Vergiss Mein Nicht von miss-always ================================================================================ Kapitel 5: Counting down the days --------------------------------- Am nächsten Morgen fühlte sich sein Kopf an, als wäre er in der Nacht explodiert. Seine Glieder schmerzten, als sei die Unfallnacht noch einmal körperlich wiederholt worden; und zu allem Übel wurde er die schrecklichen, grausamen Bilder einfach nicht mehr los, sie schwirrten in seinem Kopf umher wie ein Gespenst um Mitternacht. Vor allem der Aufprall hatte sich scharf in Paul's Gedächtnis gebrannt, ebenso der Anblick des toten James, der noch angeschnallt neben ihm gesessen hatte; der einen so fatalen Schädelbruch erlitten hatte, dass er binnen Millisekunden gestorben war, davon war Paul überzeugt. Wenigstens hatte er keine Schmerzen gehabt; wahrscheinlich hatte er nicht einmal etwas von dem Unfall mitbekommen. Doch sobald der erste Arzt in sein Zimmer kam, erzählte er ihm von dem Traum. Für die Ärzte war es natürlich ebenso schockierend, jedoch gingen sie weitaus gefasster mit dem Unfall um. Sie freuten sich darüber, dass Paul anscheinend wieder Bruchstücke seines Gedächtnisses wiedererlangte, und sei es „nur“ von dem Unfall. Erstaunt waren sie lediglich über die Detailvielfalt von Paul's Erinnerungen an den Unfall; als sei es eine außergewöhnliche Sache. „Es ist natürlich schon vorgekommen, dass Patienten sich an einen Unfall sehr genau erinnert haben, jedoch ist es sehr, sehr selten, Mister Walker. Wir müssen noch weitere Tests durchführen.“, hatte der Arzt gesagt, der Paul am Morgen direkt routinemäßig untersucht hatte. Für Paul waren diese ärztlichen Zusagen nicht gerade vielversprechend, und sie trösteten ihn in keinster Weise. Die klinische Sterilität im Umgang mit Patienten war Paul eher gesagt ein Dorn im Auge. Der Einzige, der ihm wirklich zuhörte, war sein Bruder Cody. Er kam gegen Mittag, als Paul gerade im Bett saß und sich an seinem Mittagessen gut tat. Er lächelte unheimlich breit, als er Paul sah, und nahm ihn fest in den Arm. Paul erwiderte die Umarmung und ließ Cody einen Moment lang nicht los. Als würde Cody die innerliche Angst seinen Bruders aufsaugen, flüsterte er leise: „Was ist los, Paul? Ist etwas passiert?“ Paul schluckte; er überlegte einen Moment lang, ob er Cody von den Erinnerungen des Unfalls erzählen sollte. War er schon so weit? Doch dann platzte es einfach aus ihm heraus: „Ich weiß jetzt, wie der Unfall passiert ist. Ich hab davon geträumt und mich... in diesem Traum anscheinend daran erinnert....“ Cody stockte der Atem; er ließ sich auf den Stuhl sinken, der neben Paul's Bett stand, und starrte seinen großen Bruder mit weiten Augen an. „Wirklich? Jetzt ohne....?“, sagte Cody wispernd, während er Paul so entsetzt fixierte, als hätte er ihm gerade gebeichtet, dass er ein Kannibale sei. „Ja, wirklich. Es war... ich kann es nicht in Worte fassen. So grausam. Ich kann mich an die Fahrt davor erinnern, und an ihn, James... Das ist... Ich weiß nicht. Es ist, als wäre es Jahre her gewesen, und doch hab ich es noch nicht verarbeiten können. Ein dummer, kleiner Fehler, der James.. der James das Leben gekostet hat.“,versuchte mit möglichst neutraler Stimme zu erläutern; doch das Brennen in seinen Augen verriet ihn. Cody rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her; seine Hand hatte sich auf Paul's gelegt. „Willst du darüber reden? Oder lieber noch nicht? Ich kann warten. Vielleicht will ich es auch gar nicht wissen. Ich kannte James ja auch über dich sehr gut... Du kannst immer mit mir reden,wann du willst, selbst in tiefster Nacht. Aber wenn du mir sagst, du kannst es noch nicht, dann lass es erst. Das ist okay.“, flüsterte Cody so beruhigend, dass Paul eine große Sorge vom Herzen schwand. Er wusste nicht, wie er es anstellte, doch Cody schaffte es, all seine Ängste zu nehmen, all seinen Frust, den er binnen dieser kurzen Tage im Krankenhaus erlebt hatte. Ein toller, kleiner Bruder, das war er, und zum ersten Mal seit Tagen lächelte Paul wieder richtig. „Danke, Cody. Aber du kannst mir dafür etwas erzählen. Nämlich wer ich bin.“ Cody biss sich einen Moment auf der Unterlippe herum, bevor er leise sagte: „Ich kann dir natürlich nicht alles erzählen, aber was für ein Mensch du bist, das kann ich. Deinen Job, deine Freunde... aber was du in letzten Wochen getan hast, das weiß ich nicht, ich war ja im Ausland...“ Paul begann zu lachen, während Cody ihn verwirrt anstarrte; „Hab ich etwas falsches gesagt?“, fügte er hinzu, während Paul sich kaum wieder einkriegte. „Cody... du bist wirklich akribisch, das ist ja kaum zu fassen. Anscheinend warst du immer der Bruder mit mehr Köpfchen, denn immerhin liegst du hier jetzt nicht. Haben wir uns immer gut verstanden?“ „Ja, immer schon. Du warst immer mein großer Bruder; ich hab dich so sehr für alles bewundert. Als du Mom und Dad gesagt hast, du willst nicht aufs College gehen, du willst lieber etwas mit Autos machen. Als du dir dein Leben in der Autofirma aufgebaut hast, du hast das einfach so ohne Studium managen können.. Als du Penelope geheiratet hast... Alles. Du hast alles im Leben einfach mit einer unbeholfenen Art und Weise gemacht, die dabei so sympathisch war... Ich weiß nicht. Ein kluger Chaot, so hab ich dich immer gesehen, glaube ich.“ „Ein kluger Chaot?“, höhnte Paul; er streckte sich ein wenig und nahm sich etwas Wasser, während er Cody's Redefluss lauschte. „Ja, genau so. Das beschreibt dich am besten. Die letzten Jahre hast du etwas mit den Autos übertrieben, aber sonst...“ „Inwiefern?“ Cody schwieg einen Moment; Paul ahnte, was das bedeutete. Er erinnerte sich an die kleinen Gesprächsfetzen, die er mit James hatte, bevor der grausame Unfall passiert war: irgendetwas Illegales war im Gange gewesen. „Cody?“ „Du hast illegale Autorennen gefahren, manchmal mit fragwürdigen Menschen. Ich finde das okay, jedem das seine. Doch... wegen diesen Zwischenfällen, manchmal kleine Unfälle, haben wir uns immer schrecklich Sorgen um dich gemacht. Du warst manchmal nicht so einfach. Penelope hat mir viel erzählt...“ „Wie bin ich bitte an diese Rennen dran gekommen?“ „Ich weiß es nicht....“ Die Brüder schwiegen sich einen Moment an; Paul fixierte Cody, der seine Hände begutachtete. Er hatte das Gefühl, als hätte er seiner Familie immer Sorgen bereitet; und als „kluger Chaot“ war er sicher nicht einfach gewesen. Zum ersten Mal bereute Paul, dass er nicht in seinen eigenen Kopf gucken und nach den Erinnerungen sehen konnte, als er Cody's leicht bekümmertes Gesicht sah. „Hey, Kleiner. Das wird wieder. Ich werde sicher nicht wieder derselbe Idiot. Ich hab daraus gelernt... anscheinend. Ich weiß ja nicht, wer ich war, aber in deinen Augen scheint es nicht jemand zu sein, der unbedingt immer das Richtige getan hat.“ Cody hob den Blick; als die eisblauen Augen seines Bruders ihn so strahlend ansahen, konnte er einfach nicht anders als zu lächeln. „Ach, Paul. Du bist einfach immer der Beste für mich, egal, was war, was ist und was sein wird.“ Die beiden unterhielten sich noch lange, gingen sogar etwas spazieren, wenn auch schneckenlangsam, weil Paul mit seinen Krücken und seiner verrenkten Schulter nicht schnell voran kam; doch den Rollstuhl wollte er nicht mehr benutzen, auch wenn eine Schwester ihm schimpfend gesagt hatte, er solle sich gefälligst nicht wie ein Casanova aufspielen. Penelope kam ihn ebenfalls besuchen, und Paul unterhielt sich diesmal sehr lange mit ihr, erst, als Cody noch da war, und dann, als Cody gegangen war; sie war froh, dass er wieder zu Kräften kam. Trotz ihrer Schönheit und seinem aufkommenden Interesse an seiner Frau, fand Paul nicht den richtigen Draht zu ihr. Sie war attraktiv und schlank; sein Kopf, der außer dem Unfall immer noch keine Erinnerung hatte, konnte sie sich gut an seiner Seite vorstellen; vor allem aber im Bett. Paul wusste nicht genau, weshalb er sie gerade auf die Art und Weise betrachtete, doch irgendetwas sagte ihm, dass er früher nicht unschuldig war. Sicher, das Gespräch zwischen James und ihm hatte Bände gesprochen. Anscheinend war die Treue ihm nicht so wichtig... Doch da war etwas anderes. Er konnte diese Gefühle einfach nicht einordnen. Als sie sich abends wieder auf seinem Zimmer befanden, griff Penelope nach seiner Hand. „Paul“, begann sie, während sie ihm über die Haut strich; das Streicheln hinterließ zum ersten Mal ein brennendes Verlangen in Paul. „Ich habe vorhin mit Cody und mit den Ärzten gesprochen. Wenn du willst, kannst du nach Hause kommen in den nächsten Tagen. Wir werden jeden Tag ins Krankenhaus fahren müssen, wegen der Reha und Untersuchungen, aber die Ärzte sind überzeugt, dass du zu Hause viel bessere Fortschritte mit deinem Kopf machen wirst, vor allem mit deinen Erinnerungen. Magst du... magst du es wohl tun?“ Ihre schönen Augen glitzerten vor Neugierde, und eine leichte Röte auf den Wangen verriet, dass sie innigst auf ein Ja hoffte. Paul überlegte einen Moment; der graue Alltag im Krankenhaus gefiel ihm sowieso nicht, und nach einer Weile zog er sie mit einer gekonnten Bewegung, die er sich selbst nicht zugetraut hatte, an sich heran; sie errötete noch heftiger, während sie seine Hand auf ihrem unteren Rücken spürte, während er ihrem Gesicht so nah war wie lange nicht mehr. Seine blauen Augen fixierten sie. „Ich würde sehr gern mit nach Hause kommen. Es wird sicher helfen, davon bin ich überzeugt. Kannst du dich denn auch so gut um mich kümmern, wie die Schwestern es hier tun?“, hauchte er ihr entgegen, während er mit einer aufkommenden Freude sah, wie ihre Augen sich leicht weiteten; anscheinend hatte er diese kokette Ader an Gewitztheit schon immer besessen, dieses anregende Flirten. „Natürlich kann ich das“, flüsterte sie; ihre Augen huschten über seine Lippen und wieder zurück; sie lächelte. „Sogar noch besser.“ Paul hob eine Augenbraue an; er zog sie noch näher an sich, und sie half ihm, indem sie sich sehr nah zu ihm aufs Bett setzte und über sein Gesicht strich. Seine Hände fuhren tiefer den Rücken hinab; eine Hand begann, die Rundung ihres Pos zu umfassen. Sie erschauderte; und mit einer flinken Bewegung beugte sie sich zu ihm hinab, zog ihn leicht hoch und küsste ihn. Erst sanft, ganz vorsichtig, als wolle sie ihn nicht schockieren; doch dann fester, als sie spürte, dass Paul den Druck der Küsse willig erwiderte. Für Paul war es nicht seine Frau, die er da küsste; es war eine Frau. Die intensiven Küsse, die süß schmeckten und ihn heiß machten auf mehr, auch wenn sein Körper geschunden war, ließen ihn an eine sehr gute Zeit denken, die kommen würde. Als er irgendwann sachte von ihr abließ, kicherte Penelope. „Du küsst wie früher. Es ist wie ein Traum, Paul. Ich bin so froh, dass ich dich wieder habe. Ab jetzt lasse ich dich nie wieder gehen.“, flüsterte sie, während ihre Hände auf seiner Brust ruhten, vorsichtig und bedacht. „Ich werde alles mit dem Arzt abklären.“ „Mach das“, antwortete er, während er sich wieder genüsslich in das Kissen sinken ließ und ihr nachschaute, als sie das Zimmer verließ. Ihr Po war schön; er beglückwünschte sich in Gedanken selbst zu dieser Frau. Auch wenn er keinerlei Gefühle außer Sympathie für sie aufbringen konnte. Es war nicht diese innerliche Verbundenheit wie mit Cody; es war eher ein glücklicher Zufall, der einem Unfall hervorgeeilt war. Er blieb noch einen Moment ruhig liegen; dann drehte er sich zur Seite, um einen Schluck Wasser einzugießen. Und inmitten der Bewegung erstarrte er; denn dort auf dem Tisch stand etwas, das zuvor noch nicht dagewesen war. Er hatte es in dem Gespräch und den Küssen nicht bemerkt, und Penelope anscheinend auch nicht. Dort stand ein kleines, mit einer roten Schleife umwickeltes Sportauto; ein kleines, süßes Modell, und dieses Modell stand auf einer Karte. Das Modellauto war rot und sah aus wie ein Porsche. Paul nahm das kleine Auto in seine Hände, ebenso die Karte, die darunter lag; sie war einfach und noch geschlossen. Er legte das rote Auto auf seinen Schoß und machte sich daran, die Karte zu öffnen. Darin stand nicht viel; die Schrift war etwas unbeholfen, krakelig, aber irgendetwas ließ Paul's Nacken beim Anblick dieser Schrift neckend prickeln. Ich hoffe, dir geht es bald wieder besser. Du fehlst mir wie ein Bruder. Ich bin froh, dass du noch lebst. Melde dich, sowie du Zeit hast. Dom Und unter diesem Namen stand eine Nummer. Paul konnte sich das nicht erklären. Wer auch immer das gewesen war, er musste gewusst haben, dass Paul mit seiner Frau unterwegs gewesen war, denn sonst hätte dieser jemand bestimmt bis zu seiner Rückkehr gewartet. Wer war Dom? Und warum schenkte er ihm dieses kleine Auto, dass ihn so sehr an den Unfallwagen erinnerte? Das Kribbeln in seinem Nacken ließ nicht nach; auch nicht, als er sich wieder in das weiche Kissen drückte. Er hielt den kleinen Wagen lange in der Hand und starrte ihn an, wendete ihn im untergehenden Sonnenlicht und las die kleine Karte immer wieder und wieder durch. Dass sein Kopf bei diesem Namen ein seltsames Kribbeln bereit hielt, fast wie bei Cody's ersten Treffen, ließ ihn daran denken, dass dieser Mensch, wer auch immer er war, ihm anscheinend etwas bedeutet hatte. Doch inwiefern? Dom. Kein Nachname, kein voller Name, kein Alter. Nur eine gekritzelte Nummer. Fast wie ein Geist, der nur eine Spur seines Dunstes zurückgelassen hatte, um den Menschen Angst einzujagen. Fünf Tage später durfte Paul das Krankenhaus unter gewissen Auflagen verlassen. Die Auflagen bestanden darin, dass er jeden Tag mindestens einmal eine Untersuchung und die Reha vollziehen musste; wenn es ihm zu schlecht ging, um das Haus zu verlassen, würde ein Arzt ihn zu Hause aufsuchen. Und wenn er Erinnerungen zurück gewann oder sonstiges sich an seinem Körper oder Kopf veränderte, musste sofort das Krankenhaus aufgesucht werden. Außerdem gab man ihm eine ganze Bandbreite an unterschiedlichen Schmerztabletten mit, ebenso Tabletten, die seinen Genesungsprozess unterstützten. Als Paul zum ersten Mal mit seinen Krücken aus dem Krankenhaus gehumpelt kam und in den blendenden, warmen Sonnenschein trat, atmete er tief ein und wieder aus; die frische Luft tat ihm mehr als gut. Für einen Moment schloss er seine Augen und genoss die Wärme auf seiner Haut und das Gefühl, endlich wieder frei zu sein. Penelope beobachtete ihn, das spürte er genau; als er genug von der Sonne hatte, wandte er sich ihr zu; sie hielt einen Autoschlüssel in der Hand und lächelte. „Bist du sicher, dass du das schon kannst, Paul?“, sagte sie leise, doch er nickte nur. „Natürlich, oder sehe ich irgendwie ängstlich aus?“ Er zwinkerte ihr zu, und sie gingen gemeinsam zu einem großen Geländewagen, in tiefschwarz, der unter der glänzenden Sonne stand. Das Geräusch des Aufschließens per Funk war wie Musik in Paul's Ohren; nachdem er sich mit größter Geduld gesetzt hatte, auf den Beifahrersitz, glitt seine Hand auf Penelope's Oberschenkel, ziemlich hoch oben. Ihre Wangen erröteten heftig, und sie lächelte die ganze Fahrt über. Paul sah aus dem Fenster, sah der untergehenden Sonne entgegen und dachte sich, dass ein Geländewagen garantiert nicht so schnell gegen einen Baum prallen konnte. Das löste seine Angst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)