Unausgesprochen von Kunoichi ================================================================================ Kapitel 10: Streng geheim ------------------------- Sie zappelte und kratzte, versuchte in blanker Panik um sich zu beißen und so den Fingern zu entkommen, die sie hielten. Gelbe Augen taxierten jede Faser ihres zitternden Körpers, vom aufgestellten Fell bis zum umherpeitschenden Schwanz. Dann bohrten sich lange, scharfe Zähne mit einem schnellen Schlag in ihr Fleisch und der immer enger werdende Würgegriff erstickte schlussendlich auch ihr letztes angsterfülltes Quieken. Essam sperrte das Maul weit auf, um die Ratte mit dem Kopf voran zu verschlingen und neben Sharrkan drehte sich Jaron schaudernd zur Seite. „Ist das ekelig!“, sagte er und Sharrkan brach in schallendes Gelächter aus. „Warte ab, bald kann er sogar ganze Hasen verdrücken!“ „Unmöglich! Wie schnell soll der denn noch wachsen?!“ Damit hatte Jaron recht, denn Essam häutete sich mittlerweile am laufenden Band. „Schneller als du jedenfalls“, neckte Sharrkan ihn, ließ die Schlange in Ruhe verdauen und begutachtete stattdessen die kleine Schachtel, mit der Jaron vor etwa fünf Minuten in sein Zimmer gekommen war. „Wolltest du mir etwas geben?“ „Ach ja, das ist von Eline.“ Er reichte ihm das Geschenk, das dem Duft nach zu urteilen irgendein Gebäck enthielt. „Hat sie selbst gemacht. Sie meinte, sie bringt Euch später noch mehr davon vorbei.“ Sharrkan nahm es nicht entgegen. „Kannst du haben“, sagte er knapp und Jaron stieß einen gedämpften Jubelschrei aus und verzog sich flink aufs Bett, um die Süßigkeit zu essen. Schon der bloße Gedanke an Eline trieb Sharrkan die Schamesröte ins Gesicht. Nachdem sie ihm gestern Morgen zur Hand gegangen war – und sie hatte wahrlich nicht mehr lange nachhelfen müssen – hatte er unter einem Vorwand fluchtartig das Zimmer verlassen und jedes weitere Aufeinandertreffen erfolgreich vermieden. Im Gegensatz zu ihm schien sie jedoch kein Problem damit zu haben, ihm unter die Augen zu treten: Ständig musste er ihren suchenden Blicken ausweichen und hatte auf diese Weise wahrscheinlich mehr Ecken des Palastes erkundet als in seiner Kindheit. „Was hast du ihr gesagt?“, fragte er Jaron nervös. „Dass ich nicht weiß, wo Ihr seid“, gab dieser schmatzend zurück, „und dass ich die Schachtel in Euer Zimmer lege.“ Rastlos ging Sharrkan zum Fenster hinüber und betrachtete die vom Sand verschluckte Stadt. Der Sturm der letzten Tage hatte den Dächern Heliohapts dicke Hauben aufgesetzt, Straßen unpassierbar gemacht und die Luft so verstaubt, dass man sie zurzeit nur durch ein Tuch atmen konnte. In der vorigen Nacht hatte der Wind zwar genug nachgelassen, um endlich mit den Räumungsarbeiten zu beginnen, doch noch immer versteckte sich die Sonne hinter einem trockenen Dunstschleier. „Ihr seid echt beliebt“, kam es von Jaron völlig unvermittelt und Sharrkan sah sich irritiert zu ihm um. „Wie kommst du darauf?“, fragte er. „Na, weil Eline Euch die ganze Zeit hinterherläuft“, antwortete Jaron schlicht und biss in ein Stück Grießkuchen. „Außerdem war eine Frau beim König und hat um eine Audienz bei Euch gebeten.“ Sharrkan zog überrascht die Brauen hoch. „Was für eine Frau?“ „Keine Ahnung. Ich hab sie vorhin zum ersten Mal gesehen, aber die Dienerinnen haben erzählt, dass sie auch schon gestern nach Euch gefragt hat.“ „Weißt du, was sie von mir will?“ „Nein, sie wollte es dem König nicht sagen, darum hat er sie wieder weggeschickt.“ „Wie sah sie denn aus?“ Jaron legte den Kopf schief und dachte einen Moment nach. „Komisch“, befand er. „Sie trug einen spitzen Hut und eine schwarze Robe und hatte einen großen grünen Stab dabei.“ In nur zwei langen Sätzen hatte Sharrkan den Raum durchquert und Jaron an den Schultern gepackt. Sein Herz schlug ihm so hart gegen die Kehle, dass es wehtat. „Ihr Stab war grün, sagst du? Ganz sicher grün?“ „J-ja, ganz sicher“, bestätigte Jaron und krümelte vor Schreck den Kuchen über die Bettdecke. „Was für eine Haarfarbe hatte sie?“ „Schwarz, glaube ich. Vielleicht auch dunkelbraun, ich weiß nicht mehr genau…“ Sharrkan ließ ihn los, sank enttäuscht zu Boden und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Bettgestell. Sie war es nicht. Er hatte kurz die Hoffnung gehabt, doch sie war es nicht. Tief seufzend vergrub er das Gesicht in den Armen. In seinem Kopf überschlugen sich die wildesten Spekulationen, so als habe das Toben des Sturmes sich plötzlich von draußen in sein Inneres verlagert. Wer auch immer diese Frau war, die ihn so unbedingt treffen wollte: der Beschreibung nach war sie eindeutig eine Magierin. Womöglich hatte sie sogar eine Verbindung zu Magnostadt und damit auch zu Yamraiha. Sharrkan musste sie anhören – um jeden Preis! „Meister, geht es Euch gut?“ Besorgt blickte ihm Jaron von hinten über die Schulter. „Bestens“, murmelte Sharrkan, sprang auf und durchforstete das Regal mit den Schriftrollen nach seinen alten Lernunterlagen. „Ich brauche deine Hilfe, Jaron.“ Er breitete eine Karte von Heliohapt über dem Bett aus. „Unser Land ist nicht besonders groß, darum gibt es nur fünf Gasthäuser“, sagte er, fuhr mit dem Finger darüber und zeigte sie Jaron. „Drei direkt hier in der Stadt, jeweils eines an den zwei Handelsposten. In denen kann sie nicht sein.“ Sharrkan deckte die beiden Punkte außerhalb der Hauptstadt mit der Handfläche ab. „Aber in einem dieser drei ist sie ganz sicher untergekommen. Würdest du die Frau für mich ausfindig machen?“ Jaron warf sich stolz in die Brust. „Verlasst Euch auf mich!“, entgegnete er. „Was soll ich ihr sagen?“ „Richte ihr aus, dass ich sie heute Abend gegen zehn im Schankraum treffe.“ „Ihr wollt Euch noch einmal aus dem Palast schleichen?!“ „Was hab ich für eine Wahl?“ „Aber der König-“ „-wird das besser nie erfahren.“ Es waren drei Wachen auf dem Korridor. Der eine von ihnen kontrollierte die Treppe zu den Gästezimmern, der andere stand vor der Tür zur Bibliothek. Ein dritter war eigentlich in der Eingangshalle positioniert, machte aber jede halbe Stunde einen Rundgang. Sharrkan hatte ihn erst passieren lassen, bevor er mit Jaron um die Ecke huschte und wusste deshalb, dass ihm kaum mehr 30 Minuten blieben für den Weg aus dem Palast bis zum Gasthaus. Die gestreifte Katzenstatue, die er erreichen wollte, verdeckte die Sicht auf die Bibliothekstür, wenn man sich nah genug an der Wand bewegte. So lautlos wie möglich schlich er an sie heran und versuchte gleichzeitig den gegenüberliegenden Treppenaufgang nicht außer Acht zu lassen. Doch der Wachmann schien gerade wieder nach oben gegangen zu sein. Ganz langsam, um bloß kein Geräusch zu verursachen, drückte Sharrkan den Stein, der die sitzende Hinterpfote bildete, bis er weit in den Katzenkörper hineinreichte und einen engen Einstieg freigab. Mit stummen Handzeichen bedeutete er Jaron als erster hineinzukriechen, folgte ihm dann und schob den Stein wieder in seine Ausgangsposition. Er konnte Eline nur danken, denn wäre sie den einen Tag nicht unerwartet aus der Bibliothek geplatzt, hätte er sich nicht hinter der Statue verstecken müssen und diesen Geheimgang wohl niemals gefunden. Sharrkan war sich nicht mal sicher, ob Armakan ihn kannte. Sowohl die Stadt als auch der Palast Heliohapts waren vor hunderten von Jahren erbaut worden und ihre Ahnen hatten ihnen keine brauchbaren Baupläne hinterlassen. „Wohin führt dieser Tunnel?“, fragte Jaron flüsternd, während Sharrkan die mitgebrachte Fackel entzündete, damit sie wenigstens ein bisschen Licht hatten. „Ich bin ihn nicht zu Ende gegangen“, gab er leise zu und warf sich das Reisegewand über. Nach seinem ersten unerlaubten Ausflug hatte er keine Gelegenheit gefunden, es Narmes zurückzugeben. „Wenn meine Vermutung stimmt, kommen wir irgendwo im Nordosten bei der Schutzgottheit raus. Die sieht genauso aus wie diese Katzenstatue, nur in größer. Von dort ist es auch nicht mehr weit bis zum Gasthaus.“ „Und wenn der Weg woanders endet?“ Sharrkan ließ die Frage lieber unbeantwortet. Der von Spinnweben durchzogene Gang führte sie zunächst etliche Stufen bis unter die Erdoberfläche und verlief dann in einer langen Linie geradeaus Richtung Nordosten, wie Sharrkan es bereits geahnt hatte. Er war so schmal, dass ein Erwachsener kaum die Ellenbogen ausstrecken, geschweige denn aufrecht gehen konnte. Sharrkans Rücken begann schon zu protestieren, als sie endlich die Treppe für den Aufstieg erreichten und nur wenige Minuten später vor einer massiven Steinmauer zum Stehen kamen. Sorgfältig klopfte er jeden Millimeter der Wand nach einem Ausgang ab, doch selbst nach mehr Krafteinsatz und schließlich auch brachialer Gewalt – hier bewegte sich nicht mal ein Kiesel. „Sackgasse“, hörte er Jarons angespannte Stimme hinter sich. „Was machen wir jetzt?“ Sharrkan nahm seine Schwertscheide zu Hilfe, um irgendwo eine Hebelwirkung zu erzeugen, blieb aber auch mit dieser Technik erfolglos. Von Ideen und Kräften verlassen rutschte er an der Mauer hinunter und überdachte in Windeseile seine Alternativen: Einen anderen Weg aus dem Palast finden? Lächerlich. Seinen Bruder um Erlaubnis bitten? Nur, wenn er einen langsamen und qualvollen Tod sterben wollte. Er fing Jarons ratlosen Blick auf, dessen rote Iris den Feuerschein der Fackel reflektierten und sagte: „Probier du es mal!“ „Was soll ich denn bewirken, wenn nicht mal Ihr es schafft?!“, ereiferte sich Jaron. „Versuch es einfach!“ „Ich bin nicht stark genug!“ „Glaub mir… das bist du.“ Sharrkan trat für ihn beiseite und Jaron stemmte sich mit aller Kraft gegen das Hindernis. Im ersten Moment sah es so aus, als liefen auch seine Anstrengungen ins Leere, bis sich plötzlich der unterste Stein herauslöste und mit einem Schleifen über den Boden ins Freie gestoßen wurde. Feiner Sandstaub, der dabei in den Tunnel wirbelte, brachte sie beide zum Husten. „Na bitte!“, jubelte Sharrkan und wuschelte dem verblüfften Jaron durchs Haar. „Wusste ich’s doch!“ Er löschte das Feuer, krabbelte an dem Jungen vorbei und fand sich draußen am Hinterlauf der riesigen Schutzgottheit wieder. Die verdreckte Luft kratzte so unangenehm in der Lunge, dass er den Kragen seines Gewandes über Mund und Nase halten musste. „Beeilung!“, sagte er, sprang vom Sockel der Skulptur herunter und rannte, von Jaron begleitet, durch die Dunkelheit aufs beleuchtete Wohnviertel zu. Das Gasthaus war nicht schwer zu finden. Es war ein mehrstöckiges, rund angelegtes und von Palmen umsäumtes Gebäude, das über die umliegenden Bauten hinausragte. Mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze folgte Sharrkan Jaron an der Rezeption vorbei und in den erstaunlich vollen Schankraum. Dass sie ihn betreten hatten, fiel in dem Meer aus lauten Stimmen, Gelächter und Gesängen niemandem auf. Einzig die junge Frau, die von einem Tisch in der hintersten Ecke den Eingang beobachtet hatte, guckte erwartungsvoll zu ihnen herüber. Sie war Sharrkan wohlbekannt. Das letzte Mal hatte er sie auf einem Schiff von Aktia nach Sindria gesehen, in der Brigade Yamraihas. „Hallo Maire“, begrüßte er die Magierin und setzte sich ihr gegenüber. Sie erwiderte mit einem Nicken, schien sich dann aber nicht länger mit Höflichkeiten aufhalten zu wollen. „Hast du ihn dabei?“, fragte sie prompt und wie von Jaron übermittelt kramte Sharrkan den kleinen Schlüssel aus seiner Innentasche hervor, den er nun schon seit seiner Abreise unbeabsichtigt in Verwahrung hatte. Maire griff danach, doch Sharrkan zog seine Hand rasch zurück. „Wofür brauchst du ihn?“ „Das kann ich dir nicht sagen.“ „Dann kann ich ihn dir auch nicht geben.“ Unwirsch schnalzte sie mit der Zunge. „Ich muss etwas aus ihrem Zimmer holen und ihr bringen“, erklärte sie kurz angebunden. „Es ist eilig, also bitte gib ihn mir!“ Sharrkan hatte sofort bemerkt, dass mit der Magierin irgendwas nicht stimmte. Statt fröhlich und aufgeschlossen, wie damals in Sindria, wirkte sie auffällig gestresst und die dunklen Schatten unter ihren Augen bezeugten mehrere schlaflose Nächte. „Was sollst du ihr bringen?“, fragte er weiter. „Warum kann sie es nicht selbst holen?“ „Das geht dich nichts an.“ „Warum brauchst du ausgerechnet diesen Schlüssel? Warum kommst du extra den weiten Weg nach Heliohapt dafür?“ „Ich darf wirklich nichts sagen.“ „Warum nicht?“ „Weil sie es mir verboten hat.“ „Warum?“ Wäre in dieser Sekunde nicht die Bedienung an ihren Tisch gekommen, hätte Maire wohl sicher die Beherrschung verloren. Um nicht erkannt zu werden, wandte Sharrkan sich ab, während sie fahrig eine willkürliche Bestellung aufgab. Eines war klar: Die ganze Sache hier stank bis zum Himmel und er würde nicht aufhören zu bohren, bevor sie ihm nicht ein paar gute Antworten geliefert hatte. Verrichteter Dinge trippelte die Bedienung wieder davon und als Sharrkan sich zu Maire zurückdrehte, lag ein stummes Flehen auf ihren Lippen. „Yamraiha steckt vielleicht in Schwierigkeiten“, zischte sie. „Magnostadt ist vielleicht in Gefahr. Und wenn dir je irgendwas an ihr gelegen hat, dann gibst du mir jetzt diesen verdammten Schlüssel!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)