Vergiss Mein Nicht von miss-always ================================================================================ Kapitel 10: Gerüchte -------------------- ------------------------------------------------------------------------------------- Die Männer in der Runde lachten, als Dom seine Geschichte über eine Auseinandersetzung mit dem Gesetz erläutert hatte. Acht Männer saßen rund um einen Tisch; Zigarettenrauch vernebelte die Luft, und es standen hochprozentige Drinks auf dem Tisch. Karten wurden ausgeteilt. Paul war einer dieser Männer in der Runde. Er leerte gerade ein Glas Whiskey auf Eis; als er schluckte, brannte das Getränk in seiner Kehle. Er spürte schon jetzt einen leichten Schwindel in sich aufsteigen; der Kopf duselte ihm. Jedoch hielt sich alles noch in Grenzen, wie er fand. Er traf den Blick von Dom; dieser lächelte und nickte Paul zu. „Noch einen Drink, Paul?“, fragte er, doch ohne eine Antwort abzuwarten, goss er ihm ein. Paul verneinte jedoch nicht, sondern grinste nur. „Ich habe vier Fünfer“, grunzte Lenny, ein düster aussehender Kerl mit schwarzem Haar und einer breiten Narbe im Gesicht. Paul kannte ihn noch nicht lange; doch das, was er von Dom gehört hatte, ließ ihn lieber auf Abstand gehen. Zwei Männer stöhnten und schmissen ihre Karten auf den Tisch; Paul, der ein gutes Blatt besaß, schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, ich geh mit. Fünf Fünfer.“ Lenny lachte; er fixierte Paul aus seinem dunklen Augen, fast wie eine Beute. Paul jedoch das störte das nicht wirklich. Als er sich zurücklehnte, spürte er deutlich den Druck von dem Gegenstand, den er heute heimlich mitgebracht hatte, in seinem unteren Rücken, nahe des Gürtelrandes. „Tommy, was meinst du? Ziehst du?“, raunte Paul, und der braunhaarige Mann mit Namen Tommy nickte. Tommy war groß und hager; doch auch aus der eher zwielichtigen Gegend. „Sicher. Diesmal gewinnst du nicht, Paul. Du hattest ein gutes Blatt, mehr nicht.“ „Ach, Schnauze.“ Dom lachte; er goss den anderen Männern ebenfalls ein; bei Paul's Glas stoppte er. „Paul, trink aus. Ex oder Bulle.“ Paul schnaubte; er tat jedoch wie befohlen. Als es später wurde, dröhnte der Alkohol nicht nur Paul im Kopf herum. Die Gespräche wurden lauer, härter, illegaler. Paul bekam nicht unbedingt viel mit; er hatte sein Handy aus der Hosentasche gezogen und schaute seine Nachrichten nach. Eine sah er auf dem Bildschirm blinken. Als er sie öffnete, lächelte er in sich hinein. Sie war von Pamela. Selbst in digitaler Form schienen die Worte schöner auszusehen wenn er sie las, wenn er sie aufnahm. „Gute Nacht, Paul, wir sehen uns am Donnerstag bei KFC“, stand darin. „.... Und ich habe gehört, er soll seine Neffin ficken.“ Die Worte rissen Paul aus den Gedanken. Rasch ließ er sein Handy wieder in seine Tasche gleiten. Er sah sich verstört um; die Männer in der Runde lachten. „Wer fickt seine Neffin?“, stieß Paul hervor; etwas brennendes breitete sich unter seiner Haut aus, er spürte es genau. Es wanderte von seinen Schläfen zu seinen Wangenknochen und ließ sich nicht wegreiben. Tommy hob den Blick; er stieß den Rauch seiner Zigarette aus, während er Paul streng musterte. Es wurde stiller als zuvor. „Wieso? Hast du gerade etwa geträumt, oder warum guckst du so blöd aus der Wäsche?“, gackerte Tommy. Paul schnaubte erneut. „Nee, ich hab nur was nachgeschaut. Also, sag, wer fickt seine Neffin?“ „Sag ich dir nicht. Da hättest du schon zuhören müssen. Du wärst wahrscheinlich auch so ein Kandidat, der seine Neffin vögeln würde. Ohja. Du würdest sogar deine Neffin vögeln, wenn sie minderjährig wäre. So ein Typ bist du, Paul.“ Paul spürte eine heiße Welle der Wut in sich aufkochen; er starrte Tommy verständnislos und mit leicht zusammengepressten Augen an. Tommy erwiderte diesen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Tommy, halt die Klappe... Paul vögelt gern, aber keine Teenies.“, brummte Dom, bevor er einen Schluck Whiskey nahm. Paul ließ Tommy nicht aus den Augen. „Sag das nochmal, du Bastard“, fauchte er ihm zu, während Tommy sich über den Tisch hinweg zu ihm herüber beugte. „Ich sagte, du würdest sogar deine Neffin ficken, wenn sie noch minderjährig wäre, so ein Wichser bist du, Paul.“ „Paul....“, warnte Dom, doch Paul war bereits aufgestanden, mit einem lauten Rucken war der Stuhl, auf dem er gerade noch gesessen hatte, umgefallen; Tommy rührte keine Miene. „Wag es noch einmal, du mieser kleiner....“, zischte Paul, während er seine Hände zu Fäusten ballte. Tommy stand ebenfalls auf, und mit ihm einige mehr der Männer. Dom knackte mit seinen Schultern. „Was denn, Paul? Rastet du gerade etwa so aus, weil es die Wahrheit ist? Ich weiß genau, dass du sowas wie ne Neffin hast, die ist echt heiß, und die hängt doch so oft bei euch ab... Konntest sicher deine Scheiß Finger nicht von der Alten lassen, was?“ Tommy's Worte waren wie Gift für Paul's Herz und Seele, und es schmerzte. Mit jedem Zittern mehr in seinem Körper wurde ihm bewusst, dass Tommy der Wahrheit näher kam als ihm lieb war. Dom sah zwischen den beiden aufgebrachten Männern hin und her. Die Stimmung kippte ins Bedrohliche. „Wie redest du da über meine verdammte Familie, du Affe? Geht's dir noch gut??“,blaffte Paul, doch Tommy spuckte nur auf den Tisch. „Bin doch nicht blöd, du Perverser“, raunte er. Paul biss sich auf die Lippen; als Tommy den Blick immer noch nicht abwandte und nochmals auf den Tisch spuckte, riss ihm der Geduldsfaden. Es dauerte keine zwei Sekunden, da riss er mit einer schnellen Bewegung eine Waffe aus seinem Gürtel, dort, wo er sie schon die ganze Zeit hatte sitzen lassen. Wildes Gebrüll begann den vernebelten Raum zu erfüllen. Dom riss Paul an der Schulter herum und schrie ihm ins Gesicht: „Gott verdammt, Paul, geht’s noch? Pack die Scheiß Waffe weg!“ Doch Paul hörte nicht. Er richtete die Waffe mit dem silbernen Lauf erneut auf Tommy, der nur bitter lachte. „Du bist so arm, Paul, so arm. Was ist, willst du mich abknallen? Nur weil ich nen blöden Witz gerissen hab?“ Lenny warf Paul einen warnenden Blick zu; Paul ließ die Waffe etwas sinken. „Halt meine Familie einfach raus, ja? Ich hab keinen Bock auf so ne Scheiße.“, murrte Paul. Seine Hände sanken noch ein Stück tiefer. Dom fasste Paul an der Schulter und zog ihn ein Stück zurück. „Lass es, ist doch alles gut. Lass den Mistkerl reden.“ Es bedarf noch ein „Komm schon, Paul“ mehr, als Paul endlich die Waffe sinken ließ und sie wieder in seine Jeans steckte. Die Männer setzten sich erneut hin. „Meine Fresse, mach nächste Mal nicht so einen Aufstand. Piss' dich nicht so an, war nur ein Joke.“ Die Karten wurden neu ausgeteilt, ebenso eine neue Runde kühlen Alkohols. Zwei Stunden später schwankte Paul aus dem Hintereingang des düsteren Hauses; er ging durch den leicht verwitterten Garten seitlich hinaus bis zur Hauptstraße; die gelblichen Lampen flackerten ab und zu. Er musste sich gegen eine Laterne lehnen, da ihm der Rausch für einen kurzen Moment die Orientierung nahm. Eine Minute später und ein paar tiefe Atemzüge weiter stieß er sich wieder von der Laterne ab. Plötzlich jedoch vernahm er ein Knacken hinter sich. „Was zum....?“ Er wollte sich gerade umdrehen, da bekam er mit voller Wucht eine Glasflasche auf den Kopf geschlagen; die Flasche zersplitterte und schnitt ihm eine kleine Wunde in den seitlichen Hals. Paul stöhnte laut auf; sein Kopf schien zu platzen, jedoch fiel er nicht direkt in Ohnmacht. Er hatte noch genug Kraft, sich umzudrehen, und sah eine Faust auf sein Gesicht zufliegen. Er wich leicht schwankend aus; doch das brachte nichts. Nur eine Sekunde später traf ihn ein harter Schlag ins Gesicht, ließ seine Lippe aufplatzen. Er schmeckte Blut vermischt mit dem Scotch, den er vor einer halben Stunde noch getrunken hatte. „Du denkst auch, du stehst über allem, oder??“, brüllte eine fürchterlich angespannte Stimme, und Paul wusste, dass es Tommy war. Er sackte auf die Knie, als er einen weiteren Schlag gegen seine Schläfe spürte; sein Kopf dröhnte und er spürte, wie ihm ein glucksiges Lachen in der Kehle stecken blieb. „Komm, schlag nochmal zu, Basstard, mach...“, spuckte Paul mit einer kleinen Menge Blut aus, die sich warm in seinem Mund gesammelt hatte. Ein weiterer Schlag riss ihn endgültig aus dem Bewusstsein; die Welt wurde schwarz, und der Schmerz wurde ausgeblendet. Als er am nächsten Morgen aufwachte, lehnte er immer noch an der Laterne; es dämmerte schon, jedoch war die Sonne noch nicht ganz aufgegangen. Die Straßen waren noch leer. Als er sich leicht bewegte, fühlte sein Kopf sich an, als würde er explodieren; er schmeckte saures Blut im Mund und spürte, dass einige Stellen in seinem Gesicht mit etwas Krustigem überzogen waren. „Fuck...“, stieß er hervor, bevor er sich langsam aufrappelte und sich umsah. Niemand war da. Als er panisch seine Jeans durchsuchte, war noch alles da, alles, sogar die Waffe. Dass sie in seiner Ohnmacht und während den Schlägen nicht losgegangen war, grenzte an ein Wunder. Als er eine Stunde später noch halb betrunken, blutverkrustet und erschöpft zu Hause ankam, betete er, dass Penelope schief und ihn nicht hören würde, wenn er sich das Blut der letzten Nacht wegwaschen würde. Und er hatte gesagt, er wäre auf einer harmlosen Party gewesen... ------------------------------------------------------------------------------------------ Licht. Irgendwo her kam ein grelles Licht. Es tat ihm in den Augen weh; es stach und brannte fürchterlich im Kopf nach dem wirren Traum, den er gerade gehabt hatte. Wo war er? Er versuchte die Augen zu öffnen, doch er konnte nicht ganz. Die Lider flatterten nur kurz, und er stöhnte. Gott, irgendetwas tat schrecklich weh. Sein Stöhnen schien anscheinend etwas in seiner Umgebung auszulösen; es war ein tiefes, fast melodisches Schluchzen. „Paul....“, schluchzte der vermeintliche Mensch neben ihm; er spürte einen warmen, vertrauten Händedruck. Erst dann öffnete er langsam die Augen. Neben ihm an einem weißen Krankenbett saß Cody, die Augen heftig gerötet und verweint. Er stieß einen kurzen Schrei aus, als Paul ihn ansah, und wie schon vor einer Woche warf er sich in die Arme seines verletzten Bruders, der immer noch nicht wusste, warum er wieder im Krankenhaus war. „Gott, Paul, ich bin fast gestorben vor Angst... Mach' so etwas nie wieder! Bitte... Ich will dich nicht verlieren...“, schluchzte er in Paul's Schulter, der nur seine Arme matt um seinen kleinen Bruder schlang. Cody's bebenden Körper so nah an seinem zu fühlen löste Schmerz in ihm aus. Was war passiert? „Cody, was ist los? Wieso.. bin ich hier?“ Cody hob den Kopf nicht an; er weinte immer noch in Paul's Schulter. Seine Stimme hörte sich dadurch sehr gedämpft und hohl an, als er antwortete. „Du hast im Wagen auf dem Rückweg auf einmal so eine Art Anfall bekommen. Du hast verkrampft und wie am Spieß geschrien. Ich habe gedacht, du stirbst gleich. Ich hab dich ins Krankenhaus gefahren... Irgendwann bist du einfach weg gewesen.“ „Hm“, machte Paul, weil er nicht wusste, was man darauf antworten konnte. Er begann damit, Cody beruhigend über den Rücken und die Schulterblätter zu streichen. „Die Ärzte sagen, dein Gehirn hatte so etwas wie einen Schlaganfall. Irgendein Kurzschluss, ausgelöst durch das Trauma vom Unfall. Sie meinten, das kommt wohl öfter vor. Du wirst wohl Tabletten bekommen... Man, hatte ich eine Angst.“ Paul murrte ein leises „Shhh““, damit Cody sich wenigstens ein wenig wieder beruhigte. Dass er einen Teil seiner eher nicht so tollen Vergangenheit erlebt hatte, erzählte er Cody nicht. Da war sie nämlich gewesen, die Waffe, vor der Cody immer tierisch Angst gehabt hatte. Das Schluchzen seines Bruders klang ganz langsam ab. Nur noch mechanisch ging der Körper den Bewegungen nach. Paul, der irgendwie schon immer wusste, dass sein Bruder unglaublich sensibel war und dies auch nie hatte verbergen können, lächelte leicht. „Hee, Kleiner. Es ist alles wieder gut. Ich bin ja nicht verletzt oder so.“ Cody hob den Blick an; er verharrte auf Paul's Brust, obwohl seine Tränen langsam versiegten. „Ich glaube, ich breche mein Studium ab. Ich hab so Angst, dass etwas passiert, wenn ich wieder in Schweden bin... und ich dann nicht da bin...“ „An sowas brauchst du nicht mal im Traum zu denken. Du machst dein verdammtes Studium zu Ende.“ „Nicht, wenn es so weitergeht! Du bist mein großer Bruder, denkst du, ich lass dich in dieser harten Zeit alleine?“ „Denkst du, ich lasse zu, dass du wegen mir deine guten Chancen auf die Zukunft verbaust?“ „Ich könnte an Autos schrauben wie du...“ Paul seufzte. Er drückte Cody eng an sich, so nah, dass er dessen Herzschlag deutlich an seiner eigenen Brust spürte. Einen Moment verharrte er so; er spürte, dass sein Bruder sich sichtlich lockerte und weniger heftig atmete. Nur Cody's Herz schlug schneller, ansonsten blieb er vollkommen ruhig. „Du gehst den Weg, den du schon bestiegen hast, mein Kleiner. Keinen anderen.“ Zwei Herzschläge später drückte Paul Cody einen kurzen, aber festen Kuss auf die Stirn; dann löste sich Cody von ihm, und Paul spürte, dass seine Rippen dieses dankbar zur Kenntnis nahmen. Sie waren immerhin immer noch gebrochen. Bevor Paul ein weiteres Wort verlieren konnte, ging mit einem lauten Ruck die Tür auf, und ein Arzt kam herein. Dass Paul wieder bei Bewusstsein war, nahm er nickend zur Kenntnis. „Mister Walker, da haben Sie uns aber einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Sie hatten einen Schlag, ausgelöst durch die multiplen Traumata ihres Unfalls. Das Hämatom in Ihrem Kopf scheint einen Reflex ausgelöst zu haben, und das zentrale Nervensystem hat ein wenig verrückt gespielt. Das ist normal, jedoch behalten wir Sie für eine Nacht hier.“ „Kann ich nicht...?“, versuchte Paul einzulenken, jedoch unterbrach der Arzt ihn rasch. „Nein, wir müssen Sie noch eine Nacht zur Beobachtung hier behalten. Ihre Frau ist auch auf dem Weg hierher.“ „Danke.“ Der Arzt sah noch einmal auf das Klemmbrett, das an Paul's Bettende hing, und schnipste kurz gegen den Tropfer, der an Paul's Venen angeschlossen war, bevor er sich wieder auf den Weg machte. Paul lehnte sich zurück und stöhnte. „Auch das noch... Sie wird sich wieder viel zu sehr einen Kopf machen.“ „Was auch kein Wunder ist...“, murmelte Cody, während sein Blick auf Paul ruhte. Paul jedoch schoss nur durch den Kopf, dass sein Leben jetzt mit dem Leben, was er einst geführt hatte, nichts mehr zu tun hatte. Ihm dröhnte der Kopf. Was war eigentlich noch Wirklichkeit, und was war Traum? Erinnerungen, Träume, Bilder, James' Kopf.... Pauls Kopf sank in das weiche Kissen; seine Augenlider wurden schwerer und sackten komplett zu. Sein Herz schlug sicher, jedoch verlangsamt. James Wunden, der zerschmetterte Kopf, das Blut, das Stück Haut in dem Riss in der Windschutzscheibe... Der Geruch von verbranntem Fleisch... James Kopf... „Paul....“, hörte er Cody von weit weg fragen, er spürte erneut eine Berührung an seinem Arm, einen festen Druck, den er nicht mehr erwiderte. Was war wahr, was war falsch... Es war ein Albtraum. Wer war er wirklich? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)