilias hafteten daran und doch blieb etwas aus, was ich merkwürdig fand. Sie fragten nicht danach, was passiert war. „Wir sollten es ihr sagen, Suleika...“, wisperte Cecilia. Auch wenn sie versuchte leise genug zu sein, sie hatte es doch deutlich für mich ausgesprochen. „Was sagen?“, fragte ich und streifte mir die Falten aus den Sachen. Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. Der Boden unter meinen Füße schien aufgrund der Befürchtung, was sie sagen würden zu beben. „Assad hat uns gesagt, was gestern Abend passiert ist. Wir wussten ja, dass du mit dieser Entscheidung gerungen hast, ob du Kassims Band beitrittst oder nicht... aber nicht einmal wir hätten gedacht, dass er diese Entscheidung so erfährt. Was hast du dir dabei gedacht? Mal davon abgesehen, dass du dich in Gefahr gebracht hast, du hast dich auf die Seite von Kou gestellt. Weißt du was das bedeutet?“ Suleika musste es nicht aussprechen, damit ich wusste was es bedeutete. Ich hätte mir auch gewünscht, dass sie es nicht gesagt hätte. „Kassim wird dich überall als Feind anprangern. Als Feind aus Kou. Jeder der dir hilft... wird ebenfalls als Feind aus Kou gebrandmarkt. Erenya, du kannst nicht mehr hier bleiben. Du musst weg von hier, bevor Kassim oder seine wahnsinnigen Idioten dich erwischen.“ Der Boden unter meinen Füßen gab inoffiziell nach, als ich auf einen Stuhl sank und mich zurücklehnte. So war das also. Und ich hatte gedacht meine Entscheidung gegen die Nebelbande würde den Mädchen, Assad oder sonst wem nicht schaden. Aber gut... unter den Umständen hätte mir das klar sein müssen. Dennoch ich kämpfte mit den Tränen. Damit war auch die letzte Zuflucht zerstört. „Es tut mir leid...“, wisperte ich leise. Ich hatte das Gefühl mich entschuldigen zu müssen, denn gerade jetzt brachte ich sie alle in Gefahr. Warum nur? Warum hatte das passieren müssen? „Erenya...“ Ich sah zu Suleika, die sich vor mich gehockt hatte und mich trotz allem anlächelte. In ihren Augen lag kein stummer Vorwurf sondern ein Anflug wahrer Sorge. „Cecilia hat eine Schwester in Quishan. Sie arbeitet ebenfalls in einem Freudenhaus. Cecilia kann dir einen Brief mitschicken. Du kannst da sicher auch Arbeit finden. Deine Geschichten können sich dann weiter verbreiten. Vielleicht wirst du sogar richtig bekannt.“ Suleika gab ihr bestes mir Mut zu machen. Wahrscheinlich ahnte sie, wie ich mich gerade fühlte. Fremd an einem Ort und verbannt von eben jenen, der zur sicheren Heimat geworden war. „Ameen gibt dir auch ein Empfehlungsschreiben mit. Und... Warte.“ Suleika erhob sich und stürmte förmlich aus dem Zimmer hinaus. Fragend sah ich zu Cecilia die sich zu mir stellte und meinen Arm tätschelte. „Du wirst sehen, alles wird gut. Geht eine Tür zu, öffnet sich eine andere.“ Ich sah wie Cecilias Augen feucht wurden. Sie war eben doch ein empfindliches Seelchen, genauso wie ich. „Hier...“ Suleika war wieder ins Zimmer gekommen und hielt mir ein kleines Säckchen entgegen, in dem es verdächtig klapperte. „Assad hätte es heute Sadiq gegeben. Und ihm gesagt, was du tun sollst. Sei ihm bitte nicht böse, dass er dir das nicht persönlich geben kann.“ Suleikas Stimme war zittrig. Sie kämpfte, wie Cecilia und ich, mit den Tränen. Ich ertrug das nicht mehr und brach in Tränen aus. Mein Leben, war von einer Sekunde zur anderen ein weiteres Mal zerschlagen worden. Ich hatte meine erste Heimat verloren, jetzt meine temporäre und erneut stand ich in dieser fremden Welt, ohne zu wissen, wohin ich sollte. Doch anders als beim ersten Mal, hatte ich Freunde, denen ich aber mit meiner Anwesenheit nur schadete. „Es tut mir Leid... es tut mir alles so Leid...“ Suleika zog mich in ihre Arme und drückte mich an sich. Ich spürte die Feuchtigkeit der Tränen die sie ebenfalls vergoss. Wer hätte vor einem Monat gedacht, dass sie und ich jemals Freunde werden würden. „Hör auf dich zu entschuldigen... Wir lassen nur Gras über die Sache wachsen. Du kannst jederzeit wieder zurückkommen. Du gehörst doch zu uns, selbst wenn uns viele Tagesreisen von einander trennen. Außerdem... Musst du noch Ameen und mein Kind kennenlernen.“ Ich spürte wie ihr Griff fester wurde und sah auf. Cecilia hatte uns beide umarmt und ließ ihren Sturzbächen ebenfalls freien Lauf. „Genau, du bist hier immer Zuhause. Wir sind deine Familie, deine Freundinnen. Wenn du zurückkommst, hast du viele neue Geschichten für uns“, fügte sie hinzu, schluchzend und vollständig aufgelöst.   Es dauerte einige Zeit, bis alle Tränen vergossen waren und wir wieder einigermaßen Schluchzerfrei miteinander reden konnte. Gemeinsam packten wir einen Reiserucksack, redeten über irgendwelchen Nonsens, der nur meinen baldigen Aufbruch unthematisiert lassen sollte. „Der Prinz aus Kou hat es dir also angetan. Das hören Assad und Sadiq sicher nicht gerne. Noch mehr Konkurrenz für sie“, scherzte Suleika, während sie das Beutelchen mit dem Geld verstaute. Der Rucksack selbst wirkte schon viel zu mächtig, aber meine Reise, egal wohin sie ging, würde sicher keine kurze sein. „Hier... Das ist von Ameen... Und... der hier ist von Assad. Das sind beides Empfehlungsschreiben. Assads habe ich bei dem Geld entdeckt. Damit findest du sicher schnell eine neue Anstellung.“ So sicher es ging, verpackte sie die Briefe in den Rucksack und ich nickte. „Suleika... Sollte deines und Ameens Kind geboren werden, bevor ich wieder zurückkomme... Wird es ein Mädchen, soll sie Nour heißen. Wird es ein Junge, dann Navid.“ Ich lächelte, auch wenn mit diesen Worten erneut der Abschied ein Schritt näher kam. „Das werden wir machen. Und wir werden ihm oder ihr auch immer von dir erzählen. Ich erinnere mich noch an alle deine Geschichten, ich werde sie erzählen, abends bevor es schläft.“ Nein, vor einem Monat hätte ich wirklich nicht gedacht, dass Suleika und ich Freunde werden würden. „Erenya?“ Wir drei sahen auf, als wir eine Stimme von der Tür hörten. Da standen sie, die Mädchen des Geschäfts. Allesamt genauso den Tränen nahe, wie es Suleika, Cecilia und ich gewesen waren. Ich wusste, dass ich sie vermissen würde. „Hey, schaut nicht so traurig. Ich komme sicher irgendwann wieder. Immerhin, muss ich Assad noch eine gehörige Ohrfeige verpassen. Dafür das er so ein Idiot ist.“ Ich lachte, als ich den Rucksack zumachte und mir diesen aufschulterte. „Weißt du schon wohin du gehst?“ Immer noch machte sich Suleika Sorgen. Kein Wunder. Vor einem Monat war ich vollkommen planlos hier angekommen. Und nun war alles wieder auf Anfang zurück versetzt. „Seltsamerweise... Ja. Meine neue Reise wird an dem Ort beginnen, an dem ich zum ersten Mal Balbadd erblickte. Und dann geht’s übers Meer, in ein Paradies. Dort fange ich dann von vorne an, werde viel lernen und wenn ich genug gelernt habe, komme ich wieder. Versprochen.“ Seltsam. Ich hatte so viele andere Optionen gehabt und doch hatte ich irgendwie, stumm und klammheimlich entschieden, wo ich hin wollte. Vielleicht lag es daran, dass dieser Ort in meinem Kopf allgegenwärtig herumspukte, immer dann, wenn ich am Hafen Zeit verbrachte. Niemals hätte ich geglaubt, dass ich dahin wollte, ohne den Gedanken an den Seefahrer zu wenden, von dem eine Figur auf meinem Bücherregal stand. Es war einfach der Gedanke des Friedens, der diese Entscheidung endgültig gemacht hatte. „Pass auf dich auf, ja?“, schniefte Cecilia und ich nickte. Lächeln. Ich musste für sie alle hier lächeln. Immerhin hatte ich ein Ziel vor Augen. Zwar keine Arbeit und keine Heimat, aber immerhin ein Ziel. „Passt auf Assad auf. Macht ihm nicht zu viel Ärger.“ Ein Scherz. Assad würde auch weiterhin derjenige sein, der auf sie aufpasste. Ich ging vorbei an den Mädchen, die mir noch leise Worte des Abschieds zuflüsterten. Ich verband mein Gesicht mit dem überhängenden Stoff der langen Kleidung, die Suleika mir gegeben hatte. Wenn die Stadt schon nicht sicher war, sollte ich es nicht herausfordern. Als ich durch die Tür des Freudenhauses ging, wandte ich mich ein letztes Mal um, bevor ich leise Worte des Abschieds flüsterte und mir meinen Weg in Richtung des Hafens bahnte. Ein Schiff würde mir dort eine Reise in meine neue Heimat garantieren. Nach Sindria. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)