Per Anima Familiare von Flordelis ================================================================================ Kapitel 2: Danke, Alraune. -------------------------- Kieran mochte die Nacht. Nicht wegen der Dunkelheit, die nur notdürftig von dem elektrischen Licht der Menschen verdrängt wurde, um sich umso finsterer jenseits davon zu sammeln. Auch nicht aufgrund der Tatsache, dass dann weniger Menschen unterwegs waren. Nein, es war die Jagd auf die Dämonen, die dann begann, und die dafür sorgte, dass er sich lebendig fühlte. Wenn das Adrenalin durch seine Adern pumpte, er jede Bewegung des Feindes wie in Zeitlupe wahrnahm, dann lebte er wirklich, dann war er in der Lage, seinen Lebenszweck zu erfüllen. Die ihn ausbremsenden Einsatzbesprechungen im Vorfeld störten ihn jedoch jedes Mal aufs Neue. „Es kam zu Dämonensichtungen im Planquadrat A2, C3 und E1.“ Selines Stimme klang so mechanisch wie eh und je, wann immer sie diese Besprechungen leitete. „Also ist der beste Kurs, dass wir uns aufteilen.“ Das blaue Leuchten des Bildschirms verschmolz mit dem Blau ihrer Augen, während sie auf das Display starrte. Ohne dass einer der anderen beiden etwas sagte, tippte sie etwas auf der Tastatur, das ihre Entscheidung bereits bestätigte. Ein sich stetig drehender Kreis erschien neben ihrer Eingabe, sie mussten also nur noch warten, dass Abteracht zustimmte. „Die Dämonenschwemme lässt sich dieses Jahr viel Zeit“, kommentierte Russel, während er seine Brille zurechtschob. „Letztes Jahr hatten wir um diese Zeit im Oktober schon viel mehr Feinde auf den Straßen.“ Kieran hielt die Arme vor der Brust verschränkt und antwortete nicht. Allerdings bemerkte er es auch. Vor einem Jahr hätten die Bäume in diesem Park sich im Wind gewogen, heute standen sie still. Vor einem Jahr wäre es Seline niemals möglich gewesen, einfach auf dieser Bank zu sitzen und die taktischen Eingaben anzufertigen, weil sie überall bedroht worden waren. Das einzige, das gleich geblieben war, zeigte sich in einer Regel, die von der Regierung erlassen worden war: Zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens war es verboten, sich draußen aufzuhalten. War man dennoch dazu gezwungen, waren die Bürger dazu angehalten, sich zügig in Sicherheit zu begeben. Diese Kontrolle funktionierte mehr oder minder gut. Kieran entdeckte besonders oft Jugendliche, die in ihrem Rebellentum auch die Ausgangssperre ignorierten. Und dann gab es natürlich noch die Obdachlosen. Und die wirklichen Notfälle. Der Schutz dieser drei Personengruppen war vorrangig, erst an zweiter Stelle ging es darum, im Allgemeinen zu verhindern, dass die Dämonen sich ausbreiteten. In diesem Jahr sah es günstig aus. „Hat das etwas mit der Erderwärmung zu tun?“, fragte Russel. Da er Kieran direkt ansah, wusste dieser, dass er in der Pflicht war, zu antworten, und tat das auch, wenngleich widerwillig: „Solltest du darüber nicht besser Bescheid wissen? Du bist hier derjenige, der mit dem Wind sprechen kann.“ Als wolle er das bestätigen, wehte eine sanfte Brise durch den Park, brachte das Laub zum Rascheln und brachte Russels grünes Haar durcheinander, das zu seinen stets müde blickenden Augen passte. „Und?“, fragte Kieran. „Was sagt er dir?“ „Er findet es lustig, mich vor euch bloßzustellen.“ Der Kreis verschwand endlich und wurde durch einen grünen Haken ersetzt; der Plan war genehmigt. Mit diesem Symbol erwachte auch das Feuer in Kierans Inneren, denn nun war es fast soweit, dass sie jagen gehen konnten. Seline warf einen Blick über ihre Schulter. „Russel, du kümmerst dich um A2.“ Dieser war am weitesten von ihrer Position entfernt, also benötigten sie jemand, der schnell war, und diese Rolle stand eindeutig Russel zu, der auch sofort nickte. „Mache ich.“ „Kieran, du übernimmst E1, und ich kümmere mich schließlich um C3.“ Er hätte sie nun darauf hinweisen können, dass sie über mehr Geschwindigkeit verfügte als er und deswegen sie das weiter entfernte Gebiet übernehmen sollte, aber das hätte nur zu weiteren Diskussionen geführt, die ihn von der Jagd abhielten. Außerdem plante sie wohl, die Ausrüstung mit sich zu führen. Sie schloss den Laptop, packte diesen in eine braune Tasche und schnallte sich diese auf den Rücken. Es war nicht viel, bei weitem nicht genug, um das Wunderkind davon abzuhalten, sich zu beeilen, aber er wollte keine Zeit mehr verlieren. „Geht in Ordnung.“ Damit ging die Gruppe auch bereits auseinander. Während Russel den Hafen aufsuchte, kümmerte Seline sich um den Industrie-Sektor, so dass für Kieran nur das Wohngebiet blieb. Das war vermutlich eher der Grund gewesen, weswegen er dorthin geschickt wurde. Sein Fingerspitzengefühl galt als ziemlich berühmt in Abteracht. Das lag wohl nicht zuletzt an seiner Familiar Alraune, die in diesem Moment auch schon neben ihm erschien. Sie musste nicht laufen, schwebte stattdessen neben ihm her, und lächelte dabei, als könne nichts ihre gute Laune trüben. „Das gestern hast du gut gemacht“, sagte er. Eigentlich war es überflüssig, mit ihr zu sprechen, da allein seine Gedanken genügten, um mit ihr zu kommunizieren, aber er hatte das Gefühl, dass es wesentlich persönlicher war, direkt zu ihr zu sprechen. Sie dankte ihm das, indem sie ein verlegenes Gesicht machte. „Du kannst ein Kompliment ruhig annehmen“, ermunterte er sie. „Mach bitte weiter so gute Arbeit.“ Die wenigsten Jäger dachten daran, ihren Familiar für seine Verdienste zu loben. Das war im Grunde nichts Schlimmes, immerhin waren sie Diener für die Jäger, aber inzwischen neigten viele Familiar dazu, einen eigenen Kopf zu entwickeln und es ihren Besitzer spüren zu lassen, wenn sie falsch handelten. Kieran wollte dem bei Alraune vorbeugen und außerdem empfand er es als angebracht, sie zu loben oder sich bei ihr zu bedanken. Es gehörte sich einfach so. Alraune quittierte seine Bitte mit einem schüchternen Abwinken und einem Gedanken, den sie ihm als Bild direkt ins Gehirn projizierte. Er wurde schon oft gebeten, zu beschreiben, wie jene Bilder aussahen, da sie bei jedem Jäger und jeder Familiar anders waren, aber er fand keine Worte, um es auszudrücken. Es waren lebendig gewordene Farben, ein Lichterspiel, sichtbare Klänge, Dinge, für die es keine Beschreibung gab und denen Worte nicht gerecht wurden. Er lächelte ihr zu und konzentrierte sich dann auf seinen Weg, der alsbald ein Ende fand. Das Wohngebiet von Cherrygrove, das in der Nähe dieses Parks lag, war nicht unbedingt eines, das für gut betuchte Personen stand. In den seelenlosen Hochhäusern lebten zahlreiche Familien und auch Alleinerziehende, die alles hier mit Leben füllten – jedenfalls tagsüber. Nachts war es, erwartungsgemäß, ruhig. Außer ihm befand sich nur eine andere Person hier, eine alte Frau, die sich nur zittrig und vornübergebeugt fortbewegte. Sie hielt einen Gehstock in der rechten Hand und eine schwer aussehende Tasche in der linken. Alraune löste sich auf, Kieran eilte rasch zu der Passantin hinüber. „Darf ich Ihnen helfen?“ Die Frau hielt inne und musterte ihn einen kurzen Moment verkniffen, ehe sie ihm dankend die Tasche überließ und dann ihren Weg fortsetzte. Kieran schloss sich ihr direkt an. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, nur das blaue Licht der Straßenlaternen erhellte ihnen den Weg. Aber dann beendete die Frau diese Stille: „Es gibt nicht mehr viele nette junge Männer heutzutage.“ „Mh-hm.“ „Die meisten erwarten doch immer eine Gegenleistung.“ Kieran nickte. „Da wollen sie Geld haben. Oder ganz und gar unaussprechliche Dinge.“ Er reagierte nicht darauf. „Dabei sollten sie froh sein, dass wir sie nicht einfach auffressen.“ Kieran blieb stehen. Die alte Frau lief noch ein wenig weiter, ehe sie ebenfalls stehenblieb. Statt sich ihm zuzuwenden, sah sie weiter geradeaus, während sie mit ihm sprach: „Du hast es sofort gewusst, Jäger, nicht wahr?“ „Es war nicht schwer zu erraten“, erwiderte er, dann ließ er die Taschen fallen, die mit einem lauten Klirren auf dem Boden landeten. „Welche normale alte Frau läuft schon mit einem Dutzend Schusswaffen durch die Gegend?“ Für einen kurzen Moment herrschte angespanntes Schweigen. Lediglich das weit entfernte Geräusch von vorbeiziehenden Autos war zu hören. Dann geschah alles innerhalb von Sekunden. Ranken schossen aus dem Boden und bildeten eine runde Begrenzung des Kampffeldes. Die alte Frau fuhr herum, zog dabei eine Pistole aus ihrem weiten Mantel, zielte auf Kieran und schoss. Er wich aus, noch bevor der Schuss überhaupt fiel, nutzte den Schwung dann, um hochzuspringen, sich von der Rankenwand abzustoßen und mit einem, in seiner Hand erschienen Schwert, auf die Dämonin zuzuspringen. Sie mich mit einem einzigen Satz aus und kam direkt zwischen den Tüten wieder zum Halten. Mit einem einfachen Stampfen auf den Boden, löste sie eine geringe Erschütterung aus, die es tatsächlich schaffte, die Waffen in die Luft zu befördern. Sie griff sich zwei der Pistolen und feuerte damit rapide auf Kieran, der den Kugeln auswich oder sie mit dem Schwert abwehrte. Pfeifend flogen die Geschossen an ihm vorbei, schlugen in die Ranken ein und blieben dort stecken. Wann immer die Magazine leer waren, ließ sie die Pistolen einfach fallen und griff sich zwei neue, die mittels Magie immer noch in der Luft schwebten. Kaum waren sämtliche Magazine leer, ohne dass Kieran auch nur von einer einzigen Kugel getroffen worden war, verwandelte sich der rechte Arm der Dämonin in eine furchterregende Klaue, mit langen silbernen Krallen. Mit dieser griff sie Kieran nun an, pflügte problemlos in den Asphalt, der unter der Klaue nachgab wie weiche Butter. Bei einer solchen Waffe empfand Kieran es besser, in den Fernkampf überzugehen, deswegen verwandelte er sein Schwert in eine Armbrust. Er legte sie an, während sie noch leuchtete, also noch gar nicht richtig geformt war – aber kaum erlosch das Licht, feuerte er auch bereits einen Bolzen ab. Er verfehlte die Dämonin, bohrte sich aber in ihren durch das Mondlicht verursachten Schatten auf dem Boden. Mit einem wilden Schrei stürzte sie auf Kieran zu, der sich nicht rührte – und mit einem erschrockenen Ausruf wurde sie wieder zurückgeworfen, als ihr Schatten sich nicht mehr verlängern konnte und wie ein Gummizug wirkte. Sie stieß ein Fauchen aus, als sie das bemerkte und griff nach dem Bolzen, um ihn wieder zu entfernen. Kaum hatte sie allerdings ihre Hand darum geschlossen, wurde ihr gesamter Körper von Elektrizität durchzuckt, so dass sie sofort wieder losließ. Für Kieran war dies das Signal, sich zu entfernen. Mit einem einzigen Sprung begab er sich auf den oberen Rand der Rankenwand und ließ sich von dort wieder auf den Asphalt außerhalb fallen, wo er sanft und lautlos landete, mit einer Eleganz, die jede Katze neidisch machen könnte. Ein einziges Zeichen von ihm genügte, dass die Rankenwand sich schlagartig schloss. Ein letztes Kreischen erklang aus dem Inneren, dann schwebten glitzernde Funken zwischen den kleinen Löchern hindurch, die einem zufriedenen Kieran mitteilten, dass der Kampf vorbei war. Die Ranken verschwanden wieder und alles sah so aus, als wäre nie etwas geschehen. Selbst der aufgerissene Asphalt und die verbrauchten Waffen waren fort. Kieran atmete auf und ließ auch die Armbrust wieder verschwinden. Dafür erschien Alraune wieder neben ihm, die begeistert in die Hände klatschte. Er legte eine Hand auf sein Herz und deutete eine Verbeugung an, dann lächelte er. „Danke, Alraune. Ohne dich hätte das wieder nicht funktioniert.“ Er könnte durchaus auch ohne Familiar kämpfen, viele Jäger taten das sogar, und das aus den verschiedensten Gründen. Da Familiar in den unterschiedlichsten Formen erschienen, eigneten sich nicht alle dafür, sie auch im Kampf einzusetzen, in Kierans Fall war das aber gegeben und er nutzte das ausgiebig. Dadurch entstand sein Fingerspitzengefühl. Also empfand er es nur als recht und billig, sich auch bei ihr zu bedanken. Sie winkte allerdings wieder ab und gab ihm zu verstehen, dass er immerhin derjenige war, der kämpfte, während sie lediglich Mauern errichtete. Derartige Diskussionen führten sie sehr oft miteinander, deswegen gab er mit einem leisen Lachen auch sofort nach. „Okay, lass uns wieder zum Treffpunkt zurückgehen, wir sind hier fertig.“ Er spürte jedenfalls keine weiteren Entitäten. Es war genau wie Russel gesagt hatte, es gab in diesem Jahr kaum Feinde, obwohl die Zeit dafür längst da war. Es war eigenartig, da niemand dafür eine eindeutige Begründung fand und man einfach nur davon ausging, dass es eben eine glückliche Fügung war. Möglicherweise gab es auch derart viele und effektiv arbeitende Jäger, dass es für die Dämonen gar keine Zeit gab, sich entsprechend auszubreiten. Aber was auch immer im Endeffekt der Grund war, Kieran war ein wenig verärgert darüber. Er jagte gern, es war das einzige, was er konnte, doch keine Dämonen bedeutete auch, dass er nicht benötigt wurde. Und was sollte er ohne Lebenszweck nur tun? Während er diesen Gedanken wieder einmal verfolgte, glaubte er plötzlich, beobachtet zu werden. Er fuhr herum, seine Augen glitten suchend über die leere Umgebung, ohne dass er den Grund für dieses Gefühl finden konnte. Auch hinter den Fenstern war niemand zu sehen, lediglich das wechselnde Licht von Fernsehgeräten verriet überhaupt, dass es außer ihm noch Lebewesen gab. Alraune sah ihn fragend an, ganz offensichtlich hatte sie nichts bemerkt, was ihm eigentlich sagen sollte, dass es rein aus seiner Einbildung entstanden war. Da das Gefühl auch wieder schwand, zuckte er mit den Schultern, sagte sich, dass er einfach angespannt war und drehte sich dann wieder um, damit er zum Treffpunkt zurückkehren konnte. Diesmal ohne den Eindruck, von irgendjemandem beobachtet zu werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)