Im Zeichen des Rukh von Erenya ================================================================================ Kapitel 4: Borg --------------- Nachdem Assad zusammen mit Sadiq Dhakar aus dem Freudenhaus geworfen hatte, hatte dieser mir mit recht eindeutigen Worten befohlen, mich in das Umkleidezimmer der Mädchen zurückzuziehen. Die anderen Mädchen schienen diesen Wink ebenfalls verstanden zu haben und hatten sich aus dem Zimmer zurückgezogen. In dem kurzem Moment der Ruhe, versuchte ich zu realisieren, was da eben passiert war. Dieser Schutzschild... Ja, er war mir nicht fremd aus dem Fandom. Allerdings besaßen ihn nur Magier. Nur Magier... 'Als ich ankam, habe ich die Rukh gesehen...' Ich erinnerte mich sofort wieder an meinen ersten Tag, als ich diese Lichtvögel gesehen hatte. Durch sie war ich überhaupt erst zu Assad gekommen. Diese Lichtvögel konnten ebenfalls nur Magier sehen. Zu Beginn hatte ich mir nichts dabei gedacht, ich meine, ich kam nicht aus dieser Welt. Vielleicht hätten da die hiesigen Regeln für mich nicht gegolten, aber Borg... Wieso Borg? Ich verstand das einfach nicht. Ich konnte das nicht glauben. An mir war so gar nichts magisch, ich beherrschte nicht einmal Zaubertricks. „Verdammte Scheune...“, wisperte ich leise und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Meine Arme hatte ich auf der Schminkkommode abgestellt, deren Wand der Spiegel war, über den die Mädchen sich begutachten konnten. Ich konnte mein Ebenbild zwischen einer Lücke meiner Finger sehen und erneut sah mich dieses fremde Ich an. „Borg...“ Erneut kam mir das Wort für diese Barriere in den Sinn. Ich sah Rukh und konnte Borg einsetzen. Das war doch ein blöder Scherz. Zufälle. Mit Sicherheit waren das nur Zufälle. Vielleicht ein Schutzmechanismus, den Ugo mir geschenkt hatte. Auch wenn ich nicht verstand, was es mir bringen sollte, Rukh zu sehen. Doch die weitaus wichtigere Frage war gerade, wie erklärte ich das Sadiq und Assad, oder sonst wem hier? Hätte ich nicht vorher wissen können, dass ich Borg konnte? Ich meine, dann wäre ich niemals auf die Idee gekommen diese „Von Räubern überfallen“ Geschichte zu erfinden. Nachdem jeder hier gesehen hatte, dass ich Borg konnte, würde mir das doch keiner mehr glauben. Mal davon abgesehen, dass sie sowieso misstrauisch genug waren. Verdammte Scheune. „Und, hast du dir eine neue Lüge zurecht gelegt?“ Schuldbewusst zuckte ich zusammen, als ich Assads Stimme hörte. Ich vermied es aber, ihn anzusehen, denn ich konnte es einfach nicht. Nicht mehr nachdem das mit Borg passiert war. „Nein... Weil ich ehrlich selbst nicht verstehe, was passiert ist.“ Ich holte tief Luft und seufzte auf. Wie sollte das auch ein normaler Mensch wie ich verstehen? Das war doch alles etwas viel. Erst landet man in einem anderen, nicht realen Universum und dann konnte man Borg. Ein Gutes hatte es ja, ich war nicht in einer Blutlache ertrunken. Die Pfützen und Meere dieser Welt hatten damit noch die Chance das zu erledigen. „Wer bist du?“ Assad hatte alles Recht dazu mich zu hinterfragen. Dennoch konnte ich ihm das einfach nicht sagen. Wie sollte er das auch verstehen? „Du würdest mir meine Geschichte nicht glauben... Aber... eines ist wahr. Ich weiß wirklich nicht, wie ich hierher gekommen bin. Bis eben wusste ich nicht einmal, dass ich... dass ich das kann.“ Ich vermied es den Namen des Schutzschildes auszusprechen, denn ein klein wenig Glaubwürdigkeit wollte ich mir doch noch erhalten. „Wie du willst... Morgen reden wir aber noch einmal über das gerade... Glaub nicht, dass du mir damit davon kommst.“ Ich horchte auf, als ich die Worte Assads vernahm. Ich hatte mit vielen gerechnet, aber nicht damit, dass er mich am nächsten Tag wieder sehen wollte. Wobei ich glaubte, dass der nächste Tag wohl das letzte Mal sein würde, dass ich ihn jemals wieder sah. Wer würde auf Grundlagen von Lügen schon jemanden wie mich in seinem Lokal arbeiten lassen? „Sadiq wartet übrigens draußen auf dich. Ihr solltet beide gehen. Ich kümmere mich um den Rest hier.“ Indirekt, war es für diesen Abend doch noch ein Rauswurf. Ich ergab mich also Assads Befehl und seinem Hausrecht, mit dem Wissen, dass ich am nächsten Tag wiederkommen würde. Dennoch war mir nicht klar, was dann kommen würde. Ebenso wusste ich nicht, was mich nun bei Sadiq erwarten würde. Ein unangenehmes Gefühl, wenn man es recht bedachte. Immerhin hatte dieser ja schon genug Misstrauen mir gegenüber. Doch das jetzt... Ich wollte eigentlich gar nicht wissen, was es in ihm ausgelöst hatte.   Die Atmosphäre die zwischen Sadiq und mir beim Gehen herrschte, war förmlich greifbar. Wir sprachen nicht miteinander sondern liefen einfach nebeneinander her. Mir fehlten die Worte um mit meinem Vermieter zu sprechen und ich wollte das Ganze nun auch nicht schlimmer machen und so vielleicht meine Unterkunft verlieren. Wieder von null anfangen, konnte ich einfach nicht. „Du bist also eine Magierin?“, fragte Sadiq schließlich und war derjenige, der diese Stille in sich zusammenbrechen ließ. „Nein.“ Momentan war dies für mich die ehrlichste Antwort, die ich geben konnte. Ich selbst sah mich nur wegen Borg nicht als Magierin. „Du versuchst immer noch zu lügen, nachdem Assad und ich diesen magischen Schild um dich gesehen haben? Entweder bist du unsagbar dumm oder einfach nur naiv.“ Sadiq gab sich nicht die Mühe seine Worte zu verschönern. Dieser lebensfrohe, dauerlächelnde Mann, den ich kennengelernt hatte, war wohl nur für Menschen bestimmt, die nicht wie ich waren. „Ich weiß wie das aussehen muss... aber... Ich bin keine Magierin. Da wo ich herkam, war ich nie eine. Ich bin über diese ganze Sache ebenso überrascht wie ihr und weiß gar nicht was das soll. Ich konnte so etwas noch nie.“ Wo war mein Borg geblieben, als ich vom Auto angefahren wurde? Richtig, da hatte ich keinen. Wieso ich also plötzlich hier Borg einsetzen konnte, blieb mir ein Rätsel. Aus meiner Sicht, hatte sich an meinen Taten und meinem Können nichts verändert und ich wäre froh darüber gewesen, wenn das auch so geblieben wäre. „Du willst also sagen, dass du plötzlich über Nacht zur Magierin wirst?“, fragte Sadiq, wobei seine Stimme deutlich machte, dass die Worte wie er sie sagte, für ihn nicht glaubwürdig klangen. Recht hatte er auch damit. Im Magi-Universum wurde man nicht einfach so über Nacht zur Magierin. „Ich bin ja auch keine Magierin... Wie oft noch. Ich bin ein normales Mädchen. Das eben war vielleicht Glück. Vielleicht war einer der Gäste ein Magier oder so.“ Diese Erklärung klang doch logisch, auch wenn eine nagende Gewissheit in mir schrie, dass sie falsch war. Niemand unserer Gäste konnte so etwas. Und wenn ich mich richtig erinnerte, waren Magier nicht in der Lage einen Borg um andere Menschen zu zaubern. Das höchste der Gefühle war ein Borg als Schutzschild einer Insel, oder Stadt. „Ein Gast also? Glaub nicht das du damit durchkommst.“ Sadiq war plötzlich inmitten des Weges stehen geblieben. Verwundert hielt ich inne und wandte mich gerade rechtzeitig zu ihm um, um zu sehen, wie er einen Dolch zog, mit dem er auf mich zu stürmte. Wie angewurzelt blieb ich stehen und sah zu, wie Sadiq ausholte und seine Klinge schließlich an meinem Borg abprallte. Damit, war auch diese Ausrede dahin und die Gewissheit, dass ich Borg besaß, wog nur noch tiefer in meinem Herzen. „Willst du mir immer noch weiß machen, dass es nicht von dir kommt?“ Sadiq steckte seinen Dolch weg und lief wieder weiter. Warum hatte er in dem kleinen Handgemenge gegen Dhakar nicht auch diesen Dolch gezogen, wenn er ihn die ganze Zeit bei sich getragen hatte? Seltsam. Oder... hatte er befürchtet sonst jemand anderen zu verletzten? „Na gut, es mag vielleicht von mir kommen, aber ich habe das wirklich noch nie beherrscht! Woher sollte ich da also wissen, dass ich das kann?“ Ein tiefes inbrünstiges Seufzen kam von Sadiq, als ich ihm erneut folgte. „Du verstehst es nicht. Es geht nicht darum, dass du das kannst, es geht darum, dass damit dein Lügengebilde in sich zusammenbricht. Du sagtest, dich haben Räuber überwältigt und niedergeschlagen, weswegen du Teile deiner Erinnerung verloren hast, aber wenn du diesen Schutz beherrschst, dann ist das unmöglich. Und so etwas lernst du nicht einfach so über Nacht. Jeder Magier kann diesen Schutz von Geburt an.“ Ich biss mir auf die Unterlippe. War ja klar, dass so meine größte Lüge aufflog. Doch was sollte ich machen? Was sollte ich ihnen erzählen, damit sie endlich zufrieden waren? „Ja, ich wurde nicht von Räubern überfallen... Ich erinnere mich dennoch an nicht viel... Nur an diesen Mann in Kufiya mit Dornenkranz... schwarze Flecken und ehe ich mich versah, war ich in einem seltsamen Raum. Unförmig, so gar nicht ich... Da war aber jemand, der mich wegschicken konnte und plötzlich war ich hier in Balbadd, nackt, beinahe ertrunken im Hafenbecken und vollkommen ahnungslos. Verdammt, ich weiß doch auch nicht was passiert ist und ihr fordert Antworten und Wahrheiten... Die Wahrheit würdet ihr doch gar nicht verstehen...“ Ob es richtig war, Sadiq gegenüber so viel zu sagen? Ich wusste es nicht. Er schwieg aber, den ganzen Rest des Weges und auch als wir zu Hause waren. Glaubte er mir nun? Oder hielt er mich immer noch für eine Lügnerin? Es war nicht ersichtlich, alles was ich dankbar aber bemerkte war, dass er mich immer noch in unserem Heim willkommen hieß.   **~~**   Das sich etwas in unserem Verhältnis geändert hatte, wurde deutlich klar, als ich am nächsten Morgen erwachte und mich kein fröhlich lächelnder Sadiq begrüßte. Er stand nicht da, mit einem gefüllten Fladenbrot und reichte es mir oder beschwerte sich darüber, wie grummelig ich so früh am Morgen war. Sadiq, war überhaupt nicht da und der große Gemeinschaftsraum wirkte ungewohnt leer. Super... wirklich ganz super, was mir diese Aktion vom Vorabend alles eingebrockt hatte. Nichts mehr würde so sein wie vorher. Dazu musste ich nicht erst noch mit Assad dasselbe Gespräch führen, wie am Abend mit Sadiq. Ich konnte also auch gleich mein ganzes Hab und Gut zusammenpacken und mich nach meiner letzten Schicht verabschieden. Nur wo sollte ich dann hin? Gab es für mich keinen Ort, an dem ich mich in Sicherheit bringen konnte? Gedankenverloren packte ich meine Sachen wirklich in einem braunen, großen Tuch zusammen. Kleidung, Tinte, Papier, Feder... alles was ich mir hier erarbeitet hatte. Auch wenn es mir jetzt schwer fiel, unter diesen Umständen, Sadiq zu verlassen, konnte ich auch nicht länger bei ihm bleiben, denn die Zeit zurückdrehen, konnte ich ebenso wenig. Dennoch, ich wollte nicht undankbar sein. Auf einem Stück Pergament schrieb ich „Danke für alles“ und platzierte es so, dass er es später am Abend sehen würde. Oben drauf lagen die vier Dinar, meine letzte Miete. Es war schon schade, denn ich hätte gerne mehr über Sadiq erfahren, wer er wirklich war und was seine Ziele waren. Wieso er immer log... So viel hätte ich gerne gewusst, aber all das würde mir nun verschlossen bleiben.   Mein gepackter Reisesack ruhte schwer auf meinen Schultern, war aber nichts im Vergleich zu der Last meiner Lüge, die ich ausgesprochen hatte, ohne zu wissen, was meine Fähigkeiten hier waren. Borg... Mir ging es einfach nicht aus dem Kopf, wieso ich plötzlich Borg konnte. War das Ugos Werk gewesen? Ich war mir nicht sicher, ob Ugos Macht so weit reichte, dass er wirklich jemanden zu einem Magier machen konnte, aber vielleicht lag das doch außerhalb seiner Fähigkeiten. Es gab somit keine logische Erklärung für das alles hier. 'Oder doch in der Pfütze ertrunken...' war der einzig logischste Gedanke den ich fassen konnte. Wäre ich tot in meiner Welt, dann wäre das vielleicht eine Erklärung gewesen. Allerdings war tot sein immer noch keine Option für mich. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als mich von hinten plötzlich jemand packte und in eine Seitengasse schleifte. Mein Reisesack ruhte zwischen meinem Angreifer und mir und war alles, woran ich mich klammern konnte. Der Mund wurde mir zugehalten, während ich das Flüstern meines Angreifers vernahm. „Miese Hexe.... du wirst schon sehen, was du davon hast.“ Auch wenn seine Stimme nur geflüstert war, erkannte ich doch deutlich Dhakar dahinter. Erst als er sich sicher zu sein schien, dass niemand hier her fand, stieß er mich von sich, so dass ich zu Boden fiel. „Nun lernst du, was es bedeutet, mich öffentlich bloßzustellen, Hexe.“ Unpraktisch landete ich auf meinem Reisesack, betete aber, dass ich nicht gerade das Tintenfass zerstört hatte, auch wenn ich zweifelte, dass es bei meiner Körpermasse heil geblieben war. Dennoch, wahrscheinlich sollte ich im Moment andere Sorgen haben, denn Dhakar zog ein Schwert, welches dieses Mal sein eigenes zu sein schien und ging damit auf mich zu. „Was willst du? Du weißt doch, dass Waffengewalt nichts bringt!“ Immerhin das hätte er am Tag zuvor verstehen sollen. Sadiq hatte mir ja sogar bewiesen, dass es nicht nur eine einmalige Sache gewesen wäre. „Dann schlage ich so lange darauf ein, bis es bricht...“, war die Antwort des Mannes, der sofort ausholte und die Klinge auf mich niedersausen ließ. Wie am Tag zuvor aber, prallte es an der leuchtenden Kuppel um mich herum ab. Ich war sicher. Nur würde mein Borg das lange durchhalten, wenn er vor hatte, mich länger unter Beschuss zu nehmen? Seine Kaskade an Angriffen und Schlägen brach nicht ab. Auch wenn er bisher doch eher gut für mich aussah, wusste ich wirklich nicht, wie lange ich das durchhalten konnte. Ich musste mir etwas überlegen. Etwas, womit ich Dhakar los wurde. Während seine Angriffsreihe nicht abbrach, nutzte ich die Chance und beobachtete meine Umgebung genau. Nichts. Hier war absolut nichts, was ich für meinen Vorteil nutzen konnte. 'Wenn du dein Leben retten willst, dann kämpfe darum und werfe deinem Angreifer wenn möglich Dreck ins Gesicht.' Schon ironisch, dass mir ausgerechnet jetzt dieses Zitat von Toshizou Hijikata aus Hakuouki Reimei-Roku einfiel. Er hatte es einst zu Ibuki gesagt, um diesem zu erklären, dass im Kampf ums Überleben alle Mittel Recht sind. Nur gab es hier keinen wirklichen Dreck. Verdammt. In meinem Kopf arbeitete es. Ich hatte nicht viel und es war fraglich, ob Dhakar das, was ich aufzubringen hatte, nicht mit Leichtigkeit abwehren würde. Allerdings... Wenn ich keinen Dreck zum blenden hatte... „Was ist den los, Dhakar? Ist das schon alles was du kannst? Wie langweilig.“ Es kostete mich viel Beherrschung und vor allem auch Mut, dem Händler diese Worte so glaubwürdig wie möglich zu übermitteln. Ein Fehler und meine halbgegorene Idee würde schief gehen. Um meine Worte zu unterstreichen, erhob ich mich und nahm in einer flüssigen Bewegung meinen Reisesack vom Boden auf. Meine ganze Haltung sprach dafür, dass ich gehen wollte. Etwas, das Dhakar verhindern wollte und ihn in Rage versetzt, denn seine Schläge wurden kräftiger, schneller. „Gib es auf. Du wirst mir nicht einmal einen Kratzer zufügen.“ Noch etwas mehr, ich brauchte noch etwas mehr Selbstsicherheit um diesen Mann zu blenden. Diesen Mann, der schon jetzt Stück für Stück sein Hirn abschaltete und nur noch nach Rache dürstete. Noch etwas mehr. „Du miese Hexe, halt die Klappe!“ Dhakar hob sein Schwert, dass war der Moment auf den ich gewartet hatte, weswegen ich meinen Reisesack noch nicht geschultert hatte. Den Sack mit beiden Händen umgriffen, holte ich aus und schlug in Dhakars ungeschützte Seite. Auch wenn mein Gepäck nicht hart genug war, um diesen Mann von den Füßen zu reißen, so hatte die Wucht doch dafür gesorgt, dass er in seinem Vorhaben inne hielt und der Schreck ihn zur Seite taumeln ließ. Da war sie, meine Chance. Ich lief los. Immer mit dem Gedanken, einfach nur weg von diesem Mann zu kommen. Weit weg. Doch ich hörte schon nach wenigen Schritten, wie er mir nachsetzte. War auch klar gewesen, immerhin reiste ich mit leichtem Gepäck. „Bleib stehen, Hexe!“, brüllte Dhakar mir nach, während ich gen Ausgang der Seitengasse lief. Als ob ich auf ihn hörte, was dachte sich dieser Idiot dabei? Ich musste einfach nur hier raus, doch Dhakar war mir schneller auf den Fersen, als ich es erwartet hatte. Wenn das so weitergegangen wäre, hätte er mich eingeholt, doch glücklicherweise entdeckte ich einen Haufen Holzbretter, die an die Wand gelehnt waren. Mit einem gezielten Schlag meines Sackes, brachte ich diese dazu, kurz vor Dhakar zusammenzubrechen und ihn damit den Weg zu versperren. Ich nutzte diese Gelegenheit und lief schneller und schließlich, erreichte ich die von Menschen bevölkerte Straße. Unweit jeglicher Zwielichtigkeit. Ich hatte es also geschafft. Dennoch, ich nahm weiterhin die Beine in die Hand, denn je weiter ich von dieser Gasse wegkam, um so besser. Im Freudenhaus angekommen, stellte ich meine Sachen erst einmal im Umkleidezimmer der Mädchen ab. Ich kramte mir sogar noch ein paar neue Kleidung heraus, da ich am Morgen bei Sadiq nicht dazu gekommen war, mich noch einmal umzuziehen. Immerhin hier konnte ich das ja tun. Dafür gab es ja dieses Zimmer. Schnellstmöglich schlüpfte ich in mein neues, lilafarbenes Oberteil und einer fliederfarbenen Ballonhose. Meine Haare kämmte ich mir mit einer der Bürsten, die jedes Mädchen hier benutze und ließ sie offen. „Ah, Erenya, hier bist du. Wir haben dich schon gesucht.“ Ich sah auf, als ich Cecilia sah, die das Zimmer betrat und mich freundlich anlächelte. Immerhin ein freundliches Gesicht begrüßte mich an diesem Tag. „Ich hatte unterwegs ein paar Differenzen“, erklärte ich kurz angebunden und klippte mir mit Hilfe des Spiegels ein paar Ohrringe an die Ohrläppchen. Unglaublich, dass die echt welche zum Klippen hatten. „Hast du gut geschlafen? Ich meine... nach der Sache mit gestern, hätte niemand wirklich gut schlafen können.“ Sorge trat in Cecilias Stimme, als sie sich neben mich setzte und ausgiebig musterte. Richtig, sie wusste sicher auch von meinem Borg. Toll. „Es war nicht gerade die erholsamste Nacht...“, gab ich zu verstehen, wobei meine Augenringe wohl ebenfalls eine deutliche Sprache sprachen. „Keine Sorge. Alles wird gut. Auch wenn es vielleicht in nächster Zeit etwas hektisch wird, Assad bekommt das hin.“ Sanft strich mir Cecilia über den Kopf. Schon unglaublich, dass sie wirklich so einfühlsam war. Sie war die große Schwester des Hauses, die, denen sich die Mädchen ohne einen geringsten Zweifel anvertrauten. „Du bist mir nicht böse, weil ich gelogen habe?“, fragte ich schließlich. Mal ehrlich, ich wäre pissig gewesen. Aber Cecilia schien mir gegenüber nicht anders als sonst. Sie hatte keinerlei Anzeichen gemacht, dass sie mir meine Lüge übel nahm oder nun deswegen auf Abstand gehen würde. Sie war wirklich eine wunderbare Frau. „Du wirst schon deine Gründe haben. Auch wenn Männer das nicht verstehen. Jede Frau hat ihr ein oder anderes kleines Geheimnis. Und du hast uns ja nichts böses gewollt. Im Gegenteil, obwohl Suleika und du keine Freundinnen seid, hast du versucht sie irgendwie zu beschützen. Warum sollten wir dir das, wegen einer unbedeutenden Lüge, böse nehmen?“ Cecilias Worte waren Balsam auf meiner Seele. Immerhin bei ihr hatte ich nicht verspielt. Bei den Männern um mich herum sah es wohl anders aus. „Egal was kommt, Erenya. Die Mädchen und ich, wir sind immer für dich da. Wenn du also Hilfe brauchst, sag Bescheid.“ Vorsichtig strich Cecilia mir eine Haarsträhne zurück. Ich spürte, wie sie etwas mit dieser machte und als ihre Hand wieder weggezogen wurde und ich den Spiegel sah, erkannte ich eine kleine Blumenspange. Eine nette Geste, die mich zu Tränen rührte und mir nur noch mehr zeigte, dass ihre Worte nicht einfach nur leer waren.   Als Cecilia das Zimmer verlassen hatte, wartete ich darauf, dass Assad reinkommen würde. Er hatte ja gesagt, dass wir das Gespräch vom Vorabend noch weiterführen würden. Nur was konnte ich ihm erzählen? Zumindest nicht mehr als ich es bei Sadiq getan hatte. Wahrscheinlich verlor ich in diesem Gespräch meine Arbeitsstelle und war wieder auf Stufe eins. Wo sollte ich mein Geld verdienen? Wo leben? Dabei hatte Assad mir doch versprochen, dass ich solange hier bleiben konnte, bis ich meine Bestimmung gefunden hatte... Allerdings waren die Umstände da auch noch anders gewesen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich wirklich noch einmal hier blicken lässt.“ Unverkennbar erfüllte Assads Stimme den Raum, als er diesen betrat. Immerhin klang er nicht mehr ganz so erbost, was mir nur deutlich zeigte, dass er sich abreagiert hatte. Ein gutes Zeichen vielleicht. „Du sagtest, dass wir heute noch darüber reden, also widersetze ich mich deinem Befehl nicht.“ Natürlich hätte ich einfach nicht hingehen können, aber ich wusste sowieso nicht wohin und einfach zu gehen, ohne sich für alles zu bedanken erschien mir doch recht... idiotisch. „Du hast also nichts von dieser Fähigkeit gewusst und dich dennoch vor Dhakar geworfen, obwohl du wusstest, dass es dein Ende hätte sein können?“ Logisch betrachtet, eine gute Frage. Denn hätte ich von Borg gewusst, wäre mein Verhalten nicht seltsam gewesen. So hingegen, wirkte es lebensmüde. „Ich wusste rein gar nichts davon. Bis Dhakar mit dem Schwert zugeschlagen hat. Ich selbst hab auch gedacht, gleich zu sterben und dachte noch daran, dass dieser Tod immerhin nicht ganz so erbärmlich ist, wie in einer Pfütze zu ertrinken.“ Schweigen trat zwischen uns ein und es wirkte so, als müsse Assad sich meine Worte erst einmal durch den Kopf gehen lassen. „Hör zu, ich werde dich nicht fragen, wer du bist oder woher du kommst. Schweigen ist mir lieber, als irgendwelche Lügen... Aber tu so etwas niemals wieder. Auch wenn du diese Gabe hast, musst du dich nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen.“ Ich hatte wirklich mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Assad das so einfach hinnahm. Auch wenn ich ihm dankbar dafür war. Assad war eben doch ein guter Mensch. „Was macht eigentlich der Reisesack dort?“, fragte Assad schließlich, als er sich im Zimmer umsah und mein Gepäck in der Ecke bemerkte. „Ich bezweifle das Sadiq mich länger bei sich leben lässt. Deswegen... habe ich meine Sachen gepackt.“ Ich mühte mir ein Lächeln ab, als wollte ich damit sagen, dass es schon okay sei. In Wahrheit war aber nichts davon okay. „Hat er das gesagt?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und ein tiefes Seufzen kam von Assad, der sich mit seiner Hand durchs dunkle Haar fuhr. „Heute Nacht kannst du hier schlafen... Aber du solltest das schnell mit Sadiq klären.“ Ich sah ihn verwundert an. Wusste er etwa mehr? Oder warum war er sich so sicher, dass Sadiq mich nicht herauswerfen würde? Ich wusste es nicht, oder war mir viel mehr nicht sicher. „Ihr Frauen müsst immer alles gleich über dramatisieren. Hör zu. Sadiq hätte dich nicht rausgeworfen, genauso wenig ich. Du bist zwar nicht ehrlich zu uns, das ändert aber nichts daran, dass du ein guter Mensch bist. Wir haben mit dir gearbeitet und gelebt, denkst du, da lassen wir dich wegen einer Lüge fallen?“ Das hatte ich in der Tat gedacht. Aber Assad zeigte mir deutlich, dass ich damit einen Fehler gemacht hatte. Ich würde also weiterhin hier arbeiten dürfen und wenn sich die Sache etwas beruhigt hatte, konnte ich erneut mit Sadiq sprechen und würde vielleicht wieder bei ihm wohnen. Ich konnte es nicht glauben. Das ganze war wie eine Last, die mir genommen wurde und jegliche Zweifel in Form kleiner Tränen aus mir herausfließen ließ.   **~~**   Ich konnte voller Stolz behaupten, dass es auch in Balbadd Dinge gab, die ich aus meiner Welt kannte. Gerüchte und Klatsch und Tratsch. Von alledem war ich momentan ein Opfer in Assads Freudenhaus. Zwar blieb die Kundschaft nicht aus, doch wenn ich meine Geschichten erzählte, tuschelten die Kunden hinter vorgehaltener Hand. Es gab sogar das Gerücht, dass viele meiner Geschichten auf wahren Begebenheiten beruhten. Das ich die Lorelei war und nur nach einem neuen Hafen Ausschau hielt, um arme Fischer zu ertränken. Einmal bekam ich sogar mit, wie ein Kunde behauptete, dass meine Haare in Wahrheit Schlangen waren und man mir nicht in die Augen sehen dürfte, weil ich einen sonst versteinerte. Ich wusste doch, dass ich ihnen niemals die Geschichte der Medusa hätte erzählen dürfen. Dank der Mädchen im Freudenhaus war dies aber erträglich. Sie schafften es sogar, dass ich über einige der dümmsten Gerüchte lachen konnte. Und so war das Arbeiten nicht ganz so dramatisch. „Und als er das Schwert aus dem Stein zog, wusste jeder im Land, dass er der rechtmäßige König war.“ Ich hatte gerade die Geschichte von König Arthur, oder viel mehr den Teil, wie er das Schwert aus dem Stein gezogen hatte, beendet, als mich eine zierliche Hand an der Schulter berührte. Verwundert, weil es noch nicht meine Zeit war, den Platz zu räumen, sah ich auf und erkannte Suleika, die mich ernst ansah. Seit dem Vorfall vor einigen Tagen, hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt, weswegen es mich doch sehr verwunderte, dass sie es nun war, die ein Gespräch mit mir zu suchen schien. „Ameen braucht dich heute eher in der Küche.“ Überrascht darüber, suchte ich im Gästeraum nach Assad, doch Suleika stellte sich in mein Blickfeld und schien noch ernster zu werden. „Assad sagt, du sollst sofort zu Ameen in die Küche.“ Das war seltsam, denn in der Regel war es Assad immer persönlich, der mir den Arbeitsantritt in der Küche mitteilte. Wahrscheinlich war er aber gerade beschäftigt. Das wäre zumindest nicht neu für seine Verhältnisse gewesen. Ich erhob mich von meinem Platz und folgte Suleika in die Küche. Sofort als Ameen mich erblickte, konnte ich seine Verwunderung erkennen. Ebenso sah er zu Suleika, die mich hier her gebracht hatte. „Was macht ihr beide hier?“ Auch wenn Ameen diese Frage nicht gestellt hätte, wäre mir sofort klar gewesen, dass etwas nicht stimmte. Suleika hatte mich also nur unter einem Vorwand in die Küche gelockt. Doch wozu? Wieso Ameens Küche? „Ameen, diese Frau...“ Suleika setzte zu ihrer Rede an und fixierte dabei Ameen felsenfest, während sie mich grob am Oberarm packte und vor sich zerrte. „... diese Frau ist der Grund, warum du immer noch mit mir zusammen sein kannst. Wäre sie nicht gewesen, wäre ich wohl tot.“ Ich verstand immer noch nicht ganz, was das hier sollte, und warum Suleika Ameen das erklärte. Er musste doch schließlich wissen, was an dem einen Tag passiert war. Jeder wusste es. Oder verbarg sich mehr hinter ihren Worten? „Ah, verstehe. Dann sollten wir uns bei ihr bedanken. Die Frage ist nur, wie?“ Ein verspieltes Lächeln lag auf Ameens Lippen, als er zu Suleika sah, die schwer mit sich zu kämpfen schien. Diese ganze Szene war absurd. Ich meine, Ameen wusste es doch, was passiert war, warum spielte er dann bei Suleikas Trauerspiel mit? „Sie kann die Tante unseres Kindes werden.“ Irgendwie wurde das ganze immer surrealer. Die Tante ihres Kindes? Warum sprachen die beiden überhaupt so, als sei ich nicht hier? „Hat die Tante der Kinder eurer Familie nicht das Recht, das Neugeborene zu benennen?“, fragte Ameen mit gespielter Verwunderung und Suleika nickte. „M-Moment. Wie Kind? Tante? Hä?“ Ich musste meiner Verwunderung einfach Luft machen, denn sonst würde mir keiner hier erklären, was los war. „Suleika ist schwanger. Weswegen sie nur noch tanzt. Auch wenn ich es nicht gerne gesehen habe, hat sie hin und wieder Männer mit sich hoch genommen. Aber nun erwarten wir beide ein Kind. Du hast also sowohl Suleika, als auch unser Baby gerettet, Erenya.“ Meine Augen weiteten sich. Mal davon abgesehen, dass ich nicht wusste, wie Ameen nach Suleikas Affären sagen konnte, dass es sein Baby war, hatte ich nicht einmal bemerkt, dass Suleika schwanger gewesen war. „Wenn du damit einverstanden bist... hätte ich gerne, dass du die Tante des ungeborenen Kindes wirst und ihm oder ihr dann auch einen Namen gibst.“ Mit einem roten Schimmer auf den Wangen, erklärte Suleika, was sie auf ihre Weise wohl schon indirekt versucht hatte zu sagen. Ihr war diese ganze Situation nicht angenehm, wen wunderte das auch, wir waren einander nie wirklich grün gewesen und wahrscheinlich musste sie eine Menge Stolz herunter schlucken, um mir dies als Zeichen ihres Dankes zu gewähren. Eine nette Geste, auch wenn sie nicht nötig war, immerhin hatte mich Suleika vor dem Tod durch Sonnenbrand bewahrt. Aber wenn ich ihr Angebot ablehnte, würde sie das sicher falsch auffassen. „Dann sagt Bescheid, sobald es so weit ist. Ich werde eurem Kind einen würdigen Namen geben.“   Als ich wieder aus der Küche kam, bemerkte ich schnell, dass wir neue Kundschaft hatten. Kundschaft, die allerdings nicht wie die normalen Stammgäste aussah. Sie trugen Kleidung, die man nur im Kaiserreich Kou trug, was deutlich machte, dass dies hier wohl das Fußvolk des Diplomaten war. Zumindest, wenn Sadiq mit seiner Vermutung des Diplomatenbesuches, wirklich Recht behielt. Naja warum auch nicht. „Erenya...“ Schuldbewusst zuckte ich zusammen, als ich Assads Stimme hinter mir hörte. Ich hatte meinen Posten verlassen, ohne seine Genehmigung zu haben, mit Sicherheit konnte das nichts gutes bedeuten. „Wenn du ein paar Geschichten kennst, die eher aus dem Kaiserreich Kous stammen könnten... erzähl sie.“ Geschichten aus dem Kaiserreich Kou? Geschichten die asiatisch genug angehaucht waren, um diese Kundschaft zufrieden zu stellen? Verdammt. Ich konnte doch nicht die Geschichte von „The Ring“ erzählen. Alles was ich wusste, betraf die japanische Mythologie und die Geschichte der Shinsengumi, aber mehr? „Ich werde es versuchen“, gab ich nach. Mehr als versuchen und scheitern konnte ich ja nicht. Und wer wusste schon, wie diese Gäste reagieren würden. Ich meine, ich konnte mich ja vielleicht irgendwie rantasten. Oder... zur allerhöchsten Not, wenn die Muse mich küsste, etwas erfinden. Mit viel Glück war das aber nicht nötig. Ich kehrte also zurück zu meinem Platz, ließ mich auf diesen nieder und holte tief Luft. „Willkommen zu meiner Geschichtsstunde. Da wir heute Gäste von weit her haben, habe ich mir gedacht, dass ich euch eine Geschichte erzähle, die man in meiner Heimat erzählt. Sie erklärt die Entstehung eines Landes welches dem mächtigen Kaiserreich Kou sehr ähnlich war.“ Ich lächelte den Zuhörern zu und begann die Geschichte der Urgötter Japans zu erzählen. Eine die stark an den Orpheus-Mythos erinnerte, von dem ich zum Glück noch nie erzählt hatte. Sonst wäre diese Geschichte wohl auch nicht ganz so gut angekommen. Aber selbst die einheimischen Gäste schienen interessiert an dieser Geschichte zu sein. „Als er die Unterwelt verließ, schrie Izanami ihm nach: 'Dafür werden 1000 Menschen täglich ihr Leben lassen! Traurig über diese Worte seiner verblichenen Geliebten, antwortete Izanagi: 'Dann werde ich täglich 1500 Menschen das Leben schenken.'“ Ich hatte die ganze Geschichte mit der Verfolgung durch die Yomotsu Shikome etwas ausgeschmückt, um so die Zuhörer bei der Stange zu halten. Mit Erfolg, denn als die letzten Worte gesprochen wurden, setzte langsamer Applaus der Landesmänner von Kou ein.   **~~**   Die Männer von Kou schienen nun täglich zu kommen, so dass ich jeden Abend versuchte ein paar Legenden aus der japanischen Mythologie einfließen zu lassen. Zumindest so weit wie ich damit kam, denn sonderlich belesen war ich dafür auch nicht. Das, was ich wusste, kannte ich aus Spielen und leider weidete nicht jedes Spiel die japanische Mythologie aus. Doch darum musste ich mir keine Sorgen machen, denn auch mit den anderen Geschichten kamen die Männer klar und amüsierten sich mit den Frauen, oder trösteten sie, wenn eine Geschichte erneut zu traurig war. Die Gerüchte, die um mich herum blühten, waren mir egal geworden. Ich war mir dem Vertrauen der Mädchen hier sicher und auch dem Assads und Sadiqs, auch wenn letzterer kein Wort mehr mit mir sprach und unsere Beziehung um einiges an Grad herunter gekühlt war. Es gab kein Frühstück mehr ans Bett und mehr denn je schien Sadiq den Abstand zwischen uns zu vergrößern und nicht mehr mit mir reden zu wollen. Einzig, dass ich weiterhin vier Dinar zahlen brauchte und noch bei ihm lebte durfte, zeugte davon, dass ich ihm nicht egal war. Dennoch war nach Hause kommen das wohl traurigste an meinem Alltag. Ich zog mich an diesem Abend, vor Feierabend in das Umkleidezimmer der Mädchen zurück. Nur eine Kollegin saß dort und wusch sich den Schweiß der Arbeit mit Seife, die nach Patschuli roch, ab. Ein klares Zeichen, was sie zuletzt mit einem Freier getan hatte. Aber ich war schon lange nicht mehr in der Lage dazu, sie dafür zu verurteilen. Besser hier, als in den Slums zu einem Hungerlohn unter der ständigen Gefahr ermordet zu werden. „Brauchst du Hilfe?“, fragte ich vorsichtig, als sie auf mich aufmerksam wurde, doch sie schüttelte nur mit dem Kopf und wusch sich mit einem Schwamm, den die Mädchen auf einen Stock gesteckt hatten, den Rücken. So konnte sie selbst die schwierigen Stellen erreichen. Nebenbei summte sie eine Melodie, die mir unbekannt war, die sie aber in den letzten Tagen schon häufiger vor sich hingesummt hatte. Ich hatte schon viele Lieder hier im Freudenhaus und in Balbadd gehört, aber das, welches sie summte, noch nicht. „Woher kommt denn diese Melodie?“ Neugierig sah ich zu dem Mädchen, dass selig zu lächeln schien. Seltsam, in Anbetracht der Tatsache, dass sie vor wenigen Minuten ihren Körper an einen Mann verkauft hatte. „Ich hatte einen Kunden, der dieses Lied gesungen hat, bevor er ging. Ich habe mir den Text leider nicht gemerkt, es ging aber um ein Kind, dass seine Mutter verloren hat. Irgendwie geht mir diese Melodie nicht mehr aus dem Kopf.“ Die Melodie des Liedes, welches sie gesummt hatte, hatte mir zwar verraten, dass dieses Lied nicht voller eitel Sonnenschein war, aber so eine Geschichte? Eine, die soviel Wahrheit enthalten konnte? „Was passiert mit dem Kind?“, fragte ich leise, denn ich wollte doch hoffen, dass es nicht so traurig weiterging. Doch das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, nach dem Teil, als die Mutter verschwunden war, bin ich eingeschlafen.“ Sie lächelte mich entschuldigend an, machte aber schließlich ihren Reinigungsakt weiter, bevor sie sich abtupfte und wieder anzog. „Schon okay. Vielleicht kannst du mir den Herren ja irgendwann einmal vorstellen, damit ich das Lied auch lerne.“ Ich winkte ihr noch zum Abschied, bevor ich das Zimmer wieder verließ. Eine Geschichte von einem Kind, dass seine Mutter verloren hatte. Vielleicht brauchte ich so eine noch in meinem Repertoire. Schaden würde es jedenfalls nicht.   **~~**   An der Hitze der Nächte hatte sich nichts geändert. Ich nutzte die warme Abendluft an Tagen wie diesen sogar, um noch einmal einen kleinen Rundgang zu machen, bevor ich in mein einsames Heim zurückkehrte. Gewisse Wege hatten sich eingeprägt, doch ich vermied es zu dicht an Seitengassen entlang zu laufen. Irgendwo war sicher noch Dhakar und er würde nur auf eine Gelegenheit warten, mich erneut alleine aufzufinden. Doch anders als zuvor, war ich in gewisser Weise vorbereitet. Ich hatte mir einen kleinen Dolch zugelegt, den ich gut unter meiner Kleidung versteckt hielt, aber dennoch im äußersten Notfall griffbereit hatte. Ob ich ihn einsetzen konnte, war zwar eine andere Geschichte, aber immerhin fühlte ich mich im Moment nicht ganz so bedroht oder schutzlos. „Wir können doch nicht immer nach ihm suchen!“ Ich sah auf, als ich die verärgerte Stimme eines Mannes hörte, dessen Temperament wohl an der kurzen Schnur hing. Seine Kameraden, die in derselben Uniform neben ihm herliefen, versuchten ihn zu beschwichtigen, doch es half nichts. „Beruhige dich... Er wird schon wissen was er tut. Er ist doch kein kleines Kind.“ Es waren Krieger aus Kou, die scheinbar einen Rundgang machten oder vielmehr einen Suchtrupp nach einer entsprechenden Person bildeten. Wenn sie clever waren, suchten sie im Freudenhaus, denn es würde mich nicht wundern, wenn die gesuchte Person dort war. Ich verkniff mir allerdings diese Hilfestellung, allein schon aus dem Grund, dass ich meine Abendruhe genoss und mir lästige Fragen ersparte. „Und wenn wir einfach jemanden fragen? Vielleicht hat man ihn gesehen.“ Ein dritter Krieger schien die Idee zu haben, doch der Anführer des Suchtrupps verschränkte genervt die Arme. „Er wird klug genug sein und sicher nicht in voller Montur durch die Stadt laufen. Man wird ihn wohl von den anderen hier nicht unterscheiden können. Fragen ist also nutzlos. Ich schwöre euch, wenn ich ihn in die Finger kriege...“ Schweigend lief ich an den Kriegern vorbei und musste schon etwas schmunzeln. Wen auch immer sie suchten, die Person erwartete großen Ärger. Sicher war es ein Krieger der seine Pflicht aufgrund des Klimas hier vernachlässigte und etwas Spaß haben sollten. Den ganzen Tag einen wahrscheinlich hier ansässigen Diplomaten zu bewachen konnte auch schon zu ermüdend sein. Aber das war nicht mein Problem. Meine wogen in den Feierabendstunden schwerer. Vor allem in jenen Momenten, als ich endlich mein Ziel, den Hafen erreichte. Der schwache Wind ließ die Luft am Hafen etwas kühler erscheinen, zumindest wehte er mir Tropfen des Meeres zu, die sich wohltuend auf meine Haut ergaben und langsam an dieser abperlten, während der Wind sie immer wieder etwas trocknete und so einen wohligen Schauer über meinen Rücken jagte. Der Hafen war mein Lieblingsrückzugsort am Abend geworden. Zwar musste man hier vorsichtig wegen Diebe und dergleichen sein, aber es war ruhig und ich konnte über viele Dinge einfach so in Ruhe nachdenken. Heimlich suchte ich natürlich doch noch nach der Tür, die mich zurück zu Ugo brachte, aber immer noch blieb sie mir verborgen. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn das Abenteuer nun auf einmal endete. Nicht das ich sonderlich erpicht darauf war, dass irgendjemand von meinem Borg erfuhr und ich so in noch mehr Schwierigkeiten kam. Das die Gäste ihre Gerüchte streuten, reichte doch schon. „Ob ich wirklich ein Magier bin?“ Diese Frage spukte mir immer noch im Kopf herum. Ich fühlte mich nicht anders als in meiner Heimat. Damit meine ich, dass ich keinen Magoi-Fluss oder dergleichen spürte. Wobei ich mir auch nicht sicher war, ob man das Magoi in sich fließen spürte. Ich spürte so gesehen... Nichts abgesehen von meinem Puls und meinem Herzschlag. Ein Magier... Damit wäre ich schon in gewisser Weise etwas besonderes. Zwar nicht die einzige, aber im Vergleich zu den nicht magischen Menschen besonders. Obwohl, wenn ich keine Zauber beherrschte, war mein Borg auch schon das einzige Besondere. Ich lachte leise bei diesem Gedanken besonders zu sein. Nein. Ich war nicht besonders. Ich war auch nur ein nicht magischer Mensch, der nicht einmal aus dieser Welt stammte. Das war wohl der einzige Grund für Borg und die Lichtvögel die ich sehen konnte. Wobei ich mir bei letzteren manchmal nicht so sicher war, so schwach wie sie vor meinen Augen umher flatterten und sonderlich hilfreich waren sie schon lange nicht mehr gewesen. Borg war alles was ich hatte. Eine Schutzbarriere um nicht sofort vor die Hunde zu gehen. Genau das war es. Ich hatte entschieden das alles als genau das zu sehen. Ich war kein Magier. Borg war nur ein Schutz, den mir Ugo vielleicht mitsamt des Körpers geschenkt hatte, mehr nicht. Mit diesem abendlich gefassten Entschluss, entschied ich, dass es besser war, zurück nach Hause zu gehen. Die Wege waren nun düsterer, aber noch hell genug um seine Angreifer zu erkennen. Ich wollte die letzten Lichtstrahlen der Sicherheit also nutzen, um nicht doch noch mein Glück und Ugos Schutz zu verspielen. Schnellen Schrittes lief ich den vertrauten Weg zum Hause Sadiqs zurück. Hinter jeder Ecke vermutete ich bereits einen Dieb oder Mörder, weswegen meine Sinne bis aufs äußerste angespannt waren. Es war nicht mehr weit und meine Schritte wurden noch schneller. Ich hatte nur das Ziel, schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Meine Schritte stoppten allerdings wenige Meter vor dem Ziel, als mir eine Gestalt entgegenkam, die ich bisher nur einmal gesehen hatte. Bewegungslos stand ich einfach inmitten auf der Straße und sah ihn an, der mich noch nicht bemerkt hatte und näher auf mich zukam. Erst wenige Schritte vor mir, schien er meine Präsenz zu registrieren und er sah mich genau an. Kassim. Schweigend standen wir einander gegenüber und schienen einzuschätzen, warum der andere seinen Weg nicht einfach fortsetzte. Warum tat ich es eigentlich nicht? Wie sollte sich schon Kassim an das nackte Mädchen erinnern, welches er aus dem Hafenbecken gezogen hatte? Was erwartete ich hier eigentlich? „Du bist doch die Geschichtenerzählerin von Assad, oder?“ Ganz ruhig Erenya, er fragte nur, ob ich Assads Geschichtenerzählerin war. Kein Grund zur Panik. Immer mit der Ruhe. Ich versuchte mir einzureden, dass dies einfach nur eine normale Frage war. Sicher, wenn Assad irgendetwas mit der Nebelbande zu tun hatte, dann wusste Kassim, wer welche Aufgabe in Assads Betrieb hatte und dass es eine Geschichtenerzählerin gab. Allerdings, woher sollte er wissen, dass es ausgerechnet ich war? „Ja“, antwortete ich knapp. Was sollte auch schon Schlimmes daraus resultieren einfach nur ehrlich zu sein? In diesem Moment. Na gut, abgesehen von den Gerüchten die besagten, dass ich Männer versteinerte oder hier neue Schiffe im Meer versenken wollte. Das wäre suboptimal, wenn Kassim solchen Gerüchten Glauben schenkte. „Man redet in letzter Zeit viel von dir. Du hast einen Schwertangriff durch einen Schutzschild überstanden. Das hätte ich an dem Abend gerne mit eigenen Augen gesehen.“ Ich wich etwas zurück, als ich die Worte Kassims hörte. Verdammtes Volk aus Balbadd. Oder hatte Assad ihm das erzählt? Konnte ich ihm gar nicht trauen? „Das war Glück... Das hat nichts zu bedeuten...“ Genauso hatte ich es beschlossen. Es hatte nichts, rein gar nichts zu bedeuten. Es war einfach nur ein Schutz, den mir Ugo geschenkt hatte, mehr nicht. Es war bedeutungslos. „Es bedeutet viel. Du unterscheidest dich von anderen Menschen. Denn nicht jeder besitzt einen natürlichen Schutzschild. Du aber schon und du kannst das nutzen, um das Richtige zu tun.“ Borg nutzen um das Richtige zu tun? Es war ja schon gruselig, dass Kassim davon wusste, dass Borg bei bestimmten Leuten ein natürlicher Schutzschild war, aber das ich damit das „Richtige“ tun konnte? „Ich muss nach Hause.“ Ich beließ sein Gesagtes einfach kommentarlos im Raum stehen. Sicher, wenn ich Borg nur irgendwie einsetzen konnte... ich konnte vielleicht der lebende Schutzschild werden. Aber wollte ich das? Mein Borg war mit Sicherheit nicht stark genug um den Angriff mehrerer Personen gleichzeitig abzufangen. Es war also sinnlos darüber nach zu denken. Und noch sinnloser war es, Kassim zuzuhören. Ohne ihn weiter anzusehen, lief ich an dem Nebelbandenmitglied vorbei. Nach Hause, ich musste einfach nach Hause. „Du willst einfach so, vor deiner Bestimmung weglaufen?“ Ich hielt inne. Meine Bestimmung? Konnte ich in Borg meine Bestimmung sehen? Wie sollte mir Borg dabei helfen, zu wissen was ich hier sollte? Wobei... wenn mein Borg vielleicht stark genug war... Was, wenn ich es nicht einsetzte? Was wenn ich jetzt einfach nach Hause ging und weiter machte wie bisher? Andererseits, was wenn ich Kassim weiter zuhörte? Würde ich dann enden, wie es mit Alibaba passiert war? Wobei, wenn ich lang genug überlebte und mich vielleicht an Kassim hielt... Ja... vielleicht konnte ich Borg, um die anderen zu treffen und so einen weiteren Schritt zu mir nach Hause zu finden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)