They say we're crazy von _Natsumi_Ann_ (Wendy Darling x Alice Liddell) ================================================================================ Kapitel 1: ... Then I find you ... ---------------------------------- They say we’re crazy Wendy Darling x Alice Liddell * * * Alice war müde. Sie war von einer Müdigkeit betäubt, die sie kaum in Worte fassen konnte. , … vielleicht lag es auch ironischer Weise am Wetter ? Die blonde, junge Frau wusste nicht genau, welchen Tag das Jahr schrieb, nicht mal welchen Monat. Doch ein erhaschter Blick aus dem kleinen Kellerfenster hatte ihr verraten, dass es aufgehört hatte zu schneien. Das letzte Mal, dass sie nach Draußen sehen konnte, war vor ein paar Wochen gewesen, das vermutete sie zumindest. An diesem Tag hatte der Himmel das Land mit dicker, weißer Watte bestreut und letztendlich verschlungen. An jenem Tag des Schneesturms, der kräftig gegen die Türen und Fenster gewütet hatte, war sie angekommen. Das blasse Mädchen mit ozeangleichen Augen. Das Blau ihrer Augen war das einzig Lebendige an ihr gewesen, es hatte durch den ganzen Flur gestrahlt. Schon gleich hatte Alice es gespürt, diese junge Frau war anders als all die anderen Patienten hier in der Expurgo Nervenheilanstalt für ganz Besondere Fälle. Sie hatte sich mit ihr verbunden gefühlt, auf eine seltsam entfernte Weise, die sie nicht beschreiben konnte. Das blonde Mädchen hatte schon einige Neulinge kommen und gehen sehen, denn viele von ihnen wurden auch aussortiert – analysiert und „neu“ verfrachtet, so wie es die Ärzte witzloserweise hinter verschlossenen Türen nannten. Diese eingebildeten Intellektuellen, die sich insgeheim alle für etwas Besseres hielten, nur weil sie von Mamis und Papis Geld den Doktortitel erworben hatten. Diese scheinheiligen Retter von verlorenen Seelen. Wieviel Geld sie wohl ihrer Familie abgezockt hatten für diese „Therapie“? Alice wusste es nicht und sie würde es vermutlich nie wissen, denn Besuch wurde hier nicht oft geduldet. Die Ärzte entschieden wenn jemand bereit war für einen Besuch, und auch wann die Therapie erfolgreich anschlug. Ihr war schon längst bewusst, dass sie es so lang hinauszögerten wie möglich. Je zeitaufwendiger die „Heilung“, je mehr Scheine wanderten in ihre eigenen Taschen. Reichte es den Reichen nicht reich zu sein? Hatte man einmal am Geiz des Geldes geleckt, so trachtete man nach mehr. Völlig belanglos einen Gedanken an die armen Angehörigen zu verschwenden, die um das Wohl ihres Verwandten wimmerten und sich Daheim kein Brot mehr zum Abendessen leisten konnten, weil die Therapie noch keine Früchte getragen hatte – angeblich. Alice wollte sich nicht vorstellen, was man ihrer Familie erzählte – an welchen grausigen Wahnvorstellungen sie doch litt, nicht bereit zu kooperieren, unwillig irgendeine Art von Hilfe anzunehmen… Bei all diesen Worten wurde ihr übel. Natürlich hatte man ihr nicht geglaubt. Ihre Geschichte von einem fernen Land, an dem alle verrückt waren, mehr oder weniger. Doch es waren Worte aus einem Kindermund, hätte man es nicht dabei belassen können? Bei der albernen Fantasie eines kleinen Mädchens? Sie wusste selbst nicht, ob dies alles der Wirklichkeit entsprochen hatte seit sie hier gewesen war. Fast wollte sie ihrem Verstand einen eigenen Streich spielen, dass er aufhörte, alte Bilder der Erinnerung in ihr aufkommen zu lassen. Sie wusste was sie gesehen hatte, sie kannte den Unterschied von Träumen, obgleich sie noch so real gewesen waren, aber sie hatte es mittlerweile verschwiegen, dass diese Erlebnisse noch tief in ihrem Herzen verankert waren. Sie wollte zurück zu ihrer Familie, zumindest noch vor ein paar Monaten. Doch mit der Zeit hatte sie sich vorstellen können, wie man jemanden behandelte, der aus einer Irrenanstalt kam. Würde man sie jemals wieder ernst nehmen? Würde ihre Familie in Schande geraten, wenn sie keinen staatlichen Mann zum Heiraten fand, weil die Gerüchteküche in kleinen Städten nun mal brodelte? Sie würde keine wahre Liddell mehr sein, das war ihr mittlerweile bewusst. Manchmal schmerzte ihr Herz bei diesem Gedanken, doch sie war eine Realistin. Und Realisten konnten sich immer mit der knallharten Wahrheit auseinandersetzen und diese akzeptieren. So hatte man es sie gelehrt. Vermutlich würde Alice ihre Familie nie wieder sehen, selbst wenn sie jemals hier herauskam. Sie würde neu anfangen müssen, in einer Stadt, wo sie niemanden kannte, weit, weit weg von ihrer alten Heimat. Es war ungerecht, und dennoch notwendig. Einsamkeit würde eine neue Bedeutung bekommen, aber war dies nicht besser als zu sterben? Der Mensch war nicht geschaffen für den Tod, zumindest nicht in jungen Jahren und sie war definitiv zu jung, um bereits das Zeitliche zu segnen. Und trotzdem schien das Leben so sinnlos seit sie hier verweilte, in der Expurgo Nervenanstalt, für ganz besondere Fälle … fataler Zwiespalt, so spielte das Leben eben. Einst hatte ihr Vater diese Worte stets zu ihr gesagt, um ihr Mut zu machen, aber warum klangen sie jetzt so deprimierend? All around me are familiar faces Worn out places, worn out faces Bright and early for their daily races Going nowhere, going nowhere Their tears are filling up their glasses No expression, no expression Hide my head I want to drown my sorrow No tomorrow, no tomorrow And I find it kinda funny I find it kinda sad The dreams in which I'm dying Are the best I've ever had I find it hard to tell you I find it hard to take When people run in circles It's a very, very mad world, mad world Wendys Herz klopfte wie wild, als sie in die ‘heilenden Hallen’ eingeführt wurde. Sie hatte Angst, obgleich dies schon die dritte Klinik war, in die sie verlegt wurde. Sie kannte die Prozedur, es war meist immer dieselbe. Aber irgendetwas sagte ihr, dass es diesmal anders sein würde. Ob es positiv oder negative Auswirkungen waren, konnte ihr Bauchgefühl ihr dennoch nicht vermitteln. Fast, als würde es ihr einen Streich spielen wollen. Immer wenn sie in eine weitere Behandlung kam, hatte sie sich zu Recht gemacht. Ihr goldbraunes Haar mehr als zwanzig Mal durchgekämmt, ihre Lippen mit roter Farbe betucht und auch ihre Wangen glänzten ein wenig rose‘. Die meisten Patienten bekamen keine Schminke in die Hände, alles könnte eine potenzielle Gefahr sein – man könne es als Waffen gegen die Pfleger benutzen, wobei sich Wendy immer noch nicht im Klaren war, wie sie mit einem Lippenstift jemanden ernsthaft verletzen konnte oder dieser ihr gar zu einer Flucht verhelfen sollte. Diesen Gedankengang hatte sie auch einigen Ärzten vermittelt, welche sich dann nach längerer Zeit dazu entschlossen hatten, ihr wenigstens an ‚ganze besonderen Tagen‘ ein wenig Farbe zu schenken, die sie sich ins Gesicht pinseln konnte. Für Wendy grenzte dies schon fast an ein kleines Wunder, denn etwas anderes, auf was sie sich freuen konnte, gab es nicht mehr. Sie war schon immer Realistin gewesen, auch wenn ihr das in der Anstalt niemand abgenommen hatte, ihr war dennoch mehr als bewusst, dass sie ihre Familie nicht mehr wiedersehen würde. Wozu hatte man sie sonst von Klinik zu Klinik versetzt? Zufälligerweise jedes Mal ein Stück weiter weg von ihrem Heimatort. Besuch hatte sie von ihren Eltern schon seit sechs Monaten nicht mehr bekommen, einzig und allein John und Michael waren noch bis vor kurzem zu ihr gekommen. Doch auch ihr letzter Besuch hatte nach einem Abschied geklungen. Vater hatte ihnen wohl eindringlich dazu geraten sich auf die Schule zu konzentrieren, und vermutlich hatte er ihnen auch ans Herz gelegt zu vergessen. Zu vergessen, dass sie eine Schwester hatten, eine große Schwester, die eigentlich als Vorbild dienen sollte, und als Aufpasser. Jedoch stand das Bild einer „normalen“ Vorbilds-Familie unter einem schlechten Stern. Früh hatte man sie zu Ärzten geschickt, und gleichzeitig hatte sie ihren kleinen Brüdern verboten jemals wieder an Neverland zu denken, sie wusste: drei „Verrückte“ würden ihre Eltern nicht ertragen. John und besonders Michael waren, Gott sei Dank, noch ziemlich jung, als sie das ferne Land mit ihr besucht hatten, wodurch es der Darling leicht fiel ihren Brüdern einzureden, sie seien nie dort gewesen und alles war nur ein wunderschöner Traum, mit dem psychologischen Hintergrund, sie hätten einfach Angst erwachsen zu werden. Sie schwiegen, um ihre Eltern nicht nicht noch mehr zu verwirren, denn wie sah es aus, wenn jemand behauptete es gäbe ein Land, indem nur Kinder träumen könnten und gleichzeitig redete es man seinen kleinen Brüdern aus? Es war verquer und unmissverständlich, hätten dies die Ärzte auf irgendeine Weise mitbekommen, so hätten sie die Brüder ausgefragt, und irgendwann hätten John und Michael geredet. Psychologen waren oft Meister der Manipulation, und besonders kleine Kinder fielen auf sie herein. Das konnte Wendy damals einfach nicht zulassen. Denn als ältestes Geschwisterkind trug man nun mal Verantwortung, auch wenn die ganze Welt glaubte man sei verrückt. Selbst ihren Vater hatte Wendy darum gebeten, nichts von den Behandlungen und um welches Thema es sich handelte, ihren Brüdern zu offenbaren. Natürlich war das Familienoberhaupt damit einverstanden. Schließlich hatte die Familie einen Ruf zu verlieren. Mr. Darling war nun mal ein gefragter Mann, obgleich er seine Kinder über alles liebte, konnte er sich keine extremen Skandale leisten … und Wendy hatte dies schon immer verstanden und akzeptiert. Auch wenn es ihr mehr als nur Ärger eingebracht hatte, musste sie trotzdem noch zu oft an ihn denken. Peter Pan, der Junge, der nicht erwachsen werden wollte Er hatte sie bestimmt schon längst vergessen, und eigentlich war sie auch schon zu alt um für jemanden zu schwärmen, dessen physische und psychische Reife eines elf- oder zwölf Jährigen entsprach. Doch ihr Herz vermisste ihn ab und an, sein Lachen, seine Tollereien… und das Fliegen mit ihm. Welche unbeschwerte Zeit es doch gewesen war, in Neverland… in einem Land, in welchem Magie und Kinderlachen die oberste Priorität hatten. Keine Regeln, keine Gesetze, keine Hierarchien… ‘Lebe und denke nicht an morgen.‘, mit diesem einen Satz hätte man das Leben in Neverland beschreiben können. „Schlaf nicht ein !“, raunte ein Wärter, der sie durch die große Einrichtung führte. Wendy zuckte kurz zusammen, beinahe wäre sie wirklich in Gedanken versunken. Aber was sollte man auch anderes tun in dieser tristen Lage? An diesem eher unwohlsamen Ort?! Ihre Gedanken waren alles was sie noch hatte. Gedanken, um dieser dunklen Welt zu entschwinden. Manchmal wünschte sie sich ewig zu schlafen, so wie in dieser Geschichte, die ihr Mutter immer vorgelesen hatte… Dornröschen. Zwar schlief diese nur hundert Jahre, aber vielleicht reicht das, um etwas zu ändern in dieser Welt. Die Hoffnung, dass es diese Kliniken in einer weit entfernten Zukunft nicht mehr gäbe , war wohl zu schön. Verrückte würde es immer geben, aber konnte man sie auch von den halbwegs normalen Menschen unterscheiden? Wann erkannten die Ärzte, dass sie nur ein unschuldiges Fräulein war, das etwas entdeckt hatte, zudem Erwachsene nicht mehr im Stande waren? Lieber sollten sie sich richtigen Verbrechern widmen. Verbrechern, die Kinder entführten und Lösegeld forderten. Alte, perverse Männer, die sich an jungen Frauen vergingen, ohne Rücksicht auf die Gefühle des Opfers, oder deren der Familien zu nehmen, die ihre Töchter vermissten. Die Zeitungen waren voll von ungeklärten Fällen, ob es um Vermisstenanzeigen ging oder auch um wiederholte Einbrüche, es stand dort alles, schwarz auf weiß. Die Polizei hatte nicht jeden von ihnen geschnappt, was schon allein eine Tragödie war, aber den Rest steckten sie in eiserne Zellen, aus denen sie sich nach Jahren sowieso wieder ausgruben. Oder sie wurden auf Bewährung frei gelassen. Warum glaubten die Richter, dass Menschen sich wirklich ändern können? Menschen, die gemordet und geraubt hatten? Aber Menschen wie sie, die man für verrückt erklärte, nur weil sie an ein Land glaubten, was einem Flügel wachsen ließ, wollte man für immer wegsperren? Welche paradoxe Ironie. Wann würde diese Welt endlich aufwachen? Würden sie nur halb so viele Verbrecher wie Mädchen und Jungen, die an Magie glaubten, wegsperren wäre diese Welt doch die reinste Utopie… oder waren ihre Überlegungen wirklich so falsch? „Wir sind gleich da.“, hörte sie den Mann mit weißer Kleidung ziemlich gelangweilt sagen. Sein Gesicht war emotionslos und er gähnte immer wieder. Das Gähnen war ihr bei vielen Mitarbeitern aufgefallen, auch bei der Überfahrt schon. Ob es am Wetter lag? Eigentlich war der Frühling erwacht, und so wie es schien, war dies eigentlich ein Grund sich zu freuen. Als Kind hatte sie sich sogar immer einen Wecker gestellt, um die ersten Sonnenstrahlen zu betrachten, die den Himmel erhellten. Die Sonne, die solange im Winterschlaf verharrt hatte, konnte endlich wieder ihre Fühler ausstrecken“, und sich nützlich machen. Sie spendete Vitamine und diese machten die Menschen glücklich. War das der Grund, weshalb die Patienten in einer Anstalt so wenig Ausgang bekamen? Dachten die Ärzte die Sonne machte sie wieder gesund? „Du bekommst diesmal ein Doppelzimmer.“, wurde die Darling wieder durch das Sprechen des Wärters unterbrochen. „Ein Doppelzimmer?“, gab die junge Frau verwundert von sich. Üblich verweilten die Patienten immer in „Einzelhaft“. Der Mann zuckte mit den Schultern. „Haben die Ärzte so entschieden, anscheinend ähneln sich eure Fälle und sie wollen testen wie ihr euch gemeinsam verhaltet… vielleicht macht ihr ja Fortschritte zusammen.“, fast klang er ein bisschen ironisch. Aber sie war bereits gewohnt, dass die Pfleger oftmals eher genervt von ihrem Job waren und sich einen Scherz mit den Patienten erlaubten - ihr einziger Lichtblick in ihrem sonst so langweiligen Arbeitsablauf?! Er zückte den großen Bund Schlüssel hervor, und suchte einen Kleineren heraus. Dann führte er ihn zum Schloss. „Ich denke deine Mitbewohnerin ist noch in Behandlung.“ When I first saw you, I said "Oh my, That's my dream, That's my dream." Ooh, I needed a dream When it all seemed To go bad; Then I find you. And I have had the most Beautifull dreams Any man's ever had. ~*~ Alice stand vor dem einzigen Spiegel im Raum, der rundherum aus Sicherheitsgründen mit Plastik gepolstert war. Das sie überhaupt einen besaß, nach all den Jahren, konnte man nur den Diagnosen der Ärzte zuschreiben, die eine Selbstverletzungsgefahr ausgeschlossen hatten. Und da war noch etwas, was sie ihr gelassen hatten – diesen Hut. Die Blonde hatte ihn schon seit längerem nicht mehr aufgesetzt, doch heute war es wieder soweit. Sie stand vor dem Spiegel und blickte auf in ihr Spiegelbild. Der seltsam farbige Hut auf ihrem Kopf machte ihr wie immer seltsames Gefühl in der Magengegend. An ihm hingen so viele Erinnerungen, und dennoch war ER mit der Grund warum sie überhaupt hier war. In dieser Gefangenschaft von Ärzten und Therapeuten. Doch dieses Gedenkstück wegzuwerfen, brachte sie einfach nicht übers Herz, sie hatte immer erzählt, dass er einer engen Verwandten gehört hatte, um die Bedeutsamkeit zu erhöhen. Jedoch war die Wahrheit, dass diese Kopfbedeckung jemanden ganz anderem gehörte, keinem Verwandten, nicht mal jemanden aus dieser Welt. Wonderland, in dem Land wo alles möglich war und jeder ein klein wenig verrückt war. Wie sehr sie dort akzeptiert wurde, hatte sie erst Jahre später erkannt. Sie hatten ihr Streiche gespielt, sie zum Narren gehalten, und dennoch waren sie stets willkommen. Niemand hätte sie weggeschickt aufgrund irgendeiner Macke oder Eigenart, die sie besaß. Alles war so vollkommen gewesen, eine Welt voller Farben und Musik, voller eigentümlicher Gestalten – wie sehr sie es vermisste. Und wie sehr sie auch ihn vermisste. Er war wohl der ungewöhnlichste Mann in ganz Wonderland, doch stets an ihrer Seite, von Anfang bis Ende. „Der verrückte Hutmacher“ hatten sie ihn genannt, eine gar zwielichtige Persönlichkeit mit paradoxen Charaktereigenschaften, und dennoch auf so wunderliche Weise liebenswert. Ihre Gespräche, die sie teils nicht wirklich verstanden hatte, hallten immer noch in ihrem Kopf herum. Ob sie seine Stimme jemals wieder hören würde? Vermutlich nicht. Sie war zu alt beziehungsweise zu groß, um überhaupt in ein Hasenloch zu passen – und dort war schließlich das Tor zu Wonderland. Glaubte sie zumindest, ob es noch ein anderes gab, wusste sie nicht. Wie hätte sie es auch herausfinden sollen, hier in dieser Klinik, die nicht mal einen richtigen Garten besaß, geschweige denn Tiere, die in ihm herum tollten. Alice seufzte wie so oft und nahm den Hut von ihrem Kopf. Sehnsucht hatte sich in mal wieder ihrem Herzen ausgebreitet, doch sie war mittlerweile daran geübt diese so schnellst wie möglich zu verdrängen. Denn Therapeuten merkten fast alles,und Alice hatte auch hier lange genug dafür gebraucht sie zu täuschen. Glaubhaft zu lügen war eine Kunst vor Leuten, die jeden Tag mit Unwahrheiten konfrontiert waren. Alice blickte auf das neue Klappbett, was sie ihr zugestellt hatten. Darauf lag sie und hatte die Augen geschlossen. Der Neuzugang, ihre neue Zimmergenossin. Sie hatte schon geschlafen als sie den Raum betreten hatte. Müde von der Reise hier her, vermutlich. Wie sollte es anders sein? Ein Sportkurs hatte sie wohl nicht besucht. Die Blonde hatte ihr eine Decke übergeworfen, in der Hoffnung diese würde sie vor der Kälte schützen, denn je nachdem wie lange sie noch schlafen würde, würde es recht kühl werden. Die Heizung funktionierte meistens nicht und die Winterdecken hatten man ihnen schon zu dem vermutlichen ‚Frühlingsanfang‘ entzogen. Angeblich musste die Klinik sparen, hatte der Helfer nur gesagt, aber wie konnte man mit Entzug an Decken sparen? Das die Patienten erfroren und man wieder neue Pflegebedürftige einziehen lassen konnte? Jene mit noch reicheren Familien, denen sie das Geld aus den Taschen ziehen konnten. Alice rollte bei diesem Gedanken mit den Augen – aber zuzutrauen war es ihnen. Selbst vor ‚zufälligen‘ Morden scheuten diese Leute nicht zurück – natürlich rein gemutmaßt, aber sie hatte mittlerweile eine gute Menschenkenntnis. Obwohl sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer, im Aufenthaltsraum oder der Therapiesitzung war, hatte Alice doch erkannt, dass Schwester Joey eine kleine Affäre mit dem Aufseher aus Korridor zwölf hatte. Sie wurde ständig rot als er vorbei lief und kicherte wie eine Zehnjährige, und er grinste nur schief und hatte ihr sogar mal einen kleinen Klaps auf den Hintern verpasst. Alice hatte durch dieses Wissen immerhin einen Zusatz an Reis bekommen, den sie so sehr liebte. Dass sie dieses Spiel nicht endlos weiter spielen konnte, war ihr bewusst. Denn im Ernstfall würden würde man der Schwester glauben, nicht ihr, - der Durchgeknallten -, die angeblich in einem Land mit sprechenden Hasen gewesen war. Nein, niemand würde ihr glauben - auch wenn die Ärzte ihr mittlerweile sogar glaubten, dass sie auf dem Weg der ‚Besserung‘ war. Und der Schein musste auf jeden Fall gewahrt werden. Denn sie hatten keine Ahnung von wirklichen psychischen Störungen und reinster Magie, die wirklich existierte. Irgendwann würde man ihr vielleicht glauben, doch diese Zeit war noch nicht gekommen. Leider. Und es waren definitiv die falschen Leute am Werk. Ein stummes Gähnen zog sich durch ihr Gesicht. Vielleicht sollte sie sich auch etwas hinlegen. Ihre „Mitbewohnerin“ schien sowieso noch im Land der Träume zu weilen und die Wecker der Helfer klingelten auch immer viel zu früh. Oh my life is changing everyday In every possible way And oh my dreams It's never quite as it seems Never quite as it seems 'Cause you're a dream to me Dream to me ~*~ Wendy erwachte mit einem schmerzenden Rücken. Sie rieb sich die Augen und streckte sich. Der Untergrund war hart und unbequem, aber das war in ihrem alten Zimmer nicht sonderlich anders gewesen. Seufzend blinzelte sie an die Decke, welche einige dunkle Flecken aufwies. Natürlich konnte man hier keine Luxussuit verlangen, aber wenn das Pilz an den Wänden war, galt das nach Vorschrift gegen die Gesundheitsnorm. Natürlich wollten die Besitzer dieses Gebäudes an allen Ecken und Kanten sparen wo es nur ging, aber wenn darunter das Wohlbefinden der Patienten gefährdet war, sollten sich die Angehörigen nicht wundern, dass ihre ‚Liebsten‘ auch noch körperlich krank wurden. Aber meist verschleierte man den Dreck und die Unsauberkeit vor den ‚Zahlern‘. Würde man hier eine gründliche Inspektion durchführen, würden wohl einige Leute ihren Arbeitsplatz verlieren. „Guten Morgen! Bist du auch endlich wach!?“, erschreckte die Brünette plötzlich eine Stimme und ebenso der zugehörige Kopf der vor ihren Augen erschien. Blonde Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht und zwei rehbraune Irden fixierten ihre eigenen, blauen Augen. War das etwa ihre Zimmergenossin, von der der Helfer gesprochen hatte? „Guten Morgen, wie es scheint bin ich es.“, gab Wendy zurück und richtete sich schließlich auf. Das Mädchen mit dem blonden Haar setze sich fix neben sie aufs Bett und grinste. Dann streckte sie ihr die Hand entgegen. „Ich heiße Alice. Freut mich dich kennen zu lernen. Endlich mal jemanden zum Quatschen hier in dieser Einöde, wobei ich mir nicht sicher bin, ob die uns nicht als Experiment nutzen, ich meine zwei Mädchen auf einem Zimmer, das gab’s hier noch nie.“, erläuterte die Blondine ohne Punkt und Komma, doch die Darling konnte ihr durchaus folgen. Ihre Mutter hatte damals auch immer recht schnell geredet und in Maßen. „Ich bin Wendy.“, gab sie zunächst als knappe Antwort, lächelte aber zugleich, da sie auf Grund ihrer plapperten Eigenschaften ziemlich sympathisch war. Ihre Hände berührten sich und für einen kurzen Moment stand die Zeit still. „Du bist warm, trotz dieser dünnen Decke.“, erkannte Alice verwundert und starrte auf die Vereinigung ihrer Körperteile. „Und du bist eiskalt. Damit wäre wohl klar, wer hier wen als Heizung demnächst missbraucht.“, scherzte die Brünette und ihre Hände lösten sich wieder voneinander. „Sag mal du Wendy? Wer ist Peter?“, stellte Alice die Frage in den Raum und das Mädchen mit den blauen Augen zuckte zusammen. „Peter? Woher hast du diesen Namen?“, fast etwas panisch wich Wendy zurück. Kannte sie etwa ihre Akte? War das nur ein Spiel und sie gehörte zu den Ärzten? „Du hast ihn dauernd im Schlaf genannt.“, behauptete die Blondine und Wendy fiel ein Stein vom Herzen. Teilweise zumindest. „Kannst du mir als neue Mitbewohnerin dieses Zimmers gleich etwas versprechen?“, fragte sie ernst und hoffte auf eine positive Resonanz. Alice nickte eifrig. „Inwiefern denn?“ „Du darfst niemanden erzählen, dass ich noch manchmal von ihm träume. Also diesem Peter, den ich im Schlaf genannt habe. Vielleicht etwas viel verlangt für den Anfang, aber ich habe Angst, dass die Ärzte davon erfahren und ich hatte denen eigentlich versichern, er wäre aus meinem Kopf. Völlig. Du verstehst?“ Fasziniert von ihrer Ehrlichkeit umspielten Alices Lippen ein Lächeln. „Glaubst du wirklich ich würde mich mit denen da draußen verbünden? Eher würde ich aus dem Fenster springen, als denen irgendetwas über einen von uns zu erzählen.“ „Dann bin ich beruhigt.“, seufzte die Brünette und sah sich im Zimmer um. „Ist hier nirgends eine Uhr?“ Alice schüttelte den Kopf. „Nein, vielleicht würden wir durchdrehen, wenn wir wüssten wie schnell die Zeit vergeht und wie lange wir hier schon in Behandlung sind.“ Dann machte Alice eine ruckartige Bewegung, sie blickte zur Tür, als würde sie irgendetwas hören. Wendy hob eine Augenbraue und sah sie unstet an. „Was ist los?“, wollte sie wissen, doch die Blonde legte nur einen Finger auf die Lippen. Einige Sekunden verweilten beide in einer Art Starre, dann seufzte die Liddell und entspannte sich fast wieder. „Wenn die Helfer uns wecken, ist es besser meistens schon wach zu sein. Es gab lauter Gerüchte, was sie sonst mit einem machen würden, wenn man noch schläft. Besonders mit jungen Mädchen.“, wisperte das blonde Mädchen, was Wendy etwas hektisch zurück weichen ließ. Sprach sie da etwa von unsittlichen Berührungen? Gar Vergewaltigungen? „Du weißt sie haben hier jegliche Medikamente, die man benötigt, um jemanden zu bestäuben. Allerdings schien mir dergleichen noch nichts passiert zu sein, ich habe einen leichten Schlaf und lausche jede Sekunde, die ich die Augen offen habe. Ich werde dich einfach jedes Mal wecken, wenn ich etwas Unauffälliges bemerke. Aber mach dir jetzt keinen Stress, vielleicht sind das alles auch nur wirre Gerüchte. Manche Leute sind hier tatsächlich ziemlich verrückt.“ Die Brünette nickte nur zustimmend, denn weiter über dieses Thema nachzudenken würde ihr nur schlimme Alpträume verschaffen. Dann träumte sie lieber weiter davon, wie schmerzhaft es war, als Peter sie „verlassen“ hatte. Sie konnte sich gar nicht ausmalen wie es sie innerlich zerreißen würde, wenn ein fremder Mann sie anfassen würde. Ärzte waren meistens ja noch in Ordnung, aber die Helfer wirkten meist unfreundlich und herzlos. Wie würden sie erst reagieren, wenn ein Mädchen das Höschen fallen ließ? Wendy schüttelte sich – diese Gedanken mussten definitiv aus ihrem Kopf. „Ich glaube ich muss zuerst in meine Einzelsitzung, die Gruppensitzungen finden meist nachmittags statt. Leg dich einfach noch etwas hin, zeig dem Mitarbeiter einfach, dass du wach bist, alles mitbekommst, dich aber noch ausruhen willst, solange deine morgendliche Sprechstunde noch nicht beginnt. Dann hast du eigentlich nichts zu befürchten. Die Hilfskräfte hier sind für gewöhnlich Feiglinge, solang der Patient bei festemBewusstsein ist und er um Hilfe schreien könnte, versuchen sie nicht einmal ihre Demütigungsversuche, die sie auch ab und an abziehen, weil dieser Beruf einfach unterbezahlt und sterbenslangweilig ist.“, erklärte die erste Bewohnerin des Zimmers ihrer neuen Mitbewohnerin zur Einführung. Dann lächelte sie matt, um die Stimmung etwas zu heben. „Ich mache mich dann mal fertig.“, waren ihre letzten Worte bevor Alice ihr weißes Nachthemd von den Schultern fallen ließ … […] Den Feind beobachten und dann ganz langsam enttarnen Wörter sind wie der Wind und laut sprechen die Taten Wir werden nicht warten, graben Löcher mit Spaten Seid euch im Klaren: das Karma, das wird euch beraten […] ~*~ Ein Heulen drang durch die Wände des kleinen Zimmers. Wendys Augen öffneten sich rasch und ihr Herz klopfte schnell gegen ihre Brust. Dunkelheit die sie umgab, nichts als Dunkelheit. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an die [Dunkelheit]/Finsternis, doch irgendwann konnte sie die Umrisse der Decke erkennen, sie wirkten merkwürdig nahe, viel näher als bei hellem Licht. Schweißperlen liefen über ihre Stirn, sie spürte es deutlich, dass hier etwas nicht stimmte. Gewaltig nicht stimmte. Die Brünette versuchte sich zu konzentrieren und starrte weiter gegen die Decke, es bewegte sich etwas in der Mauer, sie schluckte hart und krallte ihre Hände [e]in die Bettdecke. Es kam auf sie zu, langsam formte sich das Etwas zu einem Gesicht. Leere Augen fixierten sie, als wäre sie das nächste Opfer. Sie wich zurück, in die hinterste Ecke ihres Bettes, legte ihre Hände auf den Mund. Sie durfte nicht schreien, selbst wenn dies ein Traum war, durfte sie nicht schreien. Die Gefahr war zu groß, dass sie sich alles nur einbildete und die Wärter sie in eine Einzelzelle werfen würden, mitten in der Nacht. Ein Zittern glitt durch ihre Glieder und panisch blickte sie ans andere Ende des Zimmers – zu Alice’s Bett. “Bist du wach?“, wollte sie rufen, doch ihre Stimme klang kläglich klein, nur wie ein Windhauch. Ein Wispern, das die Nacht verschluckte. Ein schwarzer Arm formte sich aus der Decke und er griff nach ihr. „Verschwinde!“, krächzte sie wieder kaum hörbar und warf sich aus dem Bett. Rollte sich halbwegs lautlos ab und kroch hinüber zu dem Bett ihrer Mitbewohnerin. Schwach schaffte es ihr Oberkörper sich auf zu stemmen. Ihre filigranen Finger zupften an dem dünnen Nachthemd des Mädchens, was augenscheinlich ruhig schlief. Wendy hatte schon keine Hoffnung mehr, dass sie ihre neue Freundin unbemerkt wecken konnte, als sie etwas packte. Sie zuckte, doch dann erblickte sie Alice Kopf, sie hielt wieder einmal einen Finger an ihre Lippen, zog sie just mit einem Ruck zu sich ins Bett und streifte die Bettdecke über beide Körper. Die Darling konnte ihre ‚Retterin‘ nur ertasten, sie fasste ihre Hand und wimmerte. „Was hat das zu bedeuten?“ „Ich weiß es nicht. Er ist schon seit gestern hier.“ gab die Liddell flüsternd von sich und drückte das verängstigte Mädchen an sich. Wendy verstand nicht wirklich was sie meinte, wer war ER? Und warum seit gestern? Warum hatte Alice keine Angst? Oder hatte sie es doch und unterdrückte sie? Zu viele Fragen die in ihrem Kopf umherschwirrten, vermutlich würde sie diese erst morgen beantwortet bekommen – wenn überhaupt. Dennoch war sie mehr als dankbar, dass Alice sie zu sich geholt hatte oder eher akzeptiert hatte, denn nicht jeder teilte gerne sein Bett. „Versuch zu schlafen.“, murmelte die Blonde noch leise. „Ich bin bei dir.“ Dann schloss sie ihre Augen. Das eEinzige was sie noch wahrnahm war die bibbernde Gestalt neben sich. Ihr Körper war kalt und dennoch von Schweiß bedeckt. I don't know what's right and what's real anymore And I don't know how I'm meant to feel anymore And when do you think it will all become clear? 'Cause I'm being taken over by the fear ~*~ Wendy hatte den ganzen Tag ein seltsames Gefühl in ihrer Magengegend, so als ob ihr gleich schlecht werden würde. Dennoch hatte sie durchgehalten, denn wenn jemand davon Wind bekam, dass sie irgendwas bedrückte, würde man Fragen stellen. Und ihr war durchaus mal wiederbewusst, dass ihr keiner Glauben schenken würde. Nachher stuften die Ärzte sie auf ein noch höheres, ‚unzurechnungsfähiges´ Level ein und sie konnte die ‚gemütliche‘ zweier-WG mit ihrer neu gewonnen Freundin vergessen. Schon seit Stunden wollte die Darling mit Alice sprechen, darüber was letzte Nacht geschehen war, sie fragen, ob sie nicht verrückt sei - welch Ironie. Aber sie hatte das Gefühl gehabt ihre Freundin hatte es auch gesehen. Diese seltsame Gestalt, die sich durch die Wände heraus reißen wollte – zumindest wirkte es so. Um was zu tun? Um sie zu töten? Sie zu verschleppen? Was konnte das bedeuten? Hätte sie einfach versuchen sollen mit diesem Etwas zu sprechen? Es wirkte nicht besonders kontaktfreudig, aber man konnte sich ja immer einmal täuschen... Alice hatte zuerst ihre Sitzung gehabt, danach folgte ihre. Gleich auf - ohne jegliche Pause, keine Möglichkeit mit ihr zu unterhalten. Nervös saß sie auf ihrem Bett, versuchte die Minuten zu zählen, was ohne Uhr ziemlich schwierig war, bis sie ihre Zimmergenossin wieder sah. Noch nie kam ihr die Zeit so unendlich vor. Bis sie schließlich doch Schritte vernahm, die kannte diese Schuhe und diesen Gang genau, der Wärter, der sie jeden Morgen abholte. Er musste es sein … Alice war zurück. Gleich war sie endlich wieder bei ihr. Noch nie hatte sie sich in den letzten Jahren nach der Gesellschaft eines Menschen so sehr gesehnt. Es war Freunde und Panik zugleich, die sie umfasste. Wendy konnte nur hoffen, dass die Freude überhand nehmen würde, denn Panik bedeutete Auffälligkeit, und dies führte wiederum, wie schon bereits erwähnt, zu Konsequenzen. Dann öffnete sich die Tür. Die Brünette versuchte sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, bis die Blondine auch auf ihrem Schlafgemach saß und der Wärter ihnen wie immer kurz zu nickte und dann die Tür hinter sich zu knallte. Großes Schweigen erhellte den Raum, bis es schließlich die Liddell war, die als Erste zu Wort kam. „Du willst sicher über gestern Nacht sprechen. Ich spüre es.“, erwiderte sie leise und schenkte Wendy ein sanftes Lächeln. „Du spürst so etwas?“, kam es ihr schon entgegen, worauf die Blonde einen skeptischen Blick zu geworfen bekam. „Ja bei dir spüre ich das. Aber eigentlich ist es auch ziemlich logisch, dass man über so einen Vorfall reden möchte. Mit jemandem, der einen versteht.“ „Du hast es also auch gesehen?“, fragte die Blauäugige überrascht, dass Alice es ihr so einfach machte. Eventuell hätte sie diese Nacht auch verdrängen können, aus Sicherheit ihrer beider Willen. „Natürlich habe ich es auch gesehen. Ich sagte doch bereits, er war auch schon eine Nacht vorher hier. Genau in der Nacht vor deiner Ankunft.“ Wendy schlug die Hände auf ihren Mund. „Und du weißt wer ER ist?“ „Nein, das weiß ich leider nicht. Aber ich habe die Befürchtung er wird wieder kommen, solange er nicht das hat, was er hier sucht.“ „Und das wäre anscheinend wohl Ich?!“, wisperte die Darling mit leisen Bibbern. Alice zuckte mit den Schultern. „Kann sein, kann aber auch nicht sein. Vielleicht will er auch mich?“ „Er schwebte aber über meinem Bett und ist fast aus der Wand geplatzt. Dir hat er anscheinend nicht so eine Angst gemacht wie mir.“, gab Wendy kleinlaut von sich und fühlte wie sich alles in ihr zusammen zog. Es war ein mehr als ungutes Gefühl, dass sie wohl das Opfer dieses abnormalen Wesen sein würde und kein anderer. Natürlich wollte sie nicht, dass irgendwer anders ihren Platz einnahm… aber irgendwie kämpfte jeder Mensch um sein eigenes Überleben, wenn es drauf ankam. Das war ihr immer bewusst gewesen. „Wir werden einfach Wache schieben und dieses Ding zur Rede stellen!“, entgegnete Alice entschlossen und zeigte Wendy einen Daumen hoch. „Es wird dich sicherlich nicht grundlos aufsuchen und du hast ein recht zu erfahren wieso.“ „Ob es das noch interessiert… ich bin mir nicht sicher ob das menschliche Recht und Unrecht gilt in magischen, geistigen - oder wo immer es herkommt – Welten.“, S/sagte die Brünette bedenklich und biss sich auf die Unterlippe. Doch Alice lächelte nur aufmunternd und winkte ab. „Ach was, ich bin zuversichtlich, und besser als es nicht zu versuchen. Ich lasse meine neue Mitbewohnerin doch nicht direkt abschleppen von einem geistartigen Etwas, dass sich nicht mal erklären kann.“ Wendy musste leicht schmunzeln als ihre neue Freundin ihre leichte Ironie spielen ließ. Sie wollte ihr die Angst austreiben, auch wenn es nur ein bisschen war. Und zumindest zauberte es ein Lächeln auf Wendys Gesicht – ein kleiner Trost, aber dennoch zierte es ein Stück Hoffnung. ~*~ Es waren einige Tage und Nächte vergangen seit die Mädchen versucht hatten ihren Plan in die Tat umzusetzen. Augenringe zierten ihre Gesichter und das häufige Gähnen war nur noch schwer zu unterdrücken, doch sie mussten es vertuschen, denn sonst würden die Ärzte ihnen eventuell Schlafmittel verabreichen und somit würde ihr Vorhaben, das seltsame Wesen zu ertappen, misslingen. Und es folgte eine weitere Nacht, in der die jungen Frauen unter Alices Bettdecke saßen und auf ein Zeichen hofften und dieses Mal würden sie eins bekommen. Wendy hatte sich mit ihrer Zimmergenossin unter eine Decke gezogen und spürte schon wie es langsam kalt im Raum wurde, genau wie die Tage zuvor als es passiert war. War es wirklich soweit? War ES wieder da? Die Decke schien zu knacken und ein undefinierbares Geräusch drang in die Ohren der Patientinnen. Alice ergriff die Hand ihrer neuen Freundin um sie mental zu stärken. Fest erwiderte Wendy ihren Griff und schluckte hart. Angst stieg in ihre Glieder, und auch ihr Herz klopfte schneller vor Panik. Gleich würde sie ES wieder sehen, ihm von Angesicht zu Angesicht in die „Augen“ blicken und es gäbe kein zurück. Keiner wusste was passieren würde, weder sie, noch Alice, noch sonst wer. Nicht einmal Gott – wenn es ihn denn gab. Aber anfangen zu Beten konnte die Brünette jetzt schlecht, unangemessener Ort, ihre Hände waren nicht frei und alles um sie herum schien sich zu bewegen. „Es ist hier, ich spüre es.“, wisperte die Darling so leise sie konnte, jedoch noch so gut, dass Alice sie hörte. „Ich weiß.“, antworte diese und drückte Wendys Hand noch etwas fester, falls dies denn noch möglich war. „Wir müssen gleich die Bettdecke hochziehen, du hast es nicht vergessen oder?“ „Nein habe ich nicht, mit voller Strahlung auf das Ding… mit unseren zwei Taschenlampen.“, erwiderte Wendy und erinnerte sich daran, dass beide sehr viel Glück in den letzten Tagen gehabt hatten, da sie beide eine Taschenlampe stehlen konnten. Sie hatte ihre aus einem der Ärztezimmer mitgehen lassen, als sie den Arzt gebeten hatte, ihr ein Glas Wasser zu besorgen. Alice hatte sich wohl an den Gerätschaften des Hausmeisters bedient, wie auch immer sie das hin bekommen hatte. Vielleicht hatte der komische Kautz eine Schwäche für hilflose, kranke Mädchen?! Wendy schüttelte leicht den Kopf, um sich selbst zu ermahnen, dass diese Gedanken gerade unwichtig waren. Dann hörte sie schon wie Alice den Countdown runter zählte, sie hatte anscheinend ein Gespür für den richtigen Augenblick. Das Knarren wurde lauter, sodass man meinen konnte, das übernatürliche Wesen würde direkt über ihnen schweben. „Fünf …Vier….“, hörte sie die Stimme der Blonden und ihr Magen drehte sich einmal komplett im Kreis. „Drei… Zwei…“, und es wurde einfach nicht besser. Nur noch eine Sekunden entfernt und dann war es soweit. Leicht lösten sich die Hände der beiden Mädchen und ihre Finger umklammerten die Lampen. “Eins… und los!“, entgegnete Alice nun etwas lauter und schmiss die Decke währenddessen von ihren Köpfen. Der Lichtschein durchströmte den Raum du fokussierte das Etwas, was Wendy so fürchtete, zunächst konnten ihre Augen kaum etwas erfassen, fast als wäre dieses Etwas unsichtbar… doch das war es nicht, ein dünner Schleier umgab es und Alice entdeckte einen Schatten auf der Wand und erkannte das einzig und allein dieses Gebilde das war, was dieses Wesen auch ausmachte. Sie zog an Wendys Ärmel und deutete auf die Wand. Die Brünette konnte zunächst schwer ihren Blick abwenden aber folgte dann dem Blick ihrer Freundin. Was sie da sah verschlug ihr den Atem, nicht weil sie so überrascht war, was sich dort auf der Wand abzeichnete, sondern weil es ihr so bekannt vorkam. Ungläubig blinzelte sie du starrte erneut hinauf. „Was willst du? Was willst du von Wendy Darling?!“, hörte sie Alice Stimme energisch und bestimmend. „Sag es uns! Sie hat ein Recht darauf es zu erfahren!“ beharrte sie weiter, und sah fest entschlossen aus, alle Informationen zu bekommen, die sie wollte. Zunächst Schweigen, der Schatten bewegte sich nicht, dann legte er den Kopf schief und deutete auf Wendy. “Sie weiß wer ich bin.“, raunte es wie aus dem Nichts durch den Raum und es kam Alice fast so vor, als würde der Raum gefrieren. „Du weißt es? Wendy?“, wandte sich Alice verwirrt zu dem Mädchen um und ihr Gesicht signalisierte, dass sie die Welt in diesem Moment nicht mehr verstand. Die Brünette hatte den Mund immer noch offen, wagte es, für einige Minuten, kaum zu sprechen, denn alles in ihrem Kopf schoss wieder in die Realität zurück. „Das ist…“, begann sie stotterten, fand aber wieder einen neuen Anfang. „Sie haben mich eingeliefert, weil ich sagte ich sei in einem anderen Land gewesen… und Peter Pan hätte meine Brüder und mich geholt… und…. Das ist sein Schatten.“, bekam die Darling halbwegs erklärlich aus ihrem Mund und wusste nicht, was sie tun oder lassen sollte. Alice kratze sich am Kopf. „Aber mir erging es doch genauso… nur das … das ein weißes Kaninchen mich unter in einem Versteck unter die Erde gelockt hatte… in ein magisches Land. Wird es mich etwa auch heimsuchen?!“ Der Schatten zuckte mit den Schultern. „Wohl möglich.,kam es trocken aus seinem „Mund“ und Alice schüttelte den Kopf. „Nein wieso sollte es? Und was willst du hier? Warum lasst ihr uns nicht in Frieden? Ihr seht doch, wo wir wegen euch gelandet sind!“ „Das ist der Punkt. Ihr glaubt weiterhin, ihr habt nicht vergessen. Ihr werdet unsere Länder verraten.“, gab das Wesen düster von sich und aus seinem Schattenbild zog er eine Art Messer hervor. Wendy hatte sich plötzlich wieder gesammelt und ergriff das Wort. „Nein, das werden wir nicht und selbst wenn, sie würden uns alle niemals glauben!“ „Eines Tages werden sie es und dann werden sie einen Weg finden, unser Land zu zerstören… es einzunehmen.“ Alice reagierte wieder einmal schneller als sie sah, wie das Messer sich senkte. Dann zog sie Wendy aus dem Bett, klatschte auf den Boden und kroch mit ihr unter das Bett. „Wir müssen hier raus. Kostet es, was es wolle, er wird immer wieder kommen…und ich glaube nicht, dass wir es irgendwie überreden können, uns zu verschonen. Es wird aussehen als hätten wir uns selbst umgebracht oder gegenseitig.“, erklärte die Blondine und alles in ihrem Kopf ergab plötzlich Sinn. Natürlich waren diese Welten für Kinderaugen ein Traum gewesen, aber für Erwachsene wandelte sich das Bild in einem Alptraum. Dann der Einfall. Ein Einfall, den sie nur selten hatte, der riskant war, und mehr als gewagt, aber dennoch funktionieren würde. Sie erfasste wieder Wendys Hand und zog sich unter dem Bett hervor. Wendy verstand nicht ganz, doch Alice murmelte ein leises. “Vertrau mir.“ „Jage uns, versuch uns zu töten, aber bring uns vorher hier raus. Wenn wir weglaufen können wird es dir umso mehr Spaß machen, uns zu vernichten. Du kennst doch sicher ein paar gute Horrorfilme, es ist immer so. Dass du ein paar wehrlose Mädchen getötet hast, wird dir niemand anrechnen, aber wenn du uns eine faire Chance gibst, wird man dich als Sieger feiern.“, plapperte die Blonde einfach daher, unwissend ob ES darauf eingehen würde. Aber die Hoffnung, dass es wie alles „Böse“ einen Reiz hatte zu jagen, bevor es tötete, war doch sehr hoch. Es war das Klischee eines jeden Horrorstreifens, also wieso sollte es nicht in der Realität genauso sein? Wenn man dies überhaupt noch als Realität verzeichnen konnte. Wendy verstand nicht warum Alice diese Worte gewählt hatte, doch nun konnte man diese missliche Lage nicht mehr ändern. Ihr Herz blieb stehen, dieses Warten, auch wenn es nur vermutlich um Sekunden. Sämtliche Türen hier waren natürlich verschlossen, Wärter schoben Nachtwache, und auch der Ein- und Ausgang war mit Kameras und Alarmanlagen gesichert. Der Einzige, der sie hier lebend rausbringen konnte war der Schatten – zumindest vorerst lebend. Wie sehr hatte sie dieses Wesen doch verkannt, immer schon hatte sie es unheimlich gefunden, aber teils auch witzig, da es nie auf Peters Worte hörte – und jetzt wusste sie warum Peter ihn sogar annähte. Er war ungestüm, folgte keinem menschlichen Trieb. Er sorgte für einen Schutz über Neverland – ein Schutz, der tödlich sein konnte. In ihren Erinnerungen kramte Wendy nach alten Zeitungsartikeln, versuchte alte Mordfälle aufzurollen, Morde, die vielleicht auf seine Kappe gehen könnten. Sie wollte wissen, ob es nicht nur ihnen passierte, sondern anderen. Zu viele Fragen… zu viele Fragen… „Nun gut.“, erlöste der Schatten die Mädchen endlich aus ihrer Anspannung und das Messer verschwand wieder aus seiner „Hand“, dann umhüllte ein leichter Rauch ihre Glieder. Alles verschwamm vor ihren Augen, alles drehte sich … war er etwa auf diese primitive Rede reingefallen? Hatte das Ganze nicht doch einen Haken? Während alles schwarz wurde liefen ihre Gedanken einige Szenarien durch, doch keine war wie die, die wirklich eintrat. Du siehst die rote Tür, ich mal' sie schwarz Du siehst die Zukunft, ich sehe schwarz Bitte sorg' dich nicht, ich bin am Start Anders als vorher, doch zurück in Schwarz Du drehst die Uhr zurück, ich dreh' das Kreuz Du gehst die Wege ab, du lachst in Moll Legst dich in Asche, beschwörst die Stadt Wenn es niemand erwartet, zurück in Schwarz, Schwarz, Schwarz Die ist wie Liebe, die man nicht hat Wie nicht zu Hause, wie nicht dein Platz Wir legen Asche über die Stadt Wenn niemand mehr wartet Zurück in Schwarz „Sie haben immer gesagt wir sind verrückt Wendy… wach auf, das ist unsere Chance …vielleicht.“, hörte die Brünette eine Stimme aus der Ferne und sie blinzelte leicht. Ihr Kopf tat weh und ihre Glieder schmerzten. Was war nur passiert? Zögerlich öffneten sich ihre Augen ganz und sie blickte in ein tiefes rehbraun, das sanft ansah. „Alice… was ist passiert?!“, wisperte sie und rappelte sich wieder auf. Dann sah sie sich um, überall war es grün. Der Wind pfiff leicht um ihre Nase und durch ihr Haar. Sie lagen in einem Feld, Insekten schwirrten um ihre Köpfe, die Sonne strahlte in den blauen Himmel hinein. Wie konnte das sein? War es zuvor nicht noch Wintersende?? gewesen? Oder ein sachter Frühlingsanfang?! Warum fühlte sich ihre Haut dann so warm an? Am liebsten hätte sie sich wieder ins Gras gelegt und ein Nickerchen gemacht. Die Wärme ließ ihren Körper ermüden – glaubte sie zumindest. Eine Frühjahrsmüdigkeit?! „Wunder dich nicht, er hat uns ans andere Ende der Welt geschickt. Hier scheint meistens die Sonne um diese Jahreszeit stärker als bei uns.“, hörte sie die Stimme der Blondine schon, als würde sie ihre Gedanken lese können. Noch nie zuvor war sie so glücklich gewesen jemanden an ihrer Seite gehabt zu haben – nicht nur jemanden, sondern genau sie. Als sie ihr Lächeln beobachtete und ihren Lippen folgte, die ihr immer die richtigen Antworten gaben, fühlte sie ein Kribbeln in ihrer Magengegend. Völlig unangebracht zu der Situation, die zuvor geschehen war. Aber dennoch es erfüllte sie mit einer Leichtigkeit. „Er hat also darauf gehört, was du ihm gesagt hast? Unbegreiflich…“, hauchte die Darling und drückte die Hand ihrer Freundin an sich. „Ich bin froh, dass du noch bei mir bist.“, fügte sie hinzu und lächelte ebenfalls. „Ich werde immer bei dir bleiben, bis zum Ende.“, erwiderte die Liddell sanft und erwiderte ihren Handdruck wie ein paar Minuten zuvor auch. „Und ich kann dir nicht sagen wann das Ende sein wird. Er wird uns verfolgen, und vielleicht kommt auch noch ein mordlustiges weißes Kaninchen hinzu, das ich eigentlich als nicht böswillig in Erinnerung hatte, aber mich würde nichts mehr wundern. Aber eines kann ich dir sagen, wir werden zusammen fliehen und jede Minute genießen, die wir noch haben. Denn das ist unsere erste Zeit in Freiheit nach Jahren. Es ist ein Geschenk mit bitteren Folgen, aber wir müssen es auskosten, so lang es noch geht.“ Ihre Worte klangen wie aus einer herrlich schlechten Dramaserie, und dennoch liebte sie jedes einzelne Wort. Wendy erhob sich und zog Alice mit sich hinauf. Dann blickte sie auf das endlos lange Maisfeld, oder was auch immer hier jemand anbaute, und seufzte. „Mir scheint wir haben noch einen langen Weg vor uns. Bis die Nacht anbricht können wir Schutz suchen.“ Die Blonde ließ ihren Arm um die junge Frau gleiten und drückte sie fest an sich. „Bei mir wirst du immer Schutz finden.“, scherzte sie leicht und doch ernsthaft. Auch wenn ein Spaß vielleicht unangebracht war in dieser Lage, so konnte sich Alice diesen Satz nicht verkneifen und es tat gut ihre neue Freundin so innig zu berühren. Es war fast so als gaben sie sich beide dadurch Kraft. Die meisten Geschichten beginnen mit einem „Es war einmal..“ und enden mit einem Happy End, doch was wenn das Schicksal sich auch für diese Welten gedreht hatte? Was wenn das Gute, was man in der Kindheit in Erinnerung hatte sich im Alter in etwas Schlechtes verwandelt? Etwas was die die Erinnerungen rauben will, was sich vergessen lassen will unter allen Umständen? Warum erinnern sich die meisten Kinder nicht an längst vergangene Zeiten, die sie lächeln ließen? Warum glauben Psychologen, dass es normal ist, wenn Kinder Fantasiefreunde haben? Wissen sie im Unterbewusstsein nicht, dass sie damals auch einen hatten? Und dieser doch realer war als sie in der Gegenwart meinen? In einer letzten Ecke ihres Gedächtnisses wissen sie es noch, doch die Angst entdeckt zu werden sträubt sich die Wahrheit zu erkennen. Denn das vermeidliche Gute, dass sie einst begleitet hatte, gerät selbst in Gefahr vernichtet zu werden. Deswegen werden sie dich verfolgen… jeden, der es wagt noch daran zu glauben. Zu glauben an ein Stück Magie und unerklärliche Dinge, die dein Verstand längst im Meer der Realität versunken hat. Wendy Darling und Alice Liddell hatten nicht vergessen, und sie würden auch niemals vergessen. Doch der Preis dafür war hoch … und lebenslänglich. “Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anders ist als die Realität.“ -Alfred Hitchcock Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)