Freundschaftsband von Tammix (Durch die Kraft des Bands der Freundschaft) ================================================================================ Kapitel 12: Wo ist Sina? ------------------------ Wo ist Sina? Irgendwann ertönt ein lauter Gong auf dem Schiff. Dann hört man ein Knacksen und Rauschen, doch schließlich verkündet eine kratzige Stimme aus den Lautsprechern: „In fünf Minuten erreichen wir den Hafen von Sankt Schollerin. Wir bitten alle Reisenden, sich zu den Ausgängen zu begeben und dabei all ihre Pokémon in den Pokébällen zu lassen, um eventuelle Verzögerungen beim Ausstieg zu vermeiden. Wir danken ihnen für ihr Verständnis und wünschen ihnen einen angenehmen Tag.“ Ein Klacken zeigt, dass die Durchsage beendet ist und Zac und ich sehen uns an. Seufzend erhebt er sich langsam und schwankend, während ich ihm unterstützend unter die Arme greife. Wortwörtlich! Ich schleife ihn praktisch aus der Kabine, nachdem ich ihm seinen Rucksack gegeben habe. Danach hole ich auch mein Zeug und wir machen uns auf die Suche nach Laura. Wir finden sie am Ausgang des Schiffes, wie sie zwischen all den anderen Menschen steht und darauf wartet, dass das Schiff anlegt. Dass sie Reisebegleiter hat, an die man eigentlich denken sollte, hat die Blonde wohl schon wieder vergessen. So schnell es uns möglich ist, drängen wir uns zu ihr, denn das Schiff schwankt bedenklich und Zac ist schon wieder gefährlich käsig im Gesicht. Als ich durch ein Fenster sehe, erkenne ich auch, warum es so schwankt. Draußen stürmt er ganz gewaltig, die Wellen türmen sich und immer wieder zucken Blitze über den Himmel, während der Donner grollt und es schüttet, als sollten sich die Meere erweitern. Hoffentlich finden wir Sina schnell und müssen sie bei dem Unwetter nicht noch suchen. Dann ertönt ein lautes Hupen, man hört lautes Klappern und Rumpeln und nach einem kurzen Moment öffnen sich die Türen und alle Leute drängen nach draußen, um dann schnell nach Hause oder sonst wo hin zu eilen, Hauptsache unter ein Dach. Ganz schnell sind Zac, Laura und ich die einzigen die noch bei diesem Wetter draußen am Hafen von Sankt Schollerin stehen. Suchend sehe ich mich um. Ich sehe niemanden, den ich kenne, was bei dem Wetter auch kein Wunder ist. Allerdings sehe ich auch Sina nicht, die ja eigentlich hier sein sollte, weil Laura sie hier hingeschickt hat, um sich mit ihr zu treffen. Ich sehe mich immer wieder in meinem Heimatdorf um, obwohl es bei diesem Regen schwierig ist, überhaupt etwas zu erkennen, dann wende ich mich an Laura: „Du wolltest dich doch mit ihr hier treffen, oder nicht?“ „Ja“, antwortet sie, kneift die Augen zusammen und blickt sich immer wieder um. „Aber sie ist nicht hier.“ „Das sehe ich!“, knurrt Laura gereizt und ich zucke zusammen. Nicht nur, weil sie mich so anfährt, sondern auch weil ich nass bis auf die Knochen bin und mir dementsprechend kalt ist. Wir müssen uns schnell irgendwo unterstellen und trocknen, bevor wir uns auf die Suche nach Sina machen können, sonst holen wir uns noch alle drei den Tod. „Glaubst du, sie ist zu ihren Eltern nach Hause gegangen, als es angefangen hat zu regnen?“, frage ich Laura. „Bist du verrückt?“ Entsetzt sieht die Blonde mich an. „Sina würde niemals zu ihren Eltern gehen und zugeben, dass ihr ihr Pokémon gestohlen wurde. Ihre Eltern würden ausrasten und sie nicht mehr reisen lassen. Ihr Zuhause ist der letzte Ort, an den Sina jetzt gehen würde. Nein, sie ist irgendwo anders, alleine.“ Da mischt sich Zac ein, dem es etwas besser zu gehen scheint, jetzt, wo er wieder festen Boden unter den Füßen hat. „Nun ja, wir können sie aber jetzt nicht suchen. Nicht bei diesem Wetter und in den Klamotten. Kennt ihr hier jemanden, bei dem wir für kurze Zeit unterkommen können?“ Laura antwortet im selben Moment „Nein“, in dem ich „Ja“ sage. „Du kennst hier jemanden?“, fragt sie verwundert. „Ich habe 14 Jahre hier in diesem Dorf gelebt und Sankt Schollerin ist klein. Ich kenne hier jeden und jeden Winkel.“ Dann drehe ich mich um und gehe los. „Folgt mir. Bei Oxana kommen wir sicher unter.“ Kurz darauf stehen wir drei bibbernd vor der Haustür, ich klingele kurz und dann öffnet mir auch schon gleich ein blauhaariges Mädchen, mit Haaren bis zu ihren Knien. „Xanny!“, schreie ich und stürze in ihre Arme – ignoriere dabei völlig, dass ich pitschnass bin und sie so auch nass wird. „Svenja?“, fragt Oxana überrascht und drückt mich sanft von sich, um mich mit blauen Augen zu mustern. Vor Verblüffung werden ihre Augen groß und rund. „Sweety du bist es wirklich!“ Dann zieht sie mich wieder in eine feste Umarmung. „Was machst du denn hier?“ Ich will ansetzen ihr zu antworten, doch sie fährt fort: „Nein, warte, komm erst mal rein ins Trockene und zieh dir was anderes an, dann kannst du mir immer noch alles erzählen.“ Sofort trete ich ein, aber Laura und Zac bleiben immer noch draußen stehen. Das bemerkt auch Xanny, den sie wendet sich an die beiden und sagt mit einem freundlichen Lächeln: „Ihr dürft natürlich ebenfalls reinkommen. Die Freunde meiner besten Freundin sind auch meine Freunde.“ Schnell betreten auch die zwei das Haus und ich grinse meine beste Freundin an. Genau für solche Sachen liebe ich sie! Sie hilft jedem, zu jeder Zeit und egal wem ohne irgendwelche Fragen zu stellen. „Papa, Mama, guckt mal wer hier ist!“, ruft sie, als wir ins Wohnzimmer kommen. Schnell fahren Oxanas Eltern herum und als sie mich erkennen, stehen sie sofort vom Sofa auf und kommen auf mich zu. „Svenja! Wir freuen uns ja so dich zu sehen. Schön, dass du uns besuchst!“, ruft ihr Vater, bevor er mich fest umarmt. Glücklich lächle ich. In dieser Familie werde ich behandelt, als wäre ich ihre Tochter, schon vom ersten Tag wurde ich so herzlich aufgenommen. Sie zu sehen tut gut. Für einen kurzen Moment fällt mir ein, dass ich ja meine Eltern anrufen könnte, um ihnen von dem bisherigen zu erzählen, doch der Gedanke verfliegt schon wieder, als Oxanas Mutter mich ebenfalls umarmt. Als sie mich wieder los lässt, fragt sie: „Und wer sind diese beiden?“ Sofort macht Zac einen Schritt nach vorne und erfasst die ihm dargebotene Hand, während er sich vorstellt: „Ich bin Zac und das ist Laura. Wir sind auf der Suche nach ihrer Freundin Sina. Wir sind ihnen sehr dankbar, dass sie uns während des Unwetters bei sich aufnehmen. Vielen Dank.“ Als Zac den Namen Sina erwähnt, fallen Oxanas Mundwinkel und die ihrer Eltern, doch als Zac endet, hat sich ihre Mutter wieder gefasst. „Oxana, bring den drein doch bitte Handtücher und Wechselsachen, damit sie nicht die ganze Zeit in ihren nassen Klamotten verbringen müssen und noch krank werden. Ich mache derweil einen Beerentee, der wird euch wärmen.“ Sofort nickt die Blauhaarige und führt uns ins Badezimmer, wo wir Handtücher bekommen und wir uns nach einander andere Sachen anziehen und unsere nasse Kleidung aufhängen. „Kann ich mal kurz mit dir sprechen?“, hält Oxana mich auf, als wir gerade in die Küchen gehen wollen. „Natürlich“, erwidere ich überrascht. Xanny wirft einen bedeutungsvollen Blick auf Laura und Zac, die uns neugierig ansehen. „Allein?“ Sobald ich nicke, zieht die Blauhaarige mich wieder zurück ins Badezimmer und schließt hinter uns die Tür ab. Abwartend und neugierig sehe ich sie an, wie sie hektisch atmend mitten in ihrem großen Badezimmer steht und nervös immer wieder an ihrem weißen Kleid zupft, was sie vorhin neu angezogen hat, weil bei unserer Umarmung auch ihre Sachen nass geworden sind. Auch ich trage jetzt andere Klamotten, meine Joggingsachen um genau zu sein. Schließlich, als ich es nicht mehr aushalte, Xanny beim Zupfen an ihrem Kleid zu beobachten, frage ich: „Was wolltest du mir denn sagen?“ Noch einmal atmet Oxana tief ein, bevor sie mir fest in die Augen sieht und direkt heraus sagt: „Warum hast du mir nie gesagt, dass du nach deinem Umzug ein Pokémon bekommen und eine Trainerin sein wirst?“ Überrascht sehe ich sie an. „Woher-?“ Scheu schlägt sie die Augen nieder und zupft wieder an ihrem Kleid herum. „Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen darf. Du bist ja schließlich eine von denjenigen, die nichts über die Sendung wissen. Aber ich muss dich vorwarnen. Und du erfährst es ja sowieso, wenn du dir die Sendung das nächste Mal ansiehst.“ Langsam habe ich eine Ahnung von was meine beste Freundin redet. Sie muss mich in der `Traveltrainers´ Sendung gesehen haben. Eigentlich dürfte mich das nicht wundern, schließlich haben wir uns die Sendung bis vor meinem Umzug immer zusammen angesehen und waren die größten Fans, die es gibt. Wie oft haben wir uns vorgestellt, wir beide wären Trainerin in der Sendung und würden gemeinsam reisen. Doch jetzt vor jemandem zu stehen, der mir im Fernsehen zusieht, wie ich mich an meiner Pokémonreise versuche, ist komisch. Auch wenn es nur meine beste Freundin ist, der ich immer alles anvertraut habe. Bis auf das. Denn dazu war einfach noch keine Zeit und ich wusste nicht wie. Doch sie weiß es ja schon, dass ich Teil unserer Lieblingssendung bin. Sie weiß nur nicht, dass ich weiß, dass ich dabei bin. „Sweety, du bist eine von den Trainern, die sie in `Traveltrainers´ heimlich beobachten“, unterbricht die 13 jährige auf einmal meine Gedanken. Schüchtern schaut sie mich an, bestimmt hat sie Angst, dass ich ihr nicht glaube und sie für verrückt erkläre. Was ich nie tun würde, aber diese Angst ist leider durch das Verhalten ihrer Mitmenschen tief in ihr verwurzelt. Ständig hat Oxana Angst, etwas falsch zu machen und von anderen ausgelacht zu werden. Weil es schon zu oft vorkam. In diesem Punkt sind wir uns ähnlich, auch wenn die Angst bei Xanny viel ausgeprägter ist. Ich glaube, dass ist der Grund, warum wie uns so gut verstehen- vom ersten Moment an. Wir verstehen uns und unsere Ängste, weil wir dasselbe durchgemacht haben. Bzw. in Xannys Fall, immer noch durchmachen. Und die Ursache sind Sina und ihr Hofstaat. Denn auch wenn Sina inzwischen auf Reisen ist, ihr Hofstaat macht meiner besten Freundin immer noch das Leben schwer. Kein Wunder also, dass Oxana und ihre Familie nicht gut auf das Mädchen zu sprechen sind. Ich bin es auch nicht, aber ich muss mich überzeugen, dass sie für ihr Pokémon sorgen kann und es gut behandelt. Als ich Xannys ängstliche, opalblaue Augen sehe, bemerke ich meinen Fehler. Ich habe sie zu lange auf meine Antwort warten lassen. Nichts jagt ihr mehr Angst ein als die Ungewissheit. „Das weiß ich Xanny. Die Sendung ist nicht ganz so, wie sie den Zuschauern präsentiert wird. Die Leute, die heimlich gefilmt werden, müssen sich genauso anmelden wie die, die bewusst gefilmt werden. Wir dürfen die Zuschauer nur nicht wissen lassen, das wir über alles informiert sind, verstehst du?“ Xanny sieht mich verwirrt an. „Also wusstest du schon, dass du eine Traveltrainerin bist?“ „Ja, dass wusste ich schon. Und ich hätte es dir auch gesagt, ich wusste nur nicht wie. Jeder meiner Schritte wird gefilmt und übertragen, da konnte ich dich nicht einfach anrufen. Außerdem wollte ich es dir persönlich sagen. Von daher gut, dass du hier im Bad mit mir sprechen wolltest, da dürfen die Kameras nämlich nicht mit rein.“ „Ich weiß“, antwortet sie mit etwas stärkerer Stimme. „Ich kenne die Regeln der Sendung.“ Ich stürme auf sie zu und ziehe sie in eine Umarmung, die sie Arceus sei Dank nach einem Moment des Zögerns erwidert. „Ich bin so froh, dass du jetzt über alles Bescheid weißt. Du bist die einzige, die das weiß, abgesehen von meinen Eltern, die mich angemeldet haben. Darum darfst du dir nachher auch nichts anmerken lassen, ja?“ „Natürlich nicht. Aber warum wissen es deine beiden Reisegefährten nicht?“ „Zac und Laura? Sie sind nicht meine Reisegefährten. Also schon, aber nur für den Moment, nicht für meine gesamte Reise. Laura reist zusammen mit Sina und Zac und ich helfen ihr, sie zu suchen. Einer Freundin von Sina würde ich doch niemals so etwas anvertrauen. Und Zac kenne ich erst seit heute, auch wenn es mir schon viel länger vorkommet. Aber es ist auch einiges passiert. Das kannst du dir dann ja morgen alles ab 13.00 Uhr ansehen“, lache ich und auch Xanny lacht. Ab eins kommt immer die `Traveltrainer´ Sendung und geht dann bis drei Uhr. Das heißt heute wurde ich das erste Mal im Fernsehen gezeigt – ich und alles, was ich gestern erlebt habe. Es erscheint mir total unwirklich. Dann wird Oxana wieder ernst und fragt: „Aber Sweety, warum suchst du nach ihr? Ich verstehe das einfach nicht.“ Seufzend trete ich ein paar Schritte von ihr zurück, um ihr in die großen Augen zu sehen. „Sinas Pokémon wurde von zwei sehr seltsamen Leuten gestohlen. Laura ist diesen zwei Leuten hinterher geeilt, um ihr Pokémon wieder zu holen, Sina sollte hier in Sankt Schollerin auf sie warten. Zac und ich haben Laura am Hafen von Serenitia getroffen, wie sie gegen die beiden gekämpft und verloren hat. Zac hat die beiden dann mit seinen Pokémon besiegt, sie haben ihm den Pokéball zurückgegeben, doch bevor wir Officer Rocky rufen konnten, sind sie geflüchtet. Darum sind wir alle zusammen nach Sankt Schollerin gefahren, um Sina ihr Pokémon zu geben, und damit Laura und sie dann weiter reisen können. Doch Sina war nicht mehr da, also suchen wir sie jetzt. Mir ist klar, dass es dir seltsam vorkommen muss, dass ich ausgerechnet Sina helfe, ihr Pokémon zurück zu bekommen, aber du kennst mich. So bin ich einfach. Außerdem will ich mich davon überzeugen, dass sie ihr Pokémon nicht so behandelt, wie ihre Mitmenschen. Ich könnte nie mehr in den Spiegel sehen, wenn ich ein Pokémon bei ihr lassen würde, dass sie so behandelt, wie uns. Egal ob ich davon wusste oder nicht. Ich muss einfach mein Gewissen beruhigen, verstehst du? Darum muss ich einfach mitgehen und mich davon überzeugen.“ „Ich verstehe dich, Sweety, keine Sorge.“ Dankbar sehe ich sie an. Ich bin so froh, dass sie mich annimmt, wie ich bin, versteht was ich denke und wie ich mich fühle und nicht versucht, mich zu verändern. Das rechne ich ihr hoch an und darum ist Oxana meine beste Freundin. „Wir sollten zurück zu deinen Freunden gehen, damit ihr Sina suchen gehen könnt, sobald das Unwetter vorbei ist“, sagt Oxana schließlich. Ich stimme ihr zu, erinnere sie nochmal daran, die Sendung nicht zu erwähnen, bevor wir in einander untergehakt ins Wohnzimmer gehen, wo Zac, Laura, Xannys Eltern und ihre jüngere Schwester Mila sitzen und Tee trinken. „Ihr habt aber lange gebraucht“, stellt Laura fest und ich sehe Xanny an. Die sieht schüchtern weg, mit Leuten, die nicht kennt, kommt sie nicht gut klar, also antworte ich. „Wir hatten eben viel zu bereden.“ Zusammen setzen Oxana und ich uns auf eins der Sofas und nehmen uns eine Tasse Tee, doch die muss ich schnell wieder loslassen, da auf einmal die 11 jährige Mila auf meinen Schoß springt und mich heftig umarmt. „Svenja, du bist wieder da! Ich habe dich soo vermisst!“, ruft der kleine Wuschelkopf. Diesen Namen hat sie mit ihren wilden schwarzen Locken definitiv verdient. Ich lache und umarme sie ebenfalls. „Ich habe dich auch vermisst, Wuschelköpfchen!“ Ich liebe Mila wie eine kleine Schwester, da ich früher den Großteil meiner Zeit mit ihr und Xanny verbracht habe und immer hier war. Ich bin praktisch Teil dieser Familie und es hat uns alle unheimlich geschmerzt, als ich und meine Eltern weggezogen sind. Umso schöner, das ich jetzt wieder hier bin! „Zeigst du mir deine Pokémon? Du bist doch jetzt eine Pokémon Trainerin, oder?“, fragt Mila aufgeregt und ich schrecke zusammen. Mila weiß nicht, dass sie die Sendung nicht erwähnen darf, doch da mischt sich Oxana ein: „Richtig, das war der Grund, warum sie umgezogen sind, wie ich dir mehrmals erklärt habe, Milamaus.“ Dabei sieht sie ihre Schwester warnend an und die scheint Arceus sei Dank zu verstehen – jedenfalls erwähnt sie die Sendung nicht. „Also, zeigst du mir deine Pokémon?“, wiederholt sie aufgeregt. „Gerne. Ich habe zwei Pokémon, Karnimani und Lin-Fu. Karnimani muss sich allerdings noch in seinem Pokéball erholen, also kann ich dir momentan nur Lin-Fu vorstellen. Ich hoffe, dass ist okay.“ „Natürlich“, antwortet Milas Vater anstelle seiner Tochter. „Wir freuen uns über jeden deiner Partner, den du uns vorstellst.“ Grinsend greife ich nach Lin-Fus Pokéball. „Na dann komm mal raus.“ Der weiße Lichtstrahl erscheint und dann ruft Lin-Fu laut „Lin-Fu.“ Allerdings klingt es nicht so Energie geladen wie sonst und da fällt mir ein, dass ich Lin-Fu nach ihrem Kampf gegen das Hunduster Pluto und seinen Felix noch gar nicht heilen konnte. Während Lin-Fu also von Mila gestreichelt und geknuddelt wird, wende ich mich ihre Mutter. „Ich habe noch keine Zeit gehabt, Lin-Fu nach ihrem Kampf zu heilen. Habt ihr vielleicht in eurem Gewächshaus ein paar Beeren, die Lin-Fu helfen könnten?“ „Aber natürlich, komm mit. Unsere Sinelbeerenbüsche haben gerade besonders ertragreiche Ernte.“ Ich erhebe mich und folge Yasmin, Xannys Mutter, und sofort ist Lin-Fu an meiner Seite, doch auch Zac und Laura laufen hinter uns her. Vermutlich wollen sie auch ihre Pokémon heilen. Als wir aus dem Haus und in den Garten treten, schnappt Zac überrascht nach Luft. „Wahnsinn! Warum haben Sie denn ein so riesiges Gewächshaus in ihrem Garten? Wachsen dort all die Beeren drin, die Pokémon brauchen?“ Yasmin lacht. „Ja, unteranderem. Wir züchten dort alle Arten von Beeren aber auch noch einige Kräuter und Pflanzen, die zur Alternativen Heilung von Pokémon und Menschen genutzt werden können. Darum muss unser Gewächshaus so groß sein.“ Zac ist immer noch geschockt und ich kann ihn verstehen. Als ich Oxanas Familie das erste Mal besucht habe, war ich auch völlig baff. Das Gewächshaus ist fast so groß wie das eigentliche Wohnhaus, trotzdem sieht man es von der Straße aus nicht, da es von ihrem Wohnhaus verdeckt wird. Außerdem duftete es so toll daraus, die unterschiedlichsten Farben schimmern durch das Glas und viele wild Pokémon wie Wadribie fliegen hier ein und aus. „Aber warum züchten Sie diese vielen Beeren? Ist das ein Hobby von Ihnen?“, fragt Zac neugierig nach. Wieder lacht Oxanas Mutter. „Nicht ganz. Mein Mann ist Beeren Professor und ich bin Beerenkennerin und die Assistentin meines Mannes. Zumindest noch, bald lasse ich mich zur Professorin weiterbilden. Darum züchten wir die ganzen Beeren. Es gehört zu unserer Arbeit und wir versuchen immer wieder neue Arten zu kreieren. Um eine neue Art zu züchten, brauchen wir aber die bisher bekannten Beerenarten.“ „Sie sind ja alle ganz schön beerenbegeistert“, staunt Zac. „Wenn ich groß bin, werde ich Botanikerin und dann helfe ich meinen Eltern mit der Züchtung der Pflanzen und Beeren“, verkündet Mila auf einmal stolz, die uns – oder wohl eher Lin-Fu – nach draußen gefolgt ist. „Wahnsinn. Und deine Schwester? Was für einen Beruf mit Beeren möchte sie später machen?“ Sofort verstummen alle und schließlich nuschelt Mila: „Gar keinen. Sie hat kein Interesse an Beeren. Sie möchte lieber etwas Kreatives machen. Zeichnen oder schreiben oder dichten oder so.“ Als ich den wütenden und enttäuschten Blick sehe, den Oxanas Vater seiner älteren Tochter zuwirft, weiß ich, was gleich folgen wird, wenn ich jetzt nicht ablenke. Dieser Punkt, dass Oxana nicht wie der Rest der Familie etwas mit Beeren machen möchte, war schon immer ein großes Streitthema. Das konnte Zac nicht wissen, aber das man zweimal in einer Stunde so dermaßen ins Fettnäpfchen tritt, erst mit der Erwähnung von Sina und jetzt das, das kann auch nur ihm passieren. Prompt wird der Brünette auch rot, als er versteht, dass er hier gerade einen Familienkonflikt angesprochen hat. „Und das ist ja auch völlig okay. Jeder Mensch hat andere Stärken und Schwächen und daraus bilden sich die unterschiedlichsten Wünsche. Xanny kann wunderbar schreiben, dichten und zeichnen, also ist es doch gut, wenn sie das weiterverfolgt, was sie mag und kann“, werfe ich schnell ein und Zac stimmt mir direkt zu, während Laura zwischen den einzelnen Person hin und her sieht und schließlich das Gesicht in Richtung von Oxanas Vater verzieht. Scheinbar scheint auch sie verstanden zu haben, dass ihr Vater etwas gegen den Traum seiner Tochter hat und ist damit ebenfalls nicht einverstanden. Ihr Gesicht ist wutverzehrt und ich habe Angst, dass sie sich gleich einmischt und irgendwas sagen wird, was ihren Vater reizt, also rufe ich gezwungen fröhlich: „Dann lasst uns doch jetzt mal ins Gewächshaus gehen und die Beeren für unsere Pokémon suchen.“ „Nun, dann kommt“, stimmt Oxanas Mutter mir zu und öffnet die Glastür. Sofort schlägt uns warme Luft entgegen und dann winkt ihre Mutter einer Blume zu. „Hallo Sonnflora. Alles soweit in Ordnung?“ Da bewegt die Sonnenblume sich und erst jetzt erkenne ich, dass die Blume in Wirklichkeit ein Pokémon ist. „Sonnflora So!“ „Hervorragend. Und wo sind die anderen?“ Da hört man ein Rascheln und plötzlich schieben sich von überall die Pokémon zu uns. „Roselia!“ „Knospi!“ „Kinoso!“ „Vegimak!“ „Lilminip!“ „Ah, da seid ihr ja alle. Bringt ihr unseren Gästen bitte ein paar Sinelbeeren? Derweil könnt ihr euch ja ein wenig hier umgucken, falls ihr möchtet und ihr versprecht, auf den Wegen zu bleiben“, wendet sie sich an uns und sieht vor allem Laura streng an. Die schnaubt beleidigt, geht dann aber als erste los und nach der ersten Kurve sieht man sie schon nicht mehr, so hoch sind hier die Bäume und Büsche, an denen die Beeren wachsen. Zac folgt ihr gleich darauf. Auf einmal ist Xanny an meiner Seite. „Danke für gerade eben“, flüstert sie mir zu. „Keine Ursache. Ich weiß, wie schwer das für dich ist, dass deine Familie nicht akzeptieren will, das du eben andere Sachen kannst und machen willst als sie.“ Oxana nickt und ich nehme sie in den Arm, wo sie sich dankbar einkuschelt. „Sweety?“, fragt Oxana nach einer Weile zögerlich. „Ja?“ „Kann ich nachher mitkommen, wenn ihr Sina suchen kommt?“ Angestrengt schluckt sie, ich kann ihr ihre Angst vor diesem Mädchen deutlich ansehen. Also warum will sie dann mitkommen und sie suchen? „Warum?“ „Weil dass, was du vorhin im Badezimmer gesagt hast, wahr ist. Ich könnte mich auch nicht mehr selbst ansehen, falls es so wäre. Falls es stimmt, dass sie ihre Pokémon schlecht behandelt und ich nichts dagegen unternehmen würde“ Sie sieht zwar ängstlich weg, als sie das sagt, aber sie ist absolut ernst. Das zeigt mir, dass ihre Angst vor Sina nicht so groß sein kann wie ihre Angst um Sinas Pokémon. „Natürlich kannst du mitkommen“, antworte ich und Xanny lächelt glücklich. „Aber dann sollten wir bald losgehen, damit wir sie heute noch finden, es ist ja doch schon halb fünf.“ Wild nickt meine blauhaarige Freundin, dann zupft sie von einem Strauch zwei Sinelbeeren ab und reicht sie mir. „Hier, für Lin-Fu. Gib sie ihr und dann lass uns losgehen.“ Lin-Fu isst die beiden Beeren mit großer Freude und ist danach so fit wie normal. Kurz darauf sind auch Laura, Zac und Xannys Familie wieder bei uns und ich schlage vor, dass wir uns jetzt auf die Suche nach Sina machen, da inzwischen das Unwetter weiter gezogen ist, wie ich durch die Glasscheiben des Gewächshauses sehen kann. „Xanny wird uns bei der Suche helfen“, setzte ich hinzu. Überrascht fahren ihre Eltern zu ihr herum und die Blauhaarige wird leicht rot, als sie die Überraschung auf den Gesichtern ihrer Eltern sieht. „Warum willst du denn bei der Suche nach Sina helfen, Liebes?“, fragt ihre Mutter verständnislos. Sie klingt absolut fassungslos und Laura knirscht wütend mit den Zähnen, dass sie so über ihre Freundin reden. Doch sie hält sich zurück, vermutlich weil sie weiß, dass sie hier ohnehin in der Unterzahl ist. „Weil Svenja mir einige gute Gründe gegeben hat, um mit ihr zu kommen“, erklärt sie leise, aber nachdrücklich. Doch sie sieht ihre Eltern dabei nicht an. Während die sich noch zweifelnd ansehen, springt Mila schon auf und ruft: „Das ist doch cool. Vielleicht verstehen Sina und Xanny sich dann besser, wenn Xanny ihr ihr Pokémon wieder bringt. Und Svenja und Lin-Fu werden auf Xanny aufpassen, wenn sie aus dem Dorf gehen, nicht wahr?“ Fragend dreht sie sich zu mir. „Natürlich“, bestätige ich nickend. „Nun, dann sollten wir uns auf den Weg machen. Es ist immerhin schon kurz nach halb fünf und es regnet nicht mehr, also können wir losgehen, oder?“, fragt Zac, der die ganze Zeit über still gewesen ist. Auch Laura ist sehr still, seit wir bei Oxana sind, was ziemlich untypisch ist. Vermutlich macht sie sich große Sorgen um ihre Freundin Sina. Ich sehe zu Oxana, welche mir zunickt, dann sage ich: „Ja, lasst uns losgehen und Sina suchen.“ Nachdem Zac, Laura und ich uns unsere Alltagskleidung wieder angezogen haben, die Arceus sei Dank wieder trocken ist, verabschieden wir uns von Xannys Familie und dann ziehen wir zu viert los. Sofort wende ich mich an meine beste Freundin. „Also, hast du eine Idee, wo Sina sein könnte?“ „Wenn wir beide alleine sein wollten, sind wir immer an den Aqua See gegangen, weil man da so ungestört ist“, erinnert die Blauhaarige mich. „Du hast Recht. Vielleicht ist Sina auf dieselbe Idee gekommen, immerhin wollte sie vermutlich auch nur alleine sein. Dann lasst uns zum See gehen.“ Kurz darauf sind wir am Aqua See angekommen und ich seufze losgelöst auf. Dieser Ort hat immer eine sehr beruhigende Art auf mich, habe ich mich doch immer hier versteckt, wenn Leute wie Sina mich gehänselt und verfolgt haben. Hier habe ich meine ersten Pokémon Freunde gefunden, abgesehen von den Pokémon meiner Eltern, und hier habe ich Xanny kennengelernt, die sich aus demselben Grund immer hier her geflüchtet hat. Der Aqua See wurde schnell unser gemeinsamer Rückzugsort. Das Gras und die Wasserpflanzen funkeln in allen Regenbogenfarben, weil sich das Sonnenlicht in den Regentropfen bricht, mit denen die Pflanzen bedeckt sind. Der See liegt ruhig da, das Wasser ist kristallklar, obwohl es geregnet hat, eine besondere Eigenart des Aqua Sees, und die Bäume des Wäldchens, was hinter dem See beginnt, rauschen sacht. Doch ich kann kein einziges wildes Pokémon entdecken, geschweige denn meine Pokémon Freunde. Und auch Sina ist nicht da, denn dann wären hier Pokémon, die aufgeregt durch die Gegend wuseln würden. Das kein Pokémon zu sehen ist, ist nicht weiter verwunderlich, es hat schließlich gerade eben erst gewittert, also sind die Pokémon bestimmt an trockene Orte geflüchtet und die Wasser Pokémon, die im See leben, liegen bestimmt am Grund des Sees. Doch dass von Sina keine Spur zu sehen ist, beunruhigt mich ein bisschen. Denn wenn sie nicht hier ist und nicht im Dorf, wo ist sie dann? So groß ist dieses Insel nicht. Eigentlich gibt es nur noch einen Ort, an dem Sina sein kann, auch wenn ich mich frage, was dann in ihrem Kopf vorgegangen ist. Denn wenn Sina weder im Norden der Insel, also im Dorf, noch im Süden, also beim Hafen, noch im Westen der Insel ist, wo der Aqua See liegt, ist, dann muss sie im Osten der Insel sein. Und der ganze Osten der Insel besteht aus dem Simplex Wald, in welchem viele giftige und aggressive Pokémon leben, die einem Menschen verdammt gefährlich werden können. Vor allem wenn der Mensch kein Pokémon bei sich hat, dass ihn beschützt. Mit panisch aufgerissenen Augen sehe ich zu Oxana, die mich ebenfalls mit besorgten blauen Augen ansieht. Anscheinend kam sie auf dieselbe Schlussfolgerung wie ich. „Sie ist in dem Simplex Wald gegangen“, sage ich laut. Zac und Laura sehen mich ahnungslos an. „Und das ist schlimm oder was?“, fragt Laura rau. Zum ersten Mal sieht Xanny Laura in die Augen, ohne gleich wieder ängstlich weg zu sehen. Daran merkt selbst Laura, dass es wohl wirklich ernst ist ohne dass es die Worte, die folgen, noch gebraucht hätte. „Ja, das ist verdammt schlimm.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)