Eiskalte Blicke von Lady_of_D ================================================================================ Kapitel 10: die Legende des weißen Drachen I -------------------------------------------- Warum er sich auf dieses Duell eingelassen hatte, wusste Kaiba selbst nicht so genau. In letzter Zeit häuften sich unerwartete Ereignisse, die dazu führten, dass der junge Firmenchef seine eigenen Regeln umging und Dingen den Vorrang gab, für die er damals niemals Zeit aufgebracht hätte. Vielleicht lag es an der Frage seiner blau-weißhaarigen Schönheit, die ihm doch tatsächlich Angst unterstellt hatte. So etwas konnte der mächtige CEO nicht auf sich sitzen lassen. Er hatte also eingewilligt und nach der Arbeit würde er seiner bleichen Schönheit zeigen, dass Seto Kaiba und Angst nichts gemein hatten... „Noch etwas Kaffee, Mr. Kaiba.“ Roland stand mit der Kaffeekanne in der Hand vor seinem Boss, der ihm kopfschüttelnd abwinkte. Ihm gegenüber saß Mokuba, der sein Grinsen hinter einem Becher mit heißer Schokolade zu verstecken versuchte. „Sprich` es nicht aus, Mokuba“, mahnte der Ältere, der genau wusste, was sein kleiner Bruder dachte. Kaiba musste zugeben, dass er sich nicht sonderliche Mühe gab, seine Tagträumereien vor dem Jüngeren zu verstecken. Es hätte nichts gebracht, da ihn der kleine Schwarzhaarige längst durchschaut hatte und wusste, wohin Setos Gedanken abgeschweift waren. Mokuba schüttelte den Kopf, dass die Haare mitschwangen. „Was soll ich denn sagen? Aber wenn ich schon mal deine Aufmerksamkeit habe“, vorerst nahm er einen Schluck von dem süßen Getränk, „kann ich heute Abend bei einem Freund übernachten?“ „Und was für ein Freund soll das sein?“ Seto hob ebenfalls seine Tasse an und schluckte den Rest der schwarzen Brühe, die ihm heute bitterer erschien als sonst, herunter. „Spielt das ein Rolle?“ Der kleine Schwarzhaarige grinste noch breiter, doch diesmal verbarg er es nicht provisorisch hinter einem viel zu kleinen Becher. Ohne auf das zweideutige Grinsen einzugehen, entgegnete sein großer Bruder: „Es spielt sehr wohl eine Rolle, wo du dich aufhältst. Ich will Name, Adresse und Telefonnummer – für den Notfall.“ Mit einem weiteren Zug hatte Mokuba den Inhalt des Bechers leer getrunken. „Du kannst abräumen, Roland“, der kleine Schwarzhaarige sprang von seinem Stuhl auf und wandte sich freudestrahlend Seto zu, der die Kaffeetasse auf den Teller abstellte. Den Kopf mit den Händen abstützend beobachtete er mit strengen Blick seinen Bruder. „Du wirst morgen trotzdem pünktlich in der Schule erscheinen“, sagte er, dass Mokuba die Hände in die Hüften stemmte und sich im Geiste fragte, wann sein Bruder endlich aufhören würde, ihn wie ein kleines Kind zu behandeln. „Mach' dir mal darüber keine Gedanken, großer Bruder. Wir sehen uns morgen“, sich von dem Älteren abwendend, fügte er hinzu: „Ich wünsche dir viel Spaß.“ Spaß. Dieses Wort hallte lange Zeit in Kaiba wider. Er war nicht davon überzeugt, dass das heutige Treffen spaßig werde würde. Schließlich ging es um Duel Monsters; ein Spiel, dessen Sinn nicht im Spaßhaben lag (sofern man den Worten Kaibas Glauben schenkte). Nein, Seto Kaiba spielte nicht des Spaßes wegen, seine Intention lag außerhalb des Unterhaltungsprogramms und er konnte nie die Spieler nachvollziehen, für die Duel Monsters eine Freizeitbeschäftigung war, die nichts weiter als dem Zeitvertreib diente. Diese Art von Duellanten hatte er immer verabscheut, wenn nicht sogar gehasst, denn ihre Spielweise drückte jenes Gefühl aus, für das Kaiba keine Verwendung hatte. Lange dachte er darüber nach, wie das heutige Duell ausgehen könnte. Er konnte sich kein richtiges Bild von der Situation machen, da er sich seine blau-weißhaarige Schönheit nicht als potenziellen Gegner vorstellen konnte. Über eines war er sich jedoch im Klaren: Er würde dieses Duell gewinnen – ganz gleich wie gut seine bleiche Schönheit vorbereitet war, sie konnte niemals gegen ihn ankommen. Einen anderen Ausgang des Duells konnte und wollte er sich nicht ausmalen. Stumm betrachtete er sein perfekt zusammengestelltes Deck, er tippte mit dem Finger auf eine ganz bestimmte Karte und fragte sich, ob die blau-weißhaarige Schönheit in der Lage war, diese Karte zu kontrollieren. Dabei schweiften seine Gedanken zu Kaori und ihrem eigenartigen Verhalten am gestrigen Tag, als sie sich an ihn gedrückt hatte – hilflos, verängstigt. Kaiba schloss die Augen. Er erinnerte sich an den süßen Duft ihres Haares, das wie Seide auf seinen Schultern gelegen hatte, dann an die Wärme ihres Körpers, der sich an seinen gepresst hatte, als wollte der eine mit dem anderen verschmelzen, und an das Schlagen ihres Herzens, das sich dem seinen anpasste, als schlügen beide im selben Takt... Du wirst Sentimental, Kaiba, bemerkte er und schüttelte sich. Konzentrier' dich lieber auf die Arbeit. Die eigenen Worte befolgend wandte er sich dem Bildschirm seines Laptops zu und begann mit der Arbeit. Früher als sonst fuhr der junge Firmenchef seinen Computer herunter und verließ noch vor sechs Uhr die Kaiba Corporation. Während der Fahrt musste er an die Worte seines Bruders denken: „Erinnerst du dich wirklich nicht daran, dass du schon einmal so durch den Wind warst? Ich meine, so ähnlich.“ Ihm wollte einfach nicht einfallen, was Mokuba damit gemeint hatte. Kaiba war nie durch den „Wind“ - schon gar nicht wegen einer Frau... Er war froh, als er Zuhause angekommen war und die Kaiba-Villa betrat. Obwohl ihm das Anwesen ohne seinen kleinen Bruder leer und verlassen wirkte. Er war froh, nicht den gesamten Abend alleine verbringen zu müssen. Seine blauweiß-haarige Schönheit würde bald hinzustoßen und das das Gefühl der Einsamkeit vertreiben... Der Gedanke erleichterte und beunruhigte ihn zugleich, da er sich nicht erklären konnte, woher dieses Gefühl der Erleichterung – man könnte fast schon Geborgenheit sagen – kam, wo er doch nie ein Problem mit dem Alleinsein hatte. Nach einer Stunde, die Kaiba wie eine Ewigkeit vorkam, tauchte Kaori Kugeka auf; sie trug lediglich das weiße Wickelkleid und hatte die vorderen Strähnen ihres Haares zu dünnen Zöpfen zusammengebunden, wodurch sie noch mystischer wirkte, wie aus einer anderen Zeit entsprungen – lange vor seiner. „Wir duellieren uns in einem der Gästezimmer. Es ist bereits alles vorbereitet“, sagte er lediglich, als er sich von ihren kühlen Blicken losreißen konnte. Bewusst hatte Kaiba auf sämtliche hochmoderne Technik verzichtet, die bereits zur Normalität geworden war, seit der Eröffnung des Themenparks. Die Verwendung seiner holographischen Erfindung kam ihm abwegig vor. Er konnte sich seine blau-weißhaarige Schönheit nicht mit einer DuelDisk um den Arm vorstellen. Die bleiche Schönheit nickte. Kaiba führte sie in das besagte Zimmer und zeigte schließlich – als sie angekommen waren – auf den großen Tisch, der in der Mitte des Raumes aufgestellt worden war. „Such' dir einen Platz aus“, sagte Kaiba in einem auffordernden Ton. Die blau-weißhaarige Schönheit wählte sich ihren Platz und setzte sich schweigend. Seit ihrer Ankunft hatte sie kein Wort gesagt, auch schienen ihre Augen weniger durchdringend als konzentriert zu sein. „Vorerst zu den Regeln“, begann Kaiba, nachdem er sich gesetzt hatte. Aus der Innentasche seines lilafarbenen Mantels holte er die Karten hervor und begann das Deck zu mischen. „Damit es ein faires Duell ist, spielen wir mit jeweils zwanzig Karten meines ehemaligen Decks.“ Er legte den Stapel auf den Tisch und begann ihn in zwei aufzuteilen. Wachsam beobachtete die blau-weißhaarige Schönheit Kaibas Fingerfertigkeit. „Wir beginnen mit viertausend Lebenspunkten. Logischerweise verliert derjenige, dessen Lebenspunkte als erster auf Null fallen.“ Als Kaiba mit Aufteilen fertig war, schob er einen der beiden Stapel zu Kaori herüber. Diese nahm die Karten entgegen, dass sich ihre Fingerspitzen für einen Augenblick berührten. Die Hände seiner blau-weißhaarigen Schönheit waren kalt wie Eis – genau wie seine. „Starke Monster dürfen nicht einfach aufs Feld geholt werden. Das heißt du muss vorerst andere Monster opfern um ein stärkeres beschwören zu können. Verstanden?“ Seine blau-weißhaarige Schönheit nickte. „Dann lass uns anfangen.“ Kaiba wollte das Duell schnellstmöglich hinter sich bringen, und tatsächlich schienen ihn die Karten in seiner Hand darin zu bestätigen: Die Kombination aus Jinn, Schrumpfen und der Crush-Karte könnten das Duell in Handumdrehen beenden. Er sah zu seiner blau-weißhaarigen Schönheit herüber, deren blauen Augen die gezogenen Karten begutachteten. „Ich möchte, dass du anfängst“, sagte sie und kam damit Kaiba sehr entgegen, der die Eröffnung lieber selbst in die Hand nahm. „Na schön“, er legte die erste Monsterkarte aufs Feld, „im Gegenzug beantwortest du mir die Frage, warum du dich mit mir duellieren wolltest.“ Anschließend legte er noch eine Zauberkarte verdeckt und beendete seinen Zug. Die blau-weißhaarige Schönheit sah erst zu Kaiba, dann zu dem Lampengeist herüber. „Nun“, begann Kaori und machte ihren Zug. Sie begutachtete die gezogene Karte und fuhr schließlich fort: „ich habe so einiges über dich und deine Duel-Monsters-Karriere gelesen. Du warst ein ausgezeichneter Duellant, hast deine Gegner einen nach dem anderen auf die Knie gezwungen und eine Niederlage führte dazu, dass du das Duel-Monsters-Spiel für immer aufgabst. Deine Entscheidung verwirrt mich etwas. Sie passt nicht zu dir.“ „Und das glaubst du einschätzen zu können“, entgegnete Kaiba mit einem dunklen Lächeln. „Ja“, antwortete sie schlicht und legte zwei Karten verdeckt, zerstörte mit einer Zauberkarte Kaibas Verdeckte und beschwor den Speerdrachen, dessen Angriffspunkte höher waren als die des Jinns. „Du hast soeben hundert Lebenspunkte verloren“, sagte sie, ohne eine Miene zu verziehen. Überrascht und ein wenig belustigt legte Kaiba seine Monsterkarte auf den Friedhof. Seine blau-weißhaarige Schönheit machte Tempo – das gefiel ihm. „Mein Zug ist beendet“, sie sah hinauf zu Kaiba, „und jetzt möchte ich erfahren, was der wahre Grund ist, warum du dich nicht mehr duellierst.“ Kaiba starrte zu Kaori herüber. Vor seinem geistigen Augen erschienen die Erinnerungen des letzten Kampfes - seines letzten Kampfes. Danach war in ihm etwas Zerbrochen, ein Stück seines Seele, mit der er Duelle begonnen und gewonnen hatte. Nachdem ein Teil seines Ichs zerstört worden war, sah Kaiba keinen Grund mehr, sich noch weiterhin zu duellieren. „Ich wüsste nicht, warum ich mich noch weiter duellieren sollte“, sagte er und zog die oberste Karte seines Stapels. „Dein Speerdrache geht nach dem Angriff in den Verteidigungsmodus über“, erinnerte er sie daran. „Das weiß ich“, entgegnete sie und drehte die Monsterkarte entsprechend. „Dann weißt du auch, dass du noch immer nicht meine Frage bezüglich deiner Herausforderung beantwortet hast.“ Sie sah ihn an und lächelte leicht. „Ich will mich selbst von deinen Techniken überzeugen.“ Das kannst du haben, dachte er und beschwor die soeben gezogene Karte, legte zwei Fallenkarten verdeckt und griff Kaoris Speerdrachen an. Die blasse Schönheit nickte und legte das Monster auf den Kartenfriedhof. „Hast du dich überzeugen können?“, fragte er. Seine Augen blitzten angriffslustig, dass die blau-weißhaarige Schönheit zufrieden lächelte. Dies brachte wiederum Kaiba dazu, zurück zu lächeln „Dein Monster ist zerstört“, stellte Kaiba amüsiert fest, „also bin ich mit Fragen dran.“ „In Ordnung.“ „Erkläre mir, warum ausgerechnet du, die von sich behauptet, Kontrollverlust zu lieben, sich mit mir duellieren will.“ „Hab ich das nicht bereits?“, entgegnete sie und nahm eine Karte aus dem obersten Stapel. Aber Kaiba schüttelte den Kopf. „Du hast nur gesagt, warum du mir beim Duellieren zusehen willst, nicht, wieso du dich selbst als Gegner gewählt hast.“ Kaori blinzelte. „Ich sehe mich nicht als Gegner“, antwortete sie, als sie ihre Selbstsicherheit wiedergefunden hatte, „ich bin lediglich ein Schüler, der herausfindet, was die Ambitionen seines Meisters sind.“ Kaiba stutzte. „Was willst du damit sagen?“ „Das heißt,“ begann sie und deckte die eine der beiden Karten auf, die sich als Topf der Gier entpuppte, „das heißt, ich frage mich, warum du dich damals überhaupt duelliert hast. Was dich angetrieben hat.“ Warum er sich damals duellierte? Es fing mit einer Leidenschaft für Duel-Monsters-Karten an, für die sein Stiefvater nur wenig Verständnis aufwies, teilweise mit Spott auf Kaibas Hobby reagierte. Schon damals hatte er Gozaburo Kaibas selbstgefällige Art verabscheut und als er Setos technische Erfindung, die er in mühevoller Kleinarbeit fertiggestellt hatte, für unnützen Kinderkram abgespeist hatte, hatte er ihn regelrecht gehasst. Seit diesem Tag hatte sich Kaiba geschworen, es seinem Stiefvater heimzuzahlen. Er wollte ihm beweisen, dass Duel Monsters kein Unfug war, sondern eine Möglichkeit an Stärke und Macht zu gewinnen. Dafür hatte Kaiba alles getan... „Bei Duel Monsters geht es nur um Macht und jetzt zieh' schon deine Karten.“ Er wurde ungeduldig. Nicht, weil sie ihren Zug hinauszögerte, sondern weil er dabei war, über die Vergangenheit nachzudenken, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Kaiba fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, er wollte nicht über seine schwere Jugend nachdenken oder an seinen Stiefvater, der bereits dafür gebüßt hatte, dass er Setos harte Arbeit nicht entsprechend gewürdigt hatte. Endlich zog seine blau-weißhaarige Schönheit ihre Karten. „Ich decke die Zauberkarte Feindkontolle auf und hole mir die Kontrolle über deinen Minotaurus. Anschließend“, sie legte eine Karte aus ihrer Hand neben die Zauberkarte, „spiele ich Verringerter Preis, um ein Monster höheren Ranges aufs Spielfeld beschwören zu können.“ Wie erstarrt blickte Kaiba auf die Zauberkarte. Er wusste, welches Monster sie gleich ausspielen würde: Den weißen Drache mit eiskaltem Blick. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)