Per Anima Familiare von Flordelis ================================================================================ Kapitel 3: Wirst du hingehen? ----------------------------- Der Großteil von Abteracht besuchte ungern die Krankenstation. Es lag nicht an deren Ausstattung, die einem vielleicht unheimlich vorkommen könnte, denn sie sah genauso aus, wie eine ganz normale Arztpraxis, das Ultraschall-Gerät war da noch die außergewöhnliche Maschine, und es wurde auch immer alles geradezu penibel sauber und steril gehalten. Nein, sie klagten über die unterkühlte Ärztin, deren Mangel an sozialer Kompetenz und dem fehlenden Gespräch während der Behandlung. Deswegen grauste es jedem davor, zur Routine-Untersuchung, die alle zehn Einsätze erforderlich war, eingeladen zu werden. Jedem außer Kieran. Er mochte die Ärztin gerade wegen all diesen Dingen, über die andere sich beklagten. Sie erwartete keinen Smalltalk von ihm, hielt ihn nicht länger als nötig auf und versuchte auch nicht, ihn zu seltsamen Unternehmungen zu zwingen. Deswegen war er ganz froh, dass der Kampf gegen die Dämonin zuvor wieder einmal seine zehn Einsätze voll gemacht hatte, so dass er sich am Tag darauf auf der Krankenstation einfand. „Du fühlst dich also gut?“ Konia Dragana, die Ärztin Abterachts, blickte nicht einmal von ihrem Klemmbrett auf, als sie diese Frage stellte. „Ich kann nicht klagen.“ Gut wäre eine Übertreibung, aber er fühlte sich auch nicht außerordentlich schlecht, also gab es wirklich keinen Grund zur Klage. Konia war etwa dreißig Jahre alt, wenn er hätte schätzen müssen. Obwohl sie auch einmal Jägerin gewesen war, hatte sie es bevorzugt, sich der medizinischen Seite zu widmen, was von kaum jemandem verstanden worden war. Immerhin arbeitete sie offenbar nicht gern mit Menschen, aber Kieran sah das vollkommen anders: Konia liebte Menschen – nur nicht deren Angewohnheit, dauernd mit ihr reden zu wollen, wenn sie kein Verlangen danach verspürte. Ihr langes grünes Haar war an diesem Tag zu einem geflochtenen Zopf zusammengefasst, was ein ungewöhnlicher Anblick bei ihr war. Ihre grünen Augen blieben auf das Dokument auf dem Klemmbrett gerichtet, während sie darauf Dinge notierte, hin und wieder hob sie die Hand, mit der sie den Kugelschreiber hielt, um sich ihre Brille zurechtzuschieben. „Ist dir in letzter Zeit etwas aufgefallen, während des Kämpfens? Unerklärliche Schmerzen in der Brust oder anderen Körperteilen?“ „Nein.“ Er fragte sich, ob es Jäger gab, die über so etwas klagten oder ob es eine reine Routine-Frage war, aber genau das gehörte zu den Dingen, über die Konia nicht sprechen wollte. Allgemein bevorzugte sie es, zu schweigen und wirklich nur dann etwas zu fragen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. „Wie steht es mit deiner Familiar? Irgendwelche Probleme mit ihr?“ „Absolut keine.“ Konia gab einen verstehenden Ton von sich, der aussagte, wie zufrieden sie über diese Antwort war. Selbst ohne Worte schaffte sie es, derart viel von sich zu vermitteln, dass es Kieran schleierhaft war, wie man sich darüber beklagen konnte, dass sie nicht kommunikativ genug war. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr, vermutlich um das Datum abzulesen, denn plötzlich runzelte sie ihre Stirn. „Es ist schon wieder der 28. Oktober.“ „Ja, bald ist Halloween.“ Das war das erste, was ihm darauf einfiel, denn es erinnerte ihn wieder an die Aufforderung Farens, endlich einmal zur Feier am selben Tagen zu kommen. Dass Konia aber glücklicherweise ganz anders tickte als alle anderen, bemerkte er sofort: „Ich habe gerade eher daran gedacht, dass in zehn Tagen der nächste Mundus Patet ansteht.“ Bereits in der römischen Antike war dies der Tag gewesen, an dem die Pforte zur Unterwelt offenstand, so dass die Manen, die Geister Verstorbener, sowie Umweltgeister, auf der Erde wandelten. Damals waren sie noch friedlich gewesen, weil man ihnen angemessene Opfer darbot, um sie zu besänftigen. In der heutigen Zeit existierten diese Traditionen nicht mehr, man glaubte nicht mehr an Geister, nicht einmal mit all den Dämonen, die öffentlich die Welt beherbergten. Ohne jedes Opfer zur Besänftigung, wurden die Manen zu Larvae – und ab diesem Punkt waren sie gefährlicher als Dämonen. An drei Tagen im Jahr war es ihnen erlaubt, auf Erden zu wandeln und an diesen drei Tagen war deswegen immer reichlich viel für die Jäger zu tun. „Sollen die Menschen ruhig ihr Halloween feiern“, sagte Konia, „und sich in Sicherheit wiegen, weil sie glauben, die bösen Geister damit vertrieben zu haben. Mich geht das nichts an.“ Sie legte das Klemmbrett ab und suchte sich weitere Instrumente für die Untersuchung heraus. „Wurdest du nicht zur Halloween-Party eingeladen?“, fragte Kieran, während er ihren makellos weißen Arztkittel, der beinahe zu strahlen schien, bewunderte. Auch wenn sie die Ärztin war, wurde sie von jedem hier mit Vornamen angesprochen und auch geduzt. Sie machte sich nichts aus reinen Förmlichkeiten, nicht einmal bei ihrer Ansprache, also redete man eben so mit ihr. Sie legte sich das Stethoskop um den Hals und griff sich einen Holzmundspatel. „Natürlich hat man das. Griffin war persönlich hier und hat mich angefleht zu kommen.“ Das konnte Kieran sich sogar lebhaft vorstellen. Es ging ohnehin das Gerücht um, dass Faren ein Auge auf sie geworfen hätte – wenn auch nur wegen der Herausforderung, die sie bot – da war es nur logisch, dass Faren versuchte, sie davon zu überzeugen, wirklich zu kommen, damit er auf der Feier dann seinen Charme einsetzen könnte, um sie von sich zu überzeugen. „Wirst du hingehen?“ Vielleicht beeinflusste das ja seine Entscheidung, ebenfalls zu gehen. Sie fuhr herum und kam wieder zu ihm, um mit der Untersuchung fortzufahren. „Ich muss gehen“, erklärte sie, während sie ihm in die Augen leuchtete und dann direkt den Holzmundspatel gebrauchte, um sich auch seine Mandeln anzusehen. „Cerise war bereits hier und hat klargestellt, dass jedes Mitglied von Abteracht dort zu erscheinen hat.“ Kieran hätte am liebsten entnervt geseufzt, ließ es aber bleiben, damit Konia bei ihrer Untersuchung – inzwischen war sie zum Abhören seiner Lungen und des Herzens übergegangen – nicht behindert wurde. Es klang aber ganz danach, als hätte Cerise, die Anführerin von Abteracht, sich von Faren beeinflussen lassen, jedenfalls glaubte Kieran nicht, dass sie ganz allein auf diese Idee gekommen war. Hätte er doch nur niemals dafür gesorgt, dass Faren diesen Job bekam. „Also körperlich geht es dir bestens“, sagte Konia schließlich, dabei wirkte ihr Tonfall äußerst zufrieden – ob andere Jäger wirklich so wenig auf sich achteten? „Wie sieht es mit deiner erweiterten Sicht aus?“ Jeder Jäger verfügte über ein ganz besonderes Talent, das nur ihm zu eigen war. In Kierans Fall handelte es sich dabei um eine sogenannte erweiterte Sicht. Sie erlaubte ihm, neben der normalen Ebene, auf der jeder Mensch seine Umgebung wahrnahm, auch eine transzendente Ebene zu betrachten. Manche Dämonen waren nur auf diese Art sichtbar, aber viel interessanter fand er, dass auch Spuren von Magie, die sich durch alles zogen, auf diese Weise für ihn sichtbar wurden. Anfangs war es reichlich anstrengend gewesen, aber Parthalan, die rechte Hand Cerises, hatte ihn darin unterwiesen, wie man diese Sicht unterdrücken und nur dann einsetzen konnte, wann immer man das auch wirklich wünschte. „Kannst du sie für mich mal aktivieren?“ Kieran nickte und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatte sich schwarzer, transparenter Schleier über alles gelegt. Inmitten dieser düsteren Umgebung waren glitzernde Funken und zu sehen, manchmal gab es auch leuchtende Kugeln, die sich um bestimmte Personen versammelten, aber bei Konia fehlte das komplett. Einige der Funken lagen zwar auf ihrer Schulter und ließen ihren Kittel noch mehr leuchten, aber die Kugeln waren nicht zu sehen. Da Kieran bislang der erste Jäger mit diesem Talent war, gab es leider keinerlei Aufzeichnungen darüber, worum es sich bei diesen leuchtenden Dingen handeln mochte und weswegen sie sich gern an Menschen klammerten. Er nahm sie deswegen einfach hin, da sie auch nicht gefährlich erschienen. Konia blickte ihm ernst in die Augen, aber nur wenige Sekunden, dann nickte sie bereits und wandte sich auch schon wieder von ihm ab. „Das war alles, danke.“ Sie widmete sich wieder ihrem Klemmbrett und machte sich weitere Notizen, wobei sie erstaunlich schnell schrieb, ohne sich irritierten zu lassen. „Gibt es sonst noch etwas, worüber du sprechen möchtest?“ Selbst als sie das fragte, hielt sie nicht beim Schreiben inne, es schien ihm fast, als wäre sie besessen – und vielleicht war sie das sogar. Jedenfalls wusste er nichts über ihr Privatleben und das lag vermutlich nur daran, dass sie kein solches besaß und nicht daran, dass sie nicht darüber sprechen wollte. Aber er fand das vollkommen in Ordnung. Wenn sie gern so lebte, warum sollte man ihr das verbieten? Faren sah das aber mit Sicherheit anders. „Dann gehst du wirklich zu der Feier?“ Sie runzelte ihre Stirn, da sie mit dieser Frage wohl nicht gerechnet hatte. „Reden wir immer noch darüber? Ich sagte ja, ich muss gehen. Aber ich werde nicht sehr lange bleiben.“ Mit Sicherheit würde sie dann einfach etwas vorschieben, damit sie schnell wieder verschwinden konnte. Kieran beneidete sie darum, denn er konnte keinen solchen Grund vorbringen. „Dann sehen wir uns dort.“ Vielleicht würde es dann nicht so schlimm werden, wenn sogar sie kam. Notfalls könnten sie beide eine Weile zusammen in einer Ecke stehen und sich anschweigen. Konia störte das sicher nicht. Sie hörte auf zu schreiben und hob den Blick, um ihn wieder anzusehen, sie hob sogar ein wenig die Mundwinkel und deutete damit ein Lächeln an. „Gut, wir sehen uns.“ Kieran erhob sich nach einer knappen Verabschiedung von der Liege und verließ das Behandlungszimmer. Bevor er die Tür schloss, warf er noch einen letzten Blick auf Konia, die sich inzwischen wieder ins Schreiben vertieft hatte. Es gab nur eine einzige Sache, die er an ihr immer wieder ungewöhnlich fand: Sie hatte keinen Familiar. Zumindest hatte noch nie irgendjemand ihn gesehen, deswegen ging jeder davon aus, dass sie keinen solchen besaß. Warum sie dann in Abteracht war, war jedem schleierhaft. Allerdings war Faren auch hier, wie Kieran gleich wieder feststellte, als er plötzlich dessen Stimme hörte. Er blieb neben einem der Fenster stehen und wandte sich dann Faren zu, der mit einem zufriedenen Lächeln vor ihm zum Stehen kam. „Hey, Kieran~.“ „Hey“, grüßte dieser ihn wesentlich weniger enthusiastisch. „Was gibt’s?“ Faren steckte die Hände in die hinteren Taschen seiner Hose und begann aufgeregt auf seinen Füßen vor- und zurückzuwippen. „Hast du schon das Neueste gehört?“ Darum ging es also. Faren hatte ein überraschend gutes Timing, das musste Kieran ihm neidlos anerkennen. „Du meinst, dass jeder aus Abteracht auf der Halloween-Party erscheinen muss?“ „Ganz genau.“ Faren strahlte, als wäre der Weihnachtsmorgen bereits angebrochen. „Also kann ich ja wohl davon ausgehen, dass du kommst~.“ Ihm blieb ja kaum eine andere Wahl, aber das sagte er nicht. Stattdessen hakte er nach: „Faren, kann es sein, dass du Cerise darum gebeten hast, nur weil ich unbedingt auf dieser Feier erscheinen sollte?“ „Genau~. Ganz schön clever von mir, was?“ Er erwartete tatsächlich ein Lob für diesen Plan. Aber Kieran war nicht gewillt, ihm ein solches auszusprechen. „Und Konia?“ „Die sollte unbedingt kommen, damit du einen Grund mehr hast, zu kommen.“ Und er gab das auch noch einfach so zu. „Warum willst du unbedingt, dass ich auftauche? Hast du vor, mich irgendwie öffentlich zu blamieren oder mir einen Streich zu spielen?“ Diese Frage schien Faren wirklich zu treffen. Er stellte das Wippen wieder ein, sein Lächeln erlosch, dafür blickte er Kieran mit erstaunlicher Ernsthaftigkeit an. „Würdest du mir das wirklich zutrauen? Ich mache mir nur Sorgen um dich, das ist alles.“ „Du musst dir keine Sorgen machen“, erwiderte Kieran. „Es geht mir bestens.“ Er wandte sich ab, damit Faren die Verunsicherung nicht bemerken konnte. „Ich muss dann mal los.“ Doch statt einer Verabschiedung sagte Faren noch etwas, das nicht so wirklich passen wollte, weder zum Gespräch, noch zu seinem Charakter: „Wenn man so allein ist, ist man auch sehr einsam.“ Unschlüssig blieb er noch einen Moment stehen, ohne sich umzudrehen. Er wollte Faren in diesem Moment nicht ansehen, schon allein weil er nicht einmal wusste, was sein eigenes Gesicht gerade spiegelte und er wollte nicht, dass sein Freund sich am Ende auch noch verletzt fühlte, obwohl er es nur gut meinte. Schließlich entschied er sich aber für eine Aktion, die typisch für ihn war: „Ich werde auf die Feier kommen. Wir sehen uns spätestens dort.“ Damit ging er auch bereits hastig weiter und ließ Faren stehen, aber auch ohne zu ihm zurückzusehen, wusste er, dass sein Freund gerade wieder zufrieden lächelte. Und zumindest diesmal fühlte Kieran sich nicht so, als ob er etwas gänzlich gegen seinen Willen tat. Oder es war jedenfalls nicht mehr ganz so wild. Er hoffte dennoch, dass der Abend schnell vorbeigehen würde und er sich dann wieder seinem normalen Leben widmen könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)