Im Zeichen des Rukh von Erenya ================================================================================ Kapitel 1: Balbadd ------------------ Tropfend stand ich da und blickte zu meinem Retter, der mich scheinbar mühelos aus dem Wasser zurück ans Land gezogen hatte. Ich hatte schnell mitbekommen, dass ich nicht weit vom Ufer gewesen sein musste, was meine panische Reaktion natürlich nur noch peinlicher gemacht hatte. Immerhin war dies das Meer gewesen und keine Pfütze. Das rettende Ufer war mit Steinen gepflastert und nicht unweit von mir, sah ich aus dem Augenwinkel einen breiten, langen Holzsteg, welcher darauf hinwies, dass wir wohl in einem Hafen waren. Verdammter Ugo. Ich hatte gedacht er schickt mich nach Hause! Das hier war alles andere aber nicht mein Zuhause! Seufzend strich ich eine nasse Strähne aus meinem Gesicht und sah zu dem Mann, der mich herausgezogen hatte. Als ich sein Gesicht sah, schien es, als hätte Thor den Blitz der Erkenntnis über mich einschlagen lassen. Diese Dreadlocks, diese verdunkelten, hoffnungslosen Augen hätte ich wohl überall wieder erkannt. Aber das konnte doch nicht sein! Wie war das möglich? „Uhm... Danke...“, war alles was ich hervor pressen konnte. Ich war mir ja nicht einmal sicher, ob er mich verstehen würde. Meines Wissens nach sprach er kein Deutsch. Wobei, das was ich gesagt hatte, auch nicht wie deutsch klang. Aber da ich mir der Bedeutung der Worte so bewusst war... Gott ich musste mir den Kopf am Hafenbecken angeschlagen haben. „Wer war das?“, fragte er sofort, ohne auch nur auf mein Danke zu reagieren. Und ich verstand ihn. Seltsam. Sprach er doch Deutsch, war das Deutsch? In meinem Kopf ratterte es. Was meinte er überhaupt mit 'Wer war das?'? Hatte er meinen Sturz ins Meer etwa nicht gesehen? Mein Blick glitt hinter mich, dahin wo ich bis vor wenigen Sekunden noch um mein Leben geplantscht hatte. Vorsichtig sah ich gen Himmel. Da war keine Tür, nichts. Einfach unglaublich... Gemessen an meiner Fallzeit grenzte es an ein Wunder, dass ich den Sturz ins Wasser überlebt hatte. Andere überstanden nicht einmal einen Bauchklatscher. Vielleicht sollte ich mich zur nächsten Turmspringer WM von Stefan Raab melden... nah besser nicht, das Problem, dass ich nicht schwimmen konnte, blieb ja dennoch bestehen. Aber gute Frage, wer war das gewesen? Oder was? Warum war ich bei Ugo gewesen? „Keine Ahnung... Ich erinnere mich an... einen Mann mit Kufiya und Dornen...“, antwortete ich seltsam ruhig, obwohl das nun alles andere als der richtige Moment war um ruhig zu sein. „Diese verdammten Adligen...“, zischte der Mann, den ich sofort wieder ansah. Allerdings erkannte ich nur noch wie die Dreadlocks sich nach einer Drehung ruhig auf seine Schulter legten und er in eine Richtung davon lief, ohne mir weitere Instruktionen zu geben oder irgendetwas zu erklären. Blinzelnd sah ich ihm nach, bis schließlich endgültig die Gewissheit zu mir vor gesickert war, wer dieser Dreadlocksträger war zusammen in Verbindung mit der Tatsache, wer Ugo war. „Kassim... Ugo... Das ist... das ist...“ Das war das Magi-Universum, zumindest würde es das sein, wenn mir noch weitere Figuren aus dem Fandom begegneten und ich zweifelte eindeutig nicht daran. „Was ist denn mit ihr passiert?“ „Weiß nicht... Einer ihrer Freier hat sie wohl versucht zu ertränken.“ „Sollten wir ihr nichts zum überwerfen geben?“ „Spinnst du? Wenn ihr Freier vermögend ist, wird es schon seinen Grund haben, warum sie tot sein sollte.“ Am Rande nahm ich die Blicke wahr, die auf mir ruhten. Ebenso lauschte ich den vertrauten und doch fremden Worten der Bewohner. Ihre Worte verwunderten mich aber. Ich hätte eher gedacht, dass sie sich über meine Klei- Ich blickte an mir hinab und sah... nichts. Also abgesehen von meiner nackten Haut sah ich nichts. Wie von selbst, schlug ich meine Hände vor die Brüste und lief puterrot an. Das war peinlich. Sehr peinlich und wenn ich Ugo das nächste Mal sah, musste ich wirklich ein sehr ernstes Wörtchen mit ihm sprechen. Man schickte eine Frau nicht einfach so nackt in eine andere Welt. Er hatte mich als unförmiges Etwas also doch nicht richtig verstanden. Scheiße. Ich war nackt. Peinlicher konnte das doch nicht sein. Hektisch sah ich mich um, erkannte aber in greifbarer Nähe nichts, womit ich mich verhüllen konnte. Schaulustigen ausgesetzt, hatte ich damit keine andere Wahl als loszulaufen und mir einfach erst einmal ein sicheres Eckchen zu suchen, wo unter Umständen auch Sachen für mich waren. In einer kleinen Gasse hatte ich mich vor den Blicken aller zurückgezogen und sogleich etwas gefunden, dass man gut als Kleidung verwenden konnte. Oder viel mehr dazu machen konnte. Ein großes, schmutziges weißes Tuch hatte dort zerschlissen gelegen und mit aller Kraft die ich noch aufbrachte, das Schwimmen und Rennen hatte mich einiges gekostet, zerriss ich es in zwei Teile. Wobei das obere Teil viel zu schmal geworden war. Doch was nützte Jammern? Ich war kein Schneider, man würde es mir also verzeihen. Dennoch, ich hoffte, dass sich die Stoffteile nicht in Wohlgefallen auflösten, bevor ich vielleicht anständige Sachen hatten. Während ich mir den schmalen ersten Stofffetzen um die Oberweite band, mit dem Knoten mittig, damit ich es fester ziehen konnte, sollte es rutschen, dachte ich über meine Situation nach. Da Kassim hier war, befand ich mich wohl in Balbadd. Da er hier war, befand ich mich storytechnisch entweder vor dem Balbadd Arc oder mittendrin. Das war noch schwer herauszufinden, sollte wohl aber vorerst mein kleinstes Problem sein. Allen Anschein nach war es zumindest noch ruhig genug um nackt in Balbadd spazieren gehen zu können, wobei ich dank provisorischen Brustschutz und Rock darauf nun verzichten konnte. Allerdings... kratzte der Stofffetzen. Verdammt. Warum hatte Ugo mich nicht mit einer kleinen Ausstattung in Form von Sachen hier her schicken können? Aber nein, da machte man das lieber so wie Gott mich erschaffen hatte. Das Schlimmste daran war aber, dass es für die Leute hier kein sonderlich ungewohnter Anblick gewesen zu sein schien. In Deutschland hätte man dafür sofort eine Anzeige wegen öffentlichen Ärgernis bekommen. Seufzend lief ich wieder gen Ausgang der Gasse. Immerhin diese Anzeige würde mir verschont bleiben. Die Frage war nun aber, was machte ich? Balbadd war ein fremdes Gebiet für mich. Für den Fall dass ich länger hier war, brauchte ich eine Unterkunft und dafür wiederum Geld. Letzteres hatte ich genauso wenig wie Klamotten. Sonst hätte ich mir die damit gekauft. Ich brauchte einen Plan. Einen guten, denn in Sachen Überlebenskunst war ich nicht gerade gut ausgebildet. Ich bezweifelte sogar, das mein modernes Wissen dafür reichte, um hier irgendwie kurzzeitig Fuß zu fassen. Von Medizin hatte ich keine Ahnung, geschweige denn vom Recht, was hier sowieso sinnlos war, oder von anderen Sachen. Verdammte Scheune. Langsam, die Arme vor der Brust verschränkt, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Oberweite weiterhin Frischluft suchte, lief ich ein Stück den Weg zurück, den ich gekommen war. Ich wollte an sich zum Hafen zurück, allerdings war mein Orientierungssinn nicht der beste und dank der Aufregung hatte ich mir keine Stände oder Zeichen gemerkt, die mir die Orientierung leichter machten. Das war mal wieder so typisch. Hals über Kopf tat ich etwas, ohne darüber groß nachzudenken. Und das nur dank meiner zu früh agierenden Schamgrenze. Da fragte ich mich doch ernsthaft, wie es Sinbad schaffte sich da noch Menschen zu zeigen. Sicher war das irgend so eine Männersache. Nachdenklich folgte ich dem Weg einfach immer gerade aus. Auch wenn mir klar war, dass ich mich verlaufen würde, was sollte ich sonst tun? Hier würde mir keine Pfadfinderregel meiner Welt helfen. Es gab keine Pfadfinderregeln für das Eindringen in andere Welten, oder viel mehr für das Eindringen in eine imaginäre Welt. Inmitten des Weges blieb ich stehen, als ich realisierte, dass hier, dicht an dicht die Händler ihre Waren verkauften. Neugierig streiften meine Blicke zu den Ständen unter denen man wirklich alles finden konnte. Fische, Juwelen, Früchte. Die Stimmen der Verkäufer wurden lauter, priesen ihre Waren an, als seien sie das beste der Welt, doch in Anbetracht der Kleidung aller Umstehenden, musste ich gestehen, dass sie wohl kaum Erfolg haben würden. Richtig. Da war ja etwas. Balbadd war verarmt. Nur die Adligen hatten genug Geld, die meisten Menschen hingegen litten Hunger und jene die es nicht taten, kämpften doch jeden Tag ums nackte Überleben. Eine grausige Welt, in einem doch sonst so schönen Paradies. Genauer sah ich mich in meiner nähen Umgebung um. Der Hafen, an dem ich befand, wirkte glamourös, vermögend und mächtig. Große Handelsschiffe lagen vor Anker und zwischen ihnen schienen die kleinen Fischerboote friedlich zu koexistieren. Eine Illusion, ganz bestimmt eine schöne Maske die Balbadd zu etwas machte, was es nicht wahr. Eigentlich vollständig Herrscherlos. Ohne eine klare Linie, ohne Chancen. Mich fröstelte es unweigerlich bei diesem Gedanken, weswegen ich sie versuchte von der Wahrheit abzuwenden. Die Illusion war da doch viel schöner. Ich meine, Balbadd war ein Paradies. Saubere Luft, ein weiter Blick aufs Meer, in dessen Ferne man vereinzelte Inseln sehen konnte und das Rauschen der Wellen. Irgendwo, ganz weit von hier weg, musste Sindria liegen. Sinbads Reich, ein noch größeres Paradies, ein wahres Paradies. Nein, nein, nur nicht daran denken, was Balbadd wirklich war. „Bitte, so gebt mir doch etwas Brot. Mein Kind brauch Essen.“ Nicht unweit von mir, riss die Stimme einer Frau mich aus dieser Illusion heraus. Sie wirkte abgemagert und ich war mir nicht sicher, ob das Kind in ihrem Arm überhaupt noch lebte. Flehend klammerte sie sich an einen Seefahrer, der sie leicht, aber für sie doch sehr wuchtvoll von sich stieß, wodurch sie zu Boden fiel. Ein Bild, das wohl alltäglich war, denn niemand schien sich um diese Frau zu kümmern. Unsicher, ob ich ihr helfen konnte und wenn ja wie, beobachtete ich die Frau, die sich aufrappelte und erneut weiter bettelte. Dabei ging sie gezielt auf jene zu, deren Kleidung nicht so zerschunden war, wie die der anderen, die augenscheinlich nur versuchten mit einem kleinen Tageslohn über die Runden zu kommen. Niemand half ihr. Niemand schien ihr zuzuhören. Erneut wurde mir klar, dass dies hier definitiv nicht die Gegenwart sein konnte, auch wenn ich nicht bezweifelte, dass es dieses Bild nicht auch in meiner Welt geben konnte. Hunger und Not gab es auch in meiner Welt, doch dort heuchelten die Menschen wenigstens Anteilnahme. Hier gab es nichts davon zu sehen. Jeder war sich selbst am nächsten. Ein leises Seufzen ausstoßend, lief ich weiter und sah mich etwas um. Seltsamerweise blieb ich am Hafen. Etwas in mir fürchtete sich davor, tiefer ins Innere Balbadds vorzudringen. Vielleicht hoffte ich irgendwo noch eine geheime Tür zu sehen, die mich zurück in meine Welt führte. Doch ich hielt diesen Marsch, bei dem ich immer mehr Leid als Reichtum sah, nicht länger aus. Meine nackten Füße schmerzten, auch wenn ich den Unrat wie bei mir Zuhause eher weniger fürchten musste. Ich schleppte mich allerdings noch bis zu einer Stelle am Hafen, an der ich mich gut unbeobachtet fühlte und ließ mich auf einer Holzkiste nieder. Es verstrich einige Zeit, in der ich meine Gedanken ruhen und meine Umgebung auf mich wirken ließ. Es war wirklich angenehm warm in Balbadd, wenn nicht sogar für mich zu heiß. Mit Sicherheit bekam ich einen Sonnenbrand, denn auch hier besaß ich meine alt typische Kellerbräune, oder Bäckerbräune, wie sie mein alter Herr nannte. Irgendwo musste ich einen Unterkunft finden, um nicht zu verbrutzeln, denn neben dem Ertrinken in einer Pfütze war auch das Sterben an einem Sonnenbrand mehr als lächerlich und erbärmlich. „+~% #§$ &~+?“, stieß ich seufzend aus, stockte aber plötzlich. Was hatte ich da gesagt? Blinzelnd dachte ich darüber nach. Ich hatte doch eben auf deutsch gefragt, was ich tun sollte, oder? „ß$& =§$ ^ß+ $*/^%°?“ Verwundert griff ich mir an die Kehle. Ich hatte mich nicht getäuscht und das war kein Scherz. Ich sprach deutsch, aber ich verstand es nicht als deutsch. Dennoch wusste ich, was ich gesagt hatte, aber ich verstand es nicht so wie ich die Sprache Kassims verstanden oder sie selbst gesprochen hatte. Was war hier nur los? „#/§& =ß= ß $§]?“ What did I say? Das hatte ich definitiv gesagt, aber es kam nicht heraus, wie es herauskommen sollte. Panik kroch in meinem Körper hoch. „#§&§$/ß #§ ^%^+]§ =^$~.“ Meine japanische Vorstellung... ebenfalls vollkommen fremd, obwohl mir bewusst war, was ich sagte. Wie konnte das nur passieren? Meine Hände zitterten bei jedem Wort und jeden Satz, den ich aus einer anderen Fremdsprache kannte. So viele Sprachen und sie alle klangen gleich fremd bis auf: „Mein Name ist Erenya und ich bin in Balbadd...“ Was auch immer die Menschen in Magi sprachen, es war die einzige Sprache die ich verstand. Die einzige, die in meinen Ohren so vertraut klang, als sei sie meine eigene. Was hatte Ugo mit mir gemacht? Oder war das überhaupt Ugos Werk? Ich meine, er hatte mir ja auch diesen Körper, der meinem ähnlich, aber doch anders war, gegeben. Hatte er mir dann auch die hiesige Sprache eingetrichtert? „Was passiert mit mir?“, flüsterte ich leise und holte tief Luft. Es war nicht so, dass ich wirklich Angst hatte, aber was, wenn ich niemanden mehr fand, der meine Sprache verstand oder sprach? Würde ich sie dann nicht über kurz oder lang verlernen? Würde ich meine Geschichten jemals wieder lesen können? Konnte ich hier überhaupt lesen? „Mist“, fluchte ich leise und grub meine Finger in den schmutzigen Stoff des Fetzens, der mir aktuell als Rock diente. Ich wusste augenblicklich wahrscheinlich weniger von mir, als von der Lage des Landes oder über die Charaktere des Magi-Fandoms. Und selbst dieses Wissen war begrenzt. „#§$ #ß% #ß$$^+ ß$& ^ß+ &%{[}^+, #§$ #ß% +ß*/& #ß$$^+ ^ß+^[}~^&°^“, zitierte ich fast exakt einen klugen Mann, der wahrscheinlich nie diese Welt kennengelernt hatte, aber wohl wusste wovon er sprach. Was ich wusste war wirklich nur minimal. Sehr minimal, weswegen ich seufzend meinen Kopf gegen die Hauswand lehnte. Wie alle anderen Gebäude hier am Hafen, war auch dieses auch Lehm und Stein gebaut und mit einem flachen Dach. Keine Ahnung ob das architektonisch so gut war oder nicht, aber mit Sicherheit schützte das Innere einigermaßen vor der prallen Sonne, auch wenn ich mir vorstellen konnte, dass die warme Luft durch jede vorhandene Ritze drang und demonstrierte, wie gut oder schlecht die Erbauer gewesen waren. Das Dach selbst war schon einmal so flach aufgelegt, dass es nicht überstand und so keinen Schatten für Außenstehende bot. Was für eine Gemeinheit. Der Himmel war wolkenlos, sah aus wie unserer. Eigentlich schien sich äußerlich nicht viel von meiner Welt zu unterscheiden, zumindest Natur bedingt. Irgendwie war das beruhigend auch wenn diese Erkenntnis nicht unbedingt mein Kleidungsproblem löste oder das Problem wie ich nach Hause kam, oder wer mich zu Ugo verfrachtet hatte. Stimmt... diese schwarzen Flecken, der Mann mit der Kufiya... Ich versuchte mir mehr in Erinnerung zu rufen, indem ich meine Augen schloss, doch ein starker Schmerz in meiner linken Stirnhälfte, blockierte das. Verdammt. Wie sollte ich da weiter kommen? Wann war ich verschwunden? War ich auf Arbeit gewesen? Fragen über Fragen und je mehr ich stellte, desto schlimmer wurde der Kopfschmerz und die Antworten rückten in immer weitere Ferne. Ich gab auf und starrte stattdessen in den blauen Himmel. Unwissend, was ich als nächstes tun sollte und welche Schritte ich gehen musste, welche nicht. Noch dazu verspürte ich ein Knurren im Magen. Es musste schon einiges an Zeit vergangen sein, seit meiner letzten Mahlzeit. Wobei, dass hatte nichts zu sagen. Ich neigte immerhin hin und wieder dazu, auch mal einen Tag komplett auf Nahrung zu verzichten. Allerdings hatte ich nun nicht mehr genug Fett um eine Ausrede für die Nahrungsverweigerung zu haben. „Sei ruhig...“, murrte ich meinen Magen an, der knurrte als würde er aus einer Schar hungriger Wölfe bestehen. Natürlich hörte er nicht auf mich. Wieso sollte er auch? „Ich sagte sei ruhig, ich hab nämlich keine Ahnung wie ich dich füllen soll... und wenn du nicht die Klappe hältst, kann ich nicht denken...“ Ein Glück war ich ziemlich abgelegen hier, wo ich gerade saß, denn sonst hätte man mit Sicherheit geglaubt, dass ich sie nicht mehr alle hatte. Wer sprach schon mit seinem Magen, als sei er eine Person, die die Worte verstand? Denken... Wie sollte ich mit so einem Loch im Magen denken? Oder mit so vielen offenen Fragen? Wie sollte ich wissen, was ich als nächstes tun sollte, wenn mir diese ganze Welt so vollkommen fremd war? Ohne Geld, ohne Wissen... was sollte ich da schon tun? Ich öffnete meine Augen und sah ratlos in den Himmel, wo seltsame, leuchtende Vögel flatterten. Vögel? Ich versuchte mich auf die beweglichen Wesen zu fokussieren, was schwierig war, da sie so hell zu strahlen schienen. Nein, diese Dinger waren kleiner als Vögel. Seltsam. Solche Wesen kannte ich nicht. Wobei nein, falsch, ich kannte sie schon irgendwie, aber nicht aus meiner Welt. Dennoch, es war unmöglich. Ich sah vom Himmel und ließ meinen Blick durch meine nahe Umgebung schweifen. Hier störte nicht das Licht des Himmels, daher musste ich sie doch rein theoretisch auch hier sehen, wenn mir meine Augen keinen Streich gespielt hatten. Ich musste immer wieder die Augen etwas zusammenkneifen, doch schließlich fand ich diese Lichtvögel wieder. Ich sah sie wirklich, hier ganz in meiner Nähe und sie flogen in Richtung einer Gasse. War das ein Zeichen? Wollten sie mir den Weg weisen? Unsicher, erhob ich mich von meinem Platz und wog die Für und Wider ab. Was hatte ich eigentlich schon zu verlieren? Ich meine, ich war hier bereits verloren. Warum also nicht ein Risiko eingehen und ungefährlichen Irrlichtern, oder wohl eher ehemaligen Seelen folgen? Sie wussten sicher, wie ich weiterkommen würde. Sofort wandte ich mich von der Kiste ab und folgte den Lichtern in die Gasse. Auf irgendetwas musste ich nun vertrauen, denn schlimmer als meine Lage war, konnte sie doch nicht mehr werden. Außer mein provisorisches Oberteil verabschiedete sich, aber das konnte man immerhin wieder festbinden. Wenn ich die Lichtvögel nicht mehr sah, hielt ich inne und versuchte sie erneut zu finden, was meist auch gut funktionierte. Sie wiesen mir einen Weg ins Ungewisse und mit jedem Schritt nagte der Hunger mehr an mir. Ich hatte mich schon viel zu weit vom Hafen entfernt, war an einem Armenviertel vorbei gekommen, hatte das Adelsviertel ansatzweise gesehen und befand mich nun im Mittelpunkt Balbadds. Vor mir erstreckte sich der Palast, in dem eigentlich Alibaba herrschen sollte, doch dort herrschte kein Alibaba. Nur ein gieriger kleiner Zwerg, dem die Belange des Volkes vollständig egal zu sein schienen. Zumindest hatte ich hinter vorgehaltener Hand noch keinen von den Bewohnern gut über den König reden hören. Wenn man sich die düstersten Stellen Balbadds ansah, war das auch kein Wunder. Ohne die Vögel hätte ich mich kaum tiefer in dieses Balbadd gewagt und gerade jetzt, als ich ihnen noch so blind folgte, bereute ich es. Was, wenn mir etwas schlimmes widerfuhr? Konnte es schlimmer werden als ohnehin schon? Unsicher hielt ich in meinen Schritten inne und beobachtet die Vögel, die wissend flatterten. Waren sie gut oder schlecht? War es normal, das ICH sie sehen konnte? Immerhin sahen die normalen Menschen sie nicht, so zumindest die Theorie und Praxis der Serie. Warum also ich? Da stimmte doch etwas nicht. 'Es ist das Magi-Fandom... eigentlich... sollte ich ihnen doch vertrauen, oder?' Ich schluckte schwer, denn so ganz sicher war ich mir nun doch nicht. Nur weil das Magi-Fandom die weißen Lichtvögel immer als ein Zeichen der Guten darstellte, musste das doch nicht auf mich zutreffen. Ich war kein Teil dieser Welt, sondern ein Eindringling. Allerdings, hatte ich eine andere Wahl? Ich sah zurück in die Richtung aus der ich gekommen war. Was dort auf mich wartete, wenn ich wieder zurückging, war doch genauso ungewiss, wie das was vor mir lag, wenn ich den Lichtvögeln folgte. Auch wenn das naiv war. Ich hatte nur die Wahl zwischen zwei Wegen. Vor oder zurück. Es dauerte einige Zeit, bis ich meine endgültige Entscheidung traf und schließlich den Lichtvögeln auch weiterhin vertraute. Vor oder zurück, eine Entscheidung, die ich oft genug in meinem Leben treffen musste. Wie viele andere Menschen auch. Ich weiß nicht, wieso ich so unauffällig wirkte. Vielleicht lag es daran, dass ich wie die anderen hier aussah und man das zerrissene Tuch eben nicht direkt als solches ansah, oder es normal war, dass die Armen sich an dem bedienten, was sie hatten. Die Armen. Auch wenn mir der Gedanke missfiel, ich gehörte eindeutig dazu. Ich hatte in dieser Welt nichts, außer meinem Leben und der Hoffnung, dass die Lichtvögel meine Lage wirklich nicht schlimmer machten. Wobei ich mein Leben auch nicht mehr lange hatte, wenn der Hunger weiter an meinem fettlosen Körper nagte. Vielleicht hätte ich doch besser in der Pfütze ertrinken sollen, dann hätte ich alles schon hinter mir gehabt. Schritt um Schritt setzte ich voran, bis ich plötzlich inne hielt, als die Lichtvögel aufgeregt um zwei Damen herumflatterten. Was wollten sie mir damit sagen? Sollte ich diese Klappergestelle essen? Nein, an ihnen war definitiv nicht genug dran. Satt würde ich davon schon mal gar nicht werden. Wobei, das war auch ein absurder Gedanke, den ich einzig meinem knurrenden Magen verdankte, der sich wieder deutlich bemerkbar machte und scheinbar sagen wollte „Hör auf zu denken, ess einfach was dir entgegen springt.“ Mit Sicherheit würde ich das nicht tun. Kannibal Holocaust sollte nicht sein Remake im Magi-Fandom erfahren. Dennoch, wenn mir die Lichtvögel etwas damit sagen wollten, musste ich es nur herausfinden und das konnte ich nur, indem ich auf die Ladys zuging und sie ansprach. Problem Nummer eins... ich war schüchtern. Glaubte ich zumindest. Manchmal war ich es, andererseits gab es auch Momente in denen ich es nicht war. Was für einer würde es wohl dieses Mal sein? „Entschuldigung!“ Okay, dieses Mal war es nicht die schüchterne Variante, was ich vielleicht auch meinem unglaublichen Hunger verdankte. Hirn und Scham hatten da gemeinsam Feierabend gemacht und waren dem großen Biest gewichen. Die Aufmerksamkeit der beiden Damen wandte sich meiner Wenigkeit zu. Ich setzte ein freundliches Lächeln auf und versuchte nicht ganz so erbärmlich zu wirken, wie ich es wohl gerade tat. „Ich brauche etwas Hilfe.“ Natürlich, fallen wir gleich mit der Tür ins Haus. Erde an Kopf, bitte überlasse nicht nur dem Bauch das Reden! „Ich wurde von Räubern überfallen und sie haben mich im wahrsten Sinne des Wortes nackt gemacht. Ich suche Arbeit womit ich mir Geld für eine Unterkunft verdienen kann. Und für etwas zu essen.“ Misstrauisch sahen mich die beiden Damen an. Kein Wunder. Hätte ich auch gemacht. Aber immerhin erwies sich die Ausrede mit den Räubern doch als sehr glaubwürdig. Ich meine, sie hatten selbst Sinbad... ich meine sie würden selbst Sinbad das letzte Hemd rauben. Unglaublich, dass er so dicht gewesen war, dass er das nicht bemerkt hatte. „Die Räuber schon wieder. Langsam werden sie wirklich zur Qual... Irgendwann schrecken sie nicht einmal vor dem Inneren der Stadt zurück...“ Eine der Frauen, sie hatte langes, blondes Haar, welches sie lockig nach oben gesteckt hatte, wodurch sie mehr Haarvolumen hatte, verschränkte die Arme, während sie scheinbar mit sich selbst, oder ihrer Freundin, die Situation über die Räuber abklärte. Es war eindeutig, dass diese Schönheit, immerhin entsprach sie mehr dem Schönheitsideal, welches meine Welt haben sollte (nicht zu viel nicht zu wenig Frau und schöne Rundungen), nicht mich direkt damit ansprach. „Nun schrecken sie nicht einmal vor Frauen zurück, auch wenn es schon sehr erstaunlich ist, dass sie noch lebt und nicht an Sklavenhändler verkauft wurde.“ Die zweite Frau, sie hatte kurze schwarze Haare und katzenartige, grüne Augen, war während sie gesprochen hatte, näher auf mich zu getreten und betrachtete mich von allen Seiten. „Sie ist eben nichts außergewöhnliches. Wäre sie eine Fanalis, hätte man sicher nicht davor zurückgeschreckt sie zu verkaufen.“ „Wäre sie eine Fanalis, wäre sie nicht ausgeraubt worden“, konterte jene, dich mich abschließend ansah und zurück zu ihrer Freundin, der Schönheit, ging. 'Äh... ich stehe noch hier. Es wäre also nett, wenn Sie meine Frage beantworten oder mich zum Teufel jagen würden, statt vor mir über mich zu lästern.' Hätte ich sagen können, aber ich schwieg und sah die beiden Damen unentwegt an, während sie angeheitert darüber sprachen, was für ein Glück, oder Unglück ich hatte, dass ich nicht versklavt worden war. So sicher war ich mir nicht, denn als normal bezeichnet zu werden, mal davon abgesehen, dass ich normal war, wurde ich nicht gerne. „Oh Richtig, sucht Assad nicht noch ein neues Mädchen? Thymia ist doch ausgewandert.“ Die Schönheit schien auf einmal einen Geistesblitz zu haben und sah mich an, wobei die Blicke ihrer meerblauen Augen eher zweifelnd als prüfend waren. „Wobei... meinst du sie könnte Thymia ersetzen?“ Ihre Worte waren an die Freundin mit den Katzenaugen gerichtet, die ebenfalls nachdenklich drein schaute. Wovon sprachen sie eigentlich? Wen sollte ich wieso ersetzen? „Da fragen wir Assad besser selbst. Er weiß was die Kundschaft mag.“ Als wären sie sich beide einig, was es zu tun gab, packten sie mich, jede von ihnen ergriff jeweils ein Handgelenk, und zogen mich einen Weg ins Ungewisse entlang. Assad entpuppte sich als großer, muskulöser Mann mit gebräunten Teint und schwarzen Haaren. Sein Blick ruhte unverschämt ernst auf mir, während die Hände der beiden Damen, die mich zu ihm geführt hatten, auf meinen Schultern verweilten. Auf dem Weg zum Etablissement hatten sie sich mir als Korean und Lapis vorgestellt. Sie schienen Freunde des grummelig wirkenden Assad zu sein, denn anders als mich, schreckte sie sein Blick nicht zurück. „Und was meinst du, Assad, kannst du ihre Hilfe brauchen?“, fragte die Schönheit Lapis schließlich. „Du brauchst sowieso ein Mädchen!“, ergänzte Korean und versuchte so Assads Entscheidung zu beeinflussen. „Sonderlich hübsch ist sie nicht...“ Das Urteils Assads war für mich nieder schmetternd. Sicher, ich war nicht sonderlich hübsch und wahrscheinlich auch nicht exotisch, aber musste er das so direkt sagen? „Sie ist sehr blass, wirkt kränklich und schwach... so etwas kann ich nicht auf die Kundschaft loslassen.“ Damit schien er seine Entscheidung endgültig gefällt zu haben, doch Lapis Griff an meiner Schulter wurde fester. „W-Warte! Gerade das macht doch ihren Charme aus. Sie wirkt schwach und kränklich. Jeder Kunde wird ihr alles abkaufen, ob Wein oder Früchte, nur damit sie nicht mehr so schwer tragen muss. Du weißt schon, der Beschützerinstinkt. Und wenn sie als Bedienung nicht taugt, dann hat sie sicher andere Fähigkeiten, die dir nützlich sein können, dazu musst du sie aber erst einmal besser kennenlernen.“ Besser kennenlernen? Wovon sprach Lapis? Ich kannte sie und Korean gerade mal zehn Minuten wenn es hoch kam und schon tat sie so, als sei ich eine Brieftaubenfreundin die sie schon seit Jahren kannte. „...“ Assad schwieg auf ihren Einwand, sah mich aber erneut an, als würde etwas durch seinen Kopf gehen. „Kannst du tanzen?“, fragte er schließlich. „Nein.“ „Kannst du ein Instrument spielen?“ „Nein.“ „Kannst du Kunststücke?“ „Nicht wirklich...“ Das Gespräch wurde unangenehm. Ich konnte nun wirklich nicht viel. Und hey, ich beherrschte das Keyboard ein wenig, allerdings war ich weit davon entfernt behaupten zu können, dass ich es spielte. „Kannst du massieren?“ „Vielleicht?“ „Was heißt hier 'vielleicht', kannst du es oder nicht?“ Assads Stimme wurde eindringlicher und mit jeder negativen Antwort die ich gab, schien es ihn mehr auf die Palme zu bringen, dass ich so nutzlos war. „So ein wenig...“ Ja was sollte ich auch antworten. Ich hatte in meiner Welt ein Buch über Massagen, die einzige die ich aber je angewandt hatte, war irgendeine mit der man die Muskeln warm rieb. Ich wusste also gerade so, dass man mit der Streichung begann, bevor man ans Eingemachte ging. „Absolut nutzlos...“ Erneut ein wirklich sehr direktes Urteil. Wahrscheinlich war ich wirklich absolut nutzlos für sein Geschäft. Ich war zumindest kurz davor mich bei Lapis und Korean zu bedanken und zu gehen, als ich wieder diese Lichtvögel bei Assad sah. „Warte!“ Eilig, ohne darüber nachzudenken, als sei es wegen dieser Vögel ein Reflex gewesen, hielt ich Assad am Handgelenk fest. „Ich kann singen und Geschichten erzählen. Niemand hier wird dir so gute Geschichten erzählen wie ich! Damit kann ich deine Kunden sicher unterhalten.“ Das war ein wenig hoch gegriffen. Sehr hoch sogar. In meiner Welt gab es genug Menschen die bessere Geschichten erzählten als ich, aber dieser Job war in greifbarer Nähe und mit ihm das Geld für eine vernünftige Unterkunft, Kleidung und Essen. Wenn diese Lichtvögel mir schon diesen Wink gegeben hatten, durfte ich diese Chance einfach nicht ziehen lassen. Kühl sah mich Assad an, und entzog sich meinem Griff, was ich als eindeutige Geste sah. Das was ich bieten konnte schien nicht gut genug zu sein. „Lapis, Korean, gebt ihr ordentliche Kleidung. Wir werden ja sehen, ob ihre Geschichten wirklich so gut sind.“ Ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen, zog sich Assad in sein Geschäft zurück. Nur langsam sackte das, was er gesagt hatte in meinen Geist. Nur langsam wurde ich mir bewusst, dass ich so eben meinen ersten Job im Magi-Universum ergattert hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)